Christoph Spering & Das Neue Orchester | 21.09.2024

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21. September 2024, 19:30 Uhr

Großer Saal

CHRISTOPH SPERING & DAS NEUE ORCHESTER

Beginnen

Weitere Highlights 24–25

Karten und Infos:

+43 (0) 732 77 52 30 brucknerhaus.at

So, 8. Dez 2024, 11:00 & 15:00

Großer Saal

Bachs Weihnachtsoratorium

Michi Gaigg und das L’Orfeo Barockorchester werden am zweiten Advent alle sechs Kantaten von Bachs berühmtem Weihnachtsoratorium in ihrer vollen Pracht erklingen lassen.

Do, 12. Dez 2024, 19:30

Großer Saal

Sanderling, Capuçon & Bamberger Symphoniker

Das Luzerner Sinfonieorchester und Michael Sanderling präsentieren Schuberts 8. Symphonie und Schostakowitschs 1. Cellokonzert mit Gautier Capuçon als Solisten.

So, 15. Dez 2024, 18:00

Mittlerer Saal

Michael Schade, André Ferreira & Christoph Hammer

Begleitet von André Ferreira an der Biedermeiergitarre und Christoph Hammer am Hammerklavier, singt Michael Schade Schuberts Winterreise.

Gautier Capuçon

alla breve

Das Programm auf einen Blick

»Ich werde nie eine Symphonie komponieren. Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.« Mit diesen Worten fasste Johannes Brahms dem Dirigenten Hermann Levi gegenüber das Dilemma seiner Generation zusammen, aus dem gewaltigen Schatten des »Riesen« Ludwig van Beethoven treten zu müssen, der mit seinen neun Sinfonien scheinbar alle Möglichkeiten der Gattung ausgeschöpft hatte. Bezeichnenderweise waren sowohl Brahms als auch Anton Bruckner zum Zeitpunkt der Uraufführung ihrer jeweiligen 1. Sinfonie bereits 43 Jahre alt.

Nicht nur treffen diese beiden in c-Moll stehenden Werke im heutigen Konzert unter dem Titel Beginnen auf das Vorbild Beethoven, nein: Sie kämpfen sich buchstäblich aus dessen CoriolanOuvertüre, mit der tatsächlich beide Konzerthälften beginnen, heraus.

