Kunst+Material Das Magazin von boesner
Januar/Februar 2025 Schutzgebühr 7,– EUR/CHF | ISSN 1868-7946
Idee, Gestaltung, Fotografie: Ina Riepe
Editorial | 3
Viel Glück im neuen Jahr!
Liebe Leserin, lieber Leser, Schmetterlinge gelten in vielen Kulturen als Glücksbringer. Ein zauberhafter Brauch existiert zum Beispiel auf Hawaii: Dort vertraut man den schwerelos-zarten, farbenfroh durch die Lüfte gaukelnden Wesen Herzenswünsche an, damit sie mit lautlosem Flügelschlag in den Himmel getragen werden und in Erfüllung gehen mögen … In der Kunst stehen Schmetterlinge zudem für einen Neuanfang, für Wandel und Vergänglichkeit. Der spanische Künstler Jorge Rando hat ihnen einen umfassenden Werkzyklus gewidmet: Seine Mariposas sind für ihn Symbol der Hoffnung und Indikatoren einer zumindest partiell intakten Natur. Randos Jahrzehnte umspannendes Gesamtwerk geht jedoch weit darüber hinaus und ist in thematischen Zyklen geprägt von tief empfundenem Humanismus und Spiritualität, die nicht zuletzt in der Gedankenwelt der deutschen Philosophie wurzeln. In den letzten Jahren stand der Künstler für gewöhnlich nicht für Interviewanfragen zur Verfügung, und daher freuen wir uns besonders, dass Jorge Rando seinem Porträt in Kunst+Material zugestimmt und persönlich unserem Autor Jorge Luis Maeso Madroñero die Türen seines Ateliers und des ihm gewidmeten Museums in Málaga geöffnet hat. Schon im Barock waren Kunst und Forschung von den zahllosen Schmetterlingsarten fasziniert. Unter den Künstler*innen ist Maria Sibylla Merian heute für ihre Betrachtungen berühmt, denn sie reiste bis nach Surinam, um sie zu erforschen. Bis dato weniger bekannt war Rachel Ruysch aus Amsterdam – doch eine fulminante Ausstellung zu ihren Ehren in der Alten Pinakothek in München ändert dies jetzt grundlegend. Susanna Partsch widmet aus diesem Anlass der Naturforscherin, die ganz besondere Blumen- und Fruchtstillleben malte (und dabei auch unscheinbare Naturbewohner nie vergaß) ihr Sonderthema „Kunst und Wissenschaft“ und fördert Erstaunliches zutage. Selbstverständlich bietet die neue Ausgabe wieder spannende Themen, die zu eigenem Schaffen inspirieren und über Materialien und Techniken informieren. Darüber hinaus gibt es auch in der ersten Ausgabe des Jahres wieder viele Hinweise auf sehenswerte Ausstellungen und Empfehlungen für interessante Bücher. Und natürlich darf an dieser Stelle ein Neujahrsgruß nicht fehlen: Wir wünschen Ihnen viel Lesevergnügen und von Herzen alles Gute für 2025 – damit auch Ihre Wünsche für das neue Jahr ihren Weg zur Erfüllung finden, vielleicht getragen von unseren ersten Schmetterlingen des Jahres!
Ihre Sabine Burbaum-Machert
6
34
68
Inhalt | 5
Porträt 6–21
Bücher
„Quiero pintar la vida – Ich will das Leben malen“ Der spanische Künstler Jorge Rando
54–63 91
Labor
Thema
22
22–33
64–65
Kunst und Wissenschaft Die Blumenmalerin Rachel Ruysch und ihre naturwissenschaftlichen Beobachtungen
Sicher hinter Glas Stephanie Brysch arbeitet mit alten Comicheften und Büchern
Hintergrund 44–47
49
76
68–73
Einblicke in Seelenwelten Yoshitomo Nara in Baden-Baden
73–75
Die Gestalt des Absurden Erwin Wurm in der Albertina Modern
76-81
Eingefangene Momente Medardo Rosso im Mumok in Wien
82–85
Meistererzähler mit dem Pinsel Vittore Carpaccio und Giovanni Bellini in der Staatsgalerie Stuttgart
85–90
Termine
92–93
Kurz notiert
94–95
Im Gespräch
96
Vorschau, Impressum
Malerei von Format
Persönlich 42–43
Struktur und Wirkung
Ausstellungen
Inspiration 34–41
Bücher, Buchtipps Kunst+Material im Abonnement
Das Körnchen Wahrheit War Jan van Eyck der Erfinder der Ölfarbe?
Technik 49–53
Mit malerischem Effekt
Titel: Jorge Rando, O.T., Zyklus Finsternis, 2019, Öl auf Leinwand, 150 x 110, © Jorge Rando, Foto: Fundación Jorge Rando.
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„Quiero pintar la vida – Ich will das Leben malen“ Der spanische Künstler Jorge Rando
Ein Dezembertag, der zu früher Stunde in Schattierungen von Grau gekleidet ist, sich später jedoch in strahlend blauem Gewand zeigen wird. Den Kragen der Jacke hochgeschlagen, da ein frischer Wind von Norden durch die Straßen eilt, führt der Weg in der Provinzhauptstadt Málaga, ein Stück entlang des Rio Guadalmedina, zu einem Treffen mit Jorge Rando. Der Künstler, derzeit in seinem Atelier in Málaga in intensiver Vorbereitung einer großen Ausstellung, nimmt sich die Zeit für dieses Treffen, obwohl er seit Jahren keinen Interviews oder persönlichen Presseanfragen zugestimmt hat. Üblicherweise finden solche Begegnungen in den Ateliers der Künstler statt. Hier ist es anders. Nach 30 Minuten Gehweg gelangt man von der Bahnstation Málaga Centro zur Calle Cruz del Molinillo 12. Neben dem sich in dieser Straßenzeile befindlichen Convento de las Mercedarias erblickt man im Gegensatz zu der in strahlendem Rot gefassten Fassade des Klosters ein einstöckiges, weiß gekalktes Gebäude.
[1] © Jorge Rando, Foto: Fundación Jorge Rando.
Ein schmales, hohes Fenster, seitlich eine Glastür, beides in Summe kleinflächiger als so manches Schaufenster der Geschäfte nebenan, bilden den Eingang. Ein unaufdringlicher Schriftzug rechts der Eingangstür deutet auf das hin, was sich hinter der unscheinbaren Hausfront verbirgt: „Museum Jorge Rando“. Hier findet die Begegnung mit dem Maler und Bildhauer Jorge Rando statt. Jorge Rando ist wie Pablo Picasso ein Sohn der Stadt. Beiden wurden in Málaga eigene Museen gewidmet. So schlicht und dezent sich die Fassade des Museum Jorge Rando darstellt, so großzügig, gradlinig und unaufdringlich ist die moderne Architektur, die sich beim Eintritt eröffnet und auf verschiedenen Ebenen in mehreren Sälen das Werk des Künstlers beherbergt. Dabei sind die zum Museumskomplex gehörenden Gebäudeanteile annähernd um einen Innenhof gruppiert, in dem sich ein großer,
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bejahrter, grün belaubter Mandarinenbaum befindet, der zu dieser Jahreszeit einige orange leuchtende Früchte trägt. Nicht so süß wie erwartet, aber wohlschmeckend. „Der Baum ist über 100 Jahre alt und somit einer der ältesten Mandarinenbäume in ganz Málaga“ wird Rando später beim Rundgang mit einem Lächeln berichten. Verbundenheit ist zu spüren. Nach einer ersten Orientierung in dem vor drei Jahren erweiterten Museumsbau, begleitet von der Museumsdirektorin Vanesa Diez Barriuso, dann die herzliche Begrüßung durch den Künstler. Ganz in Schwarz gekleidet mit breitkrempigem, dunkelbraunem Hut, in stimmigem Kontrast zu den weißen Wänden, ist es der freundliche Gesichtsausdruck von Jorge Rando, der den Besucher willkommen heißt. Dieses Gefühl nimmt man schon beim Betreten des Museums wahr. In allen Räumen verleiht nicht nur das Sichtbare, sondern auch das dem Auge Verborgene dem Ausdruck, was die künstlerische Botschaft von Jorge Rando ausmacht.
Jorge Sanchez, der Name, den er später durch den mütterlichen Namen Rando ersetzt, wurde 1941 in der südspanischen Stadt Málaga geboren. Kurz zuvor war die Familie aus dem Exil in Valencia, in das sie wie viele andere vor dem Einrücken der Truppen Francos floh, wieder zurückgekehrt. Aufgewachsen in einem Spanien, das, wie Deutschland, unter den Folgen eines Krieges, hier der spanische Bürgerkrieg, litt. Erzogen im katholischen Glauben, zu dem er sich ohne dogmatische Begrenzung bekennt, zeichnete er sich schon in frühen Jahren durch seine Fähigkeit aus, mit Wasserfarben und insbesondere schwarzer Tusche das auf kleinen Papieren festzuhalten, was sich um ihn herum abspielte. „... ein kleines Fässchen ‚tinta china‘ war das erste Zeichenmaterial, das ich als Geschenk in der Hand hielt.“ Überzeugt von seinen Arbeiten, rahmte seine Mutter diese Bildchen ein und verschenkte sie an Freunde und Familienmitglieder bei passender Gelegenheit. Tusche und Aquarell sind bis zum heutigen Tage wichtige Begleiter und erlangten, was in diesen frühen Jahren nicht abzusehen war, im reiferen künstlerischen Alter besondere Bedeutung. Jorge Rando, der studierte Philosoph (begonnen in Málaga, fortgesetzt an der Universität zu Köln), zeichnet sich durch Tiefgründigkeit der Gedanken aus – in erster Linie hinsichtlich dessen, was sich im Alltag vor seinen Augen abspielt und ihn tief bewegt: „Ich suche keine Motive, ich finde diese vor meiner Haustür“. Diese Suche nach dem, was sich hinter allem verbirgt, nach dem Wesen der Dinge, nach dem, was Ursprung und Folge ist, begann schon in frühem Kindesalter und setzte sich insbesondere im Rahmen seiner Studien im Seminar der Diözese Málaga fort. Die Entscheidung, dem Priesterseminar beizutreten, entsprang seinem tiefen Bedürfnis, für andere da zu sein, und wurde durch das Engagement der „Weißen Missionare“, der „Patres albi“ in Afrika, verstärkt. Während seiner theologischen und philosophischen Studien begegnete er im Besonderen den großen Denkern und Philosophen deutscher Herkunft. Kant, Hegel, Schlegel, aber auch Goethe, Schiller, Lessing, Novalis prägten dabei seine Gedanken. Dies war letztlich der Grund, weshalb er kurzum beschloss, Spanien, das ihm
[2] O.T., Zyklus Prostitución, 2009, Öl auf Leinwand, 175 x 175 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madrońero.
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[3] O.T., Zyklus Afrika, 1983, Öl auf Holz, 122 x 122 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madroñero.
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[4] O.T., Zyklus Pasión de Käthe Kollwitz, 1998, Öl auf Leinwand, 175 x 175 cm, © Jorge Rando, Foto: Fundación Jorge Rando.
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Köln, insbesondere die Altstadt, war zur damaligen Zeit nicht der pittoreske Ort, wie man ihn heute kennt, sondern ein Ort, der noch deutlich von den Folgen des letzten Krieges gezeichnet war. Die Menschen, denen er dort begegnete und jene, mit denen er in engster Nachbarschaft wohnte, waren unter anderem die, die am Rande der Gesellschaft lebten: Migranten, Obdachlose, Prostituierte. Er selbst bewohnte zunächst ein Achtbettzimmer im Kolpinghaus und siedelte später in die Altstadt um. Bildnerische Darstellungen, Aquarelle und Tuschezeichnungen aus dieser frühen Zeit in Köln existieren nicht mehr. Die ersten erhaltenen Zeugnisse entstanden später, als er sich aufgrund seiner Einnahmen im Gastronomiewesen und als Fabrikarbeiter (hier erlernte er auch die Tätigkeit als Schweißer) ein Atelier leisten konnte.
wie ein zu enges Korsett vorkam, den Rücken zu kehren. Noch nicht volljährig, machte er sich, ohne jemanden zu informieren und nur mit einer Tasche als Gepäck, auf den Weg nach Deutschland – in das Land der Denker und Philosophen, die insbesondere für die geistige Freiheit der Kunst gekämpft hatten. An einem Wintertag des Jahres 1960 entstieg Rando einem aus Spanien kommenden Zug in Köln, wobei nur geplant war, sich den Kölner Dom anzuschauen, da er weiter nach Hamburg reisen wollte („... wie Málaga, eine Stadt am Wasser“). Er verpasste jedoch die Weiterfahrt und verbrachte die ersten Nächte, nur dürftig von einem kanariengelben, von seiner Mutter gestrickten Pullover gewärmt, auf einer Bahnhofstoilette. Dieses unerwartete Stranden war schicksalhaft und prägte sein weiteres Leben, da er in Köln blieb.
In den Werken, die jener Zeit entsprangen, fanden sich insbesondere die Menschen, denen er täglich begegnete, die auf der Straße lebten oder dort ihren Unterhalt bestritten – Zyklus Clochard, Zyklus Prostitución [2]. Ölbilder, gemalt mit grobem Pinsel- und Spachtelduktus, in reinen Farben, Form und Farbe gleichberechtigt nebeneinander und nicht das wiedergebend, was der Künstler sah, sondern das, was er empfand. Es sind das Aufbegehren gegen den Verlust menschlicher Würde und das Bestreben, jenen, die unter diesen Umständen leben, eine Stimme zu verleihen, die in diesen eindrücklichen Zeugnissen sichtbar werden. Die einzelnen Arbeiten sind nicht tituliert, etwas, das Rando bis zum heutigen Tage beibehalten hat. Er vertritt die Überzeugung, dass nur derjenige, der das Erschaffene betrachtet und mit diesem in einen inneren Dialog tritt, die Essenz dessen wahrnehmen kann, was das Gemälde ausmacht, seinen Geist, sein Wesen. Somit wäre ein eindeutiger Titel nur ein eindimensionaler Zugang zu dem, was man sieht, und daher eine unzulässige Beeinflussung, da es so viele Wahrheiten wie Betrachter gibt. „Wenn ich ein Bild fertiggestellt habe, entlasse ich es in die Welt. Es gehört mir nicht mehr, sondern demjenigen, der es gerade betrachtet.“ Dennoch lassen sich Zyklen benennen, deren Ausarbeitung durchaus Jahrzehnte in Anspruch nehmen kann. Arbeiten, die thematisch immer
[5] O.T., Zyklus Maternidades, 2006, Öl auf Leinwand, 162 x 130 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madroñero.
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wieder aufgegriffen werden, da im Geist des Künstlers der zugrundeliegende Aspekt weiterlebt, sich weiterentwickelt, neue Sichtweisen anmahnt, um dann als Gemälde oder Skulptur seine Empfindungen sichtbar zu machen. So entstehen während seiner Zeit in Deutschland, die bis zur Rückkehr von ihm und seiner Ehefrau Margit nach Spanien Anfang der 1980er-Jahre andauerte, große Zyklen wie der Afrika-Zyklus [3]. Diese Arbeit, die sich über mehr als zwei Dekaden hinzieht, weist von den Anfängen bis zu den späteren Gemälden die deutliche künstlerische Entwicklung der Handschrift Randos auf. Die Farbgebung, die figurative Darstellung, die Komposition ordnet sich dem Kumulationspunkt seiner von Humanismus und Spiritualität geprägten Gedanken unter, die für Rando gleichsam die Säulen sind, auf denen sein künstlerisches Werk ruht. Die Gemälde zeigen eine zunehmende Kompression auf das elementare Thema. In kräftigen Farben, mit Betonung der Bandbreite gelber Farbtöne und kühner, spontaner Pinselführung, akzentuiert auf das Wesentliche spürt der Betrachter der Bilder das, was Rando im Akt der Kreation empfunden hat. Es sind erschütternde Zeugnisse der unter Krieg, Hunger und Tod leidenden Menschen. So wie in diesen beeindruckenden Momentaufnahmen liegt in seinem gesamten künstlerischen Werk jedoch keine Denunziation oder Anklage vor: Rando stellt vielmehr Tatsachen dar und verweist darauf, dass er aufzeigt, hinweist, ermahnt, aber nicht urteilt. Er baut auf den Dialog dieser Bilder mit dem Betrachter, der dann seine eigenen persönlichen Schlüsse zieht. Wichtig ist es ihm, darüber hinaus zu betonen, dass ungeachtet des sichtbaren Leids die Hoffnung niemals verloren ist – auch wenn dies oftmals schwierig erscheint. Es ist auch die Zeit der Begegnung mit den Werken anderer sozial und politisch denkender und arbeitender Künstlerinnen und Künstler, wie Käthe Kollwitz (1867–1945) oder Ernst Barlach (1870–1938), beide geprägt von tiefem Humanismus. Die enge geistige Verbindung und die gemeinsamen Blickweisen auf die Welt mündeten im Falle von Ernst Barlach 2016 in Doppelausstellungen in Ratzeburg und Hamburg-Wedel und 2017 im Museum Jorge Rando in Málaga. Beiden Künstlern war und ist es ein tiefes inneres Bedürfnis, in ihren Werken der Menschlichkeit den Vorrang zu geben, auch wenn sie wahrnehmen, dass dies in der Welt, in der sie leben, oftmals nicht der Fall ist. Entfremdung, Entmenschlichung, Verlust geistiger und spiritueller Orientierung sind in den jeweiligen Werken Themen, die dem Betrachter wie ein Spiegel vor Augen geführt werden. Diese Gemeinsamkeiten der beiden Künstler, die annähernd ein Jahrhundert trennt, veranlasste die Ernst Barlach Gesellschaft dazu, Jorge Rando 2016 den renommierten Ernst Barlach Preis zu verleihen.
In der 1998 erschaffenen Passion von Käthe Kollwitz [4] wiederum zeigt sich in den sieben großformatigen Ölbildern mit Eindringlichkeit der unverkennbare Respekt vor dieser expressionistischen Künstlerin und ihrem Leben und Werk. Durch die spärliche Verwendung von nur fünf Farben und der mit grobem Pinselstrich auch nur grob umrissenen Figuren wird eine Intensität des Gedankenflusses erzeugt, den jeder für sich selbst entdecken und deuten muss. Zurückgekehrt nach Spanien, verschließt Rando sich zunächst jeglicher künstlerischer Außendarstellung und zieht sich in seine Ateliers in der Stadt Málaga und auf dem Land zurück. Es sind Jahre der Introspektion, der gedanklichen Sortierung. Ein Innehalten, ein Weiterentwickeln und Voranschreiten jener Gedanken hinsichtlich der Grundprinzipien der Entstehung kreativer Gedankenprozesse und der sich hieraus ergebenden Konsequenzen. Insbesondere kristallisieren sich in dieser Zeit die Prinzipien heraus, welche die Grundpfeiler seiner künstlerischen Tätigkeit sind: Humanismus und Spiritualität. Letztere nicht im Sinne einer religiösen Spiritualität, sondern einer universellen, glaubensunabhängigen Gedankenwelt, die als Mittler zwischen dem Verstand und den geistigen Elementen, die allen Dingen immanent sind und von denen sie abhängen, angesehen werden sollte. Diese sich im Laufe der Jahre weiterentwickelnden Gedanken fasste Rando in seinem 2016 veröffentlichten „Manifest – Zeitgenössisches Testament der Künste“ zusammen: Ein glühendes Plädoyer für die Freiheit der Künstler und der Kunst. Ein Appell zur Wiedererstarkung des Humanismus und der Spiritualität in der Kunst, aber ebenso ein Aufruf gegen die aus Randos Sicht unsägliche Kommerzialisierung des Kunstmarktes. Während des Rundgangs durch das Museum kommen diese für Rando zentralen Positionen zur Sprache und dementsprechend ebenfalls der Wille, für diese Anliegen weiter einzustehen, deutlich zum Ausdruck. Anfang der Achtzigerjahre zeigten sich neue künstlerische Ausdrucksformen amerikanischer und europäischer Gruppen, hierbei vor allem deutscher Künstler, die einen Gegenpol zu den vorherrschenden Stilrichtungen des Minimalismus sowie des Konzeptualismus darstellten (Junge Wilde, Arte Cifra, New Image Painting). Im Anschluss an die 1981 in der Royal Academy in London gezeigte Ausstellung „A New Spirit in Paintings“ wurde diese dort sichtbare Strömung Neo-Expressionismus benannt. Vergleicht man die Werke dieser Gruppen unter Einbeziehung der Arbeiten von Jorge Rando, so stellt man fest, dass für Rando dieser scheinbar neue Weg kein neuer war, sondern in seinen Bildern schon immer die konsequente Art gewesen ist, sich künstlerisch auszudrücken. Ab den Achtzigerjahren nahm er vorab begonnene Zyklen wieder auf und interpretierte sie neu. So wird der Zyklus Maternidades [Mutterschaft] [5], der die grenzenlose Liebe der Mütter zu ihren
[6] O.T., Zyklus Pasión, 2005–2007, Öl auf Leinwand, 230 x 320 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madrońero.
Kindern als zentrales Thema hat und stellvertretend für die Liebe als solche steht, weiterentwickelt. „Alles wird von der Liebe bewegt. Deshalb ist die Schöpfung ohne Liebe nur Farbe ohne Seele.“ Gleichermaßen drängte es Rando, die 1998 begonnene Serie religiöser Gemälde Pintura religiosa erneut aufzugreifen. Vor allem in der Pasión [6] (2005–2007) entstanden überwiegend großformatige Ölbilder, die die Leidensgeschichte stellvertretend für das Leid in der Welt thematisieren. Es sind nur wenige Farben, vorzugsweise Grün und Magenta, und nur mit grobem Pinselstrich schwarz skizzierte Umrisse der Beteiligten, die die kollektive Ver-
höhnung und Demütigung, Leid, Schmerz und Tod darstellen („Diese Passion findet jeden Tag tausendfach auf der Welt statt“). Randos Botschaft endet gleichwohl nicht an diesem Punkt, sondern leitet direkt über zu dem, was sein eigentliches Ansinnen ist: Hoffnung. Diese Bilderserie soll über alle Glaubens- und Denkrichtungen hinweg genau dies vermitteln, betont der Künstler während der gemeinsamen Betrachtung der Gemälde. Es war insbesondere auch eine Zeit, in der ebenso neue Werkgruppen erschaffen wurden und sich großformatige Bilderserien
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zeigten, welche die Farbe als Protagonistin seiner Werke erkoren: El nacimiento del color [Die Geburt der Farbe], Paisajes [Landschaften], Horizontes verticales [Vertikale Horizonte]. Aber auch die in Naturalezas [Natürlichkeit] [7] dargestellten menschlichen Figuren in ihrer natürlichen Schönheit, figurativ oder in größter Dichte abstrahiert und umrahmt von stilisierter, gleichsam entblößter farbenprächtiger Natur, stehen bildlich für diese kraftvoll nach außen strebende, dynamische und lebensbejahende neue Darstellung.
