Michael Korstick | 07.02.2024

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Aufforderung zum

Tanz 7. FEBRUAR 2024 KLAVIERRECITALS II SAISON 2023/24


KOMMENDE HIGHLIGHTS SAISON 2023/24 MI 14 FEB 19:30 MITTLERER SAAL

Tomasi-Musso Gitarrenduo

MO 11 MAR 19:30 GROSSER SAAL

Gianandrea Noseda | Dirigent

DO 14 MAR 19:30 MITTLERER SAAL

Maurice Steger | Blockflöte

DO 16 MAR 19:30 MITTLERER SAAL Elitsa Desseva & Mikhail Timoshenko

TOMASI-MUSSO GITARRENDUO Das Duo überreicht am Valentinstag ein prächtiges Bouquet aus temperamentvollen spanischen und latein­ amerikanischen Tänzen.

GIANANDREA NOSEDA & MÜNCHNER PHILHARMONIKER Ein Fest für Smetana zum 200. Gebutstag – mit der Ouvertüre zu Die verkaufte Braut sowie Die Moldau und anderen Teilen aus dem Zyklus Mein Vaterland

MAURICE STEGER AND FRIENDS Vier herausragende Musiker*innen begeben sich auf eine höchst un­ter­ haltsame Reise durch Die tan­zen­den Nationen – mit Musik von Antonio Vivaldi, Georg Philipp Telemann u. a.

MIKHAIL TIMOSHENKO & ELITSA DESSEVA Mit Mussorgskis Liedern und Tänzen des Todes sowie u. a. mit Zyklen von Ravel und Ibert kehrt der bereits 2022 bejubelte russische Bariton ins Brucknerhaus zurück.

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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Aufforderung zum Tanz Mittwoch, 7. Februar 2024, 19:30 Uhr Mittlerer Saal, Brucknerhaus Linz

Michael Korstick | Klavier

Saison 2023/24 – Klavierrecitals II 2. von 3 Konzerten im Abonnement


Programm Carl Maria von Weber (1786–1826) Aufforderung zum Tanze. Rondo brillant Des-Dur op. 65 (1819) Robert Schumann (1810–1856) Carnaval. Scènes mignonnes sur quatre notes op. 9 (1834–35) Nr. 1 Préambule. Quasi maestoso Nr. 2 Pierrot. Moderato Nr. 3 Arlequin. Vivo Nr. 4 Valse noble. Un poco maestoso Nr. 5 Eusebius. Adagio Nr. 6 Florestan. Passionato Nr. 7 Coquette. Vivo Nr. 8 Replique. L’istesso tempo Sphinxes Nr. 9 Papillons. Prestissimo Nr. 10 A.S.C.H. – S.C.H.A (Lettres Dansantes). Presto Nr. 11 Chiarina. Passionato Nr. 12 Chopin. Agitato Nr. 13 Estrella. Con affetto Nr. 14 Reconnaissance. Animato Nr. 15 Pantalon et Colombine. Presto Nr. 16 Valse Allemande. Molto vivace Nr. 17 Paganini. Presto Nr. 18 Aveu. Passionato Nr. 19 Promenade. Con moto Nr. 20 Pause. Vivo Nr. 21 Marche des ,Davidsbündler‘ contre les Philistins. Non Allegro – Vivo

– Pause –

Brucknerhaus-Premiere 4


Béla Bartók (1881–1945) Tanz-Suite Sz. 77 (1923, 1925) I Moderato – Vivo – Tempo I – Allegretto – II Allegro molto – Tranquillo – III Allegro vivace – Lento – Vivacissimo – IV Molto tranquillo – Lento – V Comodo – VI Finale. Allegro – Presto – Più lento – Allegretto – Allegro molto

