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Bewegungsroutine
Personal Training für gesundes Altern
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Ein individuell angepasstes Training setzt qualitativ hochwertige Bewegungsreize, die als als Grundlage für biopositive Anpassungen des alternden Körpers dienen. Wie diese Ziele erreicht werden können, beschreibt Nici Mende.
Je älter wir werden, desto schneller verlieren wir Kraft, Beweglichkeit und diverse kognitive Fähigkeiten. Ein gemeiner Satz, den wir schon in jungen Jahren gezielt berücksichtigen sollten, damit wir den Verlust von Muskelquantität und -qualität geringhalten können. Degenerativen und neurodegenerativen Prozessen wie z. B. Spinalkanalstenose, Arthrose, Parkinson, Alzheimer, gilt es rechtzeitig vorzubeugen oder die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Das Wort „Sarkopenie“ (altersbedingter Verlust von Muskelmasse und -funktion) steht allgegenwertig im Raum. Die belegte Erkenntnis, dass Sport bei all diesen Problematiken hilft, ist ein großer Pluspunkt für uns Trainer, denn die Komplexität der progressiven Einschränkungen benötigt individuelle Betreuung.
Beliebte Ziele
Die Zielsetzung meines Klientels, meist jenseits der Rentengrenze, liegt nicht etwa in gesteigerter Wettkampfleistung, vielmehr stellt der Alltag den Wettkampf dar. Das Heben der Enkelkinder oder die Schuhe zu erreichen und zügig zu binden ist ein ebenso beliebtes Ziel wie schmerzfreies Spaziergehen und der tägliche Kampf gegen die Schwerkraft beim Aufstehen. Häufig steht dann noch die Reduzierung diverser Leiden, orthopädischer oder auch internistischer Erkrankungen, mit auf dem Wunschzettel, den es zu erarbeiten gilt.
Kurzum, gewünscht ist eine schmerzreduzierende, gesteigerte mitochondriale Kapazität, also die Rekrutierung sogar Bildung der Zellkraftwerke in Muskel-, Nerven- oder auch Herzmuskelzellen. Durch die gesteigerte Faser- und Muskelbewegung kommt es zu einer besseren Durchblutung, einer erhöhten Stoffwechselrate und einer Ausweitung der körperlichen Bewegungsebenen. Faktoren, die im besten Fall bestehende Schmerzsymptomatiken reduzieren. Eine wunderbare Nebenwirkung, die durch die körperliche Adaptation funktioneller Trainingsreize gelingt. Gerade im gehobenen Lebensalter wäre diese Anpassung ein effektives Trainingsziel.
Tagesgenaue Betreuung
Die Überschrift meint nicht etwa eine pflegende Tagesbetreuung, genau diese gilt es hinauszuzögern. Ich meine hier den Fakt, dass die Erstellung effektiver Trainingspläne bei voranschreitender Degeneration nicht so einwandfrei funktioniert. Sie wird durch tagesaktuelle Einschrän- kungen gestört, die quasi mit dem Aufwachen neu entdeckt werden. So erscheinen bewegungsbereite Menschen ungewollt schmerzbeladen zum Training und der feinsäuberlich vorbereitete Plan ist Geschichte.
Alterungsprozesse sind mannigfaltig und der Lebensalltag sieht meist anders aus als wir es uns wünschen. Häufig heißt es: Problem erkennen und handeln. Die Trainingsvorbereitung liegt im Alter deutlicher in einer umfangreichen Nachbereitung. Das bedeutet, je besser ich eine Trainingseinheit rekapituliere, desto größer der Benefit für die kommenden Stunden. Ein Entwicklungsprozess, der viel Recherche und spezifischer Informationen bedarf, einfach um bestmöglich auf wieder auftretende Krankheiten reagieren zu können. Das Sammeln spezifischer Informationen lässt sich mit einer Bewegungsroutine gut umsetzen. Sie kann als Trainingsstart wichtige Aspekte abklären, der weitere Trainingsverlauf folgt dann einer individuell auf die aktuellen Bedürfnisse angepassten Reizsetzung.
