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Physiotherapie mit Opfern sexueller Gewalt

Text Sarah-Lea Kuner

Egal in welchem Land, welcher Gesellschaft, welcher Kultur oder welcher Altersgruppe man schaut, sexuelle Gewalt findet man überall. Bei der Behandlung dieses Traumas kann insbesondere bei körperlichen Verletzungen der Einsatz von Physiotherapie sehr hilfreich sein. Der behandelnde Therapeut sollte, noch stärker als sonst, Rücksicht auf die Bedürfnisse des Patienten nehmen.

Was ist sexuelle Gewalt? Kurz zusammengefasst ist jeder sexuelle Schritt ohne direkte Zustimmung oder an Personen, die berauscht, geistig beeinträchtigt sind oder schlafen, sexueller Missbrauch. Sexuelle Gewalt findet sich in vielen Umgebungen wie zum Beispiel zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz, in Gemeinschaften. Oft beginnt sie im Kindes- oder Jugendalter. Eine Studie zeigt, dass weltweit 8–31 % der Mädchen und 3–17 % der Jungen in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erleben mussten. Aufgrund mangelnder Untersuchung gibt es eine hohe Dunkelziffer.

Hindernisse für Männer zum Zugang zur Gesundheitsversorgung Oft spricht man bei sexueller Gewalt von Frauen als Opfern, aber man darf auch die zahlreichen männlichen Opfer sexueller Gewalt nicht vergessen. Für diese gibt es eine Reihe von Faktoren, die ihnen den Zugang zur Gesundheitsversorgung nach sexueller Gewalt erschweren. Einer der Gründe ist, dass Männer aus Scham, Angst vor Vergeltung und vor Entdeckung, resultierend aus sozialem Stigma sowie der Angst vor Verhaftung in Ländern, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen verurteilt und verboten sind, seltener Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen als Frauen. Vor allem Männlichkeitsstereotypen verbunden mit der veralteten Erwartungshaltung an Männer, dass sie stark sind und keine Schwäche zeigen dürfen, führen zu einer Unterberichterstattung sexueller Gewalt an Männern. Ein weiterer Faktor ist die Fokussierung des Gesundheitsdienstleisters auf anale Vergewaltigungen, anstatt auf sexuelle Dysfunktionen, Inkontinenz oder genitale Narben zu achten. Das führt dazu, dass männliche Überlebende schwer zu identifizieren sind und Gefahr laufen, unangemessen beurteilt und behandelt zu werden. Das geht einher mit der Abneigung, sich im Gesundheitswesen selbst zu identifizieren. Ein weiteres Problem ist, dass manche Gesundheitsanbieter eine negative Einstellung gegenüber männlichen Opfern sexueller Gewalt haben, da manche glauben, dass alle Opfer keine Opfer seien, sondern homosexuell oder schlichtweg nicht sexuell missbraucht werden können. Das soll damit einhergehen, dass Männer stärker sind als Frauen und somit überlegen, sich also verteidigen können müssen. Hier beeinträchtigt Homophobie unter Beschäftigten im Gesundheitswesen die Bereitstellung einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung. Dazu kommt, dass die meisten Zentren für geschlechtsspezifische Gewalt mit Frauengesundheitsdienstleistungen verbunden sind und damit ein Hindernis für männliche Betroffene darstellt.

Häufige Folgen von sexueller und genderbasierter Gewalt Sexuelle Gewalt hat viele Konsequenzen: physische, psychische und sozia-

le. Man kann es in tödliche Folgen und nicht tödliche Folgen kategorisieren. Nicht tödliche Folgen können in ein physisches Trauma, also Verletzungen, somatoforme Folgen sowie sexuelle und reproduktive Gesundheitsfolgen führen. Letzteres umfasst beispielsweise unerwünschte Schwangerschaften, Fehlgeburten, Abtreibungen, Beckenentzündungen und weitere gynäkologische Probleme. Ein psychisches Trauma kann sich in mentalen Gesundheitsproblemen und einem negativen Gesundheitsverhalten äußern. Physische Verletzungen, somatoforme Probleme wie funktionelle Beeinträchtigungen und chronische Schmerzen sowie sexuelle und reproduktive Gesundheitsthemen finden sich vor allem bei genderbasierten physischen Traumata. Gerade bei sexuellem Missbrauch von Kindern kommt es im Erwachsenenalter oft zu Drogenmissbrauch, posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), Selbstmord und Depressionen. Weltweit ist sexueller Kindesmissbrauch der Hauptauslöser für PTBS. Hier sind schätzungsweise 33 % der Fälle Frauen und 21 % der Fälle Männer.

