11. Oktober 2024, 19:30 Uhr
Stiftsbasilika St. Florian
11. Oktober 2024, 19:30 Uhr
Stiftsbasilika St. Florian
»Requiem aeternam dona ei, Domine«
Karten und Infos:
+43 (0) 732 77 52 30 brucknerhaus.at
So, 8. Dez 2024, 11:00 & 15:00
Großer Saal
Bachs Weihnachtsoratorium
Michi Gaigg und das L’Orfeo Barockorchester lassen am zweiten Adventsonntag alle sechs Kantaten von Bachs berühmtem Weihnachtsoratorium in ihrer vollen Pracht erklingen.
Do, 12. Dez 2024, 19:30
Großer Saal
Sanderling, Capuçon & Luzerner Sinfonieorchester
Das Luzerner Sinfonieorchester und Michael Sanderling präsentieren Schuberts 8. Symphonie und Schostakowitschs 1. Cellokonzert mit Gautier Capuçon als Solisten.
So, 15. Dez 2024, 18:00
Mittlerer Saal
Michael Schade, André Ferreira & Christoph Hammer
Begleitet von André Ferreira an der Biedermeiergitarre und Christoph Hammer am Hammerklavier, singt Michael Schade Schuberts Winterreise.
Das Programm auf einen Blick
Zum Abschluss des diesjährigen Internationalen Brucknerfestes Linz erklingt mit Anton Bruckners 8. Sinfonie cMoll in der ›Fassung 1890‹ das letzte vollendete sinfonische Werk des Komponisten, dessen Finale mit der Übereinanderschichtung der Hauptthemen aller vier Sätze die große Apotheose des zyklischsinfonischen Gedankens selbst versucht.
Bruckners Sinfonie vorangestellt ist die Uraufführung von Klaus Langs das wahre angesicht für Orgel und Orchester, ein Werk, das sich sowohl mit dem monumentalen Klangraum der Stiftsbasilika St. Florian auseinandersetzt als auch in den Worten des Komponisten auf die »gleichen Quellen« wie Bruckner zurückgreift.
Klaus Lang | Orgel
Bruckner Orchester Linz
Markus Poschner | Dirigent
Klaus Lang * 1971
das wahre angesicht für Orgel und Orchester // 2023–24 [Uraufführung]
Anton Bruckner 1824–1896
Sinfonie Nr. 8 cMoll WAB 108 // 1884–87, rev. 1887–90 ›Fassung 1890‹
I Allegro moderato
II Scherzo. Allegro moderato
III Adagio. Feierlich langsam; doch nicht schleppend
IV Finale. Feierlich, nicht schnell
Konzertende ca. 21:30 Uhr
Ein Mitschnitt des Konzerts wird am 26. November 2024 um 19.30 Uhr in der Sendereihe Das Ö1 Konzert ausgestrahlt.
Ein Gespräch über Klaus Langs das wahre angesicht
Andreas Meier: Meine erste Frage hat den Titel Ihres neuen Werkes im Visier: das wahre angesicht. Das weckt bei mir sofort eine biblische, sakrale Assoziation. Ist das intendiert oder steckt etwas ganz anderes dahinter?
Klaus Lang: Das Stück nimmt ja auf Anton Bruckner Bezug und ist für die Orgel und das Orchester im Stift St. Florian konzipiert, das heißt, es hat allein durch die Aura und die besondere Aufführung etwas Sakrales. Ich möchte meine Titel meistens nicht genau erklären, weil ich es interessanter finde, wenn man als Hörer einen Assoziationsraum hat, als wenn man gewissermaßen ›belehrt‹ wird. Ganz grundsätzlich finde ich das Verwenden von gleichen musikalischen Grundstrukturen interessant, die dann immer in einer anderen Form erscheinen. Es ist ja ein altes kompositorisches Prinzip. Das Beispiel, das man am besten kennt, sind vielleicht ›Variations upon a ground‹, also Variationsformen, für die es eine Grundstruktur gibt, die immer gleich bleibt, etwa drei bis vier Töne. Hört man das Stück, ohne darauf zu achten, erscheinen ganz viele verschiedene Phänotypen, aber wenn man genauer hinschaut, dann erkennt man, dass alles auf die ganz einfache Grundstruktur zurückzuführen ist. Und das ist bei meinem Werk genauso: Es hat zwar drei große Teile, aber auf einer tieferen Ebene ist es eigentlich dreimal das gleiche … und trotzdem sind es in gewisser Weise drei verschiedene Angesichter. Die Frage ist, welches ist eigentlich das wahre Angesicht aus diesen dreien?
