«Seit 2015 hat die Schweiz die Agenda 2030 und die entsprechenden Ziele für nachhaltige Entwicklung nur zögerlich umgesetzt. In viele nationale und kantonale Politiken fanden sie kaum Eingang. Das muss sich dringend ändern.»
Caritas-Positionspapier
Eine konsequente Umsetzung der Agenda 2030 ist dringend
In Kürze: Die Schweiz bekennt sich zur nachhaltigen Entwicklung. Sie hat die «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» unterzeichnet, die im September 2015 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet wurde. Damit verpflichtet sich die Schweiz, die zugehörigen «Ziele für nachhaltige Entwicklung» im Inland umzusetzen und zur Ziel erreichung in ärmeren Ländern beizutragen. Die Agenda 2030 geht die grossen globalen Herausforderungen und Krisen an und will die Welt zukunftsfähig gestalten. Für die Schweiz bedeutet das Ja zur Agenda 2030 in erster Linie, ihre Politikkohärenz zu verbessern: Die Schweiz muss ihr politisches Handeln kohärent zugunsten von Armutsüberwindung und würdigen Lebensbedingungen für alle, Frieden und sozialer Gerechtigkeit sowie einer schonenden Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen ausgestalten. Dies gilt einerseits für ihre internationalen Beziehungen: In allen Politikfeldern, die auf die Verhältnisse in den Entwicklungsländern wirken, muss sie soziale Gerechtigkeit, den Abbau von Ungleichheit sowie ein breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum anstreben. Andererseits legt sich die Schweiz mit der Agenda 2030 auch im Inland darauf fest, Armut und soziale Ungleichheit zu überwinden und mit den natürlichen Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen. Seit 2015 hat die Schweiz die Agenda 2030 und die entsprechenden «Ziele für nachhaltige Entwicklung» nur zögerlich umgesetzt. In viele nationale und kantonale Politiken fanden sie kaum Eingang. Das muss sich dringend ändern. Die Schweiz muss sich in den wenigen verbleibenden Jahren bis 2030 innen- und aussenpolitisch entschlossen für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele einsetzen.
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Eine nachhaltige Entwicklung für Mensch und Umwelt Am 25. September 2015 stimmte die Staatengemeinschaft an der UNO-Generalversammlung in New York der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung «Transformation unserer Welt» zu. Die Agenda 2030 verbindet die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, gesellschaftliche Verantwortung, ökologische Verträglichkeit – in einem einzigen Zielkanon und zeichnet den Weg für eine zukunftsfähige Welt. Kernstück der Agenda sind die 17 «Ziele für nachhaltige Entwicklung» (Sustainable Development Goals, SDG), welche die Staaten bis 2030 erreichen sollen. Diese Ziele bilden den politischen Rahmen für die Bewältigung der globalen Herausforderungen auf nationaler und internationaler Ebene. Zu den drängendsten Herausforderungen gehören Armut und Hunger, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsformen, Klimawandel und steigende Umweltbelastungen, wachsende Ungleichheit in und zwischen Staaten, Missachtung von Menschenrechten, Gewaltkonflikte sowie Armuts-, Klima- und Zwangsmigration. Jede der genannten Herausforderungen verlangt besondere Strategien und Aktionspläne, die an UN-Weltkonferenzen beispielsweise zu Klima, Bildung, Arbeit, Gesundheit oder Verstädterung entwickelt worden sind oder werden. Die Agenda 2030 steckt dabei den übergeordneten Rahmen ab und legt den gemeinsamen Weg fest. Alle Themen sind eng miteinander verknüpft und die spezifischen Strategien und Aktionspläne müssen mit den SDG in Einklang gebracht werden, um Zielkonflikte zu vermeiden. Die Agenda 2030 ist «ein Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand. Sie will den universellen Frieden in grösserer Freiheit festigen» und stellt voran, «dass die Beseitigung der Armut in allen ihren Formen und Dimensionen, einschliesslich der extremen Armut, die grösste globale Herausforderung und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung ist» (aus der Präambel). Die Agenda will weltweit • Armut und Hunger in allen ihren Formen und Dimensionen ein Ende setzen und sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung haben und ihr Potenzial in Würde und Gleichheit und in einer gesunden Umwelt voll entfalten können; • den Planeten schützen, unter anderem durch nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster, nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und umgehende Massnahmen gegen den Klimawandel, damit die Erde die Bedürfnisse der heutigen und kommender Generationen decken kann;
• allen Menschen ein von Wohlstand geprägtes und erfülltes Leben ermöglichen und den wirtschaftlichen, sozialen und technischen Fortschritt im Einklang mit der Natur gestalten; • friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind, denn Frieden und nachhaltige Entwicklung gehören untrennbar zusammen; • die für die Umsetzung der Agenda benötigten Mittel durch eine globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mobilisieren, die auf verstärkte Solidarität gründet, speziell auf die Bedürfnisse der Ärmsten und Schwächsten ausgerichtet ist und an der sich alle Länder, alle Interessengruppen und alle Menschen beteiligen. Die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen (SDG) ist das Ergebnis eines intensiven Verhandlungsprozesses, in dem sich Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer trotz einiger grundlegender Kontroversen auf einen gemeinsamen Rahmen für nachhaltige Entwicklung verständigen konnten. Zwei Punkte sind für eine erfolgreiche Umsetzung der SDG entscheidend: Universelle Gültigkeit Die Agenda nimmt alle Staaten in die Pflicht. Jedes UNO-Mitglied hat seinen Teil zur Umsetzung der Agenda 2030 beizutragen, sowohl national als auch international. Auch Industrieländer wie die Schweiz müssen ihre nationale Politik hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit überprüfen und Defizite beheben. Gleichzeitig sind sie in ihren internationalen Politikfeldern besonders in die Pflicht genommen. Weil wohlhabende Länder mehr Ressourcen verbrauchen und mehr Geld haben, wird die Erreichung der SDG in erster Linie von ihnen abhängen. Politikkohärenz Die Agenda zeigt nur dann Wirkung, wenn alle Länder ihre verschiedenen Politikfelder auf die Erreichung der nachhaltigen Entwicklung ausrichten. Diese Kohärenzforderung gilt für die Innenpolitik ebenso wie für die internationale Politik. Innenpolitisch bedeutet dies für die Schweiz unter anderem, dass Massnahmen in den nationalen Politikfeldern nicht zur Verschärfung von Armut und sozialer Ungleichheit oder zu verstärktem Ressourcenverschleiss führen dürfen. International steht Kohärenz für die Forderung, die globale Ungleichheit zwischen den Ländern zu verringern und betrifft alle Politikfelder, welche eine direkte oder indirekte Wirkung auf die Verhältnisse in den Entwicklungsländern haben.
