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BEWEGUNG UND GEHIRN

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Julius Teuber geht der Frage nach, wie sich Bewegung auf die Entwicklung des Gehirns auswirkt und wie wir Sport gezielt als mentalen Jungbrunnen nutzen können

Während unserer Entwicklungsgeschichte hat die Natur unseren Körper und auch unseren Geist gleichermaßen gefordert. Forscher vermuten, dass sich das Gehirn in Jahrmillionen zusammen mit einem aktiven Lebensstil entwickelt hat und deshalb auch nur mit Bewegung gesund bleiben kann. Als wir vor ca. zwei Millionen Jahren von einem eher affenähnlichen Verhalten zum Jäger-/ Sammler-Lebensstil übergingen, war das mit größeren körperlichen und mentalen Leistungen verbunden. David Raichlen und Gene Alexander, zwei Evolutionsbiologen an der University of Southern California, glauben, dass dieser urzeitliche Wechsel zu einem überaus aktiven Lebensstil bis heute in unseren Genen geschrieben steht. Und eben darum brauche das Gehirn die regelmäßige körperliche Anstrengung, um selbst gesund zu bleiben. Beispiele für die enge Verbindung von Hirn und Bewegung erleben wir nicht nur beim Menschen, sondern auch im Tierreich: Die Seescheide lebt als Larve ein sehr bewegtes Leben. Sobald sie allerdings einen geeigneten Platz auf dem Meeresboden gefunden hat, an dem sie sich niederlassen möchte, saugt sie sich dort fest und wird „sesshaft“. Nun fängt sie an, alles zu verdauen, was sie nicht mehr braucht: Muskeln, Organe und am Ende eben auch das eigene Hirn. Denn wer sich nicht mehr bewegt, muss schließlich nicht mehr viel denken und braucht auch keine Kapazität zur motorischen Steuerung. Und so ist es auch beim Menschen. Ich möchte an dieser Stelle den deutschen Neurowissenschaftler und Psychiater Prof. Manfred Spitzer zitieren, der es mit dem schönen Satz: „Wer mit 50 keinen Arsch mehr in der Hose hat, hat mit 70 kein Hirn mehr im Kopf“, auf den Punkt bringt. Wer im Alter auf- hört, sich zu bewegen, der wird nicht nur körperlich, sondern auch geistig die Konsequenzen tragen müssen. Wenn Astronauten aus dem Weltall zurückkommen, haben sie nicht nur mit Muskelschwund zu kämpfen –auch ihr Gehirn hat sich nach Wochen und Monaten im All verändert. Dies ist neben der fehlenden Schwerkraft vor allem auch auf den Mangel an Bewegung zurückzuführen.

WENIGER BEWEGUNG –WENIGER GEHIRN

Ein weiterer Beleg für den großen Einfluss von Bewegung auf unser Gehirn könnte in unserer Evolutionsgeschichte zu finden sein. Vor der landwirtschaftlichen Revolution und der Sesshaftigkeit waren unsere Gehirne größer, als sie es heute sind. Vor 45 000 Jahren bis vor ca. 12 000 Jahren lebte der „Cro-Magnon-Mensch“, der zur Art des Homo Sapiens gehörte und ein Hirnvolumen von ca. 1 590 ccm erreichte. Heute haben wir ein durchschnittliches Hirnvolumen von ca. 1 290 ccm. Es wird vermutet, dass der veränderte Lebensstil – weg von der Jagd, hin zur Sesshaftigkeit – ein entscheidender Faktor für den Rückgang des Hirnvolumens gewesen sein könnte; weniger Bewegung, weniger Gehirn. Warum das Gehirn atrophiert, sobald man sich weniger bewegt, ist abschließend nicht eindeutig geklärt. In der evolutionären Neurowissenschaft erklärt man sich dieses Phänomen damit, dass physiologische Systeme, zu denen auch das Gehirn gehört, bei durch Bewegung verursachtem Stress ihre Kapazität hochfahren. Umgekehrt führt eine Bewegungsreduktion zur Reduzierung der Kapazität, also zur Atrophie. Durch diesen Mechanismus möchte der Körper Energie einsparen, denn er will immer ökonomisch arbeiten.

Schutzschild F R Das Gehirn

Nicht nur für ältere Menschen ist Bewegung wichtig, um neuronale dege-

Praktische Tipps

Am meisten mag es unser Gehirn, wenn es neben der Bewegung auch kognitiv gefordert wird. Tanzen oder Kampfsportarten wie Brazilian Jiu-Jitsu, Qigong, Judo oder Tai-Chi fördern neben der körperlichen Ertüchtigung auch das Lernen neuer Bewegungen. Somit sind es vor allem vielfältige und abwechslungsreiche Bewegungen, die unser Hirn liebt. Wie wäre es demnächst statt der eintönigen Joggingrunde durch die Stadt vielleicht mit einer Runde querfeldein oder durch den Wald? Oder wie wäre es, abends einfach mal zu Hause zu einer schönen Musik loszutanzen?