Besetzung

Das Neue Orchester

Christoph Spering | Dirigent

Programm

Ludwig van Beethoven 1770–1827

Ouvertüre c­Moll zu Heinrich Joseph von Collins

Trauerspiel Coriolan op. 62 // 1807

Johannes Brahms 1833–1897

Sinfonie Nr. 1 c­Moll op. 68 // 1862–76, rev. 1877

I Un poco sostenuto – Allegro

II Andante sostenuto

III Un poco Allegretto e grazioso

IV Adagio – Più Andante – Allegro non troppo, ma con brio

// Pause //

Ludwig van Beethoven

Ouvertüre c­Moll zu Heinrich Joseph von Collins

Trauerspiel Coriolan op. 62 // 1807

Anton Bruckner 1824–1896

Sinfonie Nr. 1 c­Moll WAB 101 // 1865–66 ›Linzer Fassung‹

I Allegro – Mit vollster Kraft, im Tempo etwas verzögernd –‒ Tempo I

II Adagio – Andante – Tempo I

III Scherzo. Schnell – Trio. Langsamer

IV Finale. Bewegt, feurig

Konzertende ca. 22:00 Uhr

Eine Ouvertüre mit und ohne Folgen

Ludwig van Beethoven // Coriolian-Ouvertüre

Ludwig van Beethovens Coriolan-Ouvertüre markiert einen zukunftsweisenden Wendepunkt in der Musikgeschichte, ist das Werk doch die erste Ouvertüre, die gewissermaßen gar keine ist. Nachdem das Trauerspiel Coriolan des k. k. Hofsekretärs und Schriftstellers Heinrich Joseph von Collin zwischen 1802 und 1805 auf dem Spielplan des Wiener Burgtheaters steht, beginnt Beethoven im Frühjahr 1807 mit seiner Kom position. Möglicherweise plant er, zusammen mit Collin und auf Anregung des Fürsten Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz, der 1806 die Leitung des Burgtheaters übernimmt, das Stück wieder auf die Bühne zu bringen. Im Palais des Fürsten kommt die Ouvertüre im März 1807, zusammen mit Beethovens 4. Klavierkonzert sowie seiner 4. Sinfonie, dann auch zur Uraufführung, allerdings nicht als Eröffnung des Schauspiels, sondern als vielleicht erste Konzert-Ouvertüre der Musikgeschichte. Auch Beethoven ist sich der Besonderheit dieses Umstands bewusst, sodass er, unklar ob vor oder nach dieser ersten Aufführung, den Titelzusatz in seiner handschriftlichen Partitur tilgt. Aus der »overtura zum Trauerspiel Coriolan« wird kurz und knapp eine »overtura«. Der »höhere Styl dieser Ouvertüre«, den schon ein Rezensent der Uraufführung in der Zeitschrift Thalia bemerkt, wird zum Vorbild zahlreicher Konzert-Ouvertüren des 19. Jahrhunderts von Mendelssohn über Schumann bis Liszt.

Die Geschichte Coriolans

Nachdem der Patrizier Gnaeus Marcius Coriolanus aus Rom verbannt worden ist, zieht er gemeinsam mit den Volskern, einem mit Rom verfeindeten Volksstamm, gegen seine Heimatstadt. Bereits am Rande des Sieges, lässt er sich durch das flehentliche Bitten seiner Mutter Volumina schließlich zum Rückzug überreden. Doch noch ehe er sich der Konsequenzen seiner Taten bewusst werden kann, wird er von

Ludwig van Beethoven Coriolan-Ouvertüre

»Den Eingang machte die Ouvertüre des Trauerspiels Coriolan. Die Meisterwerke des Herrn van Beethoven sind, wenn auch nicht immer gleich gewürdiget, doch von einem Geiste beseelt, von einer Eigenheit im Gesange und Instrumentation, daß sie schwer mit andern Compositionen verglichen werden dürften. Nur die genaueste Präcision des Orchesters, das geübte Ohr des Kenners vermögen diese Werke fühlbar durchzuführen und zu fassen.«

Rezension einer Aufführung im k. k. Hof-Theater in der Zeitschrift Thalia vom 6. März 1811

römischen Soldaten überwältigt und tödlich verwundet. »So freudig stürb’ ich nicht«, sind seine letzten Worte im Angesicht seiner engsten Vertrauten, »hätt’ ich meiner Rachgier Genüge gethan«. Beethoven fokussiert sich in seiner Ouver türe auf die dramatische Begegnung zwischen Sohn und Mutter und den daraus entstehenden inneren Konflikt Coriolans. In den statisch gespannten, sich in abgehackte Fortissimo-Ausbrüche entladenden Streicherunisoni des Beginns spiegelt sich der tobsüchtige

Autograf der CoriolanOuvertüre mit gestrichenem Titelzusatz: »overtura zum Trauerspiel Coriolan Composta da L.v: Beethoven / 1807«

Rachedurst des Verbannten wider, der in den unruhig drängenden Achtelnoten des folgenden c-Moll-Hauptthemas energische Belebung erfährt. Demgegenüber steht das gebetsartige Seitenthema, in dem sich der Bittgesang Voluminas in immer steigender Intensität der rohen Gewalt entgegenstellt. Am Ende, nach einer durch eine Generalpause abgetrennten letzten Wiederkehr des Seitenthemas in C-Dur, heben noch einmal die wuchtigen Akkorde des Beginns an, ehe der Wille Coriolans schließlich gebrochen scheint. Im Pianissimo verlieren sich die Bruchstücke des einst heroischen Themas im ersterbenden Nichts dreier leerer Pizzicato-Klänge.

