Leseprobe Historische Putztechniken | Oskar Emmenegger

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Oskar Emmenegger Historische Putztechniken Von der Architektur- zur Oberflächengestaltung


Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber. . ................................. 6 Vorwort von Oskar Emmenegger – Die Schönheit des Einfachen............................. 8

I   Einführung

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II    Die Mauertechniken im historischen Kontext: vom reinen Malereiträger zur selbstständigen Funktionalität 61

II.1   Baumaterial und Mauer­arten als Putz- und Bildträger im historischen Kontext............................................................. 62 II.2   Putzaufbau............................................ 91

Georg Mörsch – Aussenputz in der Denkmalpflege................................................. 14 Albert Knoepfli – Die «putzsüchtige» Denkmalpflege .. ............................................... 19 Hans Rutishauser – Zur Bedeutung des Verputzes im ländlich-alpinen Raum Graubündens und zur Auf­gabe der Denkmalpflege................................................. 28 Christine Bläuer – Möglichkeiten und Grenzen von naturwissen­schaftlichen Verputz- und Mörteluntersuchungen. . ........... 31 Albert Jornet – Historische Mörtel.................. 45


III   Historische Putztechniken an Baudenkmälern

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III.1   Putz als Vorbereitungsschicht und Haftbrücke.. ............................................... 96 III.2    Pietra rasa mit Kellenstrich.. ..............114 III.3   Aufmodellierte Mörtelbänder. . ........ 128

IV   Atlas gehäufter Vorkommen historischer Putze in der Schweiz und in Norditalien

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IV.1   Einleitung........................................... 392 IV.2     Regionen der Schweiz und Norditaliens mit dichterem Bestand an historischen Putzen............................................................. 393

III.4    Mit der Kelle ­angeworfen und belassen.. .................................................. 148 V   Stucco lucido

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III.5    Mit der Kelle angeworfen und abgezogen................................................ 160 Ursprung und Verbreitung.. ........................... 496 III.6    Mit der Kelle aufgezogen und abgekellt/Teils mit der Kelle angeworfen und abgezogen, abgekellt und geglättet........ 186 Anhang 515 III.7    Historischer und moderner Abrieb... 212 III.8   Putzschlämme auf Sicht. . ..................244

Glossar............................................................ 516

III.9   Besenwurf.. ........................................ 250

Literaturverzeichnis...................................... 521

III.10   Der Wormser-, Riesel- und Kieselwurf. . .................................264

Ortsverzeichnis.............................................. 522 Abbildungsverzeichnis.................................. 526

III.11   Putzstrukturen mit Nagelbrett, Ruten- und Besenbund.................................. 282 III.12   Andere Putzstrukturen für Mörtelquader. . ................................................306 III.13   Aufmodellierte dekorative Rahmungen................................. 330 III.14    Putz als Malereiträger – Beispiele aus dem Neolithikum, der Antike und vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert...............................................344 III.15   Putzstrukturen im Zusammenhang mit Sgraffito.. ...................... 374

Dank................................................................ 528


Vorwort der Herausgeber

Oskar Emmeneggers Buch Historische Putztechniken ist das Ergebnis seiner lebenslangen Beobachtung historischer Putze und deren Anwendung. Er war dabei stets um neue Erkenntnisse und deren Auswertung sowie Dokumentation bemüht. Oskar Emmenegger hat seinen späteren Beruf über scheinbare Umwege erreicht. Da es vor sechzig Jahren in der Schweiz noch keine Ausbildung zum Restaurator gab, sondern nur die Lehre bei einem Fachmann, wurde er zunächst zum Vergolder ausgebildet. Dabei erwarb Oskar Emmenegger sich jene Grundlagen und Kenntnisse, die ihm später beim Konservieren und Restaurieren mittelalterlicher und barocker Holzplastiken sehr zustattenkamen. In seinen Lehrjahren hat er noch erlebt, dass man Holzplastiken, auch wenn diese noch originale Fassungen aufwiesen, kurzerhand ins Wasser legte – so lange, bis sich auch die letzten Spuren von Leimlösche, Kreidegrund, Bolus, Bemalung oder Metallauflage aufgelöst hatten. Auf das dermassen freigelegte Holz wurde dann eine neue Fassung aufgetragen. Solch radikale Renovationspraktiken ersparten nicht nur viel Mühe und Kosten, sie entsprachen auch durchaus den damaligen Kundenwünschen der Pfarrherren und ihrer Gläubigen, in deren Kirchen Altaraufsätze und Heiligenfiguren «in neuem Glanz» erstrahlen zu lassen. Die Denkmalpflege befasste sich damals vordringlich mit Haupt- und Staatsbauten und hatte weder die Mittel noch die Möglichkeit, sich um Einzelheiten wie Kirchenzierden zu kümmern. Die kirchliche Wandmalerei hatte allerdings schon hundert Jahre früher Fachgelehrte wie Johann Rudolf Rahn in ihren Bann gezogen. Die Freilegungsmethoden von 1870 bis 1950 waren, der Zeit und den Mitteln entsprechend, aus heutiger Sicht wenig zimperlich. Die üblichen Freilegungswerkzeuge waren Hammer, Spachtel, Messer und Bürste. Löcher und Fehlstellen im Bestand der aufgedeckten Wandmalerei wurden mit zement- oder gipsgebundenen Mörteln geschlossen. Oskar Emmenegger wurde später oft beigezogen, um ältere Freilegungen von Wandmalereien zu beurteilen und neu aufgetretene Schäden und

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Verschmutzungen zu beheben. Durch sorgfältige Beobachtung und Dokumentation dieser Mängel gelang es ihm, viel über die Beschaffenheit und die Verträglichkeit historischer und moderner Baustoffe zu erfahren. Dabei half ihm der Austausch mit Naturwissenschaftlern wie Hermann Kühn, Bruno Mühlethaler, Franz Mairinger und Andreas Arnold. Als selbstständiger Restaurator wurde Oskar Emmenegger, zusammen mit seiner Frau Eva Emmenegger-Giger, mit vielen bedeutenden Restaurierungen von Wandmalereien und bemalten Fassaden beauftragt; dies nicht nur in der gesamten Schweiz, sondern auch im restlichen Europa und sogar für die Restaurierung von Bauten aus der Zeit Altägyptens. Als Experte der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege begleitete er die Arbeit von Kolleginnen und Kollegen. Zudem hatte er als wissenschaftlicher Experte des Instituts für Denkmalpflege der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, unter Albert Knoepfli und dessen Nachfolger Georg Mörsch, Gelegenheit, an wichtigen Forschungsprojekten mitzuwirken. Zu Beginn der 1980er-Jahre zog die Familie Emmenegger von Merlischachen, Luzern, nach Zizers, Graubünden, in ihr neu gebautes Wohnhaus samt Atelier. Damit war Oskar Emmenegger näher bei seinen wichtigen Wirkungs- und Studienobjekten, der Klosteranlage St. Johann in Müstair mit ihrem einmaligen Bestand an karolingischen und romanischen Wandmalereien, der romanischen, bemalten Holzdecke in der Kirche von Zillis und den Kirchen und Kapellen Graubündens mit hochgotischen Wandbildern des Waltensburger Meisters. Seinen reichen Erfahrungsschatz als Wandbildrestaurator publizierte Oskar Emmenegger zusammen mit Albert Knoepfli in Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken (Bd. 2: Wandmalerei. Mosaik). Emmenegger war und ist es stets ein Anliegen, sein Wissen und seine Erfahrungen kommenden Generationen weiterzugeben. Er hat dies als Restaurator, Lehrmeister, Experte, Fach- und Hochschuldozent an der Akademie der bildenden Künste in Wien und an der Staatlichen


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Akademie der Bildenden Künste Stuttgart mit grossem Erfolg geleistet. Das vorliegende Buch nimmt nicht in Anspruch, ein streng wissenschaftliches Werk zu sein. Es dient vielmehr der Weitervermittlung eines lebenslangen Erfahrungsschatzes, als fundierte Beispielsammlung und Nachschlagewerk eines Praktikers für Praktiker, das aber auch Lehrenden und Planenden an Baudenkmälern Orientierung und Richtmass sein mag. Es bezweckt, durch seine spezifische Informationszusammenstellung und die reiche Bebilderung mitzuhelfen, der leider rasch voranschreitenden Zerstörung oft nicht erkannter älterer Verputze Einhalt zu gebieten und zu gebietsübergreifenden Forschungen anzuregen. Zwar gibt es eine kaum übersehbare Zahl von Dokumentationen und Einzelaufsätzen zum Thema historischer Putze, aber niemand hat es bis heute im deutschen Sprachraum gewagt, dieses «weite Feld» der Putze derart umfassend und detailgenau zu beobachten, zu fotografieren, zu beschreiben und in den richtigen Zusammenhang zu stellen. Dass Oskar Emmenegger mit seinen Putzbeispielen in Zeit und Raum von der Frühgeschichte des Städtebaus bis zum 20. Jahrhundert und von der Schweiz über Europa, Vorderasien, Ägypten bis nach Südamerika ausgreift, mag kühn, ja anmassend erscheinen. Doch zeigt erst diese umfassende Sichtweise die Zusammenhänge, den Wert und die Kostbarkeit des Kulturgutes historischer Putze und Mörtel. Obwohl das Manuskript zu diesem Buch im Jahr 2009 noch am Entstehen war, hat sich der damals gegründete Förderverein «Historische Putze an Baudenkmälern» hinter dieses Projekt gestellt und suchte nach Mitteln und Wegen, die Idee umzusetzen. Der Verein und dessen Vorstand als Herausgeber sind heute glücklich, dass Oskar Emmeneggers Historische Putztechniken nun gedruckt vorliegt. Dank der Beharrlichkeit des Autors, der Hilfe und dem Wohlwollen vieler Fachkolleginnen und Fachkollegen und der wertvollen Unterstützung öffentlicher und privater Geldgeber steht das Buch nun zum Lesen, Betrachten, Nachschlagen und auch zum kritischen Hinterfragen zur Verfügung. Unser Buch ist in fünf Kapitel mit einem umfangreichen Anhang gegliedert: Im ersten Kapitel führen Beiträge aus Denkmal-

theorie und -praxis sowie aus naturwissenschaftlicher Sicht in das Thema ein. Im zweiten Kapitel zeigt Oskar Emmenegger ausgehend vom Baumaterial und den daraus gefügten Mauerwerksarten den Wandel des Verputzaufbaus und der daraus möglich werdenden unterschiedlichen Ansprüche an die Oberflächengestaltung und damit an die Gesamterscheinung von Bauwerken. Er demonstriert dabei, dass sich die Funktion des Putzes massgeblich verändert hat. War er ursprünglich reiner Anstrichträger (d.h. Untergrund für Malereien), so kommt ihm im Laufe der Zeit zusehends auch eine eigenständige Gestaltungs- und Schutzfunktion zu. Im dritten Kapitel erläutert der Autor an rund 120 Beispielen 15 verschiedene historische Verputzarten mit ihren Applikationstechniken und verfolgt deren historische Entwicklung jeweils bis in die jüngste Zeit hinein. Schliesslich geht der Autor im vierten Kapitel regional verankerten Besonderheiten und Regionen mit gehäuft erhalten gebliebenem Bestand an Gebäuden mit historischen Putzen nach, um im fünften Kapitel auf die Spur von europaweit tätigen Baumeistern zu stossen, die der übernationalen Verbreitung einst lokal verankerter Verputztraditionen den Weg bereiteten. Autor und Herausgeber nehmen nicht in Anspruch, mit der vorliegenden Publikation ein abschliessendes Werk zum Thema Verputze und deren Entwicklung vorzulegen. Vielmehr soll das Kompendium zu genauerer Betrachtung anregen und Hilfestellung bieten, historische Verputze aufgrund ihrer Eigenart und ihrer Erscheinung wiederzuerkennen. Es ist zu hoffen, dass alle, die sich mit historischer Baukultur befassen, seien es Berufsleute oder Liebhaber, regen Gebrauch vom «Emmenegger» machen werden. Möge ihre dadurch gewonnene Erkenntnis die Freude an historischen Baudenkmälern mehren und damit auch zum Schutz und zur Erhaltung der immer seltener werdenden historischen Putze beitragen. Der Vorstand des Vereins Historische Putze an Baudenkmälern Hans Rutishauser, Trin/Aristau Rino Fontana (†), Zürich/Korsika Giovanni Menghini, Wädenswil Hans Peter Mathis, Schaffhausen Hugo Fontana jun., Niederurnen


Albert Knoepfli – Die «putzsüchtige» Denkmalpflege

Verputze als Mitträger des Baustils: eine Skizze Den Verputzen kommt eine zweifache Bedeutung zu: Einmal schützen sie den Bau gegen unmittelbare Witterungseinflüsse sowie gegen chemische und physikalische Angriffe der Umwelt. Sodann ermöglichen sie in des Wortes urtümlichem Sinne ihn «aufzuputzen»; seiner Oberfläche eine bestimmte schmückende Wirkung zu geben. Die Schutzfunktion des Putzes lässt sich materiell gesehen beliebig erneuern oder durch andere bautechnische Massnahmen ersetzen. Der Putz als Ausdruck einer festgelegten stilistischen Haltung gehört hingegen zu den unveräusserlichen baukünstlerischen Merkmalen der Architektur. Der Denkmalpflege ist daher sehr an der Pflege und Erhaltung der originalen Substanz gelegen; diese soll, wenn nicht ganz entscheidende stichhaltige Gründe bautechnischer oder finanzieller Natur dagegensprechen, in Art und Bestand nicht preisgegeben und wennschon – falls es anders wirklich nicht mehr geht – im Sinne des Originals ersetzt werden. Unsere Skizze versucht die baukünstlerische Eigenart eines Verputzbaus von der eines unverputzten abzugrenzen und hinzuweisen auf Möglichkeiten und Arten von stilistischen Aussagen von Verputzen, um mit Bemerkungen zu ihrer Konservierung, Restaurierung und allfälligen Erneuerung abzuschliessen. Skelett, Fleisch und Haut Ein Baukörper kann seine Konstruktionsweise wie sein Material unverhüllt in Erscheinung treten lassen, wie dies bei offenliegenden Mauerwerken und Holzgefügen der Fall ist. Eine Feldstein-, Bruchstein- oder Quadermauer, ein Blockhaus

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oder ein Fachwerkgebäude zeigen unverputzt Material- und Gefügeart und oft noch weitere Eigenheiten der Konstruktion. «Fleisch» und «Skelett» können aber auch unter einer Bauhaut verschwinden, sei es ein Plattenpanzer aus Holz-, Stein-, Keramik-, oder Metall- und Glaselementen, sei es ein Schuppenkleid – zum Beispiel aus Schindeln – oder eben ein Mörtelbewurf; eine Verputzbeschichtung. Die Oberfläche verrät nichts – oder kaum mehr etwas über Konstruktion, Gefüge und das «wahre» Material. Von Kombinationen und Übergängen soll hier nicht weiter die Rede sein. Welche der Möglichkeiten bei einem Baudenkmal jeweils gewählt worden ist, kann von rein bautechnischen Erwägungen, von Fragen der Statik, des Schutzes, der Isolation und so fort bestimmt worden sein; von Problemen der Bautechnik, der Verfügbarkeit und der Bevorzugung bestimmter Baumaterialien. Hier nähern wir uns schon Kriterien des Geschmacks und der Moden und landen vollends bei Überlegungen, die mit Bautechnik wenig, mit Schmuck und Gestaltung umso mehr zu tun haben – und befinden uns im Bereich unseres Themas «Putz als Mitträger des Baustils». Ob im Zuge einer Restaurierung oder Renovation ein Baudenkmal verputzt werden soll, ist die eine, wie es zu verputzen ist, die andere Frage. Oft glaubt man, der Mohr habe seine Schuldigkeit getan, wenn nur einmal entschieden wurde, ob man verputzt oder nicht. Aber er hat sie nicht getan. Ich habe absichtlich die verführerische Bezeichnung «Verputzkleid» bisher vermieden, um dem Irrtum, Verputze dürfe man wie Kleider behandeln, keinen Vorschub zu leisten. Ein Gewand kann man ausziehen, wechseln etc. Bleiben wir trotzdem beim Bild des «Verputzkleids», zöge


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ich das Wort «Tracht» vor, die traditionsgebunden sich dem Wechselfieber der Zeiten entzieht und zu welcher sich der Träger bekennt. Auch ein Bau hat sich zu seinem Verputz zu bekennen, weil dieser nach Material, Farbe und Auftragstruktur Anteil an der stilistischen Aussage der gesamten Architektur nimmt – also stilgebunden und als ein ihr verhaftetes Merkmal nicht beliebig austauschbar ist. Was haben Kunstgeschichte und Denkmalpflege nicht alles in ihren Kriterienkatalog aufgenommen: die Knappheit oder Weitschweifigkeit des baukünstlerischen Vortrags, die geschlossene oder offene Form, die Dichte oder Kärglichkeit der Gliederungen und deren Proportionen; das Verhältnis der geometrischen Bindung zur organisch frei entwickelten Form, oder des architektonischen Trägers zum Ornament, der flächigen zur plastischen Gestaltung, des Eigenwertes zum Situationswert und so fort. Am Ende der analytischen Betrachtung steht – vielleicht – die Baupolychromie und ganz am Ende – wenn überhaupt – die Verputzstruktur. Dass sich Architekt, Unternehmer, Bauherrschaft und Denkmalpfleger vordergründig um Haltbarkeit und Bauschutz kümmern, darf man ihnen beileibe nicht verübeln. Wohl aber, wenn es damit sein Bewenden hat. Die Art und Weise, wie Material- und Struktursprache, kurz: auch das Handwerkliche, massgeblich ins stilistische Geschehen eingreifen, lässt es nicht zu, der Frage des Verputzes eine Komparsenrolle zuzuschieben oder sie überhaupt beiseitezulassen. Seit die anonyme, die sogenannte Primitiv-Architektur vermehrt in den Kreis unserer Betrachtung und denkmalpflegerischen Bemühung getreten ist; seitdem wir also wissen, dass hochbedeutende Ortsbilder auch durch das Zusammenscharen an sich unbedeutender Einzelbauten entstehen, seitdem erkennen wir Verputze, vor allem polychromierte, als hervorstechendes, ja oft fast alleiniges Stilmerkmal. Verputze gehören dann zu den Bauelementen, welche, wie ich einmal sagte, durch die gebündelte Kraft des Unscheinbaren wirken; ihre Aussage erhält stilistische Eigenständigkeit. Dies zu übersehen, kommt dann einem weitgehenden Verlust des Baudenkmals gleich. Maskierter oder werkstoffgerechter Bau? Der Verputz – dies dürfte klar geworden sein – ist als Sache der Bauoberfläche von mehr als nur

oberflächlicher Bedeutung. Jede Beschichtung, und sei es auch nur ein einfacher Farbanstrich, erzeugt Illusionen den «wahren» Charakter eines Materials betreffend; er überlistet es in der Absicht einer Veredelung, Verfremdung, ja eigentlicher «Entmaterialisierung». Dies entspricht dem einen Grundverhalten künstlerischer Gestaltung. Das andere zieht das Material in seinen Grundeigenschaften unmittelbar mit zur künstlerischen Aussage heran: Farbe und Korn oder Scherben eines Gesteins, die Wachstumsstrukturen des Holzes und so fort. Hinter den Bezeichnungen Werkstofftreue, Materialgerechtigkeit, Material­echtheit etc. verbirgt sich zugleich ein Werturteil, das der gerechten Beurteilung sowohl der Materialsichtigkeit wie der illusionären Materialbeschichtung fatal zuwiderläuft. Wer die Launen der Natur annimmt, ja ihre Zufälligkeiten seiner Kunst positiv beiordnet, wählt damit ebenso wenig einen besseren oder minderen Weg der Gestaltung wie der, der sich damit nicht abfindet und in seinem Kunstwerk – selbst Natur und Übernatur schaffend – ohne jede Störung illusionistisch über Farbe und Form gebietet; ihm werden weder Fantasie noch künstlerische Absicht mehr gehemmt. Der Verputz zählt als Beschichtung zu den illusionären Gestaltungsweisen; als Rohputz kann er durch Malerei selbst wieder zum Träger eines solchen Verfahrens werden. Die Verhüllung reicht vom schleierhaften, lasierenden Überzug bis zur optisch völlig abschliessenden Deckschicht – beim Holz etwa von der durchscheinenden natürlichen Maser gebeizter oder lackierter Bretter bis zur neu und deckend aufgebrachten Maserung. Ähnlich nimmt eine blosse Schlämme zum Beispiel jede Regung ihres darunterliegenden Mauergefüges auf; ein dichter, dicker Überzug lässt sie verschwinden, ohne uns eine Ahnung zu geben, was sich darunter befindet. Von der Schönheit einer Konstruktion überzeugt, von Balkenwerk und Feldsteingefügen fasziniert, hat man sich lange Zeit und zum Teil noch heute in missionarischem Eifer ihrer Betonung und, falls verdeckt, ihrer Freilegung gewidmet. Dieser zuweilen selbstgerechte Hang zur oft nur angeblichen Materialgerechtigkeit hat auch da zur naturhölzernen und steinblanken Nacktkultur geführt, wo unzweifelhaft Verputze zum ursprünglichen Baucharakter gehört hätten. Wie


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II   Die Mauertechniken im historischen Kontext: vom reinen Malereiträger zur selbstständigen Funktionalität

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II.1   Baumaterial und Mauer­ arten als Putz- und Bildträger im historischen Kontext

Unterschiedliche Baumaterialien wie Mauersteine, Zuschlagstoffe sowie Mauerarten unterstützen und prägen zusammen mit der Beschaffenheit des Putzes die Oberflächengestaltungen in dekorativem Sinn wie auch die Malereien in ihrem Ausdruck und ihrer Lebendigkeit. Sie müssen daher berücksichtigt und auf ihren bewussten Einsatz für einfache dekorative, aber auch für hoch anspruchsvolle Gestaltungen hinterfragt werden. Heutige normierte, flächig aufgezogene und abgeriebene Verputze vernachlässigen solche gestalterischen Aspekte und verfälschen im Zusammenhang mit historischen Putzen den Gesamteindruck.

1  Den Hinweis zur Datierung in die Zeit der Phokäer verdanke ich der Archäologin Genéviève Moracchini-Mazel.

II.1.1 Baumaterial Das verwendete Steinmaterial prägt das Aussehen des Mauerwerks und kann als stilistisches Merkmal der Epochen dienen. Gleichförmige Steinformate wie Trockenziegel aus Erdschlamm, Back- und Sandstein, Tuffblöcke (in Etrurien seit der Antike bis in die Barockzeit verwendet) ergaben – sorgfältig verarbeitet – eine regelmässige Maueroberfläche. Eine Vorreiterrolle dafür bildeten bereits die babylonischen, ägyptischen, minoischen, mykenischen und hetitischen Stadthäuser und Tempelanlagen mit lagerechtem Mauerwerk und teils in Pietra-rasa-Technik geschlossenen Stoss- und Lagerfugen. Seit der Antike wurden nicht selten Kellenstriche über den Fugen gezogen (s. Kap. III.2). Die Verwendung von Bruchstein mit natürlicher Lagerschichtung aus dem Steinbruch ergab durch unterschiedlich abgelängte Spaltungen ein Mauerwerk mit ungleich hohen Lager- und Stossfugen in variierenden Abständen. Sie ermöglichten ein lotrechtes Mauerwerk und wurden daher auch als Werksteine verarbeitet. Solche Kalksteinforma-

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tionen finden sich im gesamten Mittelmeerraum und im Kalksteingebirge der Alpen (Abb. III.1.1). Plattig geschichtete, geschieferte Sedimentgesteine (Mergelschiefer, Kalkschiefer, Tonschiefer), wie sie im oberen Glarnerland, im Vorderrheintal oder in der östlichen Gebirgskette auf Korsika vorkommen, ergeben ein Mischmauerwerk im Ährenverband. Dabei dienten liegende Lagen als Ausgleichsschicht bei unterschiedlich grossen Bruch- und Lesesteinen. Dies gilt auch für die aus Gneiszonen (granitisches Sekundärgestein) stammenden Steine, wie sie etwa in Norditalien, im Tessin und in den Südtälern Graubündens zu finden sind. Amorphes Granitgestein – durch natürliche Verwitterung (sogenannte Wollsackverwitterung) oval und unförmig gerundet – liegt als monolithisches Baumaterial vor, das bereits in vorantiker Zeit für Gebäudeanlagen verwendet wurde, zum Beispiel für die megalithischen Rechteckhäuser (5. – 6. Jh. v. Chr.) in den Gebirgszonen Korsikas. Sie sind als Trockenmauerwerk geschichtet; die grossen Löcher wurden mit grob zugerichteten Steinabschlägen ausgezwickt (Abb. II.1.2).1 Seit dem Mittelalter benutzte man für Mauerwerke Granitblöcke, die auf kleinere vier- und vieleckige Formate zugerichtet wurden. Die Abschlagsplitter dienten zum Auszwicken von Hohlstellen und ungleich breiten Lager- und Stossfugen. In Gebirgsregionen erstellte man das Trockenmauerwerk der Gebäude äusserst sorgfältig – war es mit Mörtel ausgefugt, kamen ebenfalls Steinsplitter als Füllmaterial zum Einsatz. Corbara an der Westküste Korsikas ist ein wildromantischer Ort mit einem historischen Ortsbild des 9. bis 19. Jahrhunderts. Die Häuser sind eng an die Steilhänge des Monte Sant Ange-

1    Den Hinweis zur Datierung in die Zeit der Phokäer verdanke ich der Archäologin Genéviève Moracchini.


Kapitel II    1. Baumaterial und Mauerarten als Putz- und Bildträger im historischen Kontext

Abb. II.1.1 Badenweiler (Deutschland), Römische Therme, 1.–2. Jh.: typisches Bruchsteinmauerwerk als Vorblendung einer Füllmauer. Die präzis gleich hohen Quader innerhalb einer Lagerschicht entsprechen der im Steinbruch anstehenden Schichtung. Abb. II.1.3 Corbara, Umfassungsmauer (wohl 18. Jh.): Das sorgfältig ausgeführte Trockenmauerwerk zeigt einigermassen lagerartige Schichten. Die oberen drei bis fünf aufgesetzten Schichten sind spätere Reparaturen.

Abb. II.1.2 Corbara (Korsika, Frankreich), Gebäuderuine der Phokäer, 6.–5. Jh. v. Chr.: zyklopenartig geschichtetes Bruchsteinmauerwerk. Die unförmig gerundeten Granitblöcke wurden gespalten und die Flachseiten für die Mauerfront benutzt. Die Zwickel sind mit Steinsplittern gefüllt. Abb. II.1.4 Corbara, Umfassungsmauer: im Detail die beispielhaft eingesetzten Steinsplitter als Zwickel­ füllungen. Abb. II.1.5 Viano, oberhalb Brusio (Puschlav, Graubünden): Zwei Rundbauten, Cröt, die mit falschen Gewölben geschlossen sind.

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Abb. II.3.1 Cavusin – Tal von Zelve (Kappadokien, Türkei): Landschaft bei Ürgüp mit bewohnten Tuffkegeln. Abb. II.3.3 Cavusin, Johannes-Kirche (5. Jh.), Abbildung des Nikephoros Phokas (10. Jh.), präikonoklastisch: abgestürzter Teil der Vorhalle mit Kalkmalerei um 913–920. Abb. II.3.5 Johannes-Kirche, Schiff: unter der Kalkmalerei die bewusst nicht geglätteten Dechselspuren.

Abb. II.3.2 Tuffkegel einer ehemaligen Einsiedelei, 10. Jh.: Unten befindet sich der Eingang, ganz oben war der Arbeitsraum; im Inneren Wandmalerei des 10. Jhs. Abb. II.3.4 Johannes-Kirche, Schiff: Wandmalerei «Apostelsegnung», um 913–920. Abb. II.3.6 Cavusin, Kirche, 10. / 11. Jh., im Museumsbereich: Vierungskuppel. Rechts: Triumphbogen/Übergang Apsis. Links und unten in der Mitte: gemalte Symbole. Das byzantinische Tatzenkreuz der präikonoklastischen Ausmalung ohne Bindemittel liegt direkt auf der Wand.


Kapitel II    1. Baumaterial und Mauerarten als Putz- und Bildträger im historischen Kontext

9  Dies gilt aber nur für Gemische mit Sumpfkalk. Vor und während des Ikonoklasmus (711–843) geschaffene Malereien enthalten keine Bindemittel. Die Abbindung erfolgte durch nachträgliche Sinterablagerungen. 10  In der weiteren Umgebung von Göreme kommen nur Ablagerungen der vulkanischen Flugasche und Bimsstein vor; der Kalk stammt wohl von den ca. 100 km entfernten, südöstlichen Ausläufern des Taurus. 11  Jericho, um 7800 v. Chr.: Lehmziegel, teils Lehmstampfmauern. 12  Datierung von James Mellaart, aus: «Der Mensch schlägt Wurzeln», in: Stuart Piggott (Hrsg.), Die Welt aus der wir kommen. Die Vorgeschichte der Menschheit, Zürich o.J., Originalausgabe: London 1961. 13  «Internationale Nachrichten», in: Antike Welt, Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte, Heft 1/2008, S. 4. 14  Oskar Emmenegger, Anna Coello, Rufino Emmenegger, Rafael Emmenegger, diverse Untersuchungs- und Restaurierungsberichte 1995–2001, MS Archiv Oskar Emmenegger & Söhne AG, Zizers.

Felsmaterial mit seinem hohen SiliziumdioxidGehalt (SiO2) als hydraulischem Faktor.9 Wegen der bewegten Grundstruktur erscheint die Kalkmalerei in einer wundersamen, mosaikähnlichen Oberflächentextur. Nur das im Raum vorherrschende Dämmerlicht lässt die Werkspuren sanft erkennen. Die jüngeren Anlagen des 9. bis 10. Jahrhunderts zeigen vorwiegend Freskomalerei. Das durchgehend einschichtig, 6 – 8 mm dick applizierte Intonaco wurde dicht geglättet. Die Oberfläche übernimmt in abgeschwächter Form die Werkspuren der Wand- und Gewölbeflächen. Nach byzantinischer Tradition enthält das Intonaco sehr viel Sumpfkalk, kaum Sand und als Zuschlag etwa einen Volumenteil Strohhäcksel.10 Ähnliche Beispiele zeigt die süditalienische Stadt Matera in der Region Basilicata. Im Flusstal, das an die Stadt grenzt, befinden sich ebenfalls in die Felswände gehauene Räume mit Wandmalereiresten des 11. bis 13. Jahrhunderts. Grossartig ist das nabatäische Petra (Jordanien) mit seinen in den Sandsteinfels geschlagenen tempelartigen Gräbern (2. Jh. v. Chr. – 4. Jh. n. Chr.). Vereinzelt finden sich Malereien auf Intonacos mit grossem Gipsanteil. Erwähnenswert sind auch die tief unter dem Bodenniveau aus dem Fels gehauenen Kirchen in Äthiopien, die meist reich mit Malerei geschmückt sind (Abb. II.3.1 bis II.3.6).

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II.1.4  Mauerwerk: ungebrannte Lehm- oder Erdschlamm­ziegel, gebrannte Ziegel Die von James Mellaart zwischen 1961 und 1965 ausgegrabenen Lehmziegelmauern von Rechteckhäusern in Çatalhöyük (Türkei, ca. 7500 – 6500 v. Chr.) gehören zu den ältesten Mauerwerken überhaupt.11 Doch seit Kurzem ist die neolithische Siedlung Dja’de el Mughara in Nordsyrien bekannt, die aufgrund der C14-Methode in das 9. Jahrtausend v. Chr. datiert wird. Zudem kamen dort rund vier Quadratmeter grosse Wandmalereien zum Vorschein, die etwa elftausend Jahre alt sind.12 Die Ausgrabung von Chirokitia auf Zypern förderte 48 Rundhäuser des Tulous-Typs (ca. 7500 v. Chr.) 13 zutage. Sie hatten ein Kalksteinfundament (Bollensteine) und – wie James Mellaart annimmt – darüber ein Lehmziegelmauerwerk mit Kalksteinkern (nicht mehr erhalten) (Abb. II.4.1).