Bewegungsroutine
Vor jedem Training sollte der Status des Herz-Kreislauf-Systems geprüft werden. Essentiell zu nennen wäre hierbei Blutdruckmessen und Monitoring (adäquate Puls-/HF-Kontrolle über das gesamte Training). Genaue Befindlichkeitsabfragen sind mehr als nur eine freundliche Rückfrage. Diese tagesaktuelle Rückversicherung der unbedenklichen Trainierbarkeit ist nötig, um z. B. Beschwerdebilder einzuordnen, das Training daran anzupassen, notfalls den Kunden direkt zum Arzt zu schicken. Die Information zu Zeit und Art der Medikation sensibilisiert unter anderem auf die Schmerzsensitivität des Körpers. Schmerzmittel hemmen mitunter die Wahrnehmung. Wissen wir das, können wir Überlastungen verhindern. Diabetes benötigt ein terminiertes Training, das der Blutzuckerkurve entsprechend angepasst ist, um einen Unterzucker zu vermeiden. Bei vielen Medikamenten ist also der Zeitpunkt der Wirksamkeit (Peak) ausschlaggebend für gesunde Körperbelastungen. Diese Informationen und das kundenschützende Agieren gehören in das Knowhow eines guten Coaches.
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Übrigens lassen sich in dieser Kommunikation sehr gut bereits erreichte Ziele benennen und dokumentieren. Für mich der wichtigste Schlüssel zu mehr Leistungsbereitschaft, Zuversicht und Lebensqualität.
Das liest sich recht zeitintensiv, lässt sich aber gut mit einer unaufgeregten Unterhaltung während des Blutdruckmessens erledigen und bei einem standardisierten Warm-up (z. B. Gehen an der mobilen Schlinge), Prep-Übungen (z. B. Fuß ausrollen) nacharbeiten. „Unaufgeregt“ und „standardisiert“
Liegend Trainieren
Buchtipp
Nici Mende: Praktische funktionelle Anatomie Riva Verlag, 2021. 350 Seiten, 24,99 Euro www.shop.bodylife-medien.com sind übrigens zwei Zauberworte, die das Nervensystem bei Themen wie Schmerz und hoher Blutdruck entspannen. So achte ich darauf, in angenehmer Atmosphäre genau zuzuhören und vorerst leichte, routinierte Übungen zu platzieren. Eine Bewegungsroutine mit eher unterschwelligen Reizen, die jedoch äußerst förderlich für die Bewegungsamplitude (ROM – Range of motion) ist.
Ziele Erreichen
Was motiviert Menschen dazu, sich Trainingsreizen auszusetzen? Noch dazu intensiven Reizen, denen sie nicht entkommen können, weil sie allein mit ihrem Coach die Stunde gebucht haben? Ich denke, die Antwort könnte kurz und knapp zwischen gesundheitsförderndem Vernunftdenken und einer tiefen Zuneigung zu körperlichen Qualen gefunden werden. Wer sein Geld in die eigene Gesundheit und Fitness investiert möchte, gerade im gehobenen Alter, qualitativ hochwertig betreut werden. Dank individuell angeleiteter, schnell anpassbarer, progressiver Reize, reagiert der funktionell belastete Körper auch im Alter mit der Reduktion der Ruhe- und Belastungsherzfrequenz, mit mehr Kraft, mehr Beweglichkeit und einem besser arbeitenden Stoffwechsel. Hier sei der Knochenund Faserstoffwechsel (wichtig z. B. bei Osteoporose, Tendinosen, Ödemen…) erwähnt. Genau das war die Zielsetzung, richtig?
Positionswechsel
Als absoluter Fan von Muskel und Faszie, findet sich in meinen Einheiten häufig ein fließender Wechsel von Arbeitspositionen, ganz so, wie es im Alltag erfüllbar sein sollte. So kann es sein, dass ich als Fokus auf die allgegenwertige Rückenschmerzproblematik ständige Wechsel von liegenden zu stehenden Übungen wähle. Als Beispiel nutze ich das horizontale Radfahren und liegende Anhocken zum Erarbeiten von essenziellen Alltagsübungen. Hier sei die Kniebeuge (nützlich nicht nur beim Toilettengang) und der Ausfallschritt (nützlich beim Aufstehen vom Boden) erwähnt. Gerade im Alter stellen die funktionelle Beinkraft und ein gutes Rumpfkorsett den Schlüssel zum Erfolg dar.
