8. Oktober 2024, 19:30 Uhr
Großer Saal
8. Oktober 2024, 19:30 Uhr
Großer Saal
die Grundlage für das dichte Netz thematischer Beziehungen der Fünften, sondern auch eine wichtige Inspirationsquelle und Vorbild für Bruckners gesamtes kirchenmusikalisches Schaffen überhaupt darstellte. Durch ihre unmittelbare Gegenüberstellung an einem Konzertabend lässt sich den zahlreichen Verbindungslinien zwischen den beiden Werken nachspüren.
Fenja Lukas | Sopran
Michaela Selinger | Mezzosopran
João Terleira | Tenor
Alexandre Baldo | Bass
Chor Ad Libitum
Heinz Ferlesch | Einstudierung
Orchestra of the Age of Enlightenment
Ádám Fischer | Dirigent
Ein Mitschnitt des Konzerts wird in der Sendereihe Das Ö1 Konzert ausgestrahlt. Der Sendertermin wird zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben.
Brucknerhaus-Debüt
Wolfgang Amadé Mozart 1756–1791
Requiem dMoll KV 626 // 1791
nach der 1877 erschienenen, von Johannes Brahms edierten
Ausgabe der Vervollständigung Franz Xaver Süßmayrs
I Introitus. »Requiem«. Adagio
II Kyrie. Allegro – Adagio
III Sequenz
»Dies irae«. Allegro assai
»Tuba mirum«. Andante
»Rex tremendae«
»Recordare«
»Confutatis«. Andante
»Lacrimosa«
IV Offertorium
»Domine Jesu«. Andante con moto
»Hostias«. Andante – Andante con moto
V Sanctus. Adagio – Allegro
VI Benedictus. Andante – Allegro
VII Agnus Dei
VIII Communio. »Lux aeterna«. Adagio – Allegro
// Pause //
Anton Bruckner 1824–1896
Sinfonie Nr. 5 BDur WAB 105 // 1875–76, rev. 1877–78
I Introduction. Adagio – Allegro
II Adagio. Sehr langsam
III Scherzo. Molto vivace (Schnell) – Trio. Im gleichen Tempo
IV Finale. Adagio – Allegro moderato
Konzertende ca. 22:15 Uhr
Am 5. Dezember 1791 verstarb Wolfgang Amadé Mozart an »hitzigem Frieselfieber«. Die Arbeit an seiner letzten Komposition – dem Requiem in d-Moll – beschäftigte ihn bis zuletzt. Nichtsdestotrotz blieb ihm für die Vollendung nicht genügend Zeit. So mancher Mythos rankt sich daher um die Entstehung des Requiems: Angeblich wurde Mozart der Kompositionsauftrag einige Monate zuvor von einem mysteriösen »grauen Boten« überbracht. Handelte es sich etwa um einen Auftrag zur Komposition seines eigenen Requiems, vom Tod höchstpersönlich? Verbreitet wurde diese Geschichte zumindest nur wenige Wochen nach Mozarts Ableben in kleineren Zeitungen wie dem Salzburger Intelligenzblatt und der Zeitung für Damen und andere Frauenzimmer aus Graz: »Er [Mozart] erhielt einige Monathe vor seinem Tode ein Schreiben ohne Unterschrift mit dem Verlangen, ein Requiem zu schreiben, und zu begehren, was er wollte. Da diese Arbeit ihm gar nicht anstand, so dachte er, ich will so viel begehren, daß der Liebhaber mich gewiß wird gehen lassen. Den andern Tag kam ein Bedienter, um die Antwort abzuhohlen – Mozart schrieb dem Unbekannten, daß er es nicht anders als um 60 Dukaten schreiben könnte, und dieß vor 2 oder 3 Monathen nicht. Der Bediente kam wieder, brachte gleich 30 Dukaten, sagte, er würde in 3 Monathen wieder nachfragen, und wenn die Messe fertig wäre, die andere Hälfte des Geldes sogleich abtragen. Nun mußte Mozart schreiben, welches er oft mit thränendem Auge that, und immer sagte: Ich fürchte, daß ich für mich ein Requiem schreibe; er machte es einige Tage vor seinem Tode fertig. Als sein Tod bekannt war, kam der Bediente wieder, und brachte die anderen 30 Dukaten, begehrte kein Requiem, und seit der Zeit war keine Nachfrage mehr. Es wird auch wirklich, wenn es abgeschrieben ist, in der St. Michaels Kirche zu seinem Gedächtnis aufgeführt.«
Wolfgang Amadé Mozart Requiem d-Moll
Vieles spricht dafür, dass diese gruselige Anekdote von Mozarts Witwe Constanze in Umlauf gebracht worden war. Zumindest profitierte sie von deren Verbreitung: Einerseits wurde die Öffentlichkeit erstmalig auf die Existenz des Requiems (und dessen Uraufführung) aufmerksam gemacht und der Komposition andererseits als Mozarts ›Schwanengesang‹ eine Aura des Mysteriösen verliehen. Durch die unwahre Behauptung der Fertigstellung des Requiems sollten zudem Zweifel an der Authentizität des Werks im Keim erstickt werden. Tatsächlich hatte Mozart den Auftrag zur Komposition des Requiems nicht aus dem Jenseits erhalten, sondern von dem exzentrischen Grafen Franz Walsegg-Stuppach aus Niederösterreich.