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17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN
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VEREINTEN NATIONEN 17 ZIELE FÜR(SDG) NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung VEREINTEN NATIONEN 17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN
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17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN Ausgabe 2016
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Soziale Verantwortung
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DIE DIE DIE VEREINTEN NATIONENAgenda 2030 VEREINTEN NATIONEN AusgabeNATIONEN 2016 VEREINTEN VEREINTEN NATIONEN Ausgabe 2016 DIE 17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, www.un.org
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Nachhaltige Entwicklung
17 ZIELE FÜR www.un.org NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, Ausgabe 2016VERÄNDERN WERDEN DIE UNSERE WELT BIS 2030 17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, 17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, Ausgabe 2016 WERDEN DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN www.un.org DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN
VEREINTEN NATIONEN
Politische Ökologische 17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, Partizipation Verträglichkeit DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN
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Ausgabe 2016 11. Armut in allen ihren Formen und überall beenden. www.un.org 12. Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichenAusgabe und eine2016 nachhaltige Landwirtschaft fördern. www.un.org 13. Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern. 14. Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern. 15. Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen. 16. Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten. 17. Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern. 18. Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern. 19. Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen. 10. Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern.
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11. Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstands fähig und nachhaltig gestalten. 12. Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster Ausgabe 2016 Ausgabe 2016 Ausgabe 2016 sicherstellen. www.un.org 13. Umgehend Massnahmen www.un.org zur Bekämpfung des www.un.org Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen. Ausgabe 2016 14. Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne www.un.org nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen. 15. Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen. 16. Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen. 17. Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen.
Die Schweiz setzt die Agenda 2030 ungenügend und zögerlich um Die Nachhaltige Entwicklung ist in der Schweiz seit 1999 Verfassungsauftrag und hat in verschiedenen Strategien und Grundlagen auf Bundes- und Kantonsebene ihren Niederschlag gefunden. Zur Umsetzung der Agenda 2030 wurden seit 2016 mehrjährige Strategien erarbeitet. Mit der aktuellen «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030» (SNE 2030), die für den Zeitraum 2021 bis 2030 gilt, will der Bundesrat die Ziele für nachhaltige Entwicklung in sämtlichen Politikbereichen des Bundes umsetzen. Bislang konzentrierte sich die Schweiz mehrheitlich auf ökologische Fragen. Die Verantwortung für die Umsetzung der Agenda 2030 wurde zudem vorrangig den Ämtern für Entwicklungszusammenarbeit und für Klima- und Umweltfragen zugeschrieben. Doch auch die Bereiche Wirtschaft und Bildung, Landwirtschaft und Ernährung, Verkehr und Handel, Finanz und Steuern müssen den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 folgen. Gemäss SNE 2030 strebt der Bundesrat Politikkohärenz an, und zwar auf allen staatlichen Ebenen, zwischen den unterschiedlichen Politikbereichen sowie in Bezug auf grenzüberschreitende Auswirkungen, einschliesslich jener auf Entwicklungsländer.
Bedauerlicherweise folgen den hehren Absichten zu wenig ambitionierte Schritte und kaum konkrete Massnahmen. So bleiben die Ziele, die sich der Bundesrat in der SNE 2030 setzt, insgesamt weit hinter jenen der Agenda 2030 zurück. Ebenfalls ist bedauerlich, dass der Bundesrat zu mehreren der 17 SDGs keine eigenen Ziele formuliert – etwa zum Ziel internationalen Partnerschaften und zur Entwicklungsfinanzierung. Um die 17 SDGs weltweit erfolgreich umzusetzen, bräuchte es schliesslich eine umfassende Finanzierungsbasis, welche über die Entwicklungshilfegelder hinausgeht. Doch neue und zusätzliche Finanzmittel sind in der SNE 2030 keine vorgesehen.
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Kohärenzverpflichtung und DIE Klimaverantwortung
VEREINTEN NATIONEN
ZIELE FÜR Die17Schweiz hatNACHHALTIGE sich 2015 imENTWICKLUNG, Rahmen der UNO dazu beDIE UNSERE WELT BISder 2030 VERÄNDERN kannt, ihre Politik mit Agenda 2030 inWERDEN Einklang zu bringen, also auf die Schaffung globaler Gerechtigkeit und menschenwürdiger Lebensbedingungen auszurichten und zugleich auf die Belastungsgrenzen des globalen Ökosystems zu achten. Zwei Ziele der Agenda verknüpfen die internationalen und innenpolitischen Verpflichtungen der Schweiz in besonderer Weise: Politikkohärenz (SDG 17) und Klimapolitik (SDG 13). In beiden hat die Schweiz Handlungsbedarf. Gleichzeitig trägt die Schweiz als eines der am meisten globalisierten Länder der Welt bei beiden Zielen eine besondere Verantwortung: Sie kann und muss einerseits Partnerschaften und Allianzen für Innovationen im Nachhaltigkeitsbereich aufbauen und andererseits die negativen Auswirkungen schweizerischer Politiken (so genannte «spillover Effekte») verringern.
SDG 17: Umsetzungsmittel stärken und Ausgabe 2016 für nachhaltige die Globale Partnerschaft Entwicklung mit neuem Leben erfüllen www.un.org
Der «Ausschuss für Entwicklungshilfe» der OECD (Development Assistance Committee DAC) kritisiert die Schweiz seit Jahren wegen ihrer mangelhaften entwicklungspolitischen Kohärenz. Sie leiste zwar gute Entwicklungszusammenarbeit, verstosse aber in vielen Bereichen der Aussenpolitik gegen die Interessen ärmerer Länder und behindere dadurch deren nachhaltige Entwicklungschancen. Bereits 2013 sprach sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur Ausgestaltung der Agenda 2030 dafür aus, «alle relevanten Politiken, die zur Erreichung globaler Ziele beitragen, wie etwa die Handels- oder die Agrarpolitik, kohärent auf die nachhaltige Entwicklung auszurichten». Die Erhöhung der Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung namentlich in Bezug auf grenz überschreitende Auswirkungen wird auch in der aktuellen Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE 2030) als wichtiges Ziel hervorgehoben. Den Worten müssen Taten folgen.