»Wenn

man

wagt,

nach Beethoven noch Symphonien zu schreiben […]«

Zum Zeitpunkt der Uraufführung seiner 1. Sinfonie am 4. November 1876 in Karlsruhe ist Johannes Brahms – ebenso wie Anton Bruck ner bei seiner ebenfalls in c-Moll stehenden 1. Sinfonie im Mai 1868 – bereits 43 Jahre alt. Anders als im Fall des ›spätberufenen‹ Sinfonikers Bruckner reicht Brahms’ Auseinandersetzung mit der Gattung dabei weit in seine künstlerische Vergangenheit zurück. Schon Robert Schumann hat den damals gerade 20-Jährigen am 28. Oktober 1853 in der Neuen Zeitschrift für Musik als Künstler gepriesen, »der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre […]. Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor.« Noch zwei Jahre später schreibt Schumann an seine Frau Clara: »Nun weiter zu Ouvertüren und Symphonien! […] Eine Symphonie oder Oper, die enthusiastische Wirkung und großes Aufsehen macht, bringt am schnellsten und auch alle anderen Kompositio[nen] vorwärts. Er muß.« Angeregt durch die Fürsprache Schumanns versucht Brahms, der bis dahin nahezu ausschließlich Klavierstücke und Lieder komponiert hat, sich an einem sinfonischen Werk. Zunächst plant er, seine 1854 begonnene Sonate für zwei Klaviere d-Moll zu einer Sinfonie umzuarbeiten, scheitert jedoch trotz Unterstützung des Kollegen Julius Otto Grimm an der Orchestrierung: »In der Komposition fehlt sogar sehr viel«, gesteht er dem befreundeten Geiger Joseph Joachim. »Von der Instrumentation verstehe ich nicht einmal so viel, als im Satz zu sehen ist, das Beste verdanke ich Grimm.« Um diesem Problem zumindest teilweise aus dem Weg zu gehen, arbeitet er die »verunglückte Symphonie« zum Kopfsatz seines Klavierkonzerts Nr. 1 d-Moll um. Einige Jahre später versucht er es

Johannes Brahms
Johannes Brahms, Fotografie des Ateliers Jean Baptiste Feilner, um 1868

erneut, plant, »die 1te Serenade [D-Dur op. 11] in eine Sinfonie zu verwandeln«, wie er Joachim im Dezember 1858 mitteilt. »Ich sehe es ein, daß das Werk so eine Zwittergestalt, nichts Rechtes ist. Ich hatte so schöne, große Idee von meiner ersten Sinfonie, und nun!« Brahms ›orchestriert‹ das ursprüngliche Nonett, nennt es »Sym phonie-Serenade«, tilgt den Zusatz »Symphonie« allerdings kurz vor der Uraufführung im März 1860 wieder. »Ach, Gott«, klagt er dem Geiger Carl Bargheer. »Wenn man wagt, nach Beethoven noch Symphonien zu schreiben, so müssen sie ganz anders aussehen.«

Brahms’ Ringen um die große musikalische Form, seine mangelnde Er fahrung auf dem Gebiet der Instrumentation sowie seine Suche nach einem eigenen Zugang in der Nachfolge Beethovens zeigen ihn zu Beginn der 1860er-Jahre als Komponisten, der einzig wusste, »wie eine Sinfonie nach Beethoven nicht auszusehen hätte« (Giselher Schubert). Dennoch wagt er im Jahr 1862 einen dritten Versuch, von dem Clara Schumann dem gemeinsamen Freund Joachim am 1. Juni 1862 begeistert berichtet: »Johannes schickte mir neulich – denken Sie, welche Ueberraschung – –einen 1. Symphoniesatz, mit folgendem kühnen Anfang:

Das ist nun wohl etwas stark, aber ich habe mich sehr schnell daran gewöhnt. Der Satz ist voll wunderbarer Schönheiten, mit einer Meisterschaft die Motive behandelt, wie sie Ihm ja so mehr und mehr eigen wird.« Auch wenn es sich bei diesem Satz um eine bereits ausgereifte Frühfassung des späteren Kopfsatzes der 1. Sinfonie handelt, scheint es abermals, als könne Brahms den komplexen Herausforderungen eines mehrsätzigen sinfonischen Werkes nicht Herr werden. Zum dritten Mal schiebt er seine Pläne beiseite und widmet sich in den folgenden Jahren der Komposition großer orchesterbegleiteter Vokalwerke. Obwohl er dem Dirigenten Her-

mann Levi noch zu Beginn der 1870er-Jahre klagt, er »werde nie eine Symphonie komponieren«, beschäftigt er sich in unregelmäßigen Abständen immer wieder mit seinem 1862 entworfenen »1. Symphoniesatz«, ehe im Zuge eines regelrechten Schaffensrausches des Sommers und Herbstes 1876 schließlich das mittlerweile fast Undenkbare geschieht: Brahms vollendet seine 1. Sinfonie! »Den 10. [Oktober] spielte mir Johannes seine ganze Symphonie vor«, notiert Clara Schumann in ihrem Tagebuch. »Ich kann nicht verhehlen, daß ich betrübt, niedergeschlagen war, denn sie will mir anderen seiner Sachen […] nicht gleichbedeutend erscheinen. Es fehlt mir der Melodien-Schwung, so geistreich auch sonst die Arbeit ist. Ich kämpfte viel, ob ich ihm das sagen sollte, aber ich muß sie doch erst mal vollständig vom Orchester hören.«