Schwanengesang Bezeichnung für das letzte Werk eines Komponisten
Dieser hatte die Angewohnheit, anonym Werke bei renommierten Komponisten zu bestellen, die er dann selbst abzuschreiben und als seine eigenen auszugeben pflegte. Da seine Geliebte im Februar desselben Jahres verstorben war, hatte er ein Requiem anonym bei Mozart bestellen lassen, um es ihr zu widmen.
Nach Mozarts Tod war es Constanze Mozart daher ein dringendes Anliegen, das unvollendete Werk möglichst unauffällig vervollständigen zu lassen und so das ausstehende Honorar zu kassieren. Mozart selbst war zu Lebzeiten nur dazu gekommen, den Eröffnungssatz des Introitus (»Requiem aeternam«) mit allen Orchester- und Vokalstimmen niederzuschreiben. Vom Kyrie und einem Großteil der »Dies irae«-Sequenz waren nur die Gesangsstimmen und der bezifferte Bass vollständig. Außerdem hatte Mozart verschiedene zentrale Orchesterpartien (wie das Posaunensolo im »Tuba mirum«) kurz skizziert. Vom »Lacrimosa« – der wohl bekanntesten Passage aus dem Requiem – hatte er lediglich die ersten acht
Fragment des »Lacrimosa« in Mozarts Handschrift
Wolfgang Amadé Mozart Requiem d-Moll
Takte komponiert. Gesangsstimmen und Basso continuo hatte er für das »Domine Jesu Christe« und das »Hostias« ausgearbeitet, während Sanctus, Agnus Dei und Communio völlig fehlten. Dementsprechend war für die Vervollständigung noch einiges an Kompositionsarbeit zu leisten.
Mozart hatte auf dem Sterbebett angeblich seinen Mitarbeiter Franz Xaver Süßmayr instruiert, das Werk für ihn zu vollenden. Constanze Mozart trug die Aufgabe allerdings zunächst Joseph Eybler an, der aber bereits nach wenigen Versuchen am »Dies irae« schnell wieder aufgab. Dann erst wurde Süßmayr mit der Aufgabe betraut, der die umfangreichen Ergänzungen durchführte und das Requiem vervollständigte. Da er Mozart bereits in den Jahren vor seinem Tod immer wieder auch kompositorisch unter die Arme gegriffen hatte, verstand er es gekonnt, dessen Handschrift, Satztechnik und Klangsprache zu imitieren. Graf Walsegg erhielt schließlich die vollständige Partitur (zu großen Teilen von Süßmayr komponiert) und führte das Requiem am 14. Dezember 1793 – wie geplant ausgegeben als seine eigene Komposition – in Wiener Neustadt auf.
