6 minute read
statt Jodeln
Rodeln statt Jodeln
Das Jodeln diente im Bergland zur Kommunikation, die Rodel als bäuerliches Transportmittel. Längst modernes Sportgerät, hat die Rodel ihren Ursprung im adeligen Lustschlitten ebenso wie im bürgerlichen Vergnügungsgerät
Werner Johler im Lager mit den im Sommer gebogenen Eschenbrettern
Richtig in Fahrt kam das Rodeln in den Alpen mit den Engländern. Zum Bregenzerwälder Kulturgut wurde die Rodel als neues Produkt von in ihrer Existenz bedrohten Wagnern. Diese Geschichte erzählt von den Gebrüdern Johler und ihrem erfolgreichen Versuch, eine alte Tradition am Leben zu erhalten
Rodeln ist in. Ganz besonders im Bregenzerwald. Hier gibt es gepflegte Naturrodelbahnen in fast jeder Gemeinde, etwa in Alberschwende, Sulzberg, Bezau, Bizau, Au, Mellau oder Warth. Sie liegen alle in der Nähe von Skiliften, Gasthäuser sorgen für das leibliche Wohlergehen, und manche Rodelbahnen sind am Abend beleuchtet. Wir, die Gebrüder Johler, kennen sie aus guten Grund alle: Seit über hundert Jahren werden in unserer Wagnerei Rodel produziert (eigentlich „gmacht“, wie es im Dialekt richtig heißt, und übrigens ist die Rodel da männlich). Rodeln zu gehen ist für uns daher zuallererst eine Frage der Qualitätskontrolle. Aber ebenso wichtig ist uns wie allen anderen begeisterten Rodlern die Naturwahrnehmung, das Körpergefühl und das Gemeinschaftserlebnis.
Diesmal haben wir uns für Bezau entschieden. Die dortige Naturrodelbahn ist durch die Bergbahnen Bezau schnell und bequem zu erreichen. Sie geht über gut drei Kilometer und überwindet von Baumgarten bis zum Sonderdach 440 Meter Höhendifferenz. Der Ausblick ist großartig, reicht bei gutem Winterwetter in den ganzen Bodenseeraum und macht Mut beim Start. Und den braucht es.
Wir haben uns bei der Abfahrt in zwei Gruppen aufgeteilt: wegen der Kinder in eine familiäre und wegen der Erwachsenen in eine sportliche. Schnell muss es gehen und soll vor allem Spaß machen. Gebremst wird mit den Füßen, darum ist ein gutes Schuhwerk Plicht; gelenkt wird mit den Händen und der Leine, deshalb empfehlen wir warme Winterkleidung; gefahren wird auf Sicht, daher ist eine gegenseitige Rücksichtnahme auf der
Werner Johler und die Kinder Lina und Pius mit ihren Eltern Sarah und Thomas Fischer
Bahn obligatorisch. Aber natürlich ist für die gelungene Fahrt der Rodel von besonders großer Bedeutung. Rodel können bei Bergbahnen und Gasthäusern ausgeliehen werden, aber es lohnt sich doch, eine eigene zu kaufen. Bei uns in der Werkstatt stehen Menschen mit Rodeln, die sie etwa in den 1960er Jahren erworben haben und die wir nun reparieren sollen. Dabei wird meist viel von früher erzählt. Und damit beginnt auch unsere Geschichte des Wälder-Rodel(n)s.
Mit dem Adel Schlitten fahren Große Schlittenfahrten sind über Jahrhunderte hinweg das Vorrecht des europäischen Adels gewesen. Im ausgehenden 18. Jahrhundert hat sie das städtische Bürgertum übernommen und damit das Rodeln als Freizeitvergnügen ein wenig vorweggenommen. Für die Entwicklung der Rodel war aber noch eine zweite Bevölkerungsgruppe wichtig: die Bauern. Über Jahrhunderte hinweg hat die Besiedlung des Alpenraums Menschen vor ein großes Problem gestellt: Holz, Heu, Milch und vieles andere musste mühsam und über weite Strecken bewegt werden. Dies ist im Winter leichtergefallen. Für den Transport im Schnee haben lokale Handwerker schwere Horner-Schlitten und einfache Rodel hergestellt.
Die moderne Rodel hat dieser beiden Vorbilder bedurft. Entstanden ist sie dann jedoch mit dem um 1890 schnell populär werdenden Wintertourismus. Gäste aus den Großstädten, zunächst vornehmlich aus England, haben in den Alpen Urtümlichkeit und Echtheit gesucht – und den Sport. Zu den Sportarten sollte bald auch das Rodeln gehören: Am 12. März 1883 ist es auf der Strecke zwischen Davos und Klosters zum ersten „Wettschlitteln“ gekommen, von da an hat es das Rodeln schnell zur touristischen Attraktion geschafft.
Bei den vielen folgenden Rennen wurden anfänglich nur Schweizer Rodel zugelassen – die sogenannten „Davoser Schlitten“. In Österreich rodelte man vor allem in Tirol, in der Steiermark, aber auch in Vorarlberg. Dabei wurde ab der Jahrhundertwende die Rodeltechnik weiter verbessert. 1908 erschien sogar eine genaue Anleitung „Wie lerne ich Rodeln?“.