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Kohärenz ist in allen relevanten Politikbereichen gefordert, in der Aussenwirtschafts-, Handels-, Finanz-, Klima- oder Menschenrechtspolitik ebenso wie in der Gesundheits- oder Landwirtschaftspolitik. In Bezug auf ihre Aussenwirtschaftspolitik bedeutet dies für die Schweiz beispielsweise: Freihandelsverträge SDG-konform auszugestalten; illegale Finanzströme aus Entwicklungsländern, die ein funktionierendes Steuersystem untergraben, zu unterbinden; Gewinntransfers transnationaler Konzerne einzudämmen oder international tätige Schweizer Unternehmen in ihren Geschäftspraktiken gesetzlich auf die Einhaltung von Menschenrechten, menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und Umweltstandards zu verpflichten, insbesondere auch im Rohstoffsektor. Der Bundesrat ist gehalten, die zuständigen Direktionen und Ämter verstärkt für Kohärenzfragen zu sensibilisieren und einzubeziehen sowie gegenüber Parlament und Öffentlichkeit mittels Internet-Datenbank und in Form eines jährlichen Kohärenzberichts Rechenschaft über seine Massnahmen zur Verbesserung der Kohärenz in den genannten Politikbereichen abzulegen. Auch innenpolitisch ist Politikkohärenz entscheidend. Die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen aller politischen Entscheide müssen sorgfältig geprüft werden. So lassen sich Zielkonflikte rechtzeitig identifizieren und gegebenenfalls sinnvolle Ausgleichsmassnahmen finden. Als Beispiel: Um den CO2-Ausstoss in der Schweiz zu senken, ist es zwingend, den motorisierten Privat- und Güterverkehr und die Mobilität insgesamt zu reduzieren. Ein effektiver Weg zu diesem Ziel ist eine deutliche Verteuerung der Mobilität. Das trifft Haushalte mit tiefen Einkommen allerdings besonders hart und führt zur Verschärfung von Armut und sozialer Ungleichheit. Hier braucht es folglich eine Kompensation, um die soziale Nachhaltigkeit der Klimaschutzmassnahme zu garantieren.
SDG 13: Umgehend Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
Ausgabe 2016
Dass die wohlhabenden Industrieländer eine besondere Verantwortung für die Eindämmung der Klimaerhitzung haben, www.un.org wurde Ende 2015 im Pariser Klimaabkommen bekräftigt. Die bis 1990 ausgestossenen Treibhausgase stammten zu 80 Prozent von Industrieländern. Hingegen leiden Menschen in Entwicklungsländern, welche nur marginal zum Klimawandel beigetragen haben, schon heute am meisten unter dessen Folgen: Hitzewellen und Ernteausfälle, sich ausbreitende Wüsten sowie zunehmende Überschwemmungen in dicht besiedelten Landstrichen, die Millionen von Menschen an Leib und Leben gefährden. Trotz der Dringlichkeit zum Handeln kommt der soziale und ökologische Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft allerdings kaum voran. Die Dekarbonisierung, also der Ausstieg aus fossilen CO2-Schleudern wie Kohle, Erdöl und Erdgas, geht zu langsam. Gleichzeitig fehlen wichtige Investitionen in erneuerbare Energien und emissionsarme Technologien. Es braucht dringend Anpassungen in Richtung umweltfreundliche Mobilität und ökologische Landwirtschaft, nachhaltige Wertschöpfungsketten und klimaneutrales Wohnen, massvoller Konsum und genügsamer Lebenswandel. 2019 beschloss der Bundesrat das Netto-Null-Ziel: Bis 2050 soll die Schweiz unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen. Mit den «Energieperspektiven 2050 +» zeigt das Bundesamt für Energie konkret auf, wie die Schweiz in Richtung Klimaneutralität gehen kann: Erneuerbare Energien müssen stark vorangetrieben werden, besonders Wasserkraft, Photovoltaik, Windanlagen und Biomasse. Benzin, Diesel und Heizöl dürfen nicht mehr künstlich verbilligt werden. Und der Energieverbrauch muss gesenkt und die Energieeffizienz erhöht werden. Die vorgeschlagenen Massnahmen sind wichtig, sie reichen aber nicht, um den enorm grossen pro Kopf-Klimafussabdruck der Schweiz auf ein weltverträgliches Niveau zu bringen. Dazu müssen auch Flugemissionen und sogenannte graue Emissionen, die durch Produktion und Transport unserer Importe aus dem Ausland entstehen, reduziert werden. Und der schweizerische Finanzplatz, der nach wie vor in Milliardenhöhe in fossile Energieträger und zukunftsraubende Technologien investiert, braucht endlich ausreichende sozial-ökologische Vorgaben.
Ende Januar 2021 veröffentlichte der Bundesrat die «langfristige Klimastrategie der Schweiz», mit Zielsetzungen für die Sektoren Gebäude und Industrie, Landwirtschaft und Ernährung, Verkehr und Flüge sowie den Finanzmarkt. Die Strategie lässt keinen Zweifel daran, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten einer fortschreitenden Klimaveränderung die Kosten von Klimaschutz-Massnahmen bei weitem übersteigen – und dass es Zeit ist, entschieden zu handeln. Umso bedauerlicher ist es, dass im Juni 2021 das neue CO2-Gesetz als zentrale Grundlage für die nächsten Jahrzehnte an der Urne scheiterte. Damit die Schweiz das vereinbarte (und weltverträgliche) 1,5 Grad Ziel von Paris einhalten kann und beim Klimathema nicht komplett den Anschluss verliert, braucht es nun dringend ein neues Klimaschutz-Umsetzungsgesetz, das ambitioniert und verursachergerecht und gleichzeitig sozialverträglich ist. Weil die Schweiz mit ihrem hohen pro Kopf-Emissionsausstoss eine relevante Mitverursacherin der Klimaveränderung ist, muss der Bundesrat international Verantwortung für Klimagerechtigkeit wahrnehmen. Die Schweiz muss sich finanziell an den weltweiten Kosten für die Minderung und Anpassung an die Folgen der Erderhitzung in den Entwicklungsländern beteiligen. Als Industrieland hat sich die Schweiz im Rahmen der UNO verpflichtet, neue und zusätzliche Investitionen in den Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern zu tätigen. So, dass die dringend nötigen Massnahmen im Zusammenhang mit der Klimakrise nicht auf Kosten der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit durch die Internationale Zusammenarbeit (IZA) gehen.
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Innenpolitische Bedeutung der Agenda 2030 Mit der Verpflichtung auf die Agenda 2030 hat sich die Schweiz dazu bekannt, die SDG-relevanten Politikfelder auf eidgenössischer ebenso wie auf kantonaler und kommunaler Ebene zu überprüfen, Defizite zu identifizieren und Handlungsoptionen festzulegen. Was dies konkret bedeuten kann, wird im Folgenden anhand ausgewählter Ziele aufgezeigt, die für die Arbeit von Caritas besonders relevant sind.