Süßmayrs Aussage, er habe die Teile Sanctus, Benedictus und Agnus Dei des Requiems »ganz neu [...] verfertiget«, erregte dabei immer wieder Aufsehen, folgte doch seine kompositorische Ergänzungsarbeit (einiger Stimmführungsfehler zum Trotz) so authentisch Mozarts Idiom, dass kein Bruch zwischen den originalen und fremden Teilen hörbar ist. Ob Süßmayr Skizzenblätter Mozarts verwendete, die heutzutage nicht mehr erhalten sind, Mozart ihm seine Einfälle noch vor seinem Tod am Klavier vorgespielt hatte oder er auf andere Werke des Komponisten zurückgriff, um das Requiem ›auszubauen‹, konnte bisher nicht endgültig geklärt werden. Über die Authentizität des Requiems wurde folglich seit Veröffentlichung des Werkes immer wieder gestritten. Im Jahr 1825 erinnerte Jacob Gottfried Weber, Herausgeber der Cäcilia – Zeitschrift für die musikalische Welt in seinem Artikel Über
»Diese [die Hofbibliothek] besitzt sonach in der autographen Partitur der Sätze Requiem und Kyrie (fol. 1 bis 10), und in den gleichfalls eigenhändigen PartiturEntwürfen von Dies irae bis einschlüssig Hostias (fol. 11 bis 45) Alles, was von dem Schwanengesange Mozart’s in seiner Handschrift existirt; das Uebrige aber, wenn nicht aus seiner Feder, doch – nach allen Kunstgründen – aus seinem Kopfe.«
Ignaz von Mosel, Ueber die OriginalPartitur des Requiems von W. A. Mozart, 1839
die Echtheit des Mozartschen Requiem an die Tatsache, dass Mozart nicht der alleinige Komponist des Requiems gewesen war und darüber hinaus der Öffentlichkeit für seine Urheberschaft keine Belege bekannt waren. Er bezweifelte, dass die veröffentlichte Partitur überhaupt von Mozart stammte und verdächtigte Süßmayr, den gesamten Notentext aus einzelnen Skizzen zusammengebaut zu haben, um ihn dann als Komposition Mozarts auszugeben. Diesen Verdacht untermauerte er vor allem durch ästhetische Bewertungen. Die chromatischen Koloraturen im Kyrie bezeichnete er als »wilde gorgheggi« (Gurgeleien) und bemängelte die harten klanglichen Kontraste im »Confutatis«. Seine Attacke löste eine öffentliche Kontroverse aus: Ludwig van Beethoven notierte sich am Rand des Artikels »O du Erzesel« und »O du doppelter Esel« in sein Exemplar der Cäcilia. Schließlich führte der Streit um die Echtheit der Komposition dazu, dass die Handschriften Mozarts in den nächsten Jahren publik gemacht und durch die kaiserlich-königliche Hofbibliothek in Wien angekauft wurden. Wie schwer sich so mancher mit der geteilten Urheberschaft des Requiems tat, wird auch am Beispiel von Ignaz von Mosel deutlich. Der Mitarbeiter der Hofbibliothek gestand in seiner Meldung über den Ankauf der »Original-Handschrift« des Mozart-Requiems zwar, dass sie überwiegend von Süßmayr geschrieben wurde. Zugleich bemühte er aber auch den Musiktheoretiker Adolf Bernhard Marx: »Wo ist denn überhaupt im Requiem ein Satz, der nicht wenigstens eine Spur von Mozarts Künstlerkraft trüge? – Man prüfe unsere Ansicht an dem Agnus Dei, einem Satze, den Siessmayer sich ganz zuschreibt. – Wer mag jenem die Violinfigur, die drey Sätze ›dona eis requiem‹ zuschreiben? Hat das Mozart nicht geschrieben, wohlan, so ist der, der es geschrieben, Mozart.«
Paula Schlüter
Anton Bruckner // Sinfonie Nr. 5 B-Dur
»Alles ist zu spät«, schreibt Anton Bruckner am 13. Februar 1875 an seinen Freund Moritz von Mayfeld. »Fleißig Schulden machen, u[nd] am Ende im Schuldenarreste die Früchte meines Fleißes genießen, und die Thorheit meines Übersiedelns nach Wien ebendort besingen, kann mein endliches Loos werden. 1000 fl [i. e. Gulden] jährlich hat man mir genommen, u[nd] heuer gar keinen Ersatz – auch kein Stipendium etc – gegeben. Ich kann meine 4. Sinfonie nicht abschreiben lassen.« Mehr als sechs Jahre sind vergangen, seit Bruckner im Oktober 1868 von Linz nach Wien übersiedelt war, um die Nachfolge seines Lehrers Simon Sechter als Hoforganist sowie als Professor am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde anzutreten. Um sein Einkommen aufzubessern, hat er im Oktober 1870 darüber hinaus eine Tätigkeit als Hilfslehrer für Klavier an der Lehrerbildungsanstalt bei St. Anna aufgenommen. Sind die folgenden Jahre von künstlerischem Aufbruch und wachsendem Erfolg als Organist und Komponist geprägt, so beginnt sich das Blatt nach und nach zu wenden. Infolge der vielstimmigen Kritik an seiner am 26. Oktober 1873 erstaufgeführten Sinfonie Nr. 2 c-Moll, die gewissermaßen den »Startschuß für jenes fatale Karussell der Umarbeitungen und Mehrfach- Fassungen« (Bernhard Rzehulka) innerhalb der Bruckner’schen Sinfonik gab, sowie des mehrmaligen erfolglosen Gesuchs an das Kultusministerium um Gewährung einer festen Professur oder Lehrstelle an der Universität Wien befindet sich Bruckner, nachdem er im Oktober 1874 auch seinen Lehrauftrag an der Lehrerbildungsanstalt verloren hat, in jener misslichen Situation, die er Mayfeld schildert.