In Luxor (ehem. Theben-West) in Ägypten sind vom Wohnpalast Amenophis’ III. (1402 – 1364 v. Chr.) Baureste mit Erdschlammziegeln bekannt. Zudem ist belegt, dass in dortigen Tempelanlagen allgemein für Nebengebäude (Magazine, Werkstätten) getrocknete Erdschlammziegel mit Gras- oder Strohhäcksel als Zuschlag für Mauerwerk und Überwölbung dienten, zum Beispiel beim Totentempel des Merenptah (19. Dyn.).14 Diese kostengünstige Bauweise blieb im Nahen Osten, Ägypten und im südlichen Mittelmeergebiet ununterbrochen über Generationen erhalten, vor allem in ländlichen Gegenden. Praktisch jeder konnte selbst Trockenziegel herstellen: einen Holzrahmen mit der entsprechenden Masse Lehm oder Erdschlamm mit etwas Sandzuschlag (meist natürlich vorhanden) füllen, Gras- oder Strohhäcksel als Armierung beifügen und trocknen lassen. Damit liessen sich nicht nur geschichtete Mauern, sondern auch Gewölbeformen errichten. Mit Fugenmörtelung und einem Einschichtputz – beides aus Lehm oder Erdschlamm – entstand eine gefluchtete Oberfläche, die oft mit Kalk gestrichen wurde. Abschliessend erhielten die Gebäude je nach Bedeutung, Tradition oder Wunsch des Besitzers einfache bis anspruchsvolle Wandmalereien. Beispiele sind die koptischen Einsiedeleien in Unterägypten und in der Westwüste sowie das Simeonskloster bei Assuan in Oberägypten mit Wandmalereien des 6. bis 7. Jahrhunderts (Abb. II.4.1 bis II.4.9). Imposante Beispiele für eine seit Generationen hoch entwickelte Baukultur mit getrockneten Lehmziegeln, die Strohhäcksel enthalten, finden sich in Jemens Hadramaut. Die Orte Rihab, Schibam und Wadi Do’an (UNESCO-Weltkulturerbe) sind bekannt für fünf- bis siebengeschossige, über dreissig Meter hohe Wohntürme, die mit Lehm verputzt und oft mit weissen Gipsdekorationen verziert sind. Für ihre lange Bautradition mit Lehmziegeln, Lehmverputz und weiss gekalkter Dekoration ist die vermutlich in der Sassanidenzeit (224 – 642) errichtete Stadt Arg-e Bam (UNESCO-Weltkulturerbe) im Iran berühmt. Die heutigen Ruinen dieser im Lauf der Jahrhunderte mehrmals wiedererrichteten, gewachsenen Festungsstadt stammen aus der safawidischen Zeit (1501 – 1732) und gelten als grandioses Beispiel des mittelalterlichen Lehmziegelbaus. Leider wurden beim

9    Dies gilt aber nur als Gemisch mit Sumpfkalk. Vor und während des Ikonoklasmus (711–843) geschaffene Malereien enthalten keine Bindemittel. Die Abbindung erfolgte durch nachträgliche Sinterablagerungen. 10    In der weiteren Umgebung von Göreme kommen nur Ablagerungen der vulkanischen Flugasche und Bimsstein vor; der Kalk stammt wohl von den ca. 100 km entfernten, südöstlichen Ausläufern des Taurus. 11    Jericho, um 7800 v. Chr.: Lehmziegel, teils Lehmstampfmauern. 12    Datierung von James Mellaart, aus: «Der Mensch schlägt Wurzeln», in: Stuart Piggott (Hrsg.), Die Welt aus der wir kommen. Die Vorgeschichte der Menschheit, Zürich o.J., Originalausgabe: London 1961. 13    «Internationale Nachrichten», in: Antike Welt, Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte, Heft 1/2008, S. 4.

14    Oskar Emmenegger, Anna Coello, Rufino Emmenegger, Rafael Emmenegger, diverse Untersuchungs- und Restaurierungsberichte 1995–2001, MS Archiv Oskar Emmenegger & Söhne AG, Zizers.


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Abb. II.5.1 Ptolemäischer Tempel bei Dakhla (Ägypten), 1.–2. Jh. v. Chr.: Inkrustationsmalerei und Rankenfries al fresco auf Lehmstampfmauer. Fehlstellen innerhalb der Malerei lassen horizontale Linien und das Kantennegativ der Schalungsbretter erkennen. Darüber Aufstockung (römisch) mit Erdschlammziegeln, lagerweise als Läufer und Binder geschichtet. Abb. II.5.2 Mit Pinsel gezeichnete Darstellung des Hermes mit Flügelkrone, umgeben von griechischen Schriften (Wegbegleitung). Teilübermalung mit ägyptischen Götterdarstellungen.

Abb. II.5.3 Detail aus Abb. II.5.1: Mauerwerk aus Lehmstampfmörtel. Links unten: Schalungsspuren und geknetete Lehmportionen. Virtuos gemalter Rankenfries.


Kapitel II    1. Baumaterial und Mauerarten als Putz- und Bildträger im historischen Kontext

23  Albert Knoepfli, Oskar Emmenegger, Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Bd. 2: Wandmalerei. Mosaik, Stuttgart 1990, S. 134–136. 24  Sein Hauptwerk ist die Kirche São Francisco de Assis (1771–1794) in Ouro Preto.

II.1.7 Fachwerkbauten Die wohl ältesten Fachwerkbauten zeigt die Ausgrabung von Thera auf der Kykladeninsel Santorin. Es handelt sich um Reste von bis zu zweigeschossigen Gebäuden, die bereits vor der Zeit des grossen Vulkanausbruchs (1525 v. Chr.) errichtet worden waren. Fragmente der einmaligen Al-fresco-Raumbemalungen sind heute im Nationalmuseum Athen ausgestellt.23 1981 hat der Autor in der Altstadt von Ankara im Zerfall begriffene Fachwerkhäuser fotografiert – die meisten aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Die untersuchten Gebäude zeigen ein aus Bruchsteinen und antiken Spolien gemauertes Erdgeschoss. Die Mauern sind mit einem Mörtelgemisch aus Schlamm, Strohhäcksel und Kalkhydrat verputzt, die Mauerfugen der Ecken mit stark erhaben modellierten, auf Sicht bestimmten Mörtelbändern eingefasst. Das mit Strohkalkmörtel gefüllte Gefach wies mehrere Kalkanstriche auf, wobei der letzte Anstrich (wohl 19. – 20. Jh.) manchmal gelb eingefärbt war (Abb. II.7.1  bis  II.7.3). In Norddeutschland, vor allem in Niedersachsen, ruht das vorwiegend mit Ziegelsteinen geschlossene Gefach oft auf einem Mauersockel aus granitischen Findlingen. Im Süden Deutschlands, in Frankreich (Elsass) und der Schweiz wurde das Gefach meistens mit vor Ort vorkommendem Bruch- und Lesestein (Molasse- und Buntsandstein), aber auch mit Ziegeln geschlossen. Gefache von Ställen und Bauernhäusern des 17. bis 18. Jahrhunderts, wie sie sich im Zürichseegebiet finden, sind oft mit Lehmmörtel und gebundenen Strohbüscheln ausgefüllt. Die Flächen wurden abschliessend meist mit Sumpfkalkmörtel verputzt. Ziegelsteinfüllungen erhielten oft nur eine dicke Kalkschlämme mit Feinsandzuschlag, sodass die Mauerung noch leicht spürbar blieb. Die Stadt Ouro Preto in der Nähe von Belo Horizonte (Brasilien) besitzt eine intakte Altstadt aus dem frühen 18. Jahrhundert. Paläste, Bürgerhäuser, Kapellen und Kirchen reihen sich aneinander. Die Bürgerhäuser bestehen meist aus einem gemauerten Steinsockel und Fachwerkmauern, deren Gefache mit Erdschlammziegeln gefüllt sind. Das Gesamte wurde mit Sumpfkalkmörtel verputzt und mit Kalk gestrichen. Heute erfolgen die Anstriche leider mit modernem Farbmaterial, wodurch die Oberfläche der Erdschlammziegel unter Spannung reisst.

23    Albert Knoepfli, Oskar Emmenegger, Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Band 2: Wandmalerei, Mosaik, Stuttgart 1990, S. 134–136.

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Die etwas heruntergekommenen Fassaden der Bürgerhäuser zeigen die aus Portugal übernommene Fachwerkkonstruktion. Dazu gehört das dreigeschossige Wohnhaus des Architekten von Aleijadinho (1730 – 1814), dem Meister des brasilianischen Barock.24 Ein Trockenmauerwerk (ohne Mörtel) aus granitischem Bruchstein bildet das Erdgeschoss, ähnlich wie es in den südlichen Alpentälern Europas vorkommt. Mächtige Holzbalken an den Gebäudeecken stützen das stark vorspringende Dach. Ein weiterer Ständer, abgestellt auf dem Zugbalken der Erdgeschossmauer, stützt den Dachfirst. Im ersten Stock und im Giebelgeschoss dient ein einfaches Ständersystem, das im Hauptgeschoss (1. OG.) zugleich die Fenstergewände bildet, dazu, die Deckenbalken zwischen dem Haupt- und Giebelgeschoss zu tragen. Mit diagonal gesetzten Holzstreben im Giebelgeschoss werden die Dachsparren gestützt. Als Ständer wurden auf die horizontalen Riegel eng aufgereiht Holzlatten genagelt, sodass ein grobmaschiges Gitterwerk entstand – eine aussergewöhnliche Bauart im Vergleich zum üblichen grossformatigen Gefach. Das nahezu quadratische Gefach wurde mit zwei Lagen ungebrannter Lehmsandziegel geschlossen, mit einem zweischichtigen Kalkputz versehen und mehrfach mit Kalk gestrichen. Die Korngrössenverteilung des granitischen Sandes ist 0 – 6 mm. Dieses Gebäude macht deutlich, dass mit der Kolonisation auch europäische Baukonstruktionen in Südamerika verbreitet wurden (Abb. II.7.4). II.1.8 Steinmauerwerke Die jeweiligen Gesteinsvorkommen – Werk-, Bruch- oder Lesesteine – und die Verarbeitungstechnik in den einzelnen Epochen prägen die Steinmauerwerke. Mit Einschränkung lassen sie sich anhand der bautechnischen Traditionen und stilistischen Formen zeitlich einordnen. Wohl als frühester monumentaler Steinbau gilt die Stufenmastaba des Pharaos Djoser (3. Dyn., um 2609 – 2590 v. Chr.) in Sakkara. Baumeister Imhotep verkleidete den Kernbau aus Trockenziegeln mit Werksteinen. Tempelanlagen des mittleren und des späten Reiches bis in die römische Zeit sind mit exakt gehauenen Kalksteinquadern erbaut. Aussenfassaden und Innenwände sowie Säulen zeigen reliefierte Darstellungen, an denen oft Farbfassungen frag-

24    Sein Hauptwerk ist die Kirche São Francisco de Assis (1771–1794) in Ouro Preto.


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Abb. II.7.1 Ankara (Türkei), Fachwerkhaus, wohl 16. Jh.: Das zweigeschossige Haus besteht aus dem gemauerten Erdgeschoss, das oben durchgehend mit einem Mauerbalken abschliesst, auf dem das Fachwerk für das Obergeschoss folgt. Das Gefach ist mit Bruchstein zugemauert. Mit einem bis zu 3 cm dicken kalkgebundenen Mörtel aus Schlämmsand und Strohhäcksel sind beide Geschosse verputzt. Das Gefach im Giebelbereich wurde mit stehenden Brettabfolgen geschlossen.

Abb. II.7.2 Ankara, Altstadthaus, wohl 16. Jh.: dick applizierter Kalkmörtelputz bestehend aus Sumpfkalk, Schlämmsand und Strohhäcksel; mehrfach mit Kalk gestrichen. Als letzter Anstrich mit Kalk aufgehellter Gelbocker, wohl Ende 19., Anfang 20. Jh.

Abb. II.7.3 Quedlinburg (Sachsen-Anhalt, Deutschland), Fachwerkbau, 17. Jh.: im Gefach mit Lehmmörtel verputztes Faschinengeflecht (Ruten). Moderne Hintermauerung mit Kalkzementziegenl an der Gefachrückseite.

Abb. II.7.4 Ouro Preto (Brasilien), Wohnhaus Aleijadinho, um 1730: Sockelzone als Trockenmauerwerk (Bruchstein), OG. als Fachwerkbau. Gefach mit Lehmsandziegeln geschlossen. Als Hilfsträger dient ein Holzlattenrost.

Abb. II.7.5 Detail aus Abb. II.7.4.


Kapitel II    1. Baumaterial und Mauerarten als Putz- und Bildträger im historischen Kontext

Abb. II.8.1 Boğazkale, Hattuša (Türkei), Löwentor, ca. 1500 v. Chr.: polygonale Megalithblöcke im Verband mit dem Zyklopenmauerwerk. Abb. II.8.3 Zyklopenmauer im Anschluss an das Löwentor. Abb. II.8.6 Sardinien, Provinz Nuoro: Geviertmauer zu einer Nuraghe. Rechts: vorgeschichtliches Zyklopenmauerwerk mit polygonalen Granitsteinblöcken.

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Abb. II.8.2 Rückseite: anschliessendes polygonales Zyklopenmauerwerk. Abb. II.8.4 Alacahöyük (Türkei): polygonales Zyklopen­ mauerwerk mit bearbeiteten Anpassungen, ca. 1500 v. Chr. Abb. II.8.7 Nuraghe-Eingangsfront: Zyklopenmauerwerk.

Abb. II.8.5 Mykene (Griechenland), Löwentor, 13. Jh. v. Chr.: Die an die Löwen angefügten Megalithblöcke sind sauber angepasst.


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Abb. II.8.12 Ostia (Italien), Gebäudemauer nahe dem Kornmagazin, 1.–2. Jh., mit Opus reticulatum.

Abb. II.8.11 Tuscania (Etrurien, Italien), San Pietro, 12. Jh., Krypta: Das Fundament besteht aus etruskischen Mauerblöcken (6.–5. Jh. v. Chr.), darüber Aufstockung mit Vorblendung in Opus reticulatum (1.–2. Jh.), gefolgt vom Aufbau mit Quaderblöcken des 12. Jhs. Alle Ausführungen mit Tuffmaterial.

Abb. II.8.13 Speitla (Tunesien), Gebäuderuine, 1.–2. Jh.: Hier wird die Mauerung durch Ständer aus Steinblöcken unterteilt (Steinfachwerk), das Opus reticulatum beschränkt sich auf die Gefachfläche. Unten ruht die Gefachfüllung auf einem vierschichtigen Steinsockel. Als Baumaterial diente zurechtgeformter Kalkstein.


Kapitel II    1. Baumaterial und Mauerarten als Putz- und Bildträger im historischen Kontext

27  Die Beispiele II.2.1, II.2.2 und II.2.3 demonstrieren den entsprechend dem Baumaterial unterschiedlichen Mauercharakter. 28  Die Burg wird 1304 erstmals erwähnt, die Aufstockung 1588; Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hrsg.), Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 377. 29  Francis de Quervain, Steine schweizerischer Kunstdenkmäler, Zürich 1979, S. 29; Zitat: «Platten aus einem sandig-kieseligen Kalkschiefer der ‹Bündnerschieferserie›, einer früher im nordöstlichen und zentralen Graubünden viel gebrauchten Gesteinsart.»

schliesslich radikal entfernt. Trotzdem blieben in Profiltiefen und an Gesimsuntersichten Reste als Beweise erhalten. Dazu sei die reiche Architekturgliederung aus Gipsstuck genannt, die das Qasr Bint Firaun in Petra (Jordanien) zeigt (Abb. II.8.17 bis II.8.18). Im Alpenraum bestimmten die Vielfalt der vorkommenden Gesteinsarten und deren Formen den individuellen Charakter eines Mauerwerks. Es sind recht- und vieleckige, plattenförmige, monolithische Blöcke, gerundete Lese- oder Feldsteine aus Kalkkiesel oder granitischem Schieferund anderem ortsüblichem Gestein, die innerhalb einer Lagerschicht Verwendung fanden. Je nach Form der Steine ergaben sich unterschiedlich grosse Mauerfugen, die in Pietra-rasa-Technik oft mit viel Mörtelmasse geschlossen werden mussten. Dadurch entstanden Mauerwerke, die im Ausdruck wesentlich vom antiken Vorbild abweichen. Durch die sorgfältige Verarbeitung des vielförmigen Steinmaterials erreichte man trotzdem baustatisch äusserst qualitative Mauerungen, wie sie an folgenden Sakralbauten vorkommen: In Graubünden: Cazis, St. Martin, (7. Jh., erstmals erwähnt 1156); Müstair, Klosterkirche St. Johann (Fälldaten der Bauhölzer 775) und Heiligkreuzkapelle (Fälldaten der Bauhölzer 785 – 788); Alvaschein, St. Peter Mistail (2. H. 8. Jh.); Chur, St. Martin (Langhaus wohl 2. H. 8. Jh.) sowie in Misox die in die Kapelle San Lucio eingegliederte Rotunde (2. H. 8. Jh.) und Santi Giovanni e Vittore (13. Jh.) in San Vittore. Bauten des 11. bis 13. Jahrhunderts zeigen meist eine traditionsbewusste, regelmässigere Bauweise. Dazu gehören in Italien: San Pietro al Monte in Civate; die Gebäuderuinen Castelseprio (nahe Olona); San Salvatore, Brescia; San Fedelino (um 1080), Novate Mezzola; San Vincenzo di Gagliano (1. H. 9. Jh.), Cantù; Häuserzeile des 11. bis 12. Jahrhunderts südlich des Doms, Trient. An anderen Orten: die romanische Kapelle St. Peter (12. Jh.) in Oberstenfeld bei Ludwigsburg (Baden-Württemberg, Deutschland); Klosterkirche Wagenhausen bei Stein am Rhein (Thurgau) oder der romanische Turm der Kirche St. Martin in Cazis (Graubünden), um 1156 mit einer Aufstockung aus dem 12. bis 13. Jahrhundert. Ebenso San Carlo (12. Jh.) in Prugiasco-Negrentino (Graubünden), ein ebenmässiger Bau mit Gneisstein, wie er dort