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VEREINTEN NATIONEN
17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN
SDG 1: Armut in allen ihren Formen und überall beenden
Gemäss Bundesamt für Statistik sind in der Schweiz rund 722 000 Menschen von Armut betroffen. Noch einmal fast 600 000 Menschen leben nur knapp über dem Existenzminimum in prekären finanziellen Verhältnissen. Besonders betroffen sind Familien mit mehreren Kindern, Alleinerziehende und ihre Kinder, Personen ohne nachobligatorische Bildung und Erwerbslose. Wer in der Schweiz von Armut betroffen ist, hat zu wenig Geld zum Leben. Aber nicht nur: Ein Mangel an finanziellen Mitteln geht häufig mit einer insgesamt prekären Lebenslage einher, die beispielsweise von Ausgabe geringen 2016 Chancen auf eine gute Bildung oder eine existenzsichernde Arbeit und von einer www.un.org schlechten Wohnsituation gekennzeichnet ist. Menschen mit wenig Geld haben auch häufiger gesundheitliche Probleme als Personen mit mehr finanziellen Ressourcen, was wiederum negative Auswirkungen auf die Erwerbsintegration haben kann. Kurz: Armut bedeutet eingeschränkte Handlungsperspektiven und Lebenschancen. Armut ist grösstenteils eine Folge von ungünstigen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Diese strukturellen Ursachen von Armut finden sich in praktisch allen Politikbereichen. Armutsbekämpfung – das bedeutet in erster Linie die Beseitigung von strukturellen Hürden und Diskriminierungen – ist deshalb eine klassische Querschnittsaufgabe und betrifft verschiedene SDGs.
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Armutsprävention und -bekämpfung liegen in erster Linie in der Verantwortung der Kantone. Das betrifft namentlich die Existenzsicherung. Gemäss Bundesverfassung haben alle Menschen in der Schweiz das Recht auf Unterstützung in Notlagen und auf die nötigen Mittel für ein «menschenwürdiges Dasein» (Art. 12). Dies ist heute aber nicht für alle Menschen gewährleistet. Erstens sind die Leistungen der Sozialhilfe zu tief. Zweitens orientieren sich die Leistungen der Sozialversicherungen immer noch an einem 100-ProzentErwerbspensum und am traditionellen Familienmodell. Und schliesslich haben viele Menschen eingeschränkten Zugang zur sozialen Sicherheit. Dem Bund kommt aber ebenfalls eine zentrale Rolle zu, vor allem wenn es darum geht, die Bemühungen der verschiedenen Akteure in der Armutsprävention und -bekämpfung zu bündeln und eine kohärente gesamtschweizerische Politik sicherzustellen. Mit der Einführung einer nationalen Armutsstatistik sowie dem Nationalen Programm und der nachfolgenden Nationalen Plattform gegen Armut hat der Bund sein Engagement in den vergangenen 15 Jahren verstärkt. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber noch nicht genügend. Caritas fordert seit Jahren eine gesamtschweizerische Armutsstrategie mit messbaren Zielen und konkreten Massnahmen. Auf Druck der eidgenössischen Räte wird ab dem Jahr 2025 ein regelmässiges Monitoring der Armutssituation in der Schweiz eingerichtet. Dieses ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine wirksame und nachhaltige Armutspolitik. Die Umsetzung eines nationalen Armutsmonitorings entbindet die Kantone aber nicht aus der Verantwortung, die Armut in ihrem Gebiet umfassend und regelmässig zu untersuchen. Mit den aktuellen Datengrundlagen auf nationaler Ebene sind keine Aussagen zur Situation in den einzelnen Kantonen möglich. Bei der Ausgestaltung der sozialstaatlichen Instrumente sind die Unterschiede zwischen den Kantonen zudem gross. Gerade im Bereich der Existenzsicherung bestehen je nach Kanton unterschiedliche Leistungen. Eine Analyse der Armutssituation in der Schweiz und insbesondere der Wirkung von politischen Massnahmen und Sozialleistungen muss deshalb zwingend und in erster Linie auf der kantonalen Ebene erfolgen. Bisher publiziert kaum ein Kanton regelmässig umfassende Analysen in guter Qualität. Viele Kantone wissen nicht einmal, wie viele ihrer Einwohnerinnen und Einwohner von Armut betroffen sind.
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NTEN NATIONEN
ÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN SDG 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
Der Zugang zur Grundversorgung ist in der Schweiz insgesamt gut und grundsätzlich für alle garantiert. Trotzdem besteht keine gesundheitliche Chancengleichheit. Das hat zu einem grossen Teil mit den Kosten zu tun. Seit Einführung des heute gültigen Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) im Jahre 1996 hat sich die durchschnittliche Prämie mehr als verdoppelt. Weil die Krankenkassenprämie einkommensunabhängig ist, belastet dies Haushalte mit tiefen Einkommen ungleich stärker. Sowohl die ausgleichende individuelle Prämienverbilligung als auch Ausgabe die Löhne sind2016 gleichzeitig weniger stark gewachsen. Heute gebenwww.un.org Haushalte der untersten 20 Einkommensprozent im Schnitt über 14 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Prämien für die Grundversicherung aus. Werden auch die Prämien für die Zusatzversicherungen berücksichtigt, sind es sogar über 16 Prozent. Viele Haushalte mit tiefen Einkommen, die keine bedarfsabhängigen Sozialleistungen erhalten, können die Krankenkassenprämien kaum mehr bezahlen. Um Kosten bei den Prämien zu sparen, wählen sie eine hohe Franchise. Wenn sie allerdings ernsthaft krank werden, können sie die Ausgaben für medizinische Behandlungen nicht tragen und müssen sich verschulden. Mit der zunehmenden Fragilisierung im Alter steigen die Gesundheitskosten und die Kosten für Pflege und Betreuung an. Entsprechend wird auch die finanzielle Belastung noch grösser. Über die Hälfte der Gesamtkosten für Betreuung und Pflege tragen die älteren Menschen in der Schweiz selber. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist das sehr viel: In den meisten OECD-Ländern kommen die älteren Menschen für maximal 30 Prozent der Kosten (und in der Regel sogar deutlich weniger) selber auf. Viele Menschen mit tiefen Einkommen verzichten zudem auf notwendige Gesundheits-
leistungen oder schieben diese so lange wie möglich hinaus, weil bereits der Selbstbehalt von 10 Prozent ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigt. Oder weil die Leistungen – wie im Fall des Zahnarztbesuchs – nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Dies kann zu gravierenden gesundheitlichen Folgeproblemen führen. Und schliesslich setzen immer noch fünf Kantone Personen, die ihre Krankenkassenprämien nicht bezahlen können, auf sogenannte schwarze Listen, obwohl sogar der Bundesrat diese Listen als «zur Verbesserung der Zahlungsmoral untauglich» bezeichnete. Für Personen, die auf den schwarzen Listen stehen, beschränkt sich der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen auf Notfallbehandlungen. Schätzungsweise rund 35 000 Personen werden so wichtige medizinische Behandlungen und Medikamente verweigert. «Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters zu gewährleisten» bedeutet für Bund und Kantone konkret, die finanzielle Belastung durch die Krankenkassenprämien deutlich zu senken und die schwarzen Listen abzuschaffen. Gelegenheit für Letzteres hätte im Rahmen der Überarbeitung des Artikels 64a des Krankenversicherungsgesetzes Ende 2021 bestanden. National- und Ständerat haben es verpasst, diese unnötige Bestrafung von Menschen mit wenig Geld endlich zu beenden. Für die Prämienverbilligung gab der Bundesrat in seiner Botschaft zur Revision der Krankenversicherung im Jahr 1991 als Ziel vor, dass die Prämien nach Verbilligung höchstens 8 Prozent des steuerbaren Einkommens eines Haushalts betragen sollen. Daran gilt es festzuhalten. Zudem darf der Selbstbehalt kein Hindernis sein für die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen.