Meier: Also das gleiche, aber nicht dasselbe?
Lang: Genau, die gleiche Grundstruktur, die sich in einer anderen Gestalt zeigt.
Meier: Wenn ich mir die Partitur vor Augen führe, dann sehe ich den ersten Teil geprägt von repetitiven Schemata, die sich aber nahtlos, sowohl dynamisch als auch agogisch in Bewegung, verändern. Es entstehen
Ein Gespräch über Klaus Langs das wahre angesicht
Wellen, während im zweiten Teil das Ganze in etwas fast Choralartiges übergeht. Bildet das vielleicht auch einen Spannungsbogen ab oder sind es wirklich drei separate Abschnitte?
Lang: Ich würde sagen, es sind drei Bilder oder drei Blöcke, die aneinandergereiht sind, wie beispielsweise ein Triptychon. Ich denke eher in visuellen Kategorien, also nicht in romantischen Spannungsbögen, das ist mir eigentlich eher fremd. Wenn man beim sakralen Raum bleiben möchte, dann sehe ich das wie Ikonen: Man hat also drei Bilder und man sieht sie als Hörer nacheinander, innerhalb der Bilder verändert sich grundsätzlich nichts und trotzdem verändert es sich ständig. Es ist auch ein Aufgreifen von historischen Musikformen, zur gleichen Zeit auch einen Bezug zu Bruckner, weil Bruckner sich ja auch sehr stark mit Palestrina, Bach, natürlich auch mit dem Gregorianischen Choral befasst hat, also mit Musik, die eigentlich, von seiner Zeit aus gesehen, weit weg war. Der erste Teil hat eine Struktur wie ein Organum des 12. Jahrhunderts. Ganz lange Quintklänge werden gehalten und ändern sich dann im nächsten Moment wieder. Über diesen langen, ausgehaltenen Quintklängen werden Figurationen geschrieben, die dann auch für den Raum projiziert sind, also sie bewegen sich dann immer zwischen Orgel und den verschiedenen Instrumentengruppen im Raum. Der zweite Teil hat dann eher eine historische Form, ein mittelalterliches Chanson quasi, mit dem Zentralintervall der Terz und der letzte Teil ist eigentlich ein strenger Kanon in polyphoner Form, ein Bezug auf Palestrina zum Beispiel oder Ockeghem. Das heißt, jeder Abschnitt hat eine bestimmte historische Form, auf die er sich bezieht und auch ein bestimmtes zentrales Intervall und damit eine andere Klangstruktur.
Meier: Die Frage bleibt offen, welcher Abschnitt letztlich ›das wahre Angesicht‹ dieser dahintersteckenden Grundstruktur ist? Und ob es so etwas überhaupt geben kann oder ob es immer eine Frage des Werdens und Wandels ist.
Lang: Das ist eine ganz essenzielle Frage. Man sieht die Welt in seltsamsten Gestalten, Formen und politischen Wirren, man fragt sich, gibt es da irgendetwas, was dahintersteckt? Es ist eben diese ganz elementare, zentrale Frage, die die Menschen sich stellen.
Ein Gespräch über Klaus Langs das wahre angesicht
Meier: Und auf einer etwas höherliegenden Ebene vielleicht auch eine Verbindung zum diesjährigen Brucknerfest, das ja auch versucht, auf musikalischer Ebene zu einem ›Original‹ oder an einen ›Ursprung‹ zu gehen und der Frage nachzuspüren, was denn über die Jahrzehnte und Jahrhunderte ›übermalt‹ worden ist durch die Interpretationen Bruckner’scher Werke und was vielleicht einmal der Ursprung dieser Werke war.
