Camenzind #1

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Impressum Herausgeber: Benedikt Boucsein, Axel Humpert, Tim Seidel Anschrift: Benedikt Boucsein, Gsteigstr. 31, CH-8049 Zürich camenzind@bhs-arch.com http://www.bhs-arch.com Camenzind erscheint vierteljährlich und ist bei den Herausgebern sowie Autoren erhältlich. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Photographien kann keine Haftung übernommen werden. Rücksendung nur bei Rückporto. Die Verwertungsrechte an den Beiträgen liegen bei den Autoren. Nachdruck der Texte nur mit Genehmigung der Urheber und mit Quellenangabe. Nachdruck der Zeichnungen/Photographien nicht gestattet.

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Hochleistungsschaum Editorial zur ersten Ausgabe

Camenzind soll ein Forum sein, um Meinungen auszutauschen. Das mag sehr banal und dahergesagt klingen, stellt aber, glauben wir, eine schwere Herausforderung und kaum praktizierte Tätigkeit dar. Wir leben zwar in einer Demokratie, und jeder kann machen, was er will, aber merkwürdigerweise ist es den meisten Leuten peinlich geworden, wirklich ernsthaft zu diskutieren. Besonders über Grundsätze. Unsere Wissensgesellschaft mit Massen von Akademikern ist keine Gesellschaft von Intellektuellen geworden. Diskussion, die dauernde Beschäftigung mit dem Grundsätzlichem und dessen Nuancen, das Aufstellen und selbstständige Bearbeiten von eigenen Thesen, eine aktive und reflektierte Entwicklung der Persönlichkeit sind immer noch so selten wie vor hundert Jahren.

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Geschwindigkeit der Entwicklung

Wir haben uns lange überlegt, wie wohl das Vorwort zur ersten Ausgabe von Camenzind aussehen muss. Provokante Statements zur gegenwärtigen Lage der Architektur? Angriffslustige Spitzen gegen andere Zeitschriften, gegen Institutionen und gegen unsere Skeptiker? Oder wüste Thesen über Sein und Nichtsein unserer Zunft? Im Endeffekt aber hätte das alles wenig Sinn gemacht. Camenzind befindet sich am Anfang, Diskussion und Ausrichtung sollen sich entwickeln. Und an Überlegungen zur Gegenwärtigkeit der Architektur sind schon ganze Ausgaben der archplus gescheitert. Doch eine Spitze? Eher eine Feststellung. Es ist keine große Neuigkeit, dass wir in einer Zeit der Verwirrung leben. Dass die Branche in einer großen Krise ist. Wie die Ökonomie überhaupt. Und weite Teile unserer Gesellschaft. In diesem Kontext entsteht also Camenzind. Im Folgenden möchten wir erläutern, wieso dieses Blatt aufkam, was wir uns dabei gedacht haben und was wir uns davon erhoffen.

Daran ist erst einmal Nichts Verwerfliches, diese Entwicklungen sind Sache jedes Einzelnen und oft nicht einmal steuerbar. Kritisch wird es aber in Anbetracht des Phänomens „Komplexität“, das zum bestimmenden Element der heutigen Zeit geworden ist. Noch nie gab es so viele Menschen, noch nie so viele Daten, und noch nie hat sich die Technik so schnell entwickelt. Wir haben dazu einmal ein kleines Diagramm gefunden, welches das ganzes Dilemma wiedergibt: Technik Institutionen Mentalität

Die Welt ist nicht mehr selbstverständlich. Wir steuern Datenströme, beraten Firmen, und bauen Wohnsiedlungen, ohne überhaupt zu wissen, was wir da tun. Halb können wir noch in alten Formen denken, halb mit den neuen Instrumenten spielen. Wir sind abgeschweift, um auf einen für Camenzind grundlegenden Begriff zu kommen: Die soziale Verantwortung des Intellektuellen. Wir verrichten geistige, steuernde Tätigkeit. Daher müssen wir auch wissen, was wir tun. Wir müssen uns mit der Gegenwart auseinandersetzen, und wir dürfen nicht zynisch lachen, wenn wir nach Sinn und Zweck gefragt werden. Wir müssen klare Antworten geben können. Damit liegt es im Moment in weiten Teilen unserer Branche im Argen. Verständlicherweise: Die Hatz ist in vollem Gange, die Aufträge sind rar, und die Konkurrenz noch härter als man selbst. Diskussion, Grundsätze, Reflexion scheinen nicht realistisch. Aber gerade jetzt lohnt es sich, nachzudenken. Viele Vertreter unserer Branche haben sich damit erst ihr Feld eröffnet. Sie stellen Thesen auf zur gegenwärtigen Stadt, sprechen vom Neubau umgebauter Speicher – und bauen ökonomisch, mit echten Bauherren, auf echten Grundstücken.

Camenzind ist eine von vielen Möglichkeiten, eine zeitgemäße Diskussion anzugehen. Aber zuerst einmal ist es ein Instrument, in Kontakt zu bleiben. Mit der Entwicklung der Menschen, die man kennt und schätzt, auf dem Laufenden zu bleiben. Das mag provinziell klingen, ist aber nur realistisch. Denn auch die Diskurse in den großen Blättern werden von den immer gleichen Leuten geführt. Um fast jede Zeitschrift bildet sich ein Kreis von Menschen, die sich kennen, die seit Jahren ihre Meinungen austauschen und die Interviews im „Du“ führen. Dies ist gar nicht anders möglich und eine Voraussetzung für konstruktive Weiterentwicklung. Wir möchten also unseren eigenen Diskussionskreis aufbauen. Mit Mitgliedern unserer Generation, mit Gesinnungsgenossen und mit Andersdenkenden. Die Artikel, die wir gesammelt haben, sind schnell angefordert und schnell produziert worden. Die Aussagen sind in Inhalt und Ausdruck sehr unterschiedlich. Aber gerade deshalb, da sind wir überzeugt, bilden sie eine gute Grundlage für alles weitere. Gerade das, was abwegig erscheint, kann auf die richtige Fährte führen. Und gerade das, was konservativ erscheint, das Neue in sich bergen. Diskussionsbeiträge, begeisterte Ausrufe, ätzenden Spott und perverse Fotos empfängt, ab jetzt, camenzind@bhs-arch.com. Die Redaktion Benedikt Boucsein Axel Humpert Tim Seidel

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Konzept Camenzind ist eine Zeitschrift, die ganz am Anfang steht. Die erste Ausgabe soll Startpunkt für eine produktive und langfristige Entwicklung sein. Regeln, Ausrichtung und Umfang sollen sich mit der Diskussion entwickeln. Formal und inhaltlich wird vorerst festgelegt:

TU Graz, RWTH Aachen. Weitere Stellen sollen mit der Zeit folgen. 3. Jeder Autor hat das Recht, einfach geheftete „Kopierexemplare“ zum Selbstkostenpreis zu vertreiben.

a. Camenzind beschäftigt sich mit aktuellen Fragen der Architektur. b.Die Artikel liefern Denkstoff für formale, pragmatische, ökonomische, politische und ethische Aspekte von Architektur. c. Die Zeitschrift zielt nicht darauf ab, den etablierten, internationalen Diskurs nachzuvollziehen, sondern will Potential aus der „zweiten Reihe“ schöpfen. d. Jeder Autor illustriert seinen Artikel selbst (oder auch nicht) und ist für die Copyrights an den Illustrationen verantwortlich. e. Camenzind möchte kein Hochglanzmagazin sein. Der Inhalt und seine effiziente Vermittlung stehen im Vordergrund.

Inhalt Seite 5 Architektur und Langeweile (Markus Podehl) Seite 7 Knochenmeditation (Nazario Branca)

Jede Ausgabe umfasst mindestens zehn Artikel. Ein Beitrag wird von einem Vertreter der älteren Generation und ein weiterer von einem Nicht-Architekten verfasst. Die Artikel der ersten Ausgabe sind auf zwei DIN A4 Seiten beschränkt. Möglich sind sowohl schriftliche Beiträge (Times 10pt, einfacher Zeilenabstand, dreispaltig, ca. 1500 Wörter ohne Bilder) als auch zeichnerische bzw. fotographische Beiträge (Reproduktion in s/w).

