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an der Waldgrenze

Überlebensstrategie durch vegetative Verjüngung an der Waldgrenze

Fichte ist nicht gleich Fichte. Die Baumart besticht durch eine überdurchschnittliche genetische innerartliche Vielfalt. Dies widerspiegelt sich nicht nur in ihrem äusseren Erscheinungsbild, sondern auch in ihren Fähigkeiten, sich auf allen erdenklichen Standorten in den unterschiedlichsten Höhenstufen zu behaupten.

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Jürg Hassler

Eine dendrologische Betrachtung am Beispiel der Fichte (Picea abies) und einen Beitrag zur Gebirgswaldökologie. Nicht nur die sehr unterschiedlichen Baumformen sind es, die diese Art hervorbringt und die uns immer aufs Neue staunen lassen. Die Fichte hat ebenso die Fähigkeiten, sich an die verschiedenen Standortfaktoren anzupassen und sich mit ihren genetischen Fähigkeiten Lebensräume zu erschliessen, die anderen Baumarten vorbehalten bleiben. Sie ist Meisterin darin, sich bis auf Grenzstandorte vorzuwagen und sich dort auch zu halten. Hier allerdings mit begrenztem Wachstum, was heisst, dass sie auf diesen Standorten sehr alt werden kann. Ein solcher Grenzstandort ist auch die Baumgrenze am Übergang zur alpinen Zone des Hochgebirges. Naturgemäss sind die Lebensbedingungen für Pflanzen unter und an der oberen Baumgrenze besonders anspruchsvoll. Vor allem die Vermehrung und Verbreitung der Baumpopulation stellt unter den zum Teil widrigen Standortfaktoren besondere Anforderungen an die Bäume. So geschieht in dieser Höhenlage die Ausbreitung der Fichte nicht nur über die Samen, sondern auch vegetativ über die Äste.

Verjüngungsökologie der Fichte auf subalpinen Standorten

Der subalpine Fichtenwald zeichnet sich durch eine überaus reiche Strukturvielfalt aus. Neben geschlossenen bis lockeren Beständen sind in dieser Höhenlage natürlicherweise auch Rotten vorhanden. Diese Wald- oder Bestandesform ist besonders an die Standortfaktoren im Gebirge angepasst. Durch ihren Aufbau sind sie widerstandsfähig gegen diverse biotische und abiotische Faktoren und stellen sicher, dass der gesamte Waldgürtel in dieser Zone in sich stabil bleibt. Fichtenrotten haben eine von unten bis oben durchgehend grüne Krone und setzen sich aus mehreren Baumindividuen zusammen. Diese einzelnen Bäume, die in

Abb.1: Fichtensamen werden in Massen in Vertiefungen in der Schneedecke geweht, was an geeigneten Orten zu Rottenbildung führen kann. (alle Bilder: J. Hassler)

einer Rotte vorkommen, können miteinander verwandt sein oder auch nicht. Meist entstehen solche Rotten generativ an verjüngungsfreundlichen Orten, zu denen der Samen durch die Herbst- und Winterwinde hingetragen wird (Abb. 1). So um alte Stöcke, umgestürzte Bäume, um Steine, um Bodenerhebungen usw. Diese bieten ein besonders günstiges Mikroklima für die Ansamung sowie den An- und Aufwuchs. Besonders günstig heisst, dass die Ansamungsstellen im Frühjahr früh ausapern und durch die Sonne genügend Licht und Wärme erhalten. Es entsteht ein kleines, in sich abgeschlossenes Baumkollektiv mit einzelnen genetisch unterschiedlichen Baumindividuen. Es bildet sich ein Mikrobestand, in dessen Geschlossenheit sich ein eigenes Bestandesklima entwickelt.