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im Steinbruch in besonders gleichmässigen Lagerschichten vorkommt. Die Steine mussten nur noch auf die gewünschte Länge zugerichtet werden (Abb. II.8.19 bis II.8.25).27 Im Dachraum der Klosterkirche St. Johann in Müstair (Graubünden) zeigt die Aufstockung von 1517 eine für alpine Zonen typisches spätgotisches Mauerwerk, das qualitativ deutlich hinter der karolingischen und romanischen Bauweise zurückbleibt (Abb. II.8.20). Die spätgotischen Türme (1506 – 1516) der Hofkirche Luzern wurden mit unterschiedlich grossen, unförmig polygonalen Sandsteinblöcken geschaffen. Es handelt sich nicht um sauber aus den Lagerschichten des Steinbruchs herausgearbeitetes Material, sondern als Werksteine wurden ungeeignete Blöcke aus dem Steinbruch verwendet. Dementsprechend entstand kein lagerhaftes Mauerwerk. Die ausserordentlich unregelmässigen Stoss- und Lagerfugen sind mit Abschlägen von Werksteinen gefüllt. Nur für die Fensterlaibungen und Eckquader wurden sauber geglättete Werksteine verwendet. Beim Schloss Wyher in Ettiswil (Luzern) ermöglichte die restauratorische Voruntersuchung eine stilistische Analyse des Mauerwerks. An der Geviertmauer Süd und dem westlich anschliessenden dreigeschossigen Gebäude zeigte der Einschichtputz vor allem im Erdgeschoss grosse Fehlstellen mit tief abgewittertem Fugenmörtel. Das Mauerwerk besteht aus Bollensteinen von Gletscherablagerungen (Lesesteine), wobei die stärksten Rundungen abgeschlagen wurden. Die untersten sechs sauberen Lagerschichten zeigen mit Ausnahmen innerhalb einer Schicht gleich hohe Lesesteine. Diese Bauart war im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert gebräuchlich. Die darüber folgende Aufstockung besteht aus ungleich hohen, grossen Mauersteinen. Diese aufwendige Mauerung dürfte um 1588 errichtet worden sein.28 Der runde Treppenturm am Ende des Torweges von Schloss Haldenstein bei Chur (um 1548, Graubünden) zeigt ein Mauerwerk aus örtlichem Kalkschieferbruchstein, in Chur Scalärastein genannt.29 Nur bei grösseren Bruch- und Trümmersteinen (von Schutthalden) lassen sich Ansätze von Lagerschichten erkennen. Plattige Steinsplitter dienten als Ausgleichsschichten und zum Stopfen der unregelmässig grossen

27    Die Beispiele 2.1, 2.2 und 2.3 demonstrieren entsprechend dem Baumaterial den unterschiedlichen Mauercharakter. 28    Die Burg wird 1304 erwähnt, Aufstockung 1588; siehe Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hrsg.), Kunstführer durch die Schweiz, Bd. 1, Bern 2005, S. 377. 29    Francis de Quervain, Steine schweizerischer Kunstdenkmäler, Zürich 1979, S. 29; Zitat: «Platten aus einem sandig-kieseligen Kalkschiefer der ‹Bündnerschieferserie›, einer früher im nordöstlichen und zentralen Graubünden viel gebrauchten Gesteinsart.»



III   Historische Putztechniken an Baudenkmälern

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III.1.6   Bellinzona, Tessin Santa Maria delle Grazie, 1480

An der Westfassade wie im Inneren der ersten Seitenkapelle von Westen ist die geglättete, frische, nicht gestrichene Putzoberfläche mit einem kammartigen Instrument aufgeraut und gestaltet worden. Aussen handelt es sich um diagonal gekreuzte, vier-, teils dreifache Parallelrillen, ­S-Formen und selten Kreuze; Letztere wurden in die entstandenen Rauten gekratzt. An dieser Fassade verbleibt der geglättete ungestrichene Putz ohne Formenritzungen und als Portal- und Fensterrahmung, die jeweils mit einer Kordelbordüre abgeschlossen wird. Den Spitzbogen des Portals krönt ein grosses, mit Mörtel erhaben aufgesetztes Kreuz, das al fresco gelb auf den grünen Kreuzhügel gemalt wurde. Der Traufe entlang zieht sich unterhalb der rot gefassten Konsolabfolge ein roter Fries, der auch die Mauerecken der Westfassade säumt. Am Westteil dieser Fassade finden sich rote Schnurschläge der Konstruktionslinien und Einteilungen für die Rauten. Die Ritzung erfolgte in den frischen Putz. Der Mörtel mit einem Zuschlag von 0–6 mm weist viele Kalkspatzen auf. An der Westfassade ist der grossflächig erhaltene Bestand bereits zu zwei Dritteln ergänzt. Aufgrund der Fenster- und Portalumrandung, des Kreuzes und der roten Bordüren war diese eigenwillige Dekoration höchstwahrscheinlich auf Sicht bestimmt – dagegen sprechen allerdings die vielen gekitteten «Schlaglöcher».

Abb. III.1.6.1 Übersichtsaufnahme: Nordwestansicht.

In der Westkapelle des nördlichen Seitenschiffs diente dagegen der aufgeraute Putz eindeutig als Haftbrücke (Arriccio). Darauf zeichnete der Maler Bartolomeo Suardi, genannt Bramantino, schwarze Sinopien, die als Kompositionsraster für die auf dem Bildträgerputz (Intonaco) ausgeführte Freskomalerei dienten. Die Rillen sind eindeutig erst nach der Ausführung der Sinopien in den trockenen Putz eingekratzt worden, denn durch das Aufrauen der Arricciooberfläche wurden die schwarzen Skizzen partiell verletzt und unterbrochen. In den Rillen lassen sich zudem Reste eines Kalkmörtels, die vom ehemaligen Intonacoauftrag herrühren, beobachten. Die Malerei dürfte bei der Barockisierung zerstört worden sein. Ein erhaltenes Fragment ist als Altarbild im Stuckaltar integriert.

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Kapitel III    1. Putz als Vorbereitungsschicht und Haftbrücke

Abb. III.1.6.2 Abfolgen von Konsolen entlang der Traufe des Steinplattendachs. Roter Fries als Begrenzung zwischen der dekorierten Fläche und den Konsolabfolgen.

Abb. III.1.6.3 Westkapelle innen, nördliches Seitenschiff: durch Rillenritzungen verletzte Sinopien Bramantinos. In der linken Hälfte erkennt man ein Pferd mit Reiter. Mit einem Vierkammsteg wurden zuerst Quadratfelder und dann die s-förmige Abfolge geritzt. Links: eine schlechte moderne Ergänzung. Abb. III.1.6.4 Westkapelle innen: Detail Kammzug. Links: Nagelrisszeichnung.

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III.2   Pietra rasa mit Kellenstrich

Als Pietra rasa bezeichnet man den Fugenverputz, der beim Mauern auslaufend an die Steinköpfe verteilt wird. Beim Errichten eines Mauerwerks werden die Bausteine in Mörtel gesetzt und leicht festgeklopft. Dabei quillt der Setzmörtel aus den Stoss- und Lagerfugen. Dieser überschüssige Mörtel wurde nicht weggekratzt, wie heute allgemein üblich, sondern über die Ränder der Steinköpfe verteilt und gut geglättet. Wo das Mauerwerk durch ungleich stark herausragende Steine Unebenheiten aufweist, wurde nochmals ausgleichend Mörtel aufgetragen und analog dem Setzmörtel verteilt. Bei Bruch- und gerundeten Feldsteinen erfolgte die Mörtelverteilung auslaufend zur Mitte hin. Die Steinköpfe blieben dabei oft nur knapp sichtbar. Die Korngrössenverteilung des Zuschlags ist sehr unterschiedlich und wird von dem im Umfeld des Baus vorkommenden Sand geprägt. Im Gebirge zeigen die Putze je nach vorkommender Gesteinsart Korngrössenverteilungen von 0 – 15 mm (teils mehr), in weiter entfernten Gebieten werden die in Flüssen transportierten Sande immer feiner. Als Bindemittel diente gelöschter Kalk. Die Pietra rasa ist häufig mit Kellenstrichen versehen, die mit der Kellenkante in den frischen Mörtel gezogen wurden. Es gibt gezogene Kellenstriche, die in der Regel mehr oder weniger genau über den wirklichen Stoss- und Lagerfugen horizontal und vertikal beziehungsweise beim Ährenverband diagonal verlaufen. Spätromanische Beispiele zeigen oft nur noch horizontal liegende Kellenstriche. Nicht selten finden sich willkürlich gezogene, die gelegentlich drei- oder rechteckige oder gar rautenähnliche Fugenbilder imitieren. Häufig wurden die Kellenstriche mit Ocker rot oder mit Kalk weiss nachgezogen. Die Pietra rasa mit Kellenstrich, die das Aussehen des Mauerwerks prägt, ist ganz von den Formen der verwendeten Bausteine abhängig. Ein unregelmässiges Fugenbild entsteht bei einem Mauerwerk aus Bruch- und Lesesteinen. Werden Quader- oder Ziegelsteine verwendet, ist das Fugenbild regelmässig und wird durch die Kellenstriche zusätzlich betont. Mit anderen Worten, je gleichmässigere Bausteine vermauert werden, desto präziser, schöner und einheitlicher wird die Pietra rasa mit Kellenstrich. Werden unterschiedlich hohe Steine vermauert, verlangt dies nicht selten Ausgleichsschichten mit niedrigen Steinlagen, um ein einigermassen lagerechtes Mauerwerk zu erhalten. Oft sind die Kellenstriche so sauber und schön ausgeführt, dass sie ein präzis geschaffenes Mauerwerk vortäuschen. Es gibt daher immer wieder Diskussionen über die Frage, ob die Kellenstriche auf Sicht bestimmt waren oder nicht. Welche Funktion haben die Kellenzüge, wenn sie teilweise ohnehin mit Verputz zugedeckt werden? Diese Fragen lassen sich leider nicht schlüssig beantworten. Möglicherweise wollte man mit dem intensiven Glätten beim Ausführen der Kellenstriche die Schwundrisse ver-

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Kapitel III    2. Pietra rasa mit Kellenstrich

Abb. III.2.1.2 Übersicht zu Abb. III.2.1.3: Die oberen zwei Drittel der Abbildung zeigen die zweite mit Ockerrot nachgezogene Pietra rasa mit Kellenstrich. Abb. III.2.1.4 Detail aus Abbildung III.2.1.1: ein besonders schönes Beispiel der zweiten, auf Sicht bestimmten Pietra rasa mit Kellenstrich.

Abb. III.2.1.3 Detail aus Abbildung III.2.1.2: Die untere Hälfte der Abbildung zeigt die erste, nicht auf Sicht bestimmte Pietra rasa mit Kellenstrich. Deutlich erkennt man innerhalb der oberen Bildhälfte die aufgesetzte zweite Pietra rasa, die auf Sicht bestimmt ist.

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III.2.4   Ilanz, Graubünden Alte Pfarrkirche St. Martin, 1448

Die ehemalige Pfarrkirche wurde 1448 unter Einbeziehung der Baubestände aus dem 12. und 13. Jahrhundert zur heutigen Anlage erweitert. Anlässlich der archäologischen Ausgrabung und Bauuntersuchung (1951) unter der Leitung von Architekt Walther Sulser (1890–1983) wurde innerhalb der nördlichen Mauer des Schiffs der Mauerrest eines Vorgängerbaus des 12. und 13. Jahrhunderts gefunden. Dieses Mauerwerk zeigt eine mit Mörtel aufmodellierte, dicht geglättete und mit Kellenstrich versehene Pietra rasa, die nur wenige Steinköpfe sichtbar lässt. Nebst den in etwa den Lagerfugen entsprechenden horizontalen Kellenstrichen finden sich auch vertikale. Mit diagonal verlaufenden Kellenstrichen, die rhombenartige und selten rechteckige Quaderformen bilden, wird ein im Ährenverband geschaffenes Mauerwerk vorgetäuscht. Zwei nahezu gleiche Beispiele befinden sich in Rhäzüns (Graubünden) mit den Kirchen St. Paul und St. Georg, beide 12. bis 13. Jahrhundert. Ähnlich gestaltet wurde auch die Vorhalle der Kirche Oberzell (11. Jh.) auf der Insel Reichenau (Deutschland).

Abb. III.2.4.1 Nordwand: Übersichtsfoto mit der 1951 freigelegten Pietra rasa. Zu erkennen sind die im Ährenverband angedeuteten Kellenstriche. Nur selten sind die Steinköpfe sichtbar.

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Kapitel III    2. Pietra rasa mit Kellenstrich

Abb. III.2.4.2 Frei gestaltete, diagonale Kellenstriche, die ein Mauerwerk im Ährenverband vortäuschen.

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III.3.7   Skopje (Mazedonien) Markovkloster, 1361 bis 1381

Der eigentliche Name des Klosters ist Demetriuskloster, dessen Bau König Vukašin begonnen hatte. Sein Sohn Kraljević Marko ging zielstrebig an die Vollendung der Stiftung seines Geschlechts. Dank seiner Verdienste trägt das Bauwerk den Namen Markovkloster. Das Äussere der Klosterkirche zeigt besonders typische und gut erhaltene Mörtelbänder aus dem südlichen Balkangebiet. Ebenfalls typisch für diese Region ist die Art des Mauerwerks, das pro Lage rapportierend eine Schicht Kalksteinquader zeigt, auf der zwei Lagen flacher Backsteine folgen. Mit besonderer Sorgfalt gestaltete man die Blendnischen und -bogen durch spezielle, bildhaft geschichtete Backsteine. Geschlossen wurden die Mauerfugen in Pietra-rasa-Technik, die seitlich zu Bändern zurechtgeschnitten sind. Auf diese Vormodellierung folgen die auf Sicht bestimmten Mörtelbänder, die sich bis zu 8 mm erhaben von der Maueroberfläche absetzen und in der Breite von 4–7 cm variieren.

Abb. III.3.7.1 Nordansicht der Klosterkirche: Sichtmauerwerk mit bildhaft gemusterten Flächen an Blendnischen und -bogen. Auf der Pietra rasa aufgesetzte Mörtelbänder.

Im Gegensatz zum Intonaco, das in Byzanz und seinem Einflussgebiet aus Kalk-Strohgemisch besteht, wurden die Mörtelbänder mit fett gebundenem Mörtel aus Kalk und Sand geschaffen. Aufgrund des hohen Kalkanteils setzen sich die Mörtelbänder vom Mauerwerk weiss ab.

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Kapitel III    3. Aufmodellierte Mörtelbänder

Abb. III.3.7.2 Nordwestecke: weisse aufmodellierte Mörtelbänder. Unten: horizontal verlaufende Pietra rasa. Abb. III.3.7.3 Detail der Nordwestecke. Unten: bänderartig geschaffene Pietra rasa, darüber aufgesetzte Mörtelbänder.

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Abb. III.6.3.4 St. Cäsarius, Schiff, Südwand: eindrückliches Beispiel des unberührten, gut erhaltenen Flächenputzes mit leicht welliger Oberfläche. Die hellen Streifen im Putzfeld sind rückspringende Bereiche, die nur geringste Abwitterungen aufweisen. Abb. III.6.3.5 Chor, Nordwand: in der Mitte stark abgewitterter Sockelbereich. Dadurch sind die grobe Sandkörnung von 0–12 mm und Kalkspatzen sichtbar. Oben und seitlich sind die feineren Sande (0–6 mm) zu erkennen.


Kapitel III    6. Mit der Kelle aufgezogen und abgekellt

Abb. III.6.3.6 Turm, Ansicht von Westen: durch Abwitterung des Putzes sichtbar gewordene Steinköpfe. Sie zeigen die unterschiedlich hohen Steinlagen und vielen Ausgleichsschichten am Mauerwerk.

Abb. III.6.3.7 Schiff: in den frischen Mörtel eingeritzte Stossund Lagerfugen, mit Kalk nachgezogen. Die ursprünglich hellgraue Farbe des naturbelassenen Putzes erhielt durch eisenschüssiges Material im Sandzuschlag mit der Zeit eine gelblich-graue Patina.