Überwogen bis dahin figurativ expressionistische Elemente, so ging Rando zeitweilig den Weg der Abstraktion, um seinen Gefühlen während des Schaffensprozesses eine andere Form des Ausdrucks zu verleihen. In den um 90 Grad gedrehten Horizonten von Horizontes verticales [8], die symbolisch die Erde mit dem Himmel verbinden, insbesondere aber in den explosiv schillernden Farbkompositionen von El nacimiento del color [9] wird die Farbe eindeutig zum bestimmenden Element, das sich mit Wucht der Welt offenbart. Die Farbe ist dabei für Rando nicht nur ein
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Baustein in der Komposition, sondern elementarer Teil des Gemäldes. So wie für die Expressionisten Anfang des 20. Jahrhunderts ist es auch für ihn von immenser Bedeutung, die Farbe von all ihren Fesseln zu befreien und sie keinen erneuten Codices oder Dogmen zu unterwerfen. „Farbe hat keine spezifische Bedeutung“, wie er beim gemeinsamen Rundgang durch das Museum erläutert. „Die Hoffnung kann man in Grün, aber auch in Schwarz darstellen.“ Entscheidend für Rando ist, sich während des Schaffensprozesses dem hinzugeben, was aus seiner Sicht das Gemälde selbst verlangt. „Ich suche nicht die Farben. Die Farben suchen mich.“ Worte, die zunächst abstrakt klingen, aber angesichts dessen, was sich dem Betrachter eröffnet, durchaus plausibel erscheinen. Für Rando ist die Abstraktion kein eigenständiger Weg innerhalb des Expressionismus. Es ist nur ein „Weg des Hin und Zurück“, eine weitere Form in der großen Palette der Ausdrucksmöglichkeiten. Aus diesem Grund ist der Begriff des abstrakten Expressionismus als eigene Richtung für ihn nicht korrekt, sondern vielmehr bedeutungslos und überflüssig. In den folgenden Jahren kehrt Rando immer wieder zu dieser Darstellungsart zurück, ohne dass sich diese oder eine andere Ausdrucksform als dominant erweist. Es kommt hingegen zu Vermischungen, die den Werken einen symbiotischen Charakter verleihen und je nach Betonung den Fokus unterschiedlich ausrichten. Es ist das immerwährende Bestreben, seine Gedanken und Empfindungen auf die bestmögliche Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, sei es abstrakt oder eben nicht. So wie Form und Farbe sich der Fesseln des Akademismus entledigt haben, sind ebenso die Freiheit der Ausdrucksform und deren gelegentlicher Wechsel entscheidende Elemente seines künstlerischen Werks. Aquarell- und Tuschezeichnungen sind Randos ständige Begleiter. Ob bei seinen Miniaturen oder den Hamburger Heften spielen sie eine ebenso wichtige Rolle wie das Zeichnen selbst, das für Rando eine Grundvoraussetzung jeder künstlerischen Tätigkeit ist. In ihnen zeigt sich die große Fertigkeit, das Wesen dessen, was dargestellt wird, mit wenigen Akzenten zum Vorschein zu bringen. Andeutung, Vereinfachung, Reduktion auf das Wesentliche sind die Merkmale dieser Werke. Mit sichtbar schnellen, nicht unterbrochenen Pinsel- oder Tuschestrichen, behutsam koloriert, ist die spirituelle Potenz deutlich zu spüren. In diesen Arbeiten erahnt man die geistige Verbindung zur jahrhundertealten chinesischen Tuschemalerei, ohne diese zu kopieren, da Randos Tusche- und Aquarellbilder eindeutig eine andere, eine mediterrane Handschrift aufweisen. 2018 kam es auf Initiative spanischer und chinesischer Stellen zu einer gemeinsamen Ausstellung mit einem der bekanntesten chinesischen Künstler der Neuzeit, Qi Baishi (1864–1957), im Museum
Rando. In dieser Begegnung standen Werke von Qi Baishi, die zuvor China niemals verlassen hatten, neben Werken von Jorge Rando und offenbarten die bildnerische und spirituelle Gemeinsamkeit beider Künstler. Aufgrund des großen Erfolgs erfolgte dann 2019 eine große Einzelausstellung von Randos Werken im Qi Baishi Memorial Museum in Xiangtang. Weitere Einzelausstellungen im Sichuan Art Museum (Chengdu), Shenzen Art Museum (Shenzen) und Xuzhou Art Museum (Xuzhou) folgten bis dato. Diese direkte Begegnung mit den Werken von Qi Baishi, insbesondere nach dem Besuch in Xiangtang, inspirierten Rando zu einem neuen Werkzyklus, an dem er auch aktuell weiterarbeitet: Mariposas [Schmetterlinge]. Dieser Zyklus umfasst derzeit fünf Teilzyklen (Mariposas, Finsternis, Pinturas sucias [Schmutzige Gemälde], Donde estan las Auroras? [Wo ist die Morgenröte?], Descendit ad inferos [Hinabgestiegen in das Reich des Todes]), sowie eine anknüpfende Folge von Gemälden, die mit Despedida de Mis mariposas [Verabschiedung von Meinen Schmetterlingen] tituliert ist. Wie schon von Susanna Partsch in der Mai/Juni-Ausgabe von Kunst+Material eingehend erläutert, tauchen Schmetterlinge in der Kunst immer wieder auf, wobei sie eher eine – wenn auch bedeutende – Nebenrolle einnehmen. Anders bei Rando: Hier sind sie die Protagonisten, die sich uns offenbaren. Warum Schmetterlinge? Diese zarten, zierlichen, lautlosen, farbenprächtigen Geschöpfe rufen in ihm zunächst nach eigenem Bekunden „überschwängliche Freude“ hervor. Sie sind aber gleichermaßen Indikatoren für die zumindest punktuell intakte Natur, „denn dort, wo sie sind, kann man noch atmen und sie machen uns darauf aufmerksam, dass noch Zeit ist, die Natur zu retten und gleichzeitig auch uns selbst, da auch wir Teil der Natur sind.“ Dieser Gedanke, untrennbarer Teil der Natur zu sein, mit all den sich daraus ergebenden Konsequenzen, kommt bei den Mariposas deutlich zum Ausdruck, findet sich aber über die Jahrzehnte seiner künstlerischen Tätigkeit immer wieder, beispielhaft in Paisajes. Im initialen Teilzyklus Mariposas [10] erstrahlen die Geschöpfe im Licht des Sommers, getragen vom sanften Wind, in farbenprächtigem Gewand vor einer lebendigen und intakten natürlichen Kulisse. Ihr Flug erscheint schwerelos, gleichsam schwebend – so, als ob sie innehielten, um uns diesen Moment besonders ans zu Herz legen. Es ist die filigran in Tusche, später ebenfalls in Öl ausgeführte Pinselführung, die den Leib und die Extremitäten dieser zarten Geschöpfe erschafft und in Verbindung mit der fast durscheinenden Koloration der Flügel ein Gefühl scheinbarer Leichtigkeit und Erhabenheit hervorruft. Dennoch weisen uns die geflügelten Boten ebenfalls auf das hin, was sich um uns herum abspielt und von elementarer Bedeutung für die Natur und somit auch für uns ist. Suchen die Geschöpfe im Teil-
[7] Bild li. u. re.: O.T., Zyklus Naturalezas, 2018, Öl auf Leinwand, 160 x 130 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madrońero.
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zyklus Donde estan las auroras aus Sorge davor, dass kein neuer Tag erwacht und keine Zukunft sich am Horizont abzeichnet, nach dem Licht der Morgenröte, so findet sich in einzelnen dieser Werke ein Wechsel zu dunkel kolorierten Boten vor grauem Hintergrund. Dies und die scheinbar orientierungslos flatternden Falter in den Pinturas sucias [11] deuten das an, was in Finsternis deutlich zum Ausdruck kommt. In Finsternis (Deutsch im Original), teilweise ergänzt um „... et tenebrae factae sunt per totam terram.“ [ „... und es wird Finsternis
über der ganzen Erde sein“], zeigen sich die Schmetterlinge im dunklen Gewand über scheinbar verbrannter, zerstörter, lebloser Erde, vor einem düsteren, unheilvoll wirkenden und schwarz bewölkten Hintergrund, oder sie schweben hilflos oberhalb von aufgetürmtem Klingendraht (s. Titelabbildung). Ein Herabsinken auf die Erde wird ihnen somit verwehrt, schneidet sie förmlich vom Grund ab. Hier weist Rando auf das hin, was in letzter Konsequenz unser aller Schicksal wäre, falls ein Umdenken nicht stattfindet: Der definitive Untergang. Es sind Gemälde, die sich dem bereitwilligen Betrachter offenbaren, ihn einladen, in einen
[8] O.T., Zyklus Horizontes verticales, 2001, Öl auf Leinwand, 130 x 161 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madrońero.
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Dialog zu treten und seine persönlichen Schlüsse aus dem zu ziehen, was in seinem Innersten als Ergebnis dieser gedanklichen Verbindung mit dem Gemälde resultiert – und im besten Fall zu adäquatem Handeln führt. Beeindruckende und zugleich bedrückende Zeitzeugen. Der bis dato letzte Teilzyklus trägt den lateinischen Titel Descendit ad inferos [Hinabgestiegen in das Reich des Todes]. Folgt man der Glaubenswelt und den philosophischen Gedanken Randos und postuliert, dass dies als Teilaussage des Apostolischen Glaubensbekenntnisses zu identifizieren sein könnte, so würde hier ebenfalls wieder Hoffnung spürbar sein, da im entsprechenden Abschnitt Folgendes zu lesen ist: „... tertia die resurrexit a mortuis, ascendit ad caelos“ – „... am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel“. Eine religiöse Botschaft vermittelt sich hier nicht zwingend. Es ist eher die über alle Denk- und Glaubensrichtungen hinweg reichende, ohne jegliches Dogma herauszuhörende Kunde, dass eines immer zu bewahren ist und nicht verloren gehen darf: Hoffnung – insbesondere, wenn man dem, was sich vor unseren Augen abspielt, Einhalt gebietet. In einem diesem Teilzyklus zugehörigen, imposanten Gemälde [12] zeigt sich auf einer Größe von 68 x 564 cm etwas, von dem man nicht annehmen würde, dass es sich um die Unterwelt handelt. Es sind im Wesentlichen Schattierungen von tiefem Schwarz bis zum lichten Grau, spärlich verwendetem Türkis, Rot und einem Hauch von Braun, die die Farbwelt wiedergeben und in Harmonie zu den nicht bearbeiteten Flächen stehen. Der untere Teil des Bildes zeigt Konglomerate ineinander verschlungener, sich auftürmender und nicht näher zu identifizierender Strukturen, die der Fantasie des Betrachters freien Raum geben, diese im Zusammenhang mit der Unterwelt zu deuten. Im mittleren und oberen Abschnitt erblickt man Schmetterlinge, zart ausgearbeitet mit teils transparent erscheinenden Flügeln. Ihre Flugrichtung weist nach oben, sich von den Strukturen des unteren Bildteils entfernend. Durch die großen, unbearbeiteten weißen Flächen des Malgrunds erstrahlt das Gemälde in einem harmonisch-angeneh-
[9] O.T., Zyklus El nacimiento del color, 2017, Öl auf Leinwand, 116 x 73 cm, © Jorge Rando, Foto: Fundación Jorge Rando.
men Licht, das wahrlich nicht an die Unterwelt erinnern lässt. Diese Bildkomposition steht für die Hoffnung, auch wenn der Ort des Geschehens dies so nicht unbedingt hergibt – ascendit ad caelos. „Der Tag, an dem ich die Hoffnung verliere, ist der Tag, an dem ich sterbe“. Mit diesem letzten Teilzyklus findet diese Pentalogie vorerst ihren Abschluss – dies jedoch nicht, ohne sich in Despedida de Mis mariposas von seinen Geschöpfen gebührend zu verabschieden. In groß- und kleinformatigen Ölgemälden und Aquarellen lässt Rando die Serie noch einmal Revue passieren und entlässt sie in die ihnen gebührende Freiheit. Konsequent weitergedacht stehen diese Gemälde jedoch nicht nur für die Sorge um das, was mit der Natur geschieht, sondern sie können ebenso als Allegorie auf unser eigenes Schicksal gedeutet werden, das von zunehmender Entmenschlichung und den sich hieraus ergebenden Konsequenzen bedroht ist. In seinem großen, über Jahrzehnte erschaffenen Werk darf die bildhauerische Tätigkeit Randos nicht unerwähnt bleiben, da sie durchgängig Teil seines künstlerischen Schaffens ist. Sie findet dann Verwendung, wenn die Zweidimensionalität von Leinwand und Papier nicht ausreicht, Randos Empfindungen zum Ausdruck zu bringen. Das Sichtbarmachen vermeidbarer menschlicher Tragödien und Schicksale, stellvertretend für die aus Randos Sicht zunehmende Entmenschlichung unserer Welt, oder Skulpturen und Objekte, die tiefe Einblicke in die Gedankenwelt des Künstlers erlauben, stehen hier im Blickpunkt. So ist den einzelnen Körpern einer Skulpturengruppe, die aus überlebensgroßen weißen, im Wesentlichen aus Perlit und Espartogras modellierten Figuren besteht und Flüchtlinge darstellt [13], die den gefährlichen Weg über das Meer gesucht haben, deren Ohnmacht und Verzweiflung anzusehen. Rando platziert sie vor einer ebenso weißen Wand, dem Betrachter den Rücken zuwendend, mit dem Kopf an der Wand angelehnt. Das eigene Unbehagen, die Ängste vor solcher Not – sowohl jener, die direkt vor
[10] O.T., Zyklus Mariposas, 2017, Mischtechnik, 23 x 8 cm, © Jorge Rando, Foto: Fundación Jorge Rando.
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Augen geführt wird, als auch jener, die ursächlich mit diesem Exodus in Verbindung steht – werden unmittelbar spürbar. Die weißen Körper verschmelzen scheinbar mit der weißen Wand und entschwinden unseren Augen und Gedanken. Wegschauen, verdrängen, vergessen. In dieser und vielen anderen Installationen ist der humanistische Geist Randos, sein Einstehen für die, die leiden, deutlich spürbar. Dieses seit Jahrzehnten immerwährende Aufzeigen, Hinweisen, Ermahnen gleicht dem Kampf des Ritters Don Quijote gegen Windmühlen – unermüdlich und unbeirrt.
Rando zählt zu den international renommiertesten und führenden spanischen Expressionisten. Dabei ist zu bemerken, dass auch aus Sicht Randos der Expressionismus sowie der Neo-Expressionismus keine künstlerischen Stilrichtungen, sondern breite, alle kreative Bereiche einschließende Strömungen sind, die in vielfältigster Art und Weise zum Ausdruck kommen – so wie dies auch Anfang des 20. Jahrhunderts der Fall war. Zu behaupten, dass dies ein Rückschritt in alte Denk- und Sehweisen ist, wäre dabei zu kurz gesprungen, da sich die heutigen künstlerischen Ausdrucksformen formal und gedanklich weiterent-
[11] Bild li. u. re.: O.T., Zyklus Pinturas sucias, 2019, Mischtechnik, 24 x 17 cm, © Jorge Rando, Foto: Fundación Jorge Rando.
wickelt haben. Gemeinsam steht über allem der Begriff der Freiheit – Freiheit in Form, Farbe und Stil. Rando fügt diesem Freiheitsbegriff den gelebten Humanismus und die besondere Bedeutung der Spiritualität hinzu. Er selbst ordnet diese Erweiterung des Expressionismus-Begriffs, und damit sich selbst, explizit nicht dem Neo-Expressionismus zu, sondern benennt dies als Nuevo Expresionismo (Neuer Expressionismus). Rando ist ein im besten Sinne des Wortes besessener Künstler, dessen intensives Arbeitspensum sich seit Jahrzehnten nicht verringert, sondern nach eigenem Bekunden eher zugenommen hat. In seinen Bildern und Skulpturen ist deutlich dieser künstlerische Drang zu vernehmen, seine Sicht auf die Menschen, auf die Welt, auf alles, was sichtbar und nicht sichtbar ist, bestmög-
lich zum Ausdruck zu bringen. Zweifel hat man nicht. Und wären welche vorhanden, so würden diese bei einer persönlichen Begegnung umgehend verfliegen. Wenn Rando davon spricht, dass man, um ein Bild wahrhaftig zu ergründen, sein Wesen zu erfahren, es nicht „betrachten“, sondern „sehen“ muss (span. „mirar“), so ist Rando jemand, der das Leben um ihn herum mit großer Tiefgründigkeit „sieht“. „Yo quiero pintar la vida“ – „Ich will das Leben malen“. Besser kann man es nicht ausdrücken. Betrachtet man das Werk von Jorge Rando und benennt in summa die Faktoren, die es geprägt haben, so darf ein weiterer relevanter Aspekt nicht unerwähnt bleiben. Es ist das Licht seiner Heimat, insbesondere das Licht seiner Heimatstadt Málaga, das für den andalusischen Künstler einen hohen Stellenwert besitzt. Vielen
[12] O.T., Zyklus Descendit ad inferos (Ausschnitt), 2021, Öl auf Tuch, 68 x 546 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madroñero.
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„Angesichts dessen, was tagtäglich in unserer Welt und in der Zeit, in der wir leben, geschieht, können wir nicht einfach nur Zuschauer sein, die staunen, verurteilen und weiterleben, als ob nichts geschehen würde.“ Jorge Rando 2001
seiner Werke verleiht dieses Licht eine Strahlkraft, welche die Essenz des Gemäldes verstärkt. Einer der bekanntesten spanischen Philosophen und gleichermaßen wie Rando und Picasso Sohn Málagas, José Ortega y Gasset (1883–1955), schrieb in Bezug auf das Licht dieser Region: „Wenn man der wellenförmigen Linie der Küste folgt, betritt man das Reich des Lichts. Ich war sechs Jahre lang Kaiser in einem Lichttropfen, in einem Reich, das blauer und prächtiger ist als das Land der Mandarinen.“ Lässt man sich auf das Werk von Jorge Rando ein, so steht es einem frei, durch eine sich öffnende Tür dieses Reich zu betreten.
Info und Kontakt Museum Jorge Rando Calle Cruz del Molinillo, 12 29013 Málaga www.museojorgerando.org info@museojorgerando.org
Jorge Luis Maeso Madroñero
[13] O.T., Zyklus Refugiados, 2007, Perlit, Espartogras, 200 x 507 cm, © Jorge Rando, Foto: J. L. Maeso Madrońero.
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Kunst und Wissenschaft Die Blumenmalerin Rachel Ruysch und ihre naturwissenschaftlichen Beobachtungen
Künstlerinnen gelten immer noch als Ausnahmeerscheinungen, auch wenn inzwischen immer deutlicher wird, wie viele von ihnen es auch schon vor mehreren hundert Jahren gegeben haben muss. Artemisia Gentileschi (1593–um 1654) war nur eine von vielen Malerinnen im italienischen Barock, wie jüngst einige Ausstellungen gezeigt haben. Und auch zu anderen Zeiten und in anderen Ländern werden immer mehr Künstlerinnen wiederentdeckt, nicht nur Malerinnen, sondern auch Bildhauerinnen und die eine oder andere Architektin.
Abakus, das Rechenbrett für Händler, mit dem sich der Inhalt von Fässern und anderes berechnen ließ. Gleichzeitig begann man vor allem an den Fürstenhöfen, kostbare Objekte aus fernen Ländern zu sammeln. Gelehrte taten es ihnen nach und so entstanden aus Studierstuben sogenannte Wunderkammern, in denen ein Sammelsurium unterschiedlichster Objekte präsentiert wurde. Sie luden sowohl dazu ein, naturwissenschaftliche Studien zu betreiben als auch, Zeichnungen davon anzufertigen und diese dann in Bilder zu integrieren.
Doch Künstlerinnen, die sich auch wissenschaftlich betätigt haben, sind noch viel weniger im kollektiven Bewusstsein verankert. Da gibt es natürlich Männer wie den großen Leonardo da Vinci (1452–1519), der Naturbeobachtungen aufzeichnete, technische Geräte bis hin zu Flugobjekten konstruierte, die menschliche Anatomie studierte, bereits den ketzerischen Gedanken hegte, dass sich die Erde um die Sonne dreht … Und der Maler Piero della Francesca (um 1412–1492) schrieb nicht nur Abhandlungen über die Perspektive, sondern auch ein Buch über den
Hier kommen wieder Frauen ins Spiel, denn viele Malerinnen konzentrierten sich auf die Stilllebenmalerei. Die in Mailand lebende und arbeitende Fede Galizia (um 1573/74–nach 1630) gilt als eine der ersten Stilllebenmaler*innen überhaupt. Sie beeinflusste unter anderen die in Venedig ausgebildete Giovanna Garzoni (1600–1670), die später in Neapel, Turin, London, Florenz und Rom lebte und von der sich Skizzenbücher erhalten haben, in denen sie Pflanzen, Früchte und Insekten zeichnete, die sich dann später in ihren Stillleben wiederfanden.
[1] Rachel Ruysch und Michiel van Musscher, Rachel Ruysch, 1692, Öl auf Leinwand, 76,2 x 63,5 cm, New York, The Metropolitan Museum of Art Purchase, Adele Veronica Satkus Bequest, Walter and Leonore Annenberg Acquisitions Endowment Fund, Lila Acheson Wallace, Women and the Critical Eye, Charles and Jessie Price, and Henry and Lucy Moses Fund Inc. Gifts, Victor Wilbour Memorial Fund, Hester Diamond Gift, and funds from various donors, 2023.
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Einen anderen Weg schlug die in Frankfurt am Main aufgewachsene Künstlerin Maria Sybilla Merian (1647–1717) ein. Die Tochter des berühmten Kupferstechers Matthäus Merian d.Ä. (1593–1650) lernte bei ihrem Stiefvater und wurde bald eine hervorragende Malerin, Zeichnerin und Stecherin. Dazu kam ihr naturwissenschaftliches Interesse. Als eine der ersten züchtete sie Raupen, um deren Entwicklung zu Schmetterlingen zu beobachten und zu zeichnen. Ihre Erkenntnisse hielt sie in dem von ihr illustrierten Buch Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung fest, dessen erste beiden Bände 1679 und 1681 in Nürnberg erschienen, der letzte 1717 posthum in Amsterdam. 1699 brach sie zu einer Expedition nach Surinam auf. Die dort gemachten Erfahrungen publizierte sie 1705 in Amsterdam: Metamorphosis insectorum Surinamensium.
Es ist anzunehmen, dass sich ihre Bücher auch in der Bibliothek des renommierten Professors für Anatomie und Botanik, Frederik Ruysch (1638–1731), befanden, der in Amsterdam lehrte, als Chirurg praktizierte, Hebammen ausbildete und den Botanischen Garten leitete. Diese Bibliothek frequentierte auch seine Tochter Rachel. Die Stilllebenmalerin Rachel Ruysch (1664–1750) [1] war zu ihren Lebzeiten weit über die Grenzen der Niederlande bekannt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Anna (1666–1754) wuchs sie in einem künstlerisch-intellektuellen Umfeld auf, wozu auch die Mutter beitrug, die aus einer Familie von Malern und Architekten stammte. So wurden beide Mädchen gefördert, Rachel kam mit 15 Jahren in die Lehre zu dem damals bedeutendsten Stillleben-
[2] Willem van Aelst, Stillleben mit Blumenvase und Taschenuhr, 1656, Öl auf Leinwand, doubliert, 55 x 46,3 cm, Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv. Nr. GK 905, © Hessen Kassel Heritage, Gemäldegalerie Alte Meister, Foto: U. Brunzel. [3] Rachel Ruysch (1664–1750), Blumenstück, um 1682, Öl auf Leinwand, 64,5 x 49,7 cm, München, Alte Pinakothek, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, Foto: Nicole Wilhelms.
