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VLB-Fachbücher: 60 Jahre „Technologie Brauer & Mälzer“
VLB-FACHBÜCHER
60 Jahre „Technologie Brauer & Mälzer“ – ein Kapitel aus Wolfgang Kunzes Leben
von Wolfgang Kunze (†)
Mit der Hand verfasste Wolfgang Kunze das Lehrbuch „Technologie Brauer und Mälzer“, das er im Sommer 1961 fertigstellte. Waren es bei der ersten Auslieferung 1962 510 Druckseiten, umfasst die 11. deutschsprachige Auflage aus dem Jahr 2016 knapp 1000 Seiten. „Der Kunze“, wie ihn seine Leser anerkennend nennen, wurde mittlerweile in sieben Sprachen übersetzt und ist für Brauer und Mälzer auf der ganzen Welt das Standardwerk. Wolfgang Kunze schrieb vor seinem Tod im Jahre 2016 seine Lebensgeschichte nieder. Mit dem Kapitel über die Entstehung des Lehrbuches würdigen wir dessen 60. Geburtstag. Voraussichtlich Ende 2022 erscheint die 12. deutsche Auflage.
Foto: oh
Wolfgang Kunze (1926 bis 2016) auf der Feier seines 85. Geburtstages im August 2011 Als ich 1950 an der VLB studierte, sprach mich mein Kommilitone Rudolf Dickscheit an, ob ich mit ihm zusammen einen Leitfaden für die Ausbildung von Brauern verfassen wolle. Ich war darüber etwas verwundert, denn so kompetent war man im dritten Semester keineswegs, aber ich sagte zu. Doch jeder hatte andere Vorstellungen über die Art der Darstellung und den Umfang. Nach einiger Zeit einigten wir uns friedlich darauf, dass Dickscheit das Buch allein zu Ende bringt. Es erschien 1953 unter dem Titel „Leitfaden für den Brauer und Mälzer“ im Fachbuchverlag Leipzig und hatte einen Umfang von 182 Seiten und 65 Bildern. Der Leitfaden erschien nur in einer Auflage. Dickscheit wurde später zum Professor berufen und war als Direktor des Forschungsinstituts für die Gärungsindustrie, Enzymologie und technische Mikrobiologie (FIGEM) maßgeblich an der Entwicklung kontinuierlicher Produktionsverfahren für die Malz- und Bierherstellung in der DDR beteiligt. Im Frühjahr 1959 ereilte mich eine Anfrage des DDR-Schulbuchverlags Volk und Wissen aus Berlin, ob ich bereit sei, ein Lehrbuch für die Ausbildung von Brauern zu entwickeln. Ich gab leichtfertig meine Zustimmung, ahnte jedoch nicht, was da auf mich zukommen sollte. Unter anderem musste ich ein Probekapitel liefern, da das Lehrbuch vom Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie für verbindlich erklärt werden musste. Die fachlichen Kommissionäre waren angesehene Experten der Branche, hinzu kamen Vertreter des Ministeriums, der TU Dresden und natürlich die des Verlags. Zwischen Auftragserteilung im November 1959 und geplanter Insatzgabe im Februar 1961 lagen 14 Monate. Das Buch sollte im August 1961 erscheinen und pünktlich zum Schuljahresbeginn 1961/1962 zur Verfügung stehen.
Das Buch für die Berufsschule
Ich machte mich an die Arbeit und schrieb an den Abenden und Wochenenden das gesamte Buch mit der Hand nieder – eine Schreibmaschine besaß ich nicht. Wie ich das alles in der kurzen Zeit geschafft habe, weiß ich nicht mehr. Da ich auf bildliche Darstellungen großen Wert legte, stellte mir der Verlag mit Fritz Hampel einen seiner besten Grafiker zur Verfügung. An meinen freien Tagen zogen wir gemeinsam durch die Brauereien und Mälzereien Sachsens, zeichneten, fotografierten und schnitten in Gedanken ganze Anlagen auf. Es lief alles nach Plan – bis die „Katastrophe“ über mich hereinbrach. Von höchster Stelle hatte man eine neue Verlagsprofilierung beschlossen. Danach sollten alle Lebensmittelbücher beim Fachbuchverlag Leipzig beheimatet sein. Dem Fachbuchverlag Leipzig fiel damit völlig unvorbreitet ein fertiges Lehrbuch in den Schoß. Die Auslieferung des Buches konnte wegen Druck- und Papierproblemen erst im Laufe des Jahres 1962 erfolgen. Die erste Auflage hatte 510 Druckseiten. Weit schlimmer als die verspätete Auslieferung wog für mich, dass der Fachbuchverlag ein kleiner Verlag war und über keinen eigenen HausGrafiker verfügte. Zeichnungen wurden außer Haus angefertigt. Die Qualität der Abbildungen ließ in den darauffolgenden Auflagen zu wünschen übrig. Zudem wurde ab der dritten Auflage das Buch dünner, weil das Fachgebiet Flaschenfüllung als gesondertes Büchlein für den Beruf „Facharbeiter für Anlagentechnik, Spez. Getränkeabfüllung“ entstehen sollte. Ein Autorenkollektiv unter meiner Federführung verfasste diesen schmalen Band, der erstmals 1978 unter dem Titel „Getränkeflaschenfüllung in Übersichten“ im Fachbuchverlag Leipzig mit 236 Seiten erschien. Für meine Lehrtätigkeit indes war das Technologie-Lehrbuch eine ungeheure Erleichterung. Neben meiner Anstellung als Leiter der „Außenstelle Brau und Malz“ der Kommunalen Berufsschule Dresden unterrichtete ich Brauereitechnologie an der Ingenieurschule für die Lebensmittelindustrie in Dippoldiswalde. Ferner hatte ich einen Lehrauftrag an der Technischen Universität Dresden. Ich musste fortan keine Merksätze mehr diktieren und
„Technologie Brauer und Mälzer“ von Wolfgang Kunze erschien 1962 in seiner ersten Auflage beim Fachbuchverlag Leipzig (Bild links). Mittlerweile gibt es 11 deutsche Auflagen (die 11., Bild rechts), 6 englische, 3 russische, 2 chinesische und jeweils eine auf Spanisch, Polnisch, Serbisch und Ungarisch. Ursprünglich war das Werk für Brauer und Mälzer in Ostdeutschland gedacht – heute dient es diesen Berufsgruppen auf der ganzen Welt als eine Art „Brauerbibel“. Das Lehrbuch ist laut einer Textanalyse des Verbundprojekts der TU Berlin „Korn-Scout“ aus dem Jahre 2019 in puncto Thematisierung von Nachhaltigkeit und schonendem Einsatz von Ressourcen vorbildlich
mein Tafelbild war bereits im Buch vorhanden.
Gehalt vom Geschenkdienst
In der DDR standen die Preise über Jahrzehnte fest. So kostete das Glas Bier 50 Pfennige. Der Preis für das Technologiebuch wurde willkürlich auf 16,80 Mark DDR festgelegt. Dieser Preis galt bis zur Wende. Fachbücher in der DDR waren generell günstig, weil sie subventioniert wurden. Man hat ausgerechnet, dass der Fachbuchautor in der DDR gerade mal 50 Pfennige für die Druckseite verdiente. Das ertrugen nur Idealisten. Für die Lizenzvergabe meines Buches an einen ungarischen Verlag erhielt ich 1984 ein Valutaanrecht in Höhe von 255,10 VM (Valutamark Ost). In der Praxis bedeutete das, dass ich über diese Summe beim Genex-Geschenkdienst (Ost) verfügen durfte. Ich erhielt also kein Geld, sondern nur die Genehmigung zum Erhalt von Waren im Wert von 255,10 VM. Meine Frau fuhr nach Leipzig und bestellte eine Kaffeemaschine, einen Wasserkocher und ein Waffeleisen. Wir brauchten zwar kein Waffeleisen, aber wollten die Summe füllen. So war das eben! Der DDR-Bürger kaufte, wenn's gab!