»Kein Mensch hilft mir. […] Zum Glücke sind einige Ausländer gekommen, die Lectionen bei mir nehmen –; sonst müßte ich betteln gehen.«
Aus einem Brief Bruckners an Moritz von Mayfeld vom 12. Jänner 1875
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 5 B-Dur
Anton Bruckner, Fotografie von Wilhelm Jerie, 1873
Trotz der genannten Rückschläge scheint Bruckner, der zeitlebens fast krankhaft auf finanzielle Sicherheit bedacht war, mit den fatalistischen Beschreibungen seiner Lebensumstände wie so oft maßlos zu übertreiben. So sichert ihm seine mit jährlich immerhin 800 Gulden vergütete Professur am Konservatorium eine solide Existenzgrundlage, die er auch nach dem Wegfall seiner Lehrtätigkeit an der Lehrerbildungsanstalt durch privaten Unterricht aufbessern kann. Dass Bruckner schon am 14. Februar 1875, nur einen Tag nach seinem Brief an Mayfeld, mit der Komposition seiner Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 beginnt, offenbart die Unabhängigkeit seiner künstlerischen Produktivität von den empfundenen Widrigkeiten seiner Lebensumstände und enttarnt zugleich »das gegenüber Vertrauten oft penetrant zelebrierte Selbstmitleid […] als vorsorglich errichteten Schutzzaun« (Peter Gülke), hinter dem sich der Komponist in eine Enklave musikalischen Schaffens zurückzog. Nachdem er die erste Niederschrift seiner neuen Sinfonie am 16. Mai 1876 abschließen kann, überarbeitet er die Partitur im Anschluss an die Revisionen seiner Sinfonien Nr. 3 und Nr. 2 c-Moll vom Mai des folgenden Jahres bis zum 4. Jänner
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur
1878, wobei er neben zahlreichen Korrekturen an Stimmführung und Instrumentation auch eine Basstuba hinzufügt. Dass Bruckner inzwischen die lang ersehnte Anstellung als zunächst unbesoldeter Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Universität Wien erhalten hat, dürfte seinen Schaffensdrang zusätzlich befördert haben. Dabei erscheinen die Worte seiner Antrittsvorlesung geradezu wie eine ›Übersetzung‹ dessen, was er mit dem gewaltigen Komplex seiner 5. Sinfonie auf musikalischer Ebene auszudrücken versuchte:
»Wie Sie selbst aus verschiedenen Quellen wissen werden, hat die Musik innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahrhunderten so kollosale Fortschritte gemacht, sich in seinem inneren Organismus so erweitert und vervollständigt, daß wir heute – werfen wir einen Blick auf dieses reiche Materiale – vor einem bereits vollendeten Kunstbau stehen […]. Wir sehen, wie das eine aus dem andern hervorwächst, eines ohne den andern nicht bestehen kann, und doch jedes wieder für sich ein Ganzes bildet. So wie jeder wissenschaftliche Zweig sich zur Aufgabe macht, sein Materiale durch das Aufstellen von Gesetzen und Regeln zu ordnen und zu sichten, so hat ebenfalls auch die musikalische Wissenschaft – ich erlaube mir, ihr dieses Attribut beizulegen – ihren ganzen Kunstbau bis in die Atome secirt, die Elemente nach gewissen Gesetzen zusammen gruppirt, und somit eine Lehre geschaffen, welche auch mit anderen Worten die musikalische Architektur benannt werden kann.«
Wie in keiner anderen seiner Sinfonien gelingt es Bruckner in der Fünften, die er selbst sein »kontrapunktisches Meisterstück« genannt haben soll, die Themen der einzelnen Sätze durch ein vielschichtiges, unterschwelliges Beziehungsgeflecht miteinander zu verbinden. Dadurch erreicht er nicht nur eine staunenswerte Geschlossenheit seines Werkes, sondern auch eine in ihrer Komplexität geradezu undurchdringliche Satzstruktur, die in den mannigfaltigen Kombinationen und Verdichtungen des motivischen Materials einem musikalischen Mosaik gleicht, dessen Einzelteile kunstvoll zu einem farbenprächtigen Gesamtbild zusammengesetzt sind. Tritt man aber nur ein paar Schritte zurück, so verschmilzt alles zu einem scheinbar ununterbrochenen Klangpanorama. Man sieht die Bäume vor lauter Wald nicht mehr.