Durch die Wettbewerbe veränderten die Rodel schnell ihr Aussehen. Die „Davoser Schlitten“ hatten bereits gebogene Kufen und Holzlatten für die Sitzfläche, für die neue „Halltaler Rodel“ aus Tirol wurde eine noch stärkere Biegung der Kufen und eine Jutebespannung der Sitzfläche charakteristisch. Vor allem die Wagner trieben diese technischen Fortschritte voran. Sie hatten über Jahrhunderte hinweg Fahrzeuge und Transportmittel erdacht und gebaut. Mit der Eisenbahn und dann nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Automobil geriet ihr Handwerk in eine nachhaltige Krise, die viele Wagner mit der Produktion von Ski oder Rodel zu bewältigen suchten. Sie entwickelten in der Folge immer neue, schnellere und schönere Rodelmodelle. 1908 begann auch unser Großvater Christian Johler in Alberschwende mit der Rodel- und Skiproduktion. Zuvor hatte er im liechtensteinischen Balzers das Wagnerhandwerk erlernt und dabei auch seine erste „Davoser Rodel“ gesehen. Sie sollte ihm zum Vorbild dienen.
Wie die Bregenzerwälder aufs Rodeln kamen Das Zentrum der Rodelproduktion im Bregenzerwald lag von Anfang an in Alberschwende. Dort hatte die 1902 eröffnete Bregenzerwaldbahn den über die Schwarzachtobelstraße führenden Personen- und Güterverkehr fast zum Erliegen gebracht. Das gefährdete Wagner, Schmiede und Sattler an der Straße in ihrer Existenz.
So begannen in der Gemeinde gleich mehrere Wagner mit der Herstellung von Rodeln. Damit war dieses ernste wirtschaftliche Problem für längere Zeit gelöst. Dabei sollte die goldene Zeit der Rodelproduktion
in Alberschwende erst in den späten 1950er Jahren beginnen – in unserem Fall mit der Firmenübernahme durch unseren Vater Arthur.
Der Wintertourismus kam damals rasant in Schwung, die Rodel wurde zum populären Sportgerät. Davon zeugen Fotos vom damaligen Sortiment, die wir in unseren Geschäftsräumen ausgestellt haben. In der Wagnerei wurden ab dem Frühherbst und den ganzen Winter hindurch von mehreren Beschäftigten unzählige Rodeln in handwerklich hoher Qualität hergestellt. Sie gingen dann in den ganzen Bodenseeraum, aber auch nach Südtirol und in das Trentino.
Ab den 1970er Jahren bekam die Holzrodel durch Plastikschlitten erhebliche Konkurrenz. Darauf versuchten wir nach dem frühen Tod unseres Vaters 1982 als Gebrüder Johler OG in einer bis heute bestens funktionierenden, weil auf die Familie setzenden, Betriebsform zu reagieren. Unser Motto von Anfang an: Tradition und Innovation in Holz.
Jeder der Gebrüder Johler hat einen Brotberuf: Edmund ist Geschäftsführer einer Produktionsfirma für Leuchten im deutschen Tettnang. Stefan (der Schwager) war bis zu seiner Pensionierung in der Gemeindeverwaltung von Wolfurt tätig. Werner arbeitet als VicePresident Engineering in einem globalen Unternehmen bei Zürich. Und ich, der heimatverbundene Autor dieses Beitrags und stets mit einer Kolumne im reisemagazin bregenzerwald vertreten, unterrichte seit vielen Jahren an der Universität Tübingen Empirische Kulturwissenschaft. Jedes Jahr kommen wir zur Rodelproduktion in unsere in die Jahre gekommene Werkstätte in Alberschende: um Eschenholz zu kaufen und zu sägen, im Sommer die Kufen zu biegen, Stangen und Blöckle zu fertigen und die Rodeln zu „macha“, die im Herbst gepolstert und gesohlt werden. Jeden Winter findet bei uns zu Hause in Alberschwende, Gschwend 341, der Verkauf statt.
Wir haben uns in dritter Generation bewusst dafür entschieden, die Wagnerei als Familienbetrieb fortzuführen. Unsere Rodelproduktion setzt daher auf Tradition sowie Erfahrung. Und natürlich ist uns Nachhaltigkeit ebenso wichtig wie das Festhalten an regionalen Wirtschaftskreisläufen: Das für die Rodelherstellung notwendige Eschenholz stammt nur aus heimischen Wäldern. Es wird zur richtigen Zeit gefällt und während mehrerer Monate luftgetrocknet. Ebenso umweltverträglich sind das als Feuchtigkeitsschutz eingesetzte Leinöl und die für die Polsterung verwendeten Jutegurten. Dies, aber mehr noch unsere gemeinsame Arbeit macht aus unserer Sicht unsere Rodel so besonders. Mit viel Stolz führen wir am Eingang des Bregenzerwaldes unser altes Handwerk fort.
Zu Maria Empfängnis am 8. Dezember findet in Alberschwende am Dorfplatz der Christkindlmarkt statt. Unter der tausendjährigen Linde vor der Kirche gibt es gut zu essen und zu trinken, außerdem werden allerlei handwerkliche Erzeugnisse zum Kauf angeboten, darunter auch die Alberschwender Rodel. Kommen Sie doch einmal vorbei. Ich erzähle Ihnen gern weitere Geschichten zur Rodel und ihrem Bau. Sie können dabei das Sportgerät aus Holz gleich in die Hand nehmen und seine Besonderheit fühlen. Und im Fall des Falles ist der nächste verschneite Rodelhang nicht weit.