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maler in Amsterdam, Willem van Aelst (1627– 1683). Bereits in dieser Lehrzeit malte sie ihre ersten Bilder, bei denen der Einfluss von van Aelst durchaus erkennbar ist, die aber dennoch eigenständige Kompositionen darstellen, keine Kopien. Das ist sehr schön nachvollziehbar bei dem Stillleben mit Blumenvase und Taschenuhr [2] von 1656 von Aelst im Vergleich mit dem Blumenstück [3], das Ruysch um 1682 malte und das sich heute in der Alten Pinakothek in München befindet. Dort wird die Malerin gerade in einer Ausstellung präsentiert, die danach noch in Toronto und Boston zu sehen sein wird und die die erste umfassende Retrospektive ihrer Werke darstellt. Denn so bekannt Ruysch zu Lebzeiten war, so schnell geriet sie anschließend in Vergessenheit, ein Schicksal, das sie mit Kollegen der Zeit wie Adriaen van der Werff (1659–1722) teilt. Das schlägt sich bis heute auch in der Literatur über sie nieder: Die größte Kunstbibliothek in Deutschland verzeichnet gerade einmal 29 Titel. Zurück zu dem Blumenstück, das für die Ausstellung restauriert wurde. Die akribisch gemalten Blumen befinden sich in einer gläsernen Vase, die auf einer marmornen Brüstung steht. Rechts von der Vase bedeckt ein Tuch, vermutlich Samt, die Brüstung, an der Front strebt eine kleine Schnecke von der Vase weg nach unten und links daneben macht sich ein Grashüpfer aus dem Staub. Die Blumen in den unterschiedlichsten Farben haben ihre Blüten teilweise weit geöffnet, andere sind (noch) geschlossen. Sie haben Besuch von einem Käfer, vor allem aber von einigen Schmetterlingen. Und hier beginnt man sich zu wundern, denn so genau die Blütenblätter gemalt sind, so merkwürdig wirken die Schmetterlinge, als ob die Farben bei den Flügeln teilweise abgeblättert sind und nun das Weiß als Untergrund dominiert. Jetzt kommt die Wissenschaft wieder ins Spiel und außerdem ein anderer niederländischer Stilllebenmaler, der ein Vorbild für Ruysch gewesen ist, Otto Marseus van Schrieck (1619/201678). Er war ebenfalls bekannt, hatte das sogenannte Waldbodenstillleben eingeführt und mit
Otto Marseus van Schrieck sammelte Schmetterlinge, malte sie ab, drückte aber auch ihre Flügel direkt in die feuchte Farbe und führte so den „Schmetterlingsabdruck“ ein, der später Lepidochromie genannt wurde.
[4] Otto Marseus van Schrieck, Die große Distel, um 1670, Öl auf Leinwand, 132,6 x 93,5 cm, München, Alte Pinakothek, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, Foto: Sibylle Forster.
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eben nur noch diese Fragmente, denn bei der Restaurierung hatte man sich entschlossen, die Schmetterlinge nicht zu rekonstruieren, obwohl die Gattungen noch bestimmbar waren. Eine Rekonstruktion durch Retusche wäre also möglich gewesen und hätte den deutlich wahrnehmbaren Verlust im Bild wieder ergänzt. In ihrem Blog „Echt jetzt?“ auf der Seite der Alten Pinakothek gibt die Gemälderestauratorin Marlena Schneider zu bedenken: „Wie soll ein Schmetterling mit Farbe imitiert werden, wo die Künstlerin einen echten Abdruck vorgesehen hatte? Zudem würde eine solche Übermalung die originalen Spuren dieser seltenen historischen Technik, wie Abdrücke von Venen, Haaren und Schuppen, verdecken und für die zukünftige Forschung unkenntlich machen.“1 Glücklicherweise hat sich auf einem Blumenstrauß genannten Bild, das sich ebenfalls im Besitz der Alten Pinakothek befindet und das Ruysch 1708 malte, ein nahezu vollständiger Abdruck eines Schmetterlings erhalten. Damals hatte Ruysch diese Technik eigentlich schon aufgegeben, weil sie wohl selbst bemerkt hatte, wie fragil sie war, doch hier hatte sie sie noch einmal angewendet [5]. [5]
Aelst in Italien eng zusammengearbeitet. Doch nicht nur durch ihren Lehrer dürfte Ruysch auf Marseus van Schrieck [4] aufmerksam geworden sein. Ihr Vater hatte Schmetterlingspräparate aus dem Nachlass des Künstlers erworben. Dieser hatte die Schmetterlinge nicht nur gesammelt, sondern sie auch in seinen Bildern verwendet, indem er ihre Flügel in die feuchte Farbe gedrückt und damit die Technik des „Schmetterlingsabdrucks“ einführt hatte. Diese Technik, die später den Fachbegriff der Lepidochromie erhielt, übernahm Ruysch für ihre Bilder. Da die Farben der aus einzelnen Schuppen bestehenden Flügeln allerdings mit der Zeit meist verblassen und einzelne Schuppen abblättern, bleiben häufig nur Fragmente bestehen, außerdem die notwendigen Ergänzungen, die Ruysch mit Pinsel und Farben gemacht hatte, also den Schmetterlingskörper, den Kopf und die Fühler. Und so sehen wir bei den Schmetterlingen in diesem Bild
Diesmal steht die gläserne Vase auf einem Holztisch, die Blumen präsentieren ihre geöffneten Blüten den Betrachtenden, nur einige wenige öffnen sich in eine andere Richtung. Auf der Holzplatte liegt ein wohl abgebrochener Zweig neben einer Orange, die von einer Fliege inspiziert wird. Die kleine Schnecke ist auch wieder bemüht, nach unten zu gelangen. Eine Ähre, die zu dem Blumenstrauß gehört, neigt sich nach unten über die Tischplatte hinweg. Auf ihr sitzt der Schmetterling, ein Roter Admiral aus heimischen Gefilden [6], den Schneider folgendermaßen beschreibt: „Wir sehen sowohl die stark gemusterte Unterseite des Flügels mit dem typischen Halbringmuster, als auch einen kleinen verdeckten Teil der Flügeloberseite mit dem kräftigen rot-weiß-schwarzen Muster. Das bedeutet, dass Ruysch hier zwei Flügel übereinander abgedrückt hat, zuerst den hinteren mit der Flügeloberseite und darauf überlappend den darüberliegenden mit der gemusterten Flügelunterseite.“2
[5] Rachel Ruysch, Blumenstrauß, 1708, Öl auf Leinwand, 92,5 x 70,4 cm, Bayreuth, Staatsgalerie im Neuen Schloss, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, Foto: Sibylle Forster. [6] Detail mit kleinem Admiral aus Abb. 5.
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Frederik Ruysch besaß nicht nur eine Schmetterlingssammlung, aus der sich die Tochter vermutlich auch bediente, um die zarten Flügel in ihre Bilder zu integrieren, er hatte auch eine bestimmte Technik entwickelt, um tote Körper zu konservieren und lebensecht wirken zu lassen. Dazu spritzte er Talg, Wachs und Zinnober in das Gefäßsystem der einzelnen Körper. Anschließend kamen sie in Glasgefäße, die mit Alkohol und schwarzem Pfeffer gefüllt waren. Seine Sammlung machte er öffentlich zugänglich, die einzelnen Präparate wurden katalogisiert und publiziert. Kupferstiche von ihm und anderen wie Joseph Mulder (1658–1742) illustrierten diesen Thesaurus animalium genannten Katalog, der 1710 in Amsterdam erschien. Zar Peter der Große
[7] Südamerikanische Wabenkröte (Pipa pipa), Alkoholpräparat Zoologische Sammlung der Philipps-Universität Marburg, Inv. Nr. AM.AN2.1.2.1 a, © Zoologische Sammlung der Philipps-Universität Marburg Bildautor: hikE. [8] Rachel Ruysch, Naturstück mit südamerikanischer Wabenkröte, 1690, Öl auf Leinwand (auf Holzplatte montiert), 31 x 27 cm, Inv. Nr. 2020.1.165, Saint-Cloud, Département des Hauts-de-Seine, Musée du Grand Siècle, Donation Pierre Rosenberg,© Département des Hauts-de-Seine, musée du Grand Siècle, © Suzanne Nagy.
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(1672–1725) war von der Präparate-Sammlung derart begeistert, dass er einen Großteil davon erwarb. Noch heute befindet sie sich in dem „Kunstkammer“ genannten Museum in Sankt Petersburg. Und damit befindet sich dort auch die Pipa pipa genannte Wabenkröte aus Surinam. In München lässt sich jedoch sowohl die Abbildung in Frederik Ruyschs Thesaurus bewundern als auch ein (modernes) Alkoholpräparat [7]. Und nicht nur das: Es gibt auch ein Gemälde von Ruysch mit der Darstellung dieser Kröte, die sich auf äußerst merkwürdige Art reproduziert: Bei einer Art Paarungstanz befruchtet das Männchen die vom Weibchen ausgestoßenen Eier, die dann durch den Tanz auf ihrem Rücken landen. Dort tritt sie das Männchen mit seinen Hinterfüßen fest. Anschließend werden sie von Haut überzogen. Nach 12 bis 20 Wochen schlüpfen die kleinen Kröten aus diesen Rückenwaben. Auf dem Gemälde [8], einer Art Waldbodenstillleben, sitzt die Kröte am Fuß eines Baumes. Von den als dunkle Punkte gemalten
Eiern oder Waben fehlen schon einige. Dafür springen lauter kleine Kröten um die Mutter herum, die reglos dazusitzen scheint. Ruysch diente wohl das Präparat ihres Vaters als Vorbild, sie fertigte davon eine Zeichnung an, die sich in London in der Royal Society befindet, und malte dann das auf ihren Naturbeobachtungen basierende Bild. Bilder aus dem Thesaurus, darunter ein befruchtetes Krokodilei, verschiedene Tierpräparate, Schmetterlinge, aber auch eines der frühesten Mikroskope, finden sich in der Ausstellungs-Sektion „Kunst, Natur und Wissenschaft“, einem separaten Raum, der eine Art moderne Wunderkammer darstellt [9]. Weit über 500 Leihgaben allein aus der zoologischen und der botanischen Staatssammlung München werden durch einzelne Stücke aus anderen naturwissenschaftlichen Sammlungen ergänzt. Bilder von Ruysch und anderen Stilllebenmalern wie Marseus van Schrieck kommen hinzu und zeigen anschaulich die Zusammenhänge
[9] Raumansicht „Rachel Ruysch – Nature into Art“, Foto: Haydar Koyupinar, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München.
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arrangement eingefügt. Die Malerin befindet sich in einem Raum, der sich in einem großen Bogen nach vorne hin öffnet. Auf der Brüstung liegen geschlossene und offene Folianten mit Zeichnungen, daneben einige wenige Blumen. Ruysch sitzt hinter dieser Brüstung an einem Tisch, auf dem das Blumenbouquet arrangiert ist, davor liegen Pinsel und Stifte. Sie selbst hält Palette und Pinsel in ihrer linken Hand, mit der rechten greift sie nach einer Blüte im Bouquet. Im Hintergrund ist eine Staffelei aufgebaut, auf der eine noch leere Leinwand steht, die dazu einlädt, bemalt zu werden. So suggeriert uns das Bild, dass Ruysch verschiedene Zeichnungen und Drucke als Vorlagen verwendete, aber auch echte Blumen. Ein Jahr nachdem dieses Porträt entstanden war, heiratete Ruysch den wahrscheinlich mittellosen Porträtmaler Juriaen Pool (1666–1745), mit dem sie zehn Kinder bekam, von denen allerdings nur wenige das Erwachsenenalter erreichten. Trotz ihrer Schwangerschaften malte sie weiter und Pool, der sehr viel weniger erfolgreich war als sie, unterstützte sie offensichtlich, indem er sich als ihr Manager betätigte.
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von Kunst und Wissenschaft. Hier kann man sich davon überzeugen, wie wirklichkeitsnah die Schmetterlinge, aber auch die anderen Insekten von Ruysch gemalt wurden. Doch der Blumenstrauß von 1708 [5] befindet sich an einem anderen Ort, in der Sektion, in der es um den Ruhm der Malerin geht. Das frühe Blumenstillleben [3] hingegen ist zu Beginn der Ausstellung gezeigt, als sie noch Schülerin von Aelst war. Hier sieht man Bilder von ihr, von Aelst und den anderen Künstler*innen, die sie beeinflusst haben. Ganz am Anfang wird jedoch ein Bild von der 1692 bereits bekannten Künstlerin gezeigt [1]. Es stammt vor allem von Michiel van Musscher (1645–1705), Rachel Ruysch selbst hat das Blumen-
Ihre Schwester Anna hatte bereits fünf Jahre zuvor einen Farbenhändler geheiratet. Auch sie war wahrscheinlich bei Aelst in die Lehre gegangen, arbeitete aber vermutlich nach dessen Tod weiterhin mit der großen Schwester zusammen, denn ihre Bilder lassen sich häufig kaum auseinanderhalten. Bisher kaum bekannt, konnten ihr inzwischen etwa zwanzig Gemälde zugewiesen werden, darunter das Waldbodenstillleben Dickicht mit Blumen und Tieren [10], das um 1685 datiert wird. Früher vermutete man, dass Anna nach ihrer Heirat aufgehört hatte zu malen, doch das ist wohl ein Irrtum. Obwohl sich ihre Malweise kaum von derjenigen der Schwester unterschied, blieb ihr deren Ruhm versagt. Rachel wurde 1701 in die Künstlerbruderschaft „Pictura“ in Den Haag aufgenommen – als erste Frau. Ihr Mann wurde wohl pro forma auch aufgenommen. Mit ihm zusammen wurde sie auch 1708 zur Hofmalerin von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz ernannt, der in Düsseldorf
[10] Anna Elisabeth Ruysch, Dickicht mit Blumen und Tieren, um 1685, Öl auf Leinwand, 56 x 52 cm, Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Inv. Nr. 378, © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. [11] Juriaen Pool (1666–1745) und Rachel Ruysch (1664–1750), Juriaen Pool II mit Rachel Ruysch und dem gemeinsamen Sohn Jan Willem Pool, um 1716, Öl auf Leinwand, 71 x 62,5 cm, Inventarnummer B 2880, Stadtmuseum Düsseldorf, © Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf.
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Ruysch malte häufig ein Blumen- und ein Früchtestillleben als Paar wie die beiden Bilder von 1708 und 1709, die dieselben Maße besitzen und sich heute in der Alten Pinakothek in München befinden.
residierte. Doch es war sie, von der der Kurfürst die meisten Bilder verlangte. Ruysch hatte keine Residenzpflicht, das heißt, sie musste nicht von Amsterdam nach Düsseldorf ziehen, aber für das Jahresgehalt, das sie erhielt, musste sie jedes Jahr ein Gemälde abliefern. Das erste war das Blumenstrauß bezeichnete Stillleben mit dem Abdruck eines Schmetterlings [5], zu dem als Pendant ein Früchtestillleben gehört [12], das sich ebenfalls in München befindet, da durch Erbfolge die Düsseldorfer Sammlung später in den Besitz der Münchner Kurfürsten kam. Als der jüngste Sohn von Ruysch und Pool geboren wurde, übernahm der Kurfürst gemeinsam mit seiner Frau, Anna Maria Luisa de‘ Medici, die Patenschaft. Das Kind erhielt den Namen Jan Willem, der Vater malte die Familie 1716. Das auf der Staffelei im Hintergrund befindliche Bild wiederholt das von Ruysch gemalte Blumenbouquet [11].
Der Kurfürst starb 1716, damit endete die Zeit als Hofmalerin. Doch die Familie kam durch einen Lottogewinn 1723 zu ungeahntem Reichtum. Aus den nächsten Jahren sind deshalb auch nur wenige Gemälde bekannt. Ruysch hörte jedoch nicht auf zu arbeiten und vollzog im Alter von etwa 70 Jahren noch einen Stilwandel, als sie nicht mehr die bis dahin üblichen üppigen Blumenbouquets malte, sondern kleinere Blumenarrangements in sehr viel helleren, lichteren Farben wie dasjenige von 1741 zeigt [13]. Stolz über ihr hohes Alter fügte sie der Signatur auf ihren Bildern nun die Altersangabe hinzu. 1749, ein Jahr vor ihrem Tod, fertigte Art Schoemann (1710–1792) ein letztes Porträt von Rachel Ruysch an, die nur ein Jahr zuvor, 84jährig, ihr letztes Bild gemalt hatte. 275 Jahre nach ihrem Tod erfährt sie nun die Würdigung, die ihr bereits zuteil geworden war, bevor sie vergessen wurde, nicht nur als herausragende Künstlerin mi-
[12] Rachel Ruysch, Früchtestück, 1709, Öl auf Leinwand, 92,5, x 70,4 cm, München, Alte Pinakothek, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek München, Foto: Sibylle Forster.
nutiös gemalter Blumen, Pflanzen und Insekten, sondern auch als Naturbeobachterin und -erforscherin. Dabei ging es ihr aber nicht darum, Situationen darzustellen, wie sie real möglich gewesen wären, denn die Blumen in ihren Bildern blühten nicht zur gleichen Zeit und viele waren auch in ganz verschiedenen Ländern und Kontinenten heimisch. Insofern zeigen ihre Blumenstillleben eine konstruierte Wirklichkeit. Das Wissen um fremdländische Pflanzen hatte sie sich im Botanischen Garten ihres Vaters aneignen können. Ihre Bilder erzählen also auch viel über das damalige Wissen von Flora und Fauna, sind aber gleichzeitig ein Augenschmaus.# Susanna Partsch
Ausstellung Bis 16. März 2025 Rachel Ruysch. Nature into Art. Eine Ausnahmekünstlerin des 16. und 17. Jahrhunderts Alte Pinakothek Barer Straße 27, Eingang Theresienstraße 80333 München, Tel. +49-(0)89-23805-216 www.pinakothek.de
1 https://www.pinakothek.de/de/blog/ echt-jetzt-rachel-ruysch-und-ihre-schmetterlinge. 2 Ebenda.
[13] Rachel Ruysch (1664–1750), Stillleben mit Rosenzweig, Käfer und Biene, 1741, Öl auf Leinwand, auf Eichenholz aufgezogen, 20 x 24,5 cm, © Kunstmuseum Basel, Inv. 1100, Schenkung der Prof. J.J. Bachofen-Burckhardt-Stiftung 2015, Foto: Martin P. Bühler.
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Malerei von Format
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Malerei ist ohne die wechselseitigen Beziehungen von Farbräumen und Formen nicht denkbar. Die Komposition von Farbschichten zielt vor allem in der nicht-gegenständlichen Darstellung auf atmosphärische Wirkungen, die notwendigerweise sehr subjektiv rezipiert werden. Die malerische Umsetzung erfolgt in der Regel als Folge geschichteter Farbflächen, die Raumempfindungen erzeugen – eine Farbe wird schneller und intensiver, größer (oder kleiner) wahrgenommen als eine andere. Diese Individualität macht seit jeher die große Faszination von Malerei aus: Die Autonomie der Farbe und die Logik ihrer Bezüge zueinander bleiben ein kaum zu entzifferndes Mysterium – auch in den Händen von Malerin und Maler selbst. So werden zum Beispiel rosa Blasen immer wieder übermalt, um mit aufgeschleuderten grünen Farbpartikeln überdeckt und schließlich von zinnoberroter Farbaufschüttung dramatisiert zu werden. Oder weiße, das Großformat übersäende Tupfen werden von gelben Strukturen und blauen Akzenten bedeckt.
Auf diesen Seiten sind ausschließlich große Formate von bis zu 2,80 Metern Breite und in entsprechender Höhe zu sehen. Sie sind meist nicht aufgespannt, sondern nur leimgrundiert bzw. zusätzlich kreidegrundiert worden, und erhalten aufgrund ihrer Größe die Wirkung einer raumgreifenden Tapisserie. Für das rot-grüne Eingangsbild wurde die Rückseite einer ehemals aufgespannten, daher rückseitig grundierten Malerei genutzt. Ansonsten fanden reine Leinwand- sowie starke Baumwollgewebe Verwendung, die eine sandfarben-helle bis bräunliche Eigenfarbe mitbringen. Die Farbmaterialien reichen von sehr flüssiger, verdünnter Acrylfarbe über selbstgemachte LeimGouachen bis hin zu mit Tapetenkleister versetzten Pigmenten. Die Farben wurden je nach Konsistenz mit breitem Pinsel aufgetragen (über teils grober Vorzeichnung mit Kohle). Lasuren wurden auch mit dem Schwamm über Farbschichten gelegt; für geschleuderte und gespritzte Farbbereiche wurden Schläger- bzw. Schlagpinsel eingesetzt.
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Das leicht glasig-verschwommene Erscheinungsbild dieser Malerei entstand durch die Mischung von Pigmenten mit Wasser und Tapetenkleister. Mit Kleister gebundene Pigmente eignen sich vorzüglich für die Farbaufträge auf großen Flächen, lassen sich wahlweise dicker als auch mit Wasser verdünnt lasierend auftragen. Es ist für Arbeiten in dieser Technik wichtig, ein geeignetes Mischungsverhältnis zu erzielen, damit die Farbe in der gewünschten Farbintensität nach dem Auftrocknen nicht zu bröckeln beginnt.
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Eine Ausnahme in dieser Reihe bilden die beiden schlanken, bereits aufgespannten Hochformate mit weiß vorgrundiertem Gewebe: Diese Arbeiten entstehen ohne Pinsel oder andere Werkzeuge bei liegender Leinwand. Die Farbfelder werden mit sehr nasser Farbe auf feuchte bzw. wässrige Flächen aufgebracht. Jeder Bereich muss vollkommen trocknen, bevor die nächste Farbe gesetzt werden kann. Die Farbverläufe wurden durch Anheben der Rahmen zum kurzfristigen Steuern des Verlaufs und anschließendes Trocknen erzeugt.#
Malerei, Realisation und Fotografie: Ina Riepe Text: Sabine Burbaum-Machert
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42 | Persönlich
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Sicher hinter Glas Stephanie Brysch arbeitet mit alten Comicheften und Büchern
Beim Durchsehen verschiedener Comichefte habe ich entdeckt, dass es in den unterschiedlichen Geschichten immer wieder ähnliche Figuren gibt, z.B. jemanden, der nach oben zeigt. Daraufhin habe ich begonnen, diese Figuren zusammenzubringen, sie neu zu sortieren. So sind die ersten Collagen entstanden. Meist beginnt es damit, dass ich ziemlich viele Figuren ausschneide und sich daraus eine Bildidee entwickelt. Die Figuren müssen erst losgelöst aus ihrem Ursprung sein, damit ich sie neu zusammenstellen kann. Das macht den Prozess langwieriger. Einfacher wäre es natürlich, erst eine Idee zu haben und nur die notwendigen Figuren auszuschneiden. Ich bediene mich aus einem großen Archiv, welches ich über viele Jahre angelegt habe. Neben Comicheften verwende ich auch Bücher mit Illustrationen. Stephanie Brysch geboren 1976 in Wipperfürth, lebt und arbeitet in Dortmund, www.stephanie-brysch.de Porträtfoto: privat.
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Alle Bilder und Figuren sind Originalseiten entnommen, keine Kopien, daher kann man oft die Rückseite des Papiers durchschimmern sehen. Da ich dreidimensionale Ebenen einbaue, entstehen Schatten und einzelne Figuren überlagern andere, was das Gefühl verstärkt, dass sie gerade aus den Heften und Büchern entsprungen sind. In den verschiedenen Comics und Büchern finden sich unterschiedliche Zeitanschauungen wieder. Es ist spannend zu untersuchen, wie Klischees weitergegeben werden, wie Comics unsere Welt abbilden und wie wir Menschen mit unseren Eigenschaften dabei entlarvt werden. Um die Bilder präsentieren zu können, sind die passenden Rahmen sehr wichtig. Ich verwende oft Rahmen der Serie Objekt 17. Sie sind leicht zu öffnen und man kann einzelne Formate wunderbar kombinieren. Auch die sehr tiefen Objectum 90-Rahmen bieten fantastische Möglichkeiten. Ich kann darin viele verschiedene Ebenen anlegen und die Grenze zwischen Bild und Objekt verschwimmt.#
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[1] Material/Arbeitstisch. [2] Ausstellungsansicht. [3] Siegesfeier. Fotos: Stephanie Brysch.
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Das Körnchen Wahrheit War Jan van Eyck der Erfinder der Ölfarbe?