Władysław Szpilman (1911–2000) Mazurka f-Moll (1942) Charles Koechlin (1867–1950) Danse lente, Nr. 2 aus: Danses pour Ginger. Cinq pièces en hommage à Ginger Rogers op. 163 (1937) Isaac Albéniz (1860–1909) Rumores de la caleta. Malagueña, Nr. 6 aus: Recuerdos de viaje op. 71 (1886–87) Federico Mompou (1893–1987) Canción y danza Nr. 1 (1921) Joaquín Turina (1882–1949) Sacro-Monte, Nr. 5 aus: Cinco danzas gitanas. Band 1 op. 55 (1930) Alberto Ginastera (1916–1983) Suite de danzas criollas op. 15 (1946, rev. 1956) I Adagietto pianissimo – II Allegro rustico – III Allegretto cantabile – IV Calmo e poetico – V Scherzando Coda. Presto ed energico

Konzertende ca. 21:30 5


alla breve Das Programm auf einen Blick

Aufforderung zum Tanz – unter diesem Motto bringt das heutige Klavierrecital Tanzmusik von nicht weniger als neun Komponisten aus sechs Nationen zum Klingen und wirbelt dabei durch knapp 140 Jahre Musikgeschichte! Ausgehend von Carl Maria von Webers titelgebendem Rondo, das sei­ne Popularität vor allem Hector Berlioz’ Orchesterfassung als Bal­ lett­einlage des Freischütz verdankt, sowie Robert Schumanns virtuos-kuriosem Carnaval geht der Weg zunächst nach Ungarn zu Béla Bartóks Tanz-Suite, die 1923 anlässlich der 50-Jahr-Feier der Vereinigung der Städte Buda und Pest entstand. Die Mazurka f-Moll des polnischen Komponisten Władysław Szpilman, dessen bemer­kens­werter Biografie Roman Polański 2002 in seinem oscarprämier­ten Film Der Pianist ein Denkmal setzte, führt mit ihrer an Frédéric Chopin angelehnten Tonsprache nach Frankreich zu Charles Koechlin und dessen ebenfalls eng mit dem Thema „Film“ verknüpften Danses pour Ginger – eine Hommage an die Schauspielerin und Tänzerin Ginger Rogers. Weiter nach Süden reisend durchqueren wir mit Werken von Isaac Albéniz, Federico Mompou und Joaquín Turina spanische Land­ schaften voll folkloristischer Melodien und Rhythmen, ehe die Suite de danzas criollas des Argentiniers Alberto Ginastera den tänzeri­ schen Reigen beschließt.

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Aufforderung zum Tanz

IMMER WIEDER FREISCHÜTZ „Wer Lied sagt, meint Schubert“, stellte der Musikwissenschaftler Elmar Budde einmal fest und fügte hinzu: „Schubert und Lied sind synonyme Begriffe geworden.“ Diesen Gedanken aufgreifend könnte man im Hinblick auf Schuberts Zeitgenossen Carl Maria von Weber behaupten: Wer Weber sagt, meint Freischütz. Zumindest in der brei­ teren Öffentlichkeit wird der Komponist heute fast ausschließlich mit seiner berühmtesten Oper in Verbindung gebracht – trotz zahlrei­cher weiterer Bühnenwerke, trotz einer Vielzahl mehr als hörenswerter

