Quatuor Danel | 01.10.2024

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1. Oktober 2024, 19:30 Uhr

Großer Saal

QUATUOR DANEL

Bruckner, sein Schüler

Cyrill Hynais und ihre Werke für Streichquartett

Weitere Highlights 24–25

Karten und Infos:

+43 (0) 732 77 52 30 brucknerhaus.at

Mi, 13. Nov 2024, 19:30

Mittlerer Saal

Quatuor Mosaïques

Das legendäre Quatuor Mosaïques gastiert mit den meisterhaften letzten Quartettwerken Joseph Haydns und Franz Schuberts sowie dem ›Höllenquartett‹ von Joseph Wölfl im Brucknerhaus Linz.

Sa, 23. Nov 2024, 19:30

Mittlerer Saal

Hiemetsberger & Company of Music

Johannes Hiemetsberger und sein Vokalensemble Company of Music bringen Francis Poulencs mitreißende Kantate Figure humaine sowie Morton Feldmans Rothko Chapel auf die Bühne.

So, 1. Dez 2024, 11:00

Großer Saal

Radulović & Double Sens

Der serbische Geiger Nemanja Radulović und sein Ensemble Double Sens eröffnen mit ihrer unkonventionellen, frischen Herangehensweise neue Blickwinkel auf Bach und Beethoven.

Nemanja Radulović

alla breve

Das Programm auf einen Blick

Mit seiner Vorliebe für klare Strukturen, seiner Verhaftung in kompositorischen Traditionen und seinem enormen musiktheoretischen Wissen war Anton Bruckner eigentlich prädestiniert dafür, sich umfangreich auf dem Gebiet der Kammermusik, insbesondere des Streichquartetts, zu betätigen. Tatsächlich gibt es für letztere Gattung nur eine Handvoll, allesamt zu Studienzwecken entstandene Stücke, die im heutigen Konzert vollständig zu hören sind und damit einen faszinierenden Einblick in diesen selten zu erlebenden Kosmos seines Schaffens bieten.

Ebenso erstaunlich ist es, dass es sich bei Bruckners Schüler:innen, von denen wiederum eine Vielzahl an Kammermusikwerken überliefert ist, gänzlich anders verhält. Einer dieser Schüler war Cyrill Hynais, dessen eindrucksvolles Streichquartett E­Dur zuletzt beim Internationalen Brucknerfest Linz 2021 erstmals seit seiner Uraufführung 1907 wieder zu hören war.

Besetzung

Quatuor Danel

Marc Danel | Violine

Gilles Millet | Violine

Vlad Bogdanas | Viola

Yovan Markovitch | Violoncello

Programm

Anton Bruckner 1824–1896

Sechs Scherzi für Streichquartett WAB 209 // 1862

Thema mit Variationen Es­Dur für Streichquartett WAB 210 // 1862

Streichquartett c­Moll WAB 111 // 1862

I Allegro moderato

II Andante

III Scherzo. Presto – Trio

IV Rondo. Schnell

Rondo c­Moll für Streichquartett WAB 208 // 1862

// Pause //

Cyrill Hynais 1862–1913

Streichquartett E­Dur // 1895

I Allegro moderato

II Adagio ma non troppo

III Scherzo. Schnell – Trio. Gemächlich

IV Allegro risoluto

Konzertende ca. 21:15 Uhr

Der Meteor, der nicht vom Himmel fiel

Man darf sich die Szene in etwa so vorstellen: Im Sommer 1862 unterzieht der 37­jährige Anton Bruckner, zu diesem Zeitpunkt Dom­ und Stadtpfarrorganist in Linz, in seiner Dienstwohnung im Mesnerstöckl gegenüber der Stadtpfarrkirche die vor ihm liegende handschriftliche Streichquartett­Partitur einer letzten kritischen Durchsicht. Neben ihm sitzt der fast zehn Jahre jüngere Otto Kitzler, der noch einmal einen vorsichtigen Blick über die Schulter des renommierten Kollegen wirft. Ein Moment der Stille. Bruckner erhebt sich. Und nun, da er, etwas zögerlich vielleicht, eine wohlüberlegte Frage zur musikalischen Form auf den Lippen, Kitzler das Manuskript entgegenhält, wird klar: Nicht Kitzler, sondern Bruckner ist hier der Schüler.