„… als ein Maler in Flandern, Johann von Brügge, der sich durch seine Geschicklichkeit in der Kunst einen großen Ruf in jenen Landen erworben hatte, den Versuch machte verschiedene Arten von Farben in der Malerei anzuwenden; er fand Vergnügen an der Alchemie und mischte bei Bereitung seiner Firnisse und ähnlicher Dinge viele Öle untereinander […] Er stellte noch andere Versuche an und sah, dass wenn er die Farben mit dieser Art von Ölen anrieb, eine sehr haltbare Mischung entstand, die getrocknet nicht nur vom Wasser keinen Schaden mehr litt, sondern auch den Farben solches Feuer verlieh, dass sie für sich, ohne Firnis, schon Glanz hatten; am allerwunderbarsten erschien ihm, dass alles sich viel leichter verbinden ließ als bei der Tempera“.1 So schilderte Giorgio Vasari (1511–1574) in seinen Künstlerviten von 1568 im Kapitel über Antonello da Messina (vor 1430–1479) die Erfindung der Ölfarbe durch Jan van Eyck (um 1390– 1441) [1]. Und auch, wenn immer wieder Zweifel geäußert wurden, blieb der Mythos vom Erfinder der Ölfarbe bestehen, bis Gotthold Ephraim
[1] Jan van Eyck, Der Mann mit dem Turban, 1433, Öl auf Holz, 26 x 19 cm, London, National Gallery, Foto: Wikimedia Commons.
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Lessing (1729–1781) Vasari widerlegte. Unter dem Titel „Vom Alter der Oelmalery“ publizierte er im Jahr 1774 Rezepte für Ölfarben, die er in einem Codex aus dem frühen 12. Jahrhundert gefunden hatte: „De diversis artibus“ oder „Schedula diversarum artium“, verfasst von einem Autor mit dem Namen Theophilus Presbyter – einem Pseudonym, hinter dem sich vermutlich mehrere Personen verbergen, nicht ein bestimmter Benediktinermönch, wie lange vermutet wurde. Bereits in der deutschen Übersetzung der Künstlerviten findet sich an nämlicher Stelle eine lange Anmerkung, in der unter anderem auf Lessing hingewiesen wird, um dann zu bemerken: „Es kann daher bei der Erfindung der van Eyck2 nur von einer verbesserten Anwendung einer schon früher bekannten, aber in der That sehr wenig geübten Technik die Rede sein.“3 Dennoch hielt sich die Legende von Jan van Eyck als dem Erfinder der Ölfarbe hartnäckig. Vasari hatte keinen der beiden Künstler gekannt, Antonello war noch ein Kind, als van Eyck starb, kann also auch von ihm das Geheimnis der richtigen Mischung nicht verraten bekommen haben. Und Öl wurde inzwischen in zahlreichen Gemälden vor van Eyck nachgewiesen. Bereits bei Altartafeln, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden, finden sich ölige Bindemittel für grüne und rote Pigmente. In der Hauptsache wurde jedoch mit Tempera gearbeitet. Und das blieb auch noch eine ganze Weile so. Bei der Temperafarbe verbinden sich Bindemittel wie Eigelb, Kasein oder Leim mit den Pigmenten und trocknen deckend auf dem Bildträger, können aber natürlich auch in Schichten aufgetragen werden. Die mit einem trockenen Öl gemischten Pigmente besitzen eine größere Variationsbreite an Möglichkeiten, man kann sie dick oder dünn auftragen, viele Schichten übereinanderlegen, die nicht decken und deshalb Farbtöne so schimmern lassen, dass transparente Farbwirkungen entstehen. Allerdings reagieren Pigmente unterschiedlich auf Bindemittel, weshalb sich in einem Bild manchmal ganz verschieden gemischte Farben finden. Insofern stimmen häufig die Materialbezeichnungen wie Öl auf Leinwand oder Tempera auf Holz nicht ganz. Es müsste oft stattdessen „Öl und Tempera auf …“ heißen. Deshalb werden auch inzwischen manchmal in den Bildangaben zwar die Bildträger, nicht aber die Malmaterialien genannt. Ein Beispiel für die frühe Verwendung von öligen Bindemitteln ist der bemalte Schrank der Halberstädter Liebfrauenkirche (heute im Domschatz), der aus dem 2. Viertel des 13. Jahrhunderts stammt und nicht nur ein seltenes erhaltenes Exemplar darstellt, sondern in seiner Bemalung auch als ein herausragendes Beispiel spätromanischer Tafelmalerei gilt. Das Holz wurde teilweise mit Leinwand oder Pergament bespannt, damit wurde nicht direkt auf das Holz gemalt. Auf den Schranktüren ist die Verkündigung an Maria dargestellt [2].
„Von Tag zu Tag gewann er mehr Erfahrung, vollführte immer größere und bessere Dinge und bald erscholl überall der Ruf von seiner Erfindung.“1 Giorgio Vasari über Jan van Eyck
[2] So genannter Reliquienschrank aus der Liebfrauenkirche Halberstadt, 2. Viertel 13. Jahrhundert, Polimentvergoldung, Tempera (und Öl) auf Holz, 198 x 137 x 78 cm, Domschatz Halberstadt (Inv.-Nr. DS426), Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Foto: Falk Wenzel.
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Maria und der Engel sind auf jeweils eine Schranktür gemalt, verbunden durch den Baldachin. Hinter Maria ist noch ein Sitzmöbel angedeutet, eine Art Thron. Ob der Schrank in der Sakristei zur Aufbewahrung von den für die Messe notwendigen Gegenständen wie Kelche und Gewänder verwendet wurde oder ob darin Reliquien aufbewahrt wurden, lässt sich heute nicht mehr sagen. Die besondere Bedeutung des Schranks wurde erst deutlich, nachdem in den 1930er-Jahren bei einer Restaurierung unter der braunen Fassung der Schranktüren die Malereien entdeckt wurden, die in ihrer Qualität mit den hervorragenden Malereien der Zeit wie dem Goslarer Evangeliar verglichen werden können, das um 1240 datiert wird.
Mit der Zeit wurde in der Malerei immer häufiger auch Öl verwendet, allerdings nicht für die Darstellung von Haut. Das bestätigt sich auch in den von Melchior Broederlam (um 1355–um 1411) gemalten Flügeln des Schnitzaltars in der Kartause von Champmol [3]. Philipp der Kühne von Burgund hatte 1390 zwei Schnitzaltäre bei Jacques de Baerze (Lebensdaten nicht bekannt, bis 1399 dokumentiert) in Auftrag gegeben, die bemalten Flügel des Passionsaltars waren 1399 vollendet. Auf ihnen ist die Verkündigung an Maria und das Heimsuchung genannte Treffen zwischen Maria und Elisabeth, der Mutter von Johannes dem Täufer, gezeigt. In den Tafeln konnten bei den Felsen und den Gewändern ölhaltige Bindemittel nachgewiesen werden, nicht aber bei den Hautpartien der Figuren. Die Verwendung von Öl als Bindemittel erforderte sehr viel mehr Materialkenntnis als der Umgang mit den wasserlöslichen Temperafarben. Darauf reagierten auch verschiedene Malerzünfte, die in ihren Statuten festhielten, dass das Versprechen, mit Öl zu malen, bindend sei, man dann also nicht mit Wasserfarben malen dürfe oder dass Probestücke nur mit Ölfarben gemalt werden dürften. Außerdem hing die Länge der Ausbildungszeit vom Metier ab: Die Ölfarbe verwendenden Tafelmaler hatten eine längere Lehrzeit zu absolvieren als beispielsweise Buchmaler, die außerdem keine ölhaltigen Farben verwenden durften.4
[4]
Und nun kommt Jan van Eyck wieder ins Spiel, der offensichtlich als einer der ersten die Ölfarbe bei den Hautpartien verwendete. Doch entgegen der früher verwendeten Schichtenmalerei bestehen zum Beispiel die nackten Körper von Adam und Eva am Genter Altar [4] nicht aus vielen Malschichten, sondern nur aus einer und einem dünnen Farbauftrag auf einem hellen Grund. Das ist insofern erstaunlich, weil die vorher verwendete Tempera nicht nur in mehreren Schichten aufgetragen wurde, sondern herkömmlicherweise außerdem ein grüner Malgrund verwendet wurde. Adam und Eva waren keine Ausnahme, wie Untersuchungen in der
[3] Melchior Broederlam, Verkündigung und Heimsuchung, 1399, Öl und Tempera auf Holz, 165 x 124 cm, Dijon, Musée des Beaux-Arts, linker Flügel des Kreuzigungsaltars aus der Kartause von Champmol, Foto: Wikimedia Commons. [4] Jan van Eyck, Adam und Eva, Genter Altar, geöffneter Zustand, äußere Flügel, 1432/35, Öl auf Holz, Gesamtgröße: 375 × 520 cm, Gent, St. Bavo, Foto: Wikimedia Commons.
Londoner National Gallery zeigten, die ja einen großen Bestand an Gemälden des Niederländers besitzt, darunter auch den Mann mit dem Turban von 1433, bei dem vermutet wird, dass es sich um ein Selbstbildnis des Malers handelt [1]. Im Vergleich mit den Zeitgenossen wie Rogier van der Weyden (1399/1400–1464) zeigt sich auch, dass diese „altmodischer“ malten, dass sie bei Verwendung von Ölfarben stärker den alten Tempera-Techniken verbunden waren als van Eyck. Dessen „Verfahren zeichnet sich dahingegen durch Direktheit und Simplizität aus und erzielte dabei dennoch die lebendigsten und auch haltbarsten Farb-Häute.“5 Die innovative Malweise von Jan van Eyck ist allerdings nicht allein seinem Genie zuzurechnen. Bereits seit geraumer Zeit hatten Fassmaler bei den farbigen Fassungen von Holz- und Steinskulpturen Ölfarben verwendet, weil diese sich gerade im Außenbereich als haltbarer erwiesen hatten. Auch Jan van Eyck wurde für Fassmalereien an steinernen Skulpturen bezahlt, kannte also schon von daher die Ölmalerei. Was liegt näher als zu vermuten, dass er mit dem Bindemittel Öl schon früh vertraut war und wusste, wie er es bei seiner Tafelmalerei auch für die Hautpartien, also das Inkarnat, einsetzen konnte. Und so findet sich in Vasaris Lobgesang auf den „Erfinder“ der Ölfarbe doch ein Körnchen Wahrheit.# Susanna Partsch 1 Giorgio Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, deutsche Ausgabe von Ludwig Schorn und Ernst Förster, Stuttgart/Tübingen 1832–1849, neu hrsg. und eingeleitet von Julian Kliemann, Worms 1983, Band II, Teil 1, S. 365/366. 2 Hier sind Jan und sein älterer Bruder Hubert (†1426) gemeint. 3 Wie Anm. 1, S. 367. 4 Ann-Sophie Lehmann, Jan van Eyck und die Entdeckung der Leibfarbe, in: Daniela Bohde / Mechthild Fend (Hrsg.), Weder Haut noch Fleisch. Das Inkarnat in der Kunstgeschichte, Berlin 2007, S. 21–40, S. 27f. 5 Ebenda, S. 30.
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Mit malerischem Effekt Pablo Picasso bat 1949 seinen Freund Henri Goetz, in seinem Namen bei der Farbenmanufaktur Sennelier vorzusprechen. Hintergrund dürfte wohl eine besondere Bitte gewesen sein: Der Wunsch nach reiner Farbe in der unkomplizierten Handhabung eines Stifts, spontan anwendbar auf verschiedensten Untergründen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte man mit Ölfarbe in Stiftform experimentiert, und in den 1920er-Jahren waren die ersten Ölkreiden auf den Markt gekommen. Firmenchef Henri Sennelier war es schließlich, der auf Picassos Bitte hin Pigmente, Mineralwachse und Bindemittel zu einer cremigen Textur in Stiftform verbinden ließ: Das moderne Ölpastell konnte seinen Siegeszug antreten. Ölpastelle sind ein ausgesprochen vielseitiges Malmaterial mit den unterschiedlichsten Einsatzmöglichkeiten – ob als farbige
Skizze oder als detaillierte Zeichnung. Sie sind ideal für eine große Bandbreite künstlerischer Ausdrucksformen und vielseitig und spontan in der Anwendung – ohne Hilfsmittel und Vorbereitung des Malgrunds sind sie als „schnelles“ Medium besonders für die Verwendung im Freien geeignet. Im modernen Ölpastell verbindet sich die Reinheit der Farbe mit dem zeichnerischen Duktus eines Stifts, kräftig und lebendig im Ausdruck und überraschend wandlungsfähig. Ölpastell kann natürlich auf Papier und Karton, aber auch auf fein strukturieren Geweben, beidseitig kaschierter Siebdruckpappe (Screenboard, siehe links), auf Gessoboards, metallischen Malgründen, Kunststoff oder Glas verwendet werden. Zudem lässt sich Ölpastell mit dem Finger oder einer Bürste, aber auch mithilfe eines zuvor erwärmten Spachtels oder Malmessers pastos auftragen.
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Im Handel erhältlich sind sowohl sehr weiche als auch vergleichsweise harte Ölpastell-Stifte in teils unterschiedlichen Größen. Die besondere Textur des Ölpastells regiert unmittelbar auf den mit der Hand ausgeübten Druck: Im leichten Strich ähnelt sie dem Pastell, im kräftigen Auftrag kann ein Impasto-Effekt erzielt werden. Ihre geschmeidige Konsistenz verdanken Ölpastellstifte gewissen Anteilen an Öl und Wachs. Natürlich sind die Rezepturen gehütet und die Bestandteile unterschiedlich, aber generell lassen sich Ölpastelle bis zu einem gewissen Grad mit Terpentin und Balsam-Terpentinöl vermalen. Dies kann man sich in der Arbeit zunutze machen, indem man die Zeichnung durch Anlösen des gezeichneten Strichs wesentlich malerischer erscheinen lässt. Flächen lassen sich partiell oder vollständig mit Terpentin miteinander verbinden. Welche Hilfsmittel dabei zum Tragen kommen – z.B. Pinsel, Wischer oder Tuch – bleibt der persönlichen Erfahrung und Vorliebe überlassen.
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Durch das Vermalen mit Terpentin entstehen weiche Übergänge, nuancenreiche Verbindungen und malerische Schatten und Tiefenwirkungen im Farbhof, der dem Fettschatten des Balsamterpentins geschuldet ist.
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Ölpastelle überzeugen in der Anwendung durch die Verbindung der Zeichnung mit dem Malerischen und durch ihre unzähligen Farbnuancen, die allen malerischen Ansprüchen genügen. Im Vergleich zu den pudrigen Pastellkreiden sind sie zudem weitaus robuster und können – mit speziellen Fixativen geschützt – problemlos gerahmt werden.#
Malerei, Realisation und Fotografie: Ina Riepe Text: Sabine Burbaum-Machert
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Eine kurze Geschichte der Farbe Ein Überblick über Geschichte, Symbolik, Kunstwerke, Materialien und Techniken der Farbe in der Kunst
Das Thema Farbe fasziniert, obwohl es so schwer zu fassen ist. Das beginnt bereits bei der Eingrenzung, da es zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen berührt. Laut Michel Pastoureau macht „die Gesellschaft“ die Farbe. Sie definiert sie, verleiht ihr Sinn, stellt Bedeutung und Wertigkeiten her, wendet sie an und klärt zentrale Fragen rund um die Farbe. Maßgeblich sind dabei neben Künstler*innen und Wissenschaftler*innen auch die Biologie und das Naturschauspiel. Darüber hinaus muss auch die Farbwahrnehmung innerhalb der geschichtlichen Entwicklung gesehen werden. In der Einleitung zu ihrem bei Laurence King erschienenen Buch „Eine kurze Geschichte der Farbe“ erläutert Camille Vieville, dass sie zeigen möchte, wie Farbe in der Malerei, der Bildhauerei, bei den Gravurtechniken und in der Videokunst über Zeiten und kulturelle Grenzen hinweg verwendet wurde.
Abbildungen aus dem Innenteil, © Laurence King Verlag 2023
Sie setzt ein mit dem Kapitel „Geschichte“: „Die Geschichte der Farben ist ein weites Feld. Jede Epoche, jede Kultur, jede Sprache, jede Kunstrichtung unterscheidet sich in Konzeption und Wahrnehmung von Farbe“, schreibt Vieville. Sie nimmt uns mit auf eine Reise in die vornehmlich westliche Welt, aber auch nach Japan und Indien. Dabei werden 32 für die Farbe relevante Perioden abgedeckt, von der Frühgeschichte bis in unsere Zeit. Für jede Station wird ein typisches Werk vorgestellt und stellvertretend beschrieben. Das bietet die Möglichkeit, historische Fragestellungen kennenzulernen und genauer zu betrachten, wie Kunstschaffende die Farbe in verschiedenen Epochen und Weltreligionen einsetzten. „Farben und Formen sagen mehr aus als Worte.“ Dieses Zitat von Georgia O’Keeffe ist dem Kapitel „Symbolik“ vorangestellt. Es erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf einen festge-
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legten Kanon, sondern folgt vielmehr der Prämisse, dass in der Farbsymbolik nichts ein für alle Mal gültig ist. Dennoch werden 13 Farben, Farbnuancen und -bezeichnungen, Streifen und Regenbogen auf 16 Seiten genauer beleuchtet. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen 58 Kunstwerke. „Sie wurden ausgewählt, weil die jeweiligen Künstlerinnen und Künstler Farbe auf eine spezielle Weise eingesetzt haben. „Jedes dieser Werke leistet aus vielerlei Gründen einen Beitrag zur Kunstgeschichte“, heißt es in der Einleitung. Neben der Malerei als bestimmendem Medium begegnen den Lesenden hier auch „… Skulpturen, Tapisserien, Glasmalereien sowie Performances, Installationen und Videokunstwerke aus ganz unterschiedlichen kulturellen Räumen, die allesamt Farbe gezielt in Szene setzen.“ Bereits um 1400 stellte Cennino Cennini in seinem „Libro dell’arte“ fest: „Um der Kunst Strahlkraft zu verleihen (…), zerkleinern wir Farben (…). Genauso vielfältig wie die Farben selbst sind die Bindemittel und die unterschiedlichen Zerkleinerungsmethoden.“ Noch heute hat diese Feststellung Gültigkeit. Im vierten Kapitel ihres Buches behandelt Camille Vieville folglich die verschiedenen Rohstoffe, Materialien und Techniken, die Kunstschaffenden für die Farbherstellung zur Verfügung standen und stehen. Neben natürlichen und synthetischen Pigmenten geht es darin auch um Bindemittel, Grundierungen und Firnis. Die hier aufgeführten Kapitel des Buches sind nach der bewährten Struktur der Reihe „Eine kurze Geschichte …“ aufgebaut, die fortlaufend um neue Bände ergänzt wird: Jedes Kapitel kann für sich oder in Verknüpfung mit einem anderen gelesen werden. Auf jeder Seite befinden sich im unteren Teil Querverweise, die Leserinnen und Leser dazu einladen, zwischen einzelnen Abschnitten hin- und herzuwechseln. In den fett gedruckten Absätzen werden wichtige Entwicklungen, wesentliche Merkmale sowie der Werdegang einzelner Künstlerinnen und Künstler vorgestellt. „Eine kurze Geschichte der Farbe“ ist ein informatives, leicht verständliches und reich illustriertes Buch, das gut strukturiert den Blick auf die Farbe in der Kunst verändert – für alle, die mehr über diesen wichtigen Aspekt der Kunstgeschichte wissen wollen.
Über die Autorin Camille Vieville ist promovierte Kunsthistorikerin. Ihr Schwerpunkt liegt auf der modernen und zeitgenössischen Kunst. Sie ist Autorin verschiedener Bücher über Frauen in der Kunst, über Aktmalerei sowie über Maurice Denis und Georgia O’Keeffe.#
Eine kurze Geschichte der Farbe. Ein Überblick über Geschichte, Kunstwerke, Symbolik und Techniken Camille Vieville, 224 S., durchg. farb. Abb., 14,9 x 21 cm, kart, dt., Laurence King Verlag 2023, ISBN 9783962443733, EUR 20,00 (D), EUR 20,00 (A), CHF 27,90 (CH)
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Kunst, Erde, Wasser, Luft und Feuer Die Wiederentdeckung der Keramik in Kunst und Design
Töpferwaren werden seit Tausenden von Jahren von zahlreichen Kulturen auf der ganzen Welt hergestellt. Unter den Begriff „Töpferei“ fällt die handwerkliche Herstellung zum Gebrauch bestimmter oder dekorativer Produkte aus Ton und anderen Materialien. In den 1960er- und 70er-Jahren war Gebrauchskeramik überaus beliebt. Nach einer langen Zeit einheitlicher Serien- und makelloser Industrieproduktion trat Töpferware in den letzten Jahren einen erneuten Siegeszug an. Die Materialästhetik von Steinzeug und Ton, die Arbeit mit den Händen und die Vielfalt des individuellen Ausdrucks haben zu einer Wiederentdeckung des Handwerks geführt und sie zu einem großen Design-Thema gemacht.
How Ideas Are Born Ceramic Artists on creative Processes
Obwohl seit der Antike als Kunstmedium verwendet, waren keramische Arbeiten auch in der bildenden Kunst der vergangenen fünfzig Jahre kaum sichtbar. Als würde dem Material durch die Nähe zur Alltagskeramik ein „Makel des Handwerklichen“ anhaften, schien die Verwendung von gebrannter Erde nahezu verpönt. Doch seit geraumer Zeit erfährt der Werkstoff Ton auch hier eine Renaissance. Für einige zeitgenössische Künstler*innen wie Ai Weiwei, Thomas Schütte, Markus Karstieß oder Leiko Ikemura gehören aussagestarke keramische Arbeiten zum festen Bestandteil ihres Repertoires, Kunstschaffende wie Michael Cleff, Monika Debus, Gerhard Hahn oder Doris Kaiser legen den Fokus ihrer Arbeit auf die Ausdrucksmöglichkeiten der Keramik.
Teresa de la Cal, Miguel Ángel Pérez Arteaga, 280 S., durch farb. Abb, 19 x 23,5 cm, geb., engl., Hoaki 2024, ISBN 9788419220486, EUR 35,00 (D), EUR 35,00 (A)
Als Werkstoff gibt es kaum ein aufregenderes Material als Ton, das Basismaterial für die Keramikherstellung. Ton hat je nach Abbauregion individuelle Eigenschaften, die sich beim Brand
Abbildungen aus dem Innenteil des Buches, Ann van Hoey/Hoaki 2024.
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unterschiedlich verhalten und sich im Verbund mit anderen Materialien zusätzlich beeinflussen lassen. Durch das starke Erhitzen auf bis zu über 1000 Grad Celsius und den Prozess des Abkühlens eröffnen sich weitere Möglichkeiten, gewünschte Eigenschaften wie etwa Härte, Haltbarkeit und Beständigkeit gegen Hitze und Korrosion zu steuern. Ob und in welcher Weise man die Oberfläche mit Glasuren bearbeiten möchte, lässt wiederum zahlreiche Optionen offen, ein Werkstück zu gestalten.
und Engobe verwendet und welcher Ofen bei welcher Brenntemperatur eingesetzt wurde …
Wie setzen Keramikkünstler heute ihre Arbeiten in Keramik um? Welchen Anreiz bietet ihnen das Material? Was beeinflusst sie? Wie weit reicht das Themenspektrum?
Das Kaleidoskop der außergewöhnlichen Künstler*innen in diesem Buch zeigt auch, wie Neugierde, Risikobereitschaft und Offenheit zu überraschenden und vielseitigen Ergebnissen führen können: Jahrtausendealte Traditionen werden wiederentdeckt, neue Perspektiven entwickelt, Grenzen überschritten, Geschichten erzählt und gegen konventionelle Erwartungen aufbegehrt. Daraus entsteht ein Raum, in dem Kunst, Erde, Wasser, Luft und Feuer aufeinandertreffen und inspirieren.