Die Zehnte Beethovens?

»Die Symphonie wunderbar großartig, ganz überwältigend!« Als Clara Schumann die Sinfonie während einer Probe in Leipzig am 17. Jänner 1877 tatsächlich erstmals in orchestraler Gestalt hört, ist sie froh, ihre vorgefasste Meinung revidieren zu können. »Besonders der letzte Satz mit seiner genialen Introduction packte mich ganz merkwürdig, die Introduction so düster, wahrhaft erschütternd klärt sich dann so nach und nach bis zu dem sonnigen Motiv des letzten Satzes, bei dem sich das Herz einem förmlich erweitert, wie Frühlingsluft nach langen trüben Tagen erquickt.« Dagegen entspricht das Urteil der Presse größtenteils Brahms’ eigener Einschätzung, dass sich das Werk »nicht durch Liebenswürdigkeit empfiehlt«. Einerseits wird der thematisch dicht verwobene Orchestersatz als ›künstlich‹, die Komplexität der Kammermusik ins Sinfonische ›monumentalisierend‹ kritisiert, andererseits wirft man dem Komponisten einen konservativen, ja epigonalen Stil in der Nachfolge Beethovens vor. Das vom Dirigenten Hans von Bülow geprägte Bonmot, Brahms’ Erste sei gewissermaßen »die zehnte Sinfonie« Beethovens, fasst die Stimmung früher Rezensionen treffend zusammen: Während Melodik, Form, Instrumentation und Dramaturgie fast ausnahmslos gelobt und dabei in eine Reihe mit den Werken des großen Vorbildes gestellt werden, speist sich aus demselben Umstand die Kritik, Brahms habe ein altmeisterliches, musikalisch rückwärtsgewandtes ›Beethoven-

Duplikat‹ geschaffen. Dabei kann Brahms »unglaublich grob werden, wenn ihm jemand zu verstehen gab, er habe Beethoven ›kopiert‹«, wie sein Freund und späterer Biograf Max Kalbeck berichtet: »Einer Exzellenz, die sich viel auf ihre musikalische Bildung zu gute tat und nach einer Probe der c-moll-Symphonie zu deren Schöpfer sagte: ›Es ist merkwürdig, wie das C-Dur-Thema in Ihrem Finale dem Freudenthema der ›Neunten‹ [Beethovens] ähnelt‹, erwiderte er: ›Jawohl, und noch merkwürdiger ist, daß das jeder Esel gleich hört.‹«

Durch Nacht zum Licht

Dem explosiven Allegro mit seinem kühn aufsteigenden Thema, das am Beginn der Erstfassung des Kopfsatzes aus dem Jahr 1862 steht, stellt Brahms für die Letztfassung eine gravitätische langsame Einleitung voran, in der über unnachgiebig pochenden Achteln der Pauken ein

