6 minute read

Bergahorn im Safiental

Next Article
Editorial

Editorial

Ein wildromantisches, abgelegenes Seitental, Naturgefahren allgegenwärtig und eine besondere Besiedlungs- und Erschliessungsgeschichte. Und dort stehen Uralt-Bergahorne und trotzen Wind, Wetter und Menschen. Mit einer kleinen Nachforschung wird in der Folge versucht, eine Begründung für diese besonderen Safientaler Bergahorne zu finden.

Ch. Buchli

Advertisement

Das Safiental ist ein von Süden nach Norden ausgerichtetes, lang gestrecktes, wildromantisches Tal. Von den ersten Häusern in Z’Hinderst (ganz hinten im Tal) auf 1808 m ü. M. bis zur Mündung der Rabiusa in den Vorderrhein unterhalb Versam auf 620 m ü. M. sind es rund 25 Kilometer. Wenn man auf der Kantonsstrasse in Versam in Richtung Safien abzweigt, fällt einem sehr schnell die Steilheit, die schroffen Felsformationen – die Wildheit und Abgeschiedenheit des Tals auf. Die schwierige geologische Situation mit ständigen Rutschungen im Bündnerschiefer und die zahlreichen tief eingeschnittenen Tobeln sind augenscheinlich und man kann sich leicht vorstellen, wie anspruchsvoll, streng und auch gefährlich das Leben der Menschen in diesem Tal war und immer noch ist. Naturgefahren wie Rüfen, Rutsche, Lawinen, Hochwasser und Steinschlag sind in diesem Tal allgegen wärtig. Auf der engen Strasse kommt man nicht wie gewohnt schnell voran und so hat man das Gefühl, dass das Tal nicht enden will. Gleichzeitig fängt jedoch der eigene Puls an, langsamer zu schlagen und automatisch kommt man der Natur, den Grundwerten des Lebens näher. Dem versierten Beobachter fällt schnell auf, dass die Lärche im Safiental relativ häufig vorkommt. Weiter fallen einem zwischen Egschi bis nach Safien Platz auch grosse, zum Teil uralte und imposante Bergahorne auf – in der heutigen Zeit als wertvolle Habitatsbäume bezeichnet – die man so hier nicht unbedingt erwartet hätte (Abb. 1). Vor allem in Safien Platz können diese Ahorne heute sogar als besonderes Element des Ortsbilds bezeichnet werden. Warum hat es hier solch beson

Abb.1: Imposanter Bergahorn – ein wertvoller Habitat-

baum. (Bild: Ch. Buchli)

dere Ahorne? Hatten die Bergahorne im Safiental eine besondere Bedeutung? Was für Ansprüche an den Standort hat der Bergahorn eigentlich? Kurz gesagt, hat der Bergahorn eine sehr breite ökologische Amplitude und kommt in ganz Europa vor. Er meidet stark saure und nährstoffarme Böden und bevorzugt eine stabile Wasserversorgung und KalkHangschuttböden. Der Bergahorn kann sich natürlich gut verjüngen, ist in der Jugend raschwüchsig, kann als winterhart bezeichnet werden und bildet eine tief wurzelnde Herzwurzel aus. Im Waldbau dient er als wertvolle Mischbaumart auch zur Bodenverbesserung und zur Erhöhung der Biodiversität im Wald. Aus standortkundlicher Sicht ist das Safiental also für den Bergahorn gut bis sehr gut geeignet.

Die Geschichte

Um die Bedeutung der Bergahorne im Safiental zu erkennen, muss man in der Geschichte etwas weiter zurückschauen. Um 1300 begannen die Walser vom Rheinwald her über den Safierberg ins Hintere Safiental einzuwandern und liessen sich von den anspruchsvollen klimatischen und geologischen Bedingungen nicht abschrecken. Die Walser kamen in einzelnen Sippen ins Tal und kolonisierten das bisher nicht genutzte Gebiet. Die Grundherren, die Herren von Vaz, boten den Walsern grosszügige Niederlassungsbedingungen und Rechtsfreiheiten an. Die aufgelockerte Besiedlungsform in einzelne Höfe und die extensive Bodennutzung durch Viehzucht, bei der jeder Betrieb eine grosse Bewirtschaftungsfläche benötigte, ergab eine relativ grosse Distanz zwischen den Wohnhäusern. Schrittweise eroberten sich die Walser durch Rodungsarbeit das nötige Land und schliesslich schlossen sich mehrere Betriebe zu einem Hof zusammen. Zu einem Hof gehörten nebst den Gebäuden auch die zu jedem Betrieb zählenden Wiesen, Felder und die gemeinsam genutzten und verwalteten Allmenden und Alpweiden. Fusswege und Trampelpfade für Mensch und Vieh waren im Safiental traditionell die vorherrschende Wegform. Nebst den bäuerlich genutzten Verbindungen zwischen Hof, Stall und Alp hatte man Schul und Kirchwege als Verbindungen zwischen den einzelnen Siedlungen sowie einige wenige Routen, die das Tal durchzogen und es über die Pässe mit der Aussenwelt verbanden. Alle Wege waren primär Fusspfade, und selbst nach Eröffnung der Fahrstrasse Ende des 19. Jahrhunderts waren Fahrzeuge im Safiental eine absolute Ausnahme. Diese Abgeschiedenheit führte dazu, dass Güter mittels Säumer ins Tal transportiert wurden. Zu der Zeit wurde noch kein Stroh ins Tal geführt. Als Einstreu in den Ställen im Winter diente vor allem das Laub des Bergahorns und dies bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Johann Buchli, pensionierter Landwirt aus Safien Platz, kann sich noch daran erinnern, wie sie als Buben das trockene Laub des Bergahorns zusam

