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Aktiventreffen

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Lockruf der Stadt

Auch Mäusebussarde zieht es nach Berlin. NABU-Mitarbeiter Marc Engler spürt ihnen in luftiger Höhe nach.

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Hoch oben über Wiesen und Äckern kreist er unermüdlich und scheinbar ohne Anstrengung, gelegentlich hört man seinen charakteristischen Ruf aus der Ferne. Der Mäusebussard (Buteo buteo) ist als häufigster Greifvogel aus der Familie der Habichtartigen (Accipitridae) in Mitteleuropa in nahezu allen offenen Landschaften zu finden. Seine flexible Lebensweise und hohe Anpassungsfähigkeit haben ihn zu einem außerordentlich erfolgreichen Jäger gemacht, was auch seine Anatomie verrät: Der kurze, breite Stoß und die Form der Flügelfläche erlauben es dem Mäusebussard, die Thermik über lange Zeiträume auszunutzen und mit minimalem Energieaufwand über den Feldern nach Nahrung Ausschau zu halten. Mit seinen relativ kleinen Füßen kann er diverse kleinere Beutetiere greifen und sich auch zu Fuß über kurze Strecken fortbewegen, etwa auf der Jagd nach Regenwürmern.

Mit professioneller Kletterausrüstung steigt Marc Engler (rechts) zum Nest herauf, um Jungvögel zu beringen.

Leider macht der Mensch auch dem Mäusebussard das Leben in der Agrarlandschaft schwer: Wie viele Arten leidet er unter Pestiziden und der Intensivierung der Landwirtschaft, zudem unter dem starken Ausbau der Windenergie sowie der anhaltenden illegalen Verfolgung im ländlichen Raumn. Kein Wunder also, dass der anpassungsfähige Mäusebussard – wie auch andere Greifvogelarten – den Weg in die Städte angetreten hat. In Berlin leben so viele Habichte pro Quadratkilometer wie nur in wenigen Gegenden der Welt. Anderswo bekommt man den zurückgezogen lebenden Jäger im schützenden Wald normalerweise kaum je zu Gesicht. Und längst beherbergt die Hauptstadt auch viele MäusebussardBrutpaare, die die Vorzüge der grünen Metropole offenbar erfolgreich nutzen. Denn für diese Greifvögel bietet Berlin neben zahlreichen Grünflächen und Brutmöglichkeiten ganzjährig ein breites Nahrungsspektrum – die Grundvorausetzungen für die Erschließung und erfolgreiche Besiedlung neuer Lebensräume. Dennoch wissen wir bislang sehr wenig darüber, wie sich Mäusebussarde in der Stadt etablieren und zurechtfinden.

Ein Beringungs- und Monitoring-Projekt, das seit 2018 unter der Leitung des Autors in Berlin läuft, soll helfen, die Anpassung von Mäusebussarden an den urbanen Lebensraum besser zu verstehen. Wie kann sich ein Greifvogel, der auf die Ansitzjagd und Segelflüge über offener Landschaft spezialisiert ist, in einer Großstadt wie Berlin behaupten? Wovon ernähren sich Mäusebussarde hier? Welche Flächen und Strukturen nutzen sie zum Brüten? Um diese Fragen zu beantworten, kontrollieren wir auf einer rund 140 Quadratkilometer großen Fläche im Zentrum Berlins zwischen Februar und Juni die Brutplätze bekannter Reviere, suchen neue Neststandorte und erfassen den Bruterfolg. Zwar dürfte der Anteil nichtbrütender Tiere hier ähnlich hoch sein wie in ländlichen Gebieten, doch finden viele Mäusebussarde Brutplätze in den Grünflächen, die ihnen Berlin wie kaum eine andere Großstadt bietet: Parkanlagen, Friedhöfe, gelegentlich sogar geschützte Innenhöfe. Die Nester aufzusuchen und den Bruterfolg einzuschätzen, ist dabei Jahr für Jahr eine Herausforderung und erfordert viel Geduld, Erfahrung und Blick für Details. Einige Brutpaare bauen ihre Nester nämlich erst im letzten Moment, zudem liegen viele Nistplätze gut versteckt und hoch oben in Nadelbäumen. Ohne die Unterstützung ehrenamtlicher Helfer wäre unsere Arbeit deshalb nicht möglich. Darüber hinaus erfassen wir im Rahmen eines Beringungsprogramms brutbiologische Daten. Dazu steigen wir mit Seilklettertechnik zu den Nestern auf, die sich in bis zu 30 Meter Höhe befinden. Dort angekommen setzen wir die Jungvögel, die zu diesem Zeitpunkt zwischen 15 und 30 Tagen alt sind und das Nest noch nicht verlassen können, vorsichtig in Beutel und lassen sie an einem Seil auf den Boden herab, wo die eigentliche wissenschaftliche Arbeit beginnt: Gewicht, Alter, verschiedene Körpermaße und der Gesundheitsstatus werden sorgfältig erfasst.

Beringung noch immer effizient

Zudem erhält jedes Jungtier einen Ring der zuständigen Vogelwarte mit einer individuellen Nummer. Obwohl die Vogelberingung als wissenschaftliche Methode bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zum Einsatz kam, um Zugvögel zu erforschen, erweist sie sich bis heute als nützlich. Zwar nutzen Forscher auch moderne Methoden wie solarbetriebene GPS-Sender, doch ist die Ringmarkierung nach wie vor eine kostengünstige Alternative. Über

Die noch nicht flüggen Jungvögel (links) werden vorsichtig zu Boden gelassen und dort gewogen, gemessen und beringt (unten). längere Zeiträume lassen sich so wichtige Aussagen etwa zum Abwanderungsverhalten von Jungvögeln, zu deren Sterblichkeit und Todesursachen sowie dem weiteren Lebenslauf treffen.

Fressen vor der Kamera

Um zusätzliche Einblicke in die Aufzucht junger Mäusebussarde zu erhalten, haben wir zudem Wildtierkameras an ausgewählten Nestern installiert, die Brut und Aufzucht der Jungen nachweislich nicht stören. So lässt sich miterleben, wie Eltern ihre Jungtiere mit frisch erbeuteter Nahrung füttern, diese ihre ersten Flugübungen machen und nach rund 43 Tagen das Nest verlassen. Vor allem aber dokumentieren die Kameras, welche Beutereste die Vögel ins Nest eintragen, und helfen somit zu untersuchen, wovon sich Mäusebussarde im Stadtgebiet ernähren. Auch wenn die Stadt reichlich Gefahren für Wildtiere birgt, profitieren viele Arten doch vom vielseitigen, ganzjährigen Angebot an Ressourcen. Bereits jetzt zeigt sich: Die Dichte an MäusebussardBrutpaaren im Stadtzentrum ist heute deutlich höher als vor zehn Jahren, wie der Vergleich mit älteren Daten auf einer vergleichbaren Untersuchungsfläche im Osten Berlins zeigt. Marc Engler

Wenn Sie Hinweise oder Informationen zu Brutplätzen von Mäusebussarden in Berlin haben, können Sie diese weitergeben und damit das Projekt unterstützen: mengler@nabu-berlin.de

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