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 5 B-Dur
Bruckner präsentiert die zentralen Themen seiner Sinfonie nicht nur in immer neuen Kombinationen, sondern unterzieht sie analog zur dramaturgischen Entwicklung der einzelnen Sätze einem stetigen variativen Prozess. So kehren die in der langsamen Einleitung des Kopfsatzes vorgestellten Motive in veränderter Form in allen Sätzen der Sinfonie wieder. Während das musikalische Material im Kopfsatz nach allen Regeln der kontrapunktischen Satzkunst in Form von Imitationen, Engführungen, rhythmischen Vergrößerungen und Verkleinerungen miteinander verschränkt wird, schichtet Bruckner es im Adagio in immer größeren Steigerungswellen übereinander. Die schier unerschöpfliche Energie des Scherzos speist sich anschließend aus dem spannungsvollen Nebeneinander eines motorischen, atemlos vorwärtsdrängenden ersten und eines ländlerhaften zweiten Themas, dessen Charakter auch das zwischen pastoraler Idylle und rustikaler Ausgelassenheit wechselnde Trio aufgreift. Das Finale, das zu Beginn noch einmal die Hauptthemen der vorhergehenden Sätze exponiert, verbindet das Prinzip sukzessiver, motivisch verdichteter
Hauptthema
Choralthema
Übereinanderschichtung des Haupt- und des Choralthemas auf dem Höhepunkt der Durchführung im Finale der 5. Sinfonie Bruckners
Steigerung mit der satztechnischen Form einer Doppelfuge, in der das rhythmisch markante Hauptthema kunstvoll mit einem am Ende der Exposition vorgestellten Choralthema kombiniert wird. Auf dem Höhepunkt der Durchführung erklingen beide Themen schließlich sogar simultan. Noch einmal bäumt sich die Musik in der Reprise in immer größeren
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 5 B-Dur
Steigerungswellen auf, die von der Verbindung des Kopfsatzhauptthemas mit jenem des Finales vorangetrieben werden und zuletzt durch das Hinzutreten des Chorals (»Choral bis zum Ende fff«) in einen feierlichen Schlussjubel münden.
Ein einziges Mal kann Bruckner seine 5. Sinfonie – wenn auch nicht in ihrer orchestralen Gestalt – hören, als sein Schüler Josef Schalk gemeinsam mit dem Pianisten Franz Zottmann am 20. April 1887 eine von Schalk erstellte Bearbeitung für zwei Klaviere im Wiener Bösendorfer-Saal zur Aufführung bringt. Laut den Erinnerungen seines Schülers Friedrich Klose reagierte Bruckner jedoch alles andere als dankbar auf die Bemühungen seiner musikalischen Fürsprecher:
»Josef Schalk und Zottmann wollten ihn mit der öffentlichen Aufführung seiner ›V. Symphonie‹ […] überraschen und bereiteten insgeheim das Konzert vor. Nun befand sich gerade damals der Meister in einer Periode schlechter Laune. Meine Tagebuch-Notizen, offenbar in der Aufwallung jugendlichen Grimmes geschrieben, nennen Bruckner’s Benehmen den Freunden gegenüber ›närrisch‹, ›rüppelhaft‹ [sic], ›unverschämt‹. Diese seine Stimmung war wohl auch der Grund, daß er, als Schalk ihn zu der erwähnten Veranstaltung einlud, vermeinend, ihm damit eine Freude zu bereiten, in Wut geriet und erklärte, man hätte ihn erst um Erlaubnis fragen müssen; da dies nicht geschehen, verbiete er die Aufführung. Anschließend kam es im Restaurant Gause zu einem heftigen Wortwechsel:
Schalk: Eine Verschiebung sei ausgeschlossen, das Plakat befinde sich im Druck; und ob man den Bösendorfersaal an einem anderen Abend bekomme, sei mehr als fraglich.