Folgen sexueller Gewalt an Frauen Bei sexueller Gewalt unterscheidet man zwischen direkten Konsequenzen und Kurz- bzw. Langzeitfolgen sowiein physische, reproduktive, psychische, Verhaltenskonsequenzen und Todesfälle.

Physische Folgen: Direkte Konsequenzen sind beispielsweise Schock, Blutungen, Rückenschmerzen, Harnwegsinfektionen. Kurz- bzw. Langzeitfolgen können sich in Reizdarmsyndrom, Bauchschmerzen, chronischen Schmerzen und einer schlechten Wahrnehmung der eigenen Gesundheit äußern. Reproduktive Folgen: Direkte Konsequenzen sind unter anderem ungewollte Schwangerschaften, sexuell übertragbare Krankheiten, Genital-Anal-Trauma und unsichere Abtreibungen. Kurz- bzw. Langzeitfolgen sind zum Beispiel Unfruchtbarkeit, entzündliche Erkrankungen des Beckens oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Psychische Folgen: Direkte Konsequenzen äußern sich in Schlafstörungen und Panikattacken. Die Kurz- bzw. Langzeitfolgen in Depressionen, Selbstmordgedanken sowie PTBS. Verhalten: Direkte Konsequenzen sind unter anderem Essstörungen und eine hohe Risikobereitschaft (bspw. ungeschützter Geschlechtsverkehr, mehrere Partner …). Bei den Kurz- bzw. Langzeitfolgen vor allem ein höheres Risiko für erneute sexualisierte Gewalt. Todesfälle: Direkte Konsequenzen sind hier unter anderem Femizid nach sexueller Gewalt und Suizid. Die Kurz- bzw. Langzeitfolgen sind der Tod durch unsichere Abtreibung oder durch Schwangerschafts-/Geburtsfolgen oder Säuglingsmord nach Empfängnis.

Physiotherapie für Betroffene sexueller Gewalt Angesichts der Häufigkeit von sexueller Gewalt ist die Wahrscheinlichkeit, dass man als Physiotherapeut einen Betroffenen behandelt, recht hoch. Damit stehen sie an vorderster Front der Behandlung. Psychotherapeuten,

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Mit Patienten, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, sollte früh abgesprochen werden, welche Form der Berührung in Ordnung sind

die regelmäßig Betroffene betreuen, die traumatische Erlebnisse erleben / erlebt haben, sind in der Lage, positive Erfahrungen im Gesundheitswesen und der ganzheitlichen Rehabilitation zu fördern. Und zwar indem sie aus der traumatisierungsorientierten Perspektive arbeiten und die Gesundheit sowie die Widerstandsfähigkeit des Patienten und Therapeuten fördern.

Die entscheidende Bedingung für das Gelingen oder Nichtgelingen ist eine Vermeidung von Machtdifferenzen zwischen dem Fachpersonal und dem Patienten, da die invasiven körperlichen Untersuchungen zu Retraumata des Übergriffes führen können. Hier braucht es eine individuelle auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmte Gesundheitsvorsorge.

