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EXCURSION

Bulletin

Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus Association suisse du journalisme scientifique Swiss Association of Science Journalism

w w w.s ci ence- j ou r n a l is m . c h

1 | 16 JUNI 2016 EDITORIAL

Bitte kurz fassen. Und bloss nicht vulgär werden

Roland Fischer (zVg)

Wie steht es 2016 um die Vermittlung von Wissenschaft? Das aktuelle Bulletin hat den Schwerpunkt «Vulgarisierung/Long­ form» und stellt die Frage, auf welche ­Weise immer komplexere Forschungsreali­ täten am besten vermittelt werden können und was sich im medialen Umfeld diesbe­ züglich so tut, vor allem am Beispiel USA. Klubmitglied Lia Rosso schildert, warum sie ein Buch geschrieben hat und welche Hürden dabei zu nehmen waren und die Macher des populär-geisteswissenschaft­ lichen Magazins «Avenue» aus Basel ­haben sich selber in ein fiktives Interview verzettelt. Und ganz real haben wir den neuen Leiter der Kommunikation des ­Nationalfonds, Christophe Giovannini,

zum Gespräch getroffen, während er ganz lässig eine trickreiche SVP-Anfrage erle­ digte, an einem schon fortgeschrittenen Freitagabend.

«Auf welche Weise können

immer komplexere For­ schungs­realitäten am besten vermittelt werden?

»

Gute – un­d hoffentlich nicht langweilige – Lektüre! wünscht Roland Fischer

INHALT / SOM M AIRE

Chers membres, Qu’en est-il de la vulgarisation scientifique en 2016? Ce bulletin a pour point fort le thème de la «Vulgarisation/Long format» et se demande quelle est la meilleure manière de relater des ré­ alités complexes de la recherche scientifique, et ce qui se fait dans ce domaine, à l’exemple ­notamment des Etats-Unis. Notre membre de ­l’ASJS Lia Rosso présente les raisons qui l'on fait écrire un livre et quelles ont été les écueils qu'elle a dû franchir. Les concepteur du maga­ zine populaire de sciences sociale «Avenue» à Bâle jouent, eux, avec l’idée de l’interview fic­ tif. Bien réel, par contre, est celui de Christophe Giovannini, nouveau chef de la communication du Fonds national suisse, alors qui était en train d’écrire la réponse, lors d’un vendredi soir déjà bien avencé, à une interpellation piégieuse d’un élue UDC. Bonne et – nous l’espérons – intéressante ­lecture. Roland Fischer 1 | sk wj-bulletin 1/16

Editorial .......................................................................................... 1 S C H W E R P U N KT T H EM A : V U LG A R I S I E RU N G / LO N G FO R M

Einfach mal losmarschieren auf der Avenue........................................ 2 Une idée, un livre, une maison d’édition ............................................ 4 Matter und Nautilus – zweimal Longform aus Amerika ........................ 6 «Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, den SNF zu verkaufen».............. 8 Facts and Fictions .......................................................................... 10 Krise? Krise!! ................................................................................. 12 Recherchierfonds-Änderungen ........................................................ 13 News und Personelles .................................................................... 14


S C H W E R P U N K T: V U L G A R I S I E R U N G / L O N G F O R M

Einfach mal losmarschieren auf der Avenue Zwei Geisteswissenschaftler aus Basel haben eine Idee für ein neues Magazin – und legen einfach mal los. Unlängst haben die Akademien den Wagemut mit einem Prix Média-Förderbeitrag belohnt. In einem fiktiven Gespräch schildern die Macher, was sie mit dem Magazin vorhaben. Roland Fischer Wie kam’s zur Idee, eine populärwissen­ schaftliche Zeitschrift für Geistes- und Sozialwissenschaften zu gründen?

Also ist die Avenue ein Projekt für Lieb­ haber, Schöngeister und ehemalige Stu­ dierende?

Mario: Nun – bislang gibt es kein entsprechendes Organ. Es gibt schlicht keine Zeitschrift, die in einfacher Sprache auf neue Erkenntnisse, Forschungsgegenstände oder Methoden aufmerksam macht. Das Feuilleton deckt diesen Bedarf nicht ab. Dagegen gibt es eine Vielzahl von ­populärwissenschaftlichen Publikationen der Natur- und Technikwissenschaften – und zwar schon lange: Der Scientific American feiert gerade seinen 171-jährigen Geburtstag. Natürlich steckt dahinter auch ein persönlicher Grund: Wir haben beide über zehn Jahre in der Wissenschaft gearbeitet. Nach der Dissertation haben wir uns gefragt: Und nun? Wir haben mit dem Gedanken gespielt, in die Privatwirtschaft zu gehen. In diesem Augenblick haben wir gemerkt, wie sehr uns die Inhalte unserer Fachgebiete fehlen würden.

Corinna: Nein. Letztlich verfolgen wir mit der Avenue ein recht politisches Anliegen – diskret. Wir stellen fest, dass nur sehr wenige Themen öffentlich diskutiert werden. Sicherheit ist beispielsweise ein unglaublich aufgeladenes und breit diskutiertes Thema. Uns ist immer wieder vorgeschlagen wollen: Warum macht Ihr nichts zu Flüchtlingen, das ist doch aktuell. Doch gerade dieses Thema wollen wir nicht bewirtschaften. Oder wenn, dann nicht so. Vielmehr wollen wir mit der Avenue vorführen, wie viele andere Themen ebenfalls besprochen werden müssen – und zwar aus vielen unterschiedlichen Perspektiven und von verschiedenen Men­ schen aus unterschiedlichen Disziplinen.

«Das Feuilleton deckt ­diesen Bedarf nicht ab.

En avant, marche, sur l’«Avenue» Deux chercheurs en sciences sociales de Bâle ont lancé l’idée d’une nouveau magazine, et se sont ensuite lancés eux-mêmes. L’initiative a été soutenue par une bourse des Académies. Dans un dialogue, les deux concepteurs expliquent leur projet. 2 | sk wj-bulletin 1/16

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Corinna: Da haben wir vermutet, dass wir nicht die einzigen sind, die mit Leidenschaft und Interesse auch nach der Unizeit eine leserfreundlich aufbereitete Fachdiskussion mitverfolgen würden. Also haben wir unsere Freunde eingeladen und sie gefragt, ob sie Interesse an einer entsprechenden Zeitschrift hätten. Das hatten sie – unter einem Vorbehalt: Die Zeitschrift dürfe auf keinen Fall an die Wissenschaft als Institution oder Struktur erinnern. Also haben wir recherchiert und festgestellt, dass etwa 6,5 Mio. Studienabgänger im deutschsprachigen Raum potentiell Sehnsucht nach geistes- und sozialwissenschaftlichen Inhalten haben könnten, weil sie sich auch einmal für so ein Studium begeistert haben.