Bruckner (eigensinnig): ›Guat also, dann wird das Konzert abg’sagt!‹
Schalk (gereizt, mit umschleierter Stimme): ›Das, Herr Professor, können Sie nach all den bereits erstandenen Kosten, die bei einer Absage verloren wären, nicht verlangen!‹
Bruckner (über den Tisch vorgebeugt, zornbebend): ›I befehl’s Ihna!‹
Schalk (ebenfalls vorgebeugt, zischend): ›Das Konzert findet statt!‹
Bruckner (aus zugeschnürter Kehle und mit den Fingerknöcheln auf den Tisch pochend): ›Herr Schalk, dann ruaf’ i d’ Polizei geg’n Sie z’Hülf!‹«
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 5 B-Dur
Schlusstakte einer Abschrift des Finales der 5. Sinfonie; Notiz am unteren Seitenrand vermutlich vom Juristen und Musikschriftsteller Heinrich Maria Schuster, der Bruckners Vorlesungen an der Universität Wien besuchte: »Dieser überaus großartige Satz erscheint mir unstreitig als das Höchste, was im Kontrapunkt neben den ›Meistersingern‹ in unserem Jahrhundert, wie überhaupt seit Bach geleistet wurde. Es bittet 1000mal um Verzeihung für seine Vorlautheit ein enthusiasitischer [sic!] Brucknerianer.«
Obwohl Bruckner, der schließlich in Schalks Vorschlag, das Konzert zu verschieben, einwilligte, sich Kloses Bericht zufolge bei den hierfür anberaumten Proben »unausstehlich« verhielt und »Unmögliches« von den Ausführenden verlangte, geriet das Konzert zu einem großen Erfolg, angesichts dessen auch der polemische Unwille des Komponisten zuletzt zahmer Zufriedenheit wich: »Und ›Ende gut, alles gut‹; nach dem Konzert fand bei Gause eine kleine Feier statt, bei der die fröhlichste Stimmung herrschte und der frohgelaunte Meister zum Schluß, wie mein Tagebuch meldet, ›feinen Wein spendierte‹.«
Der ersten Aufführung der Orchesterfassung am 9. April 1894 im Theater am Stadtpark in Graz durch Josef Schalks Bruder Franz, der hierfür tiefgreifende Änderungen an der Partitur vornahm, wobei er die ›Schärfe‹ der Instrumentation zugunsten eines ›weicheren‹, dem Wagner’schen Ideal nachempfundenen Klangbildes abmilderte, dynamische Kontraste nivellierte, das Finale drastisch kürzte und an dessen Ende eine Gruppe aus
elf Blechbläsern als Fernorchester hinzufügte, konnte Bruckner krankheitsbedingt nicht beiwohnen. Hätte er es gekonnt, er hätte danach vermutlich »d’ Polizei […] z’Hülf« gerufen.
Andreas Meier
»Charakteristisch für die Zukunfts-Symphonie in B-dur, wie ich sie nennen möchte, ist das Episodenhafte in deren Anlage. Fast wie ein musikalisches Tagebuch eines geistreichen genialen Künstlers, der seine verschiedenen Stimmungen in interessanten Zügen schildert, erschien mir das Werk.«
Rezension der Uraufführung der Orchesterfassung von Bruckners Sinfonie Nr. 5 B-Dur (in der Bearbeitung Franz Schalks) im Grazer Tagblatt vom 10. April 1894 durch Julius Schuch
Sopran
Die Sopranistin wurde in eine Münchner Künstler:innenfamilie geboren und noch während ihrer Studienzeit als festes Mitglied in das Opernensemble des Linzer Musiktheaters aufgenommen. Seither konnte sich Fenja Lukas ein breites Repertoire aufbauen und war in vielen wichtigen Partien ihres Faches zu erleben. In der Rolle des Ännchen in Webers Der Freischütz und der Susanna in Mozarts Le nozze di Figaro, beides unter der musikalischen Leitung von Chefdirigent Markus Poschner, wurde sie von Presse und Publikum bejubelt. Darüber hinaus arbeitete sie mit weiteren namhaften Dirigenten, unter anderem mit Würzburgs Generalmusikdirektor Enrico Calesso, Chefdirigent Dennis Russell Davies, Kapellmeister Ingmar Beck und dem Meininger Generalmusikdirektor Killian Farell zusammen. Bei letzterem übernahm sie kurzfristig die Rolle der Adele und sang die Premiere von Strauss’ Die Fledermaus am Staatstheater Meiningen.