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TIGE ENTWICKLUNG, 0 VERÄNDERN WERDEN SDG 4: Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern Fehlende Bildung ist eine der Hauptursachen für Armut. Das heisst im Umkehrschluss: Der Bildung kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, Armut zu verhindern. Allerdings hängt der Bildungserfolg in der Schweiz stark vom Einkommen und dem Bildungsniveau des Elternhauses ab. Die Volksschule vermag die ungleichen Startbedingungen nicht auszugleichen – im Gegenteil, sie verstärkt die Unterschiede eher noch. Umso wichtiger wäre es, die Startchancen von Kindern aus benachteiligten Familien mit einer bildungsorientierten frühen Förderung zu verbessern. Bund, Kantone und Gemeinden müssen deutlich mehr Geld in die frühkindliche AusgabeBildung 2016 investieren und flächendeckend qualitativ gute und bezahlbare familienergänzende Betreuungsangebote zur Verwww.un.org fügung stellen. Für die Teilnahme am Arbeitsmarkt und für die Generierung eines ausreichenden Einkommens ist eine gute Bildung zentral. Die Nachfrage nach gut qualifizierten Arbeitskräften ist infolge der Globalisierung und der Digitalisierung stark gestiegen, während Niedrigqualifizierte immer mehr Mühe haben, nach einem Stellenverlust wieder eine Arbeit zu finden. Ohne Weiterbildungen werden sie völlig abgehängt von den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings können sich gerade Menschen ohne Ausbildung eine Weiterbildung kaum leisten; das betrifft die direkten Kosten der Weiterbildung, aber auch die indirekten Kosten eines Erwerbsausfalls. Die Kantone sind gefordert, allen Jugendlichen und Erwachsenen den Zugang zu existenzsichernden Stipendien für Erstausbildungen, Nachholbildungen, Umschulungen und Weiterbildungen zu gewähren. Das Prinzip «Stipendien statt Sozialhilfe» muss schweizweit Anwendung finden. Das Engagement der Arbeitgebenden ist aber ebenfalls entscheidend, um den Zugang von niedrigqualifizierten Personen zu bedarfsgerechten Bildungsangeboten zu fördern. Sie müssen ihren Angestellten Arbeitszeit für geeignete Bildungsmassnahmen zur Verfügung stellen und diese auch finanziell unterstützen. Das gilt auch für den Erwerb von Grundkompetenzen, die Voraussetzung für lebenslanges Lernen sind. Und schliesslich müssen die Arbeitslosenversicherung, die Invalidenversicherung und die Sozialhilfe konsequent die nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen und Bildungsmassnahmen unterstützen, statt auf eine rasche Reintegration zu drängen.
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SDG 5: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen
Frauen sind in der Schweiz ungleich stärker von Armut betroffen als Männer. Das hat vor allem damit zu tun, dass Frauen immer noch den Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit leisten und dass die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit nach wie vor ungenügend sind. Frauen weichen daher oft auf Teilzeitarbeit aus. Im Jahr 2020 arbeiteten sechs von zehn erwerbstätigen Frauen und nicht einmal zwei von zehn erwerbstätigen Männern Teilzeit. Ausgabe 2016 Vor allem Mütter arbeiten häufig in sehr kleinen Pensen. Im Jahr 2020 war www.un.org knapp die Hälfte der Mütter mit Partner und Kind(ern) gar nicht oder in einem Pensum unter 50 Prozent erwerbstätig. Frauen arbeiten zudem deutlich häufiger als Männer in in stabilen und prekären Arbeitsverhältnissen. Sie gehen etwa doppelt so häufig mehreren Beschäftigungen nach und erhalten doppelt so oft einen Tieflohn wie Männer. Atypische und instabile Arbeitsverhältnisse, Mehrfachbeschäftigung und Teilzeitarbeit in tiefen Pensen sind in unserem System der sozialen Sicherheit aber schlecht abgesichert. Das zeigt sich vor allem auch im Alter: Frauen haben nach der Pensionierung eine deutlich tiefere Rente als Männer. Mehr als ein Viertel der Frauen verfügte im Jahr 2020 lediglich über eine AHVRente. Ihr Einkommen war zu tief für eine Versicherung in der beruflichen Vorsorge. Weil die AHV-Rente für die Existenz sicherung nicht ausreicht, sind Frauen auch viel häufiger auf Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen als Männer – im Jahr 2020 bezogen rund 15 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer ab 65 Jahren EL zur AHV.