NICI MENDE
TÜV-zertifizierte Personal Trainerin, Dipl.-Trainerin med. Fitness, Adv. Trainerin Fascial Finess. Sie ist Ausbilderin u. a. beim GluckerKolleg und Konzeptentwicklerin von „Fascial Coach“, „Rückenfrei", „Sensobility“ und FASCIAL COACH deepRING. www.fascial-coach.de
Warum dürfen meine Trainierenden mitunter im Liegen arbeiten? Im Liegen hat der Körper wenig Möglichkeit im Rumpf auszuweichen, außerdem sinkt die Belastung auf degenerativ gebeutelte Strukturen (z. B. Bandscheibenproblematik, Spinalkanal- und Ödembelastung). Ein weiterer Aspekt ist die Schulung der funktionellen Bewegungsamplitude von Hüft- und Kniegelenk. Mit dem Lastenzug aus Richtung des Kopfes kann die Gewichtsbelastung langsam und gelenkschonend (z. B. Stoffwechselförderung bei Arthrose) angepasst werden. Wer sich nicht auf die komplexe Ausrichtung der gesamten Körperkette einlassen kann, weil sich hier schmerzende Positionen bemerkbar machen, hat viel Freude an dieser vorerst befreiend wirkenden Übung. Sie sorgt ganz nebenbei für eine sanfte, aber effektive Faszienförderung, denn lange myofasziale Ketten fördern den Faserstoffwechsel und seine Reorganisation durch große Bewegungsamplituden. Die liegend gut abrufbare Bewegungsamplitude der Beine sorgt für eine Rekrutierung der beteiligten Nervenbahnen. So kann das alternde Muskelgewebe, durch die mechanische Dehnung (große ROM), sanft auf die eigentlich wichtigen exzentrischen Widerstände vorbereitet werden. Herz-Kreislauf- oder Gewichtsprobleme werden im Liegen (ggf. mit eröhtem Oberkörper) obendrein direkt auf die Warteposition gestellt. Läuft die Ansteuerung von Kopf bis Fuß gut, wird die Erarbeitung einer funktionellen Kniebeuge deutlich besser gelingen, ein Ausfallschritt kann erfolgreich wahlweise mit aufrechtem oder vorgeneigtem Oberkörper, also dem Gewichtstransfer durch funktionelle Belastungsführung, durchgeführt werden.
NEGATIV-DYNAMISCH
In der eigentlichen Übung angekommen, geht es um negativ-dynamische, also exzentrisch-bewegende Reize. Aus ihnen resultieren die Trainingserfolge, die im Alter für Sicherheit und Mobilität sorgen. Die
Frage ist, wie schnell und steil soll die Progression stattfinden, damit sich der Körper auf lange Sicht gut anpassen kann? Da sind wir wieder bei der gezielten Trainingsplanung. Ein grober Plan sollte Bestandteil der Kundenbetreuung sein, aber einer mit Plan B, C und eventuell sogar D. Je komplexer die Nebenschauplätze des Klientels sind, desto variantenreicher sollten die Hauptübungen vorbereitet werden.
Methodische Reihe
Mit Varianten in logischer Progression sind Zwischenstationen gemeint. Hier dienen als Beispiel Sitzflächen oder Türrahmen als Möglichkeit, einen Ausfallschritt mit Sicherung der Rumpfposition zu erarbeiten. Was sich überall finden lässt, kann im Alltag schnell für eine schmerzreduzierende Bewegungseinheit genutzt werden. Im Training darf es dann eine assistierende Schlinge als Hilfestellung und später eine Zusatzlast (z. B. Zug- oder Hebelasten) als Progression sein. Hilfsmittel sind äußerst nützlich, wenn es um Wahrnehmung der Körperausrichtung geht. Gegen einen Widerstand lässt sich deutlich leichter erspüren, was eine Muskelspannung eigentlich ist. Methodisch und angepasst erarbeitet, rückt die realistisch aufgestellte Ziellinie näher. Fakt: Eine methodische Erarbeitung sichert den Etappensieg und vermeidet plötzlich auftretende Überreize (Schmerzen), sie ist unendlich erweiterbar.
Schmerzreduktion
Vor Progression
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Es gilt immer, die Schmerzreduktion vor die Progression zu setzen. Wer Schmerzen hat, arbeitet mit Umwegen und gestörter Wahrnehmung. Training findet zudem mit erwärmten Strukturen statt. Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) melden in warmen, faszial geschmeidig durchwässertem und gut durchblutetem Status vermindert Warnsignale. Das bedeutet, die Schmerzen steigen bei Überreizen und Fehlbelastungen nach dem Training. Ein No-Go für das gesunde Kundenmanagement in jeder Hinsicht.
Motorische
Kompetenz Sichern
Deutlich sinnvoller erscheint ein Training mit der Erarbeitung von schmerzlindernden „Hausaufgaben“, die sich überall mit und ohne Coach durchführen lassen. Sie sichern die motorische Kompetenz und finden sich in den beschriebenen, angenehmen Übungen aus der methodischen Reihe. Was gefällt und hilft, wird viel schneller zur alltäglichen Bewegungsroutine. Ist der Coach dann überflüssig? Keinesfalls, denn helfendes und empathisches Knowhow bucht man gerne wieder! W
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