Die gebürtige Oberösterreicherin ist Absolventin des Linzer Musikgymnasiums und erhielt ihre Ausbildung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bei Walter Berry und Robert Holl. Michaela Selingers Karriere spannt sich nach einem anfänglichen Festengagement an der Wiener Staatsoper über Gastauftritte an wichtigen europäischen und internationalen Opern- und Konzerthäusern. Sie war Solistin bei den Salzburger Festspielen, im Musikverein Wien, im Wiener Konzerthaus sowie an den Opern- und Konzerthäusern von München, Essen, Berlin, Moskau, Barcelona, Klagenfurt, Lyon, Glyndebourne und Chicago. Als Mitglied des Mozartchors des Musikgymnasiums Linz und des Linzer Jeunesse Chors kam sie als Teenager in Verbindung mit der Musik von Bruckner, Mozart, Brahms und Beethoven und sammelte ihre ersten wichtigen musikalischen Erfahrungen im Brucknerhaus Linz. Michaela Selinger lebt in Berlin.
Tenor
Der aus Portugal stammende João Terleira studierte an der Escola Superior de Música e Artes do Espectáculo in Porto und war Mitglied der International Opera Academy Gent unter Guy Joosten. 2018/19 debütierte er beim Rossini Opera Festival in Pesaro als Cavaliere Belfiore in Il viaggio a Reims und sang Tamino (Die Zauberflöte) am Staatstheater Darmstadt sowie Lindoro (L’italiana in Algeri) bei der Zomeropera Alden-Biesen. Er trat an renommierten Häusern wie der Opera Vlaanderen und dem Theater Kiel, bei den Eutiner Festspielen und auf wichtigen Bühnen Portugals auf. Neben Konzerten mit Werken von Bach, Händel und Mozart erlangte er durch Liederabende mit Schubert- und Britten-Werken Aufmerksamkeit. Sein Reper toire umfasst zentrale Mozart-Rollen (Don Ottavio, Ferrando, Tamino) sowie Belcanto-Partien. Seit der Saison 2019/20 ist er Ensemblemitglied am Theater und Orchester Heidelberg.
Der mehrfache Preisträger konzertiert regelmäßig mit Le Concert Spirituel unter Hervé Niquet, mit dem er 2022 an der Opéra de Reims debütierte. 2023 gastierte er mit seinem Barockensemble Mozaïque im Brucknerhaus Linz sowie in Paris. 2023/24 arbeitete Alexandre Baldo erstmals mit Dirigent Martin Haselböck und trat im Teatro Comunale in Bozen und in der Opéra de Lille auf. Sein Soloalbum Caldara – Arias for Bass wurde 2024 prämiert. Mit Ars Antiqua Austria nahm er die Uraufführung des Oratorium de Passione Domini Nostri Jesu Christi von Franz Joseph Aumann auf, mit Niquet und Le Concert Spirituel Händels Israel in Egypt. In der Saison 2024/25 gastiert er an der Opéra Royal de Versailles, an der Opéra de Montpellier, an der Opéra de Saint-Etienne und am Théâtre des Champs-Elysées in Paris. Im Internationalen Brucknerfest Linz 2024 singt er neben Mozarts Requiem auch Bruckners Missa solemnis und Te Deum.
Der in St. Valentin beheimatete Chor Ad Libitum wurde 1993 von Heinz Ferlesch gegründet und hat sich zu einem der führenden Vokalensembles im heimischen Musikleben entwickelt. Sein Repertoire reicht von filigranen A-cappella-Stücken bis hin zu großen Chor-Orchesterwerken wie Bachs Passionen und h-Moll-Messe, Händels Messiah, Verdis Messa da Requiem, Mendelssohns Elias, Bruckners e-Moll-Messe, Brahms’ Ein deutsches Requiem und Monteverdis Marienvesper. Der Chor ist regelmäßig zu Gast im Brucknerhaus Linz, im Festspielhaus St. Pölten, bei den Tiroler Festspielen Erl, beim Carinthischen Sommer sowie bei den Händel-Festspielen Halle, den Europäischen Festwochen Passau und bei Musik und Kirche in Südtirol. Konzerte mit dem Bruckner Orchester Linz, dem TonkünstlerOrchester sowie dem ebenfalls von Heinz Ferlesch gegründeten Originalklangensemble Barucco prägen das künstlerische Profil des Chores.
Das 1986 von Londoner Musiker:innen gegründete Ensemble, das auf historischen Instrumenten spielt, gelobte, das Hinterfragen, Anpassen und Erfinden niemals aufzugeben. Residenzen im Southbank Centre und beim Glyndebourne Festival bestärkten es darin, musikalisches Material mit immer größerer Freiheit und Entschlossenheit zu untersuchen. Das Orchestra of the Age of Enlightenment, das seit seiner Gründung ohne Chefdirigent:in auskommt, unterhält zahlreiche Kooperationen. Den Titel des Principal Artist tragen derzeit John Butt, Sir Mark Elder, Ádám Fischer, Iván Fischer, Vladimir Jurowski, Sir Simon Rattle und Sir András Schiff. Das Orchester tourt regelmäßig durch das Vereinigte Königreich und international. In der Saison 2024/25 tritt es im Musikverein Wien, in der Elbphilharmonie in Hamburg, in Amsterdam, Kopenhagen, Budapest, Graz, Antwerpen, München, Zürich und auf Tournee in den USA und Asien auf.
Dirigent
Der in Budapest geborene Ádám Fischer ist einer der führenden Dirigenten unserer Zeit. 1987 gründete er die Österreichisch-Ungarische Haydn Philharmonie und die Haydn Festspiele in Eisenstadt. Ob in Bayreuth, an der Metropolitan Opera oder am Teatro alla Scala, ob mit den Wiener oder Berliner Philharmonikern, dem Orchestra of the Age of Enlightenment oder bei den Salzburger Festspielen: Ádám Fischer ist bei Publikum und Musiker:innen gleichermaßen als Vermittler zwischen Musik- und Außenwelt anerkannt. Für dieses Lebenswerk wurde er 2022 mit dem International Classical Music Award ausgezeichnet.
Sein ungewöhnlich breites Repertoire erwarb er sich über die klassischen Karriereschritte vom Korrepetitor zum Generalmusikdirektor (Freiburg, Kassel, Mannheim, Budapest). Der internationale Durchbruch gelang ihm 1978, als er Fidelio an der Bayerischen Staatsoper dirigierte. Seitdem ist er ein Garant für begeisternde Opernabende an allen führenden Häusern der Welt. Am engsten ist er mit der Wiener Staatsoper verbunden, wo er 2017 zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Gemeinsam mit dem Danish Chamber Orchestra, dessen Chefdirigent er seit 1998 ist, wagte sich Ádám Fischer auf neues Terrain der musikalischen Interpretation und erntete begeisterte Anerkennung. Einen völlig neuen Weg beschritt er auch 2006 mit der Gründung der Wagner-Tage Budapest, die von der New York Times als »Bayreuth an der Donau« bezeichnet wurden. Als Chefdirigent der Düsseldorfer Symphoniker erhielt er für seinen Haydn-Mahler-Zyklus den BBC Music Magazine Award und den Opus Klassik 2019.
Ádám Fischer nutzt seinen Erfolg regelmäßig für wichtige Botschaften zu Menschlichkeit und Demokratie. Für sein Engagement erhielt er den renommierten Wolf Prize der Wolf Foundation in Jerusalem und die Gold Medal in the Arts des John F. Kennedy Center for the Performing Arts. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er Mitglied des Helsinki Committee for Human Rights.
Impressum
Herausgeberin
Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz
René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Geschäftsführer
Redaktion
Paula Schlüter, MA
Biografien
Romana Gillesberger, Mag.a Claudia Werner
Lektorat
Romana Gillesberger
Gestaltung
Anett Lysann Kraml
Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte
Mag. Jan David Schmitz
Abbildungen
Österreichische Nationalbibliothek, Wien (S. 8–9 & 16–17), gemeinfrei (S. 7), Brucknerarchiv St. Florian (S. 12), A. Meier (S. 14), S. Weiss (S. 18), J. Holthaus (S. 19), S. Pinto (S. 20), J.B. Millot (S. 21), H. Draxler (S. 22), Z. Grisdale (S. 23), N. Lund (S. 25)
Programm, Termin und Besetzungsänderungen vorbehalten
LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz
Wir danken für Ihren Besuch und wünschen Ihnen ein schönes Konzert!
Mit unserer eigenen Hammerkopfproduktion entfesseln wir das volle tonliche Spektrum unserer Flügel und Klaviere –eine Kunst, die Leidenschaft, Erfahrung und Disziplin erfordert. www.bechstein-linz.de