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Was macht Social Media mit uns?
from SchuleAktiv 1/23
by CDA Verlag
Von Lisa Gutzelnig
Wenn Sprache zu einer Waffe in den sozialen Kanälen wird, gerät die Gesellschaft in einen verhängnisvollen Strudel. Soziale Netzwerke sind in der heutigen Zeit omnipräsent. Vor allem für Jugendliche ist der Austausch über Instagram, TikTok und Co. sehr wichtig und selbstverständlich – was vielen Eltern zurecht nicht behagt.
Noch kurz einen Schnappschuss hochladen, den Post der besten Freundin liken und die Story eines Influencers anschauen – für Marie gehört wie bei den meisten Jugendlichen Social Media längst zum Alltag. Gemäß der James-Studie aus dem Jahr 2020 haben 98 Prozent aller 12- bis 19-Jährigen bei mindestens einem sozialen Netzwerk ein Profil. Doch viele Eltern betrachten die Netz-Aktivitäten ihrer Sprösslinge eher kritisch.
Die Gefahr der Abhängigkeit
Social Media-Plattformen wie Instagram und TikTok finden sich mittlerweile auf fast jedem Smartphone eines
Jugendlichen. Vielen fällt es schwer, sich vom Bildschirm zu lösen - und gerade Jugendliche sind besonders empfänglich für Reize und Inhalte, die sie über Social Media erreichen. Das beobachtet auch Kinder- und Jugendpsychotherapeut Dr. Ulrich Müller.
„Grundsätzlich ist die Pubertät verbunden mit der Suche nach Anerkennung außerhalb der Familie. An der Stelle spielen die sozialen Medien eine wichtige Rolle, weil sie für die Identitätsbildung immer bedeutsamer werden. Die Pubertät ist geprägt von körperlichen Veränderungen, die den Jugendlichen Angst machen können. In dieser Phase suchen sie vermehrt nach Orientierung, die sie in sozialen Netzwerken finden“. Angesagte Influencer werden zu ihren Vorbildern.
Doch vor allem Instagram verzerrt die Realität, denn die Fotos und Videos auf den Plattformen sind oft durch Filter oder Bildbearbeitungsprogramme so stark verändert, dass sie teils fatale Folgen für das Selbstbild jugendlicher Nutzer darstellen. Das kann zu erheblichen Irritationen beim Verständnis des eigenen Körpers führen.
Kurzum: Soziale Medien sind so konzipiert, dass sie Nutzer abhängig machen. Viele wissen das. Doch wer klärt die Jugend darüber auf? Hirnforscher haben herausgefunden, dass ein Social Media-Like das Belohnungszentrum im Gehirn ähnlich aktiviert, wie das Erklingen eines SMS-Nachrichtentons. Dabei wird Dopamin ausgeschüttet, Glücksgefühle werden ausgelöst und schon schwebt der Nutzer auf einer Wolke des Geliebt-Seins und Getragen-Seins, umwoben mit dem süßen Duft der Anerkennung. Dieses Gefühl sorgt dafür, dass Nutzer immer wieder Inhalte teilen, nur um Zustimmung zu erhalten. Doch die Wolke auf der sie schweben ist brüchig, denn sie existiert in Wirklichkeit gar nicht. Sie ist ein Paralleluniversum. Das Netz verbindet augenscheinlich, aber grenzt in Wirklichkeit aus und führt oftmals zu Vereinsamung. Denn jede Sekunde an Aufmerksamkeit und Energie, die ein Jugendlicher in dieses Paralleluniversum investiert und in die Bearbeitung seiner Bilder auf Instagram steckt, jede dieser digitalen Sekunden die er dem Blendwerk der Eitelkeit widmet, geht ihm im echten Leben ab. Diese Zeit fehlt ihm im Offline-Leben um Kontakte zu knüpfen, ein soziales Gefüge aufzubauen, Augen und Ohren offen zu halten, oder auch um Sinne und Instinkte am Leben zu erhalten.
