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Alphabet des Waldes
kaum über drei Buckel hinausgekommen. Man musste sich ein wenig anpassen. Falls man nicht top war, ging es nicht an, sich mit über zwei Meter langen, schweren Ski nicht um die Buckel zu scheren. Ich sah einmal einen Olympiasieger in Lech, der eine steile Buckelpiste von oben bis unten schnurgerade hinunterfuhr, in einer Zeit, in der man noch Langriemenbindungen verwendete, also schon etwas länger her.
Das zeigte mir, der ich mich immer als guten Skifahrer empfand, doch meine Grenzen. Später als Skilehrer in den USA, arbeitete in unserem Skiort ein Tiroler Profi, der es im österreichischen A-Kader nicht ganz an die Spitze geschafft hatte. Aber er war saugut. Ich durfte manchmal mit ihm Ski fahren, wenn ich nicht unterrichtete und er nicht trainierte. Dann zeigte er mir Dinge wie: Fahr nicht um die Buckel herum oder versuche, auf dem Scheitel der Buckel zu drehen. Fahr einfach in die Buckel hinein, als wären sie gar nicht da. Gesagt, getan – es ging. Man brauchte dazu eine gewisse körperliche Verfassung und den Mut, die Ski einer Bruchprobe auszusetzen, weil die sich zwischen den Buckeln ordentlich durchbogen.
In Damüls gibt es zwei Sportgeschäfte, bei einer Bevölkerung von 308 Einwohnern beachtlich. Aber wenn ich dort bin, sind sie immer gut frequentiert. Meist leihe ich mir für meine Skiwoche ein Paar Ski aus. Ich muss dann meine Fähigkeiten beschreiben und gab das letzte Mal an, ich sei früher ein guter Skifahrer gewesen. Der knorrige Mann am Verleih taxierte mich kurz und gab mir ein Paar Ski, das mir selbst bei meinem heute eher gemächlichen Tempo zu wenig Griff entwickelte und schon beim Geradeausfahren flatterte. So brachte ich die Ski noch am Abend zurück, erklärte ihm das Problem und verlangte ein anderes Paar. Er sah mir offen ins Gesicht, sagte, nicht unerfreut: „Do hon i di do a klä unterschätzt“ und reichte mir ein Paar rezenter Carver. Mit denen kam ich ganz gut zurecht, außer dass ich mich, ich weiß nicht wie, plötzlich auf Schulter und Gesicht im Schnee wiederfand. Einmal pro Woche muss das sein, wenngleich die Erinnerung in der Schulter noch Wochen danach anhielt.
Das Fahren im Gelände ist eben doch mit dem Wirken der Schwerkraft verbunden, auch wenn Skifahren sie für ein paar Augenblicke vermeintlich überwindet. Über einen frischverschneiten Hang zu schweben, kann die Illusion vom Fliegen mit der Schönheit von Ballett verbinden. Dafür zahlt man gern mit der Nase, die eine harte Piste pflügt. Kommt ja nicht so oft vor, und man fährt schließlich mit Helm und Rückenschutz, sicher ist sicher.
Wo immer man hier fährt, überragt einen die Mittagsspitze, im Winter ein unnahbarer Fels. Von hinten, erschlossen über die relativ neue Skischaukel zwischen Mellau und Damüls, zeigt sie einem die kalte Schulter. Nicht dass die Südseite wärmer wäre, denn man sieht, anders als im Sommer, keinen Quadratmeter grünen Grases. Wenn einen auch die Bubble am Lift vor Wind und Schnee schützt, allein der Anblick der Bergspitze genügt, um sich stets vor Augen zu halten, dass man im Gebirge und nicht auf einem Spielplatz ist. So soll es sein, nicht nur beim Skifahren. Auch deswegen bin ich ein Damülser. Armin Thurnher
Der Bregenzerwälder Reinhard Johler lehrt am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Er stammt aus einer Familie in Alberschwende, die seit Generationen Rodel herstellt
Funkensonntag
Am ersten Sonntag der Fastenzeit werden die Funken abgebrannt. Im Bregenzerwald flammen am frühen Abend in so gut wie allen Gemeinden imposante Dorffunken auf. Das Verbreitungsgebiet des Funkenfeuers umfasst mit Vorarlberg, Liechtenstein, der Ostschweiz, dem Allgäu und Oberschwaben sowie dem Tiroler Oberland und dem Südtiroler Vinschgau einen Großteil des schwäbisch-alemannischen Raums. Trotz des gleichen Termins überwiegen die Unterschiede von Ort zu Ort: Vor ein paar Jahren wurde das Funkenabbrennen in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes Österreichs aufgenommen. Im Rheintal hat die Konkurrenz der Funkenzünfte zu handwerklich kunstvoll errichteten Funken mit vielen Zuschauern geführt. Dagegen ist der Feuerbrauch im Bregenzerwald, etwa in Alberschwende, Bezau oder Bizau, trotz mancher Änderungen ein recht familiärer Anlass geblieben.
Früher ist der Funken von der männlichen Dorfjugend aufgerichtet worden. Meist ein einfacher, mit Holzabfällen angereicherter Strohhaufen, wurde er bei Einbruch der Dämmerung angezündet. Heute sorgen eigenen Funkenzünfte für die Organisation. Der Brauch hat Regeln bekommen: Die Funkentanne wird etwa am Faschingsdienstag geschlagen, an den darauffolgenden Tagen Holz gesammelt und der Funken in der am Ort üblichen Weise errichtet.
Am Funkensonntag brennen am Nachmittag eigene Kinderfunken. Dazu gibt es ein Familienprogramm. Den Höhepunkt bilden das Abbrennen des Funkens und die Explosion der Funkenhexe. Das wärmende Feuer passt zu Schnee und Kälte sowie den schmackhaften, nur an diesem Tag herausgebackenen „Funkenküachli“.
Die wahre Geschichte des Funkensonntags ist lang und seine Gegenwart aufschlussreich. Der Autor dieser Zeilen empfiehlt dazu die Lektüre seines Buches: „Die Formierung eines Brauches. Der Funken- und Holepfannsonntag“ (Wien 2000). Dort kann auch nachgelesen werden, warum der Funken früher dazu dienen sollte, den Winter zu vertreiben.