Aufforderung zum Tanze. Erste Seite von Carl Maria von Webers Manuskript, 1819

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Robert Schumann Carnaval

Solokonzerte und trotz seines reichhaltigen und vielfältigen Klavier­schaffens. Einzig ein 1819 komponiertes Rondo mit dem Titel Auf­for­ derung zum Tanze op. 65, das Webers Sohn Max Maria als „Singspiel ohne Worte“ bezeichnete, taucht hie und da noch in Besprechungen und Konzertprogrammen auf. Der Grund für die nachhaltige Behaup­ tung des Stückes im Repertoire: Hector Berlioz orchestrierte die Auf­ forderung zum Tanze 1841 für eine Balletteinlage an der Pariser Oper, bei der – wie sollte es anders sein – Der Freischütz auf dem Pro­ gramm stand. EIN BALL AUS VIER NOTEN Ebenfalls als „Singspiel ohne Worte“ könnte man Robert Schumanns Carnaval bezeichnen, den dieser 1835 vollendete. Ausgangspunkt für den aus 21 klingenden und 22 notierten Stücken bestehenden Zyklus – näheres hierzu weiter unten – war Schumanns Begeisterung für die Walzerkompositionen Franz Schuberts, insbesondere für dessen Sehn­suchts-Walzer D 365, Nr. 2. Durchblättert man Schumanns Tage­bü­ cher jener Jahre, stößt man immer wieder auf Notizen wie „der Schu­ Carl Ferdinand Constans Erttel: Freund Schumanns, Militärauditor in Zwickau und später Appellations­ rat in Dresden

bertsche Walzer u[nd] Entzükung Erttel’s“, „Walzer von Schubert“, „bey’m Schubert’schen Walzer“, „dann glükliche Fantasie über den Sehnsuchtswalzer“ oder auch „der Schubertsche Walzer u[nd] Sie –“. Mit „Sie“ ist Ernestine von Fricken gemeint, mit der sich Schumann 1834 verlobte und der er seine 1833 begonnenen Scènes musicales sur un thème connu de Franz Schubert widmen wollte. Doch im Sep­ tember 1834, wenige Wochen nach der Verlobung, bemerkte er, dass die in seinen Skizzen auftauchende Tonfolge A–Es–C–H bezie­hungs­ weise As–C–H der Heimatstadt Asch (heute: Aš, Tschechien) Ernes­ tines entsprach. Sofort begann er, unter Beibehaltung einiger Ele­ mente seiner ,Schubert-Variationen‘, mit der Arbeit an einem neuen Werk, dem er ursprünglich den Titel „Fasching. Schwänke auf vier No­ten“ geben wollte, da in „Fasching“ die Tonfolge As–C–H und in „Schwank“ die Töne Es–C–H–A, symbolisch für „SCHumAnn“ ste­ hend, enthalten sind. Das ging dem späteren Verleger Breitkopf & Härtel dann doch zu weit, sodass das Werk 1837 auch im Hinblick auf den internationalen Markt als Carnaval. Scènes mignonnes sur quatre notes (Niedliche Szenen auf vier Noten) veröffentlicht wurde.

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Robert Schumann Carnaval

In 21 Charakterstücken breitet Schumann die Szenerie eines ima­gi­nären Balles aus, auf dem die Mitglieder des von ihm ins Leben ge­ru­fenen Künstlerkreises der Davidsbündler, unter ihnen Estrella (Ernes­ tine von Fricken), Chiarina (Clara Wieck) sowie Schumanns Alter

Skizzen von Robert Schumann zum Carnaval, 1834

Egos Florestan und Eusebius ebenso zum Tanz bitten wie berühm­ te Figuren der Commedia dell’arte sowie die Kompositionskollegen Niccolò Paganini und Frédéric Chopin. Durch alle Stücke ziehen sich die „Asch“ und „Schumann“ symbolisierenden Tonfolgen, die dem Spielenden auf dem Notenpapier zwischen dem achten und neunten Stück sogar in Gestalt dreier nicht zu spielenden Sphinxes in großen Notenwerten entgegenblicken und die sich im abschließenden Marsch der Davidsbündler gegen die Philister zu größtmöglicher Klangpracht auffächern und den Ball in Gestalt von zwölf mitternächtlichen AsDur-Glockenschlägen beschließen. „JENSEITS VON GUT UND BÖSE“ Nachdem er eigenen Angaben zufolge in seinen Lehrjahren „die Mu­ sikliteratur von Bach bis Brahms – Wagner jedoch nur bis zum Tann­ häuser“ intensiv studiert hatte, wandte sich der ungarische Kompo­ nist Béla Bartók auf der Suche nach seinen musikalischen Wurzeln 9