Aber auch wer ein Arbeitseinkommen hat, kann den eigenen Eine bessere Verteilung der Care-Arbeit ist zentral, um das Lebensunterhalt nicht immer sichern. Im Jahr 2020 zählten Armutsrisiko von Frauen zu reduzieren. Dies wiederum vergemäss Bundesamt für Statistik rund 158 000 Personen zu langt familienfreundliche Arbeitsbedingungen für Frauen und den sogenannten Working Poor. Sie erhalten einen zu tiefen Männer, welche sowohl mit der Betreuung von Kindern als Lohn oder können nicht genug Einkommen generieren, weil auch mit der Pflege von Angehörigen vereinbar sind. Auch sie in kleinen Pensen arbeiten. Der Anteil der Personen, die Väter sollen sich vermehrt an der Betreuungsarbeit beteiligen von Unterbeschäftigung betroffen sind – die also unfreiwillig können. Die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs von zwei Teilzeit arbeiten –, stieg im vergangenen Jahrzehnt stetig an. Wochen war ein wichtiger erster Schritt in Richtung eines Drei Viertel der Unterbeschäftigten sind Frauen. Elternurlaubs. Es braucht aber vor allem ein lückenloses Angebot an qualitativ guter, zugänglicher und bezahlbarer familien- und schulergänzender Kinderbetreuung. Die frühkindliArbeit ist mehr als «Lohn erhalten». Arbeit stiftet Sinn und che Bildung muss als Teil des öffentlichen Bildungsauftrags ermöglicht gesellschaftliche Integration. Deshalb sollen möganerkannt und massgeblich vom Staat getragen werden. Für lichst alle Menschen am Arbeitsmarkt teilhaben und sich mit ihren Fähigkeiten und Interessen einbringen können. Und sie Familien mit tiefen Einkommen müssen die Angebote kostenTIGE ENTWICKLUNG, los sein. Bund und Kantone sollen darüber hinaus als gutes sollen dies zu würdigen Bedingungen tun können. Das heisst 0 VERÄNDERN WERDEN Beispiel vorangehen und innovative Modelle, beispielsweise konkret: In der Schweiz sollen keine Löhne ausbezahlt wer17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, Sabbaticals für besonders betreuungsintensive Phasen, den, die Leben reichen. Dazu braucht es einerseits DIE in UNSERE WELT BISnicht 2030zum VERÄNDERN WERDEN Pilotprojekten vorantreiben. einen schweizweiten, gesetzlichen Mindestlohn. Andererseits müssen Arbeitgeber auch Arbeitsmodelle zur Verfügung stellen, die existenzsichernd, genügend sozial abgesichert und SDG 8: Dauerhaftes, breitenwirksames mit Care-Arbeit zu vereinbaren sind. Das gilt auch für Teilzeitund nachhaltiges Wirtschaftswachstum, arbeit. Bund und Kantone können und sollen als Arbeitgeber produktive Vollbeschäftigung und mit gutem Beispiel voran gehen. menschenwürdige Arbeit für alle fördern
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NATIONEN
DIE
VEREINTEN NATIONEN
Der Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Globalisierung und der Digitalisierung stark verändert. Die Klimakrise und die Corona-Pandemie dürften diesen Trend verstärken und beschleunigen. Der Strukturwandel bringt vor allem veränderte Qualifikationsanforderungen mit sich. Die Nachfrage nach gut qualifizierten Arbeitskräften ist stark gestiegen, während Stellen für Niedrigqualifizierte Personen mit ungenügenden Qualifikationen Ausgabeverschwinden. 2016 werden in irreguläre und instabile Arbeitsverhältnisse wie Arwww.un.org beit auf Abruf oder befristete Arbeitsverträge gedrängt oder verlieren den Anschluss an den Arbeitsmarkt komplett. Für Niedrigqualifizierte – ebenso wie für ältere Arbeitnehmende – wird es nach einem Stellenverlust zunehmend schwieriger, wieder im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Die Zahl der Langzeiterwerbslosen ist im vergangenen Jahrzehnt deutlich angestiegen. Das heisst, immer mehr Menschen sind monate- oder gar jahrelang erwerbslos. Viele sind auf Sozialhilfe angewiesen, nachdem sie aus der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert wurden.
SDG 10: Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
Vermögen und Einkommen sind in der Schweiz sehr ungleich verteilt. So verfügen die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung über ein Drittel der gesamten Einkommenssumme, während der Anteil der einkommensschwächsten Ausgabe 2016 zehn Prozent weniger als ein halbes Prozent beträgt. Nimmt www.un.org akzentuiert sich die Ungleichman die Vermögensverteilung, heit noch. Die obersten zweieinhalb Prozent der Bevölkerung besitzen über die Hälfte aller Vermögenswerte, die untere Hälfte der Bevölkerung teilt sich eineinhalb Prozent und das ärmste Viertel der Bevölkerung besitzt gar nichts. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt zudem, wie wenig die Ärmsten vom Wirtschaftswachstum profitierten. Ihre Einkommen stagnierten oder schrumpften, während die Vermögen der Reichsten massiv zulegten. Gründe, diese Entwicklung zu stoppen, gibt es genügend:
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17 ZIELE FÜR NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, DIE UNSERE WELT BIS 2030 VERÄNDERN WERDEN
Erstens haben zahlreiche Studien selbst der OECD und des IWF nachgewiesen, dass grosse Ungleichheit das Wirtschaftswachstum bremst und negative Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes hat. Insbesondere Einkommensschwache haben in ungleichen Gesellschaften eingeschränkten Zugang zu guter Bildung. Der Wirtschaft geht dadurch enormes Potenzial verloren. Zweitens führt die zunehmende Vermögenskonzentration in der Schweiz dazu, dass nicht mehr die besondere Leistung oder persönlich übernommene Risiken zu Wohlstand führen, sondern die soziale Herkunft über den Platz in der Gesellschaft entscheidet. Der soziale Aufstieg wird schwieriger. Chancengleichheit ist immer weniger gegeben. Und drittens konzentriert sich mit der Ungleichheit auch die politische Macht. Mit einem relativ kleinen Anteil ihres Vermögens können Superreiche grossen Einfluss auf die Politik nehmen. Für den Zusammenhalt der Gesellschaft und besonders für Armutsbetroffene verheisst das nichts Gutes. Ihre Anliegen und Bedürfnisse werden im Schatten der finanzstarken Politikelite immer unsichtbarer. Um das gesellschaftliche Gefüge nicht zu gefährden und nachhaltiges und inklusives Wirtschaftswachstum zu ermöglichen, müssen Bund und Kantone regulierend eingreifen. Grundsätzlich gilt es, ein überdurchschnittliches Lohnwachstum der Niedriglöhne zu erreichen, die Lohnchancen derzeit benachteiligter Gruppen zu fördern und diskriminierende Bestimmungen abzuschaffen. Gleichzeitig braucht es Massnahmen zur Umverteilung des Reichtums: Eine bundesweit einheitliche, namhafte Erbschaftssteuer, eine progressivere Besteuerung der höchsten Einkommen und Vermögen und die Abschaffung des Inland-Bankgeheimnisses wären gangbare Wege, um der ungleichen Entwicklung, die sich mit der Corona-Krise noch verstärkt hat, entgegenzuwirken.