Papier war das Problem
Gedruckt wurden gemäß der Jahrespläne immer so viele Exemplare, wie in den nächsten vier oder fünf Jahren benötigt wurden. Das waren etwa 2000 Exemplare pro Auflage, manchmal mehr. Das Hauptproblem war der Papiermangel. Deshalb wurde nur für die DDR-Versorgung gedruckt. „Wenn das Buch auch im Westen gelesen wird, hast Du was falsch gemacht!“ gab man mir von höchster Stelle zu verstehen. Entsprechend musste ich etwas falsch gemacht haben, denn viele WestBerliner Studenten fuhren in den Osten, um sich dort in der Internationalen Buchhandlung das Buch zu kaufen. Wenn eine Auflage fast verkauft und ein Papierkontingent erkämpft war, wurde eine neue Auflage gedruckt. Nun begann die Überarbeitung mittels Schneid- und Klebetechnik. Die zu verändernden Textstellen oder Abschnitte mussten ausgeschnitten und durch Schreibmaschinen-Texte ersetzt werden. Handkorrekturen waren ausgeschlossen. Am Ende bestand das Manuskript aus einer Folge von aufgeklebten Streifen. Das Textmanuskript ging nach der Überarbeitung in die Satzabteilung der Druckerei und wurde dort neu gesetzt. In dieses Textmanuskript wurden nunmehr die Grafiken eingebaut. Die Bildunterschriften wurden im Handsatz hinzugefügt. So war das bis zur sechsten Auflage 1989. Erst mit der Einführung des PCs wurde das Verfahren einfacher.
Literatur für das Lehrbuch
Wenn man ein Lehrbuch schreibt, muss man auf der Höhe der Erkenntnisse sein. Dazu bedarf es guter Fachliteratur. Bis zum Mauerbau 1961 – zur Fertigstellung des ersten Buches – war das kein Problem, aber danach gab es erhebliche Probleme. Der Fachbuchverlag Leipzig hatte mit dem Fachbuchverlag Hans Carl in Nürnberg einen Zeitschriftenaustausch vereinbart: „Brauwelt“ gegen „Lebensmittelindustrie“. Ich konnte davon profitieren, da ich nach dem Jahresende jeweils die abgelegten „Brauwelten“ mit der „Brauwissenschaft“ in Leipzig abholen durfte. Von der VLB Berlin erhielt ich fast immer noch die „Monatsschrift für Brauerei“. Das änderte sich plötzlich, als Ende der 1970er-Jahre der Fachbuchverlag Leipzig den Verbleib der archivierten Exemplare nachweisen musste. Doch auch dafür gab es eine Lösung und die hieß Dr. Hans Günther Schultze-Berndt. Der damalige Geschäftsführer der VLB (1966 bis 1991) war mein Studienkollege und wir standen immer in enger brieflicher Verbindung. Wenn ich eine Frage oder ein Problem hatte, schickte er mir in einem Brief die Lösung, allerdings vergaß er dabei nie, etwas Brisantes beizulegen. Deshalb vereinbarten wir einen geheimen Zahlencode, der uns anzeigte, ob unsere Briefe angekommen oder der Kontrolle unterzogen wurden. Unser Briefwechsel war sehr rege. Schultze-Bernd hat mir in dieser schwierigen Zeit immer sehr geholfen. Ihm verdanke ich sehr viel. Übersicht der Auflagen: 1961* 1. deut. Auflage 1967 2. deut. Auflage 1975 3. deut. Auflage 1978 4. deut. Auflage 1979 5. deut. Auflage 1983 1. ungar. Auflage 1989 6. deut. Auflage 1994 7. deut. Auflage 1996 1. engl. Auflage 1998 8. deut. Auflage 1998 1. chin. Auflage 1998 1. serb. Auflage 1999 2. engl. Auflage 1999 1. poln. Auflage 2001 1. russ. Auflage 2003 2. russ. Auflage 2004 3. engl. Auflage 2006 1. span. Auflage 2007 9. deut. Auflage 2008 2. chin. Auflage 2009 3. russ. Auflage 2010 4. engl. Auflage 2011 10. deut. Auflage 2014 5. engl. Auflage 2016 11. deut. Auflage 2019 6. engl. Auflage 2022 12. deut. Auflage
*1962 erschienen