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fĂźr ansteckenden Glauben

LOS! LASSEN!


F O T O : U N S P L A S H / A N A S TA S I I A - R O Z U M N A

inhalt Wir feiern

20 „Berufung Jahre konkret“ 5. September 2020, 13.30 – 20.30 Uhr Dreikönigskirche Dresden, Hauptstraße 23 Neben einem bunten Programm mit Aus- und Rückblicken sind auch Samuel Harfst mit seiner Band und Andreas Boppart als Leiter von Campus für Christus am Start. Tageseintritt – all inclusive – 20 Euro Nähere Infos erhalten Sie per Mail: berufungfeiern@campus-d.de oder telefonisch: 0351-8400658

Warum einfaches Leben gar nicht so einfach ist 6 Thema

Rigoros entrümpeln 8

Thema

Enttäuschungen loslassen 12 Notstand ist normal 20

Anmeldung unter www.campus-d.de/veranstaltungen

EIN KALENDER VON

Wenn wir Menschen helfen, erzählen sie uns ihre Geschichte. Nicht immer mit Worten. Oft mit Blicken, die ins Herz gehen. Aus Bildern, Collagen und Zitaten solcher Begegnungen hat GAiN einen anspruchsvollen Kunst-Kalender gestaltet, der seinesgleichen sucht. Gönnen Sie sich etwas für Herz und Augen, das Sie jeden Monat neu mit Freude anschauen können. Mit dem Kauf des Kalenders tun Sie sich und anderen Gutes. Preis: 20 € plus Versandkosten Maße: 41 x 50cm Bestellungen: Info@GAiN-Germany.org, Tel. 0641-975 18-50 Einblick in den Kalender: GAiN-Germany.org/downloads Ab September erhältlich. Der Erlös kommt der humanitären Arbeit des Hilfswerkes GAiN zugute.

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Editorial 3 Nachgehakt 4 Leitgedanken 11 Berufung 14 Encouragé 17 Neue Bewegungen bei Campus Connect 18 Studierende erlaufen 35.000 Euro 22 Hope is rising 22 Impressum 23


editorial Christsein light

F O T O : C L A U D I A D E WA L D

„Was die Christen heute brauchen, ist ein neuer Tiefgang. Klarheit. Gewicht, sowohl im persönlichen Leben als auch in der Gesellschaft.“ Das behaupten viele und es ist auch nicht ganz verkehrt, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn der christliche Glaube war schon immer provokant leicht. In einer zentralen Aussage dazu richtet sich Jesus an seine Jünger und meint zu ihnen im heute als „Heilandsruf“ bezeichneten Abschnitt: „Kommt alle her zu mir, die ihr müde seid und schwere Lasten tragt, ich will euch Ruhe schenken. Nehmt mein Joch auf euch. Ich will euch lehren, denn ich bin demütig und freundlich, und eure Seele wird bei mir zur Ruhe kommen. Denn mein Joch passt euch genau, und die Last, die ich euch auflege, ist leicht“ (Matthäus 11,28–30). Der große Irrtum wäre nun zu denken, dass man als Christ Gott nicht besonders ernst nehmen müsste. Sorry! Das ist hier nicht gemeint. In dieser Impulse geht es uns um die fast paradoxe Idee, dass das Leben leichter wird, wenn wir Gott ernster nehmen. Und das bezieht sich auf vieles. Ab Seite 6 kommt die biblische Komponente der Leichtigkeit zum Tragen. Ab Seite 8 geht es um die Dynamik, die sich entfaltet, wenn wir uns einmal „entlasten“ und jeden Tag etwas weggeben, das wir besitzen. Danach können Sie mit Uta Pohl erleben, wie wirkliche Schwierigkeiten (der Tod ihres Kindes!) zu einer neuen Leichtigkeit in ihrem Leben geführt haben (Seite 12), und mit Andrea Wegener, wie inmitten der Schwere von Not, Elend und Tragödien im griechischen Flüchtlingscamp Moria immer wieder Hoffnung aufblitzt (Seite 18). Überhaupt: Hoffnung. Neben der Leichtigkeit bildet sie so etwas wie einen roten Faden durch diese Impulse-Ausgabe. Und das nicht nur, weil unser Missionsleiter ein Buch zum Thema „Hoffnung“ herausgegeben hat. Es ist übrigens auch leicht: leicht lesbar, wiegt nur 174 Gramm und kann Ihr Leben deutlich erleichtern. Ich wünsche Ihnen gute Impulse mit dieser Impulse,

Hauke Burgarth, Impulse-Redaktion

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Was ist der letzte Gegenstand, den du aussortiert hast? Was würdest du nie weggeben? Das haben wir unsere Kolleginnen und Kollegen – die meisten von ihnen zurzeit im Homeoffice – gefragt. Hier sind einige Antworten:

ICONS: FREEPIK

nach ehakt

Heimat-Sand Ich habe als letztes ein paar Kleidungsteile weggeschmissen, aber niemals würde ich das Glas weggeben, in dem Sand meines Landes liegt. Das bedeutet mir ein Stückchen Heimat.

Ein russischer Käfer

Zaid Kako ist aus dem Irak geflüchtet und studiert IT in Gießen

Schreibhefte

Ein süßes Lätzchen Eine kaputte Stereoanlage Ich habe letztens einen guten Mixer aussortiert, der ist noch voll funktionsfähig. Ich habe ihn aber zu selten gebraucht. Niemals trennen – zumindest bisher noch nicht – kann ich mich hingegen von einer kaputten Musikanlage, da ich die diffuse Hoffnung habe, dass sie irgendwann wieder gehen und gebraucht werden könnte. Hendrick Kettwick arbeitet bei GAiN.

Das Letzte, was ich aussortiert habe, ist ein kaputtes ferngesteuertes Spielzeugauto unserer Kinder. Etwas, das ich nie weggeben würde, sind all die von Freunden liebevoll selbst bestickten und personalisierten Anziehsachen für unsere Kinder, als sie noch klein waren. So wie dieses süße Lätzchen hier für unsere Tochter Miranda. Für solche Andenken habe ich eine Extrabox. Bianca Hopcraft ist bei Campus Connect in Leipzig und zurzeit Familienfrau.

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Ich habe letztens einen Bilderrahmen weggeschmissen, der kaputt

Ich bin schon viel umgezogen und trenne mich sehr leicht von „Ballast“. Aber es gibt ganz wenige Sachen, die bleiben. Nach 16 Jahren habe ich mich von meiner Computertastatur getrennt, aber der 32-jährige Keramikkäfer, den ich nicht einmal schön finde (!), der bleibt. Den hat mir meine Mutter noch in der Sowjetzeit geschenkt. Maria Jahnke arbeitet in der Buchhaltung von Agape Europe.

ging. Was ich niemals aussortieren würde, sind dagegen meine Schreibhefte, in denen ich festhalte, was Gott mir persönlich sagt. Judith Härchen unterstützt die Mitarbeiter in der Missionspartnerentwicklung.


Überflüssige Ordnung ist auch Unordnung. Aus Russland Omas Kleider In der Regel sortiere ich gerne und oft aus: Alles, was keiner mehr gebrauchen kann, was muffig oder verschlissen ist, wird entsorgt. Wovon ich mich schwer trennen kann, sind die alten Kleider meiner Oma. Sie hatte eine besondere Tracht, die hier keiner trägt. Anscheinend verbinde ich sehr viel mit ihr. Wenn ich flüchten müsste und wirklich kein Gepäck mitnehmen dürfte, würde ich sicher einige Familienbilder mitnehmen. Als letztes habe ich die Wohnung meines Vaters entrümpelt, konnte mich aber nicht von einem alten Wohnzimmerschrank trennen. Irene Duske ist die gute Seele der Personalabteilung.

Kinderfotos Was ich vor kurzem aussortiert und verschenkt habe, war eine Moulinette – eine kleine Küchenmaschine. Das war die einfache Antwort. Die andere Frage ist für mich echt schwierig: Was ich nie weggeben würde? Hier muss ich echt passen. Höchstens die alten Fotos und Videos unserer Kinder!? Vielleicht liegt es daran, dass mein Leben schon zweimal auf der Kippe stand und ich lernen musste, mich von allem zu lösen. Uta Pohl arbeitet mit ihrem Mann bei Familylife.

Ein rosa Einhorn Ich sortiere nicht aus, ich sammle! Und ich würde mich nie von meinem rosa Einhorn trennen. Ralf Gattinger leitet die Buchhaltung.

Opas Werkbank Ich habe in der letzten Zeit sehr viel aussortiert und entsorgt. Da war einiges dabei … auch gute Predigten. Was ich aber nie entsorgen würde, ist die alte Werkbank von meinem Opa! Die hat er selber gebaut, sie ist sehr schwer, aber neben einem kleinem Passfoto so ziemlich das einzige, was mich an ihn erinnert. Wolfhard Stefanski ist Objektmanager.