Erst ein gutes halbes Jahr zuvor hat Bruckner seine sechs Jahre währenden musiktheoretischen Studien beim Wiener Konservatoriumsprofessor und Hoforganisten Simon Sechter erfolgreich abgeschlossen, jetzt erhofft er sich, unter Anleitung des im täglichen Opern­ und Konzertbetrieb erfahrenen Kitzler, der im Alter von 27 Jahren zum 1. Kapellmeister des Landständischen Theaters in Linz berufen worden ist, seine fundierten Theoriekenntnisse in die kompositorische Praxis umsetzen zu können. Bruckner hält seine Schularbeiten vom Herbst 1861 bis zum Sommer 1863, beginnend mit grundlegenden Aufgaben zu Kadenzbildungen und Periodenbau über Instrumentationsübungen bis hin zu voll ausgearbeiteten Kompositionen, im sogenannten ›Kitzler-Studienbuch‹ fest, das er am 26. Juni 1863 mit der Skizzierung seiner ›Studiensinfonie‹ f­Moll WAB 99 abschließt. Wenige Tage später erklärt Kitzler die Lehrzeit seines Schülers für beendet. Erst jetzt, da er sich, so sagt er selbst, »wie ein Kettenhund« fühlt, »der sich von seiner Kette losgerissen« hat, wagt Bruckner wieder, mit eigenen Kompositionen an die Öffentlichkeit zu treten. Dem gerne zitierten Bonmot Nikolaus Harnoncourts, Bruckner sei aufgrund seines beispiellosen sinfonischen Werkes regelrecht als »Meteor [...] von

einer anderen Galaxie [...] in die Musikgeschichte hineinexplodiert«, muss mit Blick auf die systematische, dem romantischen Bild vom musikalischen Genie widersprechende Lehrzeit entgegengehalten werden, dass auch in diesem Fall buchstäblich kein Meister vom Himmel gefallen ist.

Bruckner
Anton Bruckner, Fotografie von Josef Löwy, vermutlich 1861

Während es tatsächlich bemerkenswert ist, dass Bruckner, der sich bereits von Kindesbeinen an mit beispiellosem Fleiß ein mehr als profundes musiktheoretisches Wissen angeeignet hat, erst im Alter von 37 Jahren mit der Komposition erster Kammermusikwerke beginnt, liegen die Gründe hierfür tatsächlich auf der Hand: Anders als im Fall seiner harmonischen und kontrapunktischen Studien oder auch seines zu diesem Zeitpunkt bereits beachtenswerten kirchenmusikalischen Schaffens stellt die freie Form der Instrumentalmusik den Komponisten vor formale Probleme, zu deren Lösung ihm bisher die Werkzeuge fehlen. Konnte er sich etwa im 1849 vollendeten Requiem d­Moll oder der 1854 komponierten Missa solemnis b-Moll von klar definierten Traditionen leiten lassen und

Thema und Skizze einer Variation im ›Kitzler-Studienbuch‹, 1862

dabei entlang eines konstitutiven Textes komponieren, gilt es nun, den zwar abgegrenzten, aber per Definition ›leeren‹ Rahmen der absoluten Musik mit eigenen Formen und Farben zu füllen. »Alle hierher gehörigen Aufgaben«, liest Bruckner etwa in einer Ausgabe von Adolph Bernhard Marx’ Lehre von der musikalischen Komposition, die ihm Kitzler geliehen hat, »fassen wir unter dem Namen ›freie Komposition‹ zusammen; erst bei ihnen bethätigen wir uns durchaus in der Weise freier Kunst, die nämlich ihr Werk ganz aus sich selber nach ihrem Gesetz allein hervorbringt, nicht blos zu einem schon Gegebnen herantritt, um es zu schmücken, zu unterstützen, oder sonst zu mehren und zu ändern.«

