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Klemmschnitt

«Wir sitzen alle im gleichen Boot» – diese Floskel höre ich immer wieder. Als 1968 der erste Mensch die Erdkugel als Ganzes fotografierte,rückte das Bild des «Raumschiffs Erde» ins kollektive Gewissen. Aus einem kleinen Boot wurde ein riesiges Raumschiff. Das Bild versinnbildlicht bis heute, wie alles zusammenhängt, wie begrenzt unsere Ressourcen sind und wie verletzlich unser Dasein ist. Als der Bundesrat am Freitag, 13. März, das öffentliche Leben weitgehend lahmlegte, hatte ich erste Bilder im Kopf, was der Schweiz drohen könnte. Die erste Woche im kleinen Boot weckte bei mir auch eine romantische Seite. Ich glaubte daran, wie wir als Gesellschaft vielleicht näher zusammenrücken. In unserem Wohnhaus in Zürich entstand eine Whatsapp-Gruppe und die Nachbarschaftshilfe wurde damit hochgefahren. Ich sah plötzlich Bilder von Delfinenin den Kanälen von Venedig und hörte von Kindern in China, die erstmals den blauen Himmel sahen. Geschwätzige Politiker überboten sich erst mit Forderungen, ehe sie sich in erstaunlicher Einigkeit wiederfanden. Herr Koch vom BAG erlangte schnell nationale Bekanntheit und wurde bereits als Schweizer des Jahres gehandelt. Als das Klopapier in Zürich ausging, trübte dies meine Romantik noch nicht. Der Coop in Landquart hatte noch genügend. Diese Reise war auch nicht umsonst, denn im Büro nebenan stand ein verwaister Grossbildschirm, der im Homeofficebesser gebraucht wurde. Dies war mein Start in diese Krise. Was bereits heute mit Bestimmtheit gesagt werden kann, ist, dass unsere Arbeitsweise zwangsläufi über den Haufen geworfen worden ist. Das AWN wurde im letzten Jahr mit den technischen Möglichkeiten für Homeoffice ausgerüstet. Auslöser waren neue Bedürfnisse der Mitarbeitenden und wohl auch das Grossprojekt Synergia. Statt gelegentlichem Homeoffice,galt ab sofort, zu Hause zu bleiben. Was mit der Zerschlagung der Kreisforstämter aufgelöst wurde, erlangt ein sonderbares Comeback. Die Regionalforstingenieure sind nach 20 Jahren zurück im Heimbüro. Auch das Kreisforstamt 21 wird hochgefahren – neu in der Stadt Zürich. Statt Förster auf Besuch mit sich gleichenden Problemen besucht mich ein Dreikäsehoch im Halbstundentakt mit derselben Frage «Allo Bappi, immerno affa?» Das Verschmelzen von Familie und Beruf ist eine interessante Erfahrung. Schlagartig wird aber auch klar, dass einem die geschätzten Teamkollegen mehr fehlen als gedacht. Gleichzeitig kann ich mir ein besseres Bild davon machen, wie dies wohl war als einsamer Kreisförster in einer Aussenstelle. Was mich momentan am meisten erstaunt, ist, wie schnell wir uns an neue Situationen gewöhnen. Plötzlich ist es normal, vor der Post eine 50 m lange Schlange zu sehen, in der Migros Menschen mit Masken zu begegnen und durch surreale Geisterquartiere zu wandern. Die Romantik ist verflogen.Und auch das neue Arbeiten von zu Hause aus wurde schnell Alltag. Telefonkonferenzen sind eine Selbstverständlichkeit und die Chats laufen heisser als sonst. Nun, was bleibt von diesem sehr eigenartigen Start ins neue Jahrzehnt? Niemand weiss es. Für mich ist es aber der grösste kollektive Klemmer, den ich je erlebt habe, seit ich auf diesem Raumschiff Erde bin. Ob wir uns Anfang Juni in Ilanz wirklich versammeln, steht noch in den Sternen. Ich hoffe es – es wäre ein besonderer Moment, wo wir uns viel zu erzählen hätten über diesen Ausnahmezustand. Wir werden sehen. Aber vorerst: allen gute Gesundheit!

Sandro Krättli

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