Béla Bartók Tanz-Suite

und zugleich nach neuen kompositorischen Wegen fernab ausgetre­ tener Pfade ab 1906 der Erforschung und Aufzeichnung traditionel­ ler „Bauernmusik“, wie er sie nannte, zu. So unternahm er zwischen 1907 und 1918 nicht weniger als 34 Forschungsreisen in die ent­ le­gensten Gegenden Ungarns, Rumäniens und der Slowakei, wo er, Phonograph: In den 1870erJahren entwi­ ckeltes Gerät zur Aufnahme und Wieder­ gabe von Schall mittels Tonwalzen

meist mit einem Phonographen ausgestattet, knapp 10.000 Melodien und Volkslieder aufzeichnete: „Das Studium all dieser Bauernmusik war deshalb von entscheidender Bedeutung für mich, weil sie mich auf die Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Allein­ herrschaft des bisherigen Dur-Moll-Systems brachte“, hielt er in sei­ner Autobiografie fest. „Denn der weitaus überwiegende und gerade wert­volle Teil des Melodieschatzes ist in den alten Kirchentonarten bzw. in altgriechischen und gewissen noch primitiveren (namentlich pen­ tatonischen) Tonarten gehalten und zeigt außerdem mannigfaltigste und freieste rhythmische Gebilde und Taktwechsel.“ In seiner 1923 ursprünglich für Orchester komponierten Tanz-Suite Sz. 77 griff Bartók allerdings nicht auf Volksliedmelodien zurück, son­ dern versuchte, „eine Art ideal erdachter Bauernmusik, ich könnte sa­ gen, erdichtete Bauernmusiken nebeneinanderzustellen, sodass die einzelnen Sätze bestimmte musikalische Typen darstellen: ungarische, walachische, slowakische und auch arabische, zuweilen kam es so­ gar zur Überschneidung dieser Arten“. Anlass für die Komposition war die 50-Jahr-Feier der Vereinigung von Buda und Pest zur ungari­schen Hauptstadt Budapest, zu der auch Zoltán Kodály seinen Psalmus Hun­ garicus op. 13 beisteuerte. Aufgrund des großen Erfolgs gab Bartóks Verleger Emil Hertzka von der Universal Edition beim Komponisten eine Klavierfassung in Auftrag, die dieser 1925 pflichtbewusst ab­lie­ ferte, jedoch nie selbst spielte. „Es gibt gute Gründe dafür“, erklärt Michael Korstick im Gespräch, „das Stück ist nämlich derart unange­ nehm zu spielen, das ist, wie man so sagt, eigentlich jenseits von Gut und Böse … und Bartók selbst war nun nicht der größte aller Pianisten. Die Transkription ist eigentlich ein Klavierauszug, der überhaupt kei­ne Rücksicht auf Spielbarkeit nimmt, da gibt es Stellen, da ist mir Stra­ winskis Petrouchka zwanzigmal lieber. (lacht) Aber letzten Endes ist es einfach ein gutes Stück!“

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Béla Bartók Tanz-Suite

Beginn von Bartóks Tanz-Suite in der 1925 erschienenen Klavier­fassung

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Władysław Szpilman Mazurka f-moll