Fragen wie diesen geht das im Frühjahr 2024 bei Hoaki erschienene Buch „Ceramic Artists on creative processes“ nach. Teresa de la Cal und Miguel Ángel Pérez Arteaga haben für die reich bebilderte englischsprachige Publikation eine repräsentative Auswahl mit Arbeiten von 27 international tätigen Kunstschaffenden zusammengestellt, von denen einige zu den besten Keramikkünstler*innen der Welt zählen. Diese erklären in eigenen Worten die kreativen Prozesse hinter ihren Arbeiten und erläutern, was sie inspiriert. Dabei wird auch deutlich, wie sie es erreichen, dass ihre Arbeit aufregend bleibt und was ihre Werke von denen anderer Keramikkünstler*innen unterscheidet. Anhand von zahlreichen Beispielen – Objekten, die uns emotional berühren, überraschen und zum Nachdenken anregen – verraten die Kunstschaffenden wichtige Details über ihre keramischen Kreationen: wie sie hergestellt und geformt wurden, ob Glasur
Indem die Kunstschaffenden die charakteristischen Merkmale ihrer Arbeit herausstellen und einige der Geheimnisse preisgeben, die ihre künstlerischen Prozesse kennzeichnen, erhalten Leserinnen und Leser einen aufschlussreichen Blick in die einzigartige kreative Welt des jeweiligen Kunstschaffenden.
Die 27 internationalen Kunstschaffenden, die in dem Buch vorgestellt werden: Belgien: Nathalie Doyen, Ann Van Hoey; China: Wan Liya; Frankreich: Monsieur Cailloux, Kaori Kurihara; Deutschland: Monika Debus; Indien: Madhvi Subrahmanian; Irland: Nuala O Donovan; Italien: Paola Paronetto; Japan: Shozo Michikawa; Mexiko: Gustavo Pérez; Niederlande: Cecil Kemperink; Nigeria: Ngozi Omeje Ezema; Polen: Monika Patuszynska; Spanien: Ícaro Maiterena, Xabier Montsalvaje, María Oriza, Myriam Jiménez Huertas, Ana Felipe, Roger Coll; UK: Nicholas Lees, Alice Walton, Sophie Woodrow; USA: Lauren Nauman, Yuko Nishikawa, Godeleine de Rosamel. Taiwan: Wu Wei Cheng.#
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Tiere zeichnen und verstehen Felix Scheinbergers Schule des Sehens ist auch ein Plädoyer gegen Ignoranz und Arroganz unseren tierischen Verwandten gegenüber
„Es ist fast so, als wäre die Kunst nur der Tiere wegen erfunden worden. Wir bilden Tiere ab, seit wir ein Stück Kohle in der Hand halten können. Seither begleiten uns gezeichnete Tiere, von prähistorischen Höhlenbildern bis zum modernen Comic.“ So leitet Felix Scheinberger sein Buch „Tiere zeichnen und verstehen“ ein und geht unter anderem der Frage nach, warum Menschen Tiere zeichnen. In den fünf großen und über fünfzig kleineren Kapiteln des hochwertig aufgemachten Bandes erklärt der Zeichner und Illustrator seiner Leserschaft, wo man Tiere findet, wie Tiere funktionieren, wie man sie zeichnet und wodurch das Verhältnis von Mensch und Tier geprägt ist. Zahlreiche Bildbeispiele belegen die Aussagen und Hinweise im Text. Die Collagen und typisch Scheinberger’schen Feder-Wasserfarbe-Zeichnungen zeigen vielfältige Motive, reichen stilistisch von naturgetreu bis zur Karikatur und werten das Buch zu einem Künstlerbuch auf.
Tiere zeichnen und verstehen Felix Scheinberger, 168 S., durchg. farb. Illust., 17 x 24 cm, fadengehefteter, reliefgeprägter und Softtouch-kaschierter Halbleinenband, Verlag Hermann Schmidt, 2024 (2. Auflage), ISBN 9783874399661, EUR 32,00 (D), EUR 32,90 (A), CHF 39,80 (CH)
Tiere zeichnen bedeutet: Genau hinschauen. Bewegungen und Verhalten studieren. Anatomie verstehen. Texturen von Fell, Haut, Schuppen oder Schnäbeln erkennen. Eine Beziehung zum Tier aufzubauen. Dabei zählt nicht nur das Ergebnis, also das Tier-Porträt, sondern auch der Prozess der Annährung. In beidem liegt der Reiz. „Deshalb“, so Felix Scheinberger im Vorwort, „wird sich dieses Buch mit der Physiognomie und dem Körperbau der Tiere sowie mit ihrem Wesen beschäftigen, aber auch damit, was wir in ihnen sehen.“
Abbildungen aus dem Innenteil, © Felix Scheinberger/Verlag Hermann Schmidt 2023
Von süß bis eklig – Tiere lösen Emotionen aus. Sie sind unsere Begleiter, egal ob in Haus, Garten oder in freier Wildbahn. Wer sich einmal auf den Weg in die Welt der Tiere gemacht hat, den wird der Reichtum an Arten, die Vielfalt der Charaktere und die Faszination des Beobachtens nicht mehr loslassen. „Tiere zeichnen und verstehen“ erschließt somit auch einen Zugang zu unseren Mit-Lebewesen. In diesem Sinne ist die beim Verlag Hermann Schmidt erschienene Publikation von Felix Scheinberger kein klassisches Anleitungsbuch. „Ich werde Ihnen nicht verraten, wie Sie eine Katze in drei Schritten zeichnen können. Zum einen gibt es dafür bessere Bücher; zum anderen halte ich es für klüger, wenn Sie dafür Ihren eigenen Weg finden. Mir geht es darum, grundlegend Konstruktion und Systematik zu vermitteln, um viele verschiedene Tiere zeichnen zu lernen“, schreibt der Künstler selbst dazu. „Tiere sehen und verstehen“ ist nicht nur eine Schule des Sehens, nicht nur ein Buch mit wertvollen Praxis-Tipps und Profi-Tricks zum Zeichnen von Tieren, sondern auch ein Plädoyer für ein respektvolleres Miteinander von Mensch und Tier. Denn Im Gegensatz zur Fotografie können wir nur zeichnen, womit wir uns intensiv beschäftigen, was wir wirklich verstanden haben. Wozu wir eine Meinung, eine Beziehung aufgebaut haben, im besten Fall eine wertschätzende. Zeichnen braucht Zeit. Das ist ein Wert in gehetzten Multitasking-Zeiten. Zeichnen geht nicht ohne Emotionen. Das verändert die Wahrnehmung unserer Mit-Le-
bewesen. „Gib dem Tier einen Namen“, empfiehlt Felix Scheinberger, denn Tiere sind Persönlichkeiten. In Zeichnungen fließt dieser Charakter, das Typische genau dieses Tieres mit ein. Zeichnend nehmen Sie Einfluss darauf, wie andere dieses Tier erleben. Sie treffen eine Aussage. Sie öffnen Augen. Ihre. Und die anderer. Felix Scheinberger hat als Professor und Erfolgsautor schon vielen Kreativen die Angst vor dem weißen Blatt genommen und die vor der ersten Seite des funkelnagelneuen Skizzenbuchs. Er steckt weltweit mit seiner Zeichenfreude an. Führt niederschwellig ins Zeichnen ein. Gibt bewährte Tipps. Er schreibt mitreißend und weckt Zeichenlust. In diesem Buch aber steckt noch mehr. Als Felix Scheinberger begann, Tiere zu zeichnen, veränderte sich sein Verhältnis zu unseren Co-Kreaturen. Ähnlich wie Jonathan Safran Foer es in seinem Erfolgstitel „Tiere essen“ beschreibt, verlieren wir durch die Annährung an unsere Mit-Lebewesen die Blindheit und Ignoranz ihnen gegenüber. Wer einmal richtig hingeschaut hat, kann nicht mehr nicht sehen. Wer stundenlang ein Tier porträtiert hat, steht anschließend in einer Beziehung zu ihm. „Tiere zeichnen und verstehen“ ist deshalb auch ein politisches Buch. Es ist ein Plädoyer gegen Ignoranz und Arroganz unseren tierischen Verwandten gegenüber. Und es öffnet uns die Augen – im wahrsten Sinne des Wortes.#
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Von Figuren und Menschen Zwei außergewöhnliche Fotobildbände zeigen zeitlos anrührende Motive
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die Marionettenbühne „Collegium magicum“, die aufgrund ihrer eigenwilligen Figuren und experimentellen Vorführungen bald auch überregional Bekanntheit erlangte.
„Reinhold Wittigs Collegium magicum“ ist eine faszinierende Reise in eine wahrlich fantastische Welt. Wittigs Figuren schlummerten staubfrei im Dunkel ihrer Aufbewahrungsbehältnisse. Viele von ihnen waren heillos verheddert und kaum bespielt, andere hatten ein erfülltes, im Wortsinn bewegtes Marionettenleben hinter sich, als Matthias Wittig, der Sohn des Marionettenbauers, sie wiederentdeckte und befreite. Ihr Schöpfer Reinhold Wittig hat in über siebzig Jahren gut zweihundert Marionetten gebaut. Zusammengefügt aus massiven Metall-, Holz- und Kunststoffteilen wurden sie ursprünglich für szenische Kontexte entwickelt, um sich im Laufe der Jahre zu eigenständigen Skulpturen zu entwickeln – funktionsfrei und beweglich wie ein Mobile. Nach anfänglichen Vorführungen im privaten Rahmen traute sich Reinhold Wittig 1964 mit seinen Marionetten vor ein größeres Publikum: Er gründete in Göttingen
Für die im Verlag Kettler erschienene Monografie hat Reinhold Wittigs Sohn die verborgenen Schätze seines Vaters aus sperrigen Kisten und Seemannskoffern gehoben. In einem Zusammenspiel aus dramatisch inszenierten Fotografien, Archivmaterialien, Zeitungsausschnitten, Tagebucheinträgen und Zeitzeugenberichten erweckt er die Marionetten zum Leben und lässt so die einzigartige Welt seines Vaters wiederauferstehen. Das mit sieben leuchtenden Sonderfarben und einem fliederfarbenen Lesebändchen aufwendig ausgestattete Buch zeigt ein märchenhaft inszeniertes Marionettentheater jenseits aller Konventionen, das durch die kreative Zweckentfremdung alltäglicher Ausgangsmaterialien und die fotografische Umsetzung die Fantasie beflügelt.
Gundula Schulze Eldowy sagt, Berlin habe sie zur Fotografin gemacht. Welches Berlin das damals war, zeigt sie in ihrem Bilderzyklus „Berlin in einer Hundenacht“, der zwischen 1977 und 1990 entstand, als sie mit ihrer Kamera Ostberlin durchstreifte: In ihren kraftvollen und direkten Bildern hält sie den langen Nachkrieg im sozialistischen Teil der Stadt fest, die tiefen Narben des deutschen Infernos. Ihre Fotos zeigen das
[1] Abbildungen aus dem Innenteil des Buches: Matthias Wittig (Hg.): „Reinhold Wittigs Collegium magicum“, Verlag Kettler, 2023. [2] Abbildungen aus dem Innenteil des Buches: Gundula Schulze Eldowy: Berlin in einer Hundenacht, Spector Books 2024 (c) Gundula Schulze Eldowy.
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alte Berliner Milieu – die Unikate und Randexistenzen –, die nach dem Mauerfall schnell aus dem Gesicht der Stadt verschwanden. Menschen, die sich mit dieser Situation arrangieren, die ihren Alltag organisieren, ihre Wege gehen, ihre Arbeit verrichten und sich von dieser erholen.
Reinhold Wittigs Collegium magicum Matthias Wittig (Hrsg.), 348 S., durchg. bebildert, 17 x 22,8 cm, geb., dt., Kettler Verlag 2023, ISBN 9783987410710, EUR 38,00 (D), EUR 39,10 (A)
Gundula Schulze Eldowy, die von 1979 bis 1984 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Fotografie studierte, ist Anfang Zwanzig, als sie diesen Menschen begegnet und sie in die Hinterhöfe hinein bis in ihre Wohnungen begleitet. Die bei diesen Begegnungen entstandenen Fotografien erzählen Geschichten von Menschen, deren Lebensumstände oftmals von Mangel oder Verlust geprägt sind – deren Biografien ein Spiegel der politischen Entwicklungen des 20.Jahrhunderts sind. Indem sie ihren Blick nicht abwendet, wenn ihr Armut, Verzweiflung oder Einsamkeit begegnen, hält sie die Lebensrealitäten derer fest, von denen – damals wie heute – häufig der Blick bewusst abgewendet wird. In der Fotoserie „Berlin in einer Hundenacht“ dokumentiert Schulze Eldowy einen ostdeutschen Alltag, der im Widerspruch zu den häufig idealisierten Bildern der sozialistischen Gesellschaft steht und mit dem sie in der DDR aneckte. Der Blick der Fotografin ist auf das Existenzielle gerichtet, er berührt und er tut weh, weil er, was selten zusammenkommt, sensibel und ungehemmt auf die Welt schaut. Dabei entfremdet die von ihr eingesetzte Schwarz-Weiß-Fotografie zwar, doch sie entlarvt gerade aufgrund dieser Abstraktion auch das Wesentliche ihrer Motive. Die Serien, die in „Berlin in einer Hundenacht“ gezeigt werden, bilden das Frühwerk von Gundula Schulze Eldowy. Mit diesen Bildern wurde sie weltweit bekannt. Sie sind heute in den wichtigen Fotosammlungen zu sehen. Das Buch, das lange vergriffen war, ist bei Spector Books in einem anderen Layout und ergänzt um über 30 Aufnahmen neu aufgelegt worden.#
Berlin in einer Hundenacht Gundula Schulze Eldowy (Fotografie und Text), 340 S., 134 SW-Abb., 22 x 26 cm, geb., dt., Spector Books 2024, ISBN 9783959058209, EUR 42,00 (D), EUR 43,20 (A)
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Brixy
Cornelius Völker
Herbert Brandl
William Blake
The Description of the World
Guter Stoff
Spirit lead me
Association for Art in Public (Hrsg.), 112 S., 70 farb. Abb., 20,5 x 27 cm, Klappenbr., dt./engl., Hirmer Verlag 2024, ISBN 9783777444796, EUR 29,90 (D), EUR 30,80 (A)
Christiane Heuwinkel (Hrsg.), 160 S., zahlr. farb. Abb., 18,5 x 24 cm, geb., dt., Schirmer Mosel 2024, ISBN 9783829610223, EUR 36,00 (D), EUR 37,10 (A)
288 S., 14 x 21 cm, Klappenbr., dt., Hatje Cantz 2023, ISBN 9783775756310, EUR 40,00 (D), EUR 42,00 (A)
Dantes Göttliche Komödie. Sämtliche Zeichnungen
Lebensfreude, Energie, Optimismus. Dietmar Brixy kreiert Werke, die mit ihrer leuchtenden Farbigkeit und Dynamik in die Welt strahlen.
Eine Monografie und ein Katalogbuch zur umfassenden Einzelausstellung des Malers Cornelius Völker (*1965) im Kunstforum Hermann Stenner in Bielefeld.
Herbert Brandl hat sich mit seinen großformatigen, gestisch expressiven Arbeiten als einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Malerei etabliert.
Christiane Löhr
Otto Piene
Arno Rink
Albert Oehlen
Symmetrien des Sachten
Wege zum Paradies. Paths to Paradise
Ich bin kein moderner Künstler
Hans Werner Holzwarth (Hrsg.), 496 S., durchg. farb. Abb., 25 x 33,4 cm, dt./engl./franz., Taschen Verlag 2018, ISBN 9783836508971, EUR 75,00 (D), EUR 75,00 (A)
Julia Wallner, Jutta Mattern (Hrsg.), 288 S., 140 Abb., 21,6 x 30,2 cm, HC, dt., Hatje Cantz 2023, ISBN 9783775756693, EUR 48,00 (D), EUR 50,00 (A) Christiane Löhr schafft einen einzigartigen skulpturalen und installativen Kosmos mit Materialien aus der Natur. Organische Elemente wie Flugsamen, Pflanzenstängel, Kletten, Baumblüten, Pferde- und Hundehaar nutzt sie als Konstruktionsmaterial für ihr organisch-abstraktes Formenrepertoire.
288 S., 296 farb. Abb., 23 x 29 cm, geb. m. SU, dt./engl., Hirmer 2024, ISBN 9783777442532, EUR 49,90 (D), EUR 51,30 (A), CHF 65,00 (CH) Der reich illustrierte Band zeichnet Pienes Vision anhand seiner wichtigsten Projekte und Werkserien aus seiner Zeit in Deutschland und den USA nach. Kinetische Skulptur, Film, Malerei oder Performance stehen im Dialog miteinander, insbesondere mit seiner stetigen Praxis des Zeichnens und Skizzierens.
400 S., 100 farb. Abb., 17 x 24 cm, Halbleinen mit Surbalin-Überzug, Munken-Papier, Hirmer 2024, ISBN 9783777442587, EUR 34,90 (D), EUR 35,90 (A) Arno Rink, herausragender Vertreter der Leipziger Schule und Wegbereiter der neuen Leipziger Schule, hat zahlreiche Skizzenund Tagebücher hinterlassen. Die hier versammelten Auszüge und Notizen zeigen den Maler in all seiner Zerrissenheit, Verwundbarkeit und mit seiner unzerstörbaren künstlerischen Kraft.
Maria Antonietta Terzoli, Sebastian Schütze, 464 S., zahlr. farb. Abb., 17 x 24 cm, geb., dt., Taschen 2017, ISBN 9783836568609, EUR 30,00 (D), EUR 30,00 (A) William Blakes spektakuläre Illustrationen zu Dantes „Göttlicher Komödie“.
Albert Oehlen lässt Erwartungen gern ins Leere laufen, stürzt Ästhetiken um und schlägt immer wieder neue Wege ein, um künstlerisches Neuland zu erkunden. Das Buch zeigt über 400 Werke aus allen Schaffensphasen des Malers, der zu den einflussreichsten Künstlern unserer Zeit zählt.
Buchtipps | 63
Wie Banksy die Kunst rettete
The Story of Art without Men
Die Farbenfibel
Rot
Ein anderer Blick auf die Geschichte der Kunst
Große Künstlerinnen und ihre Werke
Von Pompeji bis Rothko
Kelly Grovier, 208 S., ca. 100 farb. Abb., 19 x 25 cm, geb., dt., Midas 2024, ISBN 9783038763055, EUR 34,00 (D), EUR 34,70 (A), CHF 39,00 (CH)
Katy Hessel, 512 S., über 300 farb. u. s/w-Abb., 15,6 x 23,4 cm, geb., dt., Piper 2022, ISBN 9783492059442, EUR 32,00 (D), EUR 32,90 (A)
Wilhelm Ostwald, 72 S., zahlr. farb. Abb., 16 x 22 cm, geb., dt., Favoritenpresse 2023, ISBN 9783968490953, EUR 15,00 (D), EUR 15,50 (A)
In diesem Buch wird durch die satirische Linse von Banksys provokant neu interpretierten Meisterwerken die Kunstgeschichte neu betrachtet und in einen unerwarteten Fokus gerückt.
Wer schreibt Kunstgeschichte? Haben Frauen vor dem 20. Jahrhundert überhaupt als Künstlerinnen gearbeitet? Bis heute wirkt, dass Kunst über Jahrhunderte hinweg von Männern für Männer gemacht wurde. Dieses Buch zeigt, dass dieses Bild einseitig ist.
Wilhelm Ostwald, einer der vielseitigsten und produktivsten deutschen Naturwissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts, verfasste 1916 seine „Farbenfibel“ und hat sich damit in der Kulturund Wissenschaftsgeschichte einen bleibenden Platz erobert.
Hayley Edwards-Dujardin, 112 S., durchg. farb. Abb., 17 x 24 cm, geb., dt., Midas 2024, ISBN 9783038762874, EUR 22,00 (D), EUR 22,70 (A), CHF 30,00 (CH) Keine andere Farbe ist so präsent und hat eine derart intensive Wirkung wie Rot. Es ist die Farbe von höchsten Gefühlen: von Liebe und Leidenschaft, aber auch die Farbe des Blutes, des Kampfes und des Feuers. Dieses Buch ist eine unterhaltsame und kenntnisreiche Einladung, diese Farbe zu entdecken.
begehrt. umsorgt. gemartert Körper im Mittelalter
Geschichte der Anatomie
Pflanzen-Magie
in 150 Büchern – von der Antike bis heute
Bibliothek der Esoterik
Colin Salter, 272 S., durchg. farb. Abb., 19,6 x 23,5 cm, geb., dt., Haupt Verlag 2024, ISBN 9783258083636, EUR 38,00 (D), EUR 39,10 (A) Die Anatomie ist eine der ältesten Wissenschaften, deren niedergeschriebene Geschichte mehr als 5000 Jahre zurückreicht. In diesem Buch wird dieses Kapitel der Erkenntnisgeschichte anhand von über 150 Büchern aus der ganzen Welt nachgezeichnet.
Jessica Hundley (Hrsg.), 520 S., zahlr. farb. Abb., 17 x 24 cm, Halbleinen, dt., Taschen 2023, ISBN 9783836585668, EUR 30,00 (D), EUR 30,00 (A) Die Symbolik der Pflanzen im Laufe der Geschichte.
Schweizerisches Nationalmuseum (Hrsg.), 160 S., 117 farb. u. 4 s/w Abb., 20 x 27 cm, kart., dt., Scheidegger & Spiess 2023, ISBN 9783039421879, EUR 38,00 (D), EUR 39,10 (A) Fragen rund um den Körper werden in jeder Epoche unterschiedlich gestellt und beantwortet. Die Menschen des Mittelalters haben sich erstaunlich vielseitig und umfassend mit dem Körper und seinem Stellenwert befasst. Dieses Buch wirft einen kultur- und kunsthistorischen Blick auf verschiedene körperrelevante Themen.
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Labor | 65
Struktur und Wirkung
Idee, Malerei, Gestaltung, Fotografie: Ina Riepe
Ob feine, cremeweiße Baumwolle, langfaseriges, stabiles Hanfgewebe oder gröberes Leinen – Struktur und Farbe des Malgrundes haben entscheidenden Einfluss auf die Wirkung des Farbauftrages und damit auf das fertige Werk. Die Rohstoffe, aus denen ein Gewebe hergestellt wird, und die Webart bestimmen seine Eigenschaften als Maltuch. Für die Gleichmäßigkeit ist die Länge der gewebten Fäden ausschlaggebend (bei kurzen Fäden entstehen häufiger Knoten) und das Flächengewicht definiert die Stärke der verwendeten Fäden: Je höher, desto schwerer, gröber und robuster ist der Stoff. Je nach Art der verwendeten Farben, der Maltechnik und der gewünschten Oberflächenstruktur stehen zahlreiche Gewebearten zur Verfügung. Unsere Beispiele zeigen die Unterschiede im Farbauftrag auf Rohgeweben mit unterschiedlicher Struktur und Farbe.
Linke Seite: Morani Serie 50 Schlägerpinsel (oben links): in 3 Größen erhältlich; Morani Universalpinsel Serie 100 (oben rechts): in 9 Größen erhältlich; Golden High Flow (unten links): in 30 ml und 118 ml in 85 Farbtönen erhältlich; boesner Ölpastell (unten rechts): in 60 Farbtönen erhältlich. Rechte Seite: boesner Scene Gouache: im 1-L-Gebinde in 27 Farbtönen erhältlich.
