Ausgabe FrĂźhling 2016
gazin a M e h c s i gspolit n u d l i b s ndes Da a b r e v s e und des VBE-B
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Hinweis: Die Fotos dienen der Illustration und beschreiben keine realen F채lle.
Wieder Halt finden nach dem Schrecken; wieder Vertrauen gewinnen nach dem Bruch ... Sexueller Missbrauch schneidet tief, die Wunden heilen langsam. Selbst dann, wenn es keiner war ... wie (auch) hier nachzulesen ist ...
Inhalt
201069 B & E 11| 4 „Vertrauen“ – zum Schutz persönlicher Rechte von Kindern und Jugendlichen Carolin Oppermann, Wolfgang Schröer, Mechthild Wolff 9 Meinung: Wegducken ist keine Option von Udo Beckmann 10 Praxis: „Bildung funktioniert nicht ohne Kinderschutz“ Wie Schulen Kinder vor sexueller Gewalt schützen können Interview mit Johannes-Wilhelm Rörig 13 Zu schlimm, um wahr zu sein Frank Schmidt-Wyk 16 Blickpunkt: Neue Demokratiefeinde von rechts Christoph Giesa 18 VBE-Magazin 20 VBE in den Ländern 24 Die Kehrseite
Liebe Leserinnen und Leser, sexuelle Übergriffe und sexueller Missbrauch sind leider auch in unserer Gesellschaft immer wieder Anlässe, Menschenwürde, persönlichen Schutz und das Recht auf Selbstbestimmung zu reklamieren. Die Ereignisse der Silvesternacht 2015/2016 haben das aufgezeigt. Dass sexueller Missbrauch zu den dunkelsten Kapiteln unserer Gesellschaft gehört, dürfte unstreitig sein. So unbestritten, dass die Bundesregierung eine eigene Stabsstelle dafür eingerichtet hat. In diesem Heft sprechen wir mit dem „Unab hängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Sexueller Missbrauch von Kindern wird spätestens dann ein Thema für den Schulalltag, wenn Lehrerinnen bzw. Lehrer einen Verdacht haben. Leider kommen die Fälle vor allem in Familien vor. Was ist pädagogisch zu tun? Dem geht unser Aufmacher nach: Wie kann Vertrauen zurückgewonnen werden? Und selbst wenn gar nichts war, greift der bloße Verdacht in unser Zusammenleben ein, wie unsere aktuelle Reportage belegt. Im „Blickpunkt“ beleuchten wir die neue Rechte im bürgerlichen Gewand: Spot an, keiner schaut weg! Die Redaktion wünscht eine anregende Lektüre. Ihre B&E-Redaktion
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„Vertrauen“ – zum Schutz persönlicher Rechte von Kindern und Jugendlichen Der Schutz von persönlichen Rechten von Kindern und Jugendlichen in der Schule ist in den letzten Jahren intensiv diskutiert worden. Dabei wurden viele Techniken und Verfahren, z. B. Beschwerdeformen, entwickelt, durch die Kinder und Jugendliche, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer sowie alle Beteiligten alltäglich Schutz in der Schule erfahren sollen. Sie sollen die Sicherheit bekommen, dass ihre Ängste und mögliche Verletzungen von persönlichen Rechten nicht nur Gehör finden können, sondern die Schule den Kindern und Jugendlichen signalisiert, dass sie wissen will, was sie erleben (müssen). Zwar sind wir noch davon entfernt, dass alle Schüler und Schülerinnen erfahren, dass ihre Schule mit ihnen zusammen entsprechende Schutzkonzepte entwickelt und sie als systematischen Bestandteil ihrer pädagogischen Arbeit ansieht, dennoch ist ein Anfang gemacht, den es jetzt nachhaltig weiter zu entwickeln gilt.
Carolin Oppermann, Wolfgang Schröer, Mechthild Wolff
Grundlegend ist dabei, dass der Schutz der persönlichen Rechte in den Alltag des pädagogischen Geschehens von Schule rückt und nicht nur ein Interventionskonzept der Leitung bleibt. In diesem Zusammenhang erscheint es von besonderer Bedeutung, dass das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen in die entsprechenden Angebote, Personen und Verfahren nicht einfach vorausgesetzt wird. Es ist zu fragen, ob und wie Kinder und Jugendliche Möglichkeiten finden können, ihre Ängste und Verletzungen zu thematisieren. Kein Verfahren, keine Form des Beschwerdemanagements oder kein Angebot zum persönlichen Gespräch macht einen Sinn, wenn Kinder und Jugendliche diesem nicht „vertrauen“ können, wollen oder sollen. Dabei ist „Vertrauen“ zunächst einmal eine Leist ung, die häufig die- oder derjenige erbringt, die oder der in der schwächeren Position ist. Es ist für ihn oder für sie auch viel risikoreicher.
Vertrauen erfordert Reflexion 20164 B & E 13|
Vertrauen: ein anspruchsvolles pädagogisches Konzept Eine wesentliche Ressource der pädagogischen Beziehung stellt Vertrauen dar. Häufig wird „Vertrauen“ von pädagogischen Fachkräften einfach vorausgesetzt. Viele Pädagoginnen und Pädagogen denken, dass Kinder und Jugendliche qua Amt und Ausbildung ihnen vertrauen. Sie für viele Belange der Kinder und Jugendlichen Ansprechpartner/-in sind: Die Kinder und Jugendliche eigentlich keinen Grund haben, ihnen nicht zu vertrauen. Sie denken nicht daran, dass es für Kinder und Jugendliche gut sein kann, ihnen nicht zu vertrauen. In den letzten Jahren ist „Vertrauen“ im Rahmen der Pädagogik intensiv beforscht worden (Bartmann et al 2014). Dabei wird deutlich, dass Vertrauen immer wieder neu hergestellt wird, sehr stark von den jeweiligen Konstellationen abhängig und keine absolute Kategorie ist, die ganz und gar z. B. an einer Person oder Organisation hängt.
Es wird deutlich differenziert, in welchen Fragen wem oder welchem Verfahren vertraut werden kann. Eigentlich ist der Begriff des „Vertrauenslehrers/der Vertrauenslehrerin“ auch ambivalent, da er schon voraussetzt, als könne man einer Person oder Instanz in vielen Fragen vertrauen. Die Forschung zeigt, dass der Alltag komplexer ist und es Kindern und Jugendlichen mitunter nur zu empfehlen ist, zunächst zu prüfen, wem und was sie vertrauen. Insgesamt erfordert Vertrauen ständige Reflexion und ist keineswegs nur auf einzelne Personen, sondern eben auch auf die organisationalen Kontexte bezogen. Sabine Wagenblass (2004) sowie Sandra Tiefel und Maren Zeller (2014) beschreiben in diesem Zusammenhang z. B. unterschiedliche Vertrauensbeziehungen und -verhältnisse in pädagogischen Organisationen. Sie unterscheiden zwischen • persönlichem Vertrauen, das vor allem an positive Erfahrungen mit Personen, z. B. einer Lehrerin, gebunden ist; • spezifischem Vertrauen, das in erster Linie an Fachkenntnisse und Wissen, z. B. an eine Expertin oder Fachberaterin, gebunden ist; • Setting-Vertrauen, das an eine organisationale Konstellation, z. B. an eine spezifische Schulform, geknüpft ist; • Systemvertrauen, das generell gegenüber einer Angebotsstruktur, wie dem Bildungswesen, erbracht wird.
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Das Recht eine 6
Jede/-r, der/dem in pädagogischen Konstellationen vertraut wird, braucht andere, mit denen sie/er ständig dieses reflektieren und einordnen kann. „Keine/-r (ver) arbeitet allein.“ Es gilt als Faustregel in vertrauensbezogenen pädagogischen Beziehungen, dass „Vertrauen“ auch über die Vertrauensbeziehung hinaus andere braucht, um Transparenz herzustellen. Dies erscheint grundlegend, damit Vertrauen in professionellen Konstellationen nicht einseitig personalisiert wird, auch wenn es an persönliche Beziehungen gebunden ist. Schutzkonzepte in Schulen haben die Aufgabe, diese Reflexionskontexte für Vertrauensbeziehungen einzufordern und auf den unterschiedlichen Ebenen mit herzustellen. Es ist darauf zu achten, dass persönliche Grenzkonstellationen, die auf den unterschiedlichen Ebenen der Vertrauensbeziehungen und -verhältnisse entstehen können, nicht ausgenutzt werden. Ein Vertrauens- und Machtmissbrauch kann dabei durch alle Ebenen befördert werden. So kann das Wissensgefälle in Schulen – spezifisches Vertrauen – ausgenutzt werden, aber auch das Setting-Vertrauen, indem spezifische Schulformen per se für sich in Anspruch nehmen, die persönlichen Rechte immer zu respektieren. Aber auch die Bildungsinfrastruktur kommt ihrer Verantwortung nicht nach, wenn sie nicht daran mitarbeitet, das Vertrauen z. B. in das Schulsystem zu stärken, indem Konzepte zum Schutz von persönlichen Rechten weiterentwickelt, evaluiert und eingefordert werden. Denn jeder Machtmissbrauch gegenüber einer Person stellt einen Vertrauensverlust auch in das Schulsystem und eine Verletzung dieser menschlichen Beziehung und Entfaltungsmöglichkeit dar.
Choice, Voice, Exit ermöglicht Vertrauen Vertrauen ist kein einseitiger Prozess, sondern es bedarf der Anerkennung und des gegenseitigen Respektes vor persönlichen Rechten. Vertrauen erhält durch gegenseitige Anerkennung ihren „Mehrwert“ (vgl. Bourdieu 1983). Insgesamt brauchen Vertrauensbeziehungen in pädagogischen Organisationen transparente Regeln, die einerseits miteinander ausgehandelt werden, andererseits sich aber auch an Leitlinien orientieren. Gerade in Organisationen – wie der Schule –, in denen das Machtgefälle groß ist und viele Abhängigkeiten bestehen, sind Leitlinien für persönliche Beziehungen von besonderer Bedeutung. Machtasymmetrien sind in Schulen strukturell bedingt. Es besteht z.B. ein Wissens- und Orientierungsgefälle (vgl. Wolff 2015, S. 41). Trotz aller Bemühungen um Partizipationsmöglichkeiten, ist dieses Machtgefälle Teil der Erwachsenen-Kinder-Beziehungen und der Organisation Schule. Darum bedarf es Leitlinien, die Beteiligung ermöglichen und persönliche Rechte schützen. Diese Leitlinien lassen sich auf die Begriffe „Choice“, „Voice“ und „Exit“ (vgl. Andresen 2015) bringen. Choice: Schülerinnen und Schüler müssen über ihre persönlichen Rechte aufgeklärt und informiert werden. Information und Wissen über die Rechte ist eine entscheidende Grundlage für Beteiligung. Schülerinnen und Schüler müssen die Möglichkeit haben, die Situationen, in denen sie sich befinden, zu verändern. Sie müssen immer wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie keinen Einfluss auf die Situation nehmen können und diesen nicht vertrauen. Schulen können nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass sich die Schülerinnen und Schüler auf den Respekt ihrer persönlichen Rechte in allen Situationen verlassen können. Voice: Schülerinnen und Schüler müssen gehört werden, wenn sie ihre persönlichen Rechte verletzt sehen oder sie sich Veränderungen in der Organisation wünschen. Die Schule muss signalisieren, dass sie von Verletzungen der persönlichen Rechte hören will. Dies kann zum einen durch vielfältige Partizipationsmöglichkeiten geschehen, zum anderen aber auch durch ein institutionalisiertes Beschwerdeverfahren. Jede/-r einzelne Schüler/-in sollte immer eine Stimme haben, d. h. jede/-r sollte wissen, wie er/sie ihre Interessen deutlich machen kann. Er/sie sollte wissen, wie ihm vertraut wird.
Grenze zu markieren 20164 B & E 13|
Exit: Kinder und Jugendliche müssen in jeder Situation, in der sie sich in der Schule befinden, die Möglichkeit haben, aus dieser Situation auszusteigen. Exit kann in manchen Situationen auch deeskalierende Funktion haben. In diesem Fall geht es jedoch zuerst um ein höchstpersönliches Recht, eine Grenze zu markieren. Je geschlossener eine Situation zu sein scheint, desto mehr ist darauf zu achten, dass eine Exit-Option besteht. Eine Kultur der offenen Tür zu pflegen – etwa bei Einzelgesprächen – kann z. B. eine Form sein, um eine Exit-Option zu eröffnen. Eine Exit-Option kann in einem Vier-Augen-Prinzip für prekäre Situationen institutionalisiert werden oder es kann z. B. ein Zeichen vereinbart werden, wie „Stop, das möchte ich nicht“ mit hochgehaltener Hand, das alle Beteiligten für den Moment aus der Situation „herausholt“. Gerade im Zusammenhang der Kompetenzstärkung von Kindern und Jugendlichen, eigene Nähe- und Distanzbedürfnisse gegenüber Erwachsenen und ihren Peers, artikulieren zu können, ist die ExitOption ein zentraler Bestandteil im Umgang mit Vertrauensbeziehungen. Wenn diese grundlegenden Leitlinien durch organisationale und äußere Rahmenbedingungen oder Personen eingeschränkt werden, besteht eine höhere Gefahr, dass die höchstpersönlichen Rechte auch in Vertrauensbeziehungen und -verhältnissen verletzt werden. Umso wichtiger ist es, für die Gestaltung von Vertrauensbeziehungen und -verhältnissen mit Kindern und Jugendlichen Choice, Voice- und Exit-Optionen zu sichern. Carolin Oppermann Prof. Dr. Wolfgang Schröer Mechthild Wolff Universität Hildesheim
Literatur Andresen, Sabine (2015): Kinderschutz im Alltag. Multidimensionale Perspektiven und Konzepte. In: Crone, Gerburg/Liebhardt, Hubert (Hrsg.): Institutioneller Schutz vor sexuellem Missbrauch. Achtsam und verantwortlich handeln in Einrichtungen der Caritas. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 117–126. Bartmann, Sylke / Fabel-Lamla, Melanie / Pfaff, Nicolle / Welter, Nicole (2014) (Hrsg.): Vertrauen in der erziehungswissenschaftlichen Forschung. Opladen, Berlin, Toronto,: Barbara Budrich Verlag. Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel, Reinhard (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten, Sonderband 2: Soziale Welt. Göttingen: Schwartz, S. 183–198. Tiefel, Sandra / Zeller, Maren (2014): Differenzierungen des Vertrauensbegriffs – empirische Analysen aus der Perspektive von Adressat(inn)en der Sozialen Arbeit. In: Bartmann, S. et al. (Hrsg.): Vertrauen in der erziehungswissenschaftlichen Forschung. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich Verlag, S. 335–354. Wagenblass, Sabine (2004): Vertrauen in der Sozialen Arbeit. Weinheim und München: Juventa. Wolff, Mechthild (2015): Organisationsanalysen als Ausgangspunkt der Entwicklung eines besseren Klient(inn)enschutzes. In: Crone, Gerburg / Liebhardt, Hubert (Hrsg.): Institutioneller Schutz vor sexuellem Missbrauch. Achtsam und verantwortlich handeln in Einrichtungen der Caritas. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 39–49.
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Meinung
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Wegducken ist keine Option Um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist es gerade nicht so gut bestellt. Da erschüttern uns die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht. Da agieren Wutbürger jeglicher Couleur. Da kämpfen Opfer sexuellen Missbrauchs in Familien und Bildungseinrichtungen um ihr Recht. Da kommen zu Zehntausenden Flüchtlingskinder in die Schulen. Da werden aus unauffälligen Schülern radikalisierte Kämpfer. Da treffen wir auf Traumata, Ängste, Gewaltreaktionen in unserem Berufsalltag. Eines steht fest: Wegducken hilft hier gar nichts. Wenn wir die Unterstützung aus der Gesellschaft wollen, müssen wir die Dinge klar beim Namen nennen, nichts beschönigen, nichts kleinreden, eine ehrliche Bestandsaufnahme machen. Auch wenn es den politisch Verantwortlichen nicht gefällt, wir bleiben bei unserer Einschätzung, mit den vorhandenen Rahmenbedingungen ist das, was auf Kitas und Schulen zukommt, trotz des riesigen Engagements der Beschäftigten nicht zu stemmen. Es fehlt an ausreichendem Fachpersonal. Es fehlt an zusätzlichem Schulraum. Die Lehrerausund -weiterbildung muss viel stärker als bisher den schulischen Alltag ins Blickfeld nehmen. Die Politik muss ehrlich offenlegen, wie groß die zu erwartenden Herausforderungen tatsächlich sein können. Und die Politik muss schneller greif bare Antworten geben, wie die Missstände beseitigt werden. Das alles hat mit Gerechtigkeit zu tun. Wo keine Gerechtigkeit herrscht, ist der soziale Frieden gefährdet und Misstrauen kann wuchern. Wann erkennt die Politik, dass die gesellschaftlichen Kosten um ein Vielfaches höher ausfallen, wenn Kitas und Schulen nicht die Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, die sie zur Erfüllung ihres Auftrags benötigen? Am Ziel, ein sozial gerechtes, leistungsfähiges und vielfältiges Bildungssystem weiter zu entwickeln, dürfen in keiner Situation Abstriche gemacht werden. Die Dinge klar beim Namen zu nennen, schließt ebenso ein, sich Regeln zu geben. Das gilt für unsere demokratische Gesellschaft insgesamt und entsprechend auch in Kitas und Schulen. Klare Regeln sind wie Halteseile für Lernende und Lehrende. Klare Regeln bieten Schutz für jeden Einzelnen und Orientierung im Konfliktfall. Das schafft Offenheit und damit Vertrauen. Das alles ist nicht neu, die Gefahr ist nur, dass es in stürmischen Zeiten aus dem Blick gerät. Udo Beckmann VBE-Bundesvorsitzender u.beckmann@vbe.de
Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE)
Bildungspraxis
Schutz 10
„Bildung funktioniert nicht ohne Kinderschutz“ Wie Schulen Kinder vor sexueller Gewalt schützen können „Wir wollen offene, moderne Schulen, in denen sich Kinder und Jugendliche wohlfühlen und vor Gewalt geschützt werden.“ Das haben Sie 2012 in einem Interview für die VBE-Medien geäußert. Was ist zu tun, damit diese „Selbstverständlichkeit“ selbstverständlich bleibt oder wird? Wir haben in den vergangenen Monaten intensiv daran gearbeitet und Lösungen gesucht, wie wir Schulen dabei unterstützen können, Konzepte gegen sexuellen Missbrauch einzuführen oder vorhandene Ansätze weiterzuentwickeln. Schutzkonzepte sind wichtig! Sie schrecken Täter ab und unterstützen Fachkräfte und Eltern, Unsicherheiten abzubauen, die Signale betroffener Kinder besser zu erkennen und ihnen Wege der Hilfe zu weisen.
Mein Ziel ist die Einführung von Konzepten gegen sexuelle Gewalt in allen 33.000 Schulen in Deutschland. Hierfür entwickeln wir ein spezifisches „Schutzpaket“ für Schulen, das ab Sommer 2016 allen Schulen zur Verfügung gestellt werden soll. Es soll Schulen unterstützen, bereits vorhandene Präventionsmaßnahmen und Konzepte gegen sexuelle Gewalt weiterzuentwickeln und Anlässe schaffen, den Schutz vor Missbrauch immer wieder in den Schulalltag zu integrieren. Für diesen Prozess brauchen die Schulen auch die Unterstützung durch die zuständigen Strukturen in ihren jeweiligen Ländern. Deshalb arbeiten wir eng mit den Ländern und der Kultusministerkonferenz zusammen.
Welche Unterstützung können Sie Schulen konkret anbieten? Aktuell erarbeiten wir eine Neuausrichtung meiner Initiative „Kein Raum für Missbrauch“. Wir wollen Kitas, Schulen oder Sportvereine mit spezifischen Informationen und Materialien bei der Einführung von Schutzkonzepten unterstützen. Viele Fachkräfte wissen nicht, wie sie Missbrauch erkennen und was sie im Verdachtsfall tun sollen. Deshalb will die Initiative „Kein Raum für Missbrauch“ Antworten geben auf Fragen: „Wie gehe ich an, was alle angeht?“ oder „Wie nah ist zu nah?“ Einen Schwerpunkt setzen wir bei den Schulen – denn nur hier können wir alle Mädchen und Jungen erreichen.
Was halten Sie für den Schlüssel zum Schutzort Schule? Wir müssen davon ausgehen, dass nur die wenigsten Schulen in Deutschland über umfassende Schutzkonzepte verfügen. Die Erfahrung zeigt, dass die Bereitschaft, solche Konzepte zu entwickeln, meist erst dann entsteht, wenn ein Fall an der Schule bekannt wird. Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer sowie pädagogische Fachkräfte müssen aber verstehen, dass das Thema sexuelle Gewalt sie alle – und zwar dauerhaft – angeht. Rein statistisch müssen wir davon ausgehen, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Mädchen oder Jungen sitzen, die sexuelle Übergriffe erleiden, meist außerhalb der Schule, im Elternhaus, im sozialen Umfeld oder durch andere Jugendliche und Kinder, zunehmend auch durch die digitalen Medien. Mir ist ganz wichtig: Bildung funktioniert nicht ohne Kinderschutz. Schulischer Misserfolg und berufliches Scheitern gehören zu den wenig bekannten, aber häufigen Folgen von sexueller Gewalt in der Kindheit. Mädchen und Jungen, die sexuelle Gewalt erleben, brauchen deshalb kompetente Ansprechpersonen, die ihre Signale erkennen und wissen, was sie im Verdachtsfall zu tun haben.
ist mehr als Prävention 2016 B&E 1| Vor vier Jahren bereits empfahl der Runde Tisch gegen sexuellen Missbrauch schulische Schutzkonzepte, um einen Handlungsrahmen für Prävention und Intervention gegen Gewalt und speziell sexuelle Gewalt zur Verfügung zu haben. Wie hat sich diese Empfehlung inzwischen in Schulen etabliert? Die Sensibilität für das Thema ist in der Gesellschaft gewachsen. Aber noch immer werden Schutzkonzepte in Einrichtungen, denen Kinder anvertraut sind, nicht oder nur teilweise angewendet. Für Flüchtlingsunterkünfte gelten derzeit noch nicht einmal Mindeststandards. Aktuell führen wir bundesweit ein neues Monitoring mit dem Deutschen Jugendinstitut DJI zu Prävention von sexueller Gewalt in Einrichtungen durch. Mit quantitativen und qualitativen Befragungen werden wir auch den Bildungsbereich und insbesondere auch die Schulen, untersuchen, wie Schutzkonzepte dort angewendet werden und welche Voraussetzungen und Unterstützungen es braucht, damit der Schutz vor sexueller Gewalt zum gelebten Alltag wird. Wie sollte ein umfassendes Schutzkonzept aussehen? Umfassende Schutzkonzepte sollten über punktuelle Präventionsangebote hinausgehen. Was wir brauchen, ist die Entscheidung des ganzen Kollegiums – getragen von der Verantwortung der Schulleitung – Prävention von sexuellem Missbrauch in dieser Schule groß zu schreiben. Zu dieser Entscheidung gehört der Mut, die Risiken zu analysieren – in Schulen allgemein und in der eigenen Schule im Besonderen: Werden von Missbrauch betroffene Schülerinnen und Schüler dort gehört und wird ihnen Hilfe vermittelt? Könnte die Schule selbst zum Tatort von sexueller Gewalt werden? Für diese und weitere Fragen muss jede Schule passgenaue Antworten entwickeln, die verhindern, dass sich solche Risiken bewahrheiten. Es geht aber auch darum, sich die Potenziale der Schule vor Augen zu führen, die bereits präventiv wirken. Beispielsweise gut funktionierende Beschwerdestrukturen als Bestandteile von Schutzkonzepten zu identifizieren. Es ist wichtig der Schülerschaft zu verdeutlichen, dass sexuelle Gewalt an dieser Schule nicht tabuisiert und Hilfestellung angeboten wird. Hierfür brauchen Fachkräfte, Eltern und Schülerinnen und Schüler entsprechende Informations- und Präventionsangebote, die ein weiterer wichtiger Bestandteil von Schutzkonzepten sind.
Soll das Schutzkonzept von der Stange sein oder maßgeschneidert? Es gibt kein Universalkonzept. Jede Schule muss den Weg für sich individuell gehen und dort ansetzen, wo sie bei der Gewalt- oder Kriminalprävention bereits steht. Was wir aber anbieten, ist Schulen auf dem Weg zu einem Schutzkonzept zu unterstützen und ihnen zu zeigen, welche Bestandteile es haben sollte und warum sie so wichtig sind. Wohl wissend, dass dies kein leichter Prozess wird, weil Schulen verständlicherweise schon jetzt durch die vielen Anforderungen beispielsweise bei der Inklusion oder der Integration der Flüchtlingskinder am Limit arbeiten. Aber nur wenn jede Schule ihr Konzept selbst maßschneidert, wird sie auch dahinterstehen und es mit Leben und Überzeugung füllen können. Das „Schutzpaket“ für Schulen möchte Schulleitungen und Kollegien die enorme Bedeutung solcher Konzepte vermitteln und den Schulen helfen, die Verantwortung für den Kinderschutz auch hinsichtlich sexueller Gewalt auszufüllen. Gibt es in den Schutzkonzepten auch Bestandteile, die das Vertrauensverhältnis zwischen Schülerinnen bzw. Schülern und Lehrkräften zum Gegenstand haben? Ja, das ist der sogenannte Verhaltenskodex. Er enthält verbindliche Verhaltensregeln für bestimmte Situationen, in denen Täter das ihnen entgegengebrachte Vertrauen leicht ausnutzen können. Ich denke an private Kontakte zu Schülerinnen und Schülern oder Vier-Augen-Situationen. Die Entwicklung eines solchen Verhaltenskodex braucht einen ausführlichen Diskussionsprozess über die Gestaltung der pädagogischen Beziehung im Hinblick auf Nähe und Distanz und sollte immer gemeinsam entwickelt und nicht von der Leitung vorgegeben werden. Der Verhaltenskodex bietet beiden Seiten Schutz: Schülerinnen und Schülern vor sexueller Gewalt und Lehrkräften und anderen Fachkräften vor falschem Verdacht. Selbstverständlich muss das persönliche Gespräch zwischen Lehrer und Schüler aber nach wie vor möglich sein, auch muss es möglich sein, eine Schülerin oder einen Schüler bei Problemen zu trösten oder eine Hilfestellung im Sport zu geben.
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Bildungspraxis
„Schutzpaket“ für Schulen im Rahmen der Initiative „Kein Raum für Missbrauch“, Start: Sommer 2016:
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Jede Schule ist an ihrem guten Ruf interessiert. Welche Unterstützung und durch wen müssen Schulen erfahren, um souverän sexuellen Kindesmissbrauch zu thematisieren und böse Überraschungen zu verhindern? Ich empfehle, den fachlich anspruchsvollen Prozess der Schutzkonzeptentwicklung nicht allein zu gehen, sondern sich kompetente Hilfe zu holen. Das kann die regionale Fachberatungsstelle sein, aber auch ein schulberatendes Angebot wie der Schulpsychologische Dienst, der mit den schulischen Strukturen und meist auch mit Kinderschutzfragen sehr vertraut ist. Kinderschutz ist schließlich nicht das „Kerngeschäft“ von Schule. Ein fundiertes Schutzkonzept zeichnet Schulen aber aus. Jede Schule mit Schutzkonzept zeigt: Wir schauen nicht weg! Wir kümmern uns um den Kinderschutz! Davon profitiert letztlich der Ruf einer Schule – und nicht davon, dass man so tut, als ginge einen dieses Thema nichts an. Vorausgesetzt jede Schule hat ihr Schutzkonzept. Ist dann alles gut? Dann ist auf alle Fälle ein großer und wichtiger Schritt getan. Die Wirksamkeit muss sich aber im Alltag zeigen. Ist das Konzept beispielsweise allen bekannt, die es angeht, auch der Elternschaft? Und wie werden neue Kolleginnen und Kollegen in diesen Prozess mitgenommen? Welche Erfahrungen fließen in die Überarbeitung des Konzepts ein und wer ist dafür verantwortlich, dass das Thema nicht im Regal abgelegt wird? Für welche Risiken ist es nicht gelungen, präventive Antworten zu finden? Ich finde es wichtig, realistisch zu bleiben: Schutzkonzepte können Missbrauch nicht vollständig verhindern. Schutzkonzepte können aber die Gefahr verringern, dass Täter und Täterinnen ungehindert Zugriff auf Mädchen und Jungen haben. Und sie helfen den betroffenen Mädchen und Jungen, mit dieser Erfahrung nicht alleine zu bleiben. Täter gehen stets sehr planvoll vor. Wenn auch Prävention einen Plan hat, können Täterstrategien durchkreuzt und Lehrerinnen und Lehrer sowie pädagogische Fachkräfte zu wichtigen Schlüsselpersonen für betroffene Kinder werden. Das können schulische Schutzkonzepte leisten.
• I nformations- und Arbeitsmaterialien zur Unterstützung der Entwicklung eines schulischen Schutzkonzeptes • mit Begleitmaterialien online und in gedruckter Form • mit länderspezifischen Informationen und Angeboten • in Zusammenarbeit mit den Kultusbehörden der Bundesländer • Z ielgruppe: Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer sowie weitere pädagogische Fachkräfte in allen 33.000 Schulen • Erste Schutzpakete werden ab Schuljahresbeginn 2016/17 kostenfrei an Schulen versandt
Kontakt und Informationen: www.beauftragter-missbrauch.de www.kein-raum-missbrauch.de www.hilfeportal-missbrauch.de (mit Informationen für Fachkräfte und Datenbank mit Beratungsstellen vor Ort) Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800-2255530 (kostenfrei und anonym; berät auch Fachkräfte zu Prävention und Intervention)
Im Interview mit Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Kartell des Schweigens? 2016 B&E 1|
Zu schlimm, um wahr zu sein Frank Schmidt-Wyk
Ein halbes Jahr nach der Aufregung um angebliche sexuelle Übergriffe unter Kindern an einer Mainzer Kita ist vom vermeintlichen Skandal nichts mehr übrig. Es gibt keine Schuldigen, sondern nur Opfer – darunter auch die Erzieherinnen. Wann und wie die Geschichte beginnt, kann immer noch niemand sagen, jedenfalls ist sie am 10. Juni 2015 in der Welt, als die Medien erstmals berichten. Sofort gibt es kein Halten mehr. Von der „Horror-Kita“ ist die Rede, der „Skandal-Kita“, Menschen in ganz Deutschland sind geschockt: Wie können sich Kinder so etwas antun? Wie konnte es vor den Augen der Erzieherinnen geschehen? Die Kindertagesstätte Maria Königin im Mainzer Stadtteil Weisenau, gleich neben der Kirche: Über Monate sollen sich hier Drei- bis Sechsjährige täglich sexuell gequält haben, auf eine Weise, die man Kindern kaum zutrauen würde. Angeblich schlugen sie sich gegenseitig auf entblößte Geschlechtsteile, steckten sich Gegenstände in den Po, pinkelten in die Puppenecke. Man muss diese Einzelheiten erwähnen, um zu verstehen, worum es geht, um auch die Aufregung zu verstehen, die aus diesen Schilderungen resultiert. Denn darum handelt es sich: nicht um Beobachtungen, sondern um Schilderungen. Sie stammen von alarmierten Eltern. Außer den Kindern scheint es keine Augenzeugen der Vorkommnisse zu geben. Leiterin der Einrichtung ist eine erfahrene 53-jährige Pädagogin, seit 32 Jahren arbeitet sie für die Trägerin, die Weisenauer Pfarrei Mariä Königin. Nie ließ sie sich etwas zuschulden kommen. Ihr Team besteht aus einem männlichen und fünf weiblichen Erziehern. Hat niemand von ihnen mitbekommen, was in der Kita los war?
Die Mitarbeiter hätten offenbar von den Zuständen gewusst, aber ein „Kartell des Schweigens“ gebildet. Das sind die Worte des Generalvikars vom Bistum Mainz, als er am 11. Juni vor die Presse tritt und verkündet: Dem gesamten pädagogischen Team der Kita wird fristlos gekündigt. Der Generalvikar wirkt erschüttert, bittet die Eltern um Verzeihung. Die sechs Mitarbeiterinnen und ihr männlicher Kollege erfahren aus der Presse von ihrer Entlassung. Die Kita war schon am 2. Juni geschlossen worden, gleich nachdem Personal sowie Pfarrei bei einem Elternabend am 1. Juni über den vollen Umfang der Vorwürfe informiert worden waren. Eine Kindertagesstätte schließt man nicht auf einen vagen Verdacht hin. „Einzelne Hinweise von Kindern, die wir im Gespräch mit Eltern erfahren haben, haben wir nicht richtig gedeutet“, heißt es in einem Brief an die Eltern vom 5. Juni, unterschrieben vom Pfarrer und von einem Vertreter des Verwaltungsrates der Pfarrei. Auch dieser Satz steht da: „Über das Ausmaß sind wir zutiefst bestürzt und beschämt!“ Die Staatsanwaltschaft wurde vom Bistum aber erst eingeschaltet, als die ersten Medienberichte online waren. Unheilvolle Vokabeln sind in der Welt. Von „Täterkindern“ und von „Opferkindern“ ist die Rede. Als ob eine absurde Einteilung in „Gut“ und „Böse“ erklären könnte, was in Weisenau passiert sein soll. Außerdem: Kinder können keine Täter sein, schon gar nicht im strafrechtlichen Sinn. Die Staatsanwaltschaft ist bemüht, gleich klarzustellen: Die Ermittlungen werden nicht gegen Kinder geführt, sondern gegen die Erzieherinnen und den Erzieher, wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht, der fahrlässigen Körperverletzung sowie unterlassener Hilfeleistung. In der Kita Maria Königin gibt es einen totalen Bruch. Erst im Frühjahr 2016 soll es hier weitergehen. Von einem „pädagogischen und baulichen Neuanfang“ spricht das Landesjugendamt. Das Bistum kündigt einen Umbau an: Heller sollen die Räume werden, freundlicher. Auch offener, besser zu überblicken.
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Bildungspraxis
Keine Schuldigen, 14
Während hinter den Kulissen die strafrechtliche Aufarbeitung läuft, wehren sich die ehemalige Kita-Leiterin und die fünf Erzieherinnen vor dem Arbeitsgericht gegen ihre fristlose Kündigung. Am 7. Juli kommt es zu einem ersten Gerichtstermin, das Medieninteresse ist groß. „Es geht um meinen Ruf, ich habe mir nichts vorzuwerfen“, sagt eine Erzieherin. Der Rechtsanwalt des Bistums kreidet den Frauen pädagogisches Versagen an. Er spricht nicht von einem Verdacht, sondern von Taten. Sein Hauptargument: „Die Aussagen der Eltern haben ein hohes Glaubw ürdigkeitspotenzial.“
Besonders aussagekräftig ist der Absschlussbericht der Polizeibeamtin, die für die Vernehmung der Kinder zuständig war. Sie ist studierte Psychologin, hat viel Erfahrung mit der Befragung von Kindern, auch das nötige Feingefühl. Was sie sagt, hat Hand und Fuß. Sie sagt: Die Kinder haben der Polizei nichts erzählt von Quälereien oder Misshandlungen in der Kita. Zu einer Reporterin des „Zeitmagazins“ wird sie deutlicher: Die Mutter, die als erstes von besorgniserregenden Zuständen gesprochen und damit eine Lawine ausgelöst hatte, habe „das in ihre Kinder hineingeredet“.
Die Fronten sind verhärtet. Das Kita-Personal fordert volle Rehabilitation, das Bistum gibt keinen Millimeter nach. Die Verfahren ziehen sich in die Länge. Am 03. August platzt dem Rechtsanwalt der Erzieherinnen der Kragen: „Alles heiße Luft“ schimpft er und erwähnt die Wormser Prozesse vor dem Mainzer Landgericht 1993 bis 1997. Das weckt schlimme Erinnerungen. Damals waren 25 Personen des Missbrauchs von Kindern angeklagt, alle wurden freigesprochen – bis auf eine 70-jährige Großmutter. Sie starb in Untersuchungshaft. Erst im Gerichtssaal stellte sich heraus: Die Anklage fußte auf der fehlerhaften Befragung von Kindern.
In Gesprächen der Eltern untereinander schaukelte sich die Sache offenbar hoch. Die Weisenauer Mutter eines Fünf jährigen fragte ihren Sohn, ob es stimme, was sie gehört habe, dass er seinen nackten Popo habe vorzeigen müssen? Der Kleine nickte.
Das Gespenst von Worms – am 24. November nimmt es wirklich Gestalt an. An diesem Tag berichtet die Staatsanwaltschaft über den vorläufigen Abschluss der Ermittlungen. Verhört wurden 32 Kinder, 30 von ihnen per Video, außerdem 35 Mütter, Väter und weitere Bezugspersonen der Kinder sowie zehn sonstige Zeugen, darunter ehemalige Kita-Mitarbeiter. Auch Kinderärzte und Rechtsmediziner wurden hinzugezogen. Die Akten umfassen mehr als 2.000 Seiten. Fazit: Die Vorwürfe haben sich nicht bestätigt.
Andere Eltern, die ihre Kinder auf ernstere Vorfälle ansprachen, dürften es ähnlich gemacht haben wie die Mutter. Besorgte Eltern fragen nun mal so, niemand kann ihnen deshalb einen Vorwurf machen. Niemand kann erwarten, dass sie Maßstäbe der Aussagepsychologie anwenden, wenn sie mit ihren Kindern reden. Nur: Es war das Bistum, das die Eltern aufgefordert hatte, mit den Kindern zu reden, alles aufzuschreiben, und diese Aussagen dann für bare Münze nahm, anstatt sie zu hinterfragen. Das Bistum klammert sich an einen letzten Strohhalm, teilt gleich am 24. November mit: Da die Ermittlungen nicht endgültig abgeschlossen seien, sei „eine abschließende Bewertung noch nicht möglich“. Der Generalvikar bleibt dabei: „Zum damaligen Zeitpunkt waren die Vorwürfe der Eltern glaubhaft.“ Tatsächlich steht das Bistum vor einem Scherbenhaufen. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass jetzt auch
nur noch Opfer 2014 B & E 3| noch herauskommt: Der Weisenauer Pfarrer wurde im Sommer ebenfalls beschuldigt, allerdings wurden die Ermittlungen rasch eingestellt. Darüber wurde nie etwas bekannt – bis jetzt. Maß die Kirche mit zweierlei Maß, indem sie ihre schützende Hand über den Geistlichen hielt, die Erzieherinnen aber der Öffentlichkeit zum Fraß vorwarf ? Das Bistum wiegelt ab: Die Vorwürfe gegen den Pfarrer seien nicht haltbar gewesen, das habe sich schon früh herausgestellt. Offenbar waren die Anschuldigen zu absurd. Doch warum kam das Bistum nicht auf die Idee, auch das geschilderte Schreckensszenario in der Kita auf Plausibilität zu überprüfen? In beiden Fällen gehen die Anschuldigungen auf dieselbe Mutter zurück. Eine Frau, die in ihrer Kindheit selbst Schlimmes erleiden musste und sich dafür rächen will. So soll sie es einer anderen Mutter freimütig erzählt haben. Am 2. Juni war das Bistum über die angeblichen Vorkommnisse in der Kita Maria Königin informiert worden, am 11. Juni trat der Generalvikar vor die Presse. In den Tagen dazwischen und auch danach scheint beim Bistum niemand inne gehalten, sich die Frage gestellt zu haben: Kann das alles überhaupt sein? Für dieses Verhalten gibt es nur eine plausible Erklärung: Panik. Offenbar wollten die Verantwortlichen nach den Skandalen der jüngeren Vergangenheit um jeden Preis erneute Schlagzeilen vermeiden, in denen die Wörter „katholische Kirche“, „Kinder“ und „sexueller Missbrauch“ vorkommen. Ein totales PR-Desas ter: Die Kirchenoberen wollten zeigen, wie sehr sie dazu gelernt haben, dass sie durchaus in der Lage sind, angesichts skandalöser Zustände in einer ihrer Einrichtungen hart durchzugreifen – und nun wird dieses harte Durchgreifen selbst zum Skandal. Die endgültige Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen steht kurz bevor, doch von einem Einlenken des Bistums ist nichts zu spüren. Auch wenn der Anwalt des Bistums seit Spätsommer vor dem Arbeitsgericht Rückzugsgefechte führt, nach dem von ihm formulierten Motto: In der Kita Maria Königin ging es drunter und drüber, deshalb waren die Kündigungen gerechtfertigt, selbst wenn man den Aspekt der sexuellen Gewalt ausblendet.
Die Erzieherinnen haben nie bestritten, mit den Zuständen in der Kita überfordert gewesen zu sein. Sexuelle Quälereien: nein, aber Aggressionen, Gewaltausbrüche unter den Kindern, ja, so etwas hat es wohl häufiger gegeben. Deshalb wandte sich das Team schon lange vor dem verhängnisvollen Elternabend am 1. Juni hilfesuchend an die Kirchengemeinde. Resultat: Ein Beratungsteam der Caritas kam ins Haus. Allerdings ging dieses Gespräch dann völlig unter im Wirbel um die „Skandal-Kita“. Inzwischen haben die Parteien in drei der sechs Verfahren vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich geschlossen. In zweien ergingen erstinstanzliche Urteile: Die Kündigungen sind unwirksam. Das Verfahren der früheren Kita-Leiterin läuft noch. Das Spießrutenlaufen, das am 10. Juni begann, ist noch lange nicht vorbei. Obwohl Erzieher in Deutschland händeringend gesucht werden, ist es für eine ehemalige Mitarbeiterin der „Horror-Kita“ fast aussichtslos, woanders einen vergleichbaren Job zu finden. Meistens werde sie auf ihre Bewerbungen hin nicht mal zu einem Gespräch eingeladen, erzählt eine der Frauen. Für die ehemalige Leiterin, die ihr gesamtes Berufs leben für die Kirche gearbeitet hat, kommt nur die Weiterbeschäftigung beim Bistum infrage. Dafür will sie weiter kämpfen. Ihr Anwalt sagt: Sie hat gute Chancen. Frank Schmidt-Wyk Allgemeine Zeitung Mainz
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Blickpunkt
Mit wem hat man es also zu tun? Welche Ziele haben die neuen Rechten? Und mit welchen Strategien verfolgen sie diese? Dafür lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Und zwar nicht, wie man zunächst vermuten könnte, auf Adolf Hitler und seine Schergen. In den 1920er-Jahren waren neben den Nationalsozialisten und revolutionären Kommunisten auch noch andere Kräfte eifrig dabei, die junge Weimarer Demokratie sturmreif zu schießen. Und eine dieser Gruppierungen, die heute unter dem Namen „Konservative Revolution“ bekannt ist, hatte bemerkenswerte Parallelen zu dem, was wir heute erleben. Nicht nur, dass ihre Protagonisten – Köpfe wie Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Edgar Julius Jung oder Carl Schmitt – betont bürgerlich auftraten und oftmals eine gezielte Abgrenzung zu Hitler betrieben, den sie mit seinen Braunhemden als primitiv empfanden. Das entspricht dem heutigen dauernd zu hörenden „Ich bin kein Nazi“. Vielmehr nutzten sie die fast identischen Argumentationsmuster wie ihre Wiedergänger heute.
Neue Demokratiefeinde von rechts Christoph Giesa
Die Aufklärung über Nazis und Neonazis schien lange Früchte zu tragen, rechtsextreme Gruppen