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Krafttraining

Sensoren der Propriozeption stützen. Diese Herangehensweise führt zum Einsatz von kraftsteigernden Methoden bzw. zum Absolvieren eines Muskeltrainings, das ein Überwinden von immer höheren Lasten umfasst, jedoch weitere leistungsdeterminierende Faktoren außer Acht lässt.

Was in herkömmlichen Trainingsansätzen häufig vergessen wird: der Part der Bewegungssteuerung. Die körperliche Kraft wird neben den verschiedenen leistungsbestimmenden Faktoren wie der Muskelfaserart, dem Muskelquerschnitt, der Ausgangslänge der Muskelfaser etc. in großem Maße auch von neuronalen, koordinativen und mentalen Prozessen beeinflusst. Der Leistungsfortschritt ist an die Gesetzmäßigkeiten des Gehirns und des zentralen Nervensystems gebunden, die zusammengenommen einen holistischeren Limitationsfaktor für Trainingsfortschritte darstellen, als es Muskeln allein tun würden. Jeder Trainierende hat andere neurologische Voraussetzungen und Bedürfnisse, denen zur Erhöhung der Wirksamkeit des Trainings stets eine übergeordnete Priorität eingeräumt werden muss. setzt sich dabei aus der Prognose über die zukünftige Situation zusammen. Wenn die Umwelt und die Innenwelt durch eine gute Informationsqualität aus den sensorischen Zulieferersystemen vorhersehbar sind, gelingt die Antizipation und damit auch die angestrebte Kraftentfaltung.

Zurück zur Ausgangssituation: Wie können wir vor diesem neurozentrierten Hintergrund ein Krafttraining effizient gestalten? Wie können wir einzelne Übungen so verändern, dass sie zu unserem neuronalen Anforderungsprofil passen? Nehmen wir den Ausfallschritt als Beispielübung und zwei spezifische Variationen dieser Trainingsübung, bei der zum einen der Fokus auf dem Rhythmus der Übung liegt und zum anderen auf der Fehlerkorrektur seitens eines Trainingspartners.

ÜBUNGSVARIATIONEN

KRAFT AUS NEURONALER SICHT

Aus neuronaler Sicht ist Kraft die erlern- und trainierbare Fähigkeit des Gehirns und des zentralen Nervensystems, im Muskel Spannung zu erzeugen. Wie viel muskuläre Spannung ein Mensch erzeugen kann, basiert auf einer zentralnervösen Entscheidung, die unmittelbar an die Qualität des Inputs und die Interpretation von sensorischen Informationen geknüpft ist. Schauen wir uns dazu einmal die Entstehung von Bewegung auf neuronaler Ebene an. Bevor eine Bewegung überhaupt stattfindet, landet eine ungeheure Menge an sensorischen Informationen in unserem Gehirn, die verarbeitet werden muss. Dabei agiert unser zentrales Nervensystem – als die höchste und alles steuernde Instanz des menschlichen Körpers – immer nach demselben Muster: Sie empfängt sensorischen Input aus unserer Um- und Innenwelt, analysiert und interpretiert diese Informationen und leitet daraus motorische Befehle ab, die über efferente Nervenbahnen an unsere Zielmuskulatur weitergeleitet werden. So kann das Gehirn in Sekundenbruchteilen Bewegungen initiieren und koordinieren sowie auf Veränderungen reagieren. Der höchste Sicherheitsstatus, den das Gehirn für eine optimale Initiierung von Bewegungen benötigt,

1. Grundübung

Für den Ausfallschritt stellst du deine Beine hüftbreit auf, richtest den Blick geradeaus und machst einen großen Schritt nach vorn. Danach beugst du beide Knie, wodurch sich dein Körperschwerpunkt absenkt. In der Endstellung sollte sich der vordere Oberschenkel parallel zum Boden befinden und das vordere Knie nicht über die Fußspitze hinausragen. Das hintere Knie berührt den Boden nicht, sondern wird kurz davor gehalten. In dieser Position verharrst du für einen kurzen Moment, bevor du den nächsten Schritt mit dem anderen Bein einleitest. Deine Arme kannst du während des Ausfallschritts am Körper herunterhängen lassen oder in die Hüfte stemmen. Wenn du das Anfängerlevel hinter dir gelassen hast, kannst du eine Langhantel auf deinem Nacken platzieren und die Übung mit Zusatzlasten ausführen.