Dafür ist kein extremes Sportpensum nötig! Studien haben ergeben, dass bereits drei Sporteinheiten von weniger als einer Stunde pro Woche ausreichen, um positive Effekte auf das Gehirn zu erzielen.

nerative Prozesse aufzuhalten bzw. zu verhindern und kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Denken, Wahrnehmung oder Gedächtnisleistung zu verbessern. In frühen Jugendjahren fördert viel Bewegung das neuronale Wachstum so stark, wie es kaum eine kognitive Förderung vermag. Motorische Lernleistungen fördern die synaptische Plastizität und damit Leistungen des Gedächtnisses, der Willenskraft und der Impulskontrolle. Neue Arbeiten belegen sogar, dass auch das kreative Denken durch Bewegung gefördert wird. Bewegung wirkt so wie ein Schutzschild und Nervendünger fürs Gehirn.

Chemiebaukasten K Rper

Während wir uns sportlich betätigen, produziert der Körper einen schönen Chemiecocktail, den er dann über seinen eigenen Kommunikationsweg, das Gefäßsystem, im Körper verteilt. Eine wichtige Substanz, die dabei vom Muskel produziert wird, ist der Botenstoff BDNF (brain-derived neurotrophic factor). BDNF wird aber nicht nur bei Bewegung im Muskel produziert, sondern auch im Hippocampus, einem Teil des Gehirns. Das vom Muskel produzierte BDNF kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden und somit auch im Gehirn seine Wirkungen entfalten. Dieser Stoff ist extrem wichtig für die Differenzierung, das Wachstum, das Überleben und den Schutz von Nervenzellen. Im Prinzip wollen wir all das, was unsere BDNF-Spiegel erhöht, machen (z. B. kognitives und körperliches Training) und all das, was die BDNF-Spiegel verringert, vermeiden (z. B. chronischer Stress, Bewegungsmangel).

Somit schützt Bewegung nachweislich vor neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz oder Parkinson.

Depression Und Sport

Für die Entstehung von Depressionen gibt es in der Wissenschaft verschiedene Theorien. Lange Zeit galt die Störung des Tryptophan-Serotonin-Stoffwechsels als eine der Hauptursachen. Dementsprechend werden Medikamente verschrieben, die

Wer mit 50 keinen Arsch mehr in der Hose hat, hat mit 70 kein Hirn mehr im Kopf.

das Serotonin länger an den Nervenzellen wirken lassen soll, sogenannte selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI).

Mittlerweile gibt es immer mehr Forscher, die einen chronischen Entzündungszustand verschiedener Areale des Gehirns als Ursache sehen. Außerdem sieht man bei depressiven Patienten häufig eine deutliche Verkleinerung des Hippocampus.

Die Senkung chronischer Entzündungswerte können wir neben regelmäßiger Bewegung auch durch Kälteanwendungen oder eine Erhöhung unseres Omega-3-Index erreichen. Wir wissen, dass nicht nur während des Sports gebildete Stoffe chronische Entzündungswerte im Körper positiv beeinflussen können, sondern dass durch Sport auch Gene abgeschaltet

Prof. Manfred Spitzer

werden, die mit Entzündungsprozessen in Verbindung stehen. Das ASCGen ist ein solches, das durch Sport über den Prozess der Epigenetik abgeschaltet, also schwieriger lesbar gemacht wird. Zusätzlich werden vermehrt Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin ausgeschüttet, die sich positiv auf unsere Stimmung auswirken und damit letztendlich eine ähnliche Wirkung wie die SSRI haben.

Auch die Verkleinerung des Hippocampus kann durch regelmäßiges Bewegen verzögert oder gestoppt werden. Wie bereits erwähnt, wirkt das Protein BDNF wie eine Art Nervendünger und somit auch protektiv. Die BDNF-Spiegel lassen sich neben Sport auch durch ein gutes Stressmanagement und die Zufuhr von Omega 3, Zink und Vitamin E steigern.

FAZIT

JULIUS TEUBER

Der M.Sc. Sportwissenschaftler und Physiotherapeut i. A. arbeitet in Leipzig als Personal Trainer und Referent an der Schnittstelle zwischen Training und Therapie. www.juliusteuber.de

Auch im Alter neugierig bleiben und von Zeit zu Zeit neue Dinge ausprobieren, neue Sportarten versuchen und nicht der westlichen Mentalität der Altersruhe zum Opfer fallen: Bewegung schützt nicht nur vor allen möglichen körperlichen Erkrankungen, sondern auch vor mentalen und neurodegenerativen Erkrankungen. Unlängst hat eine im Jahr 2010 veröffentlichte britische Studie gezeigt, dass das Sterberisiko durch Bewegungsmangel höher ist als durch Rauchen oder zu viel Alkohol. Hirn und Bewegung sind untrennbar miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig stärker, als wir es uns vorstellen können. Das heißt, wer aktiv ist und bleibt, hat auch bessere Chancen, im Oberstübchen fit zu bleiben ■

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