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III.6.6   Rodels, Graubünden Katholische Pfarrkirche St. Christoforus und Jakobus d. Ä. Mitte 12. Jahrhundert

Die um die Mitte des 12. Jahrhunderts als «capella Sci Cristofori» urkundlich erwähnte Pfarrkirche besteht aus einem breiten Schiff, das im Osten mit einem querrechteckigen Chor abschliesst. An der Nordseite steht beim Übergang vom Schiff zum Chor der sehr schlanke ungegliederte Turm (wohl 13. Jh.), der um 1725 einen zwiebelförmigen Helm erhielt. An die Westseite des Turms sind das Beinhaus und an der Südseite des Chors die Sakristei angebaut. Erst 1636 erscheint als Nebenpatrozinium St. Jakobus d. Ä. Der romanische Baubestand des 12. Jahrhunderts umfasst das Schiff, den Triumphbogen und die Ostwand des Chors. Um 1520 wurden an der Südwand des Schiffs neue Fenster herausgebrochen. Bei der Einwölbung des Chors (1725) wurde die romanische Nord- und Westmauer ersetzt und dabei die Anschlussbereiche der Ostwand zerstört. Die gesamte Anlage wurde um 70 Zentimeter aufgestockt und das aktuelle Westportal eingesetzt. Die Anbringung der Lünette im Chor an der Ostwand und im Schiff an der Westwand dürfte gleichzeitig stattgefunden haben. Am Scheitel des Triumphbogens finden sich die Daten 1723 und 1788. Das erstere gilt wohl für die Malereien im Chorgewölbe, am Triumphbogen und an der eingesetzten polygonalen Holzdecke. Was bei der zweiten erwähnten Restaurierung «ET.RESTAURATUM.FVIT.ANO.1788» geschah, lässt sich nicht nachvollziehen. 1884 wurden die gotischen Fenster der Südwand zugemauert und daneben durch neue Spitzbogenfenster ersetzt. An den Innenwänden des Schiffs wie an der Ostwand des Chors finden sich kostbare übereinanderliegende Wandmalereien des 12., 13., 14. und 17. Jahrhunderts, die mit mehreren Kalkschichten übermalt sind. Der aussergewöhnlich gut erhaltene romanische Einschichtputz (12. Jh.) innen wie aussen zeigt die Putzart des «mit der Kelle angeworfenen, abgekellten und geglätteten Mörtels». Mit zum Teil zurechtgehauenen plattenförmigen Bruch- und rundlichen Lesesteinen sind die Lagen des Mauerwerks auffallend gleichmässig geschaffen. Die Eckverbände sind Werksteine aus

Tuff. Mit Kalkmörtel, der eine Korngrössenverteilung von 0–12 mm aufweist, wurden die Mauerfugen in Pietra-rasa-Technik geschlossen. Um die tiefen und breiten Mauerfugen schliessen und die Mauer einigermassen ebnen zu können, musste dafür viel Mörtel aufgetragen werden, sodass nur noch die Steinköpfe sichtbar blieben. Über den Stoss- und Lagerfugen wurde die Pietra rasa mit dem Kellenstrich versehen. Dann kam der Auftrag des 0–14 und mehr mm starken Einschichtputzes: Überschüssiger angeworfener Mörtel wurde sofort abgezogen und abgekellt. Erst nachdem die Mörtelmasse leicht steif – also wenn der Wasserüberschuss verdunstet und vom Mauerwerk absorbiert war –, wurde ausgeglättet. Die feinst geglättete Putzschicht folgt der Oberflächenform des Mauerwerks, deshalb lassen sich die erhabenen Steinköpfe – und bei gutem Streiflicht auch die Fugen der lagerechten Mauerung – ablesen. Der Sumpfkalkmörtel weist eine Korngrössenverteilung von 0–12, selten mehr mm auf. Da der Grobanteil mit der intensiven Glättung in die tieferen Zonen der Mörtelschicht gepresst wurde, befinden sich im Nahbereich der Putzoberfläche vermehrt Sande von 0–3 mm. Die Mörtelmischung ist eher fett gebunden mit einem geschätzten Anteil von 3 Volumenteilen Sand und 1,5 Volumenteilen Sumpfkalk. Abschliessend wurde der Putz al fresco gekalkt. Im Lauf der Zeit folgten mindestens sechs weitere nachweisbare Kalkanstriche. Die Schicht mit den starken Kalkläufern dürfte aus dem 13. Jahrhundert stammen und die Tünche mit Dekorationsmalerei an der Westfassade erfolgte wohl im 17. / 18. Jahrhundert. Innen wie aussen sind vom romanischen Putzbestand des 12. Jahrhunderts rund 70 Prozent erhalten. Am etwas jüngeren Turm (13. Jh.) finden sich unter dem heutigen Verputz (Ende 19. Jh., Ergänzungen von 1979) Reste vom ursprünglichen geglätteten Einschichtputz mit seiner fragmentarisch erhaltenen Dekorationsmalerei. Der bei der Restaurierung 1973 applizierte Sockelputz mit der planen Oberfläche setzt sich störend vom Originalbestand ab.

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Kapitel III    6. Teils mit der Kelle angeworfen und abgezogen

Abb. III.6.6.1 Westfassade: Grossflächig erhaltener geglätteter Einschichtputz (12. Jh.) liegt auf lagerechtem Mauerwerk aus Lese-, selten aus Bruchsteinen. Die wellige Putzoberfläche folgt den stark erhabenen Steinköpfen des Mauerwerks. Abb. III.6.6.3 Detail aus Abb. III.6.6.2: Die Kalkschlämme mit den Läufern stammt sehr wahrscheinlich aus dem 13. Jh. Die mindestens acht stratigrafisch belegten Kalkanstriche schützten den ursprünglichen Putz des 12. Jhs. Unten: trotz Berücksichtigung des Originalbestandes und Verwendung von Sumpfkalkmörtel eine klägliche Ergänzung von 1979. Es ist ein mehrschichtig aufgetragener Putz, wobei der Grundputz abgerieben wurde.

Abb. III.6.6.2 Westfassade, Südteil: sehr gut erhaltener Einschichtputz (12. Jh.). Deutlich ist die vorwiegend senkrechte Kellenführung zu erkennen. Unten: kläglicher, normierter, moderner Mehrschichtputz (Zement). Abb. III.6.6.4 Nordfassade: Zustand nach 22 Jahren. Der Kalkanstrich von 1979 ist weitgehend abgewittert. Der sehr gut erhaltene Putz des 12. Jhs. zeigt zwar Schwundrisse, die gleich nach der Applikation über den tief liegenden Fugen, wo der Mörtel besonders dick aufliegt, entstanden sind. Trotzdem hat der Putz bestens über 800 Jahre lang gehalten. Eine Pontata ist im oberen Viertel der Abbildung zu erkennen; am unteren Rand eine Ausbesserung von 1979.

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III.7.8    Luzern, Jesuitenkirche St. Franz Xaver 1666 bis 1677, Putz für die Deckengemälde, 1749

Der erste grosse barocke Kirchenbau der Schweiz, frei nach den Vorbildern der Jesuitenkirchen in Rom und München als Emporenbasilika erbaut, beeindruckt durch den monumentalen Innenraum. Ein Glanzpunkt sind die hervorragend geschaffenen Gewölbefresken der Gebrüder Giuseppe und Giovanni Torricelli aus Lugano. Der Al-fresco-Farbauftrag erfolgte sehr pastos, für Spitzlichter sogar bis 2 und 3 mm dick. Damit diese Farbschichten nicht reissen und sich schollenartig abheben, wurden dem als Weiss verwendeten Sumpfkalk nicht nur Calciumcarbonatpulver (z.B. Kreide) beigemischt, sondern das frisch applizierte, 5–6 mm starke Intonaco kurz abgekellt und besonders rau abgerieben. Dadurch ergab sich bei einer Korngrössenverteilung des Sandes von 0–4 mm eine sehr griffige Oberfläche. Der glatt abgeriebene Putz aus der Bauzeit (1666–1677) diente als Arriccio, auf dem die mit Schnurschlag ausgeführte Quadratura und die mit rotem Ocker übertragenen Bildentwürfe liegen.

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Gemäss der Freskotechnik entspricht die Menge des Intonacoauftrags der Fläche, die der Künstler an einem Tag bemalen konnte – dabei kommen je nach Komplexität der Darstellung kleinere Putzflächen vor.26 Das Intonaco wurde angeworfen, überschüssiges Material abgezogen, abgekellt und abgerieben. Dann wurde die auf einem präparierten Papier angefertigte Zeichnung (Durchpause) in den frischen Putz übertragen und mit dem Malprozess begonnen. So wurde Bildteil um Bildteil angefügt. Beindruckend belegt dieses Beispiel, dass in der spätbarocken Malerei bewusst rau abgeriebene Putzstrukturen das technische Gelingen und die virtuose, pastose Malweise vorteilhaft unterstützen.

26  Die Putzeinheiten richten sich nach der roten Entwurfszeichnung auf dem Arriccio.

Abb. III.7.8.1 Am Ufer der Reuss erbaute Jesuitenkirche.

Abb. III.7.8.2 Mittelbild Triumph des hl. Franz Xaver, im Vordergrund die Hauptfassade der Kirche. Die graue Stuckfassung schafft einen Übergang der 26    Die Putzeinheiten richten sich nach der roten Entwurfszeichnung auf dem Arriccio. dominanten Grauwerte des Bildes in die Gewölbe­ fläche.


Kapitel III    7. Historischer und moderner Abrieb

Abb. III.7.8.3 Kopf des hl. Franz Xaver. Am Bildträgerputz mit stark körniger Abriebstruktur kann der pastose Farbauftrag besser haften. Zugleich verringert sich die Bildung von Schwundrissen. Rechts entlang der Gesichtssilhouette befindet sich eine Putznaht, die die Inful des Heiligen durchquert und sich horizontal oberhalb des Nackens weiterzieht. Diese Naht begrenzt die für die Ausführung des Kopfes applizierte Putzeinheit. Abb. III.7.8.6 Hervorragend ausgeführter Engelskopf. Hier bediente sich der Maler der Durchdruckpause als Vorzeichnung. Auf den Lokalton für das Inkarnat und weissen Vormodellierungen folgten feinste Schattenlasuren mit Rotocker und abschliessend in ein bis drei Stufen die Lichthöhungen.

Abb. III.7.8.4 Kopf des hl. Franz Xaver, Detail: Der Abrieb bildet die ideale Haftbrücke für die rissfrei verklammerten pastosen Weisshöhungen. Das Licht der Nasenspitze ist 3 mm dick aufgetragen. Abb. III.7.8.5 Engelskopf, Detail: Mund-, Nasen-, Augenbereich im Auflicht. Abb. III.7.8.7 Engelskopf, Detail: Im extremen Streiflicht zeigen sich deutlich Abriebstruktur und die tief in das frische Intonaco gegrabene Durchdruckpause. Zu beachten sind die sehr starken Lichthöhungen und roten Lasuren.

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III.7.9    Ouro Preto, Minas Gerais (Brasilien) Haus an der Rua Oito de Setembro Nr. 18, 18. Jahrhundert 27

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27    Als Beispiel der aus dem Norden der Iberischen Halbinsel stammenden kolonialen Bauweise.

Das im traditionellen portugiesischen Stil erbaute Kleinbürgerhaus steht am Fuss eines Berghangs. Es handelt sich um einen Holzständerbau auf einem aus Bruchstein errichteten, der Hang­ lage angepassten Sockel. Diese Mauerung mit Eckquadern im Läufer- und Bindersystem besteht aus Serpentinstein und eisenhaltigen, grauen und tonigen Kalkschiefersteinen mit Glimmerschichten, die teils total zersetzt sind. Zwickel und breite Fugen sind mit Ausgleichsschichten sauber ausgekeilt. Die Holzständer bilden ohne Quersprossen gleichmässig hochrechteckige Gefache; Sturz und Bank einiger Fensteröffnungen stellen die stabilisierende Querverbindung her. Das auf dem Mauersockel liegende Schwellenholz und der Rähm, auf dem die Dachsparren aufliegen, sichern den gesamten Holzständer. Das Gefach ist mit dünnen, unbearbeiteten, runden Holzstämmen und waagrecht aufgenagelten halbierten Ästen geschlossen.

Für Fugen und Pietra rasa besteht der Mörtel aus tonigem Erdschlamm, Sand von 0–6 mm mit einem Grossanteil der Körnung von 0–2 mm, Ziegelsplit von 4–8 und mehr mm und sehr wenig Kalk als zusätzliches Bindemittel. Mit dem gleichen Mörtel wurden auch die Hilfsträger des Gefachs gedeckt und tiefe Löcher mehrschichtig ausgefüllt. Dann folgte auf Mauerwerk und Gefach ein zweischichtiger Putzaufbau in der Stärke von 18–20 mm. Auf Sicht blieben nur die hölzernen Eckständer und Fenstergewände. Die fein abgeriebene Putzoberfläche wurde vorerst so intensiv geglättet, dass die Bruchfläche des Ziegel­ splits parallel zur Oberfläche zu liegen kam. Der ungestrichene helle Deckputz von Gefach und Mauersockel wurde später von drei bis vier Kalktünchen überdeckt. Darauf folgten drei bis vier unterschiedliche gelbe und rosa Anstriche.28

27  Als Beispiel der aus dem Norden der Iberischen Halbinsel stammenden kolonialen Bauweise.

28    Im Zentrum von Ouro Preto finden sich an Profanbauten und Kirchen wenige ursprüngliche Putze. Vermehrt stammen die oft datierten Putze aus dem 19., Anfang 20. Jh. unter Beibehaltung der alten Bestände; betreffend Putz- und Anstrichtechnik hielt man sich an das traditionelle Vorbild. Jedoch ab Mitte des 20. Jhs. wurden viele Fassaden radikal abgeräumt und durch moderne rot, braun oder blau gestrichene Putze ersetzt, die für Neubauten Gültigkeit haben.

Abb. III.7.9.1 Ansicht: Der gemauerte Sockel endet unterhalb der Fensterbank und wird durch den Grauanstrich (20. Jh.) optisch geschmälert.

28  Im Zentrum von Ouro Preto finden sich an Profanbauten und Kirchen wenige ursprüngliche Putze. Vermehrt stammen die oft datierten Putze aus dem 19. oder am Anfang des 20. Jhs. unter Beibehaltung der alten Bestände; betreffend Putz- und Anstrichtechnik hielt man sich an das traditionelle Vorbild. Jedoch ab Mitte des 20. Jhs. wurden viele Fassaden radikal abgeräumt und durch moderne rot, braun oder blau gestrichene Putze ersetzt, die für Neubauten Gültigkeit haben.


Kapitel III    7. Historischer und moderner Abrieb

Abb. III.7.9.2 Mehrfach mit Kalk überstrichener Originalputz beim Gefach und dem anschliessenden Mauersockel. Mitte: grosse Fehlstelle. Der Hilfsträger aus senkrechten Rundhölzern – stabilisiert mit horizontal aufgenagelten halbierten Ästen – ist mit tonigem Erdschlamm und Sandzuschlag geschlossen. Rechts der Fehlstelle im Gefach zeigt sich der Ständer mit dem aufliegenden, aus der Wand ragenden Deckenbalken.

Abb. III.7.9.3 Eckquader und pietra-rasa-artig geschlossene Fugen und Löcher. Abb. III.7.9.4 Sockelzone aus Bruchsteinmauerwerk: mehrere übereinanderliegende, fein abgeriebene Putzschichten aus verschiedenen Epochen.

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III.10   Der Wormser-, Riesel- und Kieselwurf

Die dem Besenwurf verwandten jüngeren Bewurfarten (Ende 19. bis Anfang 20. Jh.) unterscheiden sich in ihrer Oberflächenstruktur wesentlich. Sie blieben ungestrichen und dienten ebenfalls dekorativen Zwecken. Der Wormserputz wird maschinell mit dem Wormsergerät an die Wand gespritzt. Es handelt sich dabei um einen gerundeten Blechbehälter mit innenliegender Welle mit feinen, schmalen, nebeneinander aufgereihten Stahlfedern. Mit einer Handkurbel angetrieben, wird der Mörtel durch die trichterförmige Behälteröffnung geschleudert. Die Konsistenz des Mörtels ist jener des Besenwurfs ähnlich, die Korngrössenverteilung des Sandes aber beträgt 0–2 mm und nicht selten 0–3 und mehr mm. Zudem wurde in der Regel gewaschener und oft auch gebrochener Sand verwendet. Daher wirkt dieser Putz scharfkantig und durch den maschinellen Anwurf nicht so lebendig wie beim Besenwurf. Die Auftragsstärke beträgt selten mehr als 6 mm. Der Riesel- und Kieselwurf – rustikale Weiterentwicklungen des Wormserputzes – werden manchmal parallel angewendet und waren bis etwa 1930 beliebt. Beim Rieselwurf, dessen Grobkorn des Sandzuschlags 6 mm nicht überschreitet, kann der Mörtel noch mit dem Wormsergerät appliziert werden, doch meist wird er für diese Putzart – auch Rappputz genannt – mit der Kelle angeworfen. Dies allerdings nicht so kräftig wie beim Spritzwurf, sonst fallen die groben Sandkörner vom Grund ab. Dies gilt auch für den Kieselwurf mit variierendem Oberkorn von 12–15 und mehr mm – je nach gewünschter Struktur. Diese Putzart ist dem modernen Waschbeton ähnlich, zeichnet sich aber durch ein lebendigeres, plastisches Erscheinungsbild aus. Damit die raue Oberflächenstruktur der beiden Putzarten zum Ausdruck kommt, muss vorerst ein abgekelltes oder grob abgeriebenes, griffiges Arriccio ausgeführt werden. Entscheidend für die Putzhaftung sind die besonderen, unüblichen Zuschlagskomponenten: Für den Rieselwurf wurde der strukturbestimmenden Körnung (4–6 mm) Feinsand von 0–1,5 mm als Haftbett beigemischt. Der sehr grobe Kieselwurf erhielt einen Sandzuschlag von 2–11 mm. Beim Anwerfen setzte sich der feine Mörtelanteil auf dem Arriccio ab und sorgte für die Haftung von Grobkorn und Kiesel. Es ist die Entmischung des Sandes in der Mörtelmasse, welche die erwünschte grob- bis gröbstkörnige Oberflächenstruktur ergab. Als Bindemittel benutzte man im 19. Jahrhundert zuerst hydraulischen Kalk und später vermehrt Portlandzement. Zum Teil wurden die Bindemittel gemischt oder auch mit Weisskalk verlängert. Durch die Verwendung hydraulischer Bindemittel konnte die Haftung des groben Mörtels auf dem Arriccio im Vergleich zum reinen Kalkmörtel wesentlich verbessert werden.