Seite 9 Müssen Architekten nie? (Philipp Stubenrauch)

Für den Vertrieb ist vorgesehen:

Seite 17 Willkommen in der Zone (Benedikt Boucsein)

1. der Postweg - verschickt von den Redakteuren (auf Anfrage und Überweisung der Herstellungs- und Portokosten) 2. Ausgaben werden verkauft/ ausgelegt: Zürich (ETH Hönggerberg),

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Seite 11 Karten zeichnen (Anna Weber) Seite 13 Housefucking - ein Interview Seite 15 Die Stadt ist rechtwinklig (Mathias Uhr)

Seite 19 JA (Nele Dechmann) Seite 20 Manifest (bhs) Seite 4


Markus Podehl

Architektur und Langeweile Architektur sollte langweilig genug sein, dass wir ein normales Leben darin führen können. Ich lebe nicht für die Architektur, aber ich lebe darin. Ich will ein normales Leben, und normalerweise ist das Leben nicht langweilig. Es wird darin geboren und gestorben, gefeiert und getrauert, sich versöhnt und gestritten, geredet und geschwiegen. Alles das braucht Orte, Architektur – langweilige Architektur. Peter Eisenman sagt (1), er wolle ein normales Leben, und darum nicht in Architektur leben. Ich weiss nicht genau, was für Eisenman Architektur auszeichnet, doch anscheinend ist es sehr wenig, und ausgerechnet das, was uns fremd ist, uns verwirrt und uns erschreckt, andersartig ist. Architektur ist für ihn das, was wir nicht brauchen, denn wir haben den Tod, auch wenn wir ihn zuweilen vergessen oder verdrängen. Im loosschen Sinne (2) ist Eisenman Künstler, nicht Architekt.

bedenke, wenn ich Einwillige in die Vergänglichkeit meiner Existenz, dann wird mir schwer ums Herz, wird mein Leben rasend und aufregend. Abdruck, also Negativ davon ist Leichtigkeit und Langeweile: das ist für mich Architektur. Langmütig, gütig, nicht aufgebläht ist die langweilige Architektur. Sie erträgt alles, auch das Geschmacklose, und hält allem stand, und reisst man sie ab oder wird sie niemals gebaut (wie Gillys Entwürfe), dann hört sie doch nicht auf zu existieren.

wir den Palazzo Te oder gar ganz Neapel? Nein wir lieben sie, wie wir auch Robert Venturi wieder lieben werden.

Langweilige mit Fehlern Langweilig sind aber auch die Totgeglaubten, die Fehlgeburten, die Bausünden, sind die Beschränkten unter den Häusern. Es sind jene Bauwerke, denen nichts als eine hölderlinsche Freundlichkeit (3) der Welt gegenüber bleibt, die ihnen als Schwächeln und Kompromittieren ausgelegt werden können. Es sind die Häuser in denen man nicht weiss: „Soll das so sein?“, und die Frage unbeantwortet lässt, aus Liebe und Respekt. Die langweiligen Häuser lassen eine Blickrichtung zu, die die sogenannten spannenden Häuser verwehren: den Ausblick. Die langweilgen Häuser sind wie wir, wenn wir glücklich sind: offen, ein bischen traurig, verständnisvoll, zärtlich und verletzlich. Und man kann in ihnen essen und aufs Klo gehen.

1 Vgl. Interview mit Peter Eisenman: Ich war ein nichts, Die Zeit Nr. 51 vom 09.12.2004. 2 Vgl. Adolf Loos: Architektur , 1910. 3 Vgl. Friedrich Hölderlin (1770-1843): In lieblicher Bläue.

Die Gnade der Stadt Ist ein Haus am Ende architektonisch geblieben, in irgendeiner Ecke noch der Abdruck unserer aufregenden menschlichen Existenz, dann wird man ihm alles andere vergeben, es aufnehmen und in den grossen, beflügelnden Kanon der Stadt einreihen.

Parthenon

Langeweile als Eindruck eines Abdrucks Ich bin beeindruckt von Langweiligem und Leichtem. Ich sage Architektur muss langweilig sein, sie sollte leicht sein – so langweilig wie Beethoven und Schinkel, so leicht wie Burt Bacharach und Le Corbusier. Das langweiligste der Welt bietet wahrscheinlich immer noch Griechenland mit seinen Tempeln. Wenn ich den Tod

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Vanna Venturi House

Langweilige Witzbolde Im Übrigen dürfen auch lustige Gebäude zu den langweiligen Häusern zählen. Häuser, wenn sie witzig sind, machen auf Dauer immer dieselben, immer älter werdenden Witze. Aber sie sind uns liebenswert. Oder hassen

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Nazario Branca

Knochenmeditation Die Augen in die Augenhöhlen auslegen. Ein Bild nehmen, es im Gehirn einrahmen und verinnerlichen, die Gedanken im Körper fliessen lassen. Durch die innere Bewegung des Körpers das Äussere bewegen. Dem Gefühl die Zeit lassen um seinen Ausdruck zu finden, warten bis sich ein Raum zwischen den Gedanken öffnet, wo sich etwas verändern kann. Den eigenen Rücken vor sich sehen, mit einem Schritt ins Bild eintreten, umgekehrt den Rücken hinter sich sehen und mit einem Schritt rückwärts aus dem Bild treten.

Den Körper ausdehnen, eine möglichst große Bodenfläche mit dem Körper decken, einen Kontinent decken. Die ganze Masse auf dem Boden bewegen, die Zeit ausdehnen, jeden Teil des Körpers unabhängig in allen Richtungen bewegen, sich einen Tag Zeit nehmen, um sich vom Rücken auf dem Bauch zu rollen.

Kopien sich auf zwei Dimensionen zu Fragmenten aussplitten, und neue Zusammenhänge im Körper ergänzen. Eine Tanzperformance für eine Person mit Kopieapparat. 56 Kopien. 56 Körperteile. 56 Körperpositionen auf dem Kopieapparat.

Der Boden wie warmer Sand. Den Umriss des Körpers auf dem Sand abbilden. Die Linien durchbrechen und neu definieren. Die unmittelbare Nähe des Körpers entdecken und neue Räume finden wie auch erfinden. Selbst zu Landschaft werden, um sie dann neu zu beobachten. Die Haut als Raumgrenze zwischen Körper und Außenwelt feststellen, die Haut wie einen Handschuh aufmachen und auf eine Fläche ziehen. Durch die

Bild: Miriam Seiler

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Nazario Branca, Architekt/T채nzer. Zur Zeit wohnt er in Z체rich, ist im B체ro Meili+Peter als Architekt t채tig und entwickelt eigene Tanzprojekte. nazariobranca@hotmail.com