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WARUM EINFACHES LEBEN GAR NICHT SO EINFACH IST …

Eigentlich wollte ich diesen Artikel hier längst geschrieben haben: einige biblische Gedanken zum Thema „Leben mit leichtem Gepäck“. Ich hatte auch sofort ein paar Ideen, habe sie notiert – und wurde nicht warm damit. Sie fühlten sich „richtig“ an, aber nicht „wahr“. Verstehen Sie, was ich meine? Meine Gedanken waren nicht verkehrt, aber sie haben sich auf den alten Geleisen bewegt und nicht einmal mich hinter dem Ofen hervorgelockt. Doch dann kam im wahrsten Sinn des Wortes ein „Geistesblitz“ – um fünf Uhr morgens. Das ist normalerweise nicht meine Zeit, um aufzustehen. Aber aus alter Gewohnheit habe ich Zettel und Stift neben dem Bett liegen …

Wer sucht, der findet Was sagt die Bibel denn nun zum Thema „einfaches Leben“? Provokant könnte man sagen: das, was Sie hören möchten. Tatsächlich steht etliches dazu in der Bibel. Allerdings gehen die Aussagen nicht nur in eine Richtung. Vor allem das Alte Testament unterstreicht, dass Reichtum und Segen geradezu Ziel und Berufung aller Nachfolger Gottes sein sollten. Das Neue Testament scheint eher Armut und Einfachheit als Bestimmung jedes Einzelnen zu favorisieren. Und nun? Was kann ich daraus für mich ableiten? Okay, der eine Gedanke stammt aus dem Alten und der andere aus dem Neuen Testament. Doch „alt“ und „neu“ allein werden diesen Fragen nicht gerecht. Denn das Grundproblem aller Fragen, die sich um Besitz und Einkommen drehen, ist: Wir kom-

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men nicht vor. Also ich jedenfalls nicht. Denn ich gehöre zu einer Gruppe, die es in der gesamten biblischen Zeit praktisch nicht gab: der Mittelschicht. Damals gab es wenige ganz Reiche und viele Arme und Tagelöhner, die Unterschicht. Und dazwischen war praktisch nichts. Ich und meine Lebenswirklichkeit kommen in der Bibel gar nicht direkt vor. Wenn ich über „einfaches Leben“ nachdenke, dann ziehe ich mir die eine oder andere Aussage der Bibel heran, doch sie spricht zunächst einmal „wirklich“ Reiche und „wirklich“ Arme an – und nicht mich.

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Und nun? Ich will Bibeltexte nicht missbrauchen, um meinen Status quo zu begründen, aber ich sehe, dass ein neues Lesen „zwischen den Zeilen“ nötig ist, das den eigentlichen Sinn vieler biblischer Gedanken zum Thema erschließt.

Das Kopfkissen von Jesus Aber konkret: Wo spricht die Bibel denn von so etwas wie einem „einfachen Leben“? Ganz zu Beginn steht die Schöpfungsgeschichte. Und die vereinfacht schon vieles: Mitten hinein in einen übervollen Götterhimmel spricht sie plötzlich nur noch von einem Gott, der nicht nur Sonne, Meere, Berge, Fische, Bäume, Vögel und Menschen erschaffen hat, sondern auch allein für sie zuständig ist. Ist das einfach? Teilweise. Denn gleichzeitig widerspricht die überbordende Pracht der Schöpfung so mancher Idee von asketischer Hässlichkeit. Ein typisches Beispiel ist Abraham. Gott rührt das Leben dieses Beduinen an und segnet ihn. Er wird nicht nur der „Vater vieler Völker“ (1Mo 17,4), sondern ist sehr reich (1Mo 13,2). Ist er damit der Prototyp des Gottesnachfolgers? Jesus scheint später etwas ganz anderes auszusagen: „Füchse haben ihren Bau, und Vögel haben ihre Nester, aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sich hinlegen kann“ (Mt 8,20). Das hört sich definitiv nicht nach Reichtum an. Am Ende bewegen wir uns zwischen der Idee eines Wohlstandsevangeliums („Lebe mit Gott, dann segnet er dich auch materiell“) und der einer Armutsbewegung (mit verschiedenen Vertretern von Franz von Assisi bis hin zu Shane Claiborne). Und wie gehe ich damit um? Ich fühle mich letzterer näher, lebe aber meist in den anderen Sphären. Und genau hier setzen Simplify & Co an, weckt Marie Kondo mein schlechtes Gewissen.


THEMA

… UND WAS DIE BIBEL DAZU SAGT

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Und nun? Ich bekomme wenig Klarheit und scheinbar keine einheitliche „biblische“ Lehre. Gesetzlichkeit (Du sollst …) ist damit keine Option. Aber es scheint klar zu sein, dass sich das Leben nicht nur ums „Haben“ oder auch ums „Nicht-Haben“ dreht.

Die Tränen von Jeremia Und was ist mit der geistlichen Sicht des einfachen Lebens? Es kann ja auch um andere Lasten gehen … Ist es nicht so, dass Gott Probleme löst und Lasten abnimmt? Ja. Beziehungsweise jain. Denn das Problem bei dieser Sichtweise sind hingegebene Gottesmenschen wie der Prophet Jeremia. Mein AT-Dozent Doyle Klassen gab uns früher den Tipp: Notieren Sie einmal, wann davon die Rede ist, dass Jeremia weinte. Ich bin froh, dass ich jeweils nur eine Träne an den Rand meiner Bibel gemalt habe. Hätte ich einen Wassertropfen darauf gegeben, wäre die ganz Bibel durchgeweicht. Dasselbe finden wir bei Paulus im Neuen Testament. Heute wird er oft als Glaubensheld gefeiert, doch so fühlte er sich offensichtlich nicht: „Was bin ich doch für ein elender Mensch! Wer wird mich von diesem Leben befreien, das von der Sünde beherrscht wird?“ (Röm 7,24).

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Und nun? Wer meint, dass der Glaube auch die menschlichen und geistlichen Fragen des Lebens löst, hat sich vertan. Aber ohne Glauben sind diese offenen Fragen noch viel größer.

Leichtes Gepäck Zu meinen schönsten Urlaubserlebnissen zählt der Soonwaldsteig zwischen Kirn und Bingen. Diese Tour bin ich vor ein paar Jahren gelaufen – mit kleinem Gepäck, allein, fast ohne Begegnungen, geschlafen habe ich im Ein-Mann-Zelt irgendwo im Wald. Ich war von den ersten Metern an absolut entschleunigt, und als ich am vierten Tag wieder „in die Zivilisation“ zurückkam, fühlte sich das erst einmal seltsam an. Allerdings: hätte ich ein Hotelbett gewollt, hätte ich es nach einer halben Stunde bekommen, und hätte ich einen Arzt gebraucht, wäre der auch erreichbar gewesen (jedenfalls da, wo mein Handy Netz hatte). Warum ich das aufschreibe? Weil ich denke, dass meine Sehnsucht nach einfachem Leben gut und richtig ist. Dass sie aber auch dadurch funktioniert, dass meine gewohnte (und vielleicht komplizierte)

Infrastruktur im Hintergrund ist. Dasselbe gilt für viele der heutigen Minimalismus-Bestrebungen: Ein halbleerer Kleiderschrank ist nur dann begehrenswert, wenn ich den reduzierten Inhalt bei Bedarf schnell mal austauschen kann. Denn wer will schon nur eine Hose haben – und sich keine andere kaufen können? Ein „Tiny Home“ mit 20 Quadratmetern ist nur dann attraktiv, wenn es eine bewusste Beschränkung ist. Wenn ich sowieso in einer Hütte ohne Strom und Wasser lebe, ist es das eher nicht.

Die Sehnsucht zählt Zentrum und Höhepunkt der biblischen Aussagen zu einem einfachen bzw. reichen Leben ist die Bergpredigt. „Denn wo dein Reichtum ist, da ist auch dein Herz“, stellt Jesus darin klar (Mt 6,21). Seine Aussagen schlagen eine Brücke zwischen AT und NT, zwischen materieller und geistlicher Bedeutung. Was hat Jesus gesagt? „… da ist auch dein Herz.“ Darum geht es! Die Sehnsucht zählt. Oder nennen wir es Ausrichtung. Oder Vision. Oder… Sie ist der Motor für jede Veränderung. Für eine Veränderungen in Richtung: „Ich möchte weniger besitzen“ oder „Ich möchte meinen Besitz verantwortlicher einsetzen“. Dasselbe gilt für den geistlichen Bereich: „Ich möchte erleben, wie Gott mich frei macht“ oder „Ich möchte Gottes Freiheit in meinen Grenzen erleben“. Einfaches Leben lässt sich nicht romantisieren. Ich erlebe es realistisch im Hier und Heute.

Ich und meine Lebenswirklichkeit kommen in der Bibel gar nicht direkt vor.

Einfach leben ist nicht so leicht. Unbelastet leben ist ganz schön schwer. Aber nur die Sehnsucht danach ermöglicht ein Leben, das diesen Namen verdient. Hauke Burgarth

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FOTO: ISTOCK

Rigoros entrĂźmpeln

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THEMA

10 Dinge, die ich beim Ausmisten gelernt habe

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nfang des Jahres haben mein Mann und ich beschlossen, das 30-Tage-Minimalismus-Spiel zu spielen. Es geht ganz einfach: Regel Nummer eins besagt, dass man sich am ersten Tag von einem Ding trennt, am zweiten von zwei Dingen, am dritten von drei usw. Wirklich spannend wird es also bei den zweistelligen Tagen. Und wirklich wirklich spannend wird es, wenn man es zu zweit spielt, aber in einem Haushalt lebt. Wer sich mal eben an den heißgeliebten Mathe-Unterricht erinnert, stellt fest: das sind dann insgesamt 960 Dinge! Regel Nummer zwei ist mindestens genauso wichtig. Jedes aussortierte Ding muss innerhalb einer Woche wirklich wegkommen: in die Mülltonne, den Verschenkmarkt oder zu Ebay-Kleinanzeigen. Nun muss ich dazu sagen, dass ich keine Anfängerin bin, was Entrümpeln, Aussortieren und Ausmisten angeht. Ich würde sogar fast so weit gehen, dass das eine Art Hobby von mir ist. Seit Jahren ist der Satz von William Morris mein Credo: „Have nothing in your house that you do not know to be useful, or believe to be beautiful.” (Habe nichts in deinem Haus, was nicht entweder nützlich oder schön ist.) Hatten wir es also vielleicht gar nicht nötig, das Spiel zu spielen? Spoiler: Hatten wir doch. Und Spoiler zwei: Wir haben wirklich über 960 Gegenstände aussortiert. Hier sind zehn Dinge, die ich in diesem Monat gelernt habe:

1. Wir haben viele, viele Dinge Keine Schublade, kein Aktenordner, keine Kiste war mehr vor uns sicher. Wir haben entrümpelt, was das Zeug hält. Und trotzdem hatte ich sogar nach zwei Wochen (= Haushaltsinventar minus 240 Gegenstände) den Eindruck: Das wird ja gar nicht weniger! Wir haben tatsächlich so viele Dinge und Gegenstände, dass das Entrümpeln besonders in der ersten Hälfte des Monats optisch gar nicht aufgefallen ist. 2. Ich bin so dankbar für alles, was wir haben Ich hatte vom Keller über den Gartenschuppen, vom Wohnzimmerregal zur Schlafzimmerkommode, vom Badschrank bis

zum Dachbodenkarton alles in der Hand, was wir besitzen. In Worten: A-L-L-E-S. Das hatte den Effekt, dass ich vieles wiederentdeckt habe, was längst aus meiner Aufmerksamkeitsspanne herausgefallen war. Und ich bin regelmäßig in Begeisterung ausgebrochen: Was wir für tolle Dingen haben! Es war, als würde ich durch ein Kaufhaus laufen mit dem Wissen, dass ich für all das nicht mehr bezahlen muss.

3. Ich habe genug Genug Bettwäsche. Genug Tassen. Genug Teelichtgläser. Genug Vasen. Genug Schuhe (Okay. Nein, das war gelogen.). Und an diesem Punkt des „Genug“ anzukommen, ist wahnsinnig befreiend. Ich kann heute durch Läden gehen und einfach wahrnehmen: „Oh, hübsche Vase“, oder „Tolle Pulloverfarbe“, aber bin nicht länger getrieben, alles besitzen zu müssen, wie eine Fünfjährige an der Supermarktkasse, da, wo es die Ü-Eier gibt. In Schweden gibt es ein Wort dafür: „lagom“. Nicht zu viel, nicht zu wenig, sondern genau richtig. Dieses „lagom“-Gefühl hielt bei mir sehr, sehr lange an. 4. Das Schwerste: Uni-Unterlagen Als natürliche Wegwerferin fällt es mir grundsätzlich zu keinem Zeitpunkt schwer, Dinge loszuwerden. Wo es mir aber überraschenderweise erstaunlich schwerfiel, war bei meinen handschriftlich gefertigten Uni-Unterlagen, ganze sieben Aktenordner dick. Dabei ist mein Abschluss über ein Jahrzehnt her. Ich arbeite nicht mal in meinem Fachbereich, ergo: Ich brauche keine seitenweisen Ausführungen über den biochemischen Aufbau der DNA oder Querschnittszeichnungen von Schaben und Regenwürmern (kein Scherz!). Aber da lagen nun mein rationaler Kopf („Schmeiß weg! Brauchste nicht mehr! Kannste notfalls bei Wikipedia nachschlagen!“) und mein sentimentales Herz („Ach, all die Stunden. All der Fleiß. All die schönen Jahre an der Uni!“) im Clinch miteinander. Schließlich habe ich erkannt, dass diese Aufzeichnungen nur repräsentieren, was einmal war, und dass ich kein materielles Denkmal dafür brauche.

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Die Anschaffung geht rasend schnell, die Entsorgung hingegen ist teilweise sehr aufwendig.

Nur meine geliebten botanischen Zeichnungen habe ich (erst einmal) behalten.

5. Der Galerie-Effekt Wie wirkt ein Gemälde besser? Wenn es einsam an einer weißen Wand hängt, angestrahlt von einem einzigen Spot, mit gebührendem Abstand von all den anderen Gemälden der Ausstellung? Oder wenn es dicht an dicht als eines von vielen an der Wand hängt? Meistens – nicht immer (wie beim Treppenaufgang im Frankfurter Städel) – ist Ersteres der Fall und genau dieser Effekt ist auch bei uns zu Hause eingetreten. Je weiter der Januar voranschritt, desto „leerer“ wurde es. Aber nicht kahl: Dadurch stehen die Dinge, die wir wirklich lieben und brauchen, viel mehr im Spotlight und haben einen ganz neuen Glanz bekommen. 6. Kaufen verpflichtet! Wie schnell sagen wir: „Ach, das gefällt mir/ das brauche ich/ das will ich/ das passt mir nicht mehr – weg damit!“ Besonders, wenn es sich um Kleinigkeiten handelt, die weniger als zehn Euro gekostet haben. Ich wurde mir in diesem Januar aber der Verpflichtung und Verantwortung neu bewusst, die mit dem Kauf eines Produkts, sagen wir einem Shampoo, einhergeht: Das Shampoo wurde konzipiert, designed, hergestellt, verpackt, verschifft und in Regale geräumt. Währenddessen bin ich brav jeden Morgen früh vor der zu meinem Chronotyp passenden Zeit aufgestanden, habe mich wahlweise in Kälte, Hitze, Regen und übervolle Linienbusse gequält, saß meine acht Stunden im Büro und habe am Monatsende das Geld dafür bekommen. Dieses trage ich dann in den Laden, um das Shampoo zu kaufen. Selbst wenn es nur ein paar Euro sind, sind unendlich viele Ressourcen in dieses Produkt geflossen. Mache ich es mir da nicht viel zu einfach, es einfach wegzugeben, nur weil es nicht hundertprozentig meinen Erwartungen entspricht? Doch nicht so seidige Haare macht, wie die Werbung versprochen hat? Doch nicht so schön riecht, wie ich dachte? Der beschämenden Wahrheit, dass wir oft ganz schön leichtfertig die Dinge in unseren Einkaufskorb werfen, mussten wir uns im Januar oft stellen. Klar, man könnte einfach die schwarze Tonne mit einem fröhlichen „Ciao Kakao“ aufklappen. Aber das hat mir mein ethischer Beirat im Hirn verboten. Ab jetzt gilt: Was ich kaufe, konsumiere ich. Basta! Und ich muss mich immer nur kurz an diesen Januar erinnern, um bewusster einzukaufen.

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7. Gekauft – zack! – Wertverlust von mindestens 50 Prozent Selbst wenn ich die Hose, die ich mir eben im Laden gekauft habe, kein einziges Mal anziehe, würde ich auf dem Flohmarkt oder bei den Kleinanzeigen niemals den vollen Kaufpreis dafür bekommen. Selbst wenn das Preisschild noch dran ist. Wahnsinn, oder? Sobald ich den Fuffie rübergereicht habe, ist es „mein“, auch bekannt als „gebraucht“. Das war eine recht ernüchternde Erkenntnis, als wir versuchten, unsere „Gebraucht, aber ehrlich noch top erhalten“-Sachen bei Ebay gegen ein bisschen Bargeld einzutauschen. Umgekehrt kann ich mir das aber genauso zunutze machen und viel mehr secondhand kaufen. Und genau das werde ich ab jetzt tun. Wie verrückt erscheint es mir mittlerweile, neue Dinge zu kaufen in einer Zeit des unfassbaren Überflusses, in der viele gebrauchte Sachen wirklich noch tipptopp in Ordnung sind. 8. Marie Kondo funktioniert … Und zwar vor allem bei sentimentalen Gegenständen wie Fotos, Geburtstagskarten oder Briefen. Gegenstände haben anscheinend diese kleinen Vergangenheits-Ankerhaken, die uns in die Zeit zurückkatapultieren, aus der sie stammen. Das macht es mitunter schwer, sie loszulassen. Der Teddy, der mich als Kind nachts getröstet hat. Das Lehrbuch „Organische Chemie“, das mich weit über den Rand der Verzweiflung hinausgetrieben hat. Die Kiste mit dem losen Krimskrams und den Briefbüchern, die meine beste Freundin und ich jahrelang geführt haben. Aber auch die Fotos, die ich auf der ersten Klassenfahrt von einer verregneten Fränkischen Schweiz gemacht habe. Während der Teddy noch viel Freude ausstrahlt, tun das die Fotos irgendwie nicht mehr so. 9. Sachen haben nicht nur einen finanziellen Preis Wie schnell hat man gerade beim Onlineshopping auf „Bestellen" geklickt und etwas geliefert bekommen, aber wie unsagbar lange kann es dauern, bis man es wieder losbekommt! Denn Dinge haben nicht nur einen finanziellen Preis, sondern auch einen Platz-Preis: Wo verstau ich das nur? Wir brauchen noch ein Regal mehr! Aber dann reicht das Zimmer nicht mehr. Wir brauchen eine größere Wohnung! Und sie haben vor allem einen Zeit-Preis: Wie viele Stunden verbringe ich damit, alles abzustauben, zu waschen, zu falten, zu pflegen? Wie lange dauert es in diesem Spiel, in jede Kiste zu schauen? Wie aufwendig


LE I T G E DA N KE N

Leben mit leichtem Gepäck

ist dieses Inserieren bei Ebay, dieses Hinund Herschreiben mit den Interessenten? Und verflixt, warum kauft das denn jetzt keiner? Jetzt muss ich es noch woanders inserieren! Oder zur Entsorgungsstelle fahren. Das braucht wieder den ganzen Samstag … Ich merke mir: Die Anschaffung geht rasend schnell, die Entsorgung hingegen ist teilweise sehr aufwendig.

10. Hobbys haben ihre Zeiten Natürlich ist es traurig (finanziell gesehen), wenn man viel Geld in ein bestimmtes Hobby investiert hat, sagen wir Snowboarden oder Airbrush-Malerei, nur um ein paar Jahre später festzustellen, dass man daran eigentlich nicht so viel Freude hat. War es dann verschwendetes Geld? Hätte man sich die Utensilien dafür nicht leihen können? Ein anderes Hobby wählen sollen, wofür man nichts braucht, wie z.B. Spazierengehen oder Leihbücher lesen? Trotz meiner Januar-Erfahrung glaube ich aber von ganzem Herzen: „nein“. Auch wenn wir uns jetzt in unserer Wohnung fühlen wie eine Festplatte nach dem Defragmentieren (zumindest denke ich, dass sie sich so fühlen müsste) und auch geloben, keine leichtfertigen Konsumenten mehr zu sein, werden wir immer noch Dinge kaufen, die wir in fernerer Zukunft nicht mehr brauchen. Und das ist auch okay so. Julia Spanka

In der Schweizer Armee absolvierte ich etliche lange Märsche. Auf den vielen Kilometern war immer für alle klar: Im Rucksack ist nur das Nötigste! Viele andere Menschen haben ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass man jedes extra Kilo mit Schweiß bezahlt. Und trotzdem gelingt uns die Adaption in den Alltag oft nur mäßig. Erst vor wenigen Jahren ist mir bewusst geworden, wie viel Unnötiges ich eigentlich durchs Leben schleppe. So haben wir uns zu Hause über die Jahre viele hilfreiche Haushaltsgeräte angeschafft. Geht eines kaputt, muss die Reparatur abgeklärt oder irgendwo ein Ersatzprodukt gekauft werden – alles verbunden mit Zeitaufwand. Laufen sie mit Akku, müssen diese oft täglich aufgeladen werden… all diese Geräte schreien also immer wieder nach Aufmerksamkeit und saugen mir Zeit und Energie ab. Nun haben wir begonnen, einzelne Geräte einfach „sterben“ zu lassen Andreas Boppart, Leiter von - ohne Toaster und Eierkocher lebt es sich Campus für Christus irgendwie leichter. Mich hat auch geärgert, dass ich jeden Abend Zeit damit verbringen musste, die Kleider für den nächsten Tag oder einen Event zu richten. Dabei musste ich immer darauf achten, dass am Ende die Schuhe zum Gürtel passten. Viele Leute lieben ja genau das: Kleider auswählen für mich wurde es zu einer unnötigen Last. Das hat mich veranlasst, mir mehrere Exemplare der gleichen Hose und des gleichen Hemdes zuzulegen, sodass ich nun einfach mit zwei Handgriffen meine Sachen beisammen habe. Ich will nicht einer Theologie des Minimalismus frönen. Aber es ist mir wirklich wichtig geworden, unnötiges Reisegepäck im Leben zu eliminieren. Dabei ist anzumerken, dass es auch Unnötiges geben kann, das dazugehören darf, weil es nicht beschwert. So schmeiße ich nicht einfach alle Kinderzeichnungen ins Altpapier, nur weil sie „unnötig“ sind. Schönheit kann per se einen Hauch von „Unnötigkeit“ mit sich tragen, trotzdem hat sie einen wesentlichen Platz in unserem Leben. Aber dort, wo Unnötiges beschwerend wird und die Leichtigkeit raubt, lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Drei kleine Schritte helfen dabei: - Entlarve Dinge, die unnötig und beschwerend sind. - Entscheide dich bewusst für Sachen, die dir wichtig sind. - Hinterfrage bestehende Dinge in einem gesunden Rhythmus immer mal wieder. Dieses Beschwerende muss nicht immer ein Gegenstand sein, es kann auch eine Gewohnheit sein. Gott „beschneidet“ uns immer wieder, heißt es in Johannes 15. Das kann schmerzhaft sein, führt aber immer dazu, dass unser Leben dadurch „viel Frucht“ bringt. Welcher Beschnitt würde deinem Leben mehr Leichtigkeit verleihen?

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Enttäuschungen loslassen „Ich habe ein Kind verloren und ein anderes wiederbekommen“

Mein Mann und ich hatten uns immer gewünscht, einmal drei oder vier Kinder zu haben. Nachdem wir zwei gesunde Kinder bekommen hatten, war ich mit 31 Jahren das dritte Mal schwanger. Alles verlief problemlos. Kurz nach dem errechneten Termin setzten die Wehen ein. Wir fuhren ins Krankenhaus, wo die Geburt vorbereitet wurde. Plötzlich waren die Herztöne des Kindes nicht mehr zu hören. Es begann ein emsiges Treiben, Untersuchungen, Blutabnahme … Dann kam der Chefarzt zu uns ans Bett und sagte das Unfassbare: „Ihr Kind ist tot, ein Kaiserschnitt würde zu lang dauern und wäre aussichtslos.“ Wir waren fassungslos. Das konnte unmöglich wahr sein. Gerade noch hatte das Kind gestrampelt. Und hatte nicht vor ein paar Wochen eine Frau prophezeit, dass wir bei der Geburt die Hilfe des Herrn erfahren würden? Wo

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war die Hilfe? Wo war Gott? Wie konnte er das zulassen? Die Entbindung war schwer! Dann war er da – ein Junge, 3800 Gramm und, wie uns die Obduktion später verriet, völlig gesund. Die Todesursache war ein kleiner Defekt zwischen Nabelschnur und Gebärmutter gewesen. Durch die Wehen riss die Nabelschnur dort, sodass das Baby nicht mehr versorgt wurde. Während ich ein paar Tage im Krankenhaus bleiben musste, räumte mein Mann Andreas zu Hause alle Babysachen weg. Mir graute davor, nach Hause zu kommen. Die ersten Tage traute ich mich nicht nach draußen. Irgendwann kam der erste Einkauf, bei dem ich auch noch eine Frau aus der Gemeinde traf. Freudestrahlend fragte sie mich, wie unser Kind heißt. Unter Tränen sagte ich ihr nur kurz, dass unser Sohn Johannes tot war; danach konnte ich nur noch heulend nach Hause rennen.

Wie wird die Seele heil? Eine junge Frau, die kurz zuvor zum Glauben gekommen war, sagte zu mir: „Uta,

ich kann Gott nicht verstehen. Wie kann er das zulassen, gerade bei euch, wo ihr euch doch in der Gemeinde so engagiert und für Gott einsetzt?“ Ich versuchte, es ihr zu erklären. Aber ihr Satz blieb bei mir haften. Nach außen zeigte ich mich tapfer, unbeirrbar und fest im Glauben. Aber in meinem Inneren schrie alles. Ich war verletzt, zornig und enttäuscht von Gott. Ich hatte nichts gemacht, hatte nicht, wie z. B. David, Schuld auf mich geladen. Wie konnte er da mein Kind sterben lassen? Ich hatte das nicht verdient! Ich suchte in der Bibel nach dem Warum und Weshalb. Und wie konnte meine Seele heil werden? Ich machte Gott Vorhaltungen und zweifelte an seinen guten Wegen für uns. Ich war weit weg von ihm. Heute glaube ich, dass allein die Gebete von lieben Freunden und meinem Mann mich in dieser Zeit „über Wasser gehalten“ haben. Mein Gottesbild hatte sich jedenfalls völlig verändert. Oder kam es hier womöglich erst wirklich zum Vorschein? Ein Jahr später: Wir fuhren zum Gottesdienst. Mit unserem vollbeladenen Opel


Nach außen zeigte ich mich tapfer, unbeirrbar und fest im Glauben. Aber in meinem Inneren schrie alles.

Karavan parkte Andreas gerade ein, als unser 11-jähriger Sohn Lukas von der Seite angerannt kam. Andreas hatte ihn nicht gesehen und überfuhr ihn. Ich sprang aus dem Auto, kniete neben ihm nieder. Alles krampfte sich in mir zusammen: „Herr, lass ihn nicht auch noch sterben.“ Krankenwagen und Rettungshubschrauber kamen; später fuhren wir wie benommen hinter ihnen her ins Krankenhaus. Im Gottesdienst betete man inzwischen intensiv für Lukas. Das Warten im Krankenhaus wurde für uns zur Ewigkeit, angefüllt mit Vorwürfen: Was haben wir nur getan? Wie konnten wir ihn übersehen? Wird er überleben? Und wenn ja, mit welchen Folgeschäden? Als man uns zum Chefarzt holte, zitterten meine Knie. „Wir konnten keinerlei Verletzungen an ihrem Sohn feststellen“, sagte er. Lediglich ein paar Äderchen in den Augen waren geplatzt, sein Fuß war verstaucht und man sah die Reifenspuren auf seinem Rücken. Der Arzt hatte so etwas noch nicht erlebt. Überhaupt sei das Ganze eigentlich unmöglich. Vielleicht könnte ein zweijähriges Kind, bei dem die Knochen noch weich sind, so etwas überstehen,

aber nicht ein elf Jahre alter Junge. Er hatte keinerlei Erklärungen dafür. Andreas und ich aber wussten, dass wir soeben Gottes übernatürliches Eingreifen erlebt hatten.

Wie bei Hiob Als wir wieder im Warteraum saßen, sprach Gott ganz leise zu mir: „Du kannst mit mir nicht rechten. Diesmal wart ihr schuld. Ihr wart unaufmerksam und habt euren Sohn überfahren. Ich habe ihn auf wunderbare Weise bewahrt.“ Wie Hiob kam ich mir vor. Ich hatte Gott herausgefordert. Beschämt bat ich Gott um Vergebung, dass ich auf ihn zornig war, ihn für ungerecht und lieblos hielt und enttäuscht von ihm war. Wie einen schweren Rucksack legte ich all meinen Groll, meinen Frust vor Gott ab. Ich merkte, wie eine Riesenlast von mir abfiel. Und obwohl Gott meine Frage nach dem „Warum“ nicht beantwortete, merkte ich, wie meine Seele langsam zu heilen begann. Ein halbes Jahr später fuhren wir für ein Wochenende mit unserem Hauskreis zu den Marienschwestern nach Darmstadt.

Dort gibt es einen großen Garten, in dem auf verschiedenen Gedenksteinen Bibelverse stehen. Als ich das Grundstück betrat, begann ich zu weinen. Eine Schwester kam auf mich zu und fragte besorgt, ob sie mir helfen könnte. Ich konnte es ihr aber gar nicht erklären. Es waren schlicht Gottes Gegenwart und Nähe, die ich dort sehr stark empfand. Ich wusste: Diese Tränen sind Tränen der Heilung! Gott berührte mein Herz dort auf eine Weise, wie ich es noch nie erlebt hatte. Beim Gang durch den Park blieb ich an einem Stein stehen, dessen Inschrift mich sofort ansprach (5 Mose 8,2+16): „Ich habe dich den langen Weg durch die Wüste geführt, um dich zu demütigen und dich zu prüfen, damit offenbar würde, was in deinem Herzen ist …, und dir am Ende Gutes zu tun.“ Da war sie: Gottes Antwort auf meine Fragen. Uta Pohl ist verheiratet mit Andreas. Gemeinsam haben sie vier Kinder. Sie arbeiten bei Campus für Christus im Bereich Familylife.

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g n u f u r e B Was liegt in uns? Und wie findet man heraus, was in einem liegt? Wir haben vier Personen gefragt, die sich im Kurs „Berufung konkret" auf die Suche nach ihrer persÜnlichen Berufung gemacht haben und ihr auf die Spur gekommen sind.

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Impulse: Daniel, du hast seit 20 Jahren Kontakte nach Indien. Seit fünf Jahren unterstützt du aktiv eine Arbeit, die Slumbewohner in Chennai im Südosten des Landes zu Mentoren und Leitern ausbildet. Ist das nicht Berufung genug? Daniel: Ja, das könnte man meinen, aber irgendwann ist mir deutlich geworden, dass die Menschen in Indien ermächtigt werden sollten, ihre eigene Berufung zu leben und nicht meine oder die der anderen Mitarbeiter. Ich wurde gefragt, ob ich einen Berufungskurs für die indischen Mentoren entwickeln könnte. Leichter gesagt als getan, denn ich hatte ja selbst auch noch nie einen solchen Kurs besucht. In Deutschland wurde ich damals von verschiedenen Personen auf „Berufung konkret“ aufmerksam gemacht. „Berufung konkret“ findet berufsbegleitend über neun Monate statt. Besonders für dich, Sonja, muss das doch eine Herausforderung gewesen sein. Du bist regelmäßig von Würzburg nach Chemnitz gereist … Sonja: Ja, ich bin die Strecke zweimal im Monat gefahren. Mittwochs nach der Arbeit ab ins Auto, für drei Stunden Präsenzunterricht in Chemnitz und samstags für einen ganzen Tag. Meine Urlaubstage gingen in dieser Zeit großteils für das Berufungsseminar drauf. Für mich hat sich der Aufwand aber gelohnt. Bevor ich selber Teilnehmerin wurde, hatte ich schon über mehrere Ecken von dem Kurs gehört, z. B. dass er einer der besten sei, die in der christlichen Szene angeboten werden. Ich kann das jetzt bestätigen und würde mir wünschen, dass „Berufung konkret“ bald auch in Bayern und BadenWürttemberg angeboten wird.

Sonja Bauer (35) hat am Berufungskurs in Chemnitz teilgenommen. Die Sozialpädagogin und Industriekauffrau lebt in Würzburg und musste für die Teilnahme an den regelmäßigen Präsenzphasen einiges an Energie in puncto Fahrzeit und Kilometer in die Schale werfen. Es hat sich gelohnt, findet sie.

Und …?

Pia Bräuer (30) war Teilnehmerin des Kurses „Berufung konkret“ in Dresden. Die Biologin, die im Zuge ihrer Doktorarbeit am Winterschlaf von Hamstern forscht, hat durch den Kurs gelernt, sich selbst und ihre Gaben mehr wertzuschätzen. Sie ist überzeugt: Jesus hat einen guten Plan für jeden von uns.

Daniel John (37) fördert innovative Start-ups bei ihrem Markteintritt. Er ist mit einer festen Zielsetzung in den Berliner Kurs eingestiegen: Wie kann man einen Berufungskurs für Menschen in indischen Slums entwickeln? Er nimmt wertvolle Impulse diesbezüglich mit und findet, dass jede Gemeinde diesen Kurs anbieten sollte.

Pia: Jesus hat mir in den vergangenen Monaten wirklich mehr von dem offenbart, was er für mein Leben vorhat. Zwar habe ich nicht die Schritt-für-Schritt-Zukunftsanleitung bekommen, aber ich habe endlich wieder Hoffnung, dass es nach meiner Doktorarbeit gut für mich weitergehen wird. Außerdem wurden meine Selbstwahrnehmung geschärft und mein Selbstwert gestärkt. Ein Beispiel: Ich hatte natürlich schon oft gemerkt, dass es mir Freude macht, anderen Menschen zu helfen, aber dass es eine „richtige“ Gabe ist, war mir nicht bewusst. Das zu erkennen, ist eine wertvolle Erfahrung für mich. Es beflügelt mich regelrecht! Anne: Daniel und ich wollten ja eigentlich „nur“ Anregungen bekommen, wie wir selber ein Angebot für Indien entwickeln können, aber darüber hinaus konnten wir sehr viel für unsere Ehe mitnehmen. Wir konnten uns unsere Stärken deutlich bewusster machen und sie weiter herausarbeiten. Daniel: Ja, für mich war es oft herausfordernd, dass Anne so zurückhaltend war. Wir haben jetzt gelernt, uns mehr zu ergänzen und weniger zu behindern. Darüber hinaus hat uns der Kurs aber auch die Augen für Teamkonstellationen generell geöffnet – da verstehen wir jetzt manches besser als vorher. Und was ist mit eurer Berufung?

Was hattet ihr euch von „Berufung konkret“ versprochen? Sonja: Ich befand mich in einer schwierigen Zeit. Ich hatte mich schon lange für Gott eingesetzt, habe dann aber irgendwann einen „cut“ gemacht, weil ich mich danach sehnte zu erfahren, was Gott noch mit mir vorhat.

Pia: Da gibt es Parallelen zu meiner damaligen Situation. Ich steckte gerade in einer schwierigen Phase meiner Doktorarbeit und zweifelte an meinem eingeschlagenen Weg. Ich war in einer Sackgasse und wünschte mir eine konkrete Anweisung, wie ich da herauskomme.

Anne John (35) hatte nicht damit gerechnet, dass „Berufung konkret“ ihr so viele gute Anregungen für ihre Ehe geben würde. Aber auch darüber hinaus kann die Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung etliches aus dem Kurs umsetzen – beruflich, wie privat.

Daniel: Ich bin ein Visionär. Meine Berufung ist es, Menschen zu helfen, dass sie Gottes Vision leben können. Anne: Ich hatte nur eine vage Vorstellung davon, was meine Berufung sein könnte. Durch den Kurs ist mir das klarer geworden: Ich bin gut darin, Menschen in schwierigen Lebensphasen zu helfen.

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Sonja: Für mich war es ein Befreiungsschlag festzustellen, dass Berufung nichts Hochtrabendes ist. Sie fängt im Kleinen an. Und mir fiel auf, dass das Thema Vertrauen sich wie ein roter Faden durch mein Leben zieht. Darüber hinaus hat der Kurs bei dir, Sonja, recht große Lebensveränderungen in Gang gebracht ... Sonja: Ja, das stimmt! Als Sozialpädagogin und Industriekauffrau schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin BWLerin und Sozi in einem. Auch an Leitungsaufgaben habe ich Spaß. In meinem Gabentest waren die ersten fünf Gaben Barmherzigkeit, Helfen, Weisheit, Seelsorge und Leitung. Beruflich ließ sich das aber bisher nicht verbinden. Durch „Berufung konkret“ ist mir klar geworden, was ich wirklich brauche, um beruflich glücklich zu werden, und dass es gut wäre, auch meine brachliegenden Gaben einzusetzen. Mein Herz schlägt dafür, junge Erwachsene zu coachen und im Berufsleben zu begleiten, aber ich möchte auch die Leitungs- und Organisationsseite leben können. Ich habe mir deswegen eine neue Arbeit gesucht – und glücklicherweise auch gefunden –, in der ich tatsächlich diese Stärken kombinieren kann. Du hast außerdem erzählt, dass der November sehr emotional für dich war. Wieso das? Sonja: In neun Monaten werden eine Menge Dinge bewegt. Ich hatte etliche Gespräche, habe mich mit den Übungen und dem, was ich in den Präsenzphasen gehört habe, beschäftigt und mich

mit den Ergebnissen der Persönlichkeitsund Gabentests auseinandergesetzt, die ich während der Zeit durchgeführt habe. Mithilfe eines Tests wurde mir bewusst, dass einige Bereiche der Innen- und Außenwahrnehmung bei mir deutlich auseinanderklafften. Manche Erkenntnis ist zwar gut, aber nicht unbedingt einfach. Was hat euch in den schwierigen Phasen geholfen? Sonja: Jeder Teilnehmende hat einen Mentor, der einem für die Zeit des Kurses zur Seite steht. Das war sehr hilfreich. Pia: Bereichernd waren für mich auch die Gespräche mit den anderen Teilnehmern. Es hat mich überrascht, wie viele Menschen sich die Frage nach ihrer Berufung stellen – und zwar unabhängig von Alter oder Lebenssituation. Wir waren ein bunt zusammengewürfelter Haufen – Azubis, Doktoranden, Berufsanfänger, mitten im Berufsleben stehende Menschen, junge Muttis, Omas, Rentner – einfach schön! Könnt ihr Erfahrungen aus dem Kurs in euren Alltag übernehmen? Daniel: Mich hat das Thema „Einen Satz mehr wagen“ sehr bewegt. In dieser Einheit geht es darum, den Glauben natürlich in den Alltag zu integrieren. Anne: Ja, die Einheit war auch für mich sehr gut. Daniel und ich hatten ein schönes Erlebnis diesbezüglich: Auf einer Feier kamen wir mit einem Ehepaar ins Gespräch über den Glauben. Unter anderem haben wir da erzählt, wie wir uns kennengelernt haben … Daniel: … 2015 war ich wieder einmal in den Slums in Indien unterwegs gewesen. Beim Abschied haben mir die Bewohner gesagt, sie würden dafür beten, dass ich

EIN Kurs – ZWEI Formate Der Klassiker findet nebenberuflich über neun Monate vor Ort in Berlin, Dresden und Chemnitz statt. Der Kurs startet im September/Oktober. Er findet statt an einem Samstag und einem Wochentag-Abend pro Monat plus einmalig einer Schulungswoche „Frei werden für meine Berufung – Seelsorge erleben und lernen“.

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Die Online-Variante „life group“ läuft über sechs Monate. Start ist vorzugsweise im Januar oder September. Der Kurs besteht aus wöchentlichen Abend-Treffen von mindestens sieben Personen – Begleitung durch Mitarbeiter von „Berufung konkret“ (in Braunschweig durch Mitarbeiter vor Ort).

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Weitere Infos/ Kontakt/ Anmeldung zum Festempfang bzw. den Kursen: campus-d.de/berufung sowie telefonisch im Büro Dresden (0351-84 00 658).

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das nächste Mal mit meiner Frau käme. Einige Wochen vor der nächsten Reise hatte ich dann den Impuls, Bekannte zu fragen, ob sie mich nach Indien begleiten würden. Ich kannte Anne lose und hatte auch ihr die Anfrage via Mail gesendet. Sie war die Einzige, die auf meine Anfrage geantwortet hat … seit zwei Jahren sind wir nun verheiratet … Anne: … diese Geschichte hatten wir also dem Ehepaar auf der Party erzählt. Ich war davon ausgegangen, dass die beiden Christen sind. Erst im Verlauf des Gespräches habe ich gemerkt, dass sie es nicht waren. Aber sie waren so begeistert von unserer Geschichte, dass uns das echt Auftrieb gegeben hat, unseren Glauben mehr in den Alltag mit reinzunehmen. Pia: Für mich ist das Wertvollste, dass ich verstanden habe, dass Jesus einen guten Plan für uns hat. Ich kann seinem Zeitplan vertrauen! Die Phase, in der ich voller Zweifel war, ist für mich zu einer Zeit geworden, die Gott nutzt, um an mir zu arbeiten. Daniel: Für mich war es auch wichtig zu sehen, wie viel Potenzial in jedem liegt. In Gemeinden ist der Pastor oft der Entertainer, der alles leistet. Es wird kaum in die Berufung der Gemeindemitglieder investiert. Es wäre toll, wenn jede Gemeinde diesen Kurs anbieten würde. Natürlich möchte ich, dass ein Berufungskurs in Indien entsteht, aber mal sehen, ob Anne und ich nicht auch dazu beitragen können, dass in Deutschland mehr Christen in ihrer Berufung leben. Alles Gute euch allen für eure Zukunft!

Festempfang Am 5. September findet in Dresden ein Festempfang statt. „Berufung konkret“ bekommt einen neuen Namen und ein neues Erscheinungsbild. Mehrere Jubiläen des Kurses laden zum Feiern ein. Neu ist auch, dass nun Gruppen aus ganz Deutschland die Online-Variante des Kurses im „life group“-Format nutzen können, das aus der Ferne begleitet wird.


Encouragé Evangelisation unter französischen Studierenden während der Corona-Krise

Claudia Schumacher ist seit drei Jahren deutsche Mitarbeiterin in Lyon bei der Studierendenbewegung von Agapé France, der französischen Schwesterbewegung von Campus für Christus. In Frankreich trat das Virus SARS-CoV-2 erstmalig innerhalb Europas auf und verursachte den ersten Todesfall außerhalb Asiens. Am 16. März ordnete der französische Staatspräsident Macron eine landesweite, partielle Ausgangssperre an, die am darauffolgenden Tag in Kraft trat. Ich habe Claudia im Mai 2017 auf den Startertagen für neue Campus-Mitarbeiter als lebensfrohe, kontaktfreudige Person kennengelernt. Als stark menschenorientierte Person hat sie unter den strikten Maßnahmen in Frankreich besonders gelitten. Eine Freundin ermutigte sie: „Wir bleiben zu Hause, um Leben zu schützen, und gleichzeitig haben wir jetzt die Zeit, uns auf Menschen zu konzentrieren, die uns wirklich am Herzen liegen.“ Die Einsamkeit in ihrer Wohnung wurde durch diese Worte zwar nicht leichter, aber Claudia hatte eine neue Perspektive bekommen. Mit dem Ausfallen von Veranstaltungen fiel auch der oberflächliche Small Talk weg. Die gewonnene Zeit nutzte Claudia mit langen Telefonaten. Durch intensiven Gefühlsaustausch und gemeinsames Gebet hat sie dadurch einen neuen Tiefgang in ihren Freundschaften erlebt. Zugleich blühte ihre Gottesbeziehung auf, in die sie nun ganz bewusst einen großen Teil der gewonnenen Zeit investierte. „Ich will die Coronazeit

nicht einfach aussitzen, sondern sie als ein Geschenk von Gott annehmen, wo alles mal anhält, damit wir ihn suchen.“ Mit diesem Leitgedanken gestaltete Claudia ihren Alltag während der Ausgangssperre.

Bouge ton Campus – Bewege deinen Campus Wenn es darum geht, mit Menschen in Kontakt zu kommen und von Jesus zu erzählen, merkt man, wo Claudias Herz schlägt. In der zweiten Märzwoche hat Claudia einen Evangelisationseinsatz an der Lyoner Wirtschaftsuniversität, dem Campus Ècully, geleitet. Unter dem Motto „Bouge ton Campus“ (franz.: Bewege deinen Campus) fanden etwa 300 Gespräche statt. Zehn Prozent der Gesprächspartner haben ihre Kontaktdaten hinterlassen, weil sie mehr über den christlichen Glauben erfahren wollten. In der darauffolgenden Woche wurde die Ausgangssperre verhängt. Die Teilnehmer der Evangelisation wurden von Claudia weiter über digitale Kanäle begleitet. Sie wurden ermutigt und herausgefordert, auch im Internet von ihrem Glauben zu erzählen. Mit den 30 Gesprächspartnern wurde der Kontakt gehalten. Diese haben bis auf zwei inzwischen signalisiert, dass ihr Interesse doch nicht so groß ist. Die zwei haben an einer Bibelentdeckungsreise teilgenommen. So ein Aufwand für zwei Leute. War es das wert? „Ja, das war es!“ ist sich Claudia sicher. Neue Horizonte Ende August endet der Einsatz von Claudia in der Studierendenbewegung planmäßig nach drei Jahren voller guter Erfahrungen. Die studierte Sozialarbeiterin kehrt in ihre Heimatstadt Berlin zurück und möchte dort in Zukunft Jugendlichen und jungen Erwachsenen dabei helfen, ihren Platz im Leben zu finden. „Meine Zeit bei Campus war wertvoll, belebend und erfahrungsreich. Ich habe mich sehr weiterentwickelt“, erzählt Claudia mit fröhlichem Nachdruck. „Das Beste war: Ich habe Studenten in ihrer Persönlichkeit und ihrem Glauben wachsen gesehen. Und ich habe gelernt, Gott zu suchen – mehr als alles andere.“ Nathalie Steinhauer

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NEUE BEWEGUNGEN BEI CAMPUS CONNECT DER STUDENT SUMMIT

Unter dem Motto „Entdecke die Zukunft“ trafen sich in den Semesterferien 49 Studierende aus 21 deutschen Hochschulstädten Anfang März 2020. Neben herausfordernden Messages des Missionsleiters von Campus für Christus, Andreas Boppart, wurde auch das neue Logo von Campus Connect enthüllt. In zahlreichen Innovationsgruppen arbeiteten die Studierenden verschiedene Fragestellungen heraus: Wie kann Evangelisation heute funktionieren? Wie kann Campus Connect in Deutschland deutlich bekannter werden? Wie sähe eine fruchtbare Gebetskultur aus? Die Studierenden gingen inspiriert und voller Ideen zurück in ihre Campusgruppen.

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FRÜCHTE DES SUMMIT

„Wir haben jetzt eine stärkere DeutschlandCommunyity unter unseren Studierenden“, freut sich Dominik Schweiger. „Das merke ich z. B. an der regen Teilnahme an unseren Online-Treffen. Sonst traf sich jede Gruppe nur an ihrem Ort, aber jetzt haben wir eine starke Verbindung unter den Städten.“ CORONA

Die regionalen Gruppen haben ihre Treffen auf online umgestellt. Es wurde ein Spendenlauf organisiert (s. S. 22). Auf den sozialen Medien werden Zeugnisse geteilt. In Bayern wurde an die Campus Connectler per Post eine kleine Überraschung verschickt: „Campus in a Box“. LEITUNGSTEAM PLUS

Die Studierenden Tina und Julian sind Teil der überregionalen Leitung. Julian bietet ein Jüngerschaftstraining an und predigt. Tina begeistert Abiturienten für Campus Connect. „Beide ergänzen unser Team mit ihrer Energie und Begeisterung“, meint Dominik Schweiger, Leiter von Campus Connect.

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Notstand ist normal

FOTOS: MARIJN FIDDER

Andrea Wegener berichtet aus dem Camp Moria auf Lesbos

Der typische Flüchtling ist für uns ein junger Mann, doch im Camp Moria leben über 8.000 Kinder.

Es hat gestern geregnet. Und wie so oft war die Kanalisation überfordert: Vor dem Eingang zum Camp schwimmen in einer Pfütze aus Abwasser Flöckchen von Exkrementen. Der Gestank lässt mich würgen, als ich möglichst schnell hindurchstapfe. Der Polizist, der sonst mein Namensschild kontrollieren würde, hält sich angeekelt seine CoronaGesichtsmaske vor Mund und Nase und winkt mich entnervt durch. Willkommen in Moria!

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Seit eineinhalb Jahren arbeite ich im berühmt-berüchtigten Hotspot Moria auf der Insel Lesbos am Rande Europas. Bis zu 20.000 Menschen aus rund 60 ethnischen Gruppen von Sierra Leone über Afghanistan bis Bangladesch hausen hier auf einem Gelände, das ursprünglich für knapp 3.000 angelegt war, die meisten illegal in Olivenhainen um das eigentliche Camp herum, ohne Strom und manchmal mit einigen hundert Metern Fußweg zum nächsten Waschbecken. Viele haben Fieber, psychische Probleme oder schlimme Hautausschläge, aber zu den Ärzten auf

dem Gelände kommt man inzwischen nur noch mit lebensbedrohlichen Notfällen. Messerstechereien sind die übliche Methode, Konflikte zu klären; gerade letzte Woche ist wieder einer der unbegleiteten Minderjährigen dabei umgekommen. Die Polizei patrouilliert schon lange nicht mehr im Olivenhain; dort herrscht das Recht des Stärkeren. Viele leben in ständiger Anspannung. Sie wissen nicht, wie viele Monate oder gar Jahre sie hier ausharren müssen, nur um am Ende vielleicht doch in ihre von Terror und Armut zerfressene Heimat deportiert zu werden.


Hinter dem, was einige Sätze hier nur grob skizzieren, stecken 20.000 Einzelschicksale: Die 13-jährige Afghanin, die den Geschäftspartner ihres Vaters heiraten sollte und mit ihrer Mutter vor ihrem Clan geflüchtet ist. Die sechsköpfige Familie, deren Ältester vor vier Jahren beim Heimweg von der Schule von einer Mine zerrissen wurde und deren andere Kinder seither keinen Unterricht mehr besucht haben – die Jüngste hat seither kein Wort gesprochen. Der hochrangige Mitarbeiter eines Ministeriums, der um sein Leben fürchten muss, seit sich eine neue Regierung an die Macht putschte. Der Elfjährige, der mit seinem 16-jährigen Cousin nach Moria gekommen ist und nun ohne diesen in der Schutzzone für unbegleitete Kinder unter 14 Jahren untergekommen ist. Die Dunkelheit und Perspektivlosigkeit sind mit Händen zu greifen.

Und jetzt noch Corona Zu all dem kommt nun also auch noch Corona hinzu! Die Aussicht, dass das Virus im Camp ankommen könnte, wo es sich angesichts der Enge und der hygienischen Zustände ungehindert ausbreiten würde, während die medizinische Versorgung auf der Insel und erst recht im Camp jetzt schon völlig unzureichend ist, hat bei manchen Helfern und Camp-Bewohnern große Angst ausgelöst. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, die Hochrisikogruppen zu evakuieren und wenigstens notdürftige Quarantäne- und Isolierstationen aufzubauen, während gleichzeitig immer mehr Helfer die Insel verlassen. Als eine der wenigen Hilfsorganisationen, die noch in Moria aktiv sind und für einen Rest Stabilität sorgen, gelten wir wohl als systemrelevant und dürfen zur Arbeit gehen. Es ist anstrengend! Zu unserem »normalen« Ausnahmezustand hat sich der globale Corona-Ausnahmezustand hinzugesellt.

»Wie hältst du das nur aus?«, fragen mich Freunde manchmal, oder auch: »Was gibt dir Hoffnung?« Es stimmt: Ohne Hoffnung kann man hier nicht lange überleben – auch als Helfer nicht. Es läge so nahe, die Koffer zu packen oder zumindest innerlich

Ohne Hoffnung kann man hier nicht lange überleben – auch als Helfer nicht. aufzugeben, bitter oder zynisch zu werden oder nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen, ohne Liebe zu den Menschen. Ich bin immer wieder begeistert, wie tragfähig das christliche Welt- und Menschenbild ist, das mir meine Eltern und die Gemeinde meiner Kindheit vermittelt haben. Darin ist Platz für das Unordentliche, das Dunkle, die Ungerechtigkeit, all das Hässliche und die Gewalt, die uns in Moria zu schaffen machen – all das, was die Bewohner unseres Camps bei ihrer Flucht hinter sich lassen wollten und das sie in ihren Herzen dann doch selbst mitgebracht haben. Die Bibel behauptet nicht, dass wir Menschen im Grunde alle eigentlich ganz gut sind und dass wir alle friedlich miteinander leben würden, wenn es nur keinen religiösen Extremismus, keine patriarchalischen Strukturen, westlichen Imperialismus oder – hier kann man jetzt das Feindbild seiner Wahl einsetzen – gäbe. Wir Menschen sind mit uns selbst, miteinander und mit der Welt nicht im Reinen, weil wir mit unserem Schöpfer nicht im Reinen sind. Wir sind Opfer und machen andere zu Opfern. Selbst als Helfende können wir uns manchen Dynamiken

von Ungleichbehandlung und Machtmissbrauch kaum entziehen. Politische Lösungen sind wichtig und ich bin sehr dankbar für meine Aktivistenfreunde, die sich für diese großen Lösungen leidenschaftlich einsetzen. Aber meine Hoffnung ist nicht, dass wir die Welt damit stückweise immer besser machen, bis sie irgendwann ganz im Lot ist.

Hoffnung buchstabieren Was meinte Paulus? „Ich bin aber davon überzeugt, dass unsere jetzigen Leiden bedeutungslos sind im Vergleich zu der Herrlichkeit, die er uns später schenken wird“ (Römer 8,18). Es geht hier nicht um eine billige Jenseitsvertröstung, sondern um eine Perspektive, die unserem Leben im Hier und Jetzt einen Anker verleiht. Das ist ungemein befreiend – so befreiend übrigens, dass hier und da vielleicht sogar noch ein Restchen Energie für die Nächstenliebe übrigbleibt, zu der wir aufgefordert und befähigt sind. Und dabei ist mir bewusst: Ich werde Moria nicht retten und die Welt erst recht nicht! Aber ich kann das tun, was vor meinen Füßen liegt. Ich habe diesen furchtbaren Ort in den letzten eineinhalb Jahren immer mehr lieben gelernt, je mehr ich seine Menschen lieben gelernt habe. „Ich sehe was, was du nicht siehst …!“, scheint Gott manchmal zu sagen. Und dann schenkt er mir seine Sicht der Dinge und ich habe Hoffnung für den nächsten Tag. Auch und gerade in Moria. Andrea Wegener, von Campus für Christus nach Lesbos ausgesandt, ist die operative Leiterin der griechischen Hilfsorganisation EuroRelief im Camp Moria. Der Text ist ein gekürztes Kapitel des Buches „Hoffnung. Zuversicht in Zeiten von Corona“.

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Hope is rising

Studierende erlaufen 35.000 Euro

Vom 11.–17. Mai fand ein dezentraler Spendenlauf zur Unterstützung der humanitären Hilfe für das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos statt. Organisiert wurde das Projekt von Campus Connect, der Studierendenbewegung von Campus für Christus. Die Spenden gehen an unseren Partner für humanitäre Hilfe GAiN. Die Idee des Sponsorenlaufs war es, dass die Läufergemeinschaft zusammen die Distanz von 2.550 km laufen wollte, die zwischen dem GAiN-Lager in Gießen und Lesbos liegt. Dieses Ziel wurde erreicht und übertroffen: 109 Läuferinnen und Läufer waren mehr als 3.000 Kilometer unterwegs und erliefen dabei über 35.000 Euro. Eine Läuferin aus Würzburg meinte dazu: „Jeder einzelne Kilometer kann etwas bewirken – das hat mich motiviert, auch im Regen und bei Muskelkater nicht aufzugeben. Die prekäre Lage der Menschen im Flüchtlingscamp Moria hat mich schon lange betroffen gemacht. Als Teil einer Gemeinschaft nun tatsächlich einen Unterschied machen zu können, ist überwältigend. Möge Gott GAiN, das erlaufene Geld und dessen Verwendung segnen!“ Nähere Informationen zur Flüchtlingshilfe auf Lesbos finden Sie auf S. 20 in dieser Impulse. Nathalie Steinhauer

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S TA N D : J U L I 2 0 2 0

#beatcorona – Spendenlauf von Campus Connect für Camp Moria

„Sofa-EXPLO“ als Mosaik der Hoffnung

Zweieinhalb Stunden lang erzählten bekannte und unbekanntere Christen davon, was ihnen Hoffnung gibt. Verschiedene Bands haben das Ganze unterstützt. Und mehr als 15.000 Menschen waren mit dabei Hoffnung wächst, wenn man sie teilt. Wenn das stimmt, dann hat Campus für Christus am 8. Mai zur Primetime mit seiner „SofaEXPLO“ jede Menge Hoffnung wachsen lassen. „Ladet unbedingt alle Leute ein, die ihr mögt, und die anderen auch!“ Das verkündete Andreas „Boppi“ Boppart (40) bereits im Vorfeld des Online-Events. Der Leiter von Campus für Christus war Initiator und Moderator der Sofa-EXPLO. Freitagabend um 20 Uhr gab Boppi in den coronabedingt leeren Räumen der Schweizer Event-AG den Startschuss. Und während die Zahl der Zuschauenden immer weiter nach oben ging, erzählte eine interessante Mischung an Gästen, was für sie Hoffnung bedeutet. Die Sängerin Déborah Rosenkranz begann. Ohne Gesang. Kurz und bewegend berichtete sie davon, dass sie schon mehrmals fast tot war: durch Magersucht, sexuellen Missbrauch und einen Beinahe-Selbstmord. Ihr Fazit war allerdings: „Ich bin nicht das, was mir passiert ist, sondern ich bin wertvoll für Gott!“ Alle Beteiligten trugen etwas zum Bild von Hoffnung bei. Die US-Menschenrechtsaktivistin Danielle Strickland predigte über die wiedererwachende Hoffnung der Emmaus-Jünger. Der österreichische Unternehmer Patrick Knittelfelder erzählte von seinen persönlichen Quarantäneerfahrungen: „Die Hotels und Restaurants, die ich habe, sind alle mausleer. Das


IMPRESSUM

kratzt an meiner Identität … Ich reife. Ich muss wieder durch jüngerschaftliche Prozesse hindurch.“ Der querschnittsgelähmte Schauspieler Samuel Koch berichtete von seinem HoffnungsZeh. „Und zwar hat mein Bruder vor fast zehn Jahren etwas an meinem Zeh bemerkt, nämlich dass er sich bewegt …“ So ist dieser Zeh für den Christen im Rollstuhl ein Symbol der Hoffnung geworden: „Selbst wenn ich in diesem Leben nicht wieder laufen werde, werde ich versuchen, trotzdem dankbar und zufrieden zu sein“, denn, das ist Samuel Koch ganz wichtig: Er ist kein Sklave der Angst, sondern ein geliebtes Kind Gottes. Die Theologin Daniela Mailänder wurde ebenfalls sehr persönlich. „Ich sehe da wenig Hoffnung“, war die Botschaft des Arztes in ihrer Schwangerschaft. Doch sie betonte den trotzigen Widerstand eines Menschen, der sagen kann: „Es verändert alles, wenn ich weiß, worauf ich warte.“ Zwischen diesen Gästen gab es jeweils musikalische Beiträge zum Thema. „Good Weather Forecast“ waren dabei genauso am Start wie „Könige & Priester“, Dave Kull und der „Voice of Germany“-Gewinner Samuel Rösch. Am Schluss unterstrich der bekannte USPastor Francis Chan noch einmal: „Du und ich sind für diese Zeit gemacht und wir haben jetzt etwas zu erledigen. Wir müssen Kirche wieder zu dem machen, wofür sie gedacht ist.“ Andreas Boppart griff den Gedanken auf und fragte: „Was will ich nach Corona nicht mehr in mein normales Leben mitnehmen, das gar nicht so normal war?“ Aus den vielen und unterschiedlichen Beiträgen der „Sofa-EXPLO“ wurde so ein neues Ganzes. Was erst scheinbar nebeneinander stand, wurde im Laufe des Abends zu einem Mosaik der Hoffnung. Die Künstlerin Sophia Lasson kreierte darüber hinaus eine Grafik, die als Kunstkarte bei Campus für Christus erhältlich ist. Alle Infos zur Sofa-Explo und den Link zum vollen Programm finden Sie unter: https://sofa-explo.com/ Hauke Burgarth

Herausgeber: Campus für C ­ hristus e.V. Postfach 10 02 62 D-35332 Gießen Telefon: 0641 97518-0 Fax: 0641 97518-40, E-Mail: impulse@­campus-d.de Internet: campus-d.de Redaktion: Hauke Burgarth, Julia Spanka, ­Nathalie Steinhauer, ­ Judith W ­ esthoff, Barbara Wernicke (Lektorat)

Präsentiert von: Andreas «Boppi» Boppart Flo Stielper Sam Haiser

Gestaltung: Nathalie Steinhauer, Judith Westhoff Druck: Welpdruck, Wiehl, g ­ edruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Erscheinungsweise: ­vierteljährlich Konto: Campus für Christus, Volksbank Mittel­hessen IBAN DE30 5139 0000 0050 1688 08, BIC VBMHDE5FXXX Anzeigenverwaltung: René Adam Tel. 06439 2 299 078 campus@rene-adam.com Vertrieb: Campus für ­Christus Abdruck: Abdruck bzw. ­auszugsweise ­Wiedergabe von Textbeiträgen, ­Illustra­tionen und Fotos nur mit Genehmigung des ­Herausgebers ­gestattet. Bildnachweis: Bildnachweis am Foto. Ansonsten privat oder Campus-für-Christus-Archiv.

Es verändert alles, wenn ich weiß, worauf ich warte.

Campus für Christus versteht sich als Missions­bewegung mit den Schwerpunkten Evangelisation, ­Anleitung zu Jüngerschaft und Gebet. GAiN gGmbH ist der Partner von ­Campus für Christus für ­humanitäre ­Hilfe. ­ orstand: V Andreas Boppart, Kurt Burgherr, Andreas Fürbringer, Raphael Funck, Florian Stielper Campus für Christus ist der ­deutsche Zweig von ­Agape Europe. Ein Hinweis für ­unsere ­Bezieher: Die Deutsche Post AG geht davon aus, dass Sie mit ­einer Mitteilung Ihrer Adress­änderung an uns einverstanden sind, wenn Sie nicht bei uns ­schriflich ­Ihren Widerspruch anmelden. Wir werden Ihren Wider­spruch an die zuständigen Zustellpost­ ämter ­weiterleiten. Datenschutz: Unsere aktuelle Datenschutzerklärung finden Sie unter www.campus-d.de/ datenschutz

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Postfach 10 02 62 35332 Gießen www.campus-d.de

Annette Drinkwalter arbeitet bei Campus für Christus in der Buchhaltung. Sie ist niemand, die sich in den Vordergrund stellt, aber als sie vor Kurzem für 20 Jahre Mitarbeit geehrt wurde, stellte sich heraus, wie sehr Kolleginnen und Kollegen sie schätzen: Sie empfing minutenlange Standing Ovations. Danke, Annette!


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