Schauspieler als Vorbilder für Jugendliche
Der Schauspieler Lars Eidinger hat sich von Instagram abgemeldet. Den Grund seines Rückzugs von Social Media kommentierte er mit den Worten: „Instagram sei wie aus der Mülltonne fressen. Als wenn man sich aus der Mülltonne ernährt.“
Vor knapp einem Jahr hat Eidinger sich aus den sozialen Netzwerken zurückgezogen. In einer Talkshow spricht er über ein Schlüsselerlebnis, was ihn dazu gebracht habe, seinen Instagram-Account zu löschen. Er sei bei Dreharbeiten in Australien gewesen und habe sich mit Kollegen eine Auszeit in der Natur genommen. Zunächst haben sie Kängurus in der Wildnis beobachtet, die Tiere haben ihre Freiheit sehr genossen. Danach seien sie auf einem Rastplatz gewesen, wo sich ein Känguru an Eidingers Bein geschmiegt habe. Er habe einen Wildhüter gefragt, was mit dem Tier nicht stimme. "Das hat aus der Mülltonne gefressen und dann verliert es seine Ängste und Instinkte und wird ganz träge", sei die Antwort gewesen. Dieses Känguru hat durch die Nähe zu den Menschen seine Scheu, aber leider auch seinen Instinkt verloren. „Und so ist es, wenn man Instagram benutzt. Es ist im Grunde so, als wenn man sich aus der Mülltonne ernährt", sagt der Schauspieler. Er habe immer gedacht, er könne sich das mit einer Distanz dazu anschauen, aber es beeinflusste ihn in so einem hohen Maße, dass es toxisch war. „Ich habe gemerkt, dass ich traurig geworden bin dadurch".

Hasspostings sind kein Kavaliersdelikt
Die besorgniserregendste Form von Hass im Netz ist nach wie vor das Mobbing unter Kindern und Jugendlichen im Internet. Natürlich gab es Hänseleien, Beleidigungen und kommunizierte Abneigung schon vor der Zeit des Internets. Doch durch Whatsapp, Facebook, Instagram und Co. hat jeder Schulhof-Rowdy noch zusätzlich ein Megaphon in die Hand bekom- men, denn die Reichweite ist heute eine ganz andere. Die Schnelligkeit auch. Ohne es zu wissen, kann heutzutage ein Kind zum Gespött einer ganzen Schulklasse werden, wegen einer Äußerung oder eines Fotos oder Videos, oder auch wegen eines Schnappschusses den jemand anderer aufgenommen und auf Facebook gestellt hat. Es beginnt mit einem kleinen unfreundlichen Kommentar. Andere sehen sich bestärkt und kommentieren ebenso herabwürdigend und grausam, fühlen sich sicher hinter ihren Handybildschirmen. Darüber hinaus ist das Austeilen im Netz eine lohnenswerte Angelegenheit. Die Bestätigung die man für eine Internetbeleidigungen bekommt ist ungemein höher als im Offline-Leben, denn die Chancen stehen nicht schlecht, dass es für einen Hasskommentar „Likes“ hagelt. Likes sind für einen Hasskommentator in etwa das, was ein anfeuerndes Publikum für einen Boxer ist. Man schlägt chen, das auf der Bergspitze ins Kullern gerät, bis hin zu der Naturkatastrophe, die alles unter sich zermalmt und einen jungen Menschen zur Zielscheibe macht, ein „Knock – Out“ das ein Kind in tiefe Abgründe stürzen kann. Das geschieht anonym und unter Klarnamen, in Gruppen und in einzelnen Attacken, von dem Unbekannten Schüler ums Eck. sind allerdings nicht immer einfach umzusetzen. Schließlich ist „das Netz“ ein transnationales Unterfangen. Server stehen im Ausland, das Unternehmen Facebook gibt teilweise die IP-Adressen von Fake-Accounts nicht heraus, sodass die wahren Absender von Hassnachrichten nicht von deutschen Behörden ermittelt und belangt werden können. Wenn Facebook nun einen Hass-Kommentar eines Schülers gegenüber eines anderen Kindes nicht zeitnah löscht, oder im schlimmsten Falle gar nicht löscht, ist der Grundstein für Mobbing gelegt und die ehrverletzende Wirkung des Kindes entfaltet sich in Bruchteilen von Sekunden - wie ein Flächenbrand –öffentlich, grausam und unaufhaltsam.

Konfrontiert man die Täter hört man oft Sätze wie „Das war doch nur Spaß“, „alles halb so wild“, „So war das gar nicht gemeint“. Defensiv bis entschuldigend fallen die beschwichtigenden Kommentare der Täter aus, aber zumindest nicht der Tragweite ihres Handels bewusst. Das Problem ist, dass das Beleidigungs-Immunsystem von Kindern in der Regel nicht so stark ist wie das von Erwachsenen. Als Teenager ist man fragiler im Selbstwert, weil gerade die Achtung und der Respekt der Freunde und Altersgenossen in diesem Alter enorm wichtig ist.