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Philipp Stubenrauch

Müssen Architekten nie? Jetzt gerade in diesem Augenblick kann ich mit ihr gar nichts anfangen. Sie würde mich nur stören beim schreiben, essen oder lesen in meiner schönen Altbauwohnung in Schwabing, mich ablenken. Denn sie zieht normalerweise die Aufmerksamkeit aller anwesenden Personen im Raum auf sich, dominiert mit einer Selbstverständlichkeit, von der ein Miles Davis oder St. Germain, der momentan aus meinen Boxen dudelt, nur träumen kann. Diese Musik ist so groß und weit, so facettenreich und farbenfroh, so laut und so leise, dass sie in einer Konserve schwer einzusperren ist. Ich behaupte, dass es nur wenige Leute gibt, die es allein zu Hause mit einer Beethovensymphonie aushalten, oder sich gar ein Brahmsstreichquartett zum Roastbeef reinziehen. Und ich behaupte dies, obwohl ich selbst einer von diesen Leuten bin, die ihre Passion in der klassischen Musik ausleben. Aber wie soll man denn um Himmels Willen so ein ganzes Orchester zwischen Regal und Eckcouch in ein armseliges Wohnzimmer zwängen? Wie soll ein pompöser Herr Tschaikowski mit seiner 6. Symphonie in einen 100qm Raum passen? Passt nicht! Diese Herren wollen in Hallen, Tempeln und Palästen hofiert werden, dort, wo ihre Tongemälde sich frei entfalten können, sich an holzgetäfelten Wänden die Hörner abstoßen um dann samtweich in eines von tausenden lauschenden Ohren zu fließen. Und man glaubt gar nicht, wie unterschiedlich diese Hallen die Musik wiedergeben und wie krass auch die Musiker selbst von ihnen beim Spielen beeinflusst werden. Anfang der 80er Jahre wurde beispielsweise in München der „Gasteig“ - ein Gebäudekomplex, in dem sich ein großer Konzertsaal, die Philharmonie, befindet - gebaut. Die Ansprüche an die neue Halle waren hoch und mit Spannung erwartete man das Eröffnungskonzert, das von keinem geringeren als Leonard Bernstein

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dirigiert werden sollte. Hohe Tiere aus Musik, Architektur und Politik waren geladen um der „Entjungferung“ der teuren neuen Philharmonie (sie hat doppelt so viel gekostet wie vorhergesehen) beizuwohnen. Nach dem Konzert dann Ratlosigkeit. Alles klang irgendwie verschwommen, wie von weit her. Waren die Münchener Philharmoniker so schlecht drauf an diesem Abend? Im anschließenden Interview dann der vernichtende Kommentar des Maestros: „Burn it down“ rief er und die Philharmonie hatte ihren Ruf weg. Seitdem spielt niemand mehr so richtig gerne in diesem Saal, und einige weitere Schönheitsfehler hinter der Bühne machten die Blamage komplett. Besonders erwähnenswert seien hier die viel zu enge Kantine mit ihrer klaustrophob niedrigen Deckenhöhe (ich schätze höchstens 2,40m) oder die Künstlertoiletten. Sie wurden bei der Planung vergessen (müssen Architekten nie ...?). Heute muss man vom Urinal kommend aufpassen, dass man dem Hände waschenden Kollegen beim Türöffnen nicht ein paar Rippen bricht! Dass die Millionenmetropole München nun keinen wirklich überzeugenden Saal hat, zeigt deutlich, wie schwierig es ist, alle optischen, akustischen und praktischen Ansprüche auf einen Nenner zu bringen. Trotzdem und zum Glück gibt es einige Hallen, wo alles stimmt. Die Kölner Philharmonie zum Beispiel, die in sehr zentraler Lage zwischen Dom und Hauptbahnhof eingebuddelt wurde. Von der unter dem Erdboden gelegenen Bühne schaut man auf halbkreisförmig ansteigende Sitzreihen - ganz offenbar entsann sich der Architekt der hervorragenden Akustik in griechischen Amphitheatern - und tatsächlich ist das Ergebnis für Musiker und Publikum gleichermaßen erfreulich. In den Konzertpausen können die Zuhörer auf dem Dach des Saals unter freiem Himmel nach Luft schnappen und die Musiker unten in den Katakomben ein Kölsch in der gemütlichen Kantine nehmen. Wenn die Musik dann wieder einsetzt, sorgt allerdings ein Aufpasser dafür, dass

niemand mehr den Platz über dem Saal betritt: das Klackern der Absätze auf dem Beton resonierte anfangs in der Halle so stark, dass Beethoven und Co empfindlich gestört wurden. Damit hatte dann doch wieder niemand gerechnet. So hat wohl jeder Saal seine kleinen Macken, aber bekanntlich machen ja gerade die erst das unverwechselbare aus: sie schaffen einen Charakter. Sei es im Grand Teatro in Napoli, wo die Umkleiden so staubig sind, dass das halbe Orchester mit dreckigen Hosenbeinen auftritt und die chicen Mädels sich in den Logen ungeniert darüber lustig machen oder in der Suntory Hall in Tokio, die man besser über den Hinterausgang der Tiefgarage verlässt, um den total durchgeknallten japanischen Autogrammjägern zu entgehen, diese Orte vergisst man nicht. Wenn man im Wiener Musikvereinssaal spielt, also da, wo die Wiener Philharmoniker jahrein, jahraus ihr berühmtes Neujahrskonzert fiedeln, kommt man schon mal ins Schmunzeln darüber, wie konservativ die Herren dort wirklich sind. Angefangen vom traditionell höchst unfreundlichen Pförtner (ich als Ruhrgebietsstämmiger verstehe ja kein Wort von dem, was der eigentlich will) über die Umkleiden, deren einzige Neuerung seit den 50er Jahren ein zickiger Coca-Cola-Automat ist, bis hin zur Bühne selbst, deren altes Holz nie ausgetauscht, oder abgeschliffen, sondern immer bloß gut gewienert wird (Kalauer!) und so wie eine Kommode aus der Biedermeierzeit mit ihren Kratzern und Furchen eine ganz eigene Geschichte erzählen kann. Wenn man das Podium betritt, weht einem der Geist der großen Klassiker und Meister vergangener Zeiten entgegen. Der zuhause noch trotzig verschriene Traditionalismus der Wiener Musikwelt fühlt sich auf einmal wohlig warm an und der nach heutigen Maßstäben kitschige mit goldenen, nackerten Musen bestückte Saal erscheint einem gerade richtig für die ehrwürdigen Klänge Mozarts und Beethovens.

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Einen Saal aber gibt es, der bei allen Musikern einstimmig als der Saal der Säle gilt, das höchste der Gefühle, das Maß aller Dinge, der Olymp. Ein Palast in Gold und rotem Plüsch. Alle Grossen haben hier gespielt. Hier werden Stars gemacht und jeder, der hoch hinaus will, muss irgendwann sein Debüt vor dem hochkritischen Publikum in dieser Halle geben. Vor zwei Jahren hatte ich die Ehre unter Lorin Mazel dort alle vier Brahmssymphonien an vier Abenden zu spielen. Schon in den Proben merkte ich, warum diesem Saal sein Ruf nicht zu unrecht vorauseilt. Der Klang des Orchesters war selbst bei leisesten pianissimi rund und weich [wie ein schöner Busen...], man hatte das Gefühl, der Ton wird geradezu aus den Instrumenten herausgesaugt. Im forte wackelte das Haus, der ganze Saal ist Klang. An einem Nachmittag, lange vor dem Konzert, ging ich zu besagter Halle, wurde dank meines Backstagepasses eingelassen und trat auf die Bühne der Carnegie Hall. Die Kontrabässe waren bereits aufgebaut, der Saal war leer, kein Laut war zu hören in der riesigen Arena. Eine Insel der Stille mitten im turbulenten Manhattan. Und vor Ehrfurcht vor dieser dunkelroten majestätischen Halle, die sie alle gehört hatte Horowitz und Rubinstein, Oistrakh und Menuhin, Bernstein und Toscanini, Kissin und Vengerov, die ganzen legendären Konzerte, und die auch jetzt ihre Augen und Ohren weit aufgesperrt hatte - brachte ich keinen Ton heraus aus meinem armseligen Instrument. Das also ist der Haken an dieser Halle: sie hat eine Seele. Weil sie jedoch gutmütig ist, durfte ich dann doch noch ein paar Töne spielen. Ich glaube allerdings, dass mein Kontrabass nie wieder so schön geklungen hat...

Solistenklasse von Franco Petracchi am „Conservatoire de Musique de Genève“. Er gewann zweimal den ersten Preis beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“. Neben seiner Tätigkeit beim BR Sinfonieorchester konzertiert er auch mit dem Quartett Nonsordino (www.nonsordino.de).

