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Kolumne Recht sportlich
Text Philipp von Gehlen, Andreas Rüter
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„Pacta sunt servanda“ lautet eines der vielen lateinischen Sprichwörter, die in der juristischen Ausbildung vorkommen. Auf Deutsch bedeutet es „Verträge sind einzuhalten“. Mit diesem Sprichwort wird der Grundsatz der Vertragstreue umschrieben. Wie bei jedem Grundsatz gibt es Ausnahmen. So kann der Grundsatz der Vertragstreue durch eine außerordentliche, auch fristlose Kündigung durchbrochen werden. Dies bedarf aber insbesondere eines wichtigen Grundes. Ob ein solcher vorliegt, ist häufig streitig. So auch in der Fitnessbranche.
Es gibt z. B. Studionutzer, die eine (vermeintliche) Krankheit oder eine Verletzung nur vorschieben, um schneller eine Vertragsbeendigung herbeizuführen. Es gibt aber auch Studiobetreiber, die überzogene Anforderungen an die Wirksamkeit einer derartigen Kündigung stellen, etwa indem sie Gefälligkeitsattests vermuten oder Atteste mit konkreten Diagnosen fordern. Um als Clubbetreiber keine Fehlentscheidung im Umgang mit einer außerordentlichen Kündigung wegen einer Erkrankung oder einer Verletzung zu treffen, die mitunter unnötige Kosten verursacht, sollten die einschlägigen rechtlichen Grundlagen bekannt sein.
Wann liegt ein wichtiger Grund vor?
Die Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrages ergeben sich aus § 314 BGB. Danach liegt ein zur Kündigung berechtigender Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. In Bezug auf einen Fitnessstudiovertrag hat der BGH ausgeführt, dass der Studionutzer grundsätzlich das Risiko trägt, dass er einen längerfristigen Vertrag aufgrund einer Veränderung seiner (beherrschbaren) persönlichen Verhältnisse nicht mehr nutzen kann (BGH, Urteil vom 04.05. 2016, Az. XII ZR 62/15). Bei der Bewertung eines etwaigen Kündigungsgrundes ist demnach zu berück-
sichtigen, ob der Grund in den Verantwortungsbereich des Kündigenden fällt oder nicht. Nach Wertung des BGH stellt hiernach ein Wohnortwechsel, auch infolge eines Arbeitsplatzwechsels, in der Regel keinen wichtigen Grund dar.
Berechtigt eine Erkrankung oder eine Verletzung zur außerordentlichen Kündigung?
Der BGH vertritt in dem genannten Urteil die Ansicht, dass eine Erkrankung oder eine Verletzung eines Studionutzers grundsätzlich einen wichtigen Grund darstellen kann. Da für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt und die beiderseitigen Interessen abgewogen werden müssen, kommt es aber letztlich insbesondere auf die Einzelheiten der Erkrankung oder Verletzung an. Bei der Prüfung der Wirksamkeit kann demnach von Bedeutung sein, wie schwer die Erkrankung bzw. Verletzung ist, wie viel Zeit die Gesundung in Anspruch nimmt und in welchem Umfang Trainingsmöglichkeiten trotz der Erkrankung oder Verletzung gegeben sind. Ein gutes Argument zugunsten des Studiobetreibers stellt der Umstand dar, dass nach neuen medizinischen Erkenntnissen Sport selbst bei schweren Erkrankungen der Gesundung nicht abträglich, ihr vielmehr förderlich ist!
Im Übrigen hat der Gesetzgeber in § 314 Abs. 3 BGB ausdrücklich bestimmt, dass die Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist erklärt werden muss, nachdem der Kündigende von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Denn es ließe sich nicht argumentieren, dass die Fortsetzung eines Vertrages unzumutbar ist, wenn der Studionutzer bereits seit längerer Zeit von dem wichtigen Grund Kenntnis hat, den Vertrag über geraume Zeit anstandslos fortgesetzt hat und dann überraschend aufgrund des seit Langem bekannten Grundes die außerordentliche Kündigung erklärt. Der Gesetzgeber benennt aber keine konkrete Frist, sodass es auch hier auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Das Amtsgericht Brandenburg hat in seinem Urteil vom 17.05.2019 (Az. 31 C 60/18) im Hinblick auf die obergerichtliche Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass je nach Art des Vertrages und der besonderen Umstände des Einzelfalls Fristen zwischen 1 und 4 Monaten angemessen sein könnten.