Lang: Daran habe ich jetzt gar nicht gedacht, wobei das dann natürlich wieder etwas ganz Eigenes ist. Historische Aufführungspraxis. Da hätte ich im Prinzip sogar genau die gleiche Frage. Also, wenn man heute auf historischen Instrumenten spielt, ist es deswegen wahrer?
Meier: Oder sogar weiter weg von dem, was die wie auch immer geartete Intention war? Ist die Erstfassung das ›Richtige‹ und ist es die spätere Überarbeitung nicht? Das lässt sich natürlich nie definieren, was ja auch das Schöne und Spannende daran ist. Am Ende gibt es in der Kunst kein Schwarz und Weiß … Aber unabhängig von den Fassungen seiner Sinfonien: War Bruckners Klangsprache für Ihr Werk ein Vorbild? Es gibt ja beispielsweise viele Sequenzierungen, Choralhaftes oder eben die beschriebenen Rückbezüge auf ältere Musik, aber mit modernen Mitteln.
Lang: Was das Material betrifft, habe ich mich eher auf frühere Musik bezogen. Bruckner und ich verwenden dahingehend also die gleichen Quellen. Es bilden sich dann auch noch aufkommende Sequenzierungen, die etwas prinzipiell Ähnliches wie eine Skala sind, dann kommt auch noch im dritten Teil eine Vorstellung von Bruckners Harmonik auf. Die ist sehr stark von mediantischen Verbindungen geprägt. Das Interessante ist ja, dass die Mediantik etwas ist, was der Tonalität eigentlich total entgegensteht. Tonalität beruht immer auf Quintbeziehungen, die die Funktionen innerhalb eines Satzes klarmachen. Das ist das Interessante bei Bruckner, dass er durch diese ständigen mediantischen Verbindungen der Musik diese Richtung wieder nimmt. Es ist aber genau das gleiche, was auch im 16. Jahrhundert in der Harmonik passiert. Bei Palestrina gibt es eben auch keine Gerichtetheit, sondern eigentlich freie Verbindungen von Klängen, auf zentrale Weise stellt das im Prinzip das Denken dar, wie ich Musik denke: Also dass es keine Musik ist, in der man unweigerlich von einem Ort zum anderen gehen muss, sondern in der man sich im Klang
Ein Gespräch über Klaus Langs das wahre angesicht
aufhält und der Klang frei fließen kann. Das bemerke ich eben in der Musik vor Entwicklung der Tonalität, bei Palestrina natürlich, aber dann auch bei Bruckner.
Meier: Ein schönes Bild, gerade vor dem Hintergrund des Aufführungsortes: den Klang betreten, sich im Klangraum aufhalten und nicht wegwollen, nicht weitergehen. Sie haben es ja schon angerissen: Die Stiftsbasilika in St. Florian ist also dieser Klangraum, der im Stück auch als eine gewisse räumliche Dimension einkomponiert ist. Ist das, überspitzt formuliert, ein Stück, das man nur in St. Florian spielen kann?
Lang: Es ist natürlich eher für einen größeren Kirchenraum gedacht, weil es eben für diesen Ort geschrieben ist. Deswegen sind die Strukturen auch sehr einfach und klar, weil der Hall sowieso alles weiterspinnt, man muss einfach darauf reagieren. Es ist schon ein Stück, das eine ›Größe‹ in sich tragen soll und auch eine Größe des Raumes fordert. Wenn Sie in einer Kirche zur Kuppel raufgehen und da die Fresken anschauen, dann sehen sie, wie grob die eigentlich gemalt sind. Wenn sie aber unten sind, dann wirken sie extrem fein und sehen detailliert aus. Wenn man mit dem Orchester in so einem großen Raum arbeitet, dann muss man sozusagen mit einem ›gröberen Pinselstrich‹ vorgehen, damit es im Raum noch funktioniert. Man kann nicht mit einem kleinen Bleistift ein Fresko an die Kuppel malen, man muss einfach eine gewisse Größe mitdenken. Das ist etwas, was ich dann wiederum auch von Bruckner gelernt habe.