Philipp Stubenrauch ist SoloKontrabassist beim SinfonieOrchester des Bayerischen Rundfunks. Er studierte in Frankfurt/Main bei Prof. Günter Klaus an der Hochschule für Musik. Zwei Jahre lang war er Akademist im Symphonieorchester des BR in München. Von 2003 bis 2004 studierte er in der

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Anna Weber

Karten zeichnen „Balkanisierung:

Gebiet formulieren

mit dem Begriff Balkanisierung bezeichnet man die Zersplitterung von Vielvölkerstaaten zu vielen kleinen, einander oft feindlich gegenüberstehenden Nationalstaaten. Der Begriff kam in den 1920er Jahren auf, als aus dem ehemaligen Osmanischen Reich, ÖsterreichUngarn, dem Deutschen Reich und dem Russischen Reich viele kleinere neue Staaten (beispielsweise die Tschechoslowakei) entstanden und wurde verwendet als nationalist. Schlagwort zur Brandmarkung der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg, die in Europa verworrene polit. Verhältnisse wie früher auf dem Balkan geschaffen hätten. Der Zerfall Jugoslawiens seit 1990 wird zuweilen als B. des Balkans bezeichnet.“ (Wikipedia, Internet Wörterbuch)

Von Belgrad, Serbien aus spannt sich ein Netz von Entdeckungsreisen, die ein Gebiet umschreiben, dessen Ausmaße nicht von äusseren Grenzen beschrieben werden, sondern sich von Innen heraus, durch geographische und damit tatsächliche zeitliche Entfernung durch Erreichbarkeit mit einem Nachtbus oder –zug ergeben. Die so formulierte Fläche umspannt eine grössere Region, die bis in die jüngste Vergangenheit von starken politischen territorialen Verschiebungen geprägt ist, sowie einer Geschichte der wechselseitigen oder äusseren, manchmal militärisch aggresiven Übergriffe. Unterschiedliche, teils innere, teils äussere Faktoren nehmen Einfluss nicht nur auf das Land, sondern auch auf sein Verhältnis zu angrenzenden Staaten.

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Die Karten ..sind voller Grenzen und die Grenzen voller Grenzbeamter, der Salat ist überall gleich. Rurale Gegenden zwischen den Städten gleichen einem Gewebe, dessen kulturelle Färbung graduell von Region zu Region, nicht selten unabhängig von politischen Grenzen variiert, so, dass das Selbstverständnis einer Gegend im Norden eines Landes stärker in Anlehnung an die südlichen Gegenden des nördlichen Nachbarn bestehen kann, als denen im Süden des ‚eigenenʼ Staates. Die häufige Verschiebung politischer Grenzen hat kulturelle ineinander fließen lassen. Temporäre Brüche auf Grund akuter Entwicklung von Abgrenzungsbestrebungen verletzen dieses Gewebe lokal, weiter weg trägt es noch.

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Inseln?

Nach welchen Kriterien

Es gibt nicht viele Großstädte, diese sind meist Hauptstädte. Die Bündelung urbaner Phänomene in ihnen ist stark –soziale, kulturelle und politische Entwicklungen verdichten, fördern und vervielfachen sich. Entwicklung und Bestimmung der eigenen Identität sind ein wichtiger Teil dieser Prozesse. Besonders, da die letzten Jahrzehnte (Zerfall der Sowjetunion, Zerfall Jugoslawiens) für viele Staaten zu einer ‚neuenʻ Selbstständigkeit und damit einer Notwendigkeit der Selbst-Definierung führten. Trotzdem weisen diese Städte unterschiedlicher Nationen eine Vielzahl an thematischen Überschneidungen auf. Dem erwarteten national isolierten Zentralismus steht ein dichtes Netz inter-städtischer, basis-kultureller Relationen gegenüber.

..stellt man eine Karte auf, die diese Inhalte wiedergeben kann, wenn es die geographischen nicht tun?

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Ein Netz von Themen spannt sich über die Gegend. Es ist nicht hierarchisch, nicht überall und stets flächendeckend und nicht konstant. Es ist extrem dynamisch und nach vielen Seiten offen. Teile von Deleuze/ Guattariʼs Beschreibung des Rhizomʼs bieten sich an. „(…) Prinzip der Konnexion und der Heterogenität. Jeder beliebige Punkt eines Rhizoms kann und muss mit jedem anderen verbunden werden.“ (Gilles Deleuze, Felix Guattari, Rhizom, Merve Verlag, 1977) Die visuelle Deutlichkeit des Gedanken (die Ingwerwurzel ist ein Rhizom) scheint verlockend. Oder die „Narrative Structures“ von Marc Lombardi - netzartige Zeichnungen, die ‚historische Malerei in Bezug auf globale Theorien und rhizomatische Schematismen der Macht aktuell überarbeitenʼ (vgl. Mark Lombardi, Global Networks, v. Robert Hobbs, Independent Curators

International, New York, 2003). Sie beschreiben in einer Text-Zeichnung Kombination Verbinungen unterschiedlicher Art zwischen punktartigen und geographisch getrennten Akteuren. Veränderbarkeit über die Zeit müsste ein Merkmal dieser Art der Informationssammlung und Aufbereitung sein, außerdem Erweiterbarkeit sowie Veränderbarkeit des Bestehenden. Welches Medium könnte dieser Aufagbe entsprechen? Auf welche Weise könnte das System verwaltet werden? Die Fragen formulieren das Projekt.

Die Ideen entstanden während eines achtmonatigen Praktikums in Belgrad bei Branislav Mitrovic von Januar bis September 2004. Den Vorschlag meines Chefs, nur dann im Büro zu arbeiten, „wenn ein Projekt besonders interressant ist“ habe ich gerne aufgenommen und den Schwerpunkt meiner Zeit auf Reisen zu Nachbarhauptstädten gelegt.

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Housefucking Ein im Verborgenen praktizierter Fetisch Auszug aus einem Interview mit Nele Dechmann und Adrian König, geführt von Axel Humpert. Vergangenes Wochenende bekam ich einen Anruf von der Produktionsgesellschaft von Housefucking. Lange war mir ein Interview mit den Gebrüdern König und Nele Dechmann versagt geblieben. Etliche Male wurden Termine verschoben oder abgesagt. Schlussendlich kam es zu einem Treffen in ihrem Loft im Zürcher Szenequartier Kreis 4 mit Blick auf die umgenutzten Industriebrachen am See. Die Gitter des Warenlifts teilen sich und vor mir steht Adrian König und nimmt mich freundlich in Empfang. Im Hintergrund sitzt Nele Dechmann an einem Isamu Noguchi „Coffee Table IN-50“ aus dem Jahre 1944 und nippt an einem Espresso. Eindrucksvoll! Aber nicht nur der Tisch fällt ins Auge, auch die restliche Einrichtung scheint aus einem Designlexikon entsprungen. Dennoch ist alles keineswegs geschmacklos sondern sehr stilvoll arrangiert und Ausdruck eines sehr sensiblen Umgangs mit der unglaublich grossen und stützenfreien Fläche ihres Lofts. Der raue Charme der ehemaligen Industriearchitektur wird durch die sparsame Möblierung ins Zentrum gerückt. Adrian, wir einigen uns schnell auf den weniger förmlichen Umgangston, führt mich durch den Loft. An seinem Schneidetisch bleibt er stehen und

erklärt, dass hier die europäischen Produktionen ihr Finish erhalten. Ausgestattet mit zwei Power Mac G5 wird hier nichts dem Zufall überlassen. Während des kleinen Rundgangs hat unser Kamerateam das Stativ aufgebaut und der Tontechniker alle verkabelt. Ich werde gebeten auf dem Josef Hoffmann Zweisitzer im Wohnbereich Platz zu nehmen. Das Interview kann beginnen. AH:

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-It all started during a guided tour through the new guggenheim museum. While the guide was explaining those erotic curves of the facade I realised how much I wanted to feel the sensation of the material on my skin. When i finally touched the cool and shiny metal, my blood found it`s way down to my love-bone...- So beginnt der Text zu einem Teaser einer Eurer Housefucking Productions. Geht es hier nur um Pornographie oder auch um Architektur? Ich verstehe Deine Irritation. Aber ist es Dir nicht auch schon mal so ergangen? Ist die erotisierende Wirkung von guter Architektur bisher an dir vorbeigezogen? Die Filme widmen sich den Themenkomplexen der architektonischen Sexualität und des architektonischen Begehrens. Pornographie im klassischen Sinne ist es nicht. Filme dieser Art haben in den meisten Fällen eine Zielgruppe vor Augen, mit anderen Worten einen Absatzmarkt. An wen richtet sich Eure Arbeit?