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Einblicke in Seelenwelten Yoshitomo Nara in Baden-Baden
„Ich versuche nach wie vor, den Sinn des Lebens zu finden.“ Yoshitomo Nara
Yoshitomo Nara (*1959) zählt zu den bekanntesten Künstlern seiner Generation. Mit den sogenannten Angry Girls erlangte der Japaner internationale Berühmtheit: Die meist großformatigen Porträts mit eindringlichen Augen gelten seit Langem als Ikonen der zeitgenössischen Malerei. Mit der Ausstellung „Yoshitomo Nara“ präsentiert das Museum Frieder Burda anhand von Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen aus vier Jahrzehnten die erste große Retrospektive des Künstlers in Deutschland, die bis zum 27. April 2025 zu sehen ist. Yoshitomo Naras Werke sind mit seiner persönlichen Geschichte verbunden: Sie erzählen von einsamen Kindheitsjahren in Japan, von der Isolation, die er während seiner Studienzeit in Deutschland erlebte, von seiner politischen Auflehnung, von seiner Liebe für Underground Punk, Folk und Rock, fü r Literatur, Kino und Natur sowie von der Geschichte der japanischen und europäischen Kunst. Die Besucher sind in
[1] Yoshitomo Nara vor Midnight Tears (Detail), 2023 im Museum Frieder Burda, Collection of the Artist, © Yoshitomo Nara, courtesy Yoshitomo Nara Foundation; Foto: Nikolay Kazakov.
Ausstellung | Yoshitomo Nara | 69
Baden-Baden eingeladen, Naras Kunstwerke der letzten vierzig Jahre zu erleben und zu entschlüsseln: Sowohl die aufmüpfigen Angry Girls, die die Betrachtenden fixieren und ihnen konfrontativ entgegentreten, als auch seine meditativ wirkenden Figuren, die verletzlich und ätherisch erscheinen, gewähren allesamt einen Einblick in die Seelenwelt des Künstlers. Yoshitomo Nara hat ein tiefes Interesse an der Menschheit: Sein Werk untersucht und integriert die Themen von Heimat, Gemeinschaft, Natur und deren Zusammengehörigkeit. Auch wenn seine kraftvollen Porträts mit großen Augen an Mangas erinnern,
sind Naras Figuren, Tiere und Mischwesen vor allem ein Spiegelbild seiner eigenen Erinnerungen und Gefühlswelten. So verarbeitete der Künstler in diesen Darstellungen auch seine Kindheitserlebnisse, die aufgrund seiner berufstätigen Eltern vielfach von Einsamkeit und Isolation geprägt waren. Bedingt durch die langen Arbeitszeiten seiner Eltern verbrachte Nara viel Zeit allein und begann bereits früh zu zeichnen. Auch seine Liebe zur Literatur, sein Wissen über japanische und europäische Kunstgeschichte sowie seine Auseinandersetzung mit anderen Kulturen dienen ihm als Inspirationsquellen. Aber vor
[2] Miss Forest, 2010, Leeum Museum of Art, Seoul, Ausstellung Museum Frieder Burda, Baden-Baden 2024, © Yoshitomo Nara, courtesy Yoshitomo Nara Foundation, Foto: Nikolay Kazakov.
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schaftswachstums“, so Yoshitomo Nara. „Meine Eltern waren berufstätig, und meine Brüder sind deutlich älter als ich. Deshalb war ich die ganze Zeit allein zu Hause. Mit Eltern und Brüdern hatte ich nicht viel zu tun. Ob ich rebellierte oder nicht, war egal; niemand hätte es gemerkt. Sie hatten keine Ahnung, wie ich in Wirklichkeit war. Ich liebte Musik und Mädchen. Ich fühlte mich total frei – aber auch verlassen.“ Bedrohlich, trotzig, wütend, melancholisch und unsicher: Mit den „Angry Girls“, mit denen der Künstler internationale Bekanntheit erlangte, widersetzt sich Nara dem in Japan so beliebten kawaii-Stil. „Kawaii“ (japanisch fü r „niedlich“) meint ein ästhetisches Konzept, das auf süße und unschuldig-kindliche Motive setzt. Nara setzt diesem Prinzip rebellische und aufmüpfige Protagonisten entgegen. Sie stehen sinnbildlich fü r die pazifistische, sozialkritische und weltoffene Haltung des Künstlers, die auch durch seine intensive Auseinandersetzung mit Japans historischer Rolle während des Zweiten Weltkriegs geprägt ist.
allem spielt Musik im Leben von Yoshitomo Nara eine zentrale Rolle: So ist Nara bis heute tief verwurzelt mit der Musik, die er bereits als Kind auf einem selbst konstruierten Radio hörte. Naras Lieblingssender war das Far East Network (FEN), der damals für die während des Vietnamkriegs in Japan stationierten US-Streitkräfte Programm machte: Die Radiostation sendete Folksongs amerikanischer Singer-Songwriter wie Bob Dylan mit ablehnenden Antikriegsbotschaften, melancholische Klänge des Blues sowie volkstümliche Musik aus England und Irland. Ohne die fremdsprachigen Texte zu verstehen, nahm Nara die Klänge auf einer sinnlichen Ebene auf. In Kombination mit dem, was er aus den Bildern auf dem Albumcover erahnte, verstand er die Musik auf seine eigene Art und Weise und übersetzte sie ins Zeichnerische. „Das Japan der Nachkriegszeit stand im Zeichen des Wirt-
Auch Naras politisches Bewusstsein, seine humanitären Anliegen und seine Antikriegshaltung haben ihren Ursprung in der Gegenkultur und der Folk- und Blues-Musik der 1950er- und 1960er-Jahre, die den Sound zur Bürgerrechtsund der Friedensbewegung lieferten. Nara leistete keinen Wehrdienst, reiste aber 2002 nach Afghanistan, um in Zeichnungen und Fotografien das dortige Kriegsgeschehen kritisch zu dokumentieren. Seit dem Tsunami 2011, ausgelöst durch ein gewaltiges Seebeben vor der japanischen Ostküste, sowie der damit zusammenhängenden Havarie im Kernkraftwerk von Fukushima, kommt Naras politische Haltung in seinen Werken immer offener zum Ausdruck: Globale Initiativen, die ihm am Herzen liegen, unterstützt er aktiv – unter anderem die Anti-Atomkraft-Bewegung und Kampagnen, die auf ökologische Probleme aufmerksam machen. Naras leicht verständliche Bildsprache mit ihrer wirkungsstarken und eindeutigen politischen Rhetorik wird auch von Demonstrierenden genutzt, die ihre Transparente mit seinen Bildern und unmissverständlichen Botschaften versehen.
[3] Sleepless Night (Sitting), 1997, Courtesy of Rubell Museum, Miami & Washington, D.C., © Yoshitomo Nara, courtesy Yoshitomo Nara Foundation.
[4] Missing in Action, 1999, Courtesy of Sally and Ralph Tawil, © Yoshitomo Nara, courtesy Yoshitomo Nara Foundation.
72 | Ausstellung | Yoshitomo Nara
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Yoshitomo Nara wurde 1959 in einem Vorort von Hirosaki im abgelegenen Norden Japans geboren. Nach seinem Masterstudium der Malerei an der Universität der Künste in Aichi zog es ihn bereits 1980 nach Europa, wo er die Werke der europäischen Moderne und die Gemälde aus dem frühen Mittelalter und der Renaissance studierte. Die Begegnung mit den Originalen war für Nara wegweisend und beeinflussten sein späteres Schaffen nachhaltig. So erinnern seine runden Tellerbilder an die gestalteten Rundbilder (Tondi) der Renaissance mit ihren vereinfachten Hintergründen, die den Blick des Betrachtenden gezielt auf die Figuren in der Bildmitte lenken. Um in Anlehnung an die Fresken aus dem späten Mittelalter und der Frührenaissance ein ähnliches Erscheinungsbild zu erreichen, arbeitete Nara mit Pastellfarben und überzog diese mit einer dünnen weißen Farbschicht.
1988 schrieb Nara sich an der renommierten Kunstakademie in Düsseldorf ein. Die nachfolgenden Jahre erwiesen sich als bedeutend für seine künstlerische Entwicklung. Aufgrund seiner fehlenden Deutschkenntnisse führte er – wie auch schon in seiner Kindheit – ein einsames Leben, was ihn aber noch viel mehr darin bestärkte, die Kunst als Kommunikationsmedium zu nutzen. An der Kunstakademie studierte Nara in der Klasse von A.R. Penck, einem führenden Vertreter des Neoexpressionismus, der ihm den wegweisenden Impuls gab, seine malerische und zeichnerische Arbeitsweise miteinander zu verbinden. Dadurch entstand Naras einzigartige und originelle Bildsprache, die heute unverkennbar ist. Während dieser Zeit entwickelte Nara ebenfalls seine charakteristischen Kinderdarstellungen, die mit ihren markanten großen Köpfen und weit auseinanderliegenden
[5] Midnight Tears, 2023, Collection of the Artist, Ausstellung Museum Frieder Burda, Baden-Baden 2024, © Yoshitomo Nara, courtesy Yoshitomo Nara Foundation; Foto: Nikolay Kazakov. [6] No War, 2019, Collection of the artist, courtesy of Pace Gallery © Yoshitomo Nara, courtesy Yoshitomo Nara Foundation.
Ausstellung | Yoshitomo Nara | 73
Augen einen direkten emotionalen Bezug zum Betrachter herstellen: Auf den ersten Blick wirken sie niedlich, aber die überspitzte Mimik und ihr rätselhaftes Gebaren verleihen ihnen einen konfrontativen Charakter. 1994 zog Nara nach Köln. Seine Werke wurden in Einzelausstellungen und in vielen Gruppenausstellungen in ganz Europa gezeigt. 1995 stellte er zum ersten Mal in den USA aus. Im Jahr 2000 kehrte er nach Japan zurück, wo er auch heute noch aktiv ist. Mit der Ausstellung „Yoshitomo Nara“ im Museum Frieder Burda kehrt der Künstler nun in das Land zurück, das für seine künstlerische Entwicklung wegweisend war. Die Ausstellung entstand in enger Abstimmung mit dem Künstler selbst und ist eine Kooperation des Guggenheim Museum Bilbao, des Museum Frieder Burda und der Hayward Gallery, London. Zu den Highlights der Werkschau zählen auch Meisterwerke aus internationalen Privatsammlungen, die sonst der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.#
„Irgendwo auf der Welt explodiert gerade eine Bombe, sogar jetzt in diesem Moment. Gerade in dem Moment muss aber auch neues Leben in der Welt entstehen. STOPPT DIE BOMBEN! Das fühle ich zutiefst in meinem Herzen.“ Yoshitomo Nara
Ausstellung Bis 27. April 2025 Yoshitomo Nara
[6]
Katalog Yoshitomo Nara Texte von Lucía Agirre, Shigemi Takahashi, Mika Yoshitake, geb., dt., 224 S., 215 x 247 mm, Hatje Cantz, ISBN 9783775759298
Kontakt Museum Frieder Burda Lichtentaler Allee 8b, 76530 Baden-Baden Tel. +49-(0)7221-39898-0 www.museum-frieder-burda.de
74 | Ausstellung | Erwin Wurm
Die Gestalt des Absurden Erwin Wurm in der Albertina Modern
„Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen.“ Albert Camus
Er verleiht dem Augenblick und dem darin steckenden Lebensgefühl des Absurden Gestalt: Das Schaffen von Erwin Wurm (*1954) kreist um die Einsicht, dass die Menschen vergeblich versuchen, ihrem Dasein Sinn und Bedeutung zu geben. Heute zählt der Österreicher international zu den erfolgreichsten und bekanntesten Künstlern der Gegenwart. Sein 70. Geburtstag ist für die Albertina Modern Grund zu feiern: Die derzeitige Retrospektive versammelt aus diesem Anlass Schlüsselwerke wichtiger Stationen seines gesamten, vielseitigen Œuvres. Der Bogen spannt sich von den Anfängen in den 1980er-Jahren bis zu eigens für die Ausstellungen entstandenen Arbeiten. Skulpturen, Zeichnungen und Handlungsanweisungen, Videos und Fotografien laden in der Albertina Modern geradezu dazu ein, das Paradoxe und Absurde der Welt zu beleuchten. Wurms berü hmteste Arbeiten waren lange Zeit die One Minute Sculptures. In einer unlogischen, grotesk-komischen Verbindung nimmt ein Mensch auf Anweisung des Kü nstlers mithilfe einer Banane, von Zitronen, mit Bleistiften, Möbelstü cken oder Kleidungsstü cken eine unmögliche, jeder Logik und Vernunft spot[1]
[1] Hoody I, 2023, 205 × 63 × 45 cm, Bronze, Farbe, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025 / Erwin Wurm, Foto: Markus Gradwohl. [2] Fat Convertible, 2005, 130 × 480 × 237 cm, Mischtechnik, © VG Bild-Kunst, Bonn 2025 / Erwin Wurm, Foto: Vincent Everarts.
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tende Stellung ein, die man eine Minute lang halten soll – eine zutiefst sinnlose Handlung. Erwin Wurm hat mit diesen One Minute Sculptures eine völlig neue Ausdrucksform fü r seine tiefen Zweifel an unserer angeblich so rationalen Kultur gefunden. Mit diesen performativ-situativen Szenarien wendet er sich bewusst von der klassischen Skulptur ab, die schon in ihrer Statuarik auf Dauer angelegt ist. Ihr klassisches Mittel ist der Kontrapost, das ausgewogene Verhältnis zwischen Standbein und Spielbein. Ihr bevorzugtes Thema ist der sinnvolle Austausch zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, wie er sich in einer vernü nftigen Körpersprache und Haltung abzeichnet. An dessen Stelle treten bei Erwin Wurm grotesk-komische Verknü pfungen des Menschen mit Gegenständen. Was entsteht, ist ein skurril-absurdes Meisterwerk, das die Vergänglichkeit bereits in sich trägt und nur fü r 60 Sekunden besteht: one minute! Immer geht es, wie der Kü nstler selbst erklärt, um den Begriff des Skulpturalen im Verhältnis zum Sozialen. Um das Hinterfragen der Strukturen unserer Gesellschaft, die sich auch in den Formen unserer Alltagsgegenstände manifestiert. So kann ein Essiggürkchen durchaus zu einem Selbstporträt erklärt werden oder ein ü ppiges Luxusauto wie das Fat Car zum Symbol von Gier, Überfluss und Warenfetischismus in unserer Gesellschaft. Auf der anderen Seite spiegelt das Narrow House konzeptuell die Beengtheit bü rgerlichen Denkens und Handelns und die Enge gesellschaftlicher Normen wider, ob durch Religion, Konvention oder inszeniertes Pathos. Dazu wird in dieser Schau erstmals eine ländliche Schule präsentiert, die fü r einengende und heute ü berholte Vorstellungen steht und ein weiteres Symbol einschränkender und wertender Denkmodelle darstellt. Wurms Arbeiten verdeutlichen, wie sehr es um das Entdecken geht, darum, das Vorhandene und unsere bestehenden Strukturen immer wieder neu zu denken und neu zu gestalten.
[2]
Ausstellung Bis 9. März 2025 Erwin Wurm. Die Retrospektive
Katalog Erwin Wurm Antonia Hoerschelmann, Klaus Albrecht Schröder (Hrsg.), Beiträge von A. Hoerschelmann, K.P. Liessmann, geb., 320 S., 240 Abb. in Farbe, 23 x 26 cm, Hirmer, ISBN 9783777443782
Seinem Anspruch, mit den skulpturalen Parametern von Hü lle, Masse, Haut, Volumen und Zeit innovativ zu arbeiten, bleibt Erwin Wurm auch in seinen neuen Arbeiten verpflichtet: So verdeutlichen seine neuen Serien, wie Substitutes, Skins oder Flat Sculptures, wie sehr der Kü nstler weiterhin das Vorhandene immer wieder neu denkt und gestaltet und die Betrachtenden zu dieser gemeinsamen Entdeckungsreise durch seine gedanklichen und kü nstlerischen Freiräume einlädt. Die Ausstellung versammelt Hauptwerke aus allen Stationen des kü nstlerischen Schaffens von Erwin Wurm. Von den frü hen Holzund Staubskulpturen spannt sich der Bogen bis zu neuesten Arbeiten, die zum Teil erstmals in dieser Ausstellung zu sehen sind. Daneben stehen Arbeiten, mit denen er internationale Bekanntheit erlangte, wie die One Minute Sculptures, das Fat Car oder ein Narrow House.#
Kontakt Albertina Modern Karlsplatz 5, 1010 Wien Tel. +43-(0)1-53483540 www.albertina.at
Eingefangene Momente Medardo Rosso im Mumok in Wien
„Es gibt keine Malerei, es gibt keine Plastik, es gibt nur ein Ding, das lebt.“ Medardo Rosso
Künstler und Handwerker, Meister öffentlichkeitswirksamer Inszenierungen und Konkurrent von Auguste Rodin: Medardo Rosso gilt als einer der großen Wegbereiter der Moderne. Bis heute übt Rosso, der dem Impressionismus zwar nahestand, sich aber an den Rändern und Übergängen von Methoden, Medien und Materialien bewegte, auf viele Künstler*innen eine große
[1] Medardo Rosso in seinem Studio am Pariser Boulevard des Batignolles, 1890, Abzug vom Original-Glasnegativ, 13 × 17,7 cm, © Archivio Medardo Rosso.
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Faszination aus. Zugleich ist er schwer zu fassen und – anders als Rodin – bisher wenig bekannt. Das Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (Mumok) widmet dem Künstler derzeit mit über 50 Skulpturen und einer großen Auswahl an Fotografien, Fotocollagen und Zeichnungen eine umfassende Retrospektive: „Medardo Rosso: Die Erfindung der modernen Skulptur“ ist bis zum 23. Februar 2025 zu sehen und zielt darauf ab, Rossos künstlerische Praxis in allen Facetten zu vergegenwärtigen – von Skulpturen über Fotografien und Zeichnungen bis hin zu Antikenkopien, Schriften und Ausstellungsdisplays.
Eva Hesse, Marisa Merz und Phyllida Barlow –, die direkt oder indirekt mit Rosso in Resonanz stehen. Dabei wird sichtbar, wie sich in Rossos Werk die wesentlichen Paradigmenwechsel in der Kunst des 20. Jahrhunderts ankündigten: vom Monumentalen zum Anti-Monumentalen, von der Form zum Material, von der Originalität und Einzigartigkeit zur seriellen (Selbst-)Wiederholung und Reprise, vom finalen und abgeschlossenen Werk zum Veränderlichen, zu Prozess und Ereignis, von der Autonomie zur Raum- und Kontextbezogenheit und damit schließlich auch zu einer Resonanz mit der Umwelt: einer wechselseitigen Beziehung von Subjekt und Objekt, Sehendem und Gesehenem, Berührendem und Berührtem.
Die Ausstellung folgt dem relationalen Denken Rossos, der seine Arbeiten zumeist gemeinsam mit Vergleichswerken zeigte, und kontextualisiert sein Werk erstmals mit ausgewählten Arbeiten von ca. 50 Künstler*innen – u. a. Edgar Degas, Constantin Brâncusi, Louise Bourgeois, Jasper Johns, Robert Morris, Lynda Benglis,
Medardo Rosso wird am 21. Juni 1858 in Turin als jüngerer Sohn des Bahnbeamten Domenico Rosso und Luiga Bonos geboren. Ab 1882 studiert Rosso in Mailand an der Accademia di Brera, wird jedoch
[2] Aetas aurea, 1886, Wachs auf Gips, 50 x 48 x 35 cm, Foto: mumok / Markus Wörgötter, Courtesy of Amedeo Porro Fine Arts Lugano/London. [3] Aetas aurea (Detail), 1886, Wachs auf Gips, 50 x 48 x 35 cm, Foto: mumok / Markus Wörgötter, Courtesy of Amedeo Porro Fine Arts Lugano/London.
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bereits 1883 wegen eines tätlichen Zwischenfalls aufgrund einer Petition, in der er das Zeichnen nach lebenden Modellen fordert, der Akademie verwiesen. Rosso wendet sich der Mailänder Scapigliatura („Die Zerzausten“) zu, einer der ersten Avantgarde-Bewegungen Italiens, die für eine gattungsübergreifende Erneuerung der Kunst eintritt und deren soziales Engagement sich in Rossos veristischem Frühwerk widerspiegelt. Während Rosso schon früh in Italien, bald auch in Paris und London ausstellt, werden seine radikalen Vorschläge für öffentliche Monumente abgelehnt und seine Grabdenkmäler kritisiert und sogar entfernt.
1885 heiratet Rosso Giuditta Pozzi. Noch im selben Jahr kommt der gemeinsame Sohn zur Welt, der auf den Namen Francesco. Evviva Ribelle (dt.: Francesco. Hurra Rebell) getauft wird. Doch 1889 verlässt Rosso seine Familie, um in die damalige Kunstmetropole Paris zu ziehen. Erst 1920 sollte er nach Mailand zurückkehren. In Paris lernt er Persönlichkeiten wie Émile Zola, Edmond de Goncourt, den Industriellen und Kunstmäzen Henri Rouart, Edgar Degas, Guillaume Apollinaire und Amedeo Modigliani kennen. Mit Auguste Rodin, der als französischer Nationalkünstler gefeiert wird, verbindet ihn zunächst eine Freundschaft, die je-
[4] Aetas aurea (Detail), 1886, Wachs auf Gips, 50 x 48 x 35 cm, Foto: mumok / Markus Wörgötter Courtesy of Amedeo Porro Fine Arts Lugano/London.
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doch umschlägt, als Rosso gegen Rodin nach der Enthüllung des Balzac 1898 öffentlich Plagiatsvorwürfe äußert.
stellung in der Wiener Secession aus und erleidet einen schweren Straßenbahnunfall. 1904 hat er eine wichtige Präsentation im renommierten Salon d’Automne in Paris inmitten von Paul Cézanne und den französischen Impressionisten; er erhält die französische Staatsbürgerschaft.
1895 beginnt Rosso mit Gussverfahren zu experimentieren, ab 1900 veranstaltet er Gussperformances in seiner Gießerei im Atelier am Boulevard de Batignolles. Er beginnt eine langjährige Beziehung mit der niederländischen Schriftstellerin Etha Fles, die zu einer wichtigen Förderin wird. In dieser Zeit steigert er auch seine internationale Präsenz und tourt mit Ausstellungen durch Europa. 1903 stellt Rosso im Rahmen der Impressionismus-Aus-
1905 kehrt Rosso für eine Einzelausstellung im Kunstsalon Artaria am Kohlmarkt 9 nach Wien zurück. Ab 1906 entstehen keine neuen Motive mehr. Rosso konzentriert sich nun auf die Wiederholung, Modifikation und Re-Evaluierung des bereits Existierenden in
[5] Bookmaker, 1902–1903, Bronze, 44 x 35 x 36,5 cm, Foto: mumok / Markus Wörgötter, Courtesy of Galleria d'Arte Moderna di Milano. [6] Bookmaker, 1894, übermaltes Glasnegativ, 18,8 x 11,9 cm, Museo Medardo Rosso, Barzio.
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Form von Güssen, fotografischen Experimenten, theoretischen Texten und Ausstellungsinszenierungen. Am 31. März 1928 stirbt Medardo Rosso wenige Monate vor seinem 70. Geburtstag in Mailand an den Folgen von Diabetes und einer Blutvergiftung. Nach seinem Tod kümmert sich sein Sohn Francesco um den Nachlass und richtet ein Museum in Barzio unweit des Comer Sees ein. Noch zu Lebzeiten hatte Rosso seinem Sohn sowie seinem Freund Mario Vianello-Chiodo die Erlaubnis erteilt, nach seinem Tod eine bestimmte Anzahl von Kopien seiner Werke anzufertigen.
ans Leben heranführen und selbst zu „verlebendigen“. Seine bewegt-unscharfen Plastiken überwinden in ihrem intimen Maßstab, ihrer Fragilität und Offenheit nicht zuletzt die männlich konnotierte Tradition der für die Ewigkeit gemachten heroischen Monumentalskulptur. Im Gegensatz zum aufkommenden Nationalismus seiner Zeit verstand Rosso sich als Weltenbürger („geboren in einem Zug“) und setzte sich über Grenzziehungen hinweg. Auch motivisch bildete Rosso weniger die großen ruhmreichen Heldenerzählungen ab, sondern Menschen im Alltag, sichtbar der Zeit unterworfen. Dabei rücken die radikalen sozialen Umbrüche der Zeit um die Jahrhundertwende in den Blick.