Erste Versuche, die meist nur wenige Takte umfassenden Formenübungen in zusammenhängende Kompositionen zu überführen, stellen die zu Beginn des Jahres 1862 entstandenen Sechs Scherzi WAB 209 sowie das Thema mit Variationen Es­Dur für Streichquartett WAB 210 dar. Während sich Bruckner in ersteren über die Konstruktion achttaktiger Phrasen nach und nach zur Scherzoform vorarbeitet, skizziert er bei letzterem zunächst elf variative Entwürfe eines aus 16 Takten bestehenden Themas, ehe er schließlich sechs vollständige Variationen zu Papier bringt, die er anschließend noch um alternative Versionen der Nummern 2, 4 und 5 erweitert. Nachdem das Thema in der Variation Nr. 1 in melodischer Umspielung zunächst vom Violoncello vorgestellt und imitatorisch von den anderen Stimmen aufgegriffen wird, findet es sich in Nr. 2 in den solistischen Zweiunddreißigstel­Figurationen der Viola wieder, die von schlichten Begleitakkorden der Außenstimmen eingerahmt werden. Auf die lebhafte, von rhythmisch prägnanten Synkopierungen der 2. Violine bestimmte Variation Nr. 3 folgt in der nach es­Moll eingetrübten und mit »Adagio« überschriebenen Nr. 4 eine weitschweifende Kantilene der 1. Violine. In der einer Randbemerkung Bruckners zufolge »sehr frei« gedachten Variation Nr. 5 erklingt das Thema, begleitet von einem choralhaften Satz der Unterstimmen, schließlich wieder in seiner ursprünglichen Form in der 1. Violine, wohingegen es in der finalen Nr. 6 im Unisono von 1. Violine und Viola und begleitet von treibenden Sechzehntel­Figuren der anderen Stimmen hinter dem zugrundeliegenden harmonischen Gerüst allenfalls zu erahnen ist.

Das Streichquartett c-Moll

Nachdem sich Bruckner im Anschluss zunächst mit Studien zur Rondo­ und Sonatenform beschäftigt, beginnt er im Juli 1862 mit der Arbeit an seinem viersätzigen Streichquartett c­Moll WAB 111. Neben dem didaktischen Aspekt könnte dabei auch ein Kompositionsauftrag von Joseph Hellmesberger senior, Direktor des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und Primarius des Hellemsberger­Quartetts, als Anregung gedient haben. Dieser zählte zur Prüfungskommission der im November des vorherigen Jahres von Bruckner zum Abschluss seiner Studien bei Sechter gewünschten Prüfung in Theorie und Orgelspiel und zeigte sich von Bruckners Leistungen derart begeistert, dass, wie die Linzer Zeitung am 3. Dezember 1861 vermeldet, »Herr Bruckner vom H[er]rn Hofconcertmeister Hellmesberger zur Componirung eines Streichquartetts aufgefordert worden [ist], welches Letzterer in einem Concerte zur Ausführung bringen wird«. Obwohl es im Fall des Streichquartetts letztlich bei einer Studienarbeit bleibt, die zu Bruckners Lebzeiten nie zur Aufführung gelangt, kommt Bruckner Hellmesbergers Bitte mit der Komposition seines Streichquintetts F­Dur WAB 112 schließlich doch noch nach … wenn auch mehr als 17 Jahre später.

»Als ich geendet hatte, hat sich ein wahrer Jubel unter der Kommission effektuiert, Herbeck meinte: ›Er hätte uns prüfen sollen!‹, und man verschaffte mir noch Gelegenheit zu einer freien Improvisation, worauf mir erklärt wurde: ›Sie haben viel mehr, als Sie brauchen.‹«

Bruckner dem Bericht August Göllerichs zufolge über seine Orgelprüfung zum Abschluss der Studien bei Simon Sechter am 21. November 1861

Wie im Fall des Themas mit Variationen Es­Dur tritt auch im Partiturbild des Streichquartetts der Werkstattcharakter deutlich zutage. So finden sich auch hier im Notenbild nur sporadisch Vortrags­ und Phrasierungsbezeichnungen, während eine Vielzahl von Streichungen, Korrekturen, Notizen und Markierungen die Arbeitsschritte und theoretischen Überlegungen erkennen lassen. Dem Marx’schen Ideal der ›freien Komposition‹ entsprechend, versuchte Bruckner, unterschiedliche satztechnische Formen zu erproben, sich an den Beispielen seiner Vorgänger zu orientieren und dabei trotz aller schulmäßigen Modellhaftigkeit zaghaft eigene