2. Fehlerkorrektur

Die erste Modifikation des Ausfallschritts soll in einer leichten Störung der Zielbewegung durch einen Trainingspartner oder den Trainer bestehen. Dazu kann der Trainingspartner ein Resistance Band um deinen Oberschenkel oder deinen

SEMINARTIPP: Unterschenkel spannen „NEURO PROGRAMMING und daran während der FÜR KRAFTTRAINING“ Übungsausführung des Ausfallschritts in unregelDieses Online-Seminar vermittelt Fachmäßigen Abständen mit wissen zu neurozentriertem Krafttraiunterschiedlich großen nings. Es werden sowohl theoretische Krafteinsätzen ziehen, um Inhalte zur Auswahl und Gestaltung der

Übungen sowie zur Progression und dich aus dem Gleichgewicht Spezifik der Widerstandsreize vermittelt zu bringen. Eine andere als auch Handlungsanweisungen zur Möglichkeit, dich bei deiner praktischen Umsetzung der entschei- Zielbewegung zu stören, denden Belastungsparameter gegeben. besteht in der Anwendung von leichten Stößen gewww.jebrini-training.de/online- gen den Oberkörper. Auch seminar-neuro-programming kannst du Ausfallschritte

mit der Langhantel durchführen, Rhythmus zu tun und der Tractus bei denen die Hantelscheiben nicht cortico-ponto-cerebellaris mehr mit wie gewöhnlich auf die Langhantel Fehlerkorrektur und Genauigkeit der geschoben, sondern nur außen an Bewegung. Je nachdem, wo der TraiBändern befestigt werden und Insta- nierende Schwächen zeigt, können bilitäten erzeugen. einzelne Areale im Hirnstamm ver3. Metronom stärkt aktiviert werden, um eine verEine zweite Modifikation des Aus- besserte Kraftausschöpfung zu erfallschritts besteht in der Rhyth- möglichen. Darüber hinaus kreuzen misierung der Bewegung im Sinne viele weitere sensorische Informatieines metronomgesteuerten Trai- onen ebenfalls in diesem wichtigen nings. Das Metronom gibt das Tem- Hirnstammbereich ihre Wege. Um po vor, in dem eine Wiederholung Muskelkontraktionen zu verbessern, der Übung durchgeführt werden sollte die Medulla also vor und wähsoll. So kann für den Ausfallschritt rend des Trainings darauf vorbereitet beispielsweise angegeben werden, werden. wie lange die unterschiedlichen Phasen der Bewegung andauern sollen. Eine Option wäre zum Beispiel, zwei BASALGANGLIEN UND DER THALAMUS Sekunden für die konzentrische Phase der Bewegung, Für eine optimale Muskelkontraktion sind auch die vier Sekunden für die exzentrische Phase und jeweils Bereiche von Bedeutung, die an der Konstruktion und eine Sekunde für die statischen Haltephasen an den Erstellung des Bewegungsprogramms beteiligt sind. Umkehrpunkten der Bewegung vorzugeben. Dieser Hier sind vor allem die Basalganglien und der Thalaexterne Rhythmus unterscheidet sich stark von dem mus zu nennen, denn diese entwerfen den Plan für die inneren Rhythmus, den der Trainierende ohne Vorgabe Bewegung in ihren Feinheiten. Eine gezielte Adressievon außen für die Bewegungsdurchführung anwenden rung der Basalganglien ist zwar nicht möglich, jedoch würde. eine globale Aktivierung durch rhythmische Arbeit. Auf diesen Bereich zielen in unserem Beispiel die AusfallNEUROLOGISCHE EBENE schritte mit Metronom ab. Um den wichtigen Bereich Was passiert bei diesen Übungsmodifikationen nun der Basalganglien vorzubereiten und zu trainieren, auf neurologischer Ebene? Krafttraining über rhythmi- wird lediglich ein externer Rhythmus oder eine Temsche Vorgaben oder Fremdeinwirkungen zu steuern, povorgabe von außen benötigt. aktiviert stark den Hirnstammbereich der Medulla. Die Um verbesserte Kraftwerte zu erzielen, können grundlegenden Bahnen der Bewegungs- und Haltungs- ebenfalls die Funktionalität und die Aktivität des Kleinkontrolle laufen durch diesen Teil des Hirnstamms. hirns ipsilateral erhöht werden. Das Kleinhirn ist Einerseits handelt es sich dabei um die Informationen, hauptsächlich für die Integration, Koordination, Präzidie zumeist aus dem Frontal- und dem Parietallappen sion und Fehlerkorrektur der willkürlichen Bewegunüber den Tractus corticospinalis direkt an die ausfüh- gen verantwortlich. Es kümmert sich um die Fragen, renden Muskeln gesendet werden, und andererseits wie die Bewegung aussehen soll und ob die tatsächlium das Bewegungsprogramm, das über den Tractus che Bewegung auch mit dem Bewegungsplan übereincortico-olivo-cerebellaris an das Kleinhirn geschickt stimmt. Wenn der Trainierende nun, wie in der zweiten wird. Grundsätzlich gilt: Wird der Übungsmodifikation mit einer FehAusfallschritt auf der rechten Sei- lerkorrektur durch den Trainingpartte durchgeführt, führt eine geziel- ner dargestellt, konfrontiert wird, te Aktivierung des linken Frontal- kann eine Aktivierung des Kleinhirns und des Parietallappens zu einer zu einer rhythmischeren und präzibesseren neuronalen Aktivität des seren Bewegung führen. Tractus corticospinalis und dementsprechend zu einer gesteigerten FÖRDERLICHE willkürlichen Muskelarbeit auf der ÜBUNGSVARIATIONEN rechten Seite. Grundsätzlich ist es nicht möglich, die Instanzen so scharf zu trennen, EINZELNE AREALE AKTIVIEREN da sie in einer neuronalen BeweVon den unterschiedlichen Bah- gungsschleife miteinander in Wechnen der Bewegungs- und Haltungs- selbeziehung stehen. Dennoch stellt kontrolle hat nun der Tractus cor- sich für den Trainierenden die Frage, tico-olivo-cerebellaris mehr mit welche Übungen und Übungsmo-

YASSIN JEBRINI Der Sportwissenschaftler M.A. und Z-Health-Absolvent arbeitet als Neuroathletiktrainer mit Profi- und Freizeitsportlern. Zusätzlich ist er als Referent tätig und bildet Trainer in Neuroathletik aus. www.jebrini-training.de TIM JOST Der Masterstudent an der Deutschen Sporthochschule Köln ist als Buchautor tätig und schreibt für Jebrini Training den Newsletter und die Beiträge auf den SocialMedia-Kanälen. www.jebrini-training.de

difikationen das zentrale Nervensystem letztendlich als förderlich bewertet. Um bei unserem angeführten Beispiel zu bleiben: Machst du die größten Leistungssprünge, wenn du klassische Ausfallschritte trainierst, wenn du diese über Tempovorgaben standardisierst oder wenn dir dein Trainingspartner während der Übungsausführung kleine Stöße gibt, die du zur Wahrung des Gleichgewichts ausgleichen musst? Deine neuronalen Bedürfnisse lassen sich am einfachsten über Neuro-Self-Assessments aufdecken.

ASSESSMENTS ZUR QUALITÄTSSICHERUNG

Assessments sind Bewertungsmodule, über die der Trainer beziehungsweise der Trainierende herausfinden kann, ob die applizierte Trainingsintervention eine positive, eine neutrale oder gar eine negative Wirkung auf das zentrale Nervensystem und das Gehirn ausgelöst hat. Ein Assessment ist ein unabhängiges Vorgehen zur Qualitätssicherung des eigenen Trainings. Dazu wird eine bestimmte Bewegung (z. B. die Rumpfbeuge oder die Ganzkörperrotation) vor der Applikation des motorischen Stimulus getestet und nach Durchführung der Intervention wiederholt und mit dem Ausgangswert verglichen. Kann der Trainierende – um beim Beispiel der Rumpfbeuge zu bleiben – die Hände im zweiten Assessment näher zum Boden führen, wird von einem positiven Effekt des ausgeübten Reizes ausgegangen. In Bezug auf das Krafttraining sollten unterschiedliche Übungsmodalitäten getestet werden, unterschiedliche Reizdauern und natürlich auch unterschiedliche Werkzeuge, mit denen Bewegungen optimiert werden können. Eine Verbesserung der motorischen Funktion lässt dabei immer auf einen positiven Stimulus schließen, der zu mehr Sicherheit und Vorhersagbarkeit geführt hat.

FAZIT

Innerhalb von kurzer Zeit maximale Erfolge verzeichnen – wessen Traum ist das nicht? Zur effektiven Leistungssteigerung im Krafttraining solltest du dich unter neurologischen Aspekten auf die Übungsvariationen konzentrieren, die zu einem positiven Re-Assessment geführt haben und somit auf die Übereinstimmung von neurologischen Bedürfnissen und applizierten Belastungsstimuli verweisen. Wie aufgezeigt, kann die gleiche Trainingsübung mit einer Adaptation an das neurologische Profil ganz andere Ergebnisse erzielen und einen größeren Mehrwert erbringen. Eine willkürliche Übungsauswahl, die nur auf Erfahrungswerten und nicht auf einer direkten Überprüfung der persönlichen Eignung basiert, gehört nicht zu den Inhalten eines smarten Krafttrainings. Doch auch die Assessments sind nur Momentaufnahmen. Die Effekte des Trainings beziehungsweise der Übungen können variieren. Was zu einem Zeitpunkt funktioniert hat, muss zu einem anderen Zeitpunkt nicht mehr unbedingt funktionie-

PERTUBATIONSINDUZIERTES KRAFTTRAINING

Die Bewegungsausführung der jeweiligen Trainingsübung wird durch ein elastisches Trainingsband gestört. Im Falle der Ausfallschrittkniebeuge kann das elastische Trainingsband sowohl unterhalb des Knies, am Rumpf oder aber an der Schulter des gestreckten Armes (wie im Bild dargestellt) angebracht werden.

METRONOMGESTEUERTES KRAFTTRAINING

Die Bewegungsgeschwindigkeit und der Rhythmus der jeweiligen Trainingsübung orientieren sich an der externen Vorgabe eines Metronoms. So können sowohl die konzentrische, die exzentrische als auch die Übergangsphasen der Bewegung unterschiedlich lang gestaltet werden.

ren. Daher solltest du die Wirkung deines Trainings regelmäßig überprüfen. Du trainierst schließlich immer nur dann optimal, wenn du weißt, wie das Gehirn an diesem Tag auf dein Training reagiert. W

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