Medardo Rosso war, bis auf sein Studienjahr in Mailand, Autodidakt. Auf die tiefe Krise, in die die Skulptur im ausgehenden 19. Jahrhundert angesichts der flüchtigen und unsteten Moderne geraten war, antwortete Rosso mit dem radikalen Versuch, diese
Für sein Anliegen verwendete Rosso neben Bronze, die er nach der alten Methode des Wachsausschmelzverfahrens eigenhändig
[7] Enfant au sein, 1910–14, Bronze, 50 x 45 x 20 cm , Foto: mumok / Markus Wörgötter, Museo Medardo Rosso, Barzio. [8] Bambino malato, 1895, Gips, 17,5 x 20 x 19,3 cm, Foto: mumok / Markus Wörgötter, Museo Medardo Rosso, Barzio.
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goss, die traditionell nur für Vorstadien zugelassenen „armen“ Materialien Wachs und Gips, die durchlässiger, formbarer und organischer waren als der herkömmliche Stein. Schließlich entwickelte er Strategien, die das Material und den Arbeitsprozess in den Mittelpunkt rückten und inszenierte seine Werke minutiös ausgeleuchtet in eigens entworfenen Vitrinen, den sogenannten „gabbie“ (Käfigen). Rosso sollte insgesamt nur etwa 40 Sujets schaffen: An die Stelle eines finalen Werks tritt die sich schleifenhaft wiederholende, potenziell unabschließbare Rückkehr zum einmal eingefangenen Moment, der immer wieder von Neuem zum Leben erweckt wird. Dafür nutzte er die Reproduktionstechnologien des Gießens und Fotografierens, unterlief jedoch die vertrauten Hierarchien von Original und Kopie, von Produktion und Reproduktion und stellte damit die Verwertungslogiken des sich kommerzialisierenden Kunstmarktes infrage. Zugleich ging es Rosso darum, auf diese Weise mit der Welt, die er in beständigem Fluss wahrnahm, in ein Resonanzverhältnis zu treten und ihr immer wieder neu und anders zu begegnen. Gerade zu einer Zeit, in der ein Überdenken der Beziehung zwischen materiellen Körpern und einem zunehmend technologisch vernetzten Umfeld immer drängender wird, erscheint Rossos Werk damit, um die Worte der Bilderhauerin Phyllida Barlow zu verwenden, „alarmierend lebendig“. 120 Jahre nach seiner letzten Präsentation in Wien nimmt das Mumok nun Rossos Prinzip des vergleichenden Sehens zum Ausgangspunkt, um sein Werk erstmals im Sinne einer erweiterten Retrospektive im Kontext der künstlerischen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts zu präsentieren. In punktuellen Gegenüberstellungen wird Rossos experimenteller Ansatz mit mehr als 80 Werken von Künstler*innen aus einer Vielzahl internationaler Sammlungen als bis heute wegweisend präsentiert. Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Medardo Rosso Estate und ist eine Kooperation mit dem Kunstmuseum Basel, wo sie im Anschluss vom 29. März bis zum 10. August 2025 präsentiert werden wird.#
Ausstellung Bis 23. Februar 2025 Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur
Katalog Medardo Rosso Die Erfindung der modernen Skulptur Wien/Basel 2024/25. Beiträge von Jo Applin, Birgit Brunk, Georges DidiHuberman, Heike Eipeldauer, Elena Filipovic, Ines Gebetsroither, Francesco Guzzetti, Karola Kraus, Lisa LeFeuvre, Megan R. Luke, Esmee Postma, Florian Pumhösl, Nina Schallenberg, Francesco Stocchi & Matthew S. Witkovsky, geb., 496 S. mit 450 farb. Abb., 23,5 x 28,5 cm, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, ISBN 9783753306124
Kontakt mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien MuseumsQuartier Museumsplatz 1, 1070 Wien Tel. +43-1-525 00-0 info@mumok.at, www.mumok.at
82 | Ausstellung | Vittore Carpaccio
Meistererzähler mit dem Pinsel Vittore Carpaccio und Giovanni Bellini in der Staatsgalerie Stuttgart
Vittore Carpaccio (um 1460/65–1525/26) gilt als einer der bedeutendsten Maler der venezianischen Frührenaissance. Er inszenierte seine farbenprächtigen und detailreichen Bilderzählungen vor der pittoresken Kulisse der Lagunenstadt oder den Landschaften des östlichen Mittelmeers. Um 1500 zählte er zu den meistbeschäftigten Malern und konkurrierte mit heute weitaus berühmteren Meistern wie Giovanni Bellini (um 1435– 1516). Seine Inspiration bezog Carpaccio aus der reichen Kultur Venedigs: Kunstwerke italienischer und nordalpiner Meister waren hier ebenso zu sehen wie gedruckte Bücher oder Erzeugnisse islamischer Kunstproduktion wie Textilien und Keramiken. Mit Sinn für Farben, Materialien und Stofflichkeiten, mit genauer Beobachtungsgabe und humorvollem Blick entwickelte Carpaccio eine höchst originelle Form der Malerei, der er seine Popularität verdankt. Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt bis zum 2. März 2025 die Große Sonderausstellung „Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig“. Zum ersten Mal in Deutschland steht Carpaccio im Mittelpunkt einer Ausstellung als einer der erfolgreichsten Maler, die um 1500 in der „Serenissima“ wirkten. Rund 55 Gemälde und Papierarbeiten aus eigenem Bestand sowie hochrangige internationale Leihgaben beleuchten Carpaccios einzigartige Stellung als Chronist venezianischen Lebens. Ausgangspunkt der Ausstellung sind zwei bedeutende Werke von Carpaccio, die sich in der Sammlung der Staatsgalerie befinden
und umfassend restauriert wurden. Die monumentale Altartafel Der heilige Thomas von Aquin mit den Heiligen Markus und Ludwig von Toulouse (1507) zeigt, wie Carpaccio Altarkompositionen seines Lehrers Bellini aufgreift, sie aber erzählerisch mit Leben füllt. Das Martyrium des heiligen Stephanus (1520) aus dem Zyklus für die Stephanus-Bruderschaft in Venedig steht stellvertretend für Carpaccios umfangreiche Arbeiten für die Scuole, die religiösen Laiengemeinschaften Venedigs. In diesen großformatigen Gemälden entwarf Carpaccio eine imaginäre Welt, die zugleich an das Venedig seiner Zeit erinnert. Mit pittoresken Details, Zitaten bekannter Kunst- und Bauwerke sowie alltagsnah gestalteten Figuren demonstrierte der Maler seine künstlerische Virtuosität und Erfindungskraft. Unkonventionell sind einige der Gemälde Carpaccios, weil sie sich an ein weibliches Publikum richten, das sonst selten im Fokus der Maler um 1500 stand. Eine Reihe von Andachtsbildern bezeugt Carpaccios Nachdenken über Alltagsleben und Kunstgeschmack venezianischer Frauen. Besondere Lebensnähe und Unmittelbarkeit zeichnen Carpaccios Porträtmalerei aus, die in der Ausstellung im Vergleich mit herausragenden Werken seiner Zeitgenossen gezeigt wird. Die Ausstellung ist eine Große Sonderausstellung des Landes Baden-Württemberg und steht unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Italienischen Republik in Deutschland. Präsentiert
[1] Lesende Maria, ca. 1505, National Gallery of Art Washington, Samuel H. Kress Collection, © Genehmigt durch National Gallery of Art, Washington.
84 | Ausstellung | Vittore Carpaccio
[2]
werden rund 55 Gemälde und Arbeiten auf Papier, darunter hochkarätige Leihgaben aus Venedig, Florenz, Budapest und Washington. Zu sehen sind unter anderem Werke von Vittore Carpaccio, Giovanni Bellini, Gentile Bellini, Lorenzo Lotto, Albrecht Dürer, Hans Burgkmair, Giovanni Mansueti und Vincenzo Catena. Zudem wird die Arbeit Untitled (St. George Slaying a Dragon) (2022) von Ai Weiwei gezeigt. „Ausgehend von unserem groß angelegten Forschungsprojekt zum Bestand ‚Barbini-Breganze‘ nehmen wir zwei bedeutende
Maler der Frührenaissance in Venedig in den Fokus: Vittore Carpaccio und Giovanni Bellini. Sie prägten die Malerei in der Lagunenstadt um 1500 nachhaltig und ebneten den Weg für eine neue Generation, die mit Künstlern wie Giorgione und Tizian die Malerei in Venedig revolutionieren sollte“, so Prof. Dr. Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart. „Im Museumsalltag sind solche Projekte seit Langem nicht mehr mit eigenen Mitteln zu leisten. Mein herzlicher Dank gilt deshalb allen Förderern, die mit ihrer Unterstützung diese Ausstellung ermöglicht haben.“ Neben dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
[2] Martyrium des heiligen Stephanus, 1520, Staatsgalerie Stuttgart, © Staatsgalerie Stuttgart. [3] Geburt der Jungfrau Maria, ca. 1502/03, Fondazione Accademia Carrara, © Fondazione Accademia Carrara, Bergamo.
Ausstellung | Vittore Carpaccio | 85
Die Ausstellung nimmt mit Carpaccio und Bellini zwei bedeutende Maler der venezianischen Frührenaissance in den Fokus.
Ausstellung Bis 2. März 2025 Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig
Katalog Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig Christine Follmann, Annette Hojer, Staatsgalerie Stuttgart (Hrsg.), Beiträge von L. Bühl, A. Degler, S. Dietz, A. Ferres, C. Follmann, H. Gräbeldinger, A. Kollmann, C. Krekel, P. Humfrey, A. Hojer, U. Ilg, R. Müller, S. Neuner, geb., 288 S., 175 Abb. in Farbe, 24 x 31 cm, Hirmer, ISBN 9783777444338
[3]
Baden-Württemberg, der Kulturstiftung der Länder, der AdrianiStiftung und der Wüstenrot-Stiftung gehört auch die Ernst von Siemens Kunststiftung zu diesen Förderern. Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung: „Wer sich im Venedig der Frührenaissance umsehen will, kann sich in die detailreichen Bilder Vittore Carpaccios vertiefen. Die frisch restaurierten Gemälde aus dem Bestand der Stuttgarter Staatsgalerie laden zu einem farbenprächtigen Kurztrip in die Lagunenstadt und zur Auseinandersetzung mit den Werken des Kollegen Giovanni Bellini ein.“#
Kontakt Staatsgalerie Stuttgart Konrad-Adenauer-Straße 30–32, 70173 Stuttgart Tel. +49-(0)711-470400 www.staatsgalerie.de
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Deutschland
Bochum
Berlin
Kunstmuseum Bochum
Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart
Claude Monet, Jardin de l‘Infante, 1867, © Allen Memorial Art Museum, Oberlin College, Oberlin, OH. R. T. Miller Jr. Fund, 1948.296 Bis 26. Januar 2025 Monet und die impressionistische Stadt Alte Nationalgalerie www.smb.museum
Invalidenstraße 50–51, 10557 Berlin Tel. +49-(0)30-266424242 www.smb.museum Bis 5. Januar 2025: Preis der Nationalgalerie 2024. Pan Daijing, Dan Lie, Hanne Lippard, James Richards. Bis 4. Mai 2025: Andrea Pichl. Wertewirtschaft. Bis 11. Mai 2025: Semiha Berksoy. Singing in Full Colour. Bis 18. Mai 2025: Mark Bradford. Keep Walking. 28. Februar bis 20. Juli 2025: Ayoung Kim. Many Worlds Over.
Kupferstichkabinett Matthäikirchplatz, 10785 Berlin Tel. +49-(0)30-266424242 www.smb.museum Bis 12. Januar 2024: Der andere Impressionismus. Internationale Druckgraphik von Manet bis Whistler. Bis 19. Januar 2025: Träumst Du? Von geschlossenen Augen in der Kunst. 1. März bis 15. Juni 2025: Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonck.
Neue Nationalgalerie
Domenico Morelli, Porträt von Olena Tolstoi, 1875, Öl auf Leinwand, 110 x 85 cm, Odesa, Museum für Westliche und Östliche Kunst, Inv. Nr. 3-111, Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Christoph Schmidt 24. Januar bis 22. Juni 2025 Von Odesa nach Berlin. Europäische Malerei des 16. Bis 19. Jahrhunderts. Gemäldegalerie www.smb.museum
Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin Tel. +49-(0)30-266424242 www.smb.museum Bis 26. Januar 2025: The Very First Edition. Künstler*innenbücher aus der Sammlung Marzona. Bis 6. April 2025: Nan Goldin. This Will Not End Well. Bis 28. September 2025: Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft. Sammlung der Nationalgalerie 1945–2000. Bis September 2026: Gerhard Richter. 100 Werke für Berlin.
Sammlung Scharf-Gerstenberg Schloßstraße 70, 14059 Berlin Tel. +49-(0)30-266424242 www.smb.museum Bis 4. Mai 2025: Böse Blumen. Bis 26. April 2026: Schluss mit den Meisterwerken.
Kortumstraße 147, 44787 Bochum Tel. +49-(0)234-9104230 www.kunstmuseumbochum.de Bis 12. Januar 2025: Javkhlan Ariunbold. Das Lied des Panther-Drachen. GWK-Förderpreis 2024. Bis 23. Februar 2025: Ree Morton – Natalie Häusler. To Each Concrete Man. Bis 2. Februar 2025: Bochumer Künstler*innnen 2024. Bonn
Kunstmuseum Bonn Friedrich-Ebert-Allee 2, 53113 Bonn Tel. +49-(0)228-776260 www.kunstmuseum-bonn.de Bis 12. Januar 2025: Raum für Demokratie. Bis 19. Januar 2025: Bruno Goller. Retrospektive 1922–1992. Bis 31. August 2025: Aufbruch in die Moderne. Sammlungspräsentation August Macke und die Rheinischen Expressionisten. Bis 19. Januar 2025: Human AI Art Award 2024. Lauren Lee McCarthy. Bis 9. Februar 2025: Auszeichnet#8: Simon Pfeffel. Stipendiati:innen der Stiftung Kunstfonds. 18. Februar 2025 bis 6. April 2025: Zwischenspiel. Zu Gast im Kunstmuseum Bonn.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Museumsmeile Bonn Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn Tel. +49-(0)228-9171-0 www.bundeskunsthalle.de Bis 9. Februar 2025: Mark Dion: Delirious Toys. Die Spielzeug-Wunderkammer. Bis 16. Februar 2025: Tanzwelten. Bis 1. Juni 2025: Save Land. United for Land. 14. März bis 28. September 2025: Susan Sontag. Bremen
Kunsthalle Bremen Am Wall 207, 28195 Bremen Tel. +49-421-32908-0 www.kunsthalle-bremen.de Bis 5. Januar 2025: Jenseits der Mitte. Skizzen am Rande. Bis 26. Januar 2025: Ars Viva 2025. Wisrah C. V. da R. Celestino, Vincent Scherrs, Helena Uambembe. Bis 9. März 2025: Kirch-
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ner Holzschnitte. Benjamin Badock, Gabriela Jolowicz und Thomas Klipper. 25. Januar bis 21. April 2025: Schnittmenge. Holzschnitte von Studierenden der Hochschule für Künste Bremen. Düsseldorf
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K 20 Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf Tel. +49-(0)211-8381130 www.kunstsammlung.de Bis 16. März 2025: Yoko Ono. Music of the Mind. Bis auf Weiteres: Raus ins Museum! Rein in Deine Sammlung. Meisterwerke von Etel Adnan bis Andy Warhol.
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K 21 Ständehausstraße 1, 40217 Düsseldorf www.kunstsammlung.de Tel. +49-(0)211-8381204 Bis 26. Januar 2025: Lars Eidinger. O Mensch. Fotografien. Bis 23. März 2025: Katharina Sieverding. 22. Februar bis 31. August 2025: Bracha Lichtenberg Ettinger.
Kunstpalast Ehrenhof 4–5, 40479 Düsseldorf Tel. +49-(0)211-8996260 www.kunstpalast.de Bis 5. Januar 2025: Too much Future. Schenkung Florian Peters-Messer. Bis 2. Februar 2025: Gerhard Richter. Verborgene Schätze. Werke aus rheinischen Privatsammlungen. Bis 30. März 2025: Farbrausch. Werke aus der Sammlung Kemp. Bis 5. Oktober 2025: Mythos Murano. 12. Februar bis 1. Juni 2025: Elias Sime. Echo. 12. März bis 1. Juni 2025: Mama. Von Maria bis Merkel. Duisburg
Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum Friedrich-Wilhelm-Straße 40 47049 Duisburg, Tel. +49-(0)203-2832630 www.lehmbruckmuseum.de Bis 19. Januar 2025: Shape! Körper + Form begreifen. Bis 19. Januar 2025: Henry Moore – For Duisburg. Bis 19. Januar 2025: Freiheit und Gemeinschaft: Der Expressionismus.
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Frankfurt
Städel Museum Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt Tel. +49-(0)69-6050980 www.staedelmuseum.de Bis 12. Januar 2025: Fantasie und Leidenschaft. Zeichnen von Carracci bis Bernini. Bis 23. März 2025: Rembrandts Amsterdam. Goldene Zeiten? Bis 18. Mai 2025: Rineke Dijkstra. Beach Portraits. Bis 1. Juni 2025: Gesichter der Zeit. Fotografien von Hugo Erfurth. Freiburg
Leiko Ikemura, Flower, 2009, Fotografie, 78 x 51,1 cm, © Courtesy Leiko Ikemura und VG Bild-Kunst, Bonn 2025.
Goethe-Institut Freiburg
Bis 11. Mai 2025 Leiko Ikemura. Floating Spheres
Wilhelmstr. 17, 79098 Freiburg Tel. +49-(0)761-38671-11 www.goehte.de 20. Januar bis 28. Februar 2025: Constanze Raach. Trouble in Paradise. Zeichnung, MixedMedia, Video.
Kunsthalle in Emden www.kunsthalle-emden.de
Hagen
Emil Schumacher Museum Kunstquartier Hagen, Museumsplatz 1 58095 Hagen, Tel. +49-(0)2331–2073138 www.esmh.de Bis 5. Januar 2025: Jean Fautrier. Genie und Rebell. Bis 26. Januar 2025: Emil Schumacher. Werke der Sammlung. 26. Januar bis 23. März 2025: Herbert Zangs. Die Realität ist das Fantastische.
Hamburger Kunsthalle Glockengießerwall, 20095 Hamburg Tel. +49-(0)40-428131-200 www.hamburger-kunsthalle.de Bis 19. Januar 2025: Untranquil now: eine Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Bis 23. Februar 2025: Akte, Antike, Anatomie. Zeichnend die Welt erschließen. Bis 2. März 2025: Albert Oehlen. Computerbilder. Bis 6. April 2025: In.Sight. Die Schenkung Schröder. Bis 6. April 2025: Illusion. Traum – Identität –Wirklichkeit. Bis 27. April 2025: Hanns Kunitzberger. Abbild 2002– 2005. Bis 18. Oktober 2026: Isa Mona Lisa Hannover
Sprengel Museum Hannover Kurt-Schwitters-Platz, 30169 Hannover Tel. +49-(0)511-168-43875 www.sprengel-museum.de Bis 5. Januar 2025: Joar Nango. Kurt Schwitters Preis 2024 der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. Bis 26. Januar 2025: Elsa Burckhardt-Blum. Zeichnungen. Bis 9. März 2025: Barbara Probst. Subjective Evidence. Bis 6. April 2025: Das Atelier als Gemeinschaft. Bis 13. April 2024: Skulpturen erfassen. 15. Februar bis 13. April 2025: Sprengel@Feinkunst. Lillien Gruppe. Realität(en)? 22. Februar bis 15. Juni 2025: Grethe Jürgens. Retrospektive. Köln
Museum Ludwig Hamburg
Deichtorhallen Hamburg Carol Rama, Figura (sedia rossa) (Figur [roter Stuhl]), 1947, Öl auf Holz, 32,5 × 26,8 cm, Privatsammlung, © Archivio Carol Rama, Torino, Foto: Roberto Goffi Bis 2. Februar 2025 Carol Rama Schirn Kunsthalle Frankfurt www.schirn.de
Deichtorstraße 1–2, 20095 Hamburg Tel. +49-(0)40-32103-0 www.deichtorhallen.de Bis 12. Januar 2025: In with the New. Arbeitsstipendium für Bildende Kunst der Freien und Hansestadt Hamburg. (Sammlung Falckenberg). Bis 26. Januar 2025: Tactics and Mythologies: Andrea Orejarena & Caleb Stein (Phoxxi). Bis 4. Mai 2025: High Noon. Nan Goldin, David Armstrong, Mark Morrisroe, Philip-Lorca Dicorcia. Bis 4. Mai 2025: Franz Gertsch. Blow-up. Eine Retrospektive.
Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln Tel. +49-(0)221-221-26165 www.museenkoeln.de Bis 9. Februar 2025: Fluxus und darüber hinaus: Ursula Burghardt, Benjamin Patterson. Bis 30. März 2025: Wolfgang-Hahn-Preis 2024: Anna Boghiguian. Bis 27. April 2025: Sehstücke. Alfred Ehrhardt und Elfriede Stegemeyer.
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud Obenmarspforten (am Kölner Rathaus) 50667 Köln, Tel. +49-(0)221-221-21119 www.wallraf.museum Bis 9. Februar 2025: Museum der Museen. Eine Zeitreise durch die Kunst des Ausstellens
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und Sehens. Bis 23. März 2025: Zwischen Nackenstarre und Kunstgenuss. Daumiers Menschen im Museum. Bis 21. April 2025: Sammlerträume. Sternstunden niederländischer Barockkunst. Ab 31. Januar 2025: Sensation des Sehens. Die Sammlung Nekes: Vol. 3 Mittelalter. München
Haus der Kunst Prinzregentenstraße 1, 80538 München Tel. +49-(0)89-21127-113 www.hausderkunst.de Bis 2. Februar 2025: Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia. Bis 23. Februar 2025: Glamour und Geschichte. 40 Jahre P1. Bis 4. Mai 2025: Luisa Baldhuber. Afterglow. Bis 25. Mai 2025: Philippe Parreno. Voices. 30. Januar bis 2. Februar 2025: Echoes. Plot Twist. 14. Februar bis 3. August 2025: Shu Lea Cheang. Kiss Kiss Kill Kill.
Alte Pinakothek Barer Straße 27, 80333 München Tel. +49-(0)89-23805-216 www.pinakothek.de Bis 12. Januar 2025: Rubens, Brueghel und die Blumenkranzmadonna. Bis 16. März 2025: Rachel Ruysch. Nature into Art. Bis 29. März 2026: Alte Meister in Bewegung. Neupräsentation der Sammlung. Bis 31. Dezember 2026: Von Turner bis van Gogh. Meisterwerke der Neuen Pinakothek in der Alten Pinakothek. 18. Februar bis 6. Juli 2025: François Bouchers „Ruhendes Mädchen“. Stuttgart
Kunstmuseum Stuttgart Kleiner Schlossplatz 1, 70173 Stuttgart Tel. +49-(0)711-2162188 www.kunstmuseum-stuttgart.de Bis 26. Januar 2025: Sommer der Künste. Bis 9. Februar 2025: Sarah Morris. All Systems Fail. Bis 14. September 2025: Grafik für die Diktatur. Bis 21. September 2025: Frischzelle_31: Suah Im. Bis 2. November 2025: Vom Werk zum Display.