Muss durch den Studionutzer ein Attest vorgelegt werden?
Es gilt der Grundsatz, dass eine außerordentliche Kündigung bereits wirksam ist, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür vorliegen (1. Dauerschuldverhältnis, 2. Kündigungserklärung, 3. Wichtiger Grund, 4. Erklärung innerhalb einer angemessenen Frist). Für die Wirksamkeit der Kündigung kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, dass der Studionutzer die zur Kündigung berechtigende Erkrankung bzw. Verletzung dem Studiobetreiber zu dessen Überzeugung durch ein Attest nachweist. Wenn aber der Betreiber die Kündigung nicht akzeptiert und den Nutzer auf Zahlung nicht geleisteter Beiträge verklagt und die behauptete Sportunfähigkeit bestreitet, muss der Nutzer im Zivilprozess die Sportunfähigkeit beweisen.
Können eine Attestpflicht und eine Kündigungsfrist vereinbart werden?
Der BGH erkennt das Interesse eines Studiobetreibers an, in seinen AGB die Kündigung eines Studionutzers von der Vorlage eines ärztlichen Attests abhängig zu machen, um einen Missbrauch des Kündigungsrechts zu verhindern (BGH, Urt. v. 08.02.2012, Az. XII ZR 42/10). Dieses Interesse rechtfertige es aber nicht, dass Studiobetreiber von ihren Nutzern Angaben über die konkrete Art der Erkrankung verlangen dürften. Denn grundsätzlich könne den Angaben eines Arztes in einem Attest vertraut werden. Im Übrigen stünde es Studiobetreibern frei, die Wirksamkeit der Kündigung in einem gerichtlichen Verfahren, etwa einer Zahlungsklage, überprüfen zu lassen. Demnach kann die Vorlage eines Attests in AGB vereinbart werden, soweit nach der Klausel das Attest keine konkreten Angaben zu der Erkrankung oder Verletzung beinhalten muss.
Ob ein Clubbetreiber in seinen AGB eine feste Frist vorgeben darf, innerhalb derer ein Studionutzer die außerordentliche Kündigung erklären muss, nachdem er von der Erkrankung oder der Verletzung Kenntnis erlangt hat, ist indes fraglich. Eine Klausel, in der ein Studionutzer lediglich eine zweiwöchige Frist vorgibt, ist nach ausdrücklicher Auffassung des BGH unzulässig (BGH, Urt. v. 08.02.2012, Az. XII ZR 42/10).
Fazit
Eine Erkrankung oder Verletzung kann einen wichtigen Grund darstellen, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigt. Es müssen aber die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Ferner muss eine Interessenabwägung stattfinden. Des Weiteren muss die Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntniserlangung von dem Kündigungsgrund erklärt werden.
Für die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen Erkrankung oder Verletzung ist ein ärztliches Attest grundsätzlich nicht erforderlich. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Vorlage eines Attests zwischen Studiobetreiber und Nutzer vereinbart worden ist (z. B. in den AGB). Allerdings kann in AGB nicht vereinbart werden, dass aus dem Attest eine genaue Diagnose hervorgehen muss.
Wenn es zu einem Klageverfahren zwischen Studiobetreiber und Nutzer kommt, ist der Nutzer für die Existenz des Kündigungsgrundes darlegungs- und beweisbelastet.
Philipp von Gehlen (l.) ist selbstständiger Rechtsanwalt und Syndikusrechtsanwalt der First Debit GmbH aus Hamm (Westf.), einem registrierten Inkassodienstleister, der mit seinem Produkt „debifit“ ein speziell auf die Fitnessbranche abgestimmtes Tool des Forderungsmanagements anbietet. Andreas Rüter (r.) ist Rechtsanwalt und Partner der mittelständischen Kanzlei Döttelbeck Dr. Wemhöner & Partner Rechtsanwälte Steuerberater aus Hamm (Westfl.), die eng mit der First Debit GmbH kooperiert. Als Rechtsanwalt hat er sich unter anderem auf die Bearbeitung von Mandaten aus dem Bereich des Fitnessstudiorechts spezialisiert.