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Graubünden

Neue Möglichkeit zum Schonen von Habitatbäumen in Graubünden

Die Instrumente für die Förderung der Biodiversität im Wald sind mit dem «Habitatbaumkonzept Graubünden» vervollständigt.

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V. Sala, Dr. M. Vanoni

Biodiversitätsförderung im Wald ist eine tägliche Aufgabe, welche bei jedem Eingriff im Sinne der Multifunktionalität berücksichtigt werden soll. In Graubünden werden zusätzlich seit Langem auch anhand von gezielten Instrumenten wie Natur- und Sonderwaldreservaten, Altholzinseln oder Eingriffen in WNO-Objekten (Waldnaturobjekten) und WEP-Objekten (Waldentwicklungsplan) Flächen gefördert und/oder geschont. Seit 2020 ist nun mit der Einführung der Richtlinie zum Einrichten und Schonen von Habitatbäumen das Instrumentarium für mobile und auch standortgebundene Arten vervollständigt worden (Abb. 1). Habitatbäume und Altholzinseln sind in der Tat zentrale Elemente bei der Vernetzung von Natur- und Sonderwaldreservaten.

Abb. 1: Vernetzung zwischen Naturwaldreservaten, Altholzinseln und Habitatbäumen (Lachat et al. 2019). Ausgangslage

Derzeit sind rund 9Prozent aller Waldarten gefährdet (Rigling und Schaffer 2015) und fast die Hälfte der holzbewohnenden Käferarten sind bedroht (BAFU 2017). Hauptursachen sind die ökologischen Defizite der Schweizer Wälder, welche unzureichende Mengen und Qualitäten an Alt- und Totholz, Mangel an alten Bäumen und das Fehlen der Zerfallsphase aufweisen (BAFU 2017). Die Vollzugshilfe zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt im Schweizer Wald (Imesch et al. 2015), welche klare und spezifische Zielvorgaben und Vollzugsanweisungen für die Erhaltung der Biodiversität im Wald festlegt, bezeichnet als Hauptinstrumente für die Förderung von Alt- und Totholz die Einrichtung von Waldreservaten, Altholzinseln und Habitatbäumen. Aus diesen Gründen strebt der Bund als nationales Handlungsziel bis 2030 drei bis fünf Habitatbäume pro Hektare an (ausserhalb des Schutzwaldes, bestehenden Waldreservaten und anderen Biodiversitätsförderflächen).

Definitionen von Habitatbäumen

Die Habitatbäume können ganz unterschiedlich definiert werden.

Abb. 3: Kandelaberbuche mit (unter anderem) einem Mikroboden (Typ), Teil der Gruppe Mikroböden und der Form

«Epiphytische, epixylische und parasitische Strukturen». (Bild: AWN)

Die ökologische Definition legt die allgemeine Definition von Habitatbäumen fest und lautet wie folgt: «Habitatbäume sind lebende oder tote stehende Bäume, die Mikrohabitate für spezialisierte Arten anbieten, wie zum Beispiel Baumhöhlen mit Mulm für Käfer oder Risse im Holz für Fledermäuse.» (Bütler et al. 2013, 2019, Larrieu et al. 2018). Das Bundesamt für Umwelt BAFU (BAFU, 2015) hat Habitatbäume (Biotopbäume) wie folgt beschrieben: Laubbaumarten mit einem minimalen Brusthöhendurchmesser (BHD) von 50 cm und Nadelbaumarten mit einem minimalem BHD von 70 cm, welche mindestens ein ökologisches Qualitätsmerkmal (Baummikrohabitat) aufweisen. Die Förderung von Habitatbäumen im Kanton Graubünden berücksichtigt mit folgenden Unterschieden grundsätzlich die Vorstellungen des BAFU: – Es werden nur lebende Habitatbäume finanziell unterstützt. – Ein Habitatbaum muss einen minimalen BHD (Abb. 2) und mindestens ein Baummikrohabitat aufweisen.

Baumart BHDmin [cm]

50 60 80

Fichte und Lärche

Übrige Laub- und Nadelhölzer

Eiche X X X

Abb.2: Minimaler BHD nach Baumarten, x=minimaler BHD.

– Habitatbäume werden nur in Fokusflächen oder mit gesichertem Vorkommen von gefährdeten

Arten unter Vertrag genommen.