Beginn des Streichquartetts c­Moll im ›Kitzler-Studienbuch‹, 1862

künstlerische Wege zu beschreiten. Schon im Kopfsatz, in dem Bruckner geradezu mustergültig das Feld der Sonatenhauptsatzform ausschreitet, zeigt sich etwa die eindrucksvolle kontrapunktische Satztechnik, über die er zu diesem Zeitpunkt bereits verfügt, wohingegen sich die formale und motivische Gestaltung als deutlich zurückhaltender und formelhafter erweist, an mehreren Stellen, wie etwa der kunstvollen Modulationskette in der Durchführung, jedoch schon originelle Züge erkennen lässt. Über den Beginn des 2. Satzes notiert Bruckner: »in Rondoform u[nd] zwar 3theilige Liedform mit Trio, dann in Repetition mit Variande [sic]«. Dem in seiner chromatischen Prägung und elftaktigen Periodik durchaus eigen­

Mediantik

willigen Thema des Hauptteiles steht ein von punktierten Rhythmen belebter Mittelteil gegenüber, dessen mediantische Harmonik und unerwartete Wendungen deutlich an Franz Schubert erinnern. Demgegenüber trägt das schwungvolle Scherzo klassischere Züge in der Tradition Joseph Haydns. Ungleich dramatischer gestaltet sich das in der Form eines Sonatenrondos konzipierte Finale, dessen agitiert­signalhaftes Hauptthema von einem deutlich abgesetzten elegischen zweiten Thema kontrastiert wird.

Terzverwandtschaft zwischen Akkorden, das heißt Klänge, deren Grundton eine Terz (drei Töne) voneinander entfernt liegt

Unmittelbar nach der Vollendung seines Streichquartetts notiert Bruckner auf den anschließenden Seiten des ›Kitzler-Studienbuches‹ ein »Rondo in größerer Form«, das Rondo c­Moll WAB 208, dessen Struktur weitgehend identisch mit dem Finalsatz des Streichquartetts ist, während die thematische und satztechnische Gestaltung differenzierter ausformuliert wird. So verschränkt Bruckner etwa die in der vorigen Fassung noch disparat von den Themenblöcken abgetrennten Episoden – deren erste er hier diesmal mit dem Begriff »Gesangsgruppe« bezeichnet – durch überleitende Figuren und tauscht auf diese Weise die nervöse Miniatur des Quartettfinales gegen eine klanglich ausbalancierte, weiträumigere Version ein.

Ein Meisterstück des Schülers

Angesichts der geringen Beachtung, die Bruckner der Gattung des Streichquartetts schenkt, ist es umso erstaunlicher, dass seine in erster Linie auf Handwerk zielenden Lehrmethoden bemerkenswerte Früchte gerade in Gestalt großartiger Kammermusikwerke seiner Schüler:innen tragen. Einer dieser Schüler, dessen Name heute allenfalls noch im Zuge biografischer Forschungen zu Bruckner auftaucht, ist Cyrill Hynais. Am 19. März 1862 als Sohn eines aus Tschechien stammenden Schneidermeisters und jüngerer Bruder des später bekannten Malers Vojtěch (Adalbert) Hynais geboren, beginnt Cyrill Hynais im Herbst 1883 seine Ausbildung am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, wo er neben seinem Hauptfach Klavier auch Kontrapunkt bei Bruckner studiert.

»›Wunderbar‹, erzählte Hynais, war es, wie Bruckner, wenn der Schüler noch so schöne Kontrapunkte gefunden hatte, immer noch schönere wußte. Lächelnd erklärte er dann schelmisch: ›I’ woas aber do’ nu’ an bessern‹.«

August Göllerich/Max Auer

Nach Abschluss seiner dreijährigen Ausbildung wirkt Hynais von 1886 bis 1891 als Klavierlehrer des Musikvereins für Kärnten in Klagenfurt, wobei er als Pianist und Chormeister, als Referent bei Vorträgen des Klagenfurter Wagner­Vereins sowie darüber hinaus erstmals auch als Komponist in Erscheinung tritt. Dabei sind anhand von Zeitungskritiken der Aufführungen seiner heute fast ausnahmslos verschollenen Werke zwei zentrale Charakteristika seiner kompositorischen Handschrift auszumachen, die unschwer den Einfluss des Lehrers Bruckner, genauso aber des von Hynais verehrten Richard Wagner erkennen lassen: die meisterhafte Beherrschung kontrapunktischer Formen einerseits und das Ausloten harmonischer Grenzen andererseits. Beides findet sich auch in seinem Streichquartett E­Dur wieder. Nach seiner Rückkehr aus Klagenfurt im Jahr 1891 tritt Hynais wieder in Kontakt mit Bruckner, der ihn, dem