Mario: Wenn wir schreiben Magazin für Wissenskultur, dann meinen wir das so: Wissen als ein zu kultivierendes Gut. Uns interessiert die Pflege einer ordentlichen Diskussions-, Widerspruchs- und Fehlerkultur – auch innerhalb der Wissenschaft. Deshalb erscheinen die Inhalte der Avenue zunächst online und open access. Und zwar so, dass sie von jedem gelesen und auch kritisiert werden können. Übrigens haben wir dafür eigens ein Kommentierungstool entwickelt, das erlaubt, Satz für Satz zu kommentieren. Nach drei Monaten Diskussion wird die Avenue dann samt Kommentaren gedruckt. Was sind denn Eure Themen? Corinna: Unser erstes Heft beschäftigt sich mit dem Thema «Wir Cyborgs». Es geht um unsere zunehmende Verschmelzung mit Technik, mit unseren Smartphones oder Herzschrittmachern. Das Thema könnte allein aus naturwissenschaftlicher Perspektive behandelt werden; man w ­ ürde


«Uns interessiert die Pflege einer ordentlichen Diskussions-, Widerspruchs- und Fehlerkultur.» dann fragen: Wie funktioniert dieses oder jenes? Wir fragen: Wie verändert sich unsere Wahrnehmung, unser Körper und unser Gesellschaft durch Technik? Mario: Unser nächstes Thema widmet sich «Hochstaplern». Einerseits möchten wir anhand von Hochstaplern mehr über die Gesellschaft und ihren Glauben an Bildungszertifikate, an Professionalität und an Habitus erfahren. Andererseits möchten wir dem verbreiteten Gefühl nachgehen, wir könnten als Hochstapler etwa bei der Arbeit auffliegen. Danach gibt es ein Heft zu Pornographie und dann eins zu Fantasie… Stichwort Zielgruppe: Ist euer Publikum eher ein akademisches? Kann man die Texte einfach so verstehen oder braucht es doch etwas Vorbildung? Corinna: Nein, Vorbildung braucht es keine. Vielleicht ein bisschen Neugier. Wir wollen, dass Avenue-Texte Erkenntnisse oder Ideen aus der Wissenschaft in einer einfachen und anschaulichen Sprache vermitteln. Jeder Interessierte sollte einen Text in etwa zehn bis fünfzehn Minuten lesen und grösstenteils auch verstehen können. Unsere Autorinnen und Autoren sind meist Forschende. Wir bitten sie, nur einen oder zwei neue Gedanken zu präsentieren, diese aber knackig. Mario: Die Popularisierung von wissenschaftlichen Inhalten geniesst kein hohes Ansehen – im besten Fall ist sie Vereinfachung, im schlimmsten Fall Verfälschung. In unserer Redaktionstätigkeit stellen wir häufig das Gegenteil fest. Das Abschälen des Fachvokabulars verhilft einer These nicht selten dazu, präziser und robuster zu werden. Ab und an lässt sich auch erst dank dieses Kontextwechsels erkennen, was einem Text noch fehlt.

Die Leserinnen und Leser der Avenue sollen also zugleich über komplexe Sach­ verhalte in einfacher Sprache informiert werden und ausserdem auch noch über Kommentare und Fragen in euerm Ave­ nue-Salon online mitwirken? Ist das nicht ein bisschen viel verlangt? Mario: Nein – uns interessiert die Suchbewegung und der Prozess beim Erkennen. Es geht nicht darum, festes Wissen abzubilden. Wissen ist immer vorläufig und wider bessere Erkenntnis. Und deshalb kann eigentlich jeder in diesen Prozess eintreten. Corinna: Ausserdem interessiert uns gerade auch die Kommunikation von Nichtwissen. Eigentlich wird’s an den Rändern des Gewussten erst richtig spannend.

«Wissen ist immer vor­läufig und wider bessere Erkenntnis.» Ihr habt gerade den Medien-Förderpreis der Schweizerischen Akademien erhal­ ten (siehe News). Gibt es die Avenue nun schon auf Papier? Corinna: Bislang sind unsere Inhalte alle auf dem zu Netz finden. Und die erste Ausgabe ist dieser Tage aus der Druckerei gekommen! Wir haben also Grund zum Feiern.

Corinna Virchow ist promovierte Germanistin, Mario Kaiser promovierter Wissenschaftsphi­ losoph. Seit 2014 widmen sie Herz und Verstand der Gründung der Avenue, der ersten popu­ lärwissenschaftlichen Zeitschrift für Geistesund Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum. Sie leben mit drei Kindern in Basel.

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S C H W E R P U N K T: V U L G A R I S I E R U N G / L O N G F O R M

Une idée, un livre, une maison d’édition Au commencement, c’était la beauté, celle des cellules que j’ai analysées et étudiées en tant que chercheuse en biologie; puis, c’était l’étonnement. L’harmonieuse esthétique du micromonde m’a surpris à maintes reprises par son extraordinaire organisation. Plus je découvrais le langage de l’ADN et le fonctionnement des organelles cellulaires, et plus j’éprouvais le privilège d’apercevoir, dans ses recoins, une intelligence de la vie insoupçonnée, raffinée et surprenante. Lia Rosso

Autorin – und gleich auch noch Verlegerin – werden Eine Neurowissenschaftlerin hegt lange den Wunsch ein Buch zu schreiben – im Juli letzten Jahres kam «Le Pituicyte» endlich heraus. Es soll nicht das letzte bleiben: Resultat des langen Ringens war nicht nur ein Buch, sondern gleich ein Verlag, Rosso Éditions. Hier erzählt die Au­ torin und Verlagsleiterin Lia Rosso von ihrem gelungen – und den nächsten, noch zu gelingen­ den – Vorhaben. 4 | sk wj-bulletin 1/16

Seule, dans une salle de microscopie con­ foncale, en compagnie de quelques cellules humaines et animales, j’ai eu l’envie de transmettre mes connaissances scientifiques et surtout mes ressentis. Est née alors l’idée d’écrire l’histoire d’une «rencontre rapprochée» avec une cellule, et plus particulièrement avec un pituicyte de rat, le type de cellules que j’ai étudiées pendant mon doctorat de recherche. Il m’a fallu onze ans pour finaliser ce rêve, le temps que mes esprits humaniste et scientifique fassent la paix et se donnent la main. «Le Pituicyte» a été imprimé le mois de juin 2015. Il s’agit d’une histoire d’amour, de science et de fantaisie. J’aborde des thématiques importantes comme la fécondation in vitro, mais a­ ussi des sujets plus controversés comme la communication télépathique animale. À la fin du livre se trouve un glossaire de termes de la biologie cellulaire utilisés dans la narration. Si d’un côté la recherche d’un éditeur a failli me décourager, de l’autre côté elle m’a poussée à prendre plus au sérieux l’autoédition. En discutant avec des amis à propos de leurs projets de livre, j’ai eu l’inspiration de créer ma propre maison d’édition. En effet, pourquoi me limiter à un seul projet, un tantôt narcissique, et ne pas voir grand dès le départ ? Le monde de l’édition change à grands pas, je me suis dit qu’il y a probablement la place pour quelqu’un d’insolite. Ainsi dit, ainsi fait. J’ai créé Rosso Éditions en tant qu’entreprise individuelle et j’ai officialisé mon statut de vulgarisatrice scientifique. Mon but: parler de la science, et plus particulièrement de la biologie, sous un angle humaniste, qui suscite l’émerveillement et la réflexion. Influencée par la culture grecque ancienne, je considère la science comme un excellent «outil philosophique» pour mieux com-

prendre qui nous sommes, mais aussi pour être acteurs conscients de notre présent de plus en plus rempli de technologie. Le mot science englobe le concept d’objectivité. Mais, jusqu’à quel point ­devons-nous et pouvons-nous rester objectifs dans la transmission du savoir scientifique? Je donne des cours de biologie et de génétique et très souvent on me demande mon avis sur les organismes génétiquement modifiés, la théorie de l’évolution ou encore l’efficacité de certains médicaments. En créant ma maison d’édition et en choisissant d’éditer mon roman comme premier livre, j’ai pris la liberté de transmettre de la façon la plus précise possible certaines connaissances de la bio­ logie cellulaire et moléculaire, tout en exprimant aussi mes opinions et de mes ­ressentis. Aujourd’hui, «Le Pituicyte» fait son chemin. Certes, je découvre les difficultés de la distribution, car pour qu’un texte soit vendu dans une librairie, il doit être publicisé et il est préférable que l’auteur soit déjà connu. J’ai opté alors pour un système ancien comme le monde: le boucheà-oreille. Il ne faut pas être pressé, car le début est lent. Cependant, cette «­ méthode» comporte un grand avantage, rare de nos jours: l’authenticité. Des personnes extraordinaires ont décidé d’elles-mêmes de soutenir mon projet jusqu’à m’ouvrir les portes du Salon du livre de Genève. Chacun m’aide comme il peut et comme il le ressent. De plus, si je veux survivre en tant qu’éditeur je dois être originale, continuer à apprendre et créer de nouvelles collaborations. En octobre 2015, j’ai démarré un projet pilote avec l’Alliance Française de Cuneo, ma ville natale. Après évaluation par les professeurs de science et de français, mon livre a été proposé aux élèves


«En effet, pourquoi me ­limiter

à un seul projet, un tantôt narcissique, et ne pas voir grand dès le départ?

d’un lycée dans le cadre d’un programme bilingue. Le projet prévoit cinq rencontres à thème avec les élèves, supportées par des petits films que j’ai réalisés sur la biologique cellulaire. Chaque séance dure une heure pendant laquelle je réponds aux questions des étudiants. C’est une expérience très enrichissante que je compte proposer aussi en Suisse en français, en italien et prochainement en anglais. Les vidéos, une fois réalisées, je les mets en ligne gratuitement, car je suis persuadée que le savoir devrait être à disposition de toute personne intéressée. Mais ce n’est que le départ. En tant qu’auteur, je travaille actuellement à mon premier essai scientifique philosophique qui devrait voir le jour pour le début de cet été. D’un autre côté, j’ai démarré la ­recherche de fonds et de sponsors pour exister en tant que maison d’édition et publier les livres de trois nouveaux auteurs qui ­aiment avant tout la vie et qui désirent ­partager une vision scientifique de l’existence. Aujourd’hui, c’est un fort désir d’harmonie qui nourrit et motive mes actions. Profondément idéaliste, j’ai envie d’apporter mon grain de sable pour un monde meilleur et je suis convaincue que la vulgarisation scientifique constitue un très bon chemin pour y arriver.

»

Qui suis-je? Je suis née à Cuneo (Italie) le 16.7.1975. Après un baccalauréat litté­ raire et philosophique, j’ai entrepris des études de biologie cellulaire à l’Université de Nice Sophia-Antipolis où j’ai obtenu mon Doctorat en neuroscience en 2004. J’ai ensuite travaillé à l’Université de Lausanne en tant que chercheuse postdoctorale jusqu’en 2011. Les données de mes recherches ont été publiées dans plusieurs revues scientifiques interna­ tionale (PloS, Glia, Journal of Neuroscience, etc...). En 2007, j’ai com­ mencé à m’inté­resser à la vulgarisation scientifique. J’ai participé à l’organisation de plusieurs passeports vacances ainsi que de plusieurs journées portes ouvertes de l’Université de Lausanne. En 2010, après un stage professionnel dans la rédaction du quotidien «Le Temps» à Ge­ nève, je suis devenue journaliste scientifique indépendante. Pour des raisons personnelles, j’ai q­ uitté la recherche scientifique en 2011. De­ puis, je donne des conférences et des cours pour le grand public et j’écris des articles et des textes de divulgation scientifique. En 2014, j’ai créé Rosso Editions, nouvelle maison d’édition consacrée, entre autres, à la vulgarisation scientifique.

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S C H W E R P U N K T: V U L G A R I S I E R U N G / L O N G F O R M

Matter und Nautilus – zweimal Longform aus Amerika Wie geht es dem anspruchsvollen Wissenschaftsjournalismus drüben in den USA? Nicht so gut, muss man wohl sagen. Wir bringen hier eine Analyse zum gescheiterten Projekt MATTER und eine Medienmitteilung zum neuen Hoffnungsträger Nautilus, die ebenfalls nachdenklich stimmt. Naomi Lubick via poynter.org Jim Giles and his business and editorial partner, Bobbie Johnson, launched MATTER in 2012. The two experienced journalists wanted stories that assessed scientific claims critically and also had some length and strong narratives. They got down to business, after a successful campaign with Kickstarter, and published ambitious stories, thousands of words long. A notable success was Virginia Hughes’ piece “23 and You,” an exploration of the ethics and familial complications behind genetic testing companies like 23andMe, chosen for an anthology of best science writing. But Giles is no longer with the digital magazine. The magazine no longer publishes long-form science stories and has sometimes veered into fluff on topics like online hook-ups and sexting. What happened? Aiming to be a for-profit from the beginning, Giles says, MATTER’s founders decided to sell stories directly to their readers. Getting enough advertising (and eyeballs to sell that advertising) did not seem practical. The decision, Giles says, stemmed in part from philosophy: “People buy what they want. You have to please them or they go somewhere else. The old relationship between publisher and reader was an honest one, I think.” Another online long-form publisher, Atavist, had managed to sell stories one at a time. MATTER started with that model and added paying subscriptions. Readers could pay 99 cents a month to get all the stories MATTER published, or they could buy a single story for 99 cents. MATTER relied on freelancers. Getting good pitches turned out to be hard. “We got a lot of very explanatory, straightforward science pitches that would have been more at home in New Scientist,” says Giles, who once edited those kinds of shorter news pieces and features for the news section of the scientific journal Nature. The narrative pieces often took much longer to produce than Giles had anticipated. Unexpected layers of administrative and other work – for example, tax accounting – led Giles and Johnson to consider mixing in short-form stories that would bring more regular eyeballs to the site. Freelance writers got paid a flat fee of $7500; copy editors, editors and others got paid by the hour. Giles and Johnson continued to work for free. The Internet turns the publisher-reader relationship on its head, as more and more content is available for free. “So much of the traffic on the web at the moment is driven by social media and aggregators. None of those things will really work if your stuff is behind a paywall,” Giles says. If he were launching MATTER today, he says, he would instead use a “porous paywall,” where some limited free access gives potential readers a sample. For The New York Times, with its massive amounts of content, that's less of a burden. For MATTER, publishing only one story a month, it was a different equation – more work goes into making fewer units, so to speak, and once a story is out, it's harder to control its spread and get some kind of compensation for it. MATTER would lose readers at the point where they had to pull out their credit cards. While the paywall eventually would have worked, Giles says, it was taking longer than they thought “to hit profitability.” Perhaps alternative models might work — say, sponsored content like Buzzfeed’s — but Giles says they did not consider it for MATTER (they were, however, selling ads on the site). Micropayments could still make ventures like this more profitable — once someone figures out how to make micropayments work, he says. “The act of paying is hard,” Giles says. “If it were made easy, I think you would see many more paywalls. People don’t mind paying for good stuff.” The trick will be to develop a method that allows for small amounts – 10 cents, a few pennies – to be billed from a user’s account almost without them noticing. 6 | sk wj-bulletin 1/16


But in 2013, those alternatives were unavailable, and Giles and Johnson could see that the Kickstarter money would run out before subscription numbers became high enough to be sustainable for MATTER. They started to reach out to individual investors for financing to continue. However, they couldn’t promise a potential bonanza of high returns that venture capitalists look for. Giles and Johnson eventually met with Evan Williams, the Internet entrepreneur known for his role launching Blogger and Twitter. Williams proposed that he buy MAT­ TER, folding it into his new enterprise, Medium. The two founders would receive payment and new jobs as editors for Medium, continuing to work on MATTER. Giles and Johnson ultimately accepted in April 2013. “Instead of raising money, we were acquired,” Giles concludes. “It was amazing – we totally didn't expect it would happen, and we didn't set [MATTER] up to sell it. We always imagined being independent. However it was the best option: a home where we could continue doing journalism we wanted to do.” The deal, though, gradually took MATTER away from the long-form science mission. These days, MATTER has very little in the way of long-form science features. Quick reads, at four to seven minutes apiece, talk about online apps and other technology questions. The longer stories on the site include a 30-minute read on the Nigerian girls kidnapped by Boko Haram. It's an interesting and important story, but it's not really about science or technology. (The magazine's older science stories live on in the hard-to-find Medium MATTER Archive.) Giles says Medium liked the original revenue model, but eventually dropped the paywall (he says MATTER had a few thousand subscribers when Medium acquired it). Several months ago, the publishing site had outside funding and was focusing on user growth to monetize later. Medium also ran some sponsored content, for example, a design blog reportedly sponsored by BMW. After the acquisition, Giles spent a year and a half at Medium (Johnson is still an editor there). He parted ways with the company and will not comment on the terms. Now consulting for other new media outlets, he is partly focused on the experimentation with payments at Medium and elsewhere. While Giles thinks there are now more than enough long-form outlets out there, he offers some advice to anyone thinking of a new online venture, applicable to any kind of startup, it would seem: Start with what you want to produce. Make sure it's something not already in the world. CAMBRIDGE, Mass. January 20, 2016 — Nautilus is a different kind of science magazine. It delivers deep, undiluted, narrative storytelling that brings big-picture science into today’s most important conversa­ tions. Nautilus challenges readers to consider the common themes that run through the sciences and connect them to philosophy, culture, and art. Each of its print issues addresses two themes at a time, both ad­ dressed from multiple perspectives. Its stories are told by the world’s leading thinkers and writers, illustrated with gorgeous full-color, fullpage original illustration. “If you want to engage people, tell them a good story. Nautilus has found an audience by simply telling the amazing stories of science with style, rigor and imagination. MIT Press is the perfect partner to take Nautilus ‘print edition to an even larger audience,” says John Steele, Nautilus founder and publisher. With just eleven issues published, Nautilus is already having a tre­ mendous impact. It is the first publication to ever win two National Mag­ azine Awards in its first year of eligibility: the 2015 National Magazine Award for General Excellence in the category of Literature, Science and Politics; and the 2015 National Magazine Award for website. It has also won over a dozen additional awards for its content, original illustration,

«The deal, though, gra­

dually took MATTER away from the long-form science mission.

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and design. Several essays have been selected for inclusion in the Best American Science and Nature Writing series, and Library Journal cited Nautilus as one of the ten best new magazines of 2013. Nautilus reminds the reader that science addresses universal ques­ tions and themes,” says Michael Segal, editor in chief. “We feel this is a uniquely powerful motivation to read about science.” Nautilus has published well-known science writers including Alan Lightman, Sam Harris, Gary Marcus, David Deutsch, Ian Tattersall, Max Tegmark, Martin Rees, Helen Fisher, Carl Zimmer, Philip Ball and Leonard Mlodinow. Nautilus is edited by Michael Segal, a former sen­ ior editor at Nature Nanotechnology and MIT graduate. According to Amy Brand, Director of the MIT Press, “Nautilus takes science magazines to a whole new level — a much more refined, thought­ ful, and compelling one. We couldn’t be more excited to be publishing Nautilus in partnership with John and Michael. And everything this re­ markable magazine stands for — groundbreaking science accessibly communicated and artistically illustrated — is a fitting extension of the MIT Press’ own strengths and sensibilities.” The MIT Press will begin co-publishing the print edition of Nautilus in January 2016.

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INTERVIEW

«Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, den SNF zu verkaufen» Der Nationalfonds hat einen neuen Kommunikationschef. Wir haben Christophe Giovannini, der vorher sieben Jahre Chefredaktor bei Swissinfo war, in seinem Büro getroffen. Freitagabend, die Hektik der letzten Politanfrage war rasch beiseite geschoben. Er nahm sich viel Zeit und machte gleich zu Beginn klar, er w ­ olle lieber ein Gespräch führen als eine Antwort nach der anderen zu liefern – er sei schliesslich noch dabei, sich einzuarbeiten in die neue Aufgabe. Roland Fischer Christophe Giovannini, wie sehen Sie die aktuelle Rolle der Wissenschaftsjourna­ listen – Sie haben ja selber eine ganze Menge an journalistischer Erfahrung? Christophe Giovannini

Der Wandel ist offensichtlich – früher bestand die Aufgabe vornehmlich in der Vulgarisierung der Forschungsarbeit. Heute machen das die Institutionen schon ziemlich gut selber. Zudem verliert der Wissenschaftsjournalismus immer weiter Mittel, man kann sich also fragen, ob die reine Vermittlung von News aus dem Labor noch zur Kernaufgabe gehört. Vielleicht müsste der Wissenschaftsjournalismus eher da ansetzen und einen Schritt weitergehen. Sie meinen, man könnte in den Redakti­ onen auch mal eine Pressemitteilung oder einen Artikel einer institutionellen Zeitschrift 1:1 übernehmen, um damit Ressourcen für Wichtigeres zu sparen?

Abstract Le Fonds national suise a un nouveau chef de la communication. C'est dans son bureau que nous avons rencontré Christophe Giovannini, qui a été durant sept rédacteur en chef à Swissinfo. Ceci à peine après qu’il eut achevé les dernières réponses aux interpellations politiques qu’il avait reçues. Il a accordé beaucoup de temps à cet entretien, en précisant qu’il souhaitait jus­ tement davantage un dialogue que l’habituel mode «questions-réponses». 8 | sk wj-bulletin 1/16

Ja, aber nicht unbesehen, sondern nur, wenn man genau weiss, warum man es so übernimmt. George Orwell hat bekanntlich gesagt: Journalism is printing what someone else does not want printed: everything else is public relations. Aber wir haben nichts zu verbergen, insofern wäre ich damit im Feld der Wissenschaft nicht ganz einverstanden. Allerdings sollen die Journalisten natürlich den Finger auf wunde Punkte legen und zum Beispiel aufzeigen, wo die Wissenschaft zu wenig macht. Insofern geht es auch um die Auswahl der Geschichten – das ist der grosse Unterschied. Die Entscheidung, was wichtige Forschung ist. Wirklich? Ich habe mir kürzlich mal von der Nature-Pressestelle schildern lassen,

wie das mit der Auswahl der Stories vor sich geht. Kurz gesagt werden die Publi­ kationen gepusht, die die besten Erfolgs­ chancen in den Redaktionen haben, also nicht unbedingt die «wichtigsten» For­ schungsergebnisse. Und hätte da der SNF nicht dieselben Interessen? Mög­ lichst viel Aufmerksamkeit für die Mar­ ke «SNF», ein möglichst grosses Echo in den Medien, unabhängig von den eigent­ lichen Forschungsinhalten? Zunächst einmal: Ich sehe meine Aufgabe nicht darin, den SNF zu «verkaufen». Und ja, ich glaube, dass wir uns auf die wichtigen Forschungsresultate konzentrieren sollten. Die Aufbereitung, das Sexy-machen, den emotionalen Dreh finden,

«Die Journalisten sollen natürlich den Finger auf wunde Punkte legen.» das ist dann die Aufgabe des Journalisten. Wenn wissenschaftliche Kommunikation nur sexy ist, wird sie nicht wirklich funktionieren, und genauso wenig, wenn sie durchgehend trocken ist. Da würde ich allerdings ein Fragezei­ chen setzen, wenn man sich die neuen Medien anschaut. Da funktioniert Wis­ senschaft gar nicht schlecht, allerdings ist ziemlich klar, wer die Klick-Sieger sind. Wie positioniert der SNF sich dies­ bezüglich – bislang hat man nicht das Gefühl bekommen, dass es da eine klare Kommunikationsstrategie auf den digi­ talen Kanälen gibt?


ScienceGeist, ein unlängst lanciertes Online-Projekt des SNF

Wir sind jetzt schon digital präsent aber sind daran, eine neue Socialmedia-Strategie auszuarbeiten. Und dieser Tage wird ein weiteres Digitalprojekt starten: Scien­ ce­geist, eine kuratierte Presseschau rund um Forschung und Politik (Details siehe News). ­ In den neuen Medien gibt es oft auch ein schönes Durcheinander von Wissen­ schaft und Populärkultur, Geheimnisse und Seltsamkeiten funktionieren bestens und es geht nicht unbedingt um die Ver­ mittlung von Fakten. Was halten sie von diesem Umgang mit Wissenschaft?

vergleichen, wenn ein staatliches M ­ useum einen Pollock kaufen möchte. Die Bevölkerung wird fragen: Warum ist das wichtig und warum ist das so teuer? Da kann man nun ganz verschiedene Register ziehen – man kann die kunstgeschichtliche Bedeutung von Pollock hervorheben, man kann auf die emotionale Kraft des Werks

Das ist nicht unbedingt verkehrt – man sollte wohl auch dieses Geheimnisvolle pflegen und einen Raum für das Staunen und Träumen offenhalten. Diese Momente des Staunens haben die Wissenschaft auch immer vorwärts gebracht – nicht wenige grosse Forscher sind so überhaupt zur Wissenschaft gekommen. Aber wir müssen auch erklären, warum es Forschung in unserer Gesellschaft braucht undwarum sie sehr wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung ist, gerade in der Schweiz.

verweisen oder die Geschichte der Entstehung erzählen. Ähnlich ist es mit der Wissenschaft: Das Ziel muss sein, auf all diesen Ebenen zu kommunizieren.

Wem sollte man das am besten erklären? Muss der SNF eher Lobbying im Bun­ deshaus betreiben oder sich direkt an die Bürger wenden? Ich glaube, beides ist nötig und gleich wichtig. Man kann das vielleicht damit

«Man sollte auch das Geheimnis­

volle pflegen und einen Raum für das Staunen und Träumen offenhalten.

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Sie suchen die richtige Mischung? Ja, alles andere wäre doch eine kommunikative Verarmung. Ich stelle mir g­ elungene Kommunikation gern vor wie eine Sonntagszeitung: Man installiert sich in einem bequemen Sessel und blättert zunächst vielleicht mal zu den Cartoons, dann weiter zu einem Leitartikel. Es ist wie bei der Musik oder beim Essen: man braucht eine gewisse Vielfalt, mal etwas Leichtes, dann vielleicht auch mal etwas schwerer Verdauliches.

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FAC TS & FIC TION

Who’s afraid of Benzodiazepin? Kürzlich im Tages-Anzeiger, Interview mit dem Chefarzt des Zentrums für Angstund Depressionsbehandlung Zürich: Die Angst vor Benzodiazepinen ist übertrieben Eine gute Woche später dann im New York Times Magazine: The Scary Rise in Benzo Overdoses. But benzos have a dark side, too: For years, researchers have understood that they can be highly addictive and therefore carry a significant risk of overdose, espe­ cially when they are combined with opi­ ates or alcohol. Now a new study in the American Journal of Public Health offers some stark numbers suggesting that the skyrocketing rate at which benzos are pre­ scribed has indeed brought with it an in­ crease in overdose deaths. Irgendwie scary, die sehr konträren Standpunkte? Was kann man da tun, um die medialen Nerven zu beruhigen? Vielleicht einfach mal eine Pille einwerfen? Wie sagte der Experte doch im Tagi-Interview: Benzodiazepine eignen sich für alle Situationen, in denen eine rasche Angstlösung erreicht werden muss.

Happy Birthday, Replicant! Vor bald fünfzig Jahren schrieb Philipp K. Dick einen Roman – Do Androids Dream of Electric Sheep – über eine postapokalyptische Zukunft im Jahr 1992; oder in späteren Ausgaben dann 2021 (die Gegenwart hatte die Zukunft inzwischen überholt). Bekannt wurde der Roman erst durch einen Film: Blade Runner, der die Geschichte in einem schrecklich regnerischen Los Angeles im Jahr 2019 ansiedelt. Diese Geschichte wird vorangetrieben durch ein paar Androiden (oder Replikanten, wie es im Film heisst), die auf der Erde nichts zu suchen haben (und ohne10 | sk wj-bulletin 1/16

hin dem Menschen beunruhigend ähnlich sind) und deshalb vom Filmhelden ausdem Verkehr gezogen werden sollen. Und nun zu den Glückwünschen: Als Harrison Ford seine Gegner studiert, flimmern auch deren «Geburtstage» (Incept Dates) über den Bildschirm – alle zwischen Januar und Juni 2016, der des «basic pleasure models» Pris ist zum Beispiel wohl nicht zufällig der 14. Februar. Dazu passt, dass gerade ziemlich lebhaft über Maschinen diskutiert wird, die dank der Fortschritte von Deep learning und Co. irgendwie beängstigend menschlich werden – das Buzzword der Stunde ist AI Anxiety: Big-name scientists worry that runaway artificial intelligence could pose a threat to humanity. Beyond the speculation is a simple question: Are we fully in control of our technology? Derzeit geht übrigens eine Fortsetzung von «Blade Runner» in Produktion, sie soll 2018 in die Kinos kommen. Neben Harrison Ford wurde auch Ryan Gosling für den Film gecastet, Denis Villeneuve führt Regie. Und auf Arte lief gerade eine tolle Dokumentarfilmserie über Philipp K. Dick, unter anderem zum famosen Computerspiel Californium.

Einstein war auch schlecht in der Schule Es ist einer der Lieblingsmythen aus dem Feld der Forscherbiographien: Einstein brauchte ein wenig Anlauf, um i­ ntellektuell auf Touren zu kommen, in der Schule habe er ziemlich zu kämpfen gehabt und haufenweise schlechte Noten nach hause ­gebracht. Die Geschichte taugt offenbar als Motivationsspritze für Schüler, die, wie amerikanische Wissenschaftler unlängst erprobt haben: Ninth- and 10th-grade students in low-per­ forming New York City schools who read about Albert Einstein’s struggles, includ­ ing multiple school changes and trouble convincing others that gravity from a

large object like a planet could actually bend light, performed better in science than a control group who learned only about what the scientists achieved. Funktionierte übrigens auch mit Marie Curie und ihrem Kampf um Akzeptanz in einem noch sehr männerdominierten Umfeld. Vielleicht sollte man noch ein paar schöne Geschichten von Hawking oder Newton dazuerfinden? Käme ja nicht so drauf an, wenn es denselben Effekt hat. Denn: das mit dem schlechten Schüler Einstein ist schliesslich auch frei erfunden (vom Französischen mal abgesehen – und ein paar sich schon früh äussernden Problemen mit Autoritäten): Contrary to popular belief, Einstein wasn’t a bad student at all. Apparently, that's something that real bad students made up, because he got excellent grades.


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SNF SEMINAR

Krise? Krise!! Gut, nun werde er uns ein wenig zu beunruhigen versuchen, meinte Andrew Gelman irgendwann in seinem Vortrag via Google Hangout, direkt zugeschaltet aus New York. Und brachte auf durchaus unterhaltsame Weise ein Beispiel nach dem anderen, bei denen die Forschung ihrer eigenen Statistik auf den Leim gegangen war. Um bei der Frage zu enden, wie wir Journalisten «Junk Science» erkennen sollten, wenn es oft nicht einmal Forscherkollegen könnten. Roland Fischer Die Wissenschaft hätte allerdings ein Problem, wenn ihren Ergebnissen nicht mehr zu trauen wäre, und zwar nicht wegen expliziter Betrugsfälle (die natürlich für Irritation sorgen, aber doch zumeist früher oder später entlarvt werden), sondern weil auch eine ganze Menge ehrlich gemachte Forschung eigentlich direkt in den Mülleimer gehört. Die grosse Frage wäre dann: wie viel Junk Science ist da draussen? Wie gross ist der Anteil der unbrauchbaren Forschungsresultate, deren (meist aufwendige) Ermittlung man sich auch gleich hätte sparen können? Malte Elson wagte zur Eröffnung des gut besuchten SNF-Seminars im Haus der Akademien in Bern keine quantitative Einschätzung, aber er berichtete sehr anschaulich von den Bemühungen in seinem Forschungsfeld, der experimentellen Psychologie, einmal gefundene Ergebnisse zu bestätigen – und dem grossen Scheitern der Bemühungen. Und machte klar, dass diese «Replication Crisis» mit einem Methoden-Wildwest zu tun hat und insofern tief in der Struktur des Forschungsbetriebs verwurzelt ist. Die Folge: Die Statistik wird zum Selbstbedienungsladen, sie dient nicht der Erhärtung eines Sachverhalts, sondern der oft sehr kreativen Suche des Forschers nach einem möglichst schönen Resultat. Mehr Sorgfalt und täte also Not. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall, wie Rüdiger Mutz von der ETH mit einer grossen bibliometrischen Analyse des Forschungsoutputs klarmachte. Er wollte dabei allerdings nicht dramatisieren: ja, wir würden ein exponentielles Wachstum an publizierten (und zitierten) Forschungsarbeiten sehen, doch heisse das ja zunächst einfach ein konstantes Wachstum. Man durfte sich allerdings fragen, ob bei dieser Einschätzung nicht auch ein wenig wishful thinking (und also Selbstberuhigung eines Forschers, der im selben Boot sitzt) im Spiel war. Zumal die Wachstumsraten ja allerdings beeindruckend sind: seit der Nachkriegszeit eine s­ tetige Verdopplung des Forschungsoutputs alle 9 Jahre! Und keine Verlangsamung in Sicht. Zum Schluss öffnete Gerd Folkers von der ETH die Krisenrhetorik dann noch ins Politische und Ökonomische und zeigte am Beispiel China, wie Anreizsysteme auf sehr effektive Weise die Wissenschaft (und ihre Arbeitsweise) formen können. Was ja aber auch heisst: indem man die Anreize anpasst, sollte man einen Weg aus der Krise finden können. Die ETH will da mit guten Beispiel vorangehen und die Studenten zu mehr kritischem Denken erziehen – auch den eben gelernten Methoden gegenüber. Leere Marketingsprüche, forschungspolitische Utopie oder mutiger Schritt?

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RECHERCHIERFONDS

Demande de fonds pour les enquêtes: quelques nouveautés 5000 francs. C’est la somme maximale qui vous sera attribuée pour un projet de journalisme scientifique et dont la réalisation demande des ressources financières particulières. Pour en bénéficier, il vous suffit de déposer votre demande d’ici au 1er septembre auprès d’Olivier Dessibourg (dessibourgolivier@gmail.com) Cette année, le comité directeur de l’ASJS a affiné ses critères d’attribution des fonds de recherche, avec toujours bien sûr comme objectif la qualité des travaux réalisés. Chaque projet sera discuté lors des rencontres du comité directeur et soumis à une grille d’évaluation tenant compte de différents critères, telle que la méthode ­journalistique ou les différents formats proposés. Au moment d’élaborer votre demande, pensez en particulier en termes de public concerné et d’angle pour lequel vous optez. Les sujets les plus originaux seront privilégiés, de même que ceux dont la viabilité semble la plus durable. Les projets en ­plusieurs langues nationales se verront attribuer une attention particulière dans l’évaluation. Les bénéficiaires de cette bourse s’engagent par ailleurs à fournir, au terme de leur travail, une contribution écrite dans le bulletin de l’ASJS, sous forme par exemple d’un article sur le making-of du projet ou de conseils pour mener une enquête dans le domaine concerné. A noter, sauf exception extraordinaire, que les bénéficiaires des années précédentes ne peuvent pas déposer une demande dans les trois années qui suivent l’attribution d’une bourse. Informations complémentaires sur le site web de l’ASJS.

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NEWS UND PERSONELLES

News ScienceGeist Wie kann sichergestellt werden, dass Forschungsergebnisse zuverlässig und reproduzierbar sind? Wodurch könnte das ­aktuelle Publikationssystem der Wissenschaft verbessert werden? Und welche Wirkung hat die Evaluation von Forschung? Die neue vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) lancierte und betriebene Webseite sciencegeist.com will solchen Fragen mehr Gehör verschaffen, indem sie entsprechende Nachrichten aus internationalen Medien, Blogs und Fachzeitschriften sammelt. Sie möchte es der Forschungsgemeinschaft (sowie Journalisten) ermöglichen, sich auf einem übersichtlichen Portal über die aktuellsten Diskussionen zu wissenschaftspolitischen Themen wie Peer-Review, Open Science, Karrieren, Fehlverhalten oder Reproduzierbarkeit zu informieren. Die Webseite bietet sowohl ein durchsuchbares Nachrichten-Archiv (mit bereits mehr als 1800 Artikeln seit 2013) als auch einen wöchentlichen Newsletter, der die wichtigsten Informationen zusammenfasst. Die Plattform lädt die Nutzer zudem dazu ein, eigene Links zu relevanten Artikeln beizutragen. Die Auswahl der Einträge wird von einem kleinen Redaktorenteam kuratiert.

Wechsel bei SRF

­ eportageelementen, erhält Helga Rietz R den mit 3500 Dollar dotierten Silberpreis in der Kategorie der Zeitungen mit ­Auflage unter 150 000 Exemplaren. Verliehen wird die Auszeichnung von der American Association for the Advancement of Science (AAAS) und der Kavli Foundation. Im bereits 2014 in der «Neue Zürcher Zeitung» publizierten Artikel begleitet Helga Rietz den Stimmforscher (und passionierten Sänger) Matthias Echternach, der Weltstars der Oper in den Kernspintomografen schiebt und ihre Stimmlippen beim Schwingen b­ eobachtet.

Avenue Mitte Februar 2016 hat Avenue – Magazin für Wissenskultur den Medien-Förderpreis von den Akademien der Wissenschaften Schweiz erhalten. Avenue ist laut den Machern «das erste populärwissenschaftliche Magazin für Geistes- und Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum». Das im August 2015 gestartete Magazin soll vierteljährlich erscheinen – zunächst als offene Diskussionsplattform auf dem Netz, dann auch als hochwertiges Druckerzeugnis, inklusive der online gesammelten Diskussionsbeiträge zu den Artikeln (siehe auch ausführliches Interview auf Seite...).

Personelles

Preise

Linda Seward ist seit 2 Jahren als Communications Officer beim NCCR Robotics an der EPFL in Lausanne und beim Cybathlon an der ETH, Zürich angestellt. Bevor sie angefangen hat in der Wissenschaftskommunikation zu arbeiten, war sie als Wissenschaftlerin im Bereich Geologie und Geotechnik unter anderem als Freelancerin beim Jane Goodall Institute tätig.

NZZ-Redaktorin und Clubmitglied Helga Rietz hat im Februar den AAAS Kavli Science Journalism Award überreicht ­bekommen, einen der wichtigsten Preise für Wissenschaftsjournalimus der USA. Für «Arien für die Wissenschaft», einen multimedial aufbereiteten Artikel mit

Christophe Giovannini est depuis novembre 2015 chef de la division Communication et membre de la Direction élargie du Fonds national suisse (FNS-SNF). Après des études de philosophie, d­ ’histoire et de journalisme à l’université de N ­ euchâtel, ce trilingue a démarré sa c­ arrière

Es ist kein Geheimnis – in der Fachredaktion Wissenschaft von Radio SRF rumort es. Nun gibt es den ersten prominenten Abgang: Nach rund 10 Jahren Wissenschaftsradio übernimmt Odette Frey neu ab August die Moderation von «Puls».

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a­ uprès de l’Agence télégraphique suisse (ATS). Il a ensuite rejoint SWI swissinfo. ch, la plateforme internet d’information multilingue visant à expliquer, sur mandat de la Confédération, la Suisse à l’étranger. Après avoir assuré la direction du département anglais, il en est devenu dès 2008 rédacteur en chef et membre du Comité de Direction. Verena Vermeulen arbeitet seit neun Jahren als Fachjournalistin und Spezialistin für wissenschaftliche Kommunikation. Nach einigen Jahren in der Medizinre­ daktion des Springer Medizin Verlags Schweiz wechselte sie 2011 in die Wissenschaftskommunikation der internationalen Osteology Stiftung und 2013 weiter in die Wissenschaftskommunikation des MedTech-Unternehmens Geistlich Pharma. Ihren fachlichen Hintergrund bilden ein Biologie-Diplom sowie ein Fachvolontariat und Weiterbildungen in Medienarbeit und Social Media-Kommunikation. Deborah von Wartburg ist seit September 2015 Teil des Teams von Scitec-Media, einer Agentur für Wissenschaftsjournalismus mit Sitz in Winterthur, die unter anderem Wissensseiten für das Deutschschweizer 20 Minuten und einem Verbund von Deutschschweizer Regionalzeitungen produziert. Sie studierte an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur Journalismus und Organisationskommunikation und absolvierte bereits während des Studiums ein dreieinhalbmonatiges Praktikum bei Scitec-Media. Zusätzliche redaktionelle Erfahrungen sammelte sie als Praktikantin und freie Mitarbeiterin beim Landboten.

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Bulletin

Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus Association suisse du journalisme scientifique Swiss Association of Science Journalism

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1 | 16 JUNI 2016

Der Vorstand Olivier Dessibourg Président et délégué EUSJA Journaliste scientifique LE TEMPS Rte de la Conversion 310 1093 La Conversion 021 311 35 70 olivier.dessibourg@letemps.ch Fabio Bergamin Deutschsprachiges Sekretariat und Kassier Wissenschaftsredaktor ETH Zürich Algisserstrasse 10A 8500 Frauenfeld +41 76 592 40 05 sekretariat@science-journalism.ch Huma Khamis Madden Secrétariat romand Journaliste scientifique RTS (Radio Télévision Suisse) 30 Av. du Temple 1010 Lausanne +41 58 236 61 23 huma.khamis@rts.ch

Roland Fischer Redaktor Bulletin SKWJ Freier Wissenschaftjournalist Lorrainestrasse 64 3014 Bern wissenschaft@gmx.ch Beate Kittl Wissenschaftsjournalistin Schweizerische Depeschenagentur sda Länggassstrasse 7 3001 Bern 031 309 38 48 bkittl@gmx.ch Felix Straumann Redaktor Wissen Tages-Anzeiger Werdstrasse 21 8021 Zürich 044 248 44 11 felix.straumann@tages-anzeiger.ch

Impressum Bulletin des SKWJ Redaktion: Roland Fischer Layout: Ritz & Häfliger, Basel

www.annahartmann.net

Christophe Ungar Journaliste scientifique Radio Télévision Suisse RTS 20 Quai Ernest Ansermet 1211 Genève - 8 022 708 94 07 christophe.ungar@rts.ch Martin Amrein e-Commerce Wissenschaftsredaktor NZZ am Sonntag Postfach 8021 Zurich +41 44 258 10 75 martin.amrein@nzz.ch


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