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Kapitel III    10. Der Wormser-, Riesel- und Kieselwurf

Wormser-, Riesel- oder Kieselwurf dienten vor allem zur Unterstützung der Architekturgliederung. So zum Beispiel der Wormserwurf für Wandflächen zwischen weiss gefassten Gliederungen und der Rieselwurf für vorstehende Sockelzonen oder Ecklisenen im Gegensatz zum abgeriebenen Flächenputz. Mit dem Kieselwurf wurden Rusticoquader hergestellt, die sich vom feineren Rieselwurf oder Putzabrieb im Flächenbereich und fein geschaffenen Profilen markant absetzten. Es sind Putzarten, die Werksteinoberflächen vortäuschen, aber auch Einflüsse der barocken Grottenkunst aufnehmen. Es sind späte Beiträge in der langen geschichtlichen Entwicklung der baukünstlerischen Gestaltung von Fassaden. Die nun folgende nüchterne Zweckarchitektur des 20. Jahrhunderts verzichtete – mit wenigen Ausnahmen insbesondere in den 1950er-/60er-Jahren – auf die Weiterentwicklung und Eingliederung traditioneller, fassadengestaltender Verputzarten als architektonischer Ausdruck.

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III.10.2   Mannenbach, Thurgau Turm der Aloysius-Kapelle, um 1692

Als Fachwerkbau wurde der Turm über dem spätgotischen polygonalen Chor bündig mit der Abschlusswand errichtet. Das Gefach ist mit Backsteinen ausgemauert. Für den Aussenputz wurde das Fachwerk gebeilt und als Hilfsträger Vierkantleisten und halbierte Haselruten aufgenagelt. Es konnten aus zwei Epochen Putze festgestellt werden. Der Putz von 1692 zeigt ein Arriccio als Haftbrücke und ein fein abgeriebenes, gekalktes Intonaco. Beide Schichten weisen denselben Sand mit einer vorwiegenden Korngrössenverteilung von 0–3 und wenig von 5–6 mm auf. Als Bindemittel diente Sumpfkalk und die gesamte Putzstärke beträgt durchschnittlich 12 mm.

Für den zweischichtigen Auftrag des Wormserputzes nach Mitte des 19. Jahrhunderts blieb der Vorgängerputz erhalten, wurde aber mit per Spitzhammer ausgeführten Hacklöchern aufge­ raut. Das durchschnittlich 11 mm dicke Arriccio enthält Sand (0–3 mm, selten 4–5 mm) und als Bindemittel diente Kalkhydrat, dem hydraulischer Kalk beigemischt wurde. Beim Intonaco handelt es sich um einen sehr frühen Wormserputz, der dem Besenwurf in der Struktur und im feinen Sand äusserst nahekommt. Die Sandkörnung beträgt 0–0,5 mm bei einer Auftragsstärke von 3–5 mm, für die fünf bis sieben Arbeitsgänge notwendig waren. Hingegen gleichen die Wormserarbeiten des 20. Jahrhunderts – in der Regel mit Sand von 0–3 mm und Auftragsstärken bis 5 mm – eher dem Rieselwurf. Bilder 10.2.1 und 10.1.2 fehlen

Abb. III.10.2.1 Südostansicht: Unterhalb des vorkragenden Gesimses haben sich grössere Bestände vom Wormserputz erhalten. Bedingt durch das Fachwerk als Putzträger ergeben sich Schäden und Verluste. Abb. III.10.2.2 Ostansicht: Dank geringerem Witterungseinfluss hat sich die Putzoberfläche besser erhalten. Es sind Rapporte der applizierten Mörtelportionen zu erkennen.

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Kapitel III    10. Der Wormser-, Riesel- und Kieselwurf

Abb. III.10.2.4 Ostansicht: Hilfsträger von 1692 – mit geschmiedeten Nägeln befestigte man halbierte Haselruten. Abb. III.10.2.3 Südansicht: Auf dem Fachwerkständer mit geschmiedeten Nägeln befestigte Vierkantleisten.

Abb. III.10.2.5 Hilfsträger, 18. Jh.: gebeilter Holzständer mit aufgenagelten Haselruten und Vierkanthölzern.

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III.12.9   Valchava, Graubünden Ehemaliges Gemeindehaus, 1724

Das heute als Ortsmuseum genutzte zweigeschossige Bauernhaus Chasa Jaura, mit dem Datum 1724 im Dachstuhl, dürfte nach Erwin Poeschel schon im 17. Jahrhundert entstanden sein.40 An den Schauseiten Ost und Süd zeigen die unregelmässig verteilten Fenster unterschiedliche Formate und speziell an der Südseite tiefe Schartenöffnungen, wie sie im Engadin und Münstertal typisch sind. Am Erker sind die Wappen der Drei Bünde und über dem Eingang an der Ostfassade Familienwappen und Inschriften aufgemalt. Gemörtelte Quaderlisenen an den Ecken sind der abgekellten, weiss getünchten Grundfläche circa 24–26 mm dick aufgesetzt. Die geglätteten Quader wurden mit Kalk gestrichen, die Spiegelflächen mit dem Nagel eingeritzt und zur Hälfte al fresco mit rotem Ocker gestrichen. Abschliessend hat man diese rot-weissen Quader steinmetzmässig locker gebeilt und dabei darauf geachtet, dass die weissen Absatzkanten als Licht stehen blieben. Ähnlich wurden auch die Fensterrahmungen geschaffen.

40    Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hrsg.), Erwin Poeschel (Autor), Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Band 14, Graubünden V.: Die Täler am Vorderrhein, II. Teil. Die Talschaften Schams, Rheinwald, Avers, Münstertal, Bergell, Basel 1943, S. 391.

Abb. III.12.9.1 Südansicht: Die Fassaden wurden um 1960 mit Kalk neu gestrichen, die roten Quaderteile und Fensterrahmungen lasierend übermalt.

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Der Mörtel für die Grundfläche sowie die Quaderlisenen und Rahmungen zeigt eine Korngrössenverteilung von 0–12 und mehr mm, der magere Bindemittelanteil dürfte geschätzt ein Viertel des Sandzuschlags betragen. Als Haftbrücke für den Mörtel der Ecklisenen und Fensterrahmen hat man die Grundfläche mit Schlaglöchern aufgeraut. Die originelle, volkstümliche Fassadengestaltung wurde wohl in den 1960er-Jahren übermalt. Der Fassadenputz und die plastische Gestaltung sind bis auf kleine Ergänzungen original.

40  Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hrsg.), Erwin Poeschel (Autor), Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 14, Graubünden V.: Die Täler am Vorderrhein, II. Teil. Die Talschaften Schams, Rheinwald, Avers, Münstertal, Bergell, Basel 1943, S. 391.


Kapitel III    12. Andere Putzstrukturen für Mörtelquader

Abb. III.12.9.2 Ostansicht: Fensterrahmung mit roter Lasur als Übermalung. Zu diesen Fenstern gehören auch die Bündner Hängenelken! Abb. III.12.9.3 Lisene der Südostecke: Der untere Quader rechts zeigt die originale Freskofassung, allerdings etwas verwittert.

Abb. III.12.9.4 Lisene der Südostecke: Die oberen drei Quader mit der ursprünglichen, gebeilten Oberfläche im Weissbereich; der unterste Quader zeigt die gemalte Rekonstruktion um 1960.

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III.14.5    Pompejische Malerei des 2., 3. und 4. Stils: Beispiele für Putzaufbau und Bearbeitung

Die Casa dei Vettii, eine reiche Villa mit pompösen Freskomalereien, zeugt vom Reichtum der Kaufmannszunft und zeigt die letzte Phase des Privatbaus in Pompeji. Die letzten Besitzer, Aulus Vettius Restitutus und Aulus Vettius Conviva, bewohnten ein Gebäude, das Malereien aus der Zeit Neros oder Claudius’ (1. Jh. n. Chr.), aber auch roh belassene oder durch das Erdbeben von 62 n. Chr. beschädigte Wände aufwies. Sie vollendeten und erneuerten die Malereien. Faszinierend ist, dass die zahlreichen Wohnräume, Triclinium und Peristyl sowohl ursprüngliche Ausschmückung als auch solche aus der Zeit nach dem Erdbeben zeigen. Letztere sind dekorative Elemente des 4. Stils, wie Kandelaberschmuck mit spindeldünnen Säulchen als Unterteilung der mit feinsten Borten gerahmten Bildflächen. Die schwarzen und gelben, hochglänzend geglätteten Füllungen54 zieren naturalistische Blumenranken, Amoretten, Masquerons, Heroen und Gottheiten. Die dekorativen und figürlichen Motive wurden nach dem Glättungsprozess al fresco gemalt. Dies ermöglichte eine dicke Gesamtschicht von Arriccio und Intonaco, weil beim Glätten die bereits entstandene Sinterhaut aufgebrochen wird und daher die gesamte Schicht gut carbonatisiert.55 Je nach Stärke des Intonacos hat man diese Inkrustationsflächen 12 bis 15 Stunden nach dem Farbauftrag mit Kellen auf Hochglanz poliert und sofort Bordüren, Zierstäbe und andere dekorative und figürliche Darstellungen virtuos al fresco pastos aufgemalt. Die verwendeten Farben sind gelber und roter Ocker, Kalk mit Marmorstaub zum Aufhellen von Farben, Ägyptischblau, Grüne Erde und Russschwarz. Diesem Schwarz hat man zur besseren Polierbarkeit und Abbindung Leim beigemischt.56 Zum Polieren nicht geeignet waren das grobkörnige Pflanzenschwarz, Ägyptischblau und andere grobkörnige Pigmente. Für Pigmente, die sich schlecht binden und polieren lassen, wurden dem Tectorium Rotocker oder, wie Vitruv erwähnt, auch weisse Tonmineralien, Kreide (Paraetonisches Weiss) von Libyen oder Melinum – eine Kreideart der Insel Melos – beigemischt.57 54    Stucco-lucido-Technik. 55    Die byzantinischen Maler benutzten ebenfalls das Nachglätten bei kleinen Putzausbrüchen oder wenn der Malprozess auf einem etwas früher applizierten Intonaco weitergehen sollte. In Kap. 59 von Das Handbuch der Malerei vom Berge Athos von Dionysios von Phurna steht: «Suche schneller als in einer Stunde fertig zu machen, was du poliert hast, denn wenn du lange wartest, so zieht es Haut und nimmt die Farbe nicht an, und so nützt es dir nichts.» Ferner empfiehlt es, das Intonaco bei Bereichen, die man in einem halben Tag nicht geschafft hat und weitermalen will, zuerst erneut zu glätten und dann weiterzumalen. 56    Plinius schreibt hierzu für Wanddekorationen («atramentum tectorium») Leim («glutinum») zu verwenden und an anderer Stelle: «Da der zur Grauuntermalung zu verwendende Russ schlecht bindet», empfiehlt er, Leim zu verwenden (Buch 35, Kap. 43). Albert Knoepfli, Oskar Emmenegger, «Wandmalerei bis zum Ende des Mittelalters», in: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Band 2, Kap. 9.6.2.1, Stuttgart 1990, S. 90; und Hermann Kühn, Heinz Roosen-

Da es von den Malereien der Casa dei Vettii keine Querschnittaufnahme gibt, dient als Referenzbeispiel ein anderes Fragment aus Pompeji (3. / 4. Stil), das dem Putzaufbau nach Vitruv entspricht. Das insgesamt 26 mm starke Fragment besteht aus Arriccio, Intonaco und Tectorium. Das bis zu 16 mm dicke Arriccio ist ein Kalkmörtel mit Tuffsand von 0,1–2 mm Korngrösse als Zuschlag, der nach oben immer feiner wird. Der Tuff gibt dem Mörtel in Verbindung mit Sumpfkalk hydraulische Eigenschaften. Wie Vitruv beschreibt, zeigt dieses Arriccio mehrere Lagen, die nass in nass aufeinander folgten – das heisst, die nächste Schicht wurde aufgebracht, wenn die vorherige schon im Erhärtungsprozess war. Ein 16 mm starker Einschichtauftrag ist bei dieser Sieblinie des Zuschlags technisch gar nicht möglich. Die Putzschicht wäre zerrissen und hätte sich schüsselförmig abgehoben (Abb. III.14.5.6). Auch das nachfolgende Intonaco in der Stärke von 8–9 mm wurde mehrschichtig nass in nass aufgebaut, ganz der Idealvorstellung Vitruvs entsprechend. Der Zuschlag aus Kalksteinsand zeigt in der Tiefe eine Korngrössenverteilung von 0,2–3 mm, die zur Oberfläche hin mit 0,2–1,5 mm immer feiner wird (Abb. III.14.5.3 und III.14.5.4). Als letzte Teilschicht folgt das 0,5–1 mm dünne, feinst geglättete Tectorium aus Sumpfkalk, feinem Calcitsand (lt. Vitruv Marmorstaub) und Rotocker. Der Zuschlag von Rotocker und Marmorstaub im Tectorium erleichterte die Glättung des nachfolgenden Farbauftrags. Die verwendeten Pigmente sind Rot- und Braunocker sowie ein Gemisch aus Grünerde und Ägyptischblau, das erst nach der Glanzglättung der darunterliegenden Zinnoberschicht al fresco als Bordüre aufgemalt wurde. Die Zinnoberschicht ist Bestand einer roten Füllungsfläche der Inkrustationsmalerei. Ein Wandmalereifragment des 2. oder 3. Stils einer Ruine der samnitischen Periode zeigt einen deutlich von Vitruv abweichenden Putzaufbau, wie er in der römischen Provinz oft vorkam. Auf dem Mauerwerk aus vieleckig zurechtgeschnittenen Trachitwürfeln liegt ein Lehmmörtel,

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54  Stucco-lucido-Technik. 55  Die byzantinischen Maler benutzten ebenfalls das Nachglätten bei kleinen Putzausbrüchen oder wenn der Malprozess auf einem etwas früher applizierten Intonaco weitergehen sollte. In Kap. 59 von Das Handbuch der Malerei vom Berge Athos von Dionysios von Phurna steht: «Suche schneller als in einer Stunde fertig zu machen, was du poliert hast, denn wenn du lange wartest, so zieht es Haut und nimmt die Farbe nicht an, und so nützt es dir nichts.» Ferner empfiehlt er, das Intonaco bei Bereichen, die man in einem halben Tag nicht geschafft hat und weiterbemalen will, zuerst erneut zu glätten und dann weiterzumalen. 56  Plinius empfiehlt hierzu für Wanddekorationen («atramentum tectorium») Leim («glutinum») zu verwenden und an anderer Stelle: «Da der zur Grauuntermalung zu verwendende Russ schlecht bindet», empfiehlt er, Leim zu verwenden (Buch 35, Kap. 43). Albert Knoepfli, Oskar Emmenegger, «Wandmalerei bis zum Ende des Mittelalters», in: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Bd. 2, Kap. 9.6.2.1, Stuttgart 1990, S. 90; und Hermann Kühn, Heinz Roosen-Runge, Rolf E. Straub, «Buchmalerei», in: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, Bd. 1, Stuttgart 1988, S. 100. 57  Marcus Vitruvius Pollio, Zehn Bücher über Architektur, Bd. 3: Buch 6–8, übersetzt und erläutert von Jakob Prestel, Baden-Baden 1952 (2. Auflage), Buch 7, Kap. 8.