Geflecht aus chromatisch auf- und absteigenden Melodielinien voranschreitet, das sich als melodische und rhythmische Keimzelle in jedem Satz der Sinfonie wiederfindet. Dieser Kunstgriff erlaubt es Brahms, aus dem Material seiner Sinfonie eine organische, klanglich homogene Einheit zu formen, durch die im Zusammenspiel mit dem Verschleiern traditioneller Formgrenzen in Gestalt von rhythmischen Verschiebungen und klanglichen Überblendungen eine bis dahin nicht erreichte satz- und werkübergreifende Kohärenz entsteht. »Aus ›einem‹ Hauptgedanken alles Weitere entwickeln! – das ist der stärkste Zusammenhang«, betont noch Anton Webern im Jahr 1933 im Rahmen seiner Vortragsreihe Der Weg zur Neuen Musik und fügt hinzu: »Eine besondere Bedeutung hat in dieser Beziehung Brahms.« Auch im zweiten und dritten Satz erweisen sich die im Kopfsatz etablierten Motive als zentrale kompositorische Elemente. Der fast kammermusikalisch anmutende dritte Satz schöpft seinen formalen Reichtum dabei aus dem asymmetrischen, weil fünftaktigen Thema der Klarinette. Wie der Kopfsatz so beginnt auch das Finale mit einer gravitätischen Einleitung, deren motivische Bausteine sowohl auf Vorangegangenes wie auch auf das ihr folgende musikalische Geschehen weisen. Die Dramatik des Beginns mündet jedoch schon bald in eine hymnische Melodie der Hörner und damit in friedvoll leuchtendes C-Dur. Wie von Beethoven vorgeprägt vollendet Brahms hier seinen werkübergreifenden Spannungsbogen. Auf ein Choralthema der Fagotte und der hier erstmals erklingenden Posaunen folgt schließlich die Überleitung zum Allegro-Hauptthema, das sich in seiner Melodik hörbar auf das ›Freuden‹-Thema aus dem Finale von Beethovens 9. Sinfonie bezieht. ›Durch Nacht zum Licht‹: Es ist jenes, spätestens seit Beethovens – ebenfalls in c-Moll stehender –5. Sinfonie zum gattungsspezifischen Ideal erkorene Motto, das Brahms in seiner 1. Sinfonie mit den von ihm erschlossenen neuen kompositorischen Mitteln kaum eindringlicher hätte umsetzen können.

»Also blus das Alphorn heut«: Brahms’ Geburtstagsgruß vom 12. September 1868 an Clara Schumann mit dem später im Finalsatz der 1. Sinfonie verwendeten Alphornthema »Hoch aufm Berg, tief im Thal, grüß ich dich viel tausendmal!«

Die erste Erste

Anton Bruckner // Sinfonie Nr. 1 c-Moll ›Linzer Fassung‹

Am 13. November 1855 kann Anton Bruckner, zu diesem Zeitpunkt Lehrer und Organist im Stift St. Florian, das Probespiel um die provisorische Besetzung der Stelle des Dom- und Stadtpfarrorganisten in Linz für sich entscheiden. Im Wettstreit mit den Konkurrenten Engelbert Lanz und Raimund Hain fantasiert er, so der Bericht seiner Biografen August Göllerich und Max Auer, dabei »so überwältigend, daß alle Strenge der Prüfungskommission sich in Ergriffenheit auflöst« und der Mitbewerber Lanz ihm ehrfurchtsvoll bescheinigt: »Du bist der Tod aller!« Nachdem er das am 25. Jänner 1856 abgehaltene Konkurrenzspiel zur definitiven Vergabe der Position ebenfalls gewinnen kann, gelingt es Bruckner, sich in Linz erst als Organist, später auch als Komponist vor allem sakraler Werke zu profilieren. Kurioserweise schlüpft er in dieser Zeit noch einmal in die Rolle des Schülers, um von 1855 bis 1861 zunächst Theorie beim Wiener Konservatoriumsprofessor und Hoforganisten Simon Sechter, anschließend bis 1863 Formenlehre und Instrumentation beim zehn Jahre jüngeren Linzer Theaterkapellmeister Otto Kitzler zu studieren. Unter Kitzlers Anleitung, der ihn unter anderem mit den Partituren klassischer Meister bis hin zu den neuesten Werken Franz Liszts und Richard Wagners vertraut macht, schafft es Bruckner endlich, sich den Weg zur sinfonischen Großform zu bahnen. Besonders stark prägt sich dabei das Erlebnis der Aufführung von Richard Wagners Tannhäuser ein, die Kitzler am 13. Februar 1863 erstmals in Linz dirigiert. Der Abend wird zum kompositorischen Erweckungserlebnis für Bruckner, der in den Monaten vor und nach der Premiere laut Kitzler die »Neuheit der Instrumentation« gründlich studiert und in Wagner ein Vorbild findet, dessen Einfluss sich in der 1863 zum Abschluss seines Unterrichts komponierten, später als Schularbeit ad acta gelegten ›Studiensinfonie‹ f-Moll ebenso widerspiegelt wie in der im Jänner 1865 begonnenen Sinfonie Nr. 1 c-Moll.

Bezeichnenderweise reist Bruckner unmittelbar nach dem Abschluss des Kopfsatzes am 14. Mai 1865 zur Münchner Uraufführung von Wagners Tristan und Isolde, wo er die noch unvollendete Partitur dem Diri-

›Linzer

genten Hans von Bülow vorlegt und sich auch Wagner persönlich vorstellt. Unter dem Eindruck seines 14-tägigen Aufenthaltes komponiert er das mit »München 25. Mai [1]865« datierte Trio seines ansonsten bereits fertiggestellten Scherzos, dessen tatsächlich an den Tristan erinnernde chromatische Holzbläserfiguren und expressive harmonische Wendungen in deutlichem Kontrast zum menuettartigen Rest des Satzes stehen. Dass Bruckner das Scherzo im Jänner des folgenden Jahres durch ein formal und klanglich deutlich umfangreicheres ersetzt und dabei einzig das Münchner Trio unverändert lässt, verdeutlicht die wohl auch für ihn offenkundige Diskrepanz zwischen seinem vor- und nachwagner’schen Stil.

Obwohl Bruckner seine 1. Sinfonie mit der Vollendung des Adagios am 14. April 1866 fertigstellt, muss er noch mehr als zwei Jahre war ten, ehe er das Werk der Linzer Öffentlichkeit präsentieren kann. Die Uraufführung am 9. Mai 1868 im Redoutensaal unter seiner eigenen Leitung, wenige Wochen bevor er als Nachfolger Sechters die Professur für Harmonielehre und Kontrapunkt am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien antritt, ruft allerdings nur verhaltenes Echo hervor. So schreibt Moritz von Mayfeld in der Linzer Zeitung: »Ob Herr Bruckner von den drei formellen Gesichtspunkten: Instrumentirung, Architektur, Verknüpfung, aus, – Vollkommenes erreicht hat, darüber mag die Meinung getheilt sein; gewiß ist, daß er auch von diesen Gesichtspunkten aus Großes geschaffen, ja, daß gerade hieraus seine große und wirkliche Begabung abzuleiten ist. Ueber die hiedurch erreichten großen Schönheiten des Werkes schwebt freilich durch das Streben nach Effekt auch ein leichter Schatten; aber das hervorragende Talent Bruckners tritt uns auch hier entschieden entgegen und wir wünschen, daß er bald eine seinen Fähigkeiten und musikalischen Kenntnissen entsprechende Stellung in der Residenzstadt Wien finden möchte, um seinem schöpferischen Streben mit Muße obliegen zu können.«

»1te Sinfonie wundervoll!! Die muß gedruckt werden und gespielt – aber bitte, bitte – ändern Sie nicht zu viel – es ist Alles gut, wie es ist, auch die Instrumentation! Nicht zu viel retouchiren, bitte, bitte!«

Hermann Levi am 16. Februar 1890 an Anton Bruckner

16 Anton Bruckner

Sinfonie Nr. 1 c-Moll ›Linzer Fassung‹

Die Takte 14 bis 17 des Kopfsatzes der Sinfonie Nr. 1 c-Moll in den handschriftlichen Partituren der ›Linzer Fassung‹ und der ›Wiener Fassung‹

1 c-Moll ›Linzer Fassung‹

Nachdem Bruckner bereits 1877 kleinere Korrekturen an seiner Par titur vorgenommen hat, unterzieht er das Werk vom März 1890 bis April 1891, nach Umarbeitung seiner Sinfonien Nr. 4, 3 und 8, einer umfassenden Revision. Neben der Korrektur von Satzfehlern, wie Oktav- und Quintparallelen, größeren Instrumentierungsretuschen sowie der Präzisierung von Vortragsbezeichnungen versucht er dabei zuvorderst, die Konturen der metrischen und formalen Struktur durch Streichungen und Hinzufügungen von Takten zu schärfen sowie die in der ›Linzer Fassung‹ oft blockhaft aufeinanderfolgenden harmonischen Abläufe organischer zu gestalten. In dieser ›Wiener Fassung‹, in der das Werk nach Ansicht Bruckners nunmehr »auf wissenschaftlicher-contrapunctischer Grundlage« beruht, wie er dem Dirigenten Hermann Levi im Juni 1891 mitteilt, gelangt die Sinfonie am 13. Dezember desselben Jahres durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung Hans Richters zur umjubelten Erstaufführung im Großen Saal des Wiener Musikvereins.