CHOPIN GEGEN ALLE WIDERSTÄNDE Bartóks erregter ,Volksmenge‘ im letzten Satz der Tanz-Suite steht mit Władysław Szpilmans Mazurka f-moll eine introvertierte, klas­ sizistische Musik gegenüber. Der Pole Szpilman, der Anfang der 1930er-Jahre an der Berliner Akademie der Künste Klavier bei Leo­nid Kreutzer und Artur Schnabel sowie Komposition bei Franz Schreker studiert hatte, ist heute allen voran durch sein Schicksal während des Zweiten Weltkriegs bekannt. Ab 1940 während der deutschen Besat­ zung im Warschauer Ghetto interniert, konnte er dem fast sicheren Tod als einziges Mitglied seiner Familie nicht zuletzt durch die Hilfe des deutschen Offiziers Wilm Hosenfeld entgehen. Szpilman selbst hielt die Ereignisse dieser Zeit in seinen Memoiren fest, auf deren Grund­lage Roman Polański zu Beginn des neuen Jahrtausends den oscarprämierten Film Der Pianist dreh­te. „Ich war zu dieser Zeit der erste Pianist, der Szpilmans Con­ certino für Klavier und Orchester in Deutschland gespielt hat“, erin­ nert sich Michael Kor­stick. „Erst gab es ein Orchester­konzert, da­nach wurde der Film ge­zeigt, da­ für musste ich das Concer­tino in­ner­halb von einer Woche ler­nen. Später haben wir dieses Pro­ gramm auch in Polen auf die Büh­ne ge­bracht, wo ich erst­mals auch die Mazurka ge­spielt habe.“ Szpil­ man komponierte die Mazurka f-moll 1942 für eine Re­vue im War­schauer Ghetto im Stile Frédéric Chopins, da die Nationalso­zia­lis­ten dessen Musik als Aus­druck der na­ti­o­nalen Identität Polens mit ei­nem Aufführungsverbot belegt hatten. Władysław Szpilman, 1946 12


Charles Koechlin Danse lente

DIE „VIERTE GYMNOPÉDIE“ Als „eine Folge glücklicher Fügungen im Missgeschick“ fasste der 1867 in Paris geborene Charles Koechlin seinen musikalischen Wer­ degang selbst zusammen. Ursprünglich hatte er auf Wunsch seiner Familie geplant, eine Ingenieurslaufbahn einzuschlagen, musste sein Studium an der Pariser École polytechnique jedoch wegen einer Tu­ber­kuloseerkrankung abbrechen. „Nun war ich also frei“, stellte er lako­ nisch fest und begann ein The­o­rie- und Komposi­tions­stu­di­um am Pariser Kon­ser­va­to­ri­um, unter ande­rem bei Jules Massenet. Wäh­rend er sich in seinem frü­ hen Schaf­fen allen voran von den Werken Richard Wag­ners, später von jenen Claude De­bus­sys inspirieren ließ, schlug ihn ab den 1930er-Jahren der frü­ he Tonfilm in seinen Bann. In die­ sem Zusammenhang ent­ stan­den 1937 die Danses pour Ginger op. 163 als Hom­mage an die Schauspielerin und Tän­ ze­ rin Ginger Rogers, die ge­ mein­sam mit Fred Astaire zu den großen Filmstars je­ner Zeit zählt und mit Kassenschlagern wie Swing Time, den Koechlin eigenen An­gaben zufolge zwischen 1936 und 1940 sieben Mal sah, die mo­to­ri­sche Kraft des Tanzes auf die Leinwand bannte. „Unter Koechlin-Ken­nern hat der Danse lente aus den Danses pour Ginger ja den Spitz­namen ,Vierte Gymnopédie‘,

Ginger Roberts und Fred Astaire in Swing Time, 1936

in An­spielung auf Erik Saties drei Gym­no­pé­dies“, erzählt Michael Korstick. „Nur ist das Stück um einiges differenzierter und interes­ san­ter!“ Anders als der Verweis auf Ginger Rogers suggeriert, hat der Danse lente tat­säch­lich nur bedingt tän­zerischen Charakter und stellt mit seinen schwe­benden Melodien und ebenmäßig schrei­ten­ den Rhyth­men vielmehr die in Klang gegossene Faszination vor dem ,Wun­derwerk Film‘ dar. 13


Isaac Albéniz Malagueña

GERÜCHTE AUS DER BUCHT „Wenn’s um Tanz geht, darf Spanien nicht fehlen … und ohne Isaac Albéniz geht dabei gar nichts“, so Michael Korstick. Und tatsächlich: Malagueña: traditioneller Flamenco-Stil aus Malaga, der durch rhythmische Flexibilität und melodische Expressivität geprägt ist

Schon in den ersten Takten der Malagueña aus Recuerdos de via­je (Reiseerinnerungen) wird klar, dass hier ein Komponist das Tänze­ri­ sche in seiner reinsten Form zum Ausdruck bringt. Die Recuerdos de viaje gleichen einer musikalischen Postkar­ten­sammlung, bei der sich Erinnerung an Erinnerung reiht und nach­ein­ander unterschiedliche Be­ge­benheiten und Orte in Klängen gemalt werden. Hier trifft Albéniz’ Schulung in der klassischen europäischen Tradition auf seine Ver­wur­ ze­lung in der spanischen Volksmusik. Die an sechster Stelle stehende Malagueña trägt den Titel Rumores de la caleta (Gerüchte aus der Bucht) und singt mit ihrem ostinaten Rhythmus und ihrer wie im­pro­ visiert wirkenden Melodie ein sehnsuchtsvolles Lied ohne Worte.

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Federico Mompou Canción y danza Nr. 1

EIN SPANISCHER FRANZOSE Zwar stammt auch Federico Mompou wie sein eine Generation älte­ rer Kollege Albéniz aus Katalonien, jedoch ist seine Musik gleicher­ maßen von spanischer wie von französischer Tradition geprägt. Als Sohn einer Französin und eines Spaniers studierte er standesgemäß zunächst in Barcelona, später in Paris, wo er nachhaltig von den Wer­ ken Erik Saties und Claude Debussys beeinflusst wurde. Nachhören lässt sich dies nicht zuletzt in der Canción y danza Nr. 1, Teil einer Sammlung von 15 Stücken, die Mompou zwischen 1918 und 1972 zusammenstellte. Als notorischer Perfektionist und dezidierter ,We­ nigschreiber‘ versuchte Mompou, wie er selbst sagte, stets „keine Note zu viel und keine Note zu wenig zu schreiben“. Wo also Albéniz’ Malagueña vor tänzerischem Übermut geradezu sprüht, bewegt sich Mompous langsam fließende Musik mit ihrer träumerisch glei­ten­den

El Jaleo (Spanischer Tanz), Ölgemälde von John Singer Sargent, 1882 15


Joaquín Turina Sacro-Monte

Harmonik in den Sphären impressionistischer Stillleben à la Satie. „Ich kannte ihn sogar noch“, erinnert sich Michael Korstick, „meine Partitur des Canción y danza Nr. 1 trägt seine Unterschrift, sehr wackelig allerdings, er war damals schon sehr alt und krank.“ HEIMAT IN DER FERNE Der spanische Kreis des Programms schließt sich mit Joaquín Turi­ Gitano: abgeleitet von „Egyptano“. Fremd­be­ zeichnung für die in (Süd-) Spanien le­ ben­den Roma, die von den Bezeichneten weitgehend toleriert wird

Alberto Ginastera, Fotografie von Bob Gomel, 1968 16

nas Cinco danzas gitanas. Wie Mompou verbrachte er während sei­ner Ausbildung mehrere Jahre in Paris, wo er unter anderem bei Vincent d’Indy an dessen Schola Cantorum studierte und in den unnachahm­ lichen Sog des impressionistischen Klangrauschs gezogen wurde. Dennoch blieb die Beschäftigung mit der (Volks-)Musik seiner Heimat auch in der Ferne ein wichtiger Bestandteil seiner kompositorischen Arbeit. In Sacro-Monte, dem letzten der Cinco danzas gitanas, setzte er dem gleichnamigen Viertel der andalusischen Stadt Granada ein Denkmal: archaisch, markant, atemlos, von Quintklängen getragen und mit festlichen Fanfarenmotiven begleitet.


Alberto Ginastera Suite de danzas criollas

TRADITIONELL MODERN Mit Alberto Ginastera wird schließlich die Brücke zum Beginn der zweiten Konzerthälfte und der Musik Béla Bartóks geschlagen. Nach dem Vorbild seines ungarischen Kollegen gelang es dem Argentinier in seinen Werken, die traditionelle Folklore seiner Heimat mit den Errungenschaften der Moderne zu verbinden und eine von eindringli­ cher rhythmischer Prägnanz und freitonaler Harmonik geprägte Klang­sprache zu finden. „Auch Ginastera kannte ich“, erzählt Michael Korstick, „und habe ihm auch seine 1. Klaviersonate vorgespielt.“ Die Suite de danzas criollas, ein Begriff, mit dem im spanischsprechen­ den Lateinamerika die Nachfahren europäischer Eltern bezeichnet wer­den, komponierte Ginastera 1946 für den Pianisten Rudolf Firkušný. Das Werk ist ein Beispiel für die fruchtbare Mischung aus fol­ kloristischer Eingängigkeit und zupackender Modernität. „Sowohl die lyrischen als auch die motorischen Elemente verzichten auf jegliche Komplikation, trotzdem bleibt die Schreibweise einer kompromiss­ losen Modernität verpflichtet, sei es in den Clustern des zweiten Sat­ zes oder in der kanonischen Entwicklung des dritten. An zentraler Stelle des vierten Stücks taucht wieder der charakteristische Akkord der leeren Gitarrensaiten auf, der inzwischen fast schon zu einer Art Signatur des Komponisten geworden ist.“ (Charles K. Tomicik) Andreas Meier

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Biografie

Michael Korstick Klavier

Der in Köln geborene Pianist studierte in Hannover und Moskau, be­vor er seine Ausbildung mit einem Studienaufenthalt an der New Yorker Juilliard School abschloss. Er ist Preisträger bedeutender internatio­ naler Klavierwettbewerbe und konzertiert weltweit sowohl mit einem Repertoire von 140 Klavierkonzerten als auch mit Solowerken aus allen Epochen. Unter den mehr als 100 Orchestern, mit denen er zu­ sammengearbeitet hat, finden sich das Baltimore und das Montreal Symphony Orchestra, das National Symphony Orchestra (Washington), das Seoul Philharmonic Orchestra, das Budapest Festival Orchestra, das Royal Philharmonic Orchestra (London) und das WDR Sinfonie­ orchester (Köln). Er spielte in bedeutenden Musikzentren wie der Elb­ philharmonie in Hamburg, der Alten Oper Frankfurt, der Kölner Phil­ harmonie, dem Herkulessaal in München, dem Musikverein Wien, dem Palacio de Bellas Artes in Mexico City, dem Seoul Arts Center, dem National Center for the Performing Arts in Peking und der National Concert Hall in Taipeh. Mit mehr als 60 preisgekrönten CD-Einspielungen hat er sich einen Namen als einer der führenden deutschen Pianisten erworben. Neben seinen zyklischen Aufführungen sämtlicher Klavierkonzerte von Bar­ tók, Beethoven, Brahms, Prokofjew und Rachmaninoff setzt er sich auch für selten gespielte Werke ein und war Solist mehrerer Urauf­ führungen. Einen Schwerpunkt seines Repertoires bildet die Ausein­ andersetzung mit dem Werk Beethovens. Den Zyklus der 32 Klavier­ sonaten hat Michael Korstick vielfach öffentlich gespielt und auf CD aufgenommen, 2021 folgte eine Gesamtaufnahme der Klavierkon­ zerte mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Die Jury der International Classical Music Awards zeichnete ihn 2022 mit dem Special Achievement Award aus. Im Frühjahr 2024 erscheint seine neueste CD, für die er die beiden Klavierkonzerte von Brahms mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin eingespielt hat. 18