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SDG 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten
Die Versorgung mit gutem Wohnraum ist zentral für die Lebensqualität und das persönliche Wohlbefinden. Gemäss dem nationalen Gesundheitsbericht 2020 sind gut 83 Prozent der armutsbetroffenen Haushalte und 57 Prozent der Ausgabe 2016 Haushalte in prekären Lebenslagen jedoch nicht angemessen www.un.org wohnversorgt. Sie leben in zu kleinen, alten Wohnungen in schlechtem Zustand und an ungünstigen Lagen. Dazu gehören zum Beispiel eine schlechte Isolierung, Schimmelbefall, eine hohe Lärmbelastung, fehlender Grünraum oder gefährliche Strassen. Hauptursache sind die hohen Wohnkosten. Besonders in urbanen Ballungszentren sind die Preise für Wohnungsmieten sehr hoch. Das führt zur Verdrängung von ärmeren Haushalten aus den Städten und zu einer zunehmenden sozialen Segregation. Kantone und Gemeinden müssen dringend für genügend preisgünstigen und qualitativ guten Wohnraum in Städten sorgen. Die Förderung von gemeinnützigem Wohnungsbau ist wichtig, reicht aber nicht. Es muss auch sichergestellt werden, dass Haushalte mit tiefen Einkommen tatsächlich Zugang zu diesen Wohnungen haben. Menschen in prekären Lebenslagen haben oft Mühe, geeigneten Wohnraum zu finden, weil ihnen das Beziehungsnetz fehlt oder weil sie die Mietzinskaution von bis zu drei Monatsmieten nicht bezahlen können. Deshalb sind auch Angebote zu fördern, die benachteiligte Haushalte bei der Wohnungssuche unterstützen und Garantien übernehmen.
SDG 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften fördern und allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen
AusgabeIn2016 der Schweiz spielt der Aufenthaltsstatus und die damit verbundene rechtliche Stellung eine entscheidende Rolle dafür, www.un.org dass Menschen in sehr prekären Situationen leben und nicht an der Gesellschaft teilnehmen können. Neben Menschen ohne gültige Papiere (Sans-Papiers) betrifft dies Asylsuchende und vorläufig aufgenommene Menschen besonders stark. Für letztere widerspiegelt deren Status nicht die Realität, da ein Grossteil der Vorläufig Aufgenommenen aufgrund der Gewaltsituation in ihren Herkunftsländern dauerhaft in der Schweiz bleibt. Der Ausschluss aus der Gesellschaft aufgrund einer Prekarisierung betrifft auch zunehmend Migrantinnen und Migranten, die im Falle eines Sozialhilfebezugs den Verlust oder eine Rückstufung ihres Aufenthaltsstatus befürchten müssen und darum auf die staatliche Unterstützung verzichten. Ursache ist die im Jahr 2019 verstärkte rechtliche Verschränkung von Sozialhilfebezug und Ausländerstatus im Ausländer- und Integrationsgesetz. Zudem gehört die Schweiz in Europa zu den Ländern mit einer besonders restriktiven Einbürgerungspraxis und dementsprechend tiefen Einbürgerungsquote. Dies ist demokratiepolitisch bedenklich. Um eine inklusive Gesellschaft zu gestalten, muss allen in der Schweiz lebenden Menschen der Anschluss gewährt und ihrer prekären Lebenssituation entgegengewirkt werden. Dazu müssen sie mehr Rechte erhalten. Um Menschen in Not das Recht auf Unterstützung zu gewähren, muss die Verschränkung von Sozialhilfebezug und Ausländerstatus abgeschafft werden. Zudem soll die von Bundesrat und Parlament beschlossene Integrationsagenda konsequent umgesetzt werden: alle geflüchteten und migrierten Menschen müssen kostenlosen Zugang zu Rechts- und Laufbahnberatung und geeigneten Integrationsmassnahmen haben. Auch Asylsuchende sollen von Anfang an arbeiten und an Integrationsmassnahmen teilnehmen dürfen, um nicht komplett von der Sozialhilfe abhängig zu sein. Des Weite-
ren braucht es einen neuen Schutzstatus, der die Vorläufige Aufnahme ersetzt und Betroffenen dieselben Rechte wie Flüchtlingen gewährt. Dieser Status sollte nach spätestens drei Jahren in eine reguläre Aufenthaltsbewilligung münden, falls eine Rückkehr ins Herkunftsland nicht möglich ist. In der Schweiz leben bis zu 250 000 Personen ohne geregelten Aufenthalt. Wohl erfuhren sie im letzten Jahrzehnt einige Erleichterungen (Recht auf Krankenkassenabschluss, Schulbesuch für Kinder, in Einzelfällen Lehrabschluss), doch braucht es vor allem eine Besserstellung ihrer rechtlichen Situation: entweder durch viel grosszügigere Härtefallregelungen oder durch kollektive Regularisierung ihres Aufenthaltsstatus. Und schliesslich müssen bei der erleichterten Einbürgerung weitere Anstrengungen unternommen werden, insbesondere und umgehend für alle Kinder, die in der Schweiz geboren sind. Die Förderung einer inklusiven Gesellschaft ernst nehmen bedeutet, dass die Schweiz sich vom Dogma der Nichtintegration ganzer Bevölkerungsgruppen verabschieden muss. Die rechtliche Besserstellung und Integration aller in der Schweiz lebenden Menschen kommt der Gesellschaft als Ganzes zugute. Für armutsbetroffene Menschen zeigen sich grosse Defizite. Bis zu einem Drittel der armutsbetroffenen Menschen in der Schweiz machen von ihrem Recht, Sozialhilfe zu beziehen, keinen Gebrauch. Sie wissen nicht um ihre Rechte, schämen sich, sind mit den administrativen Anforderungen überfordert oder befürchten negative Konsequenzen. Staatlich unabhängige Fachstellen sind zunehmend mit Hilfegesuchen konfrontiert. Es ist dringend notwendig, dass die Kantone und Gemeinden ihre Bemühungen stark ausweiten, in Form einfacher und verständlicher Informationen, dem Abbau von administrativen Hürden und der finanziellen Unterstützung unabhängiger Beratungsstellen. Nur so kann sichergestellt werden, dass allen Menschen ihr Recht auf Hilfe in Notlagen und der Zugang zu Rechtsschutz gewährt wird.