Baummikrohabitate

Um eine einheitliche Aufnahme von Habitatbäumen zu ermöglichen, haben Experten aus Europa einen Katalog der Baummikrohabitate erarbeitet (Bütler et al. 2020). Der Katalog ist strukturiert in sieben obere Grundformen, basierend auf morphologischen Eigenschaften, die für die Biodiversität relevant sind: 1. Höhlen im weiteren Sinn 2. Stammverletzungen und freiliegendes Holz 3. Kronentotholz 4. Wucherungen 5. feste und schleimige Pilzfruchtkörper 6. epiphytische, epixylische oder parasitische

Strukturen 7. Ausflüsse Die 7 Grundformen werden in 15 Gruppen unterteilt, welche wiederum in 47 Typen eingeteilt werden (Bütler et al. 2020, Abb. 3).

Fokusflächen

Habitatbäume sind nicht nur selbstständige kleinräumige Habitate, sie fördern auch den Austausch von Individuen zwischen Populationen (Lachat et al. 2019). Isolierte Habitatbäume sind also nicht immer sinnvoll, meistens nur für die Förderung von mobilen Arten. Mobile Arten können nur limitierte Strecken in einem Mal begehen, die räumliche Verteilung von Habitatbäumen soll auch berücksichtigt werden. Um diese Vernetzungsfunktion zu berücksichtigen, wurden Fokusflächen berechnet/modelliert, welche in der Regel jährlich aktualisiert werden. Die Fokusflächen sind eine modellhafte Vorstellung von geeigneten Vernetzungskorridoren, welche bei der Beurteilung von Habitatbäumen berücksichtigt werden soll. Wie jedes Modell ist es eine Vereinfachung der Realität, es muss also auch als solches betrachtet und verwendet werden (Abb. 4).

Die Fokusflächen sind wie folgt zusammengesetzt:

– Vernetzungskorridore zwischen Naturwaldreservaten, potenziellen Naturwaldreservaten (gemäss WEP2018+), Altholzinseln und dem Schweizerischen Nationalpark mit einer maximalen

Distanz von 5 km und einer Breite von 1 km – Pufferzonen mit einem Abstand von 500 m rund um bestehende Reservate (Naturwaldreservate,

Sonderwaldreservate, Altholzinseln, potenzielle

Naturwaldreservate gemäss WEP 2018+ und der

Schweizerische Nationalpark) – Sonderwaldreservate Im Prinzip werden Habitatbäume nur in Fokusflächen unter Vertrag genommen. Habitatbäume, welche die Anforderungen an BHD und Mikrohabitate erfüllen und auf welchen besonders schützenswerte oder gefährdete Waldzielarten vorkommen, können ausnahmsweise auch ausserhalb von Fokusflächen unter Vertrag genommen werden. Als Grundlage dient die Liste der National Prioritären Waldzielarten (BAFU 2019).

Ziele des Konzepts

Mit dem Konzept will man einerseits hochwertige Habitatbäume fördern und schonen, anderseits will man die bestehenden Instrumente (Reservate und Altholzinseln) Inwertsetzen und Vernetzen.

Abb.4: Fokusflächen 2020.

Die Qualität und die Räumlichkeit stehen im Vordergrund.

Erfassung und langfristige Sicherung

Habitatbäume müssen langfristig und eigentümerverbindlich gesichert werden. Nach Vorgaben des Bundesamts für Umwelt (BAFU 2018) sollen Habitatbäume (wo immer möglich) bis zum Zerfall stehengelassen werden. Falls ein Habitatbaum gefällt werden muss (z. B. aus Sicherheitsgründen), ist der Waldeigentümer verpflichtet, diesen als liegendes Totholz im Bestand zu belassen. Zusätzlich ist ein lebender Habitatbaum als Ersatzbaum zu bezeichnen. Bei der Erfassung von Habitatbäumen, welche mit der Smartphone-Applikation HabiApp erfolgen muss, müssen mindestens die folgenden Informationen erfasst werden: – Koordinaten – Baumart – BHD – vorhandene Baummikrohabitate, codiert nach dem Baummikrohabitate-Katalog (Bütler et al. 2020) – Fotos von Baummikrohabitaten – pro Habitatbaum, welcher unter Vertrag genommen wird, erhält der Waldeigentümer

CHF 500.–

Viola Sala ist technische Sachbearbeiterin beim Amt für Wald und Naturgefahren.

Dr. Marco Vanoni leitet im Amt für Wald und Naturgefahren seit 2016 den Bereich Schutzwald & Waldökologie.

Literaturverzeichnis auf www.buendnerwald.ch

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