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Grosser Ahornboden – elf Fragen an Magister Hermann Sonntag
Interview mit Silke Schweizer, SELVA
Herr Sonntag, was können Sie uns zur Entstehung des grossen Ahornbodens sagen?
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Das Gelände entstand durch glaziale Erosion. Ab 1200 setzte die Nutzung als Weideflächen ein, das hat eine Pollenanalyse ergeben. Dann gab es wohl ein bis zwei klimatisch bedingte Unterbrüche, und ob und wie stark der Mensch durch Nutzung daran beteiligt war, dass die Nadelhölzer verdrängt wurden, ist nicht belegt. Die Beweidung brachte durch die Düngung Bodenverbesserung und der Horizont wuchs. Da das Eis in der kleinen Eiszeit bis ca. 1800 m stand, entwickelte sich am unteren Rand ein kleiner See, aber jener ist vor ca. 5000 Jahren durchgebrochen und das war der Grund für die Auflösung.
Wer sind die Eigentümer des grossen Ahornbodens?
Das ist ganz kurios und einmalig, der Grund gehört zehn Bauernfamilien aus dem Inntal als einer privaten Agrargemeinschaft, aber die Bäume sind jeder für sich ein Naturdenkmal und sind im Besitz der Republik Österreich. Dadurch sind die Bundesforste für sie zuständig.
Warum sind es Bergahorn (Acer pseudoplatanus)? War ein Ausgangsbestand vor handen? Gleicher Genpool?
Da im Tal von Dezember bis März fast keine Sonne scheint und sich durch die Schatten auch im Herbst lange die Talfeuchtigkeit hält, war der Bergahorn wohl hier prädestiniert. Wahrscheinlich konnte der Bergahorn wegen seiner Flexibilität bei der Wurzelbildungsfähigkeit auf den Schotterkegel am besten wachsen. Die gute Wasserversorgung spiegelt auch der hohe Moos- und Flechtenartenreichtum wider. Hier gibt es den grössten bekannten Bestand an Rudolphis Trompetenmoos weltweit. Leider stehen bisher noch keine Genanalysen zu den Bergahornherkünften zur Verfügung.
Standorteigenschaften?
Hochtal mit Feuchte, Schatten, Schotterkegel der Kalkalpen als Ausgangsgestein.
Wie alt, dick, hoch ist der Methusalem vor Ort?
Es gibt nicht den einen grössten, dicksten oder ältesten Baum. Von den über 2000 Exemplaren sind viele älter als 400 Jahre und einige Ausreisser über 500 bis max. 600 Jahre alt.
Wie stark ist die Beeinflussung heute durch Alm/Viehwirtschaft?
Massiver Einfluss! Die Bauern aus dem Inntal, den Tiroler Gunstlagen, sind fünf Schnitte pro Jahr gewohnt. Durch das Laub, aber vor allem durch die Viehhaltung und die Zufütterung der Tiere erfolgt ein massiver Nährstoffeintrag. Der Bodenaufbau hat von 6 auf 10 mm zugenommen. Die landwirtschaftliche Nutzung ist hier von Restriktionen ausgenommen. Die Epiphyten sind leider durch die Düngung stark in Mitleidenschaft gezogen. Das ist auch sehr interessant, es wurden auf nur einem einzelnen Baum 101 Arten, insgesamt 80 Moose und 135 Flechten gefunden.
Rolle für den Tourismus?
Der Grosse Ahornboden ist bestimmt der Flecken im Naturpark Karwendel, der am meisten besucht wird. Vor allem die Laubfärbung im Herbst ist die Attraktion. Der Tourismus ist einerseits negativ wegen des Individualverkehrs und allem, was dieser nach sich zieht, aber es gibt auch Vorteile: Erstens subventioniert der Tourismus die Landwirtschaft quer, da die Bauern ihre Produkte vor Ort verkaufen z. B. Käse. Und zweitens lieben die Besucher
Ahornboden im Frühling.
(Bild: H. Sonntag)
ihren Ahornboden und wollen, dass es diesem gut geht. Das hat zur Folge, dass bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren (nachdem die Mautstrasse eröffnet wurde) es Kampagnen für den Erhalt des Ahornbodens gegeben hat; seit damals gibt es Baumpatenschaften.
Wie sieht das Erhaltungs- und Verjüngungsmanagement aus?
In den 1950er-Jahren hat man den Fehler gemacht und während so einer Kampagne knapp 1000 Bäume gepflanzt, jedoch anderer Herkunft, von denen viele nicht überlebt haben. Seit 2006 werden die Ergänzungspflanzungen ausschliesslich aus selbst gezogenen autochthonen Herkünften versorgt und mit Zäunen, die Freiwillige jedes Frühjahr instand setzen, geschützt. Da der Grund den Bauern gehört, braucht es für jede Pflanzung eine Erlaubnis, was aber schwieriger wird, da die EU-Subventionen in der Almwirtschaft Flächensubventionen sind. Die Landwirte haben Bedenken wegen Kürzungen der Förderungen.
Spielt die Russrindenkrankheit eine Rolle?
Bisher ist diese Gott sei dank noch nicht hier angekommen. Es gibt lediglich die Teerfleckenkrankheit auf den Blättern, aber diese ist nicht letal.
Falls Bäume gefällt werden müssen, was wird damit gemacht?
Jeder einzelne Baum ist geschützt. Auch wenn er stehend tot ist, darf man ihn nicht entfernen. Lediglich, wenn er von alleine umfällt, wird er von der Weide geräumt und der eine
Ahornboden im Sommer.
(Bild: H. Sonntag)
oder andere Besucher nimmt sich ein Andenkenstück mit nach Hause.
Gibt es eine besondere Geschichte?
Es gibt einen Briefwechsel, in dem der Tiroler Landeshauptmann an den zuständigen Hofrat schreibt, dass eine deutsche Reisegruppe fragen liesse, was denn die Ursache für das ruinenhafte Aussehen der Bäume sei. Auch damals hat der Tourismus schon direkten Einfluss genommen. Es gibt weitere Schriften über den Ahornboden. Franz Straubinger und ich haben 2014 das Buch «Grosser Ahornboden. Eine Landschaft erzählt ihre Geschichte» im Berenkamp Verlag herausgebracht. Und es gab die Dissertation «Bergahornweiden im Alpenraum, Kulturgeschichte und Biodiversität» von Kibacher, Bergamini, Scheidegger und Bürgi, 2018 erschienen im Haupt Verlag. Es gibt auch noch den Kleinen Ahornboden. Er ist nicht mit dem Auto erreichbar, liegt etwas oberhalb und ist bei Wanderern und Mountainbikern sehr beliebt. Dort stehen nicht so viele Bäume.
Factsheet Grosser Ahornboden
– Engtal, Fläche gehört zu Österreich, Zufahrt nur über Deutschland möglich – 265,62 km², >2400 Bergahorne – seit 2009 im Naturpark Karwendel, seit 1989 Landschaftsschutzgebiet – 1080 bis 1300 m Höhe, Almwirtschaft, Viehweide