Kapitel III    14. Putz als Malereiträger

Abb. III.14.5.1 Pompeji, Casa dei Vettii, Malerei im Peristyl: Die Inkrustationsflächen wurden nach dem Malen zu Glanz geglättet (Stucco–lucido-Technik). Danach erfolgten als pastoser Freskoauftrag Zierstäbe, Bordüren, Amphoren und Blumendekors. Abb. III.14.5.3 Casa dei Vettii, Triclinium: Die nach dem Malen zu Glanz geglätteten Inkrustationsflächen. Darüber die al fresco gemalten figürlichen Darstellungen. Der Reflex des Blitzlichts dokumentiert die Glanzglättung.

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Abb. III.14.5.2 Pompeji, Malereifragment des 3./4. Stils, Referenzbeispiel 1: Die Abbildung zeigt grossflächig den nach der Glättung erfolgten Freskoauftrag einer Farbmischung aus Ägyptischblau und Grünerde sowie die Rahmenbordüre. Der Bruchkante entlang erkennt man das auf dem weissen Intonaco liegende Tectorium, bestehend aus Marmorstaub und Rotocker.


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IV   Atlas gehäufter Vorkommen historischer Putze in der Schweiz und in Norditalien

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Abb. IV.2.2.14 Hausen am Albis, Hof Riedmatt, Brennhaus, Übersichtsaufnahme: im Vordergrund das Brennhaus (1782), in der Mitte das Kornhaus (1762), rechts die Remise. Abb. IV.2.2.16 Westansicht: im Sockelbereich grosse Findlingsblöcke mit begradigter Oberfläche. Grosse Fugen mit Steinsplittern von Abschlägen, ausgekeilt als Trockenmauerwerk. Sichtmauerwerk mit breitflächig ausgeführter Pietra rasa und mosaikartig in den frischen Mörtel gedrückten Sernifitsteinen.

Abb. IV.2.2.15 Detail der Westansicht: Findlingsblöcke in der Sockelzone. Mit plattigen Steinsplittern und Kieselbrocken ausgekeilte Fugen als Trocken­ mauerwerk. Abb. IV.2.2.17 Mit Kalkmörtel auf Stoss zum Steinspiegel geschlossene Mauerfugen. In den frischen Mörtel gedrückte Sernifitsteine.


Kapitel IV    2. Regionen der Schweiz und Norditaliens mit dichterem Bestand an historischen Putzen

Abb. IV.2.2.19 Unten Mitte: Im Mörtel sind die Negative der Sernifite erkennbar, die beim Abwittern des Mörtel herausgefallen sind. Darüber solche, die demnächst verloren gehen könnten. Abb. IV.2.2.20 Detail der Giebelfassade Nord: Mauerblock im EG., Findlingsblöcke im Sockelbereich als Trockenmauerwerk mit offenen Fugen als Wasserabfluss. Im Innern ist das Bodengefälle auf diese Mauer gerichtet. Mit Vertiefungen im Boden wird das Wasser kanalisiert. Polygonale Mauersteine mit grob geglätteter Oberfläche, Eckverband im Läufer- und Bindersystem. Eine der schönsten dekorativ wirkenden Sernifitarbeiten. Das ursprüngliche Fachwerk des Giebels wurde durch ein modernes Ziegelmauerwerk ersetzt.

Abb. IV.2.2.18 Um Schwundrisse zu vermeiden dienten in den Mörtel gedrückte Sernifitsteine unterschiedlicher Grösse, selten Verrucano-, Kiesel- und Sandsteine.

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Abb. IV.2.5.27 Aquarosse-Corzoneso,San Remigio, Blockaltar: rekonstruiert aufgrund zweier Apostelreliefs in Al-fresco-Fassung zwischen Pilastern, wohl 12. und 13. Jh. Durch den Verlust der Gesichter ist der Aufbau der Grobform für die Köpfe sichtbar. Über dem linken Nimbus Reste des mit Rotocker geschriebenen Namens (Titulus). Abb. IV.2.5.29 Aufmodellierte Grobform erfassbar, Figur links: Halsansatz und rechte Schulter; Figur rechts: Hals und rechtes Ohr. Tief abgesetzte Falten mit entsprechenden Schnitzeisen in leicht gerundete Form gebracht. Die Kerben auf den Faltenstegen wurden mit einem eng gerundeten Hohleisen ausgeführt. Eindrückliche freskale Fassungsreste. Über dem linken Nimbus Reste des Titulus erkennbar, wahrscheinlich Petrus.

Abb. IV.2.5.28 Apostelrelief rechts: neben dem Kopf Kapitell eines Pilasters. Die Aufsicht und die Ansichtsprofile des Blockaltars sind mit derselben Mörtelmasse beschichtet, in die Form geschnitten und dicht geglättet.

Abb. IV.2.5.31 Apostelrelief links: Werkspuren. Mitte: Glättungsspuren an der Aufmodellierung; Schnitzspuren an den Faltenstegen zeigen offene Blasen in der Mörtelmasse. Rechts unten: an den Faltenstegen Auskerbungen von einem u-förmigen Hohleisen.

Abb. IV.2.5.30 Die Putznaht am Kopffragment markiert die Auftragstärke des Intonacos der Endform. Am Abbruch der Grobform sind geringe Grobkornanteile eines gebrochenen Sandzuschlags von 4–8 mm sichtbar. Deutlich erkennt man, dass die Kerben der Faltenstege mit Rotocker nach­ gezogen wurden.


Kapitel IV    2. Regionen der Schweiz und Norditaliens mit dichterem Bestand an historischen Putzen

Abb. IV.2.5.32 Riva San Vitale, Santa Croce, Ostansicht: Die Grundflächen des Unterbaus sind plan mit einem Abrieb versehen und zeigen eine kräftige Gelbfassung, die wahrscheinlich nach der Restaurierung (1972–1974) ausgeführt wurde. Die Putzoberfläche der Bauglieder ist geglättet. Bis auf Ausbesserungen hat sich in den Flächen des Tambours das wellige originale Intonaco, das angeworfen und abgekellt wurde, erhalten. Die zurückhaltende Gelbfassung stammt von der Restaurierung. Abb. IV.2.5.35 Innenraum, Ostansicht der Kuppel: qualitätsvolle Dekorationsmalereien auf Grundfläche und Baugliedern.

Abb. IV.2.5.33 Innenraum, Nordwestecke Unterbau des Chors mit Halbgewölbe: üppig dekoriert mit Al-fresco-Malerei auf feinstem Abrieb. Die Bemalung der Säulen ist in Stucco-lucido-Technik ausgeführt. Abb. IV.2.5.36 Säule vor Seitenkapelle Süd: ausgezeichnet geschaffene Stucco-lucido-Fassung, die nach dem Al-fresco-Auftrag mit einem kellenartigen Instrument auf Hochglanz geglättet wurde.

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Abb. IV.2.5.34 Triumphbogenlaibung Nord: hervorragende Malereien in Lasurtechnik mit fliessenden Übergängen, modelliert mit pastosen Lichtern und filigranen Binnenzeichnungen. Auf diese perfekte Al-fresco-Ausführung war der putztechnische Aufbau zwischen Arriccio und Intonaco genau abgestimmt.


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Abb. IV.2.6.18 Chiavenna, Häusergruppe, Via Dolzino: im Vordergrund die Casa Cortino Gaudenzetti mit der wertvollsten Fassadengestaltung Chiavennas. Abb. IV.2.6.21 Casa Cortino Gaudenzetti: hervorragende Grisaillemalerei von 1664. Die grafische Pinsel­führung der Schattierungen und der Rahmengestaltung für die Szenen im 1. OG. (rapportierende Dekorfriese) erinnern an die Sgraffiti der Casa Zucalli in Roveredo (Abb. IV.2.4.60 bis IV.2.4.61 und IV.2.4.63).

Abb. IV.2.6.19 Casa Cortino Gaudenzetti, 1591: Der Ausschnitt vom 2. und 3. Bildfries von unten zeigt deutlich das grafische Vorgehen. Wie beim Kupferstich erhielten Schattierungen gekreuzte Schraffuren. Abb. IV.2.6.20 Chiavenna, Piazza. S. Pietro, Casa Comunale, 16. Jh.: Der grosse dreigeschossige Gebäudekomplex besitzt einen über vier Reihen laufenden, in Register aufgeteilten Bildzyklus, ausgeführt in Al-fresco-Technik. Die stark abgewitterte Malerei ist noch knapp lesbar und weist durch bauliche Veränderungen teils grosse Verluste auf. Soweit erkennbar, liegt sie auf einem plan abgeriebenen, gut erhaltenen Intonaco.


Kapitel IV    2. Regionen der Schweiz und Norditaliens mit dichterem Bestand an historischen Putzen

Abb. IV.2.6.22 Morbegno, Santuario dell’Assunta, Südansicht Apsis, Turm: Oberflächengestaltung des Putzes und Farbfassung.

Abb. IV.2.6.23 Tirano, Santuario della Madonna: beeindruckende Kreuzkuppelkirche mit Seitenschiff und geosteter Apsis. Der an der Nordseite angefügte sechs­ geschossige, noch gotisch anmutende Turm stammt aus der Frührenaissance. Mit Sgraffitotechnik sind Inkrustationen der Grundfläche imitiert. Der Putzbestand stammt weitgehend aus der Bauzeit.

Abb. IV.2.6.25 Santuario dell’Assunta, Südansicht Apsis, Schiff: Vierungsquadrat und Oktogonaufsatz mit grau gemalten Quaderlisenen (Läufer und Binder) vor weissem Grund.

Abb. IV.2.6.24 Santuario della Madonna, Nordansicht: Bogenund Zackenfriese sowie steinsichtige Lisenen umrahmen die variantenreichen Inkrustationsmotive in Sgraffitotechnik.

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V   Stucco lucido

Kapitel IV    2. Regionen der Schweiz und Norditaliens mit dichterem Bestand an historischen Putzen

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Abb. V.9 Munticellu, Bruderschaftskirche San Carlo Borromeo, Hochaltar-Tischverkleidung: genaue Imitation von Steinintarsien. Schwarze Friese in der Art von dolomitischem Kalkstein, ockerroter Grund in der Art von Arzo-Marmor (mineralogisch stark eisenoxidschüssiger dolomitischer Kalkstein), dunkelrote Füllungen in der Art von Porphyr.

Abb. V.8 Piedicroce, Pfarrkirche San Petru e Paolu: eigenwillig gestaltete Kanzeltreppe, getragen von feingliedrigen, kandelaberartigen Stützen. Grundflächen als Stucco lucido in Rotocker zwischen der weissen Stuckgliederung, in Gelbocker zwischen den Stuckranken.

Abb. V.10 San Carlo Borromeo, Stipesverkleidung, Detail: direkt nach der Glättung der Al-fresco-Malerei in Sgraffito-Manier eingeritzte Umrisszeichnung. Dies ist nur bei einigermassen frischem Intonaco­ putz möglich. Es handelt sich somit um ein Al-fresco(Stucco lucido) und nicht um ein Al-secco-Verfahren (Stucco lustro).


Kapitel V    Ursprung und Verbreitung

Abb. V.11 Castellu-di-Rostinu, Santa Maria Annunziata, Hochaltar: feingliedrige, nicht übermalte Stuccolucido-Dekorationen von hoher Qualität an Lisenen, Architrav und gewundenen Säulen.

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Abb. V.12 Hochaltar, Detail der gewundenen Säule rechts: Hellgraue Rebenblattranken heben sich matt vom glänzend geglätteten Hintergrund ab. Die Stucco-lucido-Oberfläche wurde sgraffitoartig abgeschabt.


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Abb. V.13 Morosaglia, Santa Reparata: Geringe Putzreste beweisen, dass das Mauerwerk verputzt war. Abb. V.16 Das vernachlässigte Innere zeigt Stucco lucido am Hauptaltar und an der übermalten Kanzel.

Abb. V.14 Hauptaltar, Füllungen der Leuchterbänke und des Stipes mit hervorragendem Stucco lucido. Abb. V.15 Seitenaltar mit feiner Architekturgliederung in Stucco lucido aus den Händen einer anderen Kunsthandwerkergruppe.


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Abb. V.24 Recife, Mosteiro de Santo Antônio (1606–1734), Kreuzgang Nordwand: Das Detail der Südansicht zeigt nach dem Ausbau der Majoliken die Nische mit Stucco lucido (1613). Darüber kommt beim abgeplatzten Dispersionsanstrich die Stuccolucido-Auskleidung von 1734 zum Vorschein. Abb. V.28 Ausschnitt: Rechts vom zugemauerten Durchgang befindet sich eine Nische mit weissem Stucco lucido (1606). Darüber durch Farbabplatzungen sichtbar der ockergelbe Stucco lucido von 1734, zeitgleich mit der Majolikaverkleidung.

Abb. V.25 Arkadenhalle Nordwand, Ausschnitt: weisser Stucco lucido am Nischenrund (1606), darüber gelber Stucco lucido (1734) anschliessend an die Majolikaverkleidung. Abb. V.27 Kreuzgang Nordwand, Teil Süd: Zustand nach der Montage der Majolikas. Wandfläche mit Gelbockeranstrich entsprechend dem Farbwertbefund des darunterliegenden Stucco lucido. Abb. V.29 Kreuzgang Nord, Südansicht: Endzustand.

Abb. V.26 Kreuzgang Nord, Westende der Südansicht: Endzustand. Majolikamalerei von grosser Qualität.


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Anhang

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Glossar

Abbinden → Carbonatisierung bzw. Aushärtungsprozess des Mörtels. Durch Aufnahme von Kohlenstoffdioxid aus der Luft und unter Abgabe von Wasser wandelt sich das alkalische →Calciumhydroxid wieder in Kalkstein um [Ca(OH)2 + CO2 → CaCO3 + H20]. Der dabei erfolgende Volumenverlust kann zu →Schwundrissen im Verputz führen. Abkellen – oder auch →Vorglätten ist ein flüchtiges Abstreichen und Grobglätten von frisch angeworfenem oder aus Steinfugen hervorquellendem Mörtel mit einem Kellen-Werkzeug. Absanden – Ein Verputz sandet ab, wenn der Bindemittelanteil (Kalk) an der Oberfläche ausgewaschen wird und sich dadurch Sandkörnchen aus dem Putzverbund lösen. Dies kann auch passieren, wenn die Mörteloberfläche nach dem Verputzen zu schnell abbindet. In den Mörtelschichten tiefer liegende Bindemittelanteile haben dann nicht genügend Kohlendioxid und Wasser zur Verfügung und «verbrennen» – sie binden nicht vollständig ab bzw. entwickeln keine Bindekräfte. Ägyptisch Blau – Bezeichnung für das seltene Mineral Cuprorivait. Ein blaues Pigment, welches zuerst von den Ägyptern in der Pharaonenzeit «künstlich» hergestellt wurde. Das intensiv wirkende Pigment (Calzium-Kupfersilikat) entsteht durch das →Sintern von Kalk, Quarzsand und Kupfer oder Kupferverbindungen (Azurit, Malachit, Bronzespäne) sowie unter Zusatz von Soda. Al fresco (ital.) – Auf den noch feuchten → Kalkputz (→ Intonaco) werden eingesumpfte, kalkechte Pigmente aufgetragen. Durch das → Abbinden entsteht eine homogene (Kalk-) Putzschicht, in der die Farbpigmente fest eingebunden und dauerhaft geschützt sind. → Freskomalerei; siehe auch: Eintrag «Freskomalerei», in: Harald Olbrich (Hrsg.), Lexikon der Kunst, Bd. 2, Leipzig 1989. Anhydrit – bei Temperaturen von 180 bis ca. 900 °C hochgebrannter wasserfreier Gips (CaSO4). Anmachwasser – Durch Zugabe von Wasser werden Mörtelgemische (Bindemittel und Zuschlagsstoffe) verarbeitbar. Zugleich setzt das Wasser den → Abbindeprozess in Gang. Arriccio – Begriff ursprünglich aus der → Freskomalerei. Meist mit grobkörnigeren Zuschlagsstoffen und grösserer Auftragsstärke bildet das Arriccio beim mehrschichtigen Verputz die unteren Lagen und ist Träger des → Intonaco. → Mehrschichtputz Arzo-Marmor – petrografisch ein kristalliner, sogenannter mikritischer Kalkstein, entstanden aus sedimentaren Brekzien aus dem Gebiet um Arzo, Mendrisiotto, welches für seine bunten, dichten und daher auch polierfähigen Kalksteine bekannt ist. Oft auch als «Buntmarmore» bezeichnet. Es werden drei Hauptvarietäten unterschieden: Rosso di Arzo, Broccatello, Macchiavecchia. Besenbund – Abgeschnittener Reisigbesen oder speziell gefertigtes Reisigbündel, das für den → Besenwurf genutzt wird.