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Die Verbraucher unserer Filme sind in den meisten Fällen in und um das Berufsfeld der Architekten zu suchen. Es sind Menschen mit einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik und das Erotische in der gebauten Architektur. Das musst Du näher erläutern. Was ist das Erotische in der Architektur? Das würde ich gerne beantworten. Erotik ist im Grunde nichts weiter als ein Synoym für Sexualität. Der Punkt ist, dass Erotik in unserer Gesellschaft ihre Umsetzung nur noch in stilisierter Form findet. Also in unseren Sitten, in der Mode, in der Werbung, in der Kunst und eben auch in der Architektur. Setzt man sich der Architektur in einer solchen Intensität aus wie wir das berufsbedingt tun, bleibt die erotisierende Wirkung nicht aus. Man kann sich dem einfach nicht entziehen. Erotik und Architektur sind nicht voneinander zu trennen. Das scheint nicht allen Architekten so bewusst zu sein wie euch. Das ist leider war. Dennoch ist die Szene auf dem besten Wege sich ihrer wahren Bestimmung bewusst zu werden. Wie sonst erklärt man etwa das jüngst fertiggestellte Hochhausprojekt von Sir Norman Foster in London oder die durchgestylten Projekte von Herzog und deMeuron? Besonders in den realisierten Bauten aus der basler Architekturschmiede sehen wir potentielle Darsteller für kommende Arbeiten. Nicht zuletzt ist aber auch das Phänomen Housefucking auf den erwachenden Geist einer neuen Generation zurückzuführen. Der aufkommende Rückzug zum Archaischen, wie er zum Beispiel bei Peter Märkli zu entdecken ist, beunruhigt Euch da gar nicht? Seite 13


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Nicht wirklich. Ich will das am Vergleich mit der Pornoindustrie erläutern. Es gibt Softcore und Hardcore, Sadomasochie und Sodomie. Bei uns ist das nicht anders. Bisher haben wir uns zwar eher den Hochglanzproduktionen gewidmet, aber die Filme der etwas härteren Gangart sind bereits in Arbeit. Mir ist natürlich nicht entgangen, dass der dritte im Bunde heute fehlt. Wie ist Dein Bruder Philip in Eure Gesellschaft eingebunden? Philip ist für den aussereuropäischen Markt verantwortlich. Momentan vertritt er uns in den Vereinigten Staaten vor Gericht. Unangenehme Sache. Was ist der Grund für die Klage, wenn ich fragen darf? Das amerikanische Gesetz setzt unseren Arbeiten engere Grenzen als das in Europa der Fall ist. Bei unserer letzten Produktion in New York haben wir unwissentlich eben diese überschritten. In der Schweiz ist es erlaubt eine völlig entblösste und erregte Glasfassade zu zeigen. In den USA hingegen ist das in speziellen Fällen nicht erlaubt. Das absurde daran ist, dass europäische und insbesondere schweizer Architekten mehr und mehr den Weltmarkt erobern. Unter der Aufsicht der konservativsten politischen Systeme entstehen Gebäude deren blosse Erwähnung mich nervös macht. Die moralischen Prinzipien die unsere Arbeit erschweren sucht

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man allerdings sowohl bei den entwerfenden Künstlern als auch bei den Juroren der Wettbewerbe vergebens. Es scheint, dass die erotische Architektur zwar gewünscht ist, nicht aber der direkte Verweis darauf. Kann man sagen, dass Eure Arbeit also auch indirekt zur sexuellen Befreiung in Ländern wie den USA oder China beiträgt? Das hoffen wir sehr. In Peking planen wir bereits mit chinesischen Freunden unseren ersten Spielfilm zu drehen. Bisher kann nur soviel verraten werden: Es ist Fussball mit im Spiel. Wie gehen die dortigen Behörden mit Euren Plänen um? Die Vorbereitungsarbeiten sind schwierig und vor allem ein ständiges Taktieren. Wir stehen vielen Vorurteilen gegenüber die wir zuerst abbauen müssen. Der sinnliche Wunsch von Architektur berührt zu werden gilt dort als eine sexuelle Abweichung. Das es sich dabei um eine normale Spielart der Natur handelt die vor allem toleriert werden sollte ist schwer begreiflich zu machen. Neben dem eigenen Vergnügen versuchen wir die Menschen mit ihrer Neigung zu versöhnen, ihnen zu helfen sie zu akzeptieren und vor allem Ängste, Selbsthass oder Gewissensbisse abzubauen. Das gilt auch für den europäischen Markt. Interessierte, noch unerfahrene

Architekturliebhaber können sich jederzeit über unsere Homepage mit Fragen an uns wenden. Wir informieren gerne über die Risiken und helfen wo wir nur können. (www.housefucking.com)

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Mathias Uhr

Die Stadt ist rechtwinklig Warum freie Formen städtebaulich gefährlich sind und was wir dazu von Adolf Behne lernen können In jüngster Zeit beginnen sich freie Formen im alltäglich Gebauten niederzuschlagen. Bisher wurde solcher Dekonstruktivismus, NeoExpressionismus, Blob-Architektur oder wie man es nennen will zwar als eine Art neuer „internationaler Stil“ hoch gehandelt und gehypt, aber höchstens vereinzelt als „StarArchitektur“ materialisiert. Meist blieb es bei utopistischen, ständig ins Virtuelle abdriftenden Träumereien, Provokationen von „jungen Wilden“ oder Studentenprojekten – oft alles zugleich. Solange solche Objekte vereinzelte Monumente oder Pavillons sind, ist das städtebaulich wenig relevant. Inzwischen scheint dieses Formenvokabular jedoch in die real praktizierenden Büros vorgedrungen zu sein und bereits eine gewisse Selbstverständlichkeit erlangt zu haben. Hinzu kommt – zumindest in der Deutschschweiz – ein sich seit längerem abzeichnender Überdruss der minimalistisch-strengen Architektur der Neunziger, der sich bald in einem grossen, nach Freiheit drängenden Umbruch äussern wird. (Es brodelt bereits und erste Fiebersymptome sind schon gebaut, aber das wäre Thema für einen anderen Text.) Der Virus hat sich also weit verbreitet, wird noch viel Nahrung kriegen und dringt nun breit gestreut ins Gewebe der Stadt ein. Plötzlich haben Wohnund Bürogebäude, Schulhäuser und Seniorenresidenzen, Infrastrukturund Verwaltungsbauten spitze Winkel, schräge Wände, kristalline Fassaden, skulpturale An- und Aufbauten und was der Gags mehr sind – und das mitten in der Stadt. Weil dies so seltsam unreflektiert geschieht, ist es höchste Zeit, eine alte