Grundbausteine einer erfolgreichen Therapie Sicherheit: Der Physiotherapeut hat die Aufgabe, ein therapeutisches Umfeld zu bauen, in welchem sich der Patient physisch und psychisch sicher, bestätigt und verstanden fühlt. Das ist sehr wichtig, da viele erst an ihren Trauma-Prozess gehen können, wenn sie sich sicher fühlen. Das bedeutet für Therapeuten: 1. Vertrauensverhältnis aufbauen 2. Untersuchung / eigentliche Therapie

Vertrauenswürdigkeit: Traumatisierte haben häufig physische wie auch psychische Vertrauensprobleme, vor allem wenn sie körperlich missbraucht wurden. Darum ist es essenziell, bei Bedarf von Berührungen oder Gelenkmanipulationen während der Therapie, um Erlaubnis zu fragen, den Patienten zu berühren. Es kann auch sein, dass es Zeit braucht, bevor das Vertrauensverhältnis weit genug ausgebildet ist, dass Sie den Patienten berühren dürfen. Hier braucht es viel Geduld. Wahl: Der Patient darf nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Stattdessen müssen zum Beispiel Entscheidungen im Behandlungsplan gemeinsam bzw. vom Patienten angeführt getroffen werden. Es ist wichtig, dass der Patient die Kontrolle über die Behandlung behält. Zusammenarbeit: Maximiert werden die Behandlungseffekte durch die Berücksichtigung des Wissens des Patienten, was für ihn am besten funktioniert. Hier muss gut zugehört und beobachtet werden. Bestätigung: Häufig sind Opfer sexueller Gewalt entmutigt und unsicher. Darum sollte die Behandlung die Fähigkeit der Verwaltung der eigenen Gesundheit stärken und priorisieren. Auch hier ist der Einfluss auf die physiotherapeutischen Interventionen und die Wahlmöglichkeiten entscheidend.

Ziele für Physiotherapie mit Opfern sexueller Gewalt Die Hauptziele sollten die Sensibilisierung des Patienten und die Propriozeption der betroffenen Muskulatur, die Verbesserung der Fähigkeit, zwischen Muskeln zu unterscheiden und diese zu entspannen, die Normalisierung des Muskeltonus, das Erhöhen der Elastizität der Scheidenöffnung und die Desensibilisierung schmerzender Bereiche sowie die Verringerung der Angst vor vaginaler Penetration sein. Das kann beispielsweise durch physiotherapeutische Behandlungen zur Linderung chronischer Schmerzen und anderer körperlicher Komplikationen erfolgen: Beckenbodenübungen, gemeinsame Mobilisationsübungen, Massagen, Hydrotherapie, Thermotherapie, Myofasziale Therapie und Tanztherapie.

Wichtig ist, dass man die Patienten nicht direkt bei der Anamnese fragt, ob sie sexuelle Gewalt erfahren haben, nur weil es sein könnte. Entweder es kommt von dem Patienten selbst oder Sie bemerken spezifische Anzeichen dafür, zum Beispiel ein auffälliges Zurückschrecken vor Berührungen. Dann kann der Patient immer noch vorsichtig und vor allem nicht vorwurfsvoll darauf angesprochen werden. Behandelt man eine betroffene Person zeitnah nach dem Vorfall, gilt es noch stärker Rücksicht auf die Bedürfnisse des Patienten zu nehmen, da diese auf Berührung unberechenbar, manchmal sogar panisch reagieren können. Hier ist es enorm wichtig, für ausreichend Sicherheit zu sorgen und den Patienten nicht im Rahmen eines 20-minütigen Termins abzufertigen.

Fazit Wichtig ist das Verständnis, dass sexualisierte Gewalt an Frauen, Kindern und Männern ausgeübt wird und dass sexuelle Gewalt nicht nur auf körperlichen Missbrauch beschränkt ist. Grundsätzlich ist bei der Physiotherapie wichtig, sich auf den Patienten einzulassen und aktiv zuzuhören. Nicht nur, was er mündlich kommuniziert, sondern auch die Körpersprache ist von Bedeutung. Als Erstes zuhören und ein Vertrauensverhältnis, einen Safer Space schaffen und dann in die eigentliche Behandlung übergehen. Entscheidungen sollten gemeinsam getroffen und es sollte aktiv kommuniziert werden, was als Nächstes passiert bzw. erfragen, ob nächste Schritte wie eine Berührung oder Manipulation von Gelenken in Ordnung sind oder nicht.

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