»Da bin i’!«

»Wer könnte selbst nach einmaligem Hören je das scharf gezeichnete, echt symphonische und zugleich Bruckner’sche Thema vergessen, mit welchem orgelpunktartig der erste Satz anhebt?« Mit diesen Worten beschreibt der Kritiker Theodor Helm wenige Tage nach der Wiener Premiere in der Deutschen Zeitung den unnachahmlichen Eindruck des Werkbeginns. Schon im Kopfsatz offenbaren sich zahlreiche Charakteristika, die für den sinfonischen Stil Bruckners bestimmend werden: die Kontrastierung des rhythmisch prägnanten Hauptthemas mit einer lyrischen Gesangsperiode, ein wuchtiges drittes Thema, dessen Melodik und Instrumentierung hier hörbar die nachhaltige Wirkung des Tannhäuser-Erlebnisses von 1863 erkennen lässt, markante Triolenbewegungen in den Begleitfiguren, fugierte Abschnitte in der Durchführung sowie eine grandiose Schlusssteigerung. Harmonisch suchend, von schwermütigen Seufzern und Vorhalten durchzogen, hebt anschließend der Gesang des Adagios an, in dessen Zentrum

Parallele im strengen Tonsatz verbotene Stimmführung, bei der Stimmen z. B. im Abstand einer Quinte (also von fünf Tönen) parallel zueinander laufen Gesangsperiode Bruckners Bezeichnung für die meist lyrischen zweiten Themen seiner Sinfoniesätze

Sinfonie Nr. 1 c-Moll ›Linzer Fassung‹

18 Anton Bruckner
Anton Bruckner, Fotografie von Eduard Pfeiffer, 1868

eine weitausschwingende Violinkantilene steht. Bruckners Biograf Göllerich zufolge soll Hans Richter dem Komponisten im Zuge der Erstaufführung der ›Wiener Fassung‹ augenzwinkernd zugeraunt haben: »Da warn’s aber sehr verliebt, wie’s das g’schrieben hab’n!« Während die verworfene erste Fassung des dritten Satzes noch ganz dem konventionellen Menuett der Klassik verpflichtet ist, stellt die Letztfassung mit ihren kräftigen Unisoni und ihrer rhythmisch markanten Melodik gewissermaßen die Blaupause des in späteren Sinfonien fortgeführten ScherzoStils Bruckners dar, innerhalb dessen schroffer Klanglandschaft das verträumt sinnende Trio einen idyllischen Ruhepol bildet. »Bewegt, feurig«, mit scharfen Doppelpunktierungen und wilden Sechzehntelkaskaden stürmt das Finale voran: »S’kecke Beserl sagt glei ohne viel Schnacks’n: ›Da bin i‹!«, wie Bruckner diesen Beginn laut Göllerich »mit köstlich-spitzbübischem Ausdruck« selbst beschreibt. Einprägsam führt der Satz noch einmal vor Ohren, weshalb der Komponist seine 1. Sinfonie oft als »kecken Besen« oder »Beserl« bezeichnete: Kantig, widerspenstig, auf charmante Weise sperrig und vor Ideenfülle überbordend reihen sich die Themen aneinander, überlagern sich und münden letztlich in eine feierliche Schlussapotheose in jubelndem C-Dur.

Das Neue Orchester

1988 wurde Das Neue Orchester von Christoph Spering in Köln gegründet. Das erste deutsche Ensemble, das aufführungspraktische Überlegungen auf die Musik der Romantik anwandte, debütierte im Jahr 1990 in der Kölner Philharmonie und ist seither regelmäßig in großen Konzertsälen und bei namhaften Festivals in ganz Europa zu Gast.

Als Markenzeichen des Orchesters gelten seine zügigen Tempi, die interpretatorische Frische sowie ausdrucksstarke Klänge. Die musikalische Arbeit des Orchesters ist geprägt von bekannten als auch vergessenen Meisterwerken, die dabei weit entfernt von zurückhaltenden Interpretationen der Vergangenheit neue Sichtweisen auf vermeintlich gut bekanntes Repertoire bieten. Von der Fachwelt wird dem Das Neue Orchester in Bezug auf Artikulation, Dynamik und Tonbildung eine beeindruckende musikalische Geschlossenheit bestätigt.