Meier: Ein spannender und alles andere als gewöhnlicher Aspekt ist ja auch dieses NichtgenauSynchronisieren einzelner Abschnitte und Instrumentengruppen, also dass zum Beispiel Orgel und Orchester auch agogisch frei sind, im Tempo zunehmen und abnehmen, sich aber immer wieder treffen. Ist das dann auch auf diesen Klangraum zugeschnitten?
Lang: Genau. Nebenbei ist es auch eine Frage der Notationstechnik: Indem ich dem Spieler die Freiheit lasse, entsteht eine bestimmte Art von Klangqualität. Ich kann das natürlich ganz präzise und in Proportionen ausnotieren, aber dann ist man als Musiker plötzlich so aufs Zählen und präzise Ausführen getrimmt. Das Interessante ist, dass durch die auf den ersten Blick weniger präzise Art der Notierung das klangliche Ergebnis
Ein Gespräch über Klaus Langs das wahre angesicht
präziser jenes ist, was ich erreichen möchte. Das ist immer eine Frage, die sich alle Komponisten ihr Leben lang stellen: Wie notiert man etwas am besten?
Meier: Eine dieser wiederum sehr konkreten Partituranweisungen ist das durchgehende ›non vibrato‹ und auch der Aspekt der an manchen Stellen rein zu intonierenden ›Naturtöne‹. Hat das auch mit einem Rückgriff zu tun, gewissermaßen an die ›Urgründe‹ des Klangs zu gehen?
Lang: Ehrlich gesagt ist das ›non vibrato‹ einfach eine persönliche Vorliebe, ich mag einfach kein Vibrato (lacht). Indem etwas vibriert, formt man den Klang ja schon, wenn man den Klang aber stehen lässt, entfaltet er sich von selbst. Es geht ja darum, wie man etwas kontrolliert. Wenn Sie eine Kuh halten, dann lässt man die Kuh auf die Weide, da kann sie sich am besten entfalten und sie bleibt immer ungefähr dort, wo sie sein soll. Wenn man sie aber im Stall festbindet, dann hat man sie zwar genau an dem Ort, wo man sie haben möchte, aber für die Kuh ist es weniger toll. So ist es auch mit den Klängen. Gibt man diesen einen Raum, dann muss man immer noch eine Form dazu finden, das ist eben die Schwierigkeit: Wie groß ist das Gehege? Da bildet sich dann eben diese Frage und Abwägung von Kontrolle und Freiheit.
Meier: Also den Klang hegen und pflegen, damit er dann im Idealfall genau das tut, was man möchte – und es ihm nicht aufzwingen.
Lang: Das ist dann die ultimative Manipulation, man kann den Klang einpacken oder aber genau das tun lassen, was man möchte, aber so, dass er es von sich aus tut.
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Anton Bruckner // Sinfonie Nr. 8 c-Moll ›Fassung 1890‹
In der ersten Oktoberhälfte des Jahres 1887 erhält Anton Bruckner einen Brief, auf den er bereits ungeduldig gewartet hat und den er vermutlich hastig, voll Anspannung und Vorfreude öffnet. »Lieber und verehrter Freund!«, liest er. »Bereits seit 8 Tagen beschäftige ich mich damit, Ihnen (in Gedanken) lange Briefe zu schreiben. Noch niemals ist es mir so schwer geworden, für das, was ich zu sagen habe, die rechten Worte zu finden! Aber endlich muß es ja doch sein …« Die folgenden Zeilen, so werden es seine Freund:innen später berichten, stürzen den Komponisten in eine Phase tiefster Verzweiflung. Der Absender des Briefes und damit der Verursacher von Bruckners Leid ist der Münchner Generalmusikdirektor Hermann Levi, dem Bruckner die Partitur seiner soeben vollendeten Sinfonie Nr. 8 cMoll am 19. September 1887 zugesandt hat, an der er zwischen Juni 1884 und August 1887 – eine für Bruckners Verhältnisse außerordentlich lange Zeitspanne – gearbeitet hatte.