Das Phänomen der vegetativen Vermehrung

Durch die Rotten- oder Baumstruktur kann sich die Fichte auch vegetativ vermehren. Dieses Phänomen ist grundsätzlich bekannt, wird aber sehr selten beobachtet und beschrieben. Die Voraussetzungen für eine vegetative Vermehrung der Fichte sind dann gegeben, wenn die untersten, herabhängenden, grünen und noch gut mit Nährstoffen versorgten Äste den Boden berühren. Durch die zunehmende Länge und ihre Last mögen sie sich nicht mehr in der Luft zu halten. Dabei legen sie sich im Laufe der Zeit auf den Boden. Dies alleine reicht jedoch nicht, um spontan an Ästen Wurzeln zu bilden. Der Bodenkontakt muss über mehrere Jahre bestehen. In dieser Zeit werden die meist dicken (3–6 cm) Äste mit einer mächtigen Streuschicht aus Nadeln und abgestorbener Bodenvegetation (Rohhumus) z. B. Reitgras (Calamagrostis sp.) oder Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) bedeckt. Die oberen Kronenteile verhindern, dass ungehindert Niederschlagswasser zu den überwachsenen und zugedeckten Astteilen gelangt. Es fehlt die ausreichende Feuchtigkeit. Daher dauert es oft Jahre bis sich unter der Astrinde Wurzeln bilden. Die Wurzelbildung erfolgt wahrscheinlich durch Adventivknospen. Das heisst, Knospen werden spontan aus kambialem Gewebe gebildet. Die jungen Klone werden fortwährend mit Nährstoffen und Wasser über den Mutter- oder Vaterbaum versorgt. Sie profitieren von ausreichenden Nährstoffen und Wasser über die Wurzeln und Assimilaten aus der Krone des Mutterbaums. Dies sichert grundsätzlich das Aufkommen der Verjüngung durch diese Strategie. Dadurch sind sie während des Aufwuchses bedeutend weniger Risiken ausgesetzt. Durch die Verbindung zum Mutter- oder Vaterbaum wird auch die Wurzelbildung unterstützt. Die neuen Wurzeln werden anfangs durch den Saftstrom des Altbaums versorgt und genährt.

Abb.2: Ein bewurzelter Ast stellt sich auf, um zu einem eigentlichen Stamm (Ramete = klonaler Einzelstamm) heranzuwachsen. Auf dem Ast hat sich ein Einzelbaum aus einer schlafenden Knospe entwickelt (Reiteration). Wer von beiden übernimmt hier die Leittriebfunktion (Apikaldominanz)?

Abb.3: 14 Rameten (klonale Einzelstämme), die sich nach der Trennung vom Mutter- oder Vaterbaum, dem Stock rechts, selbstständig weiterentwickelt haben. Abb.4: Ein bewurzelter Ast der abgestorbenen Fichte auf 1820mü.M. wächst zu einem Baum heran.

Dies sichert eine ungestörte, kontinuierliche Wurzelballenbildung. Sind die Wurzeln leistungsfähig genug, erschliessen sie selbstständig Wasser und Nährstoffe aus tieferen Bodenschichten. Wenn sich die Äste unter der Baumkrone auf dem Boden nach aussen schieben und die Triebe kräftiger, dichter und buschiger wirken als die Triebe an höher liegenden Ästen, sind dies die ersten Anzeichen einer Wurzelbildung an den «Absenker». Das heisst jedoch nicht, dass kurz darauf auch ein neuer, klonaler Baum entsteht. Erst mit der Zeit beginnen sich die horizontal ausgerichteten Äste mit der Astspitze vom Boden zu lösen und sich langsam aufzurichten (Abb. 2). Der Endtrieb des Astes wandelt sich in dieser Zeit von einem typischen Seitentrieb zu einem aufrechten Terminaltrieb (Baumspitze) um. Dieser Prozess dauert circa drei bis fünf Jahre. Vereinzelt kann auch beobachtet werden, dass aus einem Ast eine schlafende Knospe austreibt und diese von Anfang an als vertikale Stammachse heranwächst (Reiteration). Die jungen Bäume wachsen anschliessend im äussern Kronenbereich im Schutz des Rottenmantels empor. So kann sich die Fichtenrotte durch die Altbäume im Innern und über die Äste nach aussen vegetativ erneuern und verjüngen. Es entsteht aus einem Einzelbaum eine kegelförmige Rotte aus mehreren Stämmen. Mit den Ablegern kann ein Baum seine gesamten genetischen, an die Umgebung angepassten Erbeigenschaften an eine kommende Generation weitergeben. Es entsteht eine klonale Rotte, die aus Baumindividuen besteht, die alle genetisch identisch sind. Durch die Fähigkeit Absenker zu bilden, kann davon ausgegangen werden, dass die Genetik