Abb. 2: Bergahorn in Safien Platz. (Bild: D. Buchli)

menrechten und in den Stall brachten. Im Stall wurde es anstelle von Stroh zur Einstreu verwendet. Bereits zum Voraus wurde abgemacht, welcher Ahorn welchem Bauer zugeteilt wurde. Zum Teil wurden sogar die Hälften unter dem Ahorn aufgeteilt und so war klar, welches Laub in welchen Stall gebracht wurde. Um genügend Laub für den Winter zu ernten, gab es häufig um die Ställe, Höfe oder auf den Heimweiden grosse Bergahorne, welche gehegt und gepflegt wurden (Abb. 2). Johann Buchli kann sich auch gut daran erinnern, wie sie die Kühe auf den Heimweiden unter den schönen, Geborgenheit ausstrahlenden Ahornen gehütet haben. Für das Ahornlaub als Einstreu spricht auch die Tatsache, dass das Laub sich gut zersetzt und verrottet und so zusammen mit dem Mist bereits im ersten Frühjahr als erstklassiger Dünger verwendet werden konnte.

Ein Kulturgut

Betrachtet man die Karte des Safientals, so findet man heute noch Lokalbezeichnungen, welche auf den Ahorn hinweisen. Zum Beispiel der Ahorawald und das Ahoratobel in Salpänna, Güner Ahora oder bi dä Ahora. Auch das Holz des Ahorns wurde und wird im Safiental geschätzt. Da es das einzige Hartholz im Tal war, wurden daraus Möbel wie Stühle und Tische hergestellt. Auch zum Drechseln ist das Ahornholz ein wunderbarer und sehr geeigneter Rohstoff. Und weil das Holz hart, beständig und leicht ist, wurde es sogar beim Bau von Schlitten verwendet. Die meisten Bauern hatten als Reserve immer ein Paar Ahornbretter auf Lager. So können wir nachvollziehen, dass der Bergahorn im Safiental eine besondere Bedeutung hatte. Heute sind die schönen Ahorne vor allem ein Kulturgut und für die Bewohner, vor allem im Herbst eine Bereicherung und Augenweide. Um den Bergahorn im Safiental zu erhalten und zu fördern, wurden bereits bei einigen Waldrandpflegearbeiten schöne ZukunftsBergahorne geschont und freigestellt. Ein weiteres interessantes Projekt wurde in der Grafa gestartet, wo entsprechend dem Vorbild der Ahornweidwälder Ahornboden im Karwendel im Tirol, auf einer Weide Bergahorne gepflanzt und geschützt wurden. Das Ziel ist ein MiniAhornboden zu begründen und die Ahorne im Safien auch in der Zukunft zu erhalten. Der Ahorn ist neben Rohstofflieferant auch ein schöner um nicht zu sagen sympathischer Baum und steht den Safientalern nahe. Man weiss ja, dass Menschen, welche nahe an und mit der Natur leben, auch zu Aberglauben neigen. Dies ist sicher auch bei Berglern so. Darum ein kurzer Exkurs, um eine weitere Bedeutung des Bergahorns aufzuzeigen. Elisabeth Morgenstern schreibt in einem Artikel, dass der Ahorn ein Zeichen für Harmonie und die Vereinigung von Gegensätzen ist. Er soll Ruhe und Gelassenheit schenken und die Gedanken klären. Ausserdem wurde ihm nachgesagt, dass er Hexen und allerlei böse Geister vertreiben und sogar bösen Zauber abwehren könne. Selbst vor Blitzeinschlägen soll der Ahorn schützen. Neben dieser mythologischen Bedeutung hat der Bergahorn immer auch Maler und Dichter inspiriert. Vielleicht entdecken die Künstler, welche seit ein paar Jahren die Art Safiental mit interessanten Projekten gestalten, auch einmal den Bergahorn als Kunstobjekt. Bis dahin und zu guter Letzt soll ein kurzes und schönes Gedicht vom deutschen Theologen Jürgen Wagner eine anregende Brücke dazu schlagen.

Ahorn

Schönheit, Mass und Symmetrie Die Kraft der Mitte, Harmonie Originell sind Blatt und Samen Fast jedes Kind kennt seinen Namen Kommst Du einmal in eine Not Geh hin zu ihm – und komm ins Lot!

Christian Buchli ist Regionalforstingenieur und Waldbiodiversitäts-Spezialist bei der Region Surselva.

Literaturverzeichnis auf www.buendnerwald.ch

This article is from: