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Am Abgrund

Am Abgrund

Mutter werden – Mutter sein

Grenzerfahrung Geburt

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In meinem bisherigen Leben habe ich schon mehrere Grenzerfahrungen gemacht. Zum großen Teil waren diese un

freiwillig und von äußeren Zwängen geprägt. Die Geburten unserer beiden Kinder allerdings bilden da eine Ausnah

me und sind trotzdem sehr prägende Erfahrungen.

Ich habe mich dazu entschieden, diese Erfahrungen zu machen, als wir uns als Paar für Kinder entschieden haben. Was das allerdings bedeuten würde, konnte ich mir in keiner Weise vorstellen, auch wenn ich mir die eine oder andere Geburtsgeschichte habe erzählen lassen. Auf mehreren Ebenen habe ich mit und während der Entbindungen Grenzen überschritten, von denen ich noch nicht wusste, dass sie existieren.

Das Nächstliegende ist wahrscheinlich die körperliche Ebene. Man erlebt ungeahnte Schmerzen. Man lässt alle Grenzen der

körperlichen Scham hinter sich und folgt den Vorgängen des

Körpers, ohne sich weiter Gedanken darüber machen zu können, in welchem Zustand die anwesenden Personen, inklusive des Partners, einen zu sehen bekommen. Man verliert die Kontrolle.

Auf allen anderen Ebenen bleibt eine Geburt eine Erfahrung, die wirklich schwer in Worte zu fassen ist. Da wären zum Beispiel die Emotionen: Schon bevor es wirklich losgeht, schwanken diese zwischen Ungeduld, Vorfreude, Angst, Trauer, Gereiztheit und Glück. Während der Wehen verspürte ich Widerwillen, Mut, deutlich weniger Vorfreude, mehr Entschlossenheit, Verzweiflung, teilweise Selbstmitleid und Hoffnung. Diese Emotionen gipfelten schließlich in unkontrollierbarer Euphorie. Es ist für mich unbeschreiblich, was ich empfunden habe, als ich unsere Tochter in den Arm nehmen konnte.

Dann wäre da allerdings noch die Ebene der Persönlichkeit, vielleicht könnte man auch sagen die seelische Ebene. Neun Monate lang prägen einen Hormone, körperliche Veränderungen und die teilweise absurde Vorstellung, dass da ein neuer Mensch in einem heranwächst. Die Reaktionen und die Aufmerksamkeit des sozialen Umfeldes verändern sich schlagartig, sobald der Babybauch sichtbar wird, und damit verändern sich Beziehungen und Freundschaften. Irgendwann dämmert es einem dann,

dass man sich nicht nur körperlich, sondern auch in der Iden

tität verändert. Das und die körperlichen Vorgänge während der Geburt habe ich als die stärkste Grenzerfahrung erlebt. Auf dem Instagram Account einer australischen Fotografin (first_glance_

photography) fand ich folgenden Kommentar: „When a woman gives birth, she has to reach down inside herself and give more than she thought she had. The limits of her existence are stretched. There is a moment when every woman thinks, ’I can’t do this.’ If she is lucky, she has a midwife, a doula or her mom to whisper in her ear, ‘You are doing it.’ As she does it, she becomes someone new: a mother.” Besser könnte ich diese Verwandlung nicht in Worte fassen! Mutter zu werden ist eine Grenzerfahrung. Man betritt ein neues, unbekanntes Land und lässt das bisher

gekannte hinter sich. Eine Erfahrung, die sich auf vielen Ebenen vollzieht und zu der man sich im besten Fall freiwillig entschieden hat. Eine, die sehr viel Freude und Schönes auslösen kann. Die aber, auch wenn so viele Frauen eine Geburt erlebt haben, in ihrer Einzigartigkeit auch einsam machen kann.

Tabitha Funck

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