Abb.5: Diese niedrige Fichtenrotte an der Baumgrenze (2180mü.M.) versucht mittels vegetativer Vermehrung zu überleben. Die fehlenden Nadeln im oberen Kronenbereich sind durch die Frostrocknis abgestorben.

mit den Standortfaktoren in einem idealen Zusammenhang steht. Das so an den Standort angepasste Erfolgsmodell kann unverändert weitergegeben werden. Würden die Gene auf generativem Weg über Bestäubung und Samenbildung mit anderen Erbanlagen gemischt, beginnt die Auslese auf den Standorten erneut. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die nächste Generation durch biotische oder abiotische Faktoren einer Auslese unterworfen ist. An der Baumgrenze ist Verjüngung über vegetative Vermehrung eine geeignete Strategie, den Baumbestand längerfristig halten zu können. Dort, wo die jungen beziehungsweise kleinen Bäume nicht mehr durch die Schneedecke geschützt sind und die höheren Baumteile über die Schneedecke ragen, sterben diese immer wieder durch die Frosttrocknis ab oder werden durch die Schneemechanik niedergedrückt. Durch die Bewurzelung der Äste ergibt sich ein grösserer Wurzelballen. Dieser bietet der Rotte die nötige Standfestigkeit. Auf Standorten mit langsamen Schneebewegungen (Gleiten und Kriechen) ist es besonders wichtig, dass die neuen Stämmchen desselben Klons (Rameten) im Schutze der bereits bestehenden Rotte heranwachsen können. Je mehr Klone aus der Rotte hervorgehen, umso widerstandsfähiger wird diese. Wenn Äste aufgerichtet werden, wachsen die Bäumchen sehr schnell über die Schneedecke und können dann auch nicht mehr durch Pilze wie dem schwarzen Schneeschimmel (Herpotrichia juniperi) zum Absterben gebracht werden. Ob überhaupt und wie lange es dauert, bis sich ein einzelner Klon vom Mutter oder Vaterbaum löst, ist nicht bekannt. Stirbt der Mutter oder Vaterbaum, ist der Klon imstande, schon in sehr jungem

Stadium, selbstständig weiterzuleben und seine Funktion in der Rotte zu übernehmen (Abb. 3 und 4). Gleichzeitig profitiert er von den vorhandenen Strukturen, bis der Altbaum zusammenbricht. In dieser Zeit sind die klonalen Stämmchen im Schutz des toten Baums vor Schneedruck, -gleiten oder -kriechen geschützt. So kann sich eine Rotte über mehrere Jahrhunderte aus einem einzelnen Individuum fortlaufend verjüngen und erneuern, ohne dass der Gesamtbestand in eine kritische Phase mit fehlender Verjüngung hineinwächst (Abb. 5).

Fazit

Offensichtlich macht es Sinn, sich im Gebirgswald vegetativ zu vermehren. Zwar geht man davon aus, dass klonale Vermehrung zu einer genetischen Verarmung einer Art führen kann. Doch erhöht eine vegetativ vermehrte Rotte die Überlebensdauer eines ursprünglichen Einzelindividuums beziehungsweise aller Rameten dieses Klons zusammen. Gerade in Kombination mit über lange Zeiträume gelegentlich erfolgender generativer Vermehrung ist die vegetative Vermehrung an der Baumgrenze eine erfolgreiche Strategie. Wenn man sich die ausgedehnten, auf natürlichen Standorten stockenden Fichtenbestände und die genetische Vielfalt innerhalb der Baumart Fichte im Gesamten anschaut, relativiert sich auch die Befürchtung um die genetische Verarmung wieder.

Jürg Hassler ist Förster und arbeitet beim Amt für Wald und Naturgefahren.

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