Staatsgalerie Stuttgart Konrad-Adenauer-Straße 30–32 70173 Stuttgart, Tel. +49-(0)711-47040-0 www.staatsgalerie.de Bis 26. Januar 2025: Sommer der Künste – Villa Massimo zu Gast in Stuttgart. Bis 16. Februar 2025: Wir wöllen frei sein: Druckgraphik aus der Zeit des Bauernkrieges. Bis 23. Februar 2025: Neues Sehen, Neue Sachlichkeit und Bauhaus. Bis 2. März 2025: Carpaccio, Bellini und die Frührenaissance in Venedig. Wuppertal
Von der Heydt-Museum Turmhof 8, 42103 Wuppertal Tel.+49-(0)202-563-6231 ww.von-der-heydt-museum.de Bis 12. Januar 2025: Lucio Fontana. Erwartung. Ab 11. Januar 2025: Museum A bis Z. Von Anfang bis Zukunft. 16. Februar bis 18. Mai 2025: Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne.
Marianne North, Canna indica, ca. 1880, The Royal Botanical Gardens, Kew, London Bis 19. Januar 2025 Flowers Forever. Blumen in Kunst und Kultur Bucerius Kunstforum www.buceriuskunstforum.de
Frankreich Paris
Centre Pompidou Le Centre National D’Art et de Culture, Georges Pompidou, Musée National d’Art Moderne Rue Saint-Martin, Place Georges Pompidou F-75004 Paris, Tel. +33-(0)1-44781233 www.centrepompidou.fr Bis 6. Januar 2025: Barbara Crane. Bis 6. Januar 2025: Art contemporain en Lituanie de 1960 à nos jours. Une donation majeure. Kazys Varnelis. Le classiciste op de Lituanie. Bis 6. Januar 2025: Prix Marcel Duchamp 2024. The nominees. Bis 6. Januar 2025: Apichatpong Weerasethakul. Particules de nuit. Bis 6. Januar 2025: Apophenia, interruptions. Artists and artificial intelligence at work. Bis 13. Januar 2025: Surrealism. Bis 3. Februar 2025: China, a new generation of artists. Bis 27. Januar 2025: Le Concile des Abysses. Alex Cecchetti. Bis 3. Februar 2025: Chaosmose. Jean-Jacques Lebel endowment fund – Musée National d’Art Moderne.
Ausstellungsansicht, „Rosemarie Trockel / Thea Djordjadze. limitation of life“, Lenbachhaus, 2024, VG Bild-Kunst, Bonn 2025 / Rosemarie Trockel, Foto: Ernst Jank, Lenbachhaus. Bis 27. April 2025 Rosemarie Trockel / Thea Djordjadze. Limitation of Life. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München www.lenbachhaus.de
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Musée du Louvre Rue de Rivoli, 75001 Paris Tel. +33-(0)1-40205050, www.louvre.fr Bis 6. Januar 2025: Masterpieces from the Torlonia Collection. Bis 6. Januar 2025: Barbara Chase-Riboud. Bis 3. Februar 2025: Figures of the Fool. From the Middle Ages to the Romantics. Bis 3. Februar 2025: A new Look at Watteau. An actor with no lines Pierrot, known as Gilles. Tarek Atoui, Installationsansicht Erdgeschoss Kunsthaus Bregenz, 2024, Foto: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Tarek Atoui, Kunsthaus Bregenz
Österreich Wien
1. Februar bis 25. Mai 2025 Precious Okomoyon Kunsthaus Bregenz www.kunsthaus-bregenz.at
Albertina Albertinaplatz 1, A–1010 Wien www.albertina.at Bis 26. Januar 2025: Robert Longo. Bis 9. Februar 2025: Chagall. Bis 2. März 2025: Adrian Ghenie. Schattenbilder. Bis 23. März 2025: Jim Dine.
Albertina Modern Karlsplatz 5, 1010 Wien Tel. +43-(0)1-534830, www.albertina.at Bis 6. Januar 2025: Alfred Kubin. Die Ästhetik des Bösen. Bis 23. Februar 2025: Erwin Wurm. Die Retrospektive zum 70. Geburtstag.
MUMOK – Museum Moderner Kunst
Paula Rego, Angel, 1998, Pastell auf Papier auf Aluminium, 180 x 130 cm, © Paula Rego, All rights reserved 2024 / Bridgeman Images, CAM-Centro de Arte Moderna Gulbenkian, Lissabon. Bis 2. Februar 2025 Paula Rego. Machtspiele Kunstmuseum Basel www.kunstmuseumbasel.ch
Stiftung Ludwig Wien, MuseumsQuartier Museumsplatz 1, A-1070 Wien Tel. +43-(0)1-525 00, www.mumok.at Bis 23. Februar 2025: Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur. Bis 4. Mai 2025: Liliane Lijn. Arise Alive. Bis 10. Mai 2026: Mapping the 60s. Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok.
Kunsthistorisches Museum Wien Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien Tel. +43-(0)1-52524-0, www.khm.at Bis 12. Januar 2025: Jupiter und Merkur zu Gast bei Philemon und Baucis. Ein Blick in die Rubens-Werkstatt (Ansichtssache #28). Bis 12. Januar 2025: Rembrandt – Hoogstraten. Farbe und Illusion. Bis 16. Februar 2025: Vitrine Extra #5: Anker lichten. Schiffbruch in der Antike und Kulturgüterschutz heute. 17. Januar bis 5. Oktober 2025: Mengs und
Velázquez. Die Prinzessin von Neapel. Bis 26. Oktober 2025: Prunk & Prägung. Die Kaiser und ihre Hofkünstler.
Schweiz Basel
Kunsthalle Basel Steinenberg 7, 4051 Basel Tel +41-(0)61-2069900 www.kunsthallebasel.ch Bis 5. Januar 2025: Regionale 25. A Private Smile. Bis 19. Januar 2025: Neil Beloufa. Humanities. Bis 17. August 2025: Marie Matusz. Canons and Continents.
Kunstmuseum Basel St. Alban-Graben 16, 4010 Basel Tel. +41-(0)61-2066262 www.kunstmuseumbasel.ch Bis 5. Januar 2025: Zeichnung heute. Neu in der Sammlung. Bis 2. Februar 2025: Paula Rego. Machtspiele. Bis 27. Juli 2025: Paarlauf. Basel/Riehen
Fondation Beyeler Baselstrasse 101, 4125 Riehen/Basel Tel. +41-(0)61-6459700 www.fondationbeyeler.ch Bis 5. Januar 2025: Tochter der Freiheit. Bis 26. Januar 2025: Matisse – Einladung zur Reise. 26. Januar bis 25. Mai 2025: Nordlichter. Zürich
Kunsthaus Zürich Heimplatz 1, 8001 Zürich Tel. +41-(0)44-2538484, www.kunsthaus.ch Bis 26. Januar 2025: Matthew Wong – Vincent van Gogh. Letzte Zuflucht Malerei. Bis 9. Februar 2025: Albert Welti und die Grafik des Fantastischen. Bis 16. Februar 2025: Marina Abramović. Retrospektive. Bis 6. April 2025: Zarina Bhimji.
Die Angaben beruhen auf den Informationen der Aussteller. Änderungen nach Redaktionsschluss vorbehalten.
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Das Magazin von boesner
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Januar/Februar 2024
März/April 2024
Schutzgebühr 7,– EUR/CHF | ISSN 1868-7946
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Kunst+Material auch im Abonnement! Kunst+Material erscheint zweimonatlich in einer Auflage von 30.000 Exemplaren und bietet Einblicke in Ateliers und Arbeitsweisen von porträtierten Künstler*innen, stellt interessante Inhalte im Sonderthema vor, präsentiert aktuelle Ausstellungen und gibt neben News aus der Kunstwelt viele spannende Buchempfehlungen an die Hand. Neu und exklusiv gibt es inspirierende Bildstrecken zu Materialien und künstlerischen Techniken. Hintergrundstories aus der Feder von Expert*innen informieren über die unterschiedlichsten Materialien und ihre Geschichte, und auch Künstlerinnen und Künstler selbst kommen zu Wort und stellen ihr Lieblingsmaterial vor.#
Bestellungen boesner GmbH holding + innovations „Kunst+Material“ – Abonnement Gewerkenstraße 2, D-58456 Witten oder abo@kunst-und-material.de Fax +49-(0)2302-97311-33
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Abonnement [ ] Ja, ich bestelle das Kunst+Material-Abonnement mit jährlich sechs Ausgaben zum Abo-Preis inkl. Versand von 49,50 EUR bzw. 49,50 CHF (Schweiz). Das Abonnement verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn es nicht mit einer Frist von sechs Wochen zum Ende des Bezugsjahres gekündigt wird.
[ ] Ja, ich bestelle das Probe-Abonnement und beziehe die nächsten drei Ausgaben von Kunst+Material zum einmaligen Kennenlern-Preis von 14,50 EUR bzw. 14,50 CHF (Schweiz). Danach bekomme ich Kunst+Material bequem nach Hause – zum Jahresbezugspreis von 49,50 EUR/CHF für sechs Ausgaben. Dazu brauche ich nichts weiter zu veranlassen. Wenn ich Kunst+Material nicht weiterlesen möchte, kündige ich das Probe-Abo schriftlich bis spätestens eine Woche nach Erhalt des 2. Heftes. Dieses Angebot gilt in Deutschland und der Schweiz.
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Datum, rechtsverbindliche Unterschrift
92 | Kurz notiert
En détail Das Muster kostbarer Stoffe auf den Gemälden von Jan van Eyck, der Glanz der Perlen in den Bildern Vermeers, Georges Seurats fein punktierter Farbauftrag … manche Details bleiben dem bloßen Auge zunächst verborgen. Dieses hübsche Hilfsmittel aus dem boesnerSortiment schärft den Blick für die Feinheiten, sei es bei der Betrachtung von Kunstwerken, bei der eigenen künstlerischen Arbeit oder einfach im Alltag, um Kleingedrucktes zu entziffern. Die Lupe mit 3-facher Vergrößerung und verchromtem Metallring liegt dank des rutschfesten schwarzen Griffs bei allen Anwendungen gut in der Hand.
Ilit Azoulay erhält Auerbach-Stipendium Die Akademie der Künste Berlin vergibt das EllenAuerbach-Stipendium 2024 für Fotografie an Ilit Azoulay. Die israelische Künstlerin arbeitet an der Schnittstelle zwischen Fotografie, Bildender Kunst und Sound Art. Das mit 20.000 Euro dotierte Stipendium für herausragende internationale Fotografie wird aus dem Nachlass der Fotografin Ellen Auerbach finanziert und alle zwei Jahre vergeben. Ilit Azoulay, 1972 in Jaffa geboren, hat marokkanische Wurzeln. Sie studierte an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem und lebt heute in Berlin. Das Transitorische zwischen Kunst und Forschung zeichnet ihr Werk aus. In ihren großformatigen Tableaus montiert Ilit Azoulay Fotografien mit Artefakten aus bedrohten Archiven zu neuen Kontexten, hinterfragt so gängige Geschichtsbilder und legt kulturelle Schichten frei. Das Stipendium wird am 28. Februar 2025 in der Akademie der Künste am Hanseatenweg 10 in Berlin verliehen.
www.adk.de
Ideenspeicher Es kann überall passieren: im Café, auf der Straße, in der Bahn … Die Idee für ein spannendes Motiv oder ein faszinierendes Thema kommt spontan, oft unerwartet, und will sofort festgehalten werden. Gut, wenn man in diesen Momenten der Inspiration immer Skizzenbuch und Bleistift zu Hand hat. Ideal für diesem Zweck sind die Skizzenhefte von ars nova. Im Retro-Design mit naturweißem Papier und nostalgischem Etikett sind die Skizzenhefte nicht nur praktische, sondern auch stilvolle Begleiter im künstlerischen Alltag.
Kitsch und Pop auf neuem Level Jeff Koons‘ Porträt im Kino Jeff Koons gilt als einer der populärsten und gleichzeitig umstrittensten Künstler der letzten Jahrzehnte. Im Laufe seiner Karriere hat er die Grenzen zwischen moderner Kunst und Massenkultur ausgetestet; er hat mit industriellen Fertigungsmethoden und neuen Ansätzen für das berühmte Readymade experimentiert und dabei die Beziehung zwischen Künstler, dem Kult um die Berühmtheit und dem globalen Markt verändert. Wie nur wenigen Künstlern der jüngeren Geschichte ist es Koons gelungen, Kitsch und
Pop auf ein neues Level zu heben und banale Gegenstände in eigenwillige Meisterwerke zu verwandeln. „Jeff Koons. A Private Portrait“, der neue Film des auf Künstlerdokus spezialisierten italienischen Filmemachers Pappi Corsicato, bietet einen intimen Einblick in sein Leben. Der Dokumentarfilm, der seine Premiere 2023 auf dem Internationalen Filmfestival in Rom feierte, zeigt die verborgene Dynamik hinter der Person, dem Künstler und der Marke Koons. Die Zuschauer*innen begleiten Jeff Koons bei seinen Erinnerungen an die verschiedenen Stationen seines Künstlerlebens und lernen einen Mann kennen, dem es gelingt, aus gewöhnlichen, massenproduzierten Objekten etwas Erhabenes zu erschaffen.
Jetzt im Kino! © Little Dream Pictures GmbH
Der kurze Weg zur Kunst www.instagram.com/ boesner_deutschland/ www.facebook.com/ boesner/ www.boesner.com/ kunstportal 33x in Deutschland und 1x Versandservice 3x in Österreich 4 x in der Schweiz 5 x in Frankreich
94 | Im Gespräch
Der Maler und das Leben Normalerweise beantworten an dieser Stelle die porträtierten Künstler*innen einen 29 Fragen umfassenden Fragebogen, der gemeinhin auf Marcel Proust zurückgeführt wird. In dieser Ausgabe ist es auf Wunsch des porträtierten Künstlers anders: Jorge Rando äußert sich für gewöhnlich nicht zu seinen Arbeiten und überlässt es den Betrachtenden, mit den Werken in einen inneren Dialog zu treten und sie mit der individuellen Lebenserfahrung zu entdecken und zu interpretieren. Da er sich in der Regel auch nicht zu seiner Person äußert, bat der Künstler darum, an dieser Stelle einen Schritt zurückzutreten und seinen Werken den Vortritt zu lassen. „Wenn Du in der Kunst Fragen stellst, suche die Antworten auf der Leinwand“, sagt er und möchte an dieser Stelle vielmehr einige grundlegende Gedanken und Überlegungen zum Ausdruck bringen.
Jorge Rando (*1941), Künstler aus Málaga und Hamburg
„Es gibt Momente, in denen der Maler, der das Leben malen will, dem Leben die Tür verschließt. Dies sind diese Momente, in denen der Künstler die freien Flächen mit Farben füllt, um sie den Blicken des Betrachters zu überlassen. Es sind diese Momente der Eingeschlossenheit, die er mit niemandem teilen will, nicht einmal mit sich selbst. Es sind Zeiträume, in denen der Maler in den Rausch der Farben eintaucht, die das Licht auszulöschen vermögen, weil er so sehr ins Nichts eingetaucht ist, dass er den Kontakt zur Realität verloren hat – zur Realität der Wahrheit, zur Realität des Lebens, zu der er zurückkehren und sie akzeptieren muss, um seinen Weg fortzusetzen, den ihm das Leben weist. Im Leben liegt die Wahrheit. Und ich muss diese Wahrheit in meiner Malerei finden.“
„Je mehr Jahre vergehen und ich in meiner Malerei reife, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass das einzig Wichtige für einen Maler das Malen ist.“
„Mein letzter Wunsch in diesem Leben ist, das Leben zu malen. Ich suche nicht nach der Wahrheit. Die Wahrheit liegt im Leben. In jenem Leben, von dem wir manchmal glauben, dass wir es leben, das aber immer wieder während langer, zu langer Zeitspannen einfach an uns vorbeizieht und das wir betrachten, ohne es wirklich zu sehen. Wir erleben es so, wie wir es uns wünschen und nicht so, wie es wirklich ist. Wir treten aus der Realität der Wahrheit heraus und setzen uns die Masken unserer Realität auf, ohne zu merken, dass sich vor unseren Augen und unserem Geist ein Vorhang befindet, der uns daran hindert, die Realität des Lebens zu sehen und zu fühlen. Das Leben kann nicht aus der Ferne gesehen und gefühlt werden. Das Leben ist unser Raum, den wir nur für eine bestimmte Zeit einnehmen. Wir müssen es leben und nicht betrachten oder, schlimmer noch, aus der Ferne bestaunen. Im Leben liegt die wahre Wahrheit. Ich will diese Wahrheit mit jener Reinheit malen, die nur die Freiheit geben kann. Ich möchte mich von allem freimachen, um der weißen Leinwand des Lebens entgegentreten zu können.“ Jorge Rando
Im Gespräch | 95
Wer’s weiß, gewinnt! ital. Maler und Radierer (Luca)
franz. Maler (Maurice Pillard)
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französischer Maler (Pierre)
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deutscher Maler (Fritz)
dt. WandArchiteppich tekt (Günter)
norwegischer Maler (Hans)
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ital. Baumeister u. Bildhauer: … di Cambio Gemälde von Gerhard Richter
altgriechischer Bildhauer
1. Preis boesner-Einkaufsgutschein im Wert von 250 Euro
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Bild v. Slevogt: „Der … bei Assuan“
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frz. Bildhauer (FrédéricAuguste)
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schweiz. Kunsthändler (Christoph)
2. Preis boesner-Einkaufsgutschein im Wert von 50 Euro
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3. Preis Ein Buch „Eine kurze Geschichte der Farbe“, siehe S. 55, im Wert von 20 Euro
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So nehmen Sie teil: Bitte senden Sie das Lösungswort per E-Mail an: raetsel.zeitung@boesner.com oder per Postkarte an: boesner holding GmbH holding + innovations, Gewerkenstr. 2, 58456 Witten. Einsendeschluss ist der 28. Februar 2025. 1
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Mitarbeiter von boesner sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Bei mehreren richtigen Einsendungen entscheidet das Los, der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Keine Barauszahlung möglich. Die Lösung finden Sie in der nächsten Ausgabe.
© Freimut Woessner
Gemälde von Vincent van Gogh
A D B M E X P R E S S I ON I S T S I G M R T R O T I S A I G G O H A U S S T E L L U NG B E H N U T E T O R P H I SMU S R I O E C K U P F E R S T E C H E R Das Lösungswort des Preisrätsels aus Kunst+Material November/Dezember 2024 ist: SCHABLONE Die Gewinner werden schriftlich benachrichtigt.
96 | Vorschau
Herausgeber boesner GmbH holding + innovations Gewerkenstr. 2, 58456 Witten Tel. +49-(0)2302-97311-10 Fax +49-(0)2302-97311-48 info@boesner.com V.i.S.d.P.: Jörg Vester
Die nächste Kunst+Material erscheint im März 2024
Redaktion Dr. Sabine Burbaum-Machert redaktion@kunst-und-material.de Satz und Grafische Gestaltung Birgit Boesner, Hattingen mail@bboes.de Anzeigen Dr. Sabine Burbaum-Machert anzeigen@kunst-und-material.de Anzeigenpreisliste Nr. 16 vom 01.01.2025 Herstellung Vogel Druck und Medienservice GmbH, Höchberg
Porträt Anne Carnein Wenn man Anne Carneins Arbeiten zum ersten Mal begegnet, glaubt man, echte Pflanzen zu sehen. Die Verblüffung ist groß, wenn man entdeckt, dass es sich bei der natürlich wirkenden Flora um Kunstwerke handelt, die aus textilen Stoffen, Garn und Draht bestehen. Auf faszinierende Weise erfasst die 1982 in Rostock geborene Künstlerin das Wesen des Wachstums, ohne je abbildhaft zu sein. In ihrem Atelier im östlichen Allgäu lässt sie wundersame Blumen mit leuchtenden Blüten, farbige Pilze und meterhohe Gräser sprießen. Einige balancieren zart, andere tanzen auf ihren Wurzeln, die Carnein immer mit darstellt. In einem viel Zeit fordernden Prozess, bei dem sie die Sprache der Natur jeweils neu formuliert, verleiht sie ihren handgefertigten Kreationen eine individuelle Erscheinung. Denn mit ihren form- und farbgebenden Stichen vernäht sie nicht nur Einflüsse aus der Kunstgeschichte, sondern auch ihr Interesse am Menschen. Julia Behrens hat Anne Carnein für Kunst+Material in ihrem Atelier besucht.
Erscheinungsweise zweimonatlich © 2024 bei der boesner GmbH holding + innovations. Alle Rechte vorbehalten. Reproduktionen jeglicher Art, Aufnahmen in OnlineDienste und die Vervielfältigung auf Datenträgern wie CD-Rom, DVD-Rom etc. bedürfen der schriftlichen Genehmigung des Herausgebers. Unverlangte Manuskripte, Fotos und Dateien usw. sind nicht honorarfähig. Sie werden nicht zurückgesandt und für sie wird keine Haftung übernommen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Eine Veröffentlichung von Daten, insbesondere Terminen, erfolgt trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Redaktionsund Anzeigenschluss ist immer der 15. des jeweiligen Vormonats. Seiten 3, 47, 66–67, 92, 93 (oben), U4: Ina Riepe. Seite 4: (6) © Jorge Rando, Foto: Jorge Luis Maeso Madroñero; (22) Raumansicht „Rachel Ruysch – Nature into Art“, Foto: Haydar Koyupinar, © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München; (34) Ina Riepe; (49) Ina Riepe; (68) Yoshitomo Nara, Ausstellung im Museum Frieder Burda, Baden-Baden 2024, © Yoshitomo Nara, courtesy Yoshitomo Nara Foundation; Foto: Nikolay Kazakov; (76) Ausstellungsansicht „Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur“, mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Foto: mumok / Markus Wörgötter. Seite 94: © Jorge Rando, Foto: Fundación Jorge Rando. Verlag und Redaktion danken den Rechteinhabern für die Reproduktionsgenehmigungen. Nicht nachgewiesene Abbildungen entstammen dem Archiv des Verlags. Konnten trotz sorgfältigster Recherche Inhaber von Rechten nicht ermittelt werden, wird freundlich um Meldung gebeten.
Thema Künstlerische Drucktechniken Viele der Drucktechniken, die noch heute von Künstlern verwendet werden, wurden bereits vor Jahrhunderten erfunden. Holzschnitt und Kupferstich etwa erlebten bereits im Europa des 15. Jahrhundert eine erste Blütezeit. Die Möglichkeit Bilder zu drucken und so eine einmal gefundene Komposition – meist eine Zeichnung – vervielfältigen zu können, bedeutete sowohl für die Künstler als auch für das Publikum eine Revolution ähnlich dem ebenfalls im 15. Jahrhundert erfundenen Buchdruck. Weitere grafische Verfahren, wie Radierung, Schabkunst, Aquatinta oder Lithographie wurden bis zum Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt. Die größten Künstler wie Albrecht Dürer, Hendrick Goltzius oder Rembrandt haben in den verschiedenen Techniken nicht nur Meisterwerke geschaffen, sondern sie loteten dabei auch die Grenzen dessen aus, was in den einzelnen Drucktechniken möglich war. Doch wie funktionieren die einzelnen Techniken eigentlich und was ist das Besondere jeder einzelnen Technik? Stefan Morét stellt Ihnen die verschiedenen Drucktechniken und Entwicklung sowie einige ihrer Protagonisten vor.
ISSN 1868-7946
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