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Forderungen von Caritas Schweiz Damit die Agenda 2030 Erfolg hat, muss die Schweiz systematisch, schnell und konsequent den Weg einschlagen in Richtung einer Wirtschaft und Gesellschaft, die Ressourcen schont und alle mitnimmt («leave no one behind»). Grössere Anstrengungen zur weltweiten Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele sind ein Gebot sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Tragfähigkeit und wirtschaftlicher Vernunft. Entsprechende Umsetzungspläne zu entwerfen und umzusetzen, liegt in der Verantwortung der verschiedenen Entscheidungsträgerinnen und -träger auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene. Notwendig ist dabei der umfassende Einbezug der Zivilgesellschaft ebenso wie des Privatsektors und der Wissenschaft.
1. P olitikkohärenz sicherstellen und Agenda 2030 institutionell verankern Auch sechs Jahre nach Verabschiedung der Agenda 2030 wird die Verantwortung für deren Umsetzung auf der Bundesebene viel zu stark auf bereits bestehende Einzelmassnahmen in den jeweiligen Bundesämtern konzentriert. Ambitionierte und konkrete Ziele für mehr Nachhaltigkeit in den einzelnen Politikbereichen wie der Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung, Verkehr und Handel, Finanzen und Steuern fehlen. Widersprüche zwischen verschiedenen Politikbereichen werden nicht ernsthaft angegangen. Das zeigt: Es braucht eine übergeordnete Stelle mit angemessenen Kompetenzen und genügend Ressourcen, welche die Umsetzung der Agenda 2030 steuert und überwacht. Für die Steuerung braucht es zudem geeignete Instrumente. Dazu gehört neben dem Monitoring der 17 SDG und der systematischen Identifikation von möglichen Zielkonflikten auch eine SDG-Verträglichkeitsprüfung von politischen Geschäften. Dies gilt im Übrigen auch für die Kantons- und Gemeindeebene, wo die Agenda 2030 noch viel weniger verankert ist. Damit die vom Bundesrat angestrebte Politikkohärenz zwischen den unterschiedlichen Politikfeldern, auf allen staatlichen Ebenen sowie in Bezug auf nachteilige Auswirkungen auf ärmere Länder tatsächlich verbessert wird, ist ein koordinierter und systematischer Ansatz nötig.
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2. D ie Ziele für nachhaltige Entwicklung verbindlich umsetzen Die Schweiz hat sich 2015 in New York verpflichtet, international und innenpolitisch zur Verwirklichung der 17 SDG beizutragen. Bereits die 2016 verabschiedete Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016 – 2019 verzichtete darauf, die globalen Ziele auf konkrete und messbare Ziele für die Schweiz herunterzubrechen und Inkohärenzen zwischen verschiedenen Politikbereichen mit geeigneten Massnahmen anzugehen. Ähnlich verhält es sich mit der aktuellen Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030, in der zum Beispiel die Solidarität gegenüber Ländern des globalen Südens und Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung zwar versprochen, dann aber zu wenig mit konkreten Massnahmen begleitet wird. Der Bund muss sich konsequent an den Nachhaltigkeitszielen orientieren und für jedes der 17 SDG ein klares und messbares Ziel sowie konkrete Massnahmen für die Umsetzung formulieren. Die nationale Umsetzung der SDG liegt allerdings nicht nur in der Verantwortung des Bundes, sondern zu einem erheblichen Teil in der Kompetenz der Kantone und Gemeinden. Die Ausführungen zum Handlungsbedarf bei den einzelnen Zielen verdeutlichen dies. Daher muss der Bund die Kantone und Gemeinden in die Diskussionen über die Agenda 2030 noch viel stärker und systematischer einbeziehen. Die bestehenden kantonalen Fachstellen für nachhaltige Entwicklung reichen nicht aus, um die Politikkohärenz zu gewährleisten. Auch in den Kantonen müssen Spannungsfelder wie etwa zwischen der Steuer- und der Sozialpolitik angegangen und mit den Zielen der Agenda 2030 in Einklang gebracht werden. Zudem müssen auch der Privatsektor, wissenschaftliche Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure bei der Umsetzung der SNE 2030 umfassend und transparent beigezogen werden. Das gilt auch für die regelmässigen Überprüfungen der Umsetzung der Agenda 2030 durch die UNO.
3. F inanzierung sichern, mehr öffentliche Mittel bereitstellen Damit die Agenda 2030 erfolgreich umgesetzt werden kann, muss die internationale Staatengemeinschaft genügend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Massnahmen zur Wirtschaftsförderung und zur Mobilisierung einheimischer Ressourcen in den Entwicklungsländern reichen in keiner Weise aus. Privatwirtschaftliche Investitionen in den Entwicklungsländern sind notwendig, aber per se weder nachhaltig noch armutsreduzierend. Sie müssen verbindlichen ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Standards genügen, um zu nachhaltiger Entwicklung beizutragen. Verwaltung und Parlament müssen sicherstellen, dass die notwendigen finanziellen Mittel für das SDG-Engagement der Schweiz auf nationaler und internationaler Ebene gemäss Umsetzungsplanung zur Verfügung stehen. Dazu muss der Bundesrat eine verbindliche Finanzstrategie unter Benennung der Finanzierungsquellen vorlegen. Innenpolitisch müssen Bund, Kantone und Gemeinden auf Ausgabenkürzungen in armutsrelevanten Politikfeldern, namentlich in der Sozialhilfe, in der Bildung oder bei der individuellen Prämienverbilligung, verzichten und stattdessen in die Armutsprävention, beispielsweise in die Frühe Förderung und den gemeinnützigen Wohnungsbau investieren. International dürfen sich die Finanzierungsverpflichtungen nicht auf die Rahmenkredite für die Internationale Zusammenarbeit (auch: Entwicklungshilfe) beschränken. Insbesondere für die Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen braucht es eine eigene und zusätzliche Finanzierungsstrategie. Da aber – wie die vergangenen Jahre gezeigt haben – der Schweizer Beitrag zur SDG-Umsetzung in Entwicklungsländern zu einem erheblichen Teil von den Akteuren der internationalen Entwicklungszusammenarbeit geleistet werden, sollen die Mittel der öffentlichen Entwicklungshilfe schrittweise auf 1 Prozent angehoben werden, gemessen am Bruttonationaleinkommen (BNE).
Mai 2022 Autorinnen/Autor: Aline Masé, Bereich Grundlagen, amase@caritas.ch Marianne Hochuli, Patrik Berlinger Dieses Positionspapier steht unter www.caritas.ch/positionspapiere zum Download bereit.
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