Cyrill Hynais

Streichquartett E-Dur

Bericht von dessen Biografen August Göllerich zufolge, »wegen seiner theoretischen Kenntnisse [schätzt] und ihn als Lehrer für das Konservatorium« empfiehlt, letzteres allerdings vergeblich. Hynais wiederum unterstützt Bruckner als Kopist, organisiert Proben, erstellt Klavierauszüge von Bruckners Werken und bürgt gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Theodor Reisch sowie dem Dirigenten und Bruckner­Schüler Ferdinand Löwe am 10. November 1893 sogar als dessen Testamentszeuge. Es verwundert also nicht, dass sich in Hynais’ Quartett ebenfalls der Einfluss Bruckners zeigt. Wiewohl bereits 1895 vollendet, erlebt es erst zwölf Jahre später, am 3. Februar 1907, im Rahmen der Kammermusikabende des DuesbergQuartetts seine vermutlich einzige Aufführung im Festsaal des Wiener Architektenvereins, wo es als »ein neues Streichquartett von Cyrill Hynais« angekündigt wird. So schreibt das Deutsche Volksblatt in einer Rezension vom 7. Februar 1907: »Ein neues? Ja und nein! Das vor 12 Jahren entstandene und – natürlich! – noch immer umgedruckte [sic!] Werk erlebte dank der kräftigen Unterstützung durch die Duesbergsche Vereinigung seine erste Aufführung. […] Zweifelsohne kann sich keine der heuer von Duesberg vorgeführten Neuheiten dieser trefflichen Arbeit und Komposition an die Seite stellen.«

Cyrill Hynais’ Namenszug auf der handschriftlichen Partitur des Streichquartetts E­Dur, 1895

Je tiefer man in den reichhaltigen Notentext des Streichquartetts E­Dur eintaucht, desto nachvollziehbarer erscheint Hynais’ allenthalben betonter »guter Ruf als Theoretiker und geschulter Musiker« (Brünner Tagesbote). So beeindruckt das Werk allen voran durch ein komplexes, satzübergreifendes motivisches Geflecht, innerhalb dessen sich ein fein gewobenes Netz beständig variierter kontrapunktischer Stimmen spannt, dessen Expansionsdrang an manchen Stellen – wie etwa im stetig von Tonart zu Tonart schreitenden Durchführungsteil des Kopfsatzes, dem

Streichquartett E-Dur

dichten kontrapunktischen Gewebe im Trio des Scherzos oder in zahlreichen Passagen des Finales – geradezu überschäumend wirkt. Im Wortsinne bezeichnend ist dabei die von Hynais im Autograf konsequent umgesetzte Markierung der jeweiligen Hauptthemen mit dem Kürzel »Th.«.

Ausschnitt aus dem Finale von Cyrill Hynais’ Streichquartett E­Dur in der 2021 erschienenen Erstausgabe

In markanten rhythmischen Modellen, formgebenden Generalpausen, einer Vorliebe für taktweise Sequenzierungen und rhythmische Ostinati lässt sich fraglos der Einfluss Bruckners erkennen, dessen weit ausladende Gesangsperioden vor allem im Adagio deutliche Spuren hinterlassen. Daneben verweisen die chromatisch angereicherte Melodik und nicht zuletzt die ohrenfälligen Tristan­Anklänge auch auf Wagner, dessen Werke Hynais bewundert und minutiös analysiert hat.

Ostinato eine stetig wiederholte rhythmische, harmonische oder melodische Einheit

Exkurs: Zu bescheiden, um zu bleiben?