Die Mitglieder des Neuen Orchesters verfügen ausnahmslos alle über umfassende Erfahrung und Fähigkeiten im Bereich des historischen Instrumentariums. Die Musiker:innen aus dem Kölner Raum sowie der freien Szene und eine kleine Anzahl internationaler Bläser-Spezialist:innen versuchen, den überlieferten Vorgaben der Komponist:innen exakt zu folgen und achten dabei auf die Bedeutung des Instrumentalklangs sowie die interpretatorischen Extreme. Kein anderes Orchester verfügt über die Flexibilität, in einem Konzert vom barocken auf klassisches und romantisches Instrumentarium zu wechseln.

Das Neue Orchester zählt heute zu den größten in Nordrhein-Westfalen ansässigen und aus der Alte-Musik-Bewegung hervorgegangenen Originalklang-Ensembles. 2011 wurde die Einspielung des Oratoriums Elias von Felix Mendelssohn Bartholdy, an dem das Neue Orchester beteiligt war, mit dem deutschen ECHO Klassik ausgezeichnet.

Christoph Spering

Dirigent

Bereits in den 1980er-Jahren war Christoph Spering einer der ersten Dirigenten, der mit Aufführungen von Werken aus dem 18. und 19. Jahrhundert im historischen Stil einen innovativen und neuen Weg einschlug. Mit der Erstaufführung der von ihm wiederentdeckten Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach in der Fassung von Felix Mendelssohn Bartholdy im Théâtre des Champs-Elysées in Paris konnte er den Grundstein für seine internationale Karriere legen. Auch heute noch ist es sein Ziel, Unbekanntes bekannt und Bekanntes interessant zu machen.

Der im Jahr 1959 bei Köln geborene renommierte Spezialist für historische Aufführungspraxis gründete 1988 das Neue Orchester, das ihn vielfach in europäische Konzerthäuser führte. Neben den Sinfonien von Johannes Brahms, Franz Schubert oder Felix Mendelssohn Bartholdy wurden dabei sämtliche Sinfonien Ludwig van Beethovens in Konzertzyklen aufgeführt. Er konnte den Partituren nicht nur Verborgenheiten entlocken, sondern auch sein Spektrum an Interpretationen ständig weiterentwickeln. Der Dirigent bezeichnet dies auch als sein Anliegen und möchte dem Publikum stets neue Hörweisen eröffnen. Einen Beitrag dazu leistet unter anderem auch sein eigenes Format Gesprächskonzert, in dem er seit 2004 Hintergründe und Geheimnisse der Musikgeschichte unterhaltsam mit Musik vermittelt.

Der Schwerpunkt seines Repertoires liegt im Barock, der Klassik und der Romantik sowie bei den Gattungen Oper und Oratorium. Er wirkte bereits bei zahlreichen konzertanten Opernaufführungen mit, gastierte bei den Sinfonieorchestern in Halle, Lille, Tel Aviv, Vilnius, Granada, Antwerpen und Oslo und überzeugte mit seiner historischen Aufführungspraxis Opernhäuser wie das Theater Dortmund, die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf, die Städtischen Bühnen Regensburg sowie Spielstätten in Kiel, Rostock, Wuppertal, Catania und Tel Aviv.

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Impressum

Herausgeberin

Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz

René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Geschäftsführer

Redaktion

Andreas Meier

Biografien

Celia Ritzberger, BA MA

Lektorat

Romana Gillesberger

Gestaltung

Anett Lysann Kraml, Lukas Eckerstorfer

Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte

Mag. Jan David Schmitz

Abbildungen

A. Abrar (S. 2), gemeinfrei (S. 6–7), Brahms­Institut an der Musikhochschule Lübeck (S. 9), A. Meier (S. 10), Staatsbibliothek zu Berlin (S. 12–13), Österreichische Nationalbibliothek, Wien (S. 16), OÖ. Landes­Kultur GmbH (S. 18), musikforum (S. 20–21), S. Kunde (S. 23)

Programm­, Termin­ und Besetzungsänderungen vorbehalten

LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz

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