»Ich kann mich in die 8te Sinfonie nicht finden, und habe nicht den Muth, sie aufzuführen. Orchester und Publikum würden, dessen bin ich sicher, den größten Widerstand leisten. […] Bitte schreiben Sie mir gleich, wie ich mich Bruckner gegenüber verhalten soll. Wenn es damit abgethan wäre, daß er mich für einen Esel, oder was noch schlimmer für einen Treulosen hielte, so wollte ich mir dies ruhig gefallen lassen. Aber ich fürchte Schlimmeres, fürchte, daß ihn diese Enttäuschung ganz niederbeugen wird! Kennen Sie denn die Sinfonie genau?? Und können Sie da noch mit?? Helfen Sie mir, ich bin ganz rathlos!«
Brief Hermann Levis an Bruckners Schüler Josef Schalk vom 30. September 1887
Einen Monat vorher ist Bruckner noch voller Zuversicht. »Halleluja!«, schreibt er am 4. September 1887 an Levi, der ihm zwei Jahre zuvor mit der Münchner Erstaufführung der Sinfonie Nr. 7 zum endgültigen Durchbruch als Sinfoniker verholfen hat. »Endlich ist die Achte fertig, und mein künstlerischer Vater muß der erste sein, dem diese Kunde wird. Soll ich die Orchesterstimmen in Wien abschreiben lassen, oder auf meine Rechnung in München?«
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Bruckner hat bereits die Uraufführung in München, seinen abermaligen Triumph fernab der missgünstigen Wiener Kritik vor Augen – und auch Levi ist begeistert, bittet den Komponisten gleich um die Zusendung der Noten. Wenige Tage später hält er die Partitur der Achten in Händen, schlägt den ersten Satz auf, spielt vermutlich einige Passagen am Klavier – und beginnt zu zweifeln.
Knapp zwei Wochen später, am 7. Oktober, findet Levi endlich den Mut, Bruckner sein Urteil über die neue Sinfonie in jenem eingangs erwähnten Brief mitzuteilen: »Also: es ist mir unmöglich, die 8 te in dieser Form zur Aufführung zu bringen. Ich kann sie mir nicht zu eigen machen! So
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
herrlich und grandios die Themen sind, so bedenklich erscheint mir die Ausführung, ja die Instrumentation halte ich geradezu für unmöglich. […] Ich habe Stunden, ja tagelang über der Partitur gesessen, aber ich bin dem Werke nicht näher gekommen. […] Verlieren Sie nicht den Muth, nehmen Sie Ihr Werk noch einmal vor, berathen Sie sich mit Ihren Freunden, mit Schalk, vielleicht läßt sich durch eine Umarbeitung viel erreichen – –Bleiben Sie mir gut!« Bruckner ist schwer getroffen, unterbricht die Komposition seiner inzwischen begonnenen 9. Sinfonie – er wird sie nie vollenden – und flüchtet sich in Revisionsarbeiten an seinen Sinfonien Nr. 3 und 4. Doch nach und nach verfliegt der Zorn und die Resignation weicht dem Tatendrang. Am 27. Februar 1888 gesteht er Levi reumütig: »Freilich habe ich Ursache mich zu schämen – wenigstens für dießmal –wegen der 8ten. Ich Esel!!! Jetzt sieht sie schon anders aus.« Bis ins Frühjahr 1890 arbeitet Bruckner an der neuen Fassung, die ersten drei Sätze schreibt er komplett neu in Partitur, beim Finalsatz trägt er seine Korrekturen in die Erstfassung ein. Nachdem eine für den 2. April 1891 geplante Aufführung durch Felix Weingartner in Mannheim kurzfristig abgesagt werden muss, erlebt Bruckners 8. Sinfonie am 18. Dezember 1892 ihre späte, dafür wider Erwarten umso heftiger umjubelte Uraufführung durch die Wiener Philharmoniker unter Hans Richter: Drei Blumenkränze, einer davon von Kaiser Franz Joseph I. persönlich (dem Bruckner das Werk widmet), werden dem überwältigten Komponisten zu Füßen gelegt. »Es war ein vollständiger Sieg des Lichtes über die Finsternis«, jubiliert kein Geringerer als Hugo Wolf, »und wie mit elementarer Gewalt brach der Sturm der Begeisterung aus, als die einzelnen Sätze verklungen waren.«
»A Harf’n g’hert in ka Sinfonie.«