Neben dieser schnellen Ausbreitung lässt auch die Halbwertszeit solche Botschaften bedrohlich erscheinen: Die liegt nämlich nahe an unendlich. Die Bösartigkeiten, die Unterstellungen, die Lügen und die Verleumdungen sind geschrieben, um zu bleiben. Facebook zensiert nämlich ungerne. Unliebsame Inhalte sollen nicht gelöscht, sondern diskutiert werden. Statt einer umfangreichen Moderation kontroverser und beleidigender Inhalte vertritt Facebook das Prinzip „Rede und Gegenrede“. Nutzer werden dazu animiert Inhalte nur im Notfall zu melden, und ihnen sonst zu widersprechen. Die Gegenrede wird auch „Counter Speech“ genannt. Für Facebook hat diese Taktik gleich mehrere Vorteile. Erstens kommt es nicht so leicht zum Vorwurf der Zensur seitens der Nutzer, die ihrem Schandmaul weiter freien Lauf lassen möchten. Zweitens, und das ist viel wichtiger, muss Facebook nicht noch mehr Leute einstellen, die sich mit gemeldeten Inhalten beschäftigen. Drittens und das ist das besorgniserregendste, sorgen provokante und beleidigende Äußerungen für Aufmerksamkeit, und diese Aufmerksamkeit führt zu noch mehr Beteiligung, (auch genannt: Interactions) seitens der Nutzer. Das heißt: zu noch mehr Facebook. Und das führt wiederum zu noch mehr Werbeeinnah - men und somit noch mehr Geld für das Unternehmen Facebook.

Aber was tun gegen Hass im Netz?
Der Hasskriminelle ist noch nicht bei der Arbeit, da klingelt die Polizei. Es ist sechs Uhr morgens und damit die Nachbarn nichts mitbekommen, erklären die Beamten den Grund ihres Besuchs leise durch die Gegensprechanlage und fragen, ob sie hereinkommen dürfen. Dann öffnet sich die Tür. Der Beschuldigte ist Anfang 30 – er hat die Morde an den jungen Polizisten im Internet bejubelt, nun stehen vier Beamte in seinem Wohnzimmer, zwei so alt wie die Opfer, also Mitte zwanzig. Die Ehefrau bietet allen eine Tasse Kaffee an.

Eine ebenfalls anwesende Staatsanwältin liest dem Täter laut vor, was er im Internet geschrieben habe: "Zwei Staatssklaven weniger = etwas mehr Freiheit." Dann wünschen alle einander einen guten Tag. Der überführte Täter geht zur Arbeit – und die Staatsanwältin wird demnächst einen Strafbefehl schreiben. Die Staatsanwaltschaft klingelt an diesem Morgen auch bei den Eltern eines 14-jährigen Teenagers. Auch sie beklatschte im Internet den Polizistenmord und träumte in ihren Internetkommentaren von weiteren Toten. Ihr blüht nun ähnliches.
Wer trägt die Konsequenzen?
Der Ton wir rauer, Kinder überschreiten Grenzen die bis vor kurzem noch als absolute Hemmschwellen galten. Klar, die Meinungsfreiheit schützt in einer lebendigen Demokratie auch abstoßende und hässliche Äußerungen. Aber die Meinungsfreiheit endet da, wo das Strafrecht beginnt. Jugendliche sollten bereits im Schulalter dafür sensibilisiert werden und müssen wissen, wo das Strafrecht beginnt und dass sie Konsequenzen zu befürchten haben.
Doch diese Konsequenzen werden niemals von Facebook kommen, denn es ist ein Unternehmen, bei dem die Sündenböcke erst wieder in Mode kommen. Viele gemeldete Inhalte werden nicht gelöscht, stattdessen erhält man von dem Unternehmen die Rückmeldung und das Hilfsangebot den Aggressor doch einfach zu blockieren. Löschen möchte Facebook vieles davon im Zweifel aber lieber nicht. Denn alles dreht sich, alles fließt, alles ist möglich, ein Raum wo das Strafrecht ein bisschen wie ausgekurbelt scheint, in Schwebe. Soziale Medien machen es möglich, am Ball zu bleiben, ein Publikum aufzubauen. Soziale Medien sind das Megaphon eines jeden Stubenhockers der manchmal im Offline-Leben schon Probleme hat einen echten Dialog mit einem echten Menschen zu führen. Dazu muss man dem Gegenüber schließlich in die Augen schauen, man muss Körpersprache deuten können und sich die Mühe machen die Mimik des jeweils anderen zu lesen. Zu anstrengend? Dann doch lieber ONLINE-Rowdy.
Jeder der will, kann im Netz ein Pausenhof-Rowdy sein. Und wenn es aus irgendeinem Grund nicht klappt, und es für einen Kommentar zu wenig „Likes“ hagelt, wenn zu wenig Hass-Zuspruch erfolgt, dann sucht er sich halt den nächsten Pausenhof. Im Netz gibt es unendlich viele davon. Irgendwann findet jeder ein Publikum, das ihn beklatscht, ganz egal, wie gehässig der Kommentar war. Denn in diesem einen Punkt ist Facebook dann doch sehr demokratisch: Es vernetzt jeden, der will. Auch die Gehässigen untereinander.