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Besenwurf (Graupelputz, Tirolerputz) – Der → Besenbund wird in die feine, verdünnte Mörtelmischung getaucht und zum Aufspritzen des Mörtels an einen Stock geschlagen. Der zweischichtige Aufbau für den Besenwurf besteht aus einem mit der Kelle abgezogenen Ausgleichsputz, je nach lokalem Vorkommen mit Sandzuschlag von unterschiedlicher Stärke. Dann folgt das nur ca. 5–6 mm starke → Arriccio. Der nur abgekellte, geglättete, selten abgeriebene und daher griffige Mörtel wird noch vor dem → Abbinden mit dem Besenwurf als Deckputz versehen. Um eine einigermassen gleichmässige, ruhige Oberfläche zu erhalten, muss der Auftrag ausgleichend erfolgen. Erste Vorkommen in der Hochgotik, belegte Beispiele ab Ende des 16. und bis zum 18. Jahrhundert im nördlichen Alpenraum. Es finden sich mit → Rotocker eingefärbte Putze, in der Regel blieben sie jedoch naturfarben. Bianco San Giovanni – Gemahlenes → Calciumcarbonat vermischt mit trocken gelöschtem → Calciumhydroxid. Bossenquader – Grob behauener, an seinen Sichtflächen meist wenig geglätteter Werkstein (von mittelhochdeutsch bozen, schlagen). Branntkalk (auch Kalkerde, Stückkalk, Freikalk oder Ätzkalk) – Ungelöschter Kalk, der bei 900 bis 1000  °C (Weichbranntkalk) oder 1400 °C (Hartbranntkalk) Brenntemperatur gebrannt wird. Das Calciumoxid (CaO) reagiert bei Wasserzugabe mit starker Wärmeentwicklung zu → Calciumhydroxid [CaO + H20 → Ca(OH)2]. C14-Methode (oder Radiokarbondatierung) – Methode zur Altersbestimmung von organischem Material durch vergleichende Messung der im Material gebundenen, jedoch mengenmässig abnehmenden radioaktiven 14C-Atome. Calciumcarbonat (CaCO3) – Kalkstein, Kreide, Marmor. Calciumhydroxid – Kalkhydrat [CaO + H20 → Ca(OH)2], gelöschter Kalk, → Löschkalk oder auch → Sumpfkalk. caput mortuum (FE2O3) – Feinpulvriges, braunrotes, gelegentlich leicht lila wirkendes Pigment. Der Überlieferung nach geht der Name auf den Farbton geronnenen Blutes zurück. Carbonatisierung → Abbinden. Chiaroscuro (deutsch: Helldunkelmalerei) – In der Spätrenaissance und im Barock entwickelte Methode, um mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten die allgemeine Bildwirkung zu dramatisieren. Dechsel – Beilähnliches Werkzeug für Zimmerer, Schreiner und Bildhauer mit quer zum Stiel liegender Schneide. Die Dechsel kann langoder kurzstielig sein. In der Regel ist der Stiel leicht gekröpft und sie wird ähnlich wie eine Hacke mit ziehendem Schlag geführt. Diamantbuckel – In Diamantform geschlagene Bossensteine zum Schmuck bzw. zur

Gliederung historischer Fassaden. Oft auch als Illusionsmalerei → al fresco auf dem Putz mit weissen Licht- und stark roten oder schwarzen Schattenseiten ausgeführt. Einschichtputz – Verputz, der ohne mehrschichtigen Aufbau mit Ansprutz, Grund- und Deckputz direkt und in einer einzigen Schicht auf dem Mauerwerk aufgebracht wird. Estrichgips – Wird Naturgips bei Temperaturen von 800 bis 1000  °C gebrannt, entsteht der wasserfreie Estrichgips. Ausserdem entsteht unter Entweichen von SO2 ein geringer Anteil von gebranntem Kalk (Calciumoxid). Mit Wasser angesetzt, hat dieser Gips eine lange Abbindezeit von 10 bis 20 Stunden. Die folgende , sehr langsame Aushärtung – je nach Brenntemperatur bis zu sieben Tage – erlaubt in dieser Zeitspanne eine Bearbeitung wie beim Holzschnitzen. Im Endzustand erreicht der Estrichgips den Härtegrad 3, wie Marmor. Mit dem Auftrag von grösseren Portionen wird die Grobform modelliert und die definitive Gestaltung mit Holzschnitzeisen (hohl- und flachgerundete Eisen, Geissfuss) herausgearbeitet (s. Abb. IV.2.5.29). Faszinierend ist, dass dieses Putzmaterial al fresco bemalt werden kann. Denn der gebrannte Kalkanteil wird beim Ansetzen des Estrichgips mit Wasser zu Calciumhydroxid gelöscht und durch Aufnahme des Kohlendioxids (CO2) in Calciumcarbonat umgewandelt. Gleichzeitig werden die al fresco aufgetragenen Farben durch die Karbonatisierung des Kalkanteils miteingebunden. Allerdings bietet der geringe Anteil von Calciumhydroxid keine optimale Abbindunge der Farben. Freskomalerei – Man zählt eine Malerei zu den Fresken oder zum  Fresco buono, wenn der wesentliche bzw. überwiegende Teil flüssiger Farbe auf frischen, aber bereits druckfesten → Kalkputz aufgetragen wurde. Nur unter dieser Voraussetzung können die Pigmente bei der → Carbonatisierung des → Intonacos fest in die Putzoberfläche eingebunden werden. → al fresco Gefach – Als Gefach bezeichnet man den Raum zwischen den die Wandflächen bildenden Balken bei Fachwerkbauten. Die Füllung dieser durch Holzbalken begrenzten Räume wird als «Ausfachung» bezeichnet. Gewebeknäuel – Jute oder anderes grobes Gewebe zum Abrieb der knapp druckfesten Putzoberfläche. Diese Oberflächengestaltung wurde vor allem für → Einschichtputze auf Bruch- und Lesesteinmauerwerk angewendet. Giornata (Plural: Giornate) – Die Frischputzfläche, die der Freskant innerhalb eines Tages aufzieht und zu bemalen vermag, das sogenannte «Tagwerk». Gips (CaSO4) – Entsteht aus Gipsstein durch Wärmezugabe. Zu Details der Herstellung, Eigenschaften und Terminologie vgl. Albert Jornets Beitrag (S. 45 ff., Abschnitt 2.1.5).


Anhang

Grenoblezement (auch Romanzement). Ein hochhydraulisches Bindemittel aus stark tonhaltigem Kalkmergel. Natürlicher Zement, Verwendung hauptsächlich im 18. und 19. Jahrhundert, danach durch die Entwicklung des → Portlandzements weitgehend verdrängt. Grisaille – Monochrome, meist in grauer Farbe ausgeführte Hell-Dunkel-Malerei. Grisailledekoration – Monochrom in Hell-DunkelKontrasten ausgeführte Dekorationsmalerei. Grundputz → Arriccio. Hacklöcher – Eine fertig abgebundene Putzoberfläche wird mit Schlagwerkzeugen aufgeschlagen (gehackt), um frisch aufzutragenden Mörtelschichten eine bessere Haftung durch Formschlüssigkeit und eine vergrösserte Oberfläche zu ermöglichen. → Schlaglöcher Hämatit (Fe2O3) –Silbriges, graues oder rotes bis rotbraunes Mineral. Es gehört zur Mineralklasse der Oxide. Die Rotfärbung entsteht durch Korrosion aufgrund des hohen Eisenanteils. Heisskalk – Eine Mörtelart, bei der dem Sand schichtweise ungelöschter Stückkalk beigemischt wird. Durch die Beigabe von Wasser setzt der Löschvorgang mit der typischen Wärmeentwicklung ein und die Mörtelmischung wird «heiss». Die Applikation des Mörtels auf das Mauerwerk erfolgt noch im warmen Zustand. Hydraulischer Kalk (Wasserkalk) – Im Gegensatz zum → Luftkalk enthalten hydraulische Kalke ausser → Calciumcarbonat (reiner Kalkstein oder Dolomit) noch weitere Mineralien. Die darin enthaltenen hydraulisch reagierenden Stoffe, die sogenannten Hydraulefaktoren (Kieselsäure, → Tonerde und/oder Eisenoxid), erhärten durch Wasseraufnahme (Hydratation). Je grösser der Anteil an hydraulisch reagierenden Stoffen, desto weniger Kohlendioxid ist zur Erhärtung des Mörtels erforderlich. Hochhydraulische Kalke erhärten auch unter Wasser, ohne Kohlendioxid. Imitation (von → Tuffstein oder Rauwacke) – In ein dick appliziertes → Intonaco, das mit der Kelle angeworfen und rau abgezogen wurde, werden mit dem → Nagelbrett Löcher gestupft. Die Putzstruktur ist bereits in hochgotischer Zeit belegt. Die (häufigen) Nachweise beziehen sich auf Fassadengestaltungen, die Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden. Beispiele des 18. Jahrhunderts sind spärlich, bei den später ausgeführten Beispielen an Schlössern handelt es sich meist um Rekonstruktionen barocker Vorbilder. Imitation (von Werkspuren) – Mit Mörtelverputzen imitierte Werksteinfassaden; typische Werkspuren von Steinmetzwerkzeugen (gekämmt, gestockt, gehackt oder scharriert) sind nachgeahmt. Höhepunkt im Strukturieren von Putzen. Die ersten Putzbearbeitungen finden sich im 15. Jahrhundert in mehreren spätgotischen Hallenkirchen, die im Kanton Graubünden von Voralberger Baumeistern (u.a. Balthasar Bilgeri, Andreas Bühler) und vom Osttiroler Steffan Klain geschaffen wurden. An Gewölberippen, Triumphbogen und Diensten finden sich dünne, schlämmenartige Putzüberzüge, in denen Steinmetzspuren imitiert sind. Diese Architekturelemente sind entsprechend

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der Tradition grau, teilweise gelb gefasst. Beil, Spachtel und Hämmerchen mit Schneidflächen sind weitere Instrumente, mit denen → Intonaco-Oberflächen im 17. bis 18. Jahrhundert strukturiert wurden. Inkrustation – Einlegearbeit in Wänden und Fussböden, insbesondere von Stein in Stein. Intagliotechnik – Eine Spielart des → Sgraffito. Die Zeichnung wird in die gekalkte Oberfläche geritzt oder geschabt, bis die sich darunter befindlichen naturfarbenen oder eingefärbten Mörtellagen zum Vorschein kommen. Intonaco – Begriff ursprünglich aus der → Freskomalerei. Ein ein- oder mehrschichtig auf das → Arriccio aufgebrachter Bild- oder Malschichtträgerputz. Die Bezeichnung «Feinputz» ist insofern irreführend, als dass dem Intonaco zur Vermeidung von → Schwundrissen auch gröbere Korngrössen beigemengt sein können. Der farb- bzw. bildtragende Putz wird auch dann als Intonaco bezeichnet, wenn bei einem → Einschichtputz die Unterscheidung zwischen Intonaco und Arriccio entfällt. → Mehrschichtputz Intonacoabrieb – Zur besseren Verbindung von Farbe und Mörtel wurde die beim Abbindeprozess auf der Putzberfläche entstehende → Sinterschicht (Sinterhaut) aufgeraut. War der Mörtel beim anschliessenden Nassauftrag der Farbschicht noch zu frisch, führte dies zum Aufreissen der Oberfläche durch den Pinselzug. Die Farbe musste aufgelegt werden können. Kalk (CaCO3) – Bezeichnung für das in der Natur weit verbreitete → Calciumcarbonat (Kalkstein) sowie die daraus durch Brennen und Löschen gewonnenen Produkte. Kalkfarbe → Kalkschlämme Kalkglätte – Spachtelmasse auf Kalkbasis, die vor allem zur Renovation historischer Verputze an Aussenwänden / im Aussenraum verwendet wird. Sie kann aber auch im Innenraum zum Einsatz kommen. Kalkkaseinmalerei – Wandmalereitechnik, die die → Freskomalerei ablöste. Bei der Kalkkaseinmalerei wird das → Kasein mit dem basischen → Sumpfkalk aufgeschlossen. Es entsteht die sogenannte, im abgebundenen Zustand wasserunlösliche, Kalkseife. Farbpigmente werden sowohl vom Kasein als auch vom carbonatisierten Kalk gebunden. Kalkmalereitechnik – Auf den frisch genässten oder noch baufeuchten Mörtel wird eine Tünche von → Löschkalk aufgestrichen. In die Tünche malt man nass in nass. Die Farben sind in Wasser, Kalksinterwasser oder Kalkmilch angesetzt bzw. «gesumpft». Kalkmalerei wirkt stumpfer und kompakter als → Freskomalerei. Kalkputz – Mineralischer Putz, der traditionell verarbeitet ausschliesslich mit → Luftkalk als Bindemittel (Zuschlagsstoffe Sand und Wasser) hergestellt wird. Er ist nicht hydraulisch, das heisst, er bindet nur an der Luft und nicht unter Wasser ab. Reiner Kalkputz benötigt zur Aushärtung mehrere Monate bis Jahre. Kalkputz ist feuchtigkeitsregulierend. Er kann mit einem Kalkanstrich versehen oder durch Zugabe geringer Mengen kalkechter Pigmente eingefärbt werden. Kalkschieferstein – In Chur «Scalärastein» nach dem Abbauort im Scalära-Tobel genannt. Kalkschiefer

sind in grosser Erdtiefe in ihrer Struktur thermisch umgeformte (metamorphe) Kalksteine. Kalkschlämme – Entsteht durch die Verdünnung von → Sumpfkalk. Bei starker Verdünnung entsteht → Kalkfarbe (breiige Konsistenz). Kasein – Eiweissbestandteil der Milch und Bindemittel für Anstrichfarbe (→ Kaseinmalerei). Kaseinmalerei (auch Leimmalerei) – Für Mauerwerk gut geeignete alte Technik, die mit wasserlöslichen Bindemitteln, tierischen oder pflanzlichen Leimen sowie → Kasein arbeitet. Zu deren Lösung muss das Kasein zunächst mit Laugen aufgeschlossen werden. Die Farbpigmente werden dann in Kasein gebunden. Der Auftrag erfolgt im Gegensatz zur → Freskomalerei auf trockenem Untergrund (al secco). → Seccotechnik Keimmalerei (Keimtechnik, auch Silikatmalerei) – Wandmalereitechnik, die hinsichtlich Haltbarkeit und künstlerischer Vielseitigkeit der → Freskomalerei ähnelt und sie nördlich der Alpen ersetzen konnte. Eingesetzt seit dem 17. Jahrhundert; zur industriellen Anwendung entwickelt Ende des 19. Jahrhunderts durch Adolf Wilhelm Keim. Kieselwurf → Rieselwurf Klosterputz (auch Engadinerputz) – Ein → Einschichtputz. Korngrössenverteilung → Sieblinie Kratzputz – Beim Kratzputz besteht der Zuschlag der oberen Putzschicht aus grobem Korn. Nach dem → Abbinden wird mittels eines → Nagelbrettes (oder eines groben Sägeblatts) die Putzoberfläche bearbeitet, wobei das aussen liegende Korn ausgekratzt wird. Lehmbestrich – Ausgleichsschicht auf Lehmbasis, die alternativ zu Kalktünche, Gips- und Kalkmörtel verwendet werden kann. Lehmmörtel/Lehmputz-Mischungen aus Lehm (Ton) und Sand; pflanzliche Fasern können als Zuschlagslatte verwendet werden. Lehmstampfmörtel – Mit Strohhäcksel oder Holzspänen und Sand / Kies gemagerter Lehm wird in eine Schalung eingebracht und mit den Füssen oder Stampfstöcken gestampft, wodurch sich das Volumen verringert und die Dichte zunimmt. → Pisé-Bauten Löschkalk – Branntkalk wird durch Zufuhr von Wasser (unter grosser Hitzeentwicklung) verarbeitbar. Diesen Vorgang bezeichnet man als Löschen. Dieser Prozess kann auch durch die Aufnahme von Feuchtigkeit aus der Luft stattfinden. Man spricht dann von unkontrollierter Löschung. Gelöschter Kalk (auch → Weisskalkhydrat) ist → Calciumhydroxid [Ca(OH)2]. Luftkalk (auch → Sumpfkalk, → Weisskalk, Fettkalk) – Aus petrografisch reinem Kalkstein (Marmor) hergestelltes Bindemittel ohne hydraulische Eigenschaften. Bindet durch Aufnahme von CO2 aus der Luft und unter Wasserabgabe an die Umgebung ab. Marmorino – Mehrschichtiger, teils mit Ziegelsplitt durchgefärbter Verputz, der durch Feinstabrieb bzw. intensive Glättung die seidig glänzende Wirkung von polychromem Marmor bekommt. Mehrschichtputz (historischer M., Freskoputz) – Auf dem Ausgleichsputz (→ Arriccio) liegt das ein- bis mehrschichtige → Intonaco (Oberoder Feinputz).




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