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HIGHLIGHTS BRUCKNER-JAHR 2024 DI 10 SEP 19:30 GROSSER SAAL Philippe Herreweghe

DI 17 SEP 19:30 GROSSER SAAL Marc Minkowski

SO 22 SEP 18:00 STIFTSBASILIKA ST. FLORIAN Thomas Hengelbrock

DO 10 OKT 19:30 GROSSER SAAL

ab 200 jahre

PHILIPPE HERREWEGHE & ORCHESTRE DES CHAMPS-ÉLYSÉES Übersteigern – Bruckners 8. Sinfonie im Originalklang

MARC MINKOWSKI & LES MUSICIENS DU LOUVRE Entgrenzen – Bruckners 6. Sinfonie im Originalklang

THOMAS HENGELBROCK & MÜNCHNER PHILHARMONIKER Bruckners f-Moll-Messe

FRANÇOIS-XAVIER ROTH & LES SIÈCLES Vergöttern – Bruckners 9. Sinfonie im Originalklang

François-Xavier Roth

Karten und Infos: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at

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VORSCHAU: Klavierrecitals in der Saison 2023/24

Elisabeth Leonskaja Von Schmetterlings- und Teufelstänzen

Sonntag, 26. Mai 2024, 18:00 Uhr Großer Saal, Brucknerhaus Linz Werke von Robert Schumann, Johannes Brahms, Josef Strauss, Frédéric Chopin, Antonín Dvořák, Franz Liszt Elisabeth Leonskaja | Klavier Martin Nöbauer | Klavier

Karten und Info: +43 (0) 732 77 52 30 | kassa@liva.linz.at | brucknerhaus.at Herausgeberin: Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH, Brucknerhaus Linz, Untere Donaulände 7, 4010 Linz CEO: Mag. Dietmar Kerschbaum, Künstlerischer Vorstandsdirektor LIVA, Intendant Brucknerhaus Linz; Dr. Rainer Stadler, Kaufmännischer Vorstandsdirektor LIVA Redaktion & Texte: Andreas Meier | Biografie: Romana Gillesberger | Lektorat: Claudia Werner Gestaltung: Anett Lysann Kraml | Leiter Programmplanung, Dramaturgie und szenische Projekte: Mag. Jan David Schmitz | Abbildungen: M. Fabricci (S. 2 [1. v. o.]), S. Pasqualetti (S. 2 [2. v. o.]), Millot (S. 2 [3. v. o.]), M. Cessat-Bégler (S. 2 [4. v. o.]), The Morgan Library & Museum, New York City (S. 7 & 9), privat (S. 11, 12 & 13), Isabella Stewart Gardner Museum, Boston (S. 15), LIFE Photo Collection, New York City (S. 16), G. Megrelidze (S. 19), M. Hendryckx (S. 21 [1. v. o.]), B. Chelly (S. 21 [2. v. o.]), F. Grandidier (S. 21 [3. v. o.]), H. Talinski (S. 21 [4. v. o.]), M. Borggreve (S. 22) Programm-, Termin- und Besetzungsänderungen vorbehalten LIVA – Ein Mitglied der Unternehmensgruppe Stadt Linz


Yumeka Nakagawa Werke von Mozart, Debussy, Schumann, Liszt und Gounod

Foto: Susanne Diesner

C. BECHSTEIN KLAVIERABEND 15. Februar 2024 · 19:30 Uhr VERANSTALTUNGSORT UND KARTEN

Brucknerhaus Linz · Untere Donaulände 7 · 4010 Linz +43 (0) 732 77 52 30 · kassa@liva.linz.at C. Bechstein Centrum Linz / Klaviersalon Merta GmbH Bethlehemstraße 24 · A-4020 Linz · +43 (0) 732 77 80 05 20 linz@bechstein.de · bechstein-linz.de


HAPPY DIAMONDS


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