Das Allegro moderato hebt mit Bruckners bekanntem ›Ursprungstremolo‹ der Violinen an, zu dem sich bruchstückhafte Melodielinien der tiefen Streicher mit antwortenden Motiven von Oboe und Klarinette zu einem immer dichter werdenden, harmonisch mehrdeutigen Wechselspiel vereinen, bis das Hauptthema schließlich in gellendem Fortissimo hervorbricht. Eben dieses Motiv zerfällt am Ende des Satzes nach einer unheilvollen Steigerung in immer kleinere Versatzstücke, sodass schließlich nur die chromatische Schlussfigur in monotonen Repetitionen zurückbleibt,
Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Trio zwischen dem Hauptteil des Scherzos und dessen Wiederholung eingeschobener, meist ruhiger Mittelsatz
eine Geste, die Bruckner seinem Schüler Friedrich Eckstein zufolge als »Totenuhr« bezeichnet. Anders als in der Coda der ›Fassung 1890‹, die den Satz mit dieser verlöschenden Geste der »Ergebung« (Bruckner) beschließt, hebt die Musik in der Urfassung im schroffen dynamischen und harmonischen Kontrast (dreifaches Forte in GesDur) noch einmal an und führt zu einer triumphalen Wiederkehr des Hauptthemas in strahlendem CDur. Das erstmals bei Bruckner an zweiter Stelle stehende Scherzo beginnt mit einer signalhaften Hornfigur und geisterhafthuschenden Streichertremoli, die sich nach und nach zu einer kraftvollwilden Tanzmusik steigern. Hier zeigt sich besonders deutlich der in der Urfassung hörbar blockhafte Blechbläsersatz, dessen rhythmische Verzahnung »in der ersten Fassung eigenständiger, in der zweiten nach dem gängigen Klangideal Wagnerscher Prägung ausgerichtet zu sein scheint« (Manfred Wagner). Der anschließende Streicherchoral im ersten Teil des Trios ist einer der wenigen längeren Abschnitte, die Bruckner später durch einen vollständig neu komponierten ersetzt. Das rein in seinen Dimensionen bereits gewaltige Adagio gewinnt durch die Positionierung an dritter Stelle innerhalb der Sinfonie zusätzlich an Gewichtung. Hier verwendet Bruckner, der die in seinen vorhergehenden Sinfonien erprobte Satzstruktur zweier gegenübergestellter Themen in variativer Verarbeitung unverändert beibehält, zur klanglichen Auffüllung
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
der Haltetöne in den Streichern zum ersten und einzigen Mal innerhalb seiner Sinfonik (in der ›Fassung 1890‹ zusätzlich im Scherzo) die Harfe, sogar in dreifacher Besetzung, wobei er seinen Biografen August Göllerich und Max Auer zufolge augenzwinkernd erklär te: »A Harf’n g’hert in ka Sinfonie. […] I’ hab’ ma [aber] nöt helf’n könna!« Der in großen Steigerungswellen erreichte Höhepunkt des Satzes steht in der ersten Fassung noch in der bereits für den Kopfsatz bestimmenden Tonart CDur, wohingegen ihn Bruckner im Zuge seiner Revision nach EsDur transponiert. In der Coda des gewaltigen Finales, dessen aggressive, martialische Blechbläser fanfaren der Sinfonie wohl den Beinamen ›Apokalyptische‹ eintrugen, zeigt sich schließlich jener kompositorische Kunstgriff, vor dessen Hintergrund die strukturellen Unterschiede beider Fassungen erst ihren Sinn offenbaren. In den letzten Takten schichtet Bruckner die vier Hauptthemen der vier Sätze seines Werks zu einer gigantischen Klangfläche in CDur übereinander; eine Idee, zu deren Umsetzung ein gewaltiger Kraftakt nötig war, von dem Bruckner selbst immer wieder voller Stolz berichtete. Dieser monumentale Schlussstein veranlasst Bruckner wohl, die beiden vorangehenden ›CDurEckpfeiler‹ seiner kompositorischen Architektur am Ende des Kopfsatzes und auf dem Höhepunkt des Adagios wieder einzureißen und damit jene scheinbar mühelose Apotheose der ersten Fassung in einen ungleich dramatischeren, heldenhaft erkämpften Triumph zu verwandeln.