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Diskussion neu zu führen, nämlich die Auseinandersetzung Typus versus Einzelobjekt. Keiner hat diese zwei Pole scharfsinniger und präziser beschrieben als Adolf Behne 1923 in seinem bedeutendsten Text „Der moderne Zweckbau“. Nebst einer visionären Analyse der frühen Moderne, angereichert mit brillanten Gedanken zu Architektur, Philosophie und Kunst, definiert Behne als Kern seiner Argumentation Funktionalismus und Rationalismus als die beiden gegensätzlichen Haltungen bzw. Architekten-Typen. Leider war (und ist) diesem noch heute brennend aktuellen Text nie die verdiente Aufmerksamkeit zuteil geworden. (Während Behne drei Jahre lang einen Verleger suchen musste, klaute Gropius seinen gesamten Bildteil und wurde mit dem Bauhaus-Buch „Internationale Architektur“ berühmt; der Begriff „Funktionalismus“ wird heute in einem fast gegenteiligen Sinn verstanden; die Neuauflage konzentriert sich auf die originalgetreue Wiedergabe der Bildtafeln und wirkt so antiquarischexklusiv.) Der geneigte Leser ist also dringenst angehalten, den Text zu lesen! Und damit zurück zum Thema. Wie die erwähnten freien Formen entworfen werden, ist ja bekannt: Das Volumen wird gleichsam von fremden Kräften geformt, seien dies nun Erschliessungsbewegungen, Parzellengrenzen, Gliederung oder Modellierung nach funktionalen Überlegungen oder durch diverse Linien auf dem Papier, die dann mehr oder weniger einleuchtend begründet werden. Ein solches Vorgehen ist gemäss Behne Funktionalismus pur: Der Funktionalist will – aus Ablehnung einer als imperatorisch empfundenen Haltung (oder aus Unsicherheit?) – den Menschenwillen ausschalten und alles aus der Umgebung, aus der Natur ableiten, das Bauwerk quasi „entstehen lassen“. Dabei wird er von individuellen, oft metaphysischen Empfindungen geleitet, es entstehen organische „Seinsformen“*, mit

einer stark regressiven Tendenz zur Verschmelzung mit der Umgebung. Als typische Vertreter nennt Behne Scharoun, Häring und Mendelsohn, das Extrem ist der Romantiker, z.B. Finsterlin. (Diese Namen durch heutige zu ersetzen, sei dem Leser überlassen und dürfte kein Problem sein.) Auf den ersten Blick führt diese Vorgehensweise zu „richtigen“ Formen, scheinen sie doch durch vorhandene Einflüsse determiniert und damit legitimiert. Doch diese scheinbar objektiven Einflüsse gehorchen keiner allgemeingültigen und –verständlichen Ordnung, die entstandenen Formen sind jeweils nur im einen speziellen Fall „richtig“, weil vollkommen der einmaligen Situation und Funktion angepasst (als Sinnbild nennt Behne das Schneckenhaus). Zudem ist die Beziehung zur Umwelt eine äusserst einseitige: Das Gebäude nimmt nur, es saugt sozusagen alles in sich auf, ohne etwas zurückzugeben. Der Wunsch nach Einswerdung und sich Einfügen führt so zu Vereinzelung und Einsamkeit, zur Entfernung von der Gesellschaft. Während ein solcher Entwurf für sich alleine stehend absolut möglich ist – oder auch sehr überzeugend sein kann –, hat er in der Stadt ein grosses Problem: Er ist so selbstbezogen und individuell, dass er sich nicht einfügen, keinen Beitrag zur Stadtstruktur leisten, einen Dialog weder anbieten noch aufnehmen kann. Er erweist damit nicht nur der Stadt und der Gesellschaft, sondern auch sich selbst einen Bärendienst, weil er im Gefüge selber nicht mehr zur Geltung kommt. Im gebauten Raum bedarf es einer Ordnung, um überhaupt sichtbar zu werden. (Dazu ein Zitat von unerwarteter Seite: „Wenn man die Natur in der Stadt geniessen will, muss man ihr eine Form geben. Ohne diese Form spricht die Natur gar nicht zu uns.“ - Günther Vogt, Vogt Landschaftsarchitekten.) Völlig unvorstellbar ist es schliesslich, wie aus lauter funktionalistischen Volumen mit ihren lediglich nach innen wirkenden Formkräften das Seite 15


Ganze einer Stadt entstehen soll. Laut Behne würde das gar „das Bauen selbst auflösen“. Damit dürfte auch klar sein, dass ein einzelnes funktionalistisches Objekt – und sei es ein Monument – nicht als Kristallisationspunkt oder Keimzelle für die Stadtentwicklung dienen kann, wie das oft angepriesen wird. Es ist richtig, dass der Kreis die idealste Form und das Quadrat mit seinen schlecht nutzbaren Ecken weniger ökonomisch ist – aber eben nur für sich alleine stehend! Im Zusammenspiel mit anderen werden organische, scheinbar optimal angepasste Formen unpraktisch und unwirtschaftlich.Auch die Natur bringt dort, wo sie Räume zusammenfügt, regelmässige und eckige Strukturen hervor: Bekanntestes Beispiel ist zweifellos die Bienenwabe, die Behne auch prompt als Sinnbild für den Rationalismus anführt. Möchte man nun die Zellen nicht von oben erschliessen wie die Bienen – sprich: soll es Strassen und Korridore geben – werden auf einmal rechtwinklige Formen geometrisch und ökonomisch ideal! Überspitzt ausgedrückt: Die gut gemeinten freien Formen sind egoistisch, der scheinbar rigide rechte Winkel ist sozial. Damit ist die Position des Rationalisten kein Geheimnis mehr: Abgeleitet von Typologien und geometrischen Grundformen schafft er „Nutzformen“, die für viele Fälle und (Um-)Nutzungen richtig sind. Durch ihre Verankerung in Kultur und Baugeschichte sind sie allgemein erkennbar und erhalten so eine kollektive, übergeordnete Gültigkeit. Auf philosophischer Ebene sind sie legitimiert durch ihre Herleitung von universell geltenden Naturgesetzen wie Arithmetik und Geometrie. Die bewusste Betonung des menschlichen Willens und das so entstehende Spannungsverhältnis zur Natur bilden nur scheinbar eine starre Haltung, sie führen über die Typisierung und die genannten allgemeingültigen, ordnenden Prinzipien im Gegenteil zu Objektivität und Sachlichkeit. Damit gewinnt der Rationalist auch

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eine gewisse Distanz, und es eröffnet sich ihm die Freiheit zum Spiel, denn „Spiel setzt Gemeinschaft, Ordnung, Regeln voraus“. In Wahrheit ist der auf den ersten Blick doktrinäre Rationalist der heitere, der Gesellschaft dienende und der vermeintlich selbstlose Funktionalist der ernste, sich selbst verwirklichende Architekt. Die Typenbildung ist also für den Städtebau eminent wichtig: „Alle zusammen erst gelten und bedeuten das, was jedes einzelne sein möchte. Die sich bei solchen Bauaufgaben ergebende Typisierung ist nicht ein notwendiges Übel ängstlicher Sparsamkeit, sie ist eine Lebensnotwendigkeit dessen, was die Forderung und der Sinn einer Siedlung ist und was die Einzelobjekte, im Rahmen derselben betrachtet, mit ihr sein wollen – eine organische Einheit.“ (Richard Döcker)

durch die ungeordnete Umgebung in das abgegrenzte, geordnete Geviert der Stadt (altes chinesisches Schriftzeichen „Yì“). Das soll jetzt natürlich kein Plädoyer für eine Rasterstadt sein. Die geforderte Rechtwinkligkeit bezieht sich vor allem auf die Gebäude selbst. Klar auch, dass sich jede Architektur immer irgendwo zwischen den beiden beschriebenen Extremen bewegt und die Grenzen fliessend sind. Wofür ich jedoch vehement plädieren möchte, ist ein besonnener, wenn schon präziser und vor allem reflektierter Einsatz von freien Formen. Nicht-rechte Winkel brauchen eine Begründung und nicht umgekehrt! * Alle nicht anders bezeichneten Zitate stammen von Adolf Behne aus „Der moderne Zweckbau“