Dass Hynais neben seiner Tätigkeit als Lehrer und Pianist sowie abseits vereinzelter Engagements, etwa als Leiter des Slawischen Singvereins, des Wiener Evangelischen Singvereins sowie des Chores des Neuen Richard Wagner­Vereins, das von ihm angestrebte Ziel einer erfolgreichen Karriere als Dirigent und Komponist nicht erreichen konnte, dürfte nicht zuletzt an seiner in Briefen und zeitgenössischen Berichten erkennbaren introvertierten Natur gelegen haben. So schrieb er etwa am 2. Oktober 1896 mit Blick auf die geplante Aufführung einer Sinfonie Bruckners an den Prager Beamten und Komponisten Emanuel Chvála: »Da [es] mir in erster Linie ›nur‹ um einen künstlerischen Erfolg zu thun ist, so würde ich für meine Leitung des Concertes kein Honorar beanspruchen und es ganz dem Gutdünken der Prager Philharmoniker überlassen, ob sie mir eine Vergütung geben wollen oder nicht. Ich fasse es als einen ›Act der Gefälligkeit‹ in erster Linie auf, daß man mir die Leitung eines Concertes überlässt, eine jede andere als künstlerische Absicht liegt mir vollkommen ferne. […] Sollte das Concert unter meiner Leitung zu Stande kommen, so muß ich auch das Werk einstudiren und zwar werden die Herrn Musiker selbstverständlich verlangen, daß ich tschechisch mit ihnen rede. Natürlich bin ich auch gesonnen, dies zu thun, obwol meine tschechischen Kenntnisse nicht ganz ausreichen dürften, da mir viele musikalische Ausdrücke nicht geläufig sind. Da muß ich natürlich voraussetzen und hoffe es auch, daß die Herrn wol etwa Nachsicht üben und nicht böse werden, wenn ich auch manchmal zur Aushilfe deutsch rede.«

Quatuor Danel

Das Quatuor Danel, bestehend aus Marc Danel und Gilles Millet an der Violine, Vlad Bogdanas an der Viola und Yovan Markovitch am Violoncello, wurde 1991 gegründet und besteht in dieser Form seit dem Beitritt von Markovitch im Jahr 2014. Die Musiker sind bekannt für ihre fokussierten Interpretationen der Streichquartettzyklen von Beethoven, Weinberg und insbesondere russischen Komponisten wie Schostakowitsch. Bei Auftritten in Manchester und Utrecht führten sie weltweit die erste Live­Interpretation des gesamten Weinberg­Zyklus auf, außerdem waren sie das erste Quartett, das die 17 Streichquartette von Weinberg aufnahm. Neben einem Doppelzyklus in der Wigmore Hall in London ab 2023 führte das Ensemble die Weinberg­ und Schostakowitsch­Zyklen in der Philharmonie de Paris, im Muziekgebouw Amsterdam, in der Elbphilharmonie in Hamburg, in der Phillips Collection in Washington sowie in Japan und Taiwan auf. Die vier Musiker konzertieren auf vielen renom­

mierten Konzertbühnen der Welt, von den Vereinigten Staaten über Südkorea bis nach Amsterdam, Lissabon, Kopenhagen oder Madrid. Das Quatuor Danel ist außerdem Quartet in Residence an der University of Manchester. Zu seinen musikalischen Partner:innen zählen bedeutende Künstler:innen wie Leif Ove Andsnes, Jean-Efflam Bavouzet, Alexander Melnikov, Adrien La Marca, Clemens Hagen, François­Frédéric Guy, Marianna Shirinyan, das Borodin Quartet und das Quatuor Arod. Neben der CD­Veröffentlichung des Streichquartetts und des Klavierquintetts von César Franck sowie einer Tschaikowski­Ausgabe mit allen drei Quartetten und dem Sextett »Souvenir de Florence« erschien 2024 die Live­Aufnahme aller Schostakowitsch­Streichquartette. Als nächstes wird eine CD mit sämtlichen Streichquartetten Prokofjews herauskommen, ebenfalls live im Gewandhaus Leipzig aufgenommen, und anschließend der gesamte Beethoven­Zyklus beim Label Accentus.

Impressum

Herausgeberin

Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz

René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Geschäftsführer

Redaktion

Andreas Meier

Biografie

Celia Ritzberger, BA MA

Lektorat

Romana Gillesberger

Gestaltung

Anett Lysann Kraml, Lukas Eckerstorfer

Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte

Mag. Jan David Schmitz

Abbildungen

Nemanja Radulović 2 © S. Zolak (S. 2), Wien Museum (S. 6), Österreichische Nationalbibliothek, Wien (S. 7, 10 & 13), A. Meier (S. 15), M. Borggreve (S. 16–17)

Programm­, Termin­ und Besetzungsänderungen vorbehalten

LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz

Wir danken für Ihren Besuch und wünschen Ihnen ein schönes Konzert!

Mit unserer eigenen Hammerkopfproduktion entfesseln wir das volle tonliche Spektrum unserer Flügel und Klaviere –eine Kunst, die Leidenschaft, Erfahrung und Disziplin erfordert. www.bechstein-linz.de

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