Ausgabe FrĂźhling 2015
gazin a M e h c s i gspolit n u d l i b s ndes Da a b r e v s e und des VBE-B
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Es sind die Schwierigen, die aus der Norm Fallenden, die uns eine besondere Herausforderung in ihrem Wachstum sind. Die mit den Konventionen kämpfen, sich häuten, ihr Innerstes entwickeln müssen. Die sich befreien von Schichten aus Zwängen, Ängsten und der Einsamkeit ... ... sie sind die Herausforderung an eine Gesellschaft, die die Individualität lebt und gleichwohl soziale Verantwortung einfordert. Das geht nur über Zerreißproben ...
Inhalt Wichtiger Hinweis: Weder die Abbildungen in dieser Ausgabe zeigen in den Texten beschriebene Personen noch sind die Darstellungen identisch mit beschriebenen Handlungen.
201059 B & E 11| 4 Zerreißproben – Roberts Entwicklung von Michael Schneider 9 Meinung: Handschrift versus Tastatur? Nein! von Udo Beckmann 10 Praxis: „Immer ich!“ Wenn Schüler Probleme haben, machen sie auch welche von Rainer Winkel 14 Blickpunkt: Das 21. Jahrhundert in die Schule holen! von Sven Volmering 16 VBE-Magazin 18 VBE in den Ländern 24 Die Kehrseite
Liebe Leserinnen und Leser, in dieser B&E-Ausgabe beschäftigen wir uns mit in mehrfacher Hinsicht besonderen Menschen. Im Zeitalter der Inklusion reden viele über beeinträchtigte Kinder und Jugendliche und ihre sozialen Chancen, die es zu verbessern gilt. Vielfach wird dabei an äußerlich offensichtliche Beeinträchtigungen gedacht und dafür ist auch schnell allgemeines Verständnis zu finden. Was aber ist mit jenen beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen, die durch ihr – gelinde gesagt – „schlechtes Benehmen“ auffallen? Jene also, für deren soziales Verhalten gesellschaftliche Akzeptanz besonders schwer zu erlangen ist, die heute gern flapsig als die „Verhaltensoriginellen“ oder „Verhaltenskreativen“ bezeichnet werden und früher einmal die „Verhaltensgestörten“ oder „Verhaltensauffälligen“ waren? Unsere Autoren nähern sich dieser Gruppe sozial beeinträchtiger Kinder und Jugendlicher sehr authentisch und praxisorientiert – auch weil sie wissen, welche Probleme im Unterricht und im sozialen Umgang ganz allgemein bestehen. Wir möchten unsere Leserinnen und Leser zur Lektüre über ein pädagogisches Thema einladen, das zugegeben mit großen Anstrengungen verbunden ist, das sich aber gleichwohl jungen Menschen widmet, die ihren Weg in die soziale Gemeinschaft finden wollen – gerade auch durch uns Pädagoginnen und Pädagogen. Ihre B&E-Redaktion
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schlagen – Dieser Beitrag beschreibt einen authentischen Fall. Der Name wurde von der Redaktion geändert.
Zerreißproben –
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Perspektivwechsel
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Roberts Zerrissenheit spiegelte sich in der Schule wider: Auf Hänseleien reagierte er mit Schlagen. Bei seinen Lehrern begann er zu klammern. Er stellte unheimlich viele Fragen, zweifelte laut Entscheidungen von Lehrern und Mitschülern an. Diese fühlten sich zunehmend provoziert. Wenn es gut lief, ignorierten sie Robert. Lief es schlecht, endeten Roberts Fragen in Streit oder Prügeleien. Fühlte Robert sich in die Ecke gedrängt, rastete er immer wieder so heftig aus, dass seine Lehrer nicht mehr weiterwussten.
Ich habe Robert damals mit diesen fünf Methoden gefördert:
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Robert wurde gerade acht, als seine Eltern sich im Streit trennten. Einem Streit, den Robert hautnah miterleben musste. In dem er selbst immer wieder Spielball der Interessen der Eltern war. Ein Streit, dessen Grund Robert nicht verstand. Mit unterschiedlichen Interessen der Eltern, die keine Rücksicht auf Robert nahmen.
2001 wechselte Robert auf eine Förderschule für soziale und emotionale Entwicklung und wurde mein Schüler. Vor einigen Wochen traf ich ihn wieder. „Mir ist der Besuch einer Förderschule heute nicht mehr peinlich“, fasst er seine Schulkarriere zusammen. „Ab dann wurde alles besser.“ Mit seinen Erinnerungen und alten Unterlagen will ich herausfinden, was Robert gutgetan hat, und mit ihm überlegen, ob solide Fortschritte auch im Rahmen der Inklusion möglich wären.
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Roberts Schulkarriere begann wackelig. Aufgrund einer Sprachentwicklungsverzögerung und einer fast unverständlichen Aussprache wurde er 1998 auf einer Förderschule für sprachliche Entwicklung eingeschult. Innerhalb eines Jahres war davon „nur“ noch ein Lispeln übrig. 1999 wurde Robert erneut eingeschult – auf einer Grundschule. Wegen seines Lispelns wurde Robert immer wieder gehänselt. Roberts Lehrer griffen nur dann ein, wenn sie es mitbekamen. Das war selten.
Von Michael Schneider
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Roberts Entwicklung
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„Schachspielen und die Einrad-AG“ – das sind die ersten Erinnerungen, von denen Robert rund 15 Jahre nach seiner Schulzeit bei mir erzählt. „Und es gab immer eine Belohnung. Auch für Kleinigkeiten.“ Damit fasst Robert kurz zwei Standbeine in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen zusammen. Denn jeder noch so „wilde“ Kerl, jedes noch so „zickige“ Mädchen kann etwas gut. Angebote, die auf den ersten Blick nichts mit Unterricht zu tun haben, erlauben den Schülern einen neuen, entspannten Zugang zur Schule. Das zweite Standbein ist die Fokussierung auf positives Verhalten, auch bei „Kleinigkeiten“.
Perspektivwechsel Um bei Schülern, die einem den letzten Nerv rauben können, Positives zu entdecken, braucht es eine genaue Verhaltensbeobachtung und einen Perspektivwechsel. Statt bei Schülern wie Robert zu fragen „Warum zeigt er ein solches Verhalten?“ (weil seine Eltern sich getrennt haben), hilft die Frage „Wozu zeigt er ein solches Verhalten?“. Die Frage nach dem „Warum“ ist rein rückwärtsgewandt. Das „Wozu“ klärt die Frage, welches Ziel der Schüler erreichen möchte (z. B. die Aufmerksamkeit eines Erwachsenen) und bietet so die Möglichkeiten, den Weg zum Ziel anders zu gestalten.
klammern – zweifeln 20154 B & E 13| Der Individualpsychologe Alfred Adler beschreibt, wie immanente Ziele unser ganzes Verhalten steuern: „Wir sind nicht in der Lage zu denken, zu fühlen, zu wollen, zu handeln, ohne dass uns ein Ziel vor schwebt.“1 In seinen Büchern gibt er zahlreiche anschauliche Beispiele, welche Ziele hinter bestimmten Verhaltensweisen stecken könnten. Robert war u. a. auf der Suche nach Antworten für das Auseinanderbrechen seiner Familie. Aufgrund seines Lispelns und seiner vielen Fragen wurde er aber nie ernst genommen. Damit sich jemand mit ihm zumindest länger beschäftigte, musste er ausrasten. Ein Antiaggressions- und Coolnesstraining verpuffte bei Robert folgenlos. Solche Trainings helfen Kindern, die gar nicht in Konflikte geraten wollen. Kinder wie Robert wollen nicht, sondern müssen in (aggressive) Konflikte geraten, um ihre Ziele erfolgreich verfolgen zu können. Dass Kinder in verzweifelten Lagen aggressiv reagieren und ausrasten, liegt daran, dass sie meist keine anderen Verhaltensweisen kennen, um ihre Ziele zu erreichen. Die von Erwachsenen vorgeschlagenen Alternativen stellen oft Überforderungen dar. Welche Ressourcen bieten aber dann Schüler wie Robert, um ihr Verhalten zu beeinflussen und positiv zu verstärken?
Diagnostik Um diese Ressourcen zu finden, gibt es zahlreiche Fragebögen zur Verhaltensbeobachtung. Tauglich sind sie alle, denn sie helfen, den Fokus auf positives Verhalten zu richten, das einem nicht sofort ins Auge springt. Roberts offensichtliches Verhalten waren die Ausraster. Seine Ressource war sein Interesse für Abläufe und Entscheidungen um ihn herum. Für die Arbeit mit Robert nutzte ich den „Entwicklungspädagogischen Lernziel-Diagnosebogen“ (ELDiB). Dieser wurde aus zahlreichen pädagogischen Entwicklungstheorien u. a. von Piaget, Kohlberg und Erikson entwickelt. Der Diagnosebogen geht davon aus, dass Kinder sich in bestimmten aufeinanderfolgenden Stufen entwickeln. In ihrer Entwicklung verzögerte Kinder lassen sich demnach am besten fördern, wenn die Förderangebote ihrem Entwicklungsstand entsprechen und nicht das angehen, was offensichtlich ist (bei Robert die Ausraster). 1 in: Praxis und Theorie der Individualpsychologie
Das Verfahren wurde ursprünglich in den 1970erJahren in den USA von Mary M. Wood entwickelt und in den 1990er- Jahren von der Jakob-Muth-Schule in Essen, einer Förderschule für soziale und emotionale Entwicklung, für Deutschland adaptiert und weiterentwickelt. 2 Der Fragebogen ist meiner Erfahrung nach eine große Hilfe beim Feststellen eines Entwicklungsstandes und die Fördermaterialien helfen bei der Formulierung eines Förderplanes.
Ressourcenorientierte Förderplanung Beim ELDiB werden zahlreiche Verhaltensitems abgefragt, aufgeteilt in die Bereiche „Verhalten“, „Kommunikation“, „Sozialisation“ und „Schulleistung“. Die ersten Items sind auf Kleinkindniveau und werden zunehmend schwieriger. Es soll eingeschätzt werden, ob ein Schüler das beschriebene Verhalten immer, manchmal oder nie zeigt. Die Verhaltensweisen, die ein Schüler nie zeigt, stellen demnach eine Überforderung dar und eignen sich nicht als Ziele im Rahmen eines Förderplans. Die Items, die ein Schüler immer beherrscht, müssen nicht mehr geübt werden. Als Ziele für einen Förderplan eignen sich also die Verhaltensweisen, die mit „manchmal“ angekreuzt wurden.
2 I nzwischen vertreibt der Verein Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik (ETEP) das Verfahren und bietet zusätzliches Material und Fortbildungen an: www.etep.org
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Ziele erreichen Trainingsbogen für den Schüler: Robert Ich und die anderen. Ich bin für meinen Arbeitskollegen ein freundlicher und zuverlässiger Partner.
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So spreche ich. Ich provoziere nicht.
So spreche ich. Ich rede nur, wenn mir jemand zuhört.
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Bei einer ELDiB-Einschätzung Roberts Mitte des 4. Schuljahrs wurden diese Ziele mit „manchmal“ eingeschätzt: „Kooperiert selbstständig mit einem anderen Kind während organisierter Aktivitäten und Spiel.“ „Verwendet Sprache spontan, um persönliche Erfahrungen, Vorstellungen oder Arbeit zu beschreiben.“ „Bringt sich in Gruppendiskussionen in einer Weise ein, die auf die Gruppe nicht destruktiv wirkt.“ Roberts offensichtliches Verhalten, die aggressiven Konflikte und Ausraster, spiegelten sich in dieser Einschätzung nicht wider. Auch sein Lernen im Unterricht stellte erst mal kein vorrangiges Förderziel dar. Trotzdem wurden die festgestellten Items als Ziele in den Förderplan übernommen und für Robert in eine Ich-Perspektive umformuliert. Er erhielt einen Rückmeldebogen, auf dem ihm und seinen Eltern die Förderziele transparent gemacht wurden und sein erreichtes Verhalten dokumentiert wurde. Die Einschätzung von Roberts Verhalten wurde spätestens alle acht bis zwölf Wochen wiederholt und seine Förderziele wurden wenn nötig oder möglich angepasst. Im Unterricht und in freien Situationen wurde versucht, Robert bei der Umsetzung seiner Ziele zu unterstützen.
So musste er bei Gruppenarbeiten anfänglich nur mit einem anderen Kind zusammenarbeiten. Wenn Robert anfing zu sprechen, wurde er daran erinnert, dass er sich nur dann sicher sein konnte, dass ihm jemand zuhörte, wenn der Zuhörer ihn auch anschaute. Ansonsten musste Robert warten.
Positiv verstärken Zu meiner Überraschung erinnerte sich Robert bei unserem Treffen nicht mehr an diese Ziele und an die Rückmeldebögen. Stattdessen meinte er: „Es gab immer eine Belohnung. Auch für Kleinigkeiten.“ Um Robert unterstützen zu können, seine Ziele zu erreichen, ohne andauernd während des Unterrichts mit ihm sprechen zu müssen, erhielt er visuelle Rückmeldungen. Jedes Mal, wenn Robert ein erwünschtes Verhalten zeigte, erhielt er auf einem Plakat mit seinem Foto Klebepunkte. Diese Punkte sammelte er bis zu einer bestimmten Menge. Diese konnte er dann eintauschen gegen Dinge oder Aktionen, die ihm gefielen: hausaufgabenfrei, ein Buch, ein Spiel, eine bestimmte Aktion mit der Klasse oder einem Lehrer. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt. Die Klebepunkte waren eine heiß begehrte Währung in unserer Klasse und stellten eine nicht versiegende Quelle der Motivation für die Schüler dar.
Schulsozialarbeit Die Verhaltensbeobachtung mit Hilfe des ELDiBs ergibt manchmal Förderziele, die sich im Unterricht nur schwer umsetzen lassen. Um dem gerecht zu werden, ist die Zusammenarbeit mit dem Schulsozialarbeiter ein Muss. Er kann wesentlich leichter Angebote machen, die über den Unterricht hinausgehen. In Roberts Fall war dies ein Spielangebot in einer Kleingruppe, bei dem Robert sich entspannen konnte. Robert selbst erinnert sich, dass er während dieser Spielzeiten Fragen stellen und über seine Sorgen reden konnte, ohne dass er sich die Aufmerksamkeit erkämpfen musste: „Der Schulsozialarbeiter hat mir das Gefühl gegeben, mich zu verstehen. Ich hatte immer das Gefühl, dass er hinter mir stand. An jeder Schule, auf der ich war, haben sich die Schulsozialarbeiter um mich gekümmert.“ Ich selbst habe mich vom Schulsozialarbeiter bei der Elternarbeit unterstützt gefühlt. Denn immer wieder traten bei der Elternarbeit Probleme in den Vordergrund, die nicht primär schulische waren. Erst nachdem die Eltern – unterstützt durch den Sozialarbeiter – diese angingen, wurde Robert so ruhig, dass er überhaupt am Unterricht teilnehmen konnte.
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Weiterführende Literatur:
Inklusion? – Ja, aber nur im Team! Nach sechs Jahren im Primarschulbereich wechselte Robert auf eine Hauptschule, später auf eine Realschule. Probleme wie auf der Grundschule hatte er keine mehr. Robert führt das darauf zurück, dass er weiterhin von Schulsozialarbeitern begleitet wurde und seine Lehrer ihn positiv unterstützt haben. Meiner Meinung nach ist es aber auch im Regelschulbereich möglich, Schüler mit einem erheblichen emotional-sozialen Förderbedarf zu „beruhigen“. Alle dargestellten Methoden (entspannen, Perspektivwechsel, Diagnostik, ressourcenorientierte Förderplanung, positiv verstärken) lassen sich im Rahmen der Inklusion im Team aus Regelschullehrer, Sonderpädagoge und Schulsozialarbeiter umsetzen. Die schwierigste Aufgabe wird dabei die Umsetzung im täglichen Unterricht sein, verlangt sie doch vom Regelschulkollegen starke Nerven, viel Geduld, Ausdauer und manches Umdenken. Der Sonderpädagoge wird Wege finden müssen, die Ziele des Förderplans im Rahmen einer 25er-Klasse umsetzen zu können. Statt z.B. allen Schülern einzeln positive Rückmeldungen zu geben, könnte dies für ganze Tischgruppen geschehen – ergänzt um einzelne Schüler mit einem festgestellten oder möglichen emotional-sozialen Förderbedarf – und visualisiert durch Punkte, Klammern, Murmeln oder Ähnliches. Der Schulsozialarbeit kann dazu beitragen, die Teilnahme des Schülers am Unterricht überhaupt erst zu ermöglichen: durch Elternarbeit, Behördengänge, Kontakt zum Jugendamt, zu Kinderärzten und Therapeuten sowie Projekte mit dem Schüler. All dies muss in regelmäßigen Teamsitzungen verabredet und im Förderplan festgeschrieben werden. Robert hat heute keine emotional-sozialen Probleme mehr. Nach der Schule hat er zwei Ausbildungen erfolgreich abgeschlossen: zum KfZ-Mechatroniker und zum Fleischereifachverkäufer. Inzwischen arbeitet er bei UPS – dort verdient er mehr Geld.
Ralf Bönder: Marc nervt…! Was kann ich tun, um ihm (und mir) zu helfen? – in: Ulf Preuss-Lausitz (Hrsg.): Schwierige Kinder – schwierige Schule? Inklusive Förderung verhaltens auffälliger Schülerinnen und Schüler; Beltz Pädagogik Alfred Adler: Praxis und Theorie der Individualpsychologie; Anaconda Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik Europe (ETEP), Ahornstraße 3, 41239 Mönchengladbach, www.etep.org Entwicklungspädagogischer LernzielDiagnosebogen (ELDiB): Förderverein der Jankob-Muth-Schule, Am Bögelsknappen 7, 45219 Essen Marita Bergsson: Ein entwicklungstherapeutisches Modell für Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten; Progressus-Verlag für Pädagogische Praxis Gabriele Cwik, Klaus Martin Metzger (Hrsg.): Umgang mit „schwierigen“ Kindern: Auffälliges Verhalten – Förderpläne – Handlungskonzepte, Cornelsen Mary M. Wood: Teaching Responsible Behavior: Developmental Therapy – Developmental Teaching for Troubled Children and Adolescents; ProEd Inc. This American Life: Is this working? Stories of schools struggling with what to do with misbehaving kids. There’s evidence that some of the most popular punishments actually may harm kids. www.thisamericanlife.org/radio-archives/ episode/538/is-this-working
Michael Schneider Seit 2001 Lehrer für Sonderpädagogik, bis 2012 an einer Förderschule für emotionale-soziale Entwicklung. Torey L. Hayden: Danach wechselte in die Inklusion. Heute unterstützt er Sheila. Der Kampf einer mutigen Lehrerin Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an der um die verschüttete Seele eine Kindes; dtv Freiherr-vom-Stein-Grundschule in Herne. Torey L. Hayden: Kein Kind wie alle anderen; Goldmann
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Meinung
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Handschrift versus Tastatur? Nein! So ist das mit den Vorbildern. Finnland war dank PISA kometenhaft aufgestiegen zum bildungspolitischen Musterknaben. Gegen ein Copy-and-Taste haben sich die finnischen Kolleginnen und Kollegen allerdings von Anfang an warnend ausgesprochen. Denn: Auch an finnischen Schulen wird nach guten Erfahrungen gesucht, jedes Kind mitzunehmen. Nun kam aus dem finnischen Bildungsministerium die Nachricht, dass die Handschrift ab dem übernächsten Schuljahr nicht mehr zum verpflichtenden Schulstoff gehören und alternativ das Schreiben auf der Tastatur eingeübt werden soll. Die Schulen können künftig selbst entscheiden, auf welchem Wege die feinmotorischen Fähigkeiten der Schüler gefördert werden. Ich bin jetzt schon gespannt, welche Erfahrungen die finnischen Kolleginnen und Kollegen machen werden. Wenn es nur um besser lesbare Schülerschrift geht, ist die „Tastatur-Schrift“ natürlich über jeden Zweifel erhaben. Lehrer sparen Zeit und Nerven bei der Korrektur von Schülerarbeiten. Detektivisches Entziffern entfällt. Zugegeben, das ist verlockend, könnte sich aber schnell als falsche Hoffnung erweisen. Geht es wirklich nur um Schönschrift? Tun wir Schülerinnen und Schülern etwas Gutes, ihnen Anstrengungen vorzuenthalten? Ich meine: Nein. Es ist auch deutlich zu kurz gesprungen, nur die Rettung des Kulturguts Handschrift einzufordern. Handschrift ist kein Vorgang an sich. Es muss uns um die Entwicklung der motorischen und geistigen Fähigkeiten der Kinder gehen. Und dafür muss sich die Schule Zeit nehmen. „Schneller, höher, weiter“? Die Schule ist eben keine olympische Disziplin. Wir sollten auch weiterhin jedem Kind die nötige Zeit geben, sich den Mühen der Handschrift zu unterziehen. Nicht zuletzt durch die Erkenntnisse der Hirnforschung ist erwiesen, dass eigene handschriftliche Darlegungen das Lernen der Kinder befördern. Insbesondere das Einüben der Schreibschrift ist ein komplexerer Vorgang als Buchstaben nur per Tastatur aneinanderreihen zu können. Bessere Lesbarkeit, die nur technisch erzeugt wird, taugt gar nicht als herausragendes Lernziel in der Schule. Wenn die Basisfertigkeit sitzt und die Buchstaben mit dem Stift in der Hand aufs Papier gebracht werden können, fällt das Tastaturschreiben übrigens auch leichter. Es stimmt mich zudem nachdenklich, weil alle jene Fachleute, die gegenteiliger Ansicht sind, selbstverständlich der eigenen Handschrift mächtig sind. Die Einübung von Handschrift in der Grundschule darf nicht zur Disposition gestellt werden. Dass die Informationstechnologien längst in der Schule angekommen sind, auch wenn die Ausstattung zumeist noch mittelalterlich ist, steht dazu in keinem Widerspruch. Handschrifterwerb und das Schreiben auf der Tastatur sind nur zwei Seiten einer Medaille. Von einem Entweder-Oder halte ich daher nichts. Für mich steht aber fest: Den Kindern dürfen unter dem Dach der Schule auf keinen Fall eine Beschränkung ihrer motorischen Fähigkeiten und Lernbarrieren zugemutet werden. Es wäre andernfalls ein Weg, Lernerfolg und soziale Herkunft noch enger miteinander zu verknüpfen. Die Entscheidung in Finnland, den Handschrifterwerb aus dem Schulstoff zu verbannen, sollte für Deutschland kein Vorbild sein. Udo Beckmann VBE-Bundesvorsitzender u.beckmann@vbe.de
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Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE)
Bildungspraxis
Grenzerfahrungen „Immer ich!“ 10
Wenn Schüler Probleme haben, machen sie auch welche Von Rainer Winkel
„Nichts wünschen wir sehnsüchtiger, als richtig verstanden zu werden …, darum gehen wir hausieren mit unseren Merkmalen, wollen um jeden Preis ausgelegt werden.“ Siegfried Lenz, 1981
Wer mit heutigen Schülern zu tun sowie deren Lehrer und Eltern zu beraten hat, wird drei Schwierigkeiten besonders häufig und intensiv erleben. Da sind
1. Die Regeldiffusion RegelRegelRegelRegelRegelRegellosigkeit aversion diffusion bewusstsein akzeptanz herrschaft -3 -2 -1 +1 +2 +3 Das Regeldiagramm misst die Qualität der Beziehung zwischen Regeln und ihren Rückwirkungen
Frühere Generationen haben in ihrer Kindheit und Jugend bei eventuellem Fehlverhalten eine klare Grenze erfahren, denn die Regelherrschaft der Erwachsenen war eindeutig – mitunter artete sie in eine Regeldiktatur aus. „Zugeben und die Folgen tragen!“ Oder: „Leugnen bis zum Schafott!“ lauteten damals die beiden Maximen. Im Zuge einer Liberalisierung der Gesellschaft sind heutige Schüler zumeist in einer Regeldiffusion, die sich bis zur Regellosigkeit auswirken kann, ja mitunter eine Regelablehnung zur Folge hat. Wo immer seltener Verbindlichkeiten erfahrbar werden, jeder und alles okay ist, ist häufig nichts okay und Fehlverhalten die Folge. Diese neue Geständnisverstopfung kennt gleichfalls zwei Maximen: „Der hat angefangen!“ Oder: „Immer ich!“ Schüler, denen die eigene Egoität sakrosankt ist, lassen mit Vorliebe jene Lehrer in diese Beziehungsfalle tapsen, deren Ansichten und Verhaltensweisen noch normgeleitet sind. Was also tun?
Wer den erschütternden Bericht der einstigen Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig über „Das Ende der Geduld“ ohne Scheuklappen liest oder die gleichlautende Verfilmung sieht, ahnt die Antwort: Wir müssen wieder erziehen – dabei aber Maß-nehmen! Also: Inne-halten, Halt-geben, nicht nur Freiräume gewähren, sondern auch Grenzen markieren, nicht flüchten, sondern Stand-halten, Ja- und Nein-sagen, Fördern und Fordern, mit anderen Worten: All die Antinomien lebendig werden lassen, die Theodor Litt in sein bis heute aktuelles Buch „Führen oder Wachsenlassen“ implizit hat einfließen lassen. Unter diesen Gesichtspunkten bieten viele der sogenannten schwierigen Situationen enorme Chancen, zwei falsche Reaktio nen zu vermeiden: Erziehung entweder mit markigen Parolen zu verwechseln oder mit der Therapie kranken Verhaltens. Viele unserer „schwierigen“ Schüler sind nicht krank, sondern unerzogen, sie brauchen weder Wackersteine noch Bonbons, wohl aber Eindeutigkeit und Grenzerfahrungen, Eigenverantwortung und Stoppsignale. Der Sport macht es uns vor. Im „gestörten Unterricht“ habe ich diese pädagogische Maßnahme die „Ampeltheorie“ genannt, die Schülern Regeln, Rituale und Referees zumutet, Schiedsrichter, die auch Sanktionen aussprechen. In der Ev. Gesamtschule Gelsenkirchen, die ich mitbegründen und von 1998 –2002 leiten durfte und deren Praxis ich in drei Tagebüchern veröffentlicht habe, kamen wir mit drei klaren Regeln im Unterricht aus: Unsere drei Regeln lauten: 1. Ich höre zu, wenn jemand spricht. 2. Ich melde mich, wenn ich etwas sagen will. 3. Ich bleibe ganz cool, auch wenn es Probleme gibt. (Zu-hören, Sich-melden, Cool-bleiben!)
Ich sagte, dass gute Lehrer gelegentlich auch Sanktionen aussprechen müssen, Maßnahmen also, denen ein gewisser Zwang anhaftet und denen oft eine generelle Absage erteilt wird. Diesem Verdikt kann ich nicht zustimmen. Die letzte der 21 pädagogischen Maßnahmen habe ich „das Strafen“ genannt und sie wie die vier davor abgehandelten (also die Verbote, Versprechungen, Belohnungen und Drohungen) als ambivalent bezeichnet:
und Stoppsignale 2015 B&E 1| Sie können in der Tat Verheerendes anrichten, aber auch heilsam wirken. Konkreter: Es gibt vier Berufe, die mit der Unvollkommenheit des Menschen professionell zu tun haben: der des Priesters bzw. Pfarrers, der des Arztes bzw. Therapeuten, der des Juristen bzw. Richters und der des Lehrers bzw. Erziehers. Der eine kümmert sich um die Seele des Menschen, der andere um den kranken Körper bzw. die leidende Psyche, der dritte um das gesetzwidrige Verhalten und der vierte um die unvollkommene Erziehung und Bildung. Religion, Medizin, Justiz und Pädagogik haben mit dem homo imperfectus zu tun, aber unter verschiedenen Aspekten. Folglich bleiben ihnen Misserfolge, Scheitern und Vergeblichkeiten nicht erspart. Vernünftige Strafen setzen voraus, dass sie keine Racheimpulse aufweisen, gar Traumata zurücklassen, sondern erstens den pädagogischen Sinn der Wiedergutmachung vermitteln (es, ihn, sie wieder gutmachen, also heilen) und zweitens die Funktion der Resozialisierung aufweisen (es, ihn, sie wieder in die Sozietät der vernünftigen Menschen einbeziehen). Juristische Strafen haben in der Schule nichts zu suchen; pädagogische Strafen hingegen, die ich „Auferlegungen“ nenne, sind mehr als notwendige Übel, sie sind mitunter die letzten Chancen im Prozess des Erziehens. Wenn heute immer mehr Psychologen, Kinderärzte, Pfarrer und Jugendrichter darüber klagen, dass viele Kinder und Jugendliche kaum noch ein Unrechtsbewusstsein besitzen, dann hat dies auch damit zu tun, dass wir die straflosen Räume immer größer und die Grenzen immer unkenntlicher gemacht haben. Kein Mensch aber, so mein Bamberger Kollege Georg Hörmann, findet Identität ohne Konfrontation. Der Psychologe und Kindertherapeut muss gewiss seine Gefühle, Wertungen und Interpretationen unter Kontrolle halten; der Pädagoge aber darf und soll Anerkennung und Enttäuschung, Lob und Tadel, Freude und Zorn angemessen und taktvoll zeigen, auf dass der Schüler sich mit ihnen und ihm ausein andersetzen kann. Nur so, d. h. im Dialog von „Ich und Du“, vollzieht sich Erziehung, weshalb nicht nur ICH-Botschaften legitim sind, sondern auch DU- und WIR-Botschaften: „ICH freue mich mit dir!“ Aber auch: „Da hast DU etwas Schlimmes gemacht, jedoch: Gemeinsam können WIR das wieder in Ordnung bringen!“ Die erste Aufgabe für uns Lehrende lautet also: Wir müssen wieder erziehen!
2. Die Entzifferung Von den Kommunikationswissenschaftlern Watzlawick, Schulz von Thun u. a. haben wir gelernt, dass jede Äußerung verschiedene Botschaften transportieren kann, wir deshalb ein vierfach sich ausrichtendes Entzifferungsohr benötigen, das Inhalte, Beziehungen, Selbstoffenbarungen und Appelle (ob manifest oder latent) zu dechiffrieren vermag. Am Beispiel des aggressiven Verhaltens sei dies erläutert. Die sechs Sinnperspektiven 1. Aggression als spielerischer Kampf Ziel: Ausprobieren von Stärke, Freude am Siegen u. ä. m. Gefahr: Aus Spaß wird Ernst, oft blutiger Ernst! 2. Aggression als Abwehr einer Bedrohung Ziel: Beseitigung von Angst, Vermeidung von Verletzungen u. ä. m. Gefahr: Vernichtung des Gegners! 3. Aggression als Reaktion aufgrund von Frustration Ziel: Ausgleich für eine Niederlage, Demütigung u. ä. m. Gefahr: Bloße Ersatzbefriedigung! 4.
Aggression als Auskundschaften Ziel: Freiräume und Grenzen erforschen, eigene und fremde Terrains abstecken u. ä. m. Gefahr: Egoistisches Machtstreben!
5. Aggression als Einschüchterung Ziel: Demonstration eigener Herrschaftsansprüche, Unterdrückungsbedürfnisse u. ä. Gefahr: Ausbeutung und Demütigung! 6. Aggression als entstellte Liebessehnsucht Ziel: Gewinn von Aufmerksamkeit, Zuwendung, Liebe u. ä. m. Gefahr: Befriedigung durch „negative“ Zuwendungen! Merke: Aggressionen sind weder „gut“ noch „böse“, sondern in sich recht ambivalent. Erst in ihrem Vollzug und ihren Wirkungen sind sie destruktiv oder konstruktiv und jede aggressive Einstellung oder Handlung will mir etwas sagen, leider häufig in entstellter Form ...
Dieser Kasten listet weder Aggressionstheorien auf noch verschiedene Arten aggressiven Verhaltens, sondern fragt, welche Ziele die eine oder andere Aggression verfolgt und welche Gefahren damit verbunden sind. Sie hält zwar die Freud’schen Analysen, die nach Ursachen forschen, für bedeutsam, insbesondere für die Psychologen, aber sie fragt primär intentional nach den Absichten des Verhaltens – ganz im Sinn von Alfred Adler und seinen Schülern – etwa von Rudolf Dreikurs, die nicht zuletzt für Pädagogen höchst bedeutsam sind: Da gibt es den spielerischen Kampf, bei dem es um das Ausprobieren von Stärke geht und in dem die Gefahr lauert, dass aus dem Spiel Ernst wird. Die Aggression kann aber auch eine Bedrohung abwehren mit der Gefahr, dass per Eskalation der Gegner vernichtet wird – mitunter sogar der vermeintliche Gegner und womöglich prophylaktisch.
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Bildungspraxis
Verhaltensvertrag
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Drittens kompensiert mancher Schüler Frustrationen, auch schulische Enttäuschungen, mit Hilfe aggressiver Akte, wobei häufig eine bloße Ersatzbefriedigung zurückbleibt, die neuerlich frustriert. Viertens wollen manche Jugendliche auskundschaften, z. B. wie weit sie gehen können. Vor allem sozial Schwache oder wenig Geachtete sind hier zu finden. Fünftens kennen wir, vor allem beim sog. Mobbing, die Aggression als Einschüchterung, bei der Ausbeutung und Demütigung drohen. Und schließlich die wohl am schwersten konstruktiv zu behandelnde Aggression, die als entstellte Liebessehnsucht daherkommt und häufig unsere Belastungsgrenzen findet – zumal wir wissen, dass in einer geballten Faust häufig ein wimmerndes Herz schlägt. Die zweite Aufgabe für uns Lehrende lautet folglich: Wir müssen auch und gerade die schwierigen Verhaltensweisen schwieriger Schüler entziffern, deuten und verstehen lernen – eingedenk der Tatsache, dass verstehen nicht bedeutet, einverstanden zu sein!
3. Spezielle Maßnahmen Auch in der EGG, einer multikulturellen und multireligiösen Reformschule in einem sozialen Brennpunkt, reichten diese Maßnahmen nicht immer aus, um schwierigen Schülern zu helfen, ihre Probleme zu bewältigen. Deshalb war ein Geflecht folgender Zusatzmaßnahmen (mal mehr, mal weniger) unverzichtbar: • Verhaltensverträge • Sozialtrainings auf unserer Sozialstation • Streitschlichtungen/Mediationen • Hausbesuche • ein Elterncafé und eine Schülerdisko • Patenschaften • Sport- und Trimm-Dich-Gelegenheiten • Werkstätten sowie • außerschulische Hilfen
Wie ein Verhaltensvertrag aussehen kann, ist im Folgenden dargestellt. Eine dritte Aufgabe bleibt uns folglich anheimgegeben: Jede Schule ist gehalten, auf ihre speziellen Problemschüler mit speziellen Zusatzmaßnahmen zu reagieren.
4. Die Schul- und Unterrichtsreform Von Johann Friedrich Herbart stammt das berühmte Diktum: „Langweilig zu sein, ist die ärgste Sünde des Unterrichts.“ Positiv gewendet heißt dies: Ein möglichst guter Unterricht in einer möglichst guten Schule ist die beste Prophylaxe destruktiver Störungen. Was aber ist guter Unterricht? Die schulpädagogische Zunft ist sich über die folgenden Kriterien weitgehend einig: Zehn Merkmale eines guten Unterrichts Schulischer Unterricht wird dann besser bzw. gut, wenn er: 1. der Erziehung und Bildung aller Schüler dient; 2. zum Lernen bzw. zur Freude am Lernen anstiftet und deshalb 3. jeden Einzelnen sowie die gesamte Lerngruppe herausfordert und fördert; 4. klar strukturiert ist; 5. die Methodenvielfalt realisiert; 6. Übungen und Wiederholungen nicht scheut; 7. Schüler, Eltern und außerschulische Personen bzw. Wirklichkeiten einbezieht; 8. Aktivitäts- und Stillephasen aufweist; 9. störfaktoriale Aspekte berücksichtigt und 10. transparente, gerechte und humane Leistungs- erwartungen und -kontrollen dokumentiert.
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Erst wenn ein Kollegium sich über diese Merkmale weitgehend einig ist, können Reformen peu à peu verwirklicht werden. Auch die kleinste und bescheidenste ist eine gute Reform. „Mit der Sitzordnung in einem Schulraum fängt die innere Schulreform an“, schrieb Jakob Muth vor 53 Jahren. Mit der Gruppenarbeit, dem Epochenunterricht, dem außerschulischen Lernen mag sie weiter-gehen im doppelten Sinn des Wortes. Die Reformpädagogik, gerade die deutsche im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, ist eine pädagogische Schatztruhe, auf die wir zu Recht stolz sein können – von Gertrud Baeumler über Georg Kerschensteiner bis hin zu Kurt Zeidler, von der „Mädchenbildung“ über die „Berufliche Bildung“ bis hin zur „Wiederentdeckung der Grenze“. Nicht zu vergessen ist die Erfahrung, dass niemand allein, subversiv oder gar in Konfrontation schwierige Situationen meistern kann. Da ist immer das ganze Kollegium, die ganze Schulgemeinde gefragt. Im lateinischen Substantiv collegium stecken die Wörter con und lex: eine Gemeinschaft gibt sich ein Gesetz und das kann unter Pädagogen nur lauten: in dubio pro infante. Im Zweifelsfall, im Letzten, entscheiden wir immer zum Wohl des Kindes, auch und gerade des schwierigen Schülers – heute häufig getarnt als homo consumens smartphonensis. Denn die Schule ist für die Schüler da, nicht umgekehrt. Das setzt Konsens im Kollegium voraus. Solange der eine die Baseball-Kappe von Mike im Anschluss an Oswald Spengler als „Untergang des Abendlandes“ ansieht und seine Kollegin dieselbe Kappe als Realisation des „Herrschaftsfreien Diskurses“ im Anschluss an Jürgen Habermas interpretiert, bleiben die besten Absichten Illusion. Da ist folglich die Schulleitung gefragt, ein starker Schulleiter, eine kompetente Schulleiterin – kein Gremium, in dem jeder mitreden darf, aber niemand Verantwortung übernehmen muss. Die Schulleitung wird gemeinsame Feste und Feiern, Fortbildungsveranstaltungen, Ausflüge, wechselseitige Hospitationen, eine didaktische Werkstatt u. Ä. m. anregen und ermöglichen, damit aus einer doch recht zufällig zusammengesetzten Gruppe ein profiliertes Kollegium wird …
Zehn abschließende Anregungen Wenn im Folgenden zehn Anregungen für einen produktiven Umgang mit störenden Schülern formuliert werden, sei vorweg auf die Tatsache hingewiesen: Gebote, Rezepte und Tipps muss man befolgen, Anregungen wollen ausgewählt, modifiziert und verändert werden – von den praktisch Tätigen:
1. Jedes problematische Verhalten will und kann uns etwas sagen – jedes. 2. Diese Mitteilung gilt es zu entziffern und zu verstehen, ohne in jedem Fall mit ihr einverstanden zu sein. 3. Ursachen und Absichten des devianten Verhaltens sind aufzuspüren. 4. Weil viele unserer Schüler mitunter schwere Erziehungsdefizite aufweisen, müssen wir wieder erziehen lernen. 5. Dabei ist die Einsicht der „Kurativen Pädagogik“ von A. Schmetzstorff nützlich: Vor jeder Erziehung rangiert eine tragfähige Beziehung und beide Halterungen sind die Voraussetzungen eines guten Unterrichts in einer möglichst guten Schule. 6. Guter Unterricht wiederum ermöglicht Bildung und ist die beste Prophylaxe gegenüber schädigenden Störungen. 7. In schwierigen Fällen sind spezielle Maßnahmen unverzichtbar – von Verhaltensverträgen bis hin zu außerschulischen Hilfen. 8. Impulse bzw. erste Schritte in Richtung einer behutsamen Schulreform mögen von Einzelnen ausgehen, sind aber letztlich nur in Teams, im Kollegium, gemeinsam mit Gleichgesinnten erfolgreich. 9. Die Grundhaltung eines guten Lehrers ist eine antinomische, denn er muss im schwankenden Modus eines Sowohl-als-auch erziehen, unterrichten und bilden. 10. Diese Anregungen lassen sich am besten im Medium einer Tugend verwirklichen, die wir Humor nennen, der bekanntlich trotzdem lacht und letztlich aus der Liebe zu Kindern und Jugendlichen erwächst. Aber ohne diese ist nun wirklich alles umsonst. Oder?
Fazit Die Verwirklichung dieser Einsichten garantiert gewiss keinen idealen Unterricht und keine Traumschule, aber sie macht es wahrscheinlicher, dass ein relativ guter Unterricht stattfindet, den möglichst wenige Schüler stören, d.h. sich und andere am Lernen hindern, auf dass nicht allzu viele Lehrer verstört sind und wir auf unsere 35.000 Schulen relativ stolz sein können. Ob eine solche Reform, die nichts kostet außer Entschlossenheit und Langmut, nicht lohnt, realisiert zu werden – Schritt für Schritt und peu à peu? Der Autor ist emeretierter Professor für Schulpädagogik an der Berliner Universität der Künste und u. a. Autor des Buches „Der gestörte Unterricht“, erschienen im Schneider-Verlag, Baltmannsweiler, 10. Auflage 2011. rainer-winkel@versanet.de
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Blickpunkt
Das 21. Jahrhundert in die Schule holen!
Von Sven Volmering
Digitale Grundbildung ist eng mit Medienkompetenz verknüpft und meint das Wissen um den sicheren, verantwortungsvollen und kritischen Umgang mit digitalen Medien und Programmen. Digitale Selbstständigkeit ist nicht nur im Hinblick auf den Datenschutz wichtig, sondern ebenso Voraussetzung für optimale Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt. Damit die digitale Grundbildung nicht nur graue Theorie bleibt, müssen verstärkt digitale Medien und Programme in den Bildungsprozess integriert werden. Ihre Nutzung bringt viele Vorteile, u. a. können Lernmaterialien schneller auf aktuelle Themen ausgerichtet werden und Schüler mit unterschiedlichen Lernniveaus können individueller gefördert werden. Leider spielt das Thema oftmals immer noch in der politischen Diskussion eine untergeordnete Rolle. Deutschland benötigt dringend eine Grundsatzdebatte über die Frage, in welche Richtung sich die Schulpolitik als ein zentraler Bestandteil der Bildungspolitik in unserem Land zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickeln muss. Diese Debatte ist seit Langem überfällig, da viele der tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 20 Jahre, insbesondere im Bereich der Digitalen Bildung, bei ehrlicher Betrachtung letztlich noch gar nicht auf breiter Basis im Schulsektor angekommen sind. 2014 wird als Jahr in Erinnerung bleiben, in dem Deutschland Fußballweltmeister wurde. Der Titel in Brasilien war bei allem Glück, das man immer braucht, Lohn für den Tüchtigen, der sich nach den Debakeln bei großen Turnieren Ende der 90er / Anfang der 2000er auf den Weg machte, die Talentförderung in Deutschland neu zu gestalten. Vor einer ähnlichen Situation steht Deutschland heute bei der Digitalen Bildung. Die digitale Revolution birgt viele Fragen, Herausforderungen, Problemstellungen, aber noch mehr Chancen für die gesellschaftliche Entwicklung und Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Mit der Digitalen Agenda der Bundesregierung ist ein erster Aufschlag gemacht worden. Im Bereich der Digitalen Bildung muss Deutschland ähnlich wie der DFB einen Auf holprozess starten. Experten aus Wirtschaft, Forschung und Bildung vertreten nicht zu Unrecht die These, dass Deutschland teilweise hinter den Weltmeistern aus dem asiatischen Raum bis zu zehn Jahre hinterherhinkt. Studien belegen dies. Es ist offensichtlich, dass in unserem Land eine digitale Grundbildung wie auch die Ausbildung einer digitalen Exzellenz unerlässlich ist.
Aus diesem Grund hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion darauf verständigt, das Thema auf die bundespolitische Agenda zu rücken. Dies wird im Jahr 2015 erfolgen. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner wird im Moment ein Antrag zur Digitalen Bildung erarbeitet, der umfangreiche Forderungen aufstellt. Folgende Punkte könnten dabei eine Rolle spielen: • Deutschland braucht einen Pakt für Digitale Bildung, der die unterschiedlichen Aktivitäten von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in einer Stiftungslösung bündelt, didaktisch sinnvolle Projekte sowie unter Berücksichtigung des „bring your own device“-Modells Infrastruktur und Ausstattungen finanziell fördert und Lernende, die sich aus finanziellen Gründen kein digitales Endgerät anschaffen können, unterstützt, um zu einer dauerhaften Stärkung der Digitalen Bildung zu kommen. Ein weiteres Mittel kann auch die Einrichtung und Finanzierung von Stiftungsprofessuren für den Bereich Digitale Didaktik / Digitales Lernen an Hochschulen mit Lehrerausbildung sein, um einen weiteren positiven Impuls auf die Lehrerausbildung zu generieren. • Die Stärkung der digitalen Lehrmittelfreiheit sowie eines möglichen Ausbaus der Verwendung freier Lizenzen und Formate • Wir müssen über die Bundesländergrenzen hinweg über einheitliche Standards sprechen. Über einen Staatsvertrag kann man bundeseinheitliche Mindeststandards zur Medienkompetenz für die unterschiedlichen Altersstufen der Schüler festlegen. Die bisherigen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz greifen viel zu kurz.
2015 B&E 1| • Es ist unerlässlich, massiv bei der Aus- und Weiterbildung von Pädagogen und Lehrkräften anzusetzen. Wir brauchen eine Anpassung der Curricula sowie Prüfungsordnungen bei der Lehrerausbildung und entsprechende Schulungsangebote für bereits ausgebildete Kräfte. Durch die Übernahme der BaföGKosten durch den Bund sind die Länder finanziell dazu in der Lage. • Der Einsatz digitaler Medien und die Vermittlung von Medienkompetenz müssen nicht in einem Einzelfach, sondern fächerübergreifend integriert werden. Die ständigen Forderungen nach neuen Fächern bringen nichts – außer enttäuschte Erwartungen und Frust bei den entsprechenden Befürwortern und Lobbyisten sowie unnötige Grabenkämpfe zwischen den Befürwortern einzelner Fächer. • Wir brauchen eine umfassende Bestands- und Wirkungsanalyse bestehender Projekte und Programme zur Förderung und Vermittlung von Medienkompetenz der einzelnen Bundesländer über den gesamten Bildungsweg hinweg. Damit einhergehend muss der Fokus in der Bildungsforschung auf das digitale Lernen und auf die Untersuchung des Aufwachsens in digitalen Gesellschaften über Längsschnittstudien gelegt werden. • Neben der digitalen Grundbildung brauchen wir digitale Exzellenz. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, nach dem Vorbild der Eliteschulen des Sports, unsere IT-Spitzenkräfte von morgen an Profilschulen IT/Digital ausbilden zu wollen. Diese Vereinbarung muss dringend umgesetzt werden. Ansonsten muss den Schulen die Freiheit gegeben werden, stärker als bisher jenseits starrer Lehrpläne auf aktuelle Ereignisse in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik thematisch reagieren zu können, ohne ständig durch zentrale Vorgaben gefesselt zu werden. G8/G9, Gesamtschule ja/nein? – allein diese Stich wörter reichen aus, um das ganze Dilemma der Schulpolitik zu verdeutlichen. Zu oft wurde und wird am Schulsystem herumgedoktert. Je nach Regierungskonstellation kann es sein, dass alle fünf Jahre eine große Strukturreform oder thematisch schlecht vorbereitete Vorhaben durchgeführt werden müssen, die die Kapazitäten in den Schulen massiv belasten und zu einem Prozess der ständigen Unruhe und der permanenten Reform führen.
Jüngstes Beispiel ist die schlecht vorbereitete Implementierung der Inklusion im rot-grünen NRW. Damit muss Schluss sein! Die Kollegien und die Schulleitungen ächzen nicht nur unter den Reformen, sondern auch unter einem enormen Bürokratieaufwand, der dazu führt, dass die Hauptaufgabe des Unterrichtens immer weiter in den Hintergrund gerät. Dokumentationspflichten, das Schreiben von Papieren für die Schublade und die Erhebung unwichtiger Statistiken rauben Zeit, die für die Schülerinnen und Schüler fehlt. Deshalb muss ernsthaft darüber diskutiert werden, wie der Bürokratieaufwand an deutschen Schulen massiv reduziert werden kann. Lasst die Lehrer einfach mal in Ruhe und nutzt die Chancen des demografischen Wandels. Dieser birgt bei allen Risiken und negativen Folgen in der Bildungspolitik die große Chance, das alte politische Ziel kleinerer Klassen zu erreichen. Deshalb sollten Regierungen den bisherigen Stand an Stellen in den Schulen nicht abbauen, sondern mindestens halten, damit kleinere Lerngruppen besser gefördert werden können und junge, gut ausgebildete Lehramtsstudenten eine Berufsperspektive haben! Damit wir auf Dauer die besten Köpfe für den Lehrerberuf gewinnen, muss es attraktiver werden, diesen Beruf zu ergreifen. Das bestehende System der Besoldungsgruppen im Schuldienst ist oft sehr starr und führt dazu, dass exzellente Leistungen nicht immer honoriert werden. Daher brauchen wir zusätzlich ein Anreizsystem, das gute Leistungen belohnt (Boni, Sonderentlastungsstunden). Es wird Zeit, dass Deutschland diese Punkte angeht, denn ansonsten ist der Titel Bildungsweltmeister auf Dauer unerreichbar.
Zur Person: Sven Volmering (Jahrgang 1976) studierte Politikwissenschaften, Neuere und Neueste Geschichte und Wirtschaftspolitik in Münster. Zudem studierte er Erziehungswissenschaften und arbeitete nach absolviertem Referendariat und Staatsexamen seit 2006 als Lehrer am Kopernikus-Gymnasium in Neubeckum (NRW). Von 2006 bis zu seinem altersbedingtem Ausscheiden 2012 war Volmering Landesvorsitzender der Jungen Union NRW. Dem Deutschen Bundestag gehört er seit 2013 an, ist dort Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikf olgenabschätzung. Volmering ist katholisch, verheiratet und hat eine Tochter. www.sven-volmering.de | www.facebook.com/sven.volmering
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Im Bund und über Grenzen
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70 Jahre nach dem Holocaust: Erinnerung muss bleiben
70 Jahre nach dem Holocaust Erinnerung bewahren, Demokratie leben. Auf der Holocaust-Gedenk-Konferenz der Education International (EI) in Krakau sprachen die Vorsitzenden von GEW, VBE, GÖD (Österreich), ITU (Israel), NSZZ-Solidarnosc, ZNP (Polen) über ihr gemeinsames Projekt. Im Bild v. l. Roland Gangl (GÖD), Ryszard Proksa (NSZZ-Solidarnosc), Udo Beckmann (VBE)
AdJ-Bundessprecherin Kerstin Ruthenschröer (2. v. r.) berichtete, wie junge Lehrer sich dem „Never forget“ verpflichtet sehen. Im Bild v. r. n. l. Moderatorin Marzanna Pogorzelska, Universität Opole, Kerstin Ruthenschröer(VBE), Adam Musiat (Społeczne Gimnazjum Nr. 7 Krakau), Maria Rönn (Lärarförbundet, Schweden), Katharina Kaminski (GEW)
Die Vorstände von Education International (EI) und Lehrergewerkschaften aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Israel, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Ungarn, USA, Zypern kamen aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des NS-Konzentrationslagers Auschwitz zu einer Holocaust-Gedenk-Konferenz zusammen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung in Krakau stand der Erfahrungsaustausch über Bildung und Erziehung 70 Jahre nach dem Holocaust.
VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann bekräftigte in Krakau, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte bestehe die dauerhafte Pflicht, die Erinnerung an die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus wachzuhalten und mit aktivem Handeln zur Stärkung der demokratischen Gesellschaft zu verbinden. „Es entspricht unserem Selbstverständnis, dass Schule einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von Bürgersinn, Zivilcourage und Befähigung zu gesellschaftlicher Teilhabe leistet.“ Der VBE-Bundesvorsitzende verwies auf die enge Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in Polen, Israel, Österreich und innerhalb von EI/ETUCE, um den Beitrag der Gewerkschaften im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen. Das gemeinsame Projekt von Lehrer- und Bildungsgewerkschaften Israels, Polens, Österreichs sowie GEW und VBE, Schule nach Auschwitz zu gestalten, sei für den VBE ein unverzichtbarer Teil internationaler Zusammenarbeit. Weiter betonte Udo Beckmann: „Extremes Gedankengut und daraus folgende Gewalt sind ein Angriff auf die demokratische Gesellschaft und damit auch auf den schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Schule ist in Deutschland dauerhaft dazu verpflichtet, die Erinnerung an die Erfahrung des Nationalsozialismus wachzuhalten. Das gebietet der Respekt vor den Opfern. Der VBE macht sich gleichzeitig aber auch dafür stark, positive Elemente der deutschen Gesellschaft und der deutschen Geschichte hervorzuheben. Teil unserer Geschichte ist auch die Entwicklung sozialer Verantwortung und das Ringen um Menschenrechte, die im Grundgesetz ihren Niederschlag gefunden haben. Nur Kinder und Jugendliche, die ein positives Verhältnis zur Gesellschaft gewinnen, sind vor extremistischen Verführungen gefeit.“ AdJ-Bundessprecherin Kerstin Ruthenschröer berichtete auf der Konferenz, wie die jungen Pädagoginnen und Pädagogen sich dem „Never forget“ verpflichtet sehen. Alle Teilnehmer der Konferenz waren sich darin einig, aktiv für das Bewahren der Erinnerung an die Opfer des Holocaust einzutreten. Der VBE wurde durch den geschäftsführenden Vorstand, die stellvertretende Bundesvorsitzende Internationales Gitta Franke-Zöllmer und die AdJ-Bundessprecherin Kerstin Ruthenschröer vertreten. Die Delegation des VBE nahm am 27. Januar, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, an der offiziellen Gedenkveranstaltung in Auschwitz teil.
VBE-Magazin 2015 B&E 1|
IT-Ausstattung an Schulen mittelalterlich Eine Woche vor der Präsentation von „Computer-PISA“ (ICIL-Studie) stellte VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann die Ergebnisse der bundesweiten Repräsentativbefragung von Lehrern aller Schulstufen zur IT-Ausstattung der Schulen vor, die der VBE bei forsa in Auftrag gegeben hatte. Eine vergleichbare Lehrerumfrage gibt es bisher nicht. www.vbe.de/presse/meinungsumfragen.html Zugang zu Online-Lernplattformen
51% nein
42% ja
es haben Zugang zu einer OnlineLernplattform für Unterricht, Hausaufgaben oder Elternkontakt
weiß nicht Aneignung der Kenntnisse für digital basierten Unterricht* Die notwendigen Kenntinisse für den digital basierten Unterricht haben sich angeeignet * Mehrfachnennungen möglich 89%
privat
31%
durch Lehrerfortbildung
31%
mithilfe von Lehrerkollegen / im Kollegenkreis
12%
im Rahmen von Lehrerausbildung
Auf der NRW-Landespressekonferenz am 12. November 2014 kritisierte Udo Beckmann: „Schulen in Deutschland werden von Ländern und Schulträgern mit dem Thema IT überwiegend alleingelassen. Die Ausstattung der Schulen mit Hard- und Software ist mittelalterlich. Die digitale Schule wird vom Dienstherrn als Privatangelegenheit auf die Lehrer abgeschoben.“ Ein knappes Viertel der befragten Lehrer habe gar keinen Zugang zu einem dienstlichen PC. Über 40 Prozent der Befragten hätten keine geschützte Dienst-E-Mail-Adresse. Keinen Zugang zu einer geschützten Online-Plattform für Unterricht, Hausaufgaben oder Elternkontakte gäben zwei Drittel der befragten Lehrer an. Das Vorhandensein von Klassensätzen mobiler Geräte verneinten neun von zehn Lehrern. „Dennoch nutzen neun von zehn Lehrkräften digitale Materialien und das Internet für ihren Unterricht“, so Beckmann. „Lehrer machen aus den unterbelichteten IT-Verhältnissen an ihren Schulen das Bestmögliche, um ihren Schülern IT-Bildung so gut wie eben möglich zu vermitteln.“
Die Kenntnisse dafür würden sich die Lehrerinnen und Lehrer jedoch überwiegend privat aneignen, da keine ausreichende Fortbildung angeboten werde. Wer Lehrerinnen und Lehrern digitale Verweigerung vorwerfe, so Beckmann, möge selbst mit ungeschützten oder fehlenden E-Mail-Accounts an Schulen und langsamem Internet zeigen, wie es gehen soll. Auch gebe es kaum einen anderen Bereich, in dem Arbeitgeber einfach erwarten, private Geräte anzuschaffen und für dienstliche Aufgaben zu nutzen. Der VBE-Bundesvorsitzende forderte die Dienstherren und Schulträger auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Wer digitales Lernen in den Schulen ernsthaft installieren will, muss eine zeitgemäße Ausstattung aller Schulen, von der Grundschule bis zu den berufsbildenden Schulen, sichern.“
Eingriff ins Grundgesetz stoppen Der VBE lehnt den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur „Tarifeinheit“ ab. Die Bundesversammlung des VBE sprach sich am 20. November in Dortmund einhellig gegen jegliche Versuche des Bundesgesetzgebers aus, mittels eines „Tarifeinheitsgesetzes“ die Koalitionsfreiheit zu beschneiden. In dem einstimmig beschlossenen Antrag „Keine Aushöhlung des Artikels 9 GG zulassen“ wird das Gesetzesvorhaben als „Generalangriff auf Tarifautonomie und das im GG verankerte Recht für jeden Deutschen, ‚zur Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen Vereinigungen zu bilden‘“, bewertet. Der VBE unterstützte auch die Petition des dbb an den Deutschen Bundestag „Freiheit statt Tarifdiktatur“. Zugleich wurde der dbb aufgefordert, „mit eigenen Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Tarifautonomie konstruktiv gegen Versuche des Gesetzgebers auf zutreten, Artikel 9 GG Koalitionsfreiheit auszuhöhlen“. VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann warnte zugleich vor weiteren Versuchen, öffentliche Daseinsvorsorge zu privatisieren. „Auch im Bildungsbereich treibt der Staat eine schleichende Privatisierung voran. Der VBE lehnt diese Politik grundsätzlich ab. Wir fordern vor diesem Hintergrund den Beamtenstatus für alle Lehrer“, bekräftigte Beckmann. „In Deutschland gilt die Schulpflicht. Der Beamtenstatus ist auch eine Barriere gegen weitere Privatisierung.“ Der Umgang mit tarifbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen sei Warnung genug.
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VBE in den Ländern
Neues aus den 18
Baden-Württemberg
VBE warnt vor „Kopflastigkeit“ der Schule Anlässlich der bundesweit Aufsehen erregenden TwitterBotschaft einer Kölner Schülerin zum mangelnden Praxisbezug des Unterrichts warnt auch der VBE BadenWürttemberg vor einer zu einseitigen Bevorzugung der meist auf den Intellekt ausgerichteten schulischen Arbeit. Eltern und Wirtschaft sollten bei der Würdigung von Schülerleistungen weg von einer zu einseitigen Fokussierung auf die Hauptfächer Deutsch, Mathematik und Fremdsprache(n). Musisch-künstlerische Unterrichtsfächer, Technik und Schulsport seien kein schmückendes Beiwerk zur Entspannung, sondern für eine positive Entwicklung der Schülerpersönlichkeit gleichfalls notwendig, warnt der VBE-Sprecher vor einer allzu leichtfertigen Abwertung dieser sogenannten „Nebenfächer“. Unterrichtsfächer, die zumindest gefühlsmäßig für das schulische und berufliche Weiterkommen nicht ausschlaggebend sind, werden immer mehr an den Rand gedrängt und verlieren an Bedeutung. So seien die musisch-ästhetische Erziehung und der Schulsport heute oft ungeliebte Kinder, bemängelt der VBE-Sprecher. Deshalb warnt der Lehrerverband erneut vor einer zu starken „Verkopfung“ des schulischen Arbeitens. Die Schüler sind jedoch auf eine ganzheitliche Bildung und Erziehung angewiesen, in der auch Ästhetik, Bewegung und Emotionen eine tragende Rolle spielen sollten. Pestalozzis 200 Jahre alter pädagogischer Ansatz ganzheitlichen Lernens „mit Kopf, Herz und Hand“ sollte in der stark technisierten Welt von heute mehr denn je Maxime unterrichtlichen Tuns sein – und das nicht nur in den Grundschulen. Und dabei gehe es keinesfalls lediglich um die Fähigkeit, Formulare korrekt ausfüllen zu können, wie die Twitterin angemahnt hatte. www.vbe-bw.de
Bayern
BLLV begrüßt Ausbau des Islamischen Religionsunterrichts Der Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Klaus Wenzel, hat erfreut auf die Ankündigung des Kultusministeriums reagiert, den Ausbau des Islamischen Religionsunterrichts an Bayerns Schulen beschleunigen und erweitern zu wollen. „Der BLLV fordert dies seit vielen Jahren und hat den laufenden und im vergangenen Jahr verlängerten Modellversuch zum Islamischen Religionsunterricht aktiv begleitet. Wir haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass der Bedarf wesentlich höher ist. Umso mehr erkennen wir an, dass das Kultusministerium nun handelt“, erklärte Wenzel heute in München. Das Unterrichtsangebot sollte zudem auch verstärkt den bayerischen Realschulen und Gymnasien zur Verfügung stehen. Wenzel betonte aber, dass der Ausbau deutlich mehr Lehrerstellen erforderlich mache. Dringend nötig sei es deshalb, die Angebote für Studierende zu erweitern. Derzeit werde das Studienfach Islamischer Religionsunterricht lediglich an der Universität Nürnberg-Erlangen angeboten. www.bllv.de
Landesverbänden 20154 B & E 13| Hessen
Schulsystem darf Chancenungleichheit nicht verstärken „Studien über das Schulsystem bringen selten neue Erkenntnisse“, kommentierte Stefan Wesselmann, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) Hessen das Erscheinen des Chancenspiegels 2014 der Bertelsmann-Stiftung. „Aber manchmal muss die Wahrheit häufig genug wiederholt werden, bis sie auch wahr- und ernst genommen wird.“ Nach Ansicht des VBE Hessen, sprechen die Ergebnisse der aktuellen Bertelsmann-Studie dafür, dass es nicht unbedingt einheitliche Lösungen für ganz Hessen geben könne, da die regionalen Unterschiede sehr groß seien. „Das Schulsystem darf die Chancenungleichheit, die Kinder verschiedener sozialer Herkunft mitbringen, nicht noch verstärken“, stellte Wesselmann fest. „Der VBE Hessen fordert seit Jahren eine höhere Durchlässigkeit im Bereich der Sekundarstufe I.“ Dass es keine ernsthaften Bestrebungen gebe, das Gymnasium abzuschaffen, dürfe aber im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass es daneben nur eine Schulform benötige, die auf den Haupt- und den Realabschluss vorbereite. „Gerade die Situation in Nordhessen zeigt, dass es auch an den ‚Nicht-Gymnasien‘, egal wie diese Schulen heißen, eine Vorbereitung auf alle Bildungsabschlüsse geben muss.“ www.vbe-he.de
Den Anteil der Gymnasiasten unter den Fünftklässlern zu bewerten, hält der VBE-Landesvorsitzende indes für äußerst fragwürdig. Aussagekräftiger seien da eher die tatsächlich erreichten Abschlüsse am Ende der Schullaufbahn, und auch hier müssten die verschiedenen Wege und Zeitläufe zu diesem Ziel mit betrachtet werden, so Stefan Wesselmann abschließend. Er wünsche sich daher auch einen kritischeren Umgang mit Studien im Allgemeinen. Niedersachsen
Flüchtlingskinder: Schulen brauchen Unterstützung Die dramatische Zunahme von Flüchtlingskindern aus Kriegsgebieten ist von den Schulen kaum noch zu bewältigen. Der Landkreis Vechta z. B. muss bis September noch ca. 600 weitere Flüchtlinge aus Krisengebieten aufnehmen, davon allein mindestens 161 im Stadtgebiet Vechta. Bis zum Jahresende ist eine Verdoppelung der dort jetzt schon untergebrachten Asylbewerber zu erwarten. Dazu Franz-Josef Meyer, Referent für Grundschulen im VBE-Landesverband Niedersachsen: „Wenn die Kinder dieser Familien in den Schulen ankommen, sind sie oft schwer traumatisiert und depressiv. Hinzu kommt, dass sie kein Deutsch sprechen und sich völlig isoliert in einem fremden Land wiederfinden. Die Lehrkräfte sind auf diese Herausforderungen nicht genügend vorbereitet. Es fehlt die umfängliche professionelle Hilfe.“ Die Schulen brauchen dringend mehr Unterstützung bei der Beschulung dieser Kinder etwa durch Schulpsychologen, Schulsozialarbeiter und Dolmetscher, die konkrete Hilfestellungen bei Aufnahme und Begleitung geben können. Ein weiteres Problem sind fehlende Lehrerstunden für die Förderung der Kinder ohne Deutschkenntnisse. Da Flüchtlingskinder aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen und Laut- und Schriftsystemen kommen, benötigen sie eine intensive individuelle Förderung, die sie auf das Leben in Deutschland vorbereitet und vor Ghettoisierung schützt. www.vbe-nds.de
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VBE-Nachrichten Landesverbände
2015 B & E 1| Nordrhein-Westfalen
Digitale Ausstattung an Schulen ist mangelhaft „Wir begrüßen, dass die Landesregierung die Voraussetzungen für digitales Lernen in der Schule verbessern will“, erklärt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) NRW anlässlich der Jahresauftakt-Pressekonferenz der Landesregierung, „Die digitale Schule gibt es in NRW bislang allerdings nur virtuell – entgegen allen Ankündigungen der Politik.“ Eine unterstützende Plattform wie LOGINEO, auf die Lehrkräfte für die Vorbereitung ihres Unterrichts zurückgreifen können, sei zwar löblich, so Beckmann: „Aber in der Schule muss auch eine IT-Ausstattung vorhanden sein, die die Voraussetzung schafft, um mit der Online-Plattform arbeiten zu können.“ Beckmann fordert deswegen für Schulen eine zeitgemäße ITAusstattung: „Das, was wir zurzeit an den Schulen vorfinden, ist mittelalterlich, das haben wir auch im Rahmen unserer Forsa-Umfrage vom November 2014 nachgewiesen.“ Auch bei der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte in Sachen IT würde die Landesregierung bisher viel zu wenig tun, so Beckmann: „Die Landesregierungen haben es seit Jahrzehnten versäumt, die Lehrkräfte in diesem Bereich zu schulen, damit sie einen qualitativ hochwertigen digitalen Unterricht leisten können.“ Die Novelle des Lehrerausbildungsgesetzes, die diese Lücke schließen soll, sei ein Schritt in die richtige Richtung, der aber nur dann Wirkung entfalten kann, wenn die Voraussetzungen an den Schulen dafür geschaffen werden, beklagt Beckmann. www.vbe-nrw.de
Rheinland-Pfalz
Landesregierung hat sich der Realität angenähert „Mit der Verabschiedung von den erst seit Mai 2012 gültigen Planungsdaten des Klemm-Gutachtens ,Zur Entwicklung des Lehrkräftebedarfs in RheinlandPfalz‘ hat sich die rheinland-pfälzische Landesregierung endlich wieder der Schulrealität angenähert. Doch jetzt die Klassengrößen im Bereich der weiterführenden Schulen auf dem bisherigen hohen Niveau festzuschreiben, ist eine völlig falsche Reaktion auf den Anstieg der Schülerzahlen durch Zuwanderung. Dadurch wird insbesondere das Bildungsangebot an Integrierten Gesamtschulen und Gymnasien beeinträchtigt. Darunter leidet die Bildungsqualität unserer Schulen. Wir empfinden dies auch als Ohrfeige für alle Eltern, die für ihr Kind eine gute Förderung wollen und dafür auch mit ihren Steuern bezahlen.“ Mit dieser ersten Stellungnahme äußerte sich der Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen Lehrergewerkschaft VBE, Gerhard Bold, zur Pressekonferenz von Bildungsministerin Vera Reiß zu den Konsequenzen aus der aktuellen Entwicklung der Schülerzahlen und der Aussetzung einer Absenkung der Klassengrößen an den Schulen. VBE-Landeschef Gerhard Bold: „Sicher ist es folgerichtig, wenn Bildungsministerin Vera Reiß jetzt die Schulentwicklung auf neue Berechnungsgrundlagen stellt , nachdem durch die Zuwanderung die Zahl der Schülerinnen und Schüler wieder steigt. Gleichwohl muss die Landesregierung dafür sorgen, dass ihre selbstgesetzten schulpolitischen und pädagogischen Ziele eingehalten werden. Die Landesregierung kann ihr bildungspolitisches Sparkonzept, das die Streichung von nahezu 2.000 Lehrerstellen vorsah, nicht fortsetzen, wenn sie nicht einen Zusammenbruch der Versorgung in vielen Bildungsbereichen riskieren will.“ www.vbe-rp.de
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VBE-Nachrichten Landesverbände
Schleswig-Holstein
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Mehr Anstrengungen für Flüchtlingskinder „Angesichts des Anstiegs an Flüchtlingszahlen in den kommenden Monaten müssen die Schulen in die Lage versetzt werden, den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen unter ihnen gerecht zu werden,“ sagt Rüdiger Gummert, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) SH. „Die Familien, Einzelpersonen und die unbegleitet reisenden Minderjährigen werden kurzfristig vor den Rathäusern abgegeben und zuallererst mit Unterkunft und dem Nötigsten versorgt.“ Kurz danach stehen dann die Kinder und Jugendlichen vor den Schulen, die, so Gummert, keinesfalls darauf vorbereitet seien und nur improvisieren können.
Saarland
Islamunterricht: Nicht auf Kosten anderer Fächer Der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrer-Verband (SLLV) steht den Plänen von Bildungsminister Ulrich Commerçon zur Einführung eines Modellversuches zum Islam-Unterricht in der Grundschule grundsätzlich offen gegenüber. Deren Verwirklichung müsse allerdings gut vorbereitet sein. Wichtig sei, dass dieser Unterricht unter staatlicher Aufsicht von dafür ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern und in deutscher Sprache erteilt werde. Das Angebot von Ethik-Unterricht bereits ab Klassenstufe 5 begrüßt der Verband ausdrücklich, weil dadurch allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit einer religionsunabhängigen Werteerziehung geboten werde. Gleichzeitig aber warnte er vor den üblichen „Mogelpackungen“: „Das darf nicht auf Kosten bestehender Unterrichtsfächer bzw. bisher gewährter Stundenkontingente geschehen!“, mahnte die SLLV-Vorsitzende Lisa Brausch. Zusätzliche Ressourcen und qualifizierte Lehrpersonen mit einem abgeschlossenen Lehramtsstudium seien ebenso unerlässlich wie wissenschaftliche Lehrpläne und geeignete Unterrichtswerke, meint der SLLV. www.sllv.de
Der VBE begrüßt die Anstrengungen der Landesregierung, diese Herausforderungen mit finanziellen Mitteln und zusätzlichen Lehrkräften anpacken zu wollen. Da zurzeit allerorts ein Mangel an Lehrkräften besteht, also keine oder nur wenige Personen gefunden werden können, fordert der VBE, die erforderlichen Lehrkräfte fest einzustellen und dem nächsten Jahrgang an ausgebildeten Referendaren (1. Februar 2015) schon vorab eine Festanstellung (Verbeamtung) anzubieten. Nur so kann verhindert werden, dass diese Lehrkräfte in andere Bundesländer abwandern. Die von der Bildungsministerin in Aussicht gestellten Fortbildungen in Kooperation mit Trauma-Therapeuten sind eine wichtige Unterstützung für die Lehrkräfte und die teilweise schwer traumatisierten Kinder aus den Kriegsgebieten. Der VBE versteht das Flüchtlingsthema als inklusives Thema, dem gesamtgesellschaftlich begegnet werden muss. Der erforderliche Unterstützungsbedarf muss den Schulen bewilligt werden; nur so können sie ihren Beitrag wirkungsvoll leisten. Die dafür erforderlichen Lehrkräfte müssen fest eingestellt werden. www.vbe-sh.de
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20154 B & E 13| Thüringen
Burn-out bei Kindern – das unterschätzte Problem
„Depression kann jeden treffen“, mit diesem Slogan wirbt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe um eine Enttabuisierung dieses seelischen Ausnahmezustands. Dass das Phänomen auf dem besten Wege ist, sich zu einer wahren Volkskrankheit zu entwickeln, ist inzwischen eine anerkannte Tatsache. Ein Aspekt, der dabei jedoch bislang nur wenig Beachtung findet, ist die Zunahme depressiver Erkrankungen schon im Kindesalter. Im Rahmen der BELLA-Studie des Robert-Koch-Instituts in Berlin, einer repräsentativen Erhebung zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen von 7 bis 17 Jahren, wurden bei 10 % der Probanden Hinweise auf Ängste, bei 5 % Anzeichen von Depression festgestellt. Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, geht davon aus, dass etwa 30 % der betroffenen Kinder unter einer Erschöpfungsdepression leiden – gern auch als Burn-out bezeichnet. Das wäre, rein statistisch gesehen, einer von 60 Schülern, wobei zu bedenken ist, dass dies nur die diagnostisch bereits erkennbaren Fälle sind. Es ist davon auszugehen, dass sich ein weitaus höherer Anteil an Kindern in einer Gefährdungssituation befindet. „Dass bereits Schüler unter dem sogenannten Burn-out leiden, ist die traurige Realität“, stimmt Rolf Busch, Landesvorsitzender des tlv thüringer lehrerverband, zu. „Und leider werden die Symptome oftmals zu spät erkannt.“ Das liege zum einen daran, dass sich bei jungen Menschen häufig körperliche Symptome wie ungeklärte Bauchschmerzen in den Vordergrund drängten, aber auch an der noch immer zu geringen Anzahl an Schulpsychologen im Freistaat. „Derzeit liegt der Betreuungsschlüssel bei einem Psychologen pro 6700 Schüler. Verbunden mit den langen Anfahrtswegen führt das beim Ersttermin zu Wartezeiten von etwa sechs Wochen.“ Ebenso vielseitig wie die Symptome seien jedoch auch die Ursachen der Erkrankung. „Dass auch die Schule dabei eine Rolle spielt, kann und soll nicht abgestritten werden. Allerdings ist dies nur ein kleiner Teil des Problems“, gibt Busch zu bedenken. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass bei den betroffenen Schülern vor allem im Elternhaus, in der Peergroup, im Verein und nicht zuletzt über die sozialen Medien eine starke Erwartungshaltung erzeugt worden ist, an denen sie letzten Endes zerbrechen. Leistungsdruck bis hin zur totalen Erschöpfung ist ein Phänomen, das die gesamte Gesellschaft betrifft – und eben leider auch schon unsere Kinder.“ www.tlv.de
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Redaktionsschluss für Heft 2/2015: 23. April 2015
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