Ebenfalls die Beschäftigung mit der Form: „Nichts ist selbstverständlicher, als dass der Rationalist die Form betont. Form ist nichts anderes als Konsequenz der Inbeziehungsetzung von Mensch zu Mensch. Für das Einzelne, Einzige in der Natur existiert kein Problem der Form. Das Einzelne, auch das Einzelne in der Natur, ist frei. Das Problem der Form erhebt sich dort, wo ein Zusammen gefordert wird. Form ist die Voraussetzung, unter der ein Zusammen möglich wird. Form ist eine eminent soziale Angelegenheit. Wer das Recht der Gesellschaft anerkennt, anerkennt das Recht auf Form.“ Es erscheint fast müssig daran zu erinnern, dass sich in der langen Geschichte des Städtebaus in fast allen Kulturen, völlig unabhängig von politischen, sozialen, klimatischen oder sonstigen Einflüssen, nach geometrischen Gesetzen angelegte Städte sowie Typologien herausgebildet haben. Interessant auch die Schriftzeichen für den Begriff „Stadt“ aus unterschiedlichsten Kulturen: Sie zeigen klar umrissene Rechtecke oder Kreise, manchmal sogar einen verschlungenen Pfad Seite 16


Benedikt Boucsein

Willkommen in der Zone Überlegungen zur Hässlichkeit Eines der wichtigsten Phänomene der Gegenwart ist, dass unsere Lebensumgebung in zunehmendem Maß verwirrend wirkt. Wir sind von einer sich beschleunigenden, hoch medialisierten künstlichen Welt umgeben. Kaum ein Individuum ist noch in der Lage, die Komplexität der Situation zu überblicken und darin zielgerichtet vorzugehen. Die Reaktionen darauf reichen von Verwirrung über Passivität bis hin zu panischer Aktivität. Dabei handelt es sich um ein erst kürzlich auftretendes Phänomen, von Frederic Jameson als postmodern hyperspace bezeichnet (1). Einige der Gründe für diese Verwirrung werden sich wohl wieder von selbst erledigen. Den Medien und auch der internationalen Vernetzung sind ökonomische und ökologische Grenzen gesetzt, die sich schon jetzt bemerkbar machen. Hysterie ist hier wohl unbegründet.Andere Phänomene aber sind so tief greifend, dass sie uns noch lange erhalten bleiben werden. Dazu gehört sicherlich auch die Gestalt unserer Städte. Dies gilt besonders für Deutschland, wo der Krieg erbarmungslos alles niedergewalzt hat, was über die Jahrhunderte gewachsen war. Der rasche Wiederaufbau und die nachfolgenden Jahrzehnte baulicher Tätigkeit ließen große Bereiche entstehen, die man getrost als „hässlich“ bezeichnen kann. Zu

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unserer unverrückbaren Realität zählen die Autobahnabfahrten, die Gewerbegebiete, die Einfamilienhau ssiedlungen, die Arkaden mit PlastikFensterrahmen. Diese Erkenntnis wird in Fachkreisen bisher kaum angesprochen. Man beschränkt sich auf die Übereinkunft, man dürfe sich nicht mit der Situation abfinden, und der einzelne Architekt müsse sein Möglichstes tun, gegenzuhalten. Dabei gibt es längst keinen Weg mehr zurück. Bevölkerung und Wirtschaft haben aufgehört zu wachsen. Die Menschen, aus dem Rausch des Wachstums aufgewacht, finden sich in einer hässlichen Welt wieder. Warum gibt es keinen Aufschrei und keine Gegenmaßnahmen von Seiten der Bevölkerung? Es ist anzunehmen, dass die Lebensumgebung auf die gleiche Art und Weise wahrgenommen wird, wie dies der Philosoph Frithjof Bergman (2) für die Lohnarbeit feststellte: Als eine milde Krankheit. Gerade deshalb ist es wichtig, sich mit Gründen und möglichen Heilungsmethoden für diese Krankheit auseinanderzusetzen. Das sogenannte Design ist für das Verständnis dieser milden Krankheit zentral. Mit der Pop-Kultur hat das Design längst jeden Winkel unseres Lebens besetzt. Die designten Gegenstände addieren sich inzwischen zu einem unansehnlichen Müllhaufen, der längst angefangen hat, sich selbst zu reproduzieren. Auf der Ebene der Supermarktprodukte gilt dies ebenso wie auf dem urbanen Maßstab. Alle Autos sehen

unterschiedlich aus, jedes ein DesignSchmuckstück für sich. Die frisch gebauten Einfamilienhäuser haben alle unterschiedliche Dächer, Pergolen und Windfänge. Im Supermarkt wird man von Farb- und Wortsignalen überschüttet, und dazu noch von Musik beschallt. Der moderne Mensch hat sich an all dies gewöhnt. Instinktiv bahnt er sich einen Weg durch das Chaos. Diesen Zustand umkehren zu wollen, wäre sinnlos und kontraproduktiv. Stattdessen ist es angebracht, die Hässlichkeit als unabänderlichen Ausgangspunkt zu akzeptieren. Wenn sie verschwindet, dann allmählich und ohne das Zutun der Architekten. Durch unsere Bautätigkeit können wir nur den sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein geben. In seinem 1979 erschienenen Film Stalker lässt Andrej Tarkowskij drei Gestalten durch die öde, postapokalyptische Zone taumeln. Ihr Führer ist der Stalker, der die Gruppe halb intuitiv durch die Gefahren und Wunder der Zone leitet. Dort laufen die Dinge anders als gewohnt, Raum und Zeit sind im ständigen Fluss. Der direkte Weg ist niemals der richtige, und schon nach wenigen Metern muss man sich wieder neu orientieren. Es scheint, als müssten wir uns mehr mit Tarkowskijs nachdenklichem Stalker identifizieren. Als Führer durch eine bereits gebaute, unerklärliche und in vielen Belangen auch gefährliche Umgebung ist der direkte Weg oft nicht der Beste und das Eingeständnis der eigenen Unwissenheit eine Notwendigkeit. Sich im Zivilisationsschrott

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zurechtzufinden und ihn neu lesen und schätzen zu lehren, könnte eine unserer zukünftigen Aufgaben werden. Und ist mir als Vision meiner zukünftigen Tätigkeit viel angenehmer, als zu diesem Schrott noch mehr beizutragen, wie es im Moment diskutiert und auch schon praktiziert wird (3). Aufmerksamkeit zu steigern, anstatt Aufmerksamkeit zu heischen – dies wäre auch ein Schritt weg von der arroganten Haltung, dass „das Volk“ nur die seichte Unterhaltung wünscht und etwas Anderes längst nicht mehr versteht. Gleichzeitig wird es aber bei der passiven, träumerischen Haltung des Stalkers nicht bleiben können. Die Architekten müssen wieder politisch werden. Mit dem Verschwinden einer greifbaren Öffentlichkeit scheint es für die Architektur unmöglich geworden zu sein, diese Öffentlichkeit darzustellen. Aus guten Gründen hat sich die Architektur deshalb aus der Politik zurückgezogen (4). Übrig bleibt nur noch die Politik innerhalb der Fachdisziplin. Dabei wäre zu überlegen, ob der Architekt nicht eine neue Art von politischer Aktion einleiten könnte. Ansätze dazu finden sich bereits in jungen Büros, die in Ermangelung von Aufträgen Happenings veranstalten und bestimmte Orte besetzen. Die meisten dieser jungen Büros versuchen aber im Grunde, schließlich doch in den Club der bauenden Büros einzutreten. Die Möglichkeiten scheinen nicht ausgeschöpft zu sein. Man könnte damit anfangen, Probleme konkreter und schonungsloser anzusprechen

