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Stefania Pitscheider-Soraperra
Gell, mein Herr, da schauen Sie!
Das Frauenmuseum in Hittisau, Österreichs einzige Einrichtung dieser Art, besteht seit zwanzig Jahren. Seine Direktorin Stefania Pitscheider-Soraperra sieht das Haus als Ort, an dem die Welt verhandelt wird
Frau Pitscheider-Soraperra, Sie gehen mit dem Frauenmuseum seit jeher einen interdisziplinären Weg, machen Themen mit bildender Kunst, Theater, Aktionen nachvollziehbar. Wie ist die Resonanz? Stefania Pitscheider-Soraperra: Für uns ist das Museum kein Container für Ausstellungen, sondern ein Ort, an dem Gesellschaft verhandelt wird. Das wird wahrgenommen, in der Fachwelt und vom Publikum. Wir haben einen enormen Output, bei gleichzeitiger räumlicher, finanzieller und personeller Knappheit. Aber wir sind zuversichtlich, dass sich das ändern wird. Im Frauenmuseum arbeiten an die zwanzig Frauen mit unterschiedlichsten Backgrounds: Die eine hat Gender Studies studiert, die andere ist
Wanderführerin, die eine ist Druckvorstufentechnikerin und die andere Bäuerin. Jede dieser Frauen kommt ins Team der Vermittlerinnen mit der Bereitschaft, sich intensiv mit unseren Themen auseinanderzusetzen. Das empfinde ich nach meinen zwölf Jahren in diesem Haus immer noch als Geschenk. Wir widmen unser Jubiläumsjahr diesen Frauen und dem Schauen. Das hat folgenden Ursprung: Eine unserer Kulturvermittlerinnen führte einen Universitätsprofessor aus München durch das Haus. Danach fragte er, welche Ausbildung sie habe, die Führung habe ihm ausgezeichnet gefallen. Sie sagte: keine, sie sei Bäuerin. Da konnte er im Moment nicht viel antworten, worauf sie meinte: „Gell, da schauen Sie!“ Das ist es, dieses Schauen, das Staunen. Es geht aber auch um das Schauen auf andere Orte der Welt – das machen wir in der Internationalen Frauenmuseumskonferenz. Wir tagten in Mexico City, Buenos Aires, Alice Springs, Bonn oder Istanbul. Und heuer, zu unserem Geburtstag, treffen wir uns in Hittisau.
Was das kleine Frauenmuseum im kleinen Hittisau macht, hat nicht selten große Auswirkungen. Eine davon war mehrere Monate an der Fassade des Kunsthaus Bregenz sichtbar. Da hing ein überdimensionales Porträt der Künstlerin Anne-Marie Jehle. Jehle hat in den 1970er Jahren feministische „Weltkunst“ in Vorarlberg gemacht, entdeckt wurde sie aber erst lange nach ihrem Tod im Jahr 2000. Dass ihr Porträt am KUB hing, ist mit das Verdienst des Frauenmuseums. Pitscheider-Soraperra: Anne-Marie Jehle ist ein besonderes Phänomen. Mit ihrem künstlerischen Potenzial
und ihrer Formensprache konnte sie absolut mithalten mit dem, was zu dieser Zeit weltweit in der Kunst passiert ist. Sie schuf ihre Kunst zeitlebens im Verborgenen, füllte damit ihr Haus in Feldkirch. Dass ihr Nachlass gerettet wurde, verdanken wir dem Gespür einiger weniger Menschen. Es hätte auch passieren können, dass alles entsorgt wird. Das Frauenmuseum hat ihr eine große Ausstellung gewidmet. Dass sie heute, zwanzig Jahre nach ihrem Tod, so präsent ist, hat hohen symbolischen Wert und macht mich glücklich.
Sie sind aufgewachsen in Südtirol, waren nach dem Studium der Kunstgeschichte lange in Wien an großen Häusern wie der Kunsthalle tätig, auch im sozialen Künstlerkollektiv „Wochenklausur“, wo Sie etwa für die Secession Versorgungsbusse für Obdachlose installierten oder in Zürich eine Pension für Prostituierte aus dem Drogenmilieu aufbauten. Sie kamen vor 15 Jahren nach Vorarlberg. Ein guter Ort zum Leben?
Direktorin des einzigen Frauenmuseums Österreichs: Stefania Pitscheider-Soraperra
Pitscheider-Soraperra: Zugegeben, die ersten Jahre in Vorarlberg waren eine Herausforderung, aber ich habe mich gut eingelebt. Ich schätze die hohe Kooperationsbereitschaft hier und die Weltoffenheit jener Menschen, die weltoffen sind, ist so ausgeprägt, dass sie manchen Mangel andererseits wettmachen. Nein, ganz im Ernst, ich lebe gerne hier, mir ist aber auch meine Herkunft wichtig. Ich bin in einem ladinischen Tal aufgewachsen, noch heute spreche ich mit meinem Sohn in Feldkirch Ladinisch. Die Arbeit in Häusern wie der Kunsthalle Wien war wichtig, auch jene bei der Wochenklausur. Das eine ist ein großer, institutioneller Tanker, das andere ist freie Kunst. Im Frauenmuseum kann ich nun beides vereinen: arbeiten für eine Institution, in der der Geist von freien Projekten weht.
Im Frauenmuseum wird die Gegenwart reflektiert. Sind denn jetzt gerade gute Zeiten für Frauen in der österreichischen Öffentlichkeit? Pitscheider-Soraperra: Es ist höchst erfreulich, dass wir eine Bundeskanzlerin hatten und nun eine Regierung mit über fünfzig Prozent Frauenanteil haben, aber: Es ist auch höchste Zeit. Die „Oberfläche“ stimmt zuversichtlich, darunter dürfen wir aber auch viele gravierende Benachteiligungen nicht übersehen: Etwa, dass Frauen nach wie vor großer Gewalt ausgesetzt sind, dass es gläserne Decken gibt in vielen Berufen, dass Frauen immer noch sehr ungleich bezahlt werden, vor allem in Vorarlberg. Dass Veränderungen so langsam passieren, liegt daran, dass unsere Gesellschaft immer noch tief in patriarchalen Strukturen wurzelt. Es ist viel erkämpft worden, es gibt aber auch immer wieder Rückschläge. Gerade heute angesichts des Rechtsrucks auf der ganzen Welt müssen wir besonders achtsam sein. Wir müssen die Rechte hegen, sichern, weiterentwickeln, sie ins Bewusstsein rücken. Vor allem der jüngeren Generation gegenüber. Carina Jielg