Particellskizze des Finales der 8. Sinfonie, in der bereits die Schichtung der vier Hauptthemen festgehalten ist. Anmerkung Bruckners am rechten Rand: »Steyr, Stadtpfarrhof 16. August 1885. A Bruckner m[anu] p[ropria] [i. e. mit eigener Hand]. Halleluja!«
Anton Bruckner Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Exkurs: Zwischen Michel und Kaiser
Deutscher Michel eine im 19. Jahrhundert populäre, nationalistisch gefärbte Personifikation des ›deutschen Volkes‹
Vielleicht als Reaktion auf Levis niederschmetternde Kritik und damit in Vorahnung mangelnden Verständnisses seitens des Publikums angesichts der gewaltigen Dimensionen seines Werks, gab Bruckner brieflich und in Gesprächen immer wieder programmatische Hinweise zu seiner Sinfonie. So bezeichnete er etwa gegenüber Felix Weingartner das Hauptthema des ersten Satzes als »die Todesverkündigung, die immer sporadisch stärker endlich sehr stark auftritt, am Schluß: die Ergebung«, wobei letztere in der Erstfassung durch den machtvoll inszenierten Schlussjubel wieder hinterfragt wird. Das Scherzo verstand er als musikalische Repräsentation des ›deutschen Michel‹: »In der 2. Abtheilung [i. e. beim zweiten Thema] will der Kerl schlafen, u[nd] träumerisch findet er sein Liedchen nicht; endlich klagend kehrt es selbes um.« Im Finale schließlich wollte Bruckner das ›Dreikaisertreffen‹ des Jahres 1884 dargestellt haben: »Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Czaren in Olmütz; daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfaren, wie sich die Majestäten begegnen. Schließlich alle Themen; (komisch), wie bei Tannhäuser im 2. Akt der König kommt, so als der deutsche Michel von seiner Reise kommt, ist Alles schon in Glanz. Im Finale ist auch der Todtenmarsch u[nd] dann (Blech) Verklärung.« Letztlich stellt dieses rudimentär skizzier te ›Programm‹ wohl eher eine Folge loser, meist nachträglich in die Musik hineinprojizierter Assoziationen dar, die, wie im Fall der »Ergebung«, darüber hinaus teilweise nicht mit der Musik der Erstfassung übereinstimmen und somit kaum Bestandteil des ursprünglichen Konzeptes gewesen sein können.
Andreas Meier
Klaus Lang, geboren 1971 in Graz, lebt in SteirischLaßnitz (Bezirk Murau, Obersteiermark). Er studierte Komposition und Musiktheorie bei Hermann Markus Preßl, Beat Furrer und Younghi PaghPaan und Orgel bei Otto Bruckner an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Klaus Lang liebt Tee. Was er nicht mag, sind Rasenmäher und Richard Wagner. Musik wird von Klaus Lang nicht als Mittel gebraucht, um außermusikalische Inhalte zu transportieren, seien es Affekte, philosophische oder religiöse Ideen, politische Programme oder Werbeslogans. Musik ist für ihn keine Sprache, die der Kommunikation außermusikalischer Inhalte dient, sie ist ein freies für sich stehendes akustisches Objekt.