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als die Politiker dies tun – gegenüber einer Bevölkerung, die schon längst weiß, woran sie ist. In die Niederungen der Partei- und Lokalpolitik einzutreten, wäre jedoch töricht. Die spezifischen Fähigkeiten des Architekten würden dort untergehen und zerrieben werden. Stattdessen müssen die Menschen auf einer Ebene angesprochen werden, die in der Gesellschaft, leider oft auch in der Ausbildung, vernachlässigt wird: Die Symbolik, das Unaussprechbare, die Gefühlsebene der Architektur. In der Hetze um Aufträge und Arbeitsplätze oft vergessen, stellt sie immer noch ein brachliegendes Potential dar. Diese Metaebene ist es, die Daniel Libeskind 1980 in Symbol and Interpretation anspricht. Als Nebenprodukt, Zugabe und Sinngeber des physischen Bauens erscheint sie enorm wichtig und als immer noch nicht gebührend beachtet. „Die Armut der so genannten ‚realen Weltʼ muss als Form einer herrschenden Ideologie demaskiert werden, deren Interessen und Ambitionen nicht notwendigerweise mit unserer vollen Existenz und deren Bestrebungen übereinstimmen.“(5) Wie genau die politischen Interventionen aussehen, muss vor Ort und in der Praxis bestimmt werden. Der Gedanke an eine ehrenamtliche Tätigkeit eines Architekturbüros (oder eines Lehrstuhls) mag in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation erst einmal absurd erscheinen, bekommt jedoch beim näheren Hinsehen immer mehr Sinn. In der Wirtschaft wird dies bereits mit Erfolg durchgeführt (6). Sowohl die kleinste als auch die

größte Ebene der gesellschaftlichen Strukturen bietet sich hierfür an. Auf der persönlichen Ebene könnte man sich als „Wohnlehrer“ verstehen, welcher den Leuten den verlorenen Sinn für Ästhetik und Materialität nahe bringt. Und zwar nicht mit einer Belehrung von Oben herab, sondern mit der ernsthaften, mehrfach gestellten Frage, ob man wirklich mit seiner Umgebung zufrieden ist. Auf der städtebaulichen Ebene schließlich muss damit angefangen werden, die negative Sichtweise der Zwischenstadt aufzugeben. Sie kann als ein vom globalen Kapital kaum kontrollierbarer, chaotisch organisierter Bereich begriffen werden - in dem eine menschenfreundliche, entspannte und nachhaltige Tätigkeit des Architekten wieder Fuß fassen könnte. (1) „... this latest mutation in space – postmodern hyperspace – has finally succeeded in trancending the capacities of the individual human body to locate itself ... the incapacity of our minds ... to map the great global multinational and decentered communicational network in whicht we find ouselves caught as individual subjects.“ Frederic Jameson: Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism, Duke 1991, S. 44 (2) vgl. Frithjof Bergmann: Neue Arbeit, Neue Kultur, Arbor 2004 (3) vgl. Archplus Nr. 171: Pop, Ökonomie, Aufmerksamkeit (4) „... abstraction is a calculated withdrawal from an impossible political moment, an overt refusal to participate in the social and political pathologies unfolding in the early 20thcentury city and ultimately the undesirability of gratuitously constructing the masses into a collective urban subject.“ Albert Pope: Ladders, Rice 1996, S. 234 (5) Daniel Libeskind, From Zero to Infinity, 1980, S. 27 (6) vgl. BrandEins, Heft 10/2004 Alle Bilder sind Filmstills aus Stalker

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Nele Dechmann

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Manifest 1 Situation

2 Zielsetzung

1.1 Wir leben in einer Zeit ohne Manifeste.

2.1 Wir streben keine „Politisierung“ der Architektur an. Keine Bildung von Strukturen, in denen einzelnen, machthungrigen und skrupellosen Individuen (mit Hilfe von Ideen, die sie zwischen sich und die anderen Menschen stellen) Macht gegeben werden kann. Wir denken aber auch, dass das Konzept eines Netzwerkes, das sich bei Bedarf formt und immer wieder neue Konstellationen annimmt, nicht weit genug geht. Weil es einerseits zu sehr den Mechanismen des Idols ausgesetzt ist, andererseits den ökonomischen und politischen Vorgängen vollkommen ausgeliefert ist.

1.2 Nachdem sich das Konzept der Genies fast aufgelöst zu haben schien, erleben wir jetzt eine neue Zeit der die Diskussionen prägenden Ikonen. 1.2.1 Das Konzept dieser Ikonen ist absurd. Genauer betrachtet, fußen Erfolg und Reputation oft mehr auf Glück und Gunst als auf Disziplin und Können. 1.2.2 Der Erfolg dieses Konzepts liegt in seiner vereinfachenden Kraft. Der Einzelne muss sich nicht mehr an seiner intellektuellen, sondern an seiner charismatischen Integrität messen lassen. 1.2.2.1 Diese charismatische Integrität ist generell nicht durch ernsthafte Auseinandersetzung mit der Kultur, sondern Auseinandersetzung innerhalb der Kultur (also gegen die Anderen) gekennzeichnet. 1.3 Wir sind nicht an der Form (wohl aber am Inhalt) des theoretischen Diskurses interessiert, der von diesen Ikonen geführt wird (wenn er überhaupt geführt wird). Er dient hauptsächlich dem Erhalten ihrer Macht und Reputation, und bindet Bewunderer an die Ikonen (je nach Persönlichkeit des Bewunderers entweder mit dem impliziten Versprechen, einmal selbst in einer solchen Position zu sein, oder mit der Aussicht, der Ikone dienen zu dürfen). Ein Prozess, der parallel in der Politik zu beobachten ist. 1.4 Diese Art von Architekturproduktion ist hochgradig destruktiv und unmoralisch. Durch Bündnisse mit der Politik, der Wirtschaft oder sogar der Popkultur (wobei hier wahllos hin- und her gesprungen wird) wird eine Verschandelung unserer Städte durch „Markenzeichen“, vor allem aber durch deren plumpe Imitationen betrieben.

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2.2 Die Gestaltung der gebauten Umwelt resultiert in einem hohen Maß an Verantwortung. Dieser Verantwortung versuchen wir gerecht zu werden, indem wir unser Wissen um unsere Umwelt ständig erweitern und unsere Positionen und Handlungen erklären und begründen. 2.2.1 Bewusst wird der Terminus „erklären und begründen“ benutzt, und nicht „gegenseitig kritisieren“. Wir denken, dass eine Kritik am Anderen nur spontan und auf persönlicher Ebene geschehen kann. Die rudimentäre Selbstorganisation, die wir anstreben, soll keine institutionalisierte oder ritualisierte Kritik hervorbringen. Sie soll lediglich dazu verpflichten, zu begründen. Alles Weitere geschieht auf der Ebene der ehrlichen, persönlichen Unterhaltung.

2.3.2 Anonymität des Autors, soweit es rechtlich möglich ist. Und damit Konzentration auf die Idee, und nicht das Prestige. 2.3.3 Ausrichtung der Projekte auf praktische und direkte Verwendbarkeit hin, auf ein Produkt, dass man in der Zeit der permanenten Krise verkaufen oder verschenken kann. Und zwar direkt an die Menschen und nicht erst über bürokratische Strukturen. 2.3.4 Allgemeinverständlichkeit 2.3.5 keine Pop-Produkte! Keine Hochglanzmagazine! Keine Anbiederung, und keine Täuschung des Kunden. Sondern Transparenz und Seriosität. Wir sind keine ComicFiguren oder Bands und müssen uns auch nicht so präsentieren. 2.3.6 Verweigerung der Kurzlebigkeit. Langfristiges und verantwortungsvolles Denken anstreben. Grundlegende Abgrenzungen Wir lehnen ab / stellen uns gegen: - resignative Haltungen - Konsum – Haltungen - Unkritische Haltungen („lass das Denken, es führt zu Nichts, wir müssen machen“) - Primitives Ausleben des (der Kultur inhärenten) Wettbewerbs auf der zwischenmenschlichen Ebene - Geschichtslosigkeit / Verneinung von Traditionen - Verneinung der modernen Kondition / Versuch zur Rückkehr zum „normalen“ Menschen. Die Welt hat sich zu stark verändert. - Orientierung an Dingen, nicht an Menschen.

2.3 Wie man der Verantwortung gerecht wird, ist nicht umfassend formulierbar. Auch hier muss jeder seinen Begriff von dem, was er mit seinem Schaffen zu erreichen versucht, selber definieren und den Anderen zur Verfügung stellen. Festgestellt werden können aber: 2.3.1 Ehrlichkeit und Menschlichkeit. Permanentes Berufen auf den Menschen als Maß des Bauens, im direkten und im übertragenen Sinne.

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