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Anamnese
Denn leider passiert es allzu oft, dass Unmengen an Daten erhoben bzw. abgefragt werden und diese dann nur einen geringen oder im schlimmsten Fall gar keinen Einfluss auf die Trainingsgestaltung haben.
Ein in der Branche übliches Screening ist der Functional Movement Screen (FMS). Hierbei werden anhand von sieben Screens die vermeintlich größten Dysfunktionen, Asymmetrien, Inhibierungen oder evtl. Schmerzen festgestellt. Meiner Meinung nach wird der FMS jedoch oftmals falsch eingesetzt und statt als Screening- als Diagnosetool verstanden. Das Screening gibt aber nur bedingt Aufschluss über individuelle anatomische Gegebenheiten und ist nicht zur Ursachenfindung konzipiert. Es ist eher als Empfehlungssystem zu nutzen und dafür auch geeignet. Da Zeit oftmals der limitierende Faktor bei der Erhebung der Anamnese ist, ist der FMS – gut eingesetzt – ein solides Mittel, um eine schnelle und smarte Entscheidung zu treffen bezüglich der Bewegungskompetenzen eines Menschen.
UMFELDANALYSE
Wie kannst du deine Kunden nun dort abholen, wo sie stehen, und das Training auf deren Alltag ausrichten? Ein meiner Meinung nach unterschätzter Aspekt ist das Umfeld. Es ist notwendig, bei der Anamnese und später in der Trainingsgestaltung die
aktuelle Lebenssituation einzubeziehen.
Alleinerziehende haben andere Rahmenbedingungen als Spitzensportler, eine Position im Management bedarf anderer Impulse als ein Job an der Kasse, im Orchester oder im Büro. Dabei geht es vor allem auch um die ganzheitliche Betrachtung der körperlichen Leistungsfähigkeit und auch der Alltagsrelevanz. Und das bedeutet die Einbindung von Augen, Gleichgewicht, Bewegung und Atmung schon in die Anamnese und in das Testing – und nicht erst in das Training. Schließlich kann man nur validieren, was man vorab auch gemessen hat. Es gilt also, sich die folgenden Fragen zu stellen: Wo stehen die Trainierenden aktuell? Was wollen sie erreichen und wie schaffen sie das? Je nach Zielstellung kann man dann entscheiden, welche Faktoren getestet werden und worauf man den Fokus richtet.
FUNCTIONAL MOVEMENT SCREEN
VORTEILE
• Viele Informationen über
Bewegungsmuster in nur 10 Minuten
• Einfach zu bestimmender Ausschluss von Beladung
• Orientierung für Priorisierung der Trainingsansätze: Wo fehlt
Mobility, wo Kraft?
NACHTEILE
• Keine einheitlichen
Bewertungsrichtlinien
• Keinerlei Aussagekraft hinsichtlich eines Verletzungsrisikos
• Keine ganzheitliche Betrachtung der bewegungssteuernden Systeme (visuelles, vestibuläres und propriozeptives System)
• Rein biomechanische Perspektive und damit rein Output-fokussiert
DIE SELBSTWIRKSAMKEIT FÖRDERN
Je nach Trainierenden ist es dann wichtig zu besprechen, was die Daten aussagen
und wie sie diese gegebenenfalls auch
selbst überprüfen können. Denn eigentlich sollten Anamnesen, Testings, Fragebögen und Analysen immer dazu dienen, einen Reflexionsraum zu schaffen, in dem sich die Kunden kritisch und reflektiert mit dem eigenen Körper und dessen Leistungsfähigkeit auseinandersetzen können. Und genau das stärkt die Selbstwirksamkeit der Kunden. Unter „Selbstwirksamkeit“ versteht man die innere Überzeugung, schwierige oder herausfordernde Situationen gut meistern zu können – und zwar aus eigener Kraft heraus. Und sollte nicht genau das im Fokus eines jeden Trainings stehen?
NEUROANALYSE
• Ausführlicher Test mit Fokus auf
Gangbild und Körperhaltung, Atmung,
Gleichgewichtssystem und Augen
• Im Mittelpunkt der Neuroanalyse stehen die ganzheitliche Betrachtung der menschlichen Leistungsfähigkeit und die zentrale Bewegungssteuerung im
Gehirn. Die Analyse bindet visuelle, vestibuläre und propriozeptive Reizverarbeitungen ein. Eine ausführliche
Erfassung der körperlichen Verfassung bildet die Grundlage für die weiteren Handlungsempfehlungen
• Ausführliche Interviews, Bewegungsanalyse und Messdaten
Denn dann dienen die Daten den Personal Trainern nicht nur zur Anamnese, Diagnostik und Trainingssteuerung, sondern generieren zudem auch noch die Befähigung und Ermächtigung der Trainierenden, den
eigenen Körper besser zu verstehen und
ihm (wieder) zu vertrauen. Und das kann nachhaltig und langfristig zur Stärkung, zur Optimierung oder zumindest zum Ausgleichen der körperlichen Performance führen.
ANALOGE UND DIGITALE HILFSMITTEL
Ich persönlich nutze eine Kombination aus analogen und digitalen Hilfsmitteln bei der Anamnese. Aufbauend auf einem anonymisierten Fragebogen, den meine Kunden online ausfüllen, erstelle ich ein Profil, bespreche dann in der ersten Online-Session offene Punkte und gehe im Detail auf bestimmte Antworten ein. Bei dem Livescreening teste ich die Augen, das Gleichgewichtssystem und über eine Ganganalyse die Bewegungsmuster; danach wähle ich je nach Bedarf noch zusätzliche Bewegungen aus, die überprüft werden. Die Atmung lasse ich die Kunden über die Leiteratmung selbst überprüfen. Denn ich will nicht nur wissen, wie die Ausdehnung und Ansteuerung der unterschiedlichen „Etagen“ ist, sondern mir auch ein Bild darüber machen, wie gut die eigene Körperwahrnehmung ausgeprägt ist und wie leicht oder schwer es meinen Klienten fällt, die eigene Atmung und etwaige Unterschiede wahrzunehmen.
Zum Abschluss lasse ich die Probanden sich selbst einmal mit der AIMO-App. scannen. Die Bewegungsanalyse misst mit dem Smartphone die Überkopfkniebeuge und zeigt dann potenzielle Schwachstellen und deren mögliche Ursachen auf. Für meine Kunden ist das eine sehr einfache Möglichkeit, die eigene Körperbewegung anschauen zu können und zu sehen, wie sie bei Bewegungen ausweichen, den Körperschwerpunkt verschieben oder Dysbalancen sichtbar werden. Denn was für mich als Trainerin in Sekundenschnelle erkennbar ist, ist für die Kunden selbst viel schwieriger wahrzunehmen. Hier ist die App eine gute Ergänzung. Selbst mit der kostenfreien Version hat man mit der 2-Minuten-Routine jeden Tag einen Anreiz, sich zu scannen, den eigenen Körper darüber besser kennenzulernen und dann in einer individuell auf dem Scan basierten 2-Minuten-Routine tägliche Bewegungsgewohnheiten aufzubauen.
Mir geht es bei der Analyse darum, Einblicke in den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden der Trainierenden zu bekommen und Hinweise darauf zu erhalten, was die Kunden wirklich weiterbringen kann, statt nur deren physischen Status quo zu messen.
FAZIT
Grundsätzlich sollte man sich immer fragen, was und vor allem warum man etwas testet. Das alleinige Sammeln von Daten im Training ohne Auswertung und Bewertung hat keinen nachhaltigen Effekt. Je nach Schwerpunkt und inhaltlicher Ausrichtung ist es empfehlenswert, sich auf bestimmte Werte zu konzentrieren und dann über gezielte Interventionen zu überprüfen, was sich durch das Training verändert. Im Verlauf kann man dann immer mehr in die Detailebene einsteigen und die Trainierenden über die Auswertungen und die Bedeutung der Daten aufklären. So gelingt neben dem Training auch gleich die Edukation; die Trainierenden werden dazu befähigt, eigenverantwortlich ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden mitzugestalten. W
LUISE WALTHER Die Berliner Personal Trainerin arbeitet an der Schnittstelle zwischen Medizin und Fitness. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Individualisierung und Professionalisierung von Reha- und Trainingsprozessen mit Fokus auf Schmerzreduzierung und Bewegungsoptimierung ihrer Kunden. www.neurozentriertestraining.de