In seinen Arbeiten wird Klang nicht benutzt, er wird hörend erforscht und ihm wird die Möglichkeit gegeben, seine ihm innewohnende reiche Schönheit zu entfalten. Wenn Klang nur Klang ist (und auf nichts anderes verweisen soll), gerade dann wird er als das wahrnehmbar, was er eigentlich ist, nämlich als ein zeitliches Phänomen, als hörbare Zeit. Die Zeit als das eigentliche Material des Komponisten ist für Klaus Lang also auch zugleich zentraler Gegenstand der Musik. Musikalisches Material ist durch das Klingen wahrgenommene Zeit, der Gegenstand von Musik das hörende Erlebnis von Zeit. Musik ist hörbar gemachte Zeit.
Das Bruckner Orchester Linz (BOL) zählt zu den führenden Klangkörpern Mitteleuropas, blickt auf eine mehr als 200jährige Geschichte zurück und trägt seit 1967 den Namen des Genius loci. Das BOL ist Botschafter Oberösterreichs und seines Namensgebers auf Konzertpodien weltweit und nimmt im Linzer Musiktheater seine Aufgaben als Orchester des Landestheaters wahr. Seit dem Amtsantritt von Markus Poschner als Chefdirigent vollzieht das BOL einen weithin beachteten Öffnungsprozess, der neue Formate generiert, unerwartete Orte aufsucht, in der Vermittlung überraschende Wege findet und vor allem für künstlerische Ereignisse in einer unnachahmlichen Dramaturgie sorgt. Das BOL wurde beim Österreichischen Musiktheaterpreis 2020 als »Bestes Orchester« und 2024 mit dem ICMA Special Achievement Award für die Gesamteinspielung der BrucknerSinfonien in allen Fassungen unter Markus Poschner ausgezeichnet.
Dirigent
Seit seinem Antritt als Chefdirigent des Bruckner Orchester Linz 2017 begeistern Markus Poschner und das BOL Publikum und Presse gleichermaßen. Seine Vision, in der BrucknerInterpretation eigene Wege zu gehen, gipfelte 2024 in der Auszeichnung mit dem renommierten ICMA Special Achievement Award für die Gesamteinspielung der BrucknerSinfonien. Markus Poschner gastiert regelmäßig bei sämtlichen Spitzenorchestern und Opernhäusern der Klassikwelt. Mit Wagners Tristan und Isolde – 2020 wurde er für eine Produktion dieser Oper am Musiktheater Linz als »Dirigent des Jahres« ausgezeichnet – eröffnete er die Bayreuther Festspiele 2022, eine Wiedereinladung folgte 2023. Von 2007 bis 2017 war Markus Poschner Generalmusikdirektor der Bremer Philharmoniker. Seit 2015 ist er zudem Chefdirigent des Orchestra della Svizzera italiana. Ab der Spielzeit 2025/26 wird er außerdem Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel.
Impressum
Herausgeberin
Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz
René Esterbauer, BA MBA, Kaufmännischer Geschäftsführer
Redaktion
Andreas Meier
Biografien & Lektorat
Romana Gillesberger
Gestaltung
Anett Lysann Kraml, Lukas Eckerstorfer
Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte
Mag. Jan David Schmitz
Abbildungen
A. Abrar (S. 2), R. Players (S. 9), National Library of Israel, Jerusalem (S. 11), OÖ LandesKulturGmbH, Land Oberösterreich (S. 13), Österreichische Nationalbibliothek, Wien (S. 14–15), S. Maier (S. 19), R. Winklner (S. 20 & 21)
Programm, Termin und Besetzungsänderungen vorbehalten LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz
Wir danken für Ihren Besuch und wünschen Ihnen ein schönes Konzert!
Mit unserer eigenen Hammerkopfproduktion entfesseln wir das volle tonliche Spektrum unserer Flügel und Klaviere –eine Kunst, die Leidenschaft, Erfahrung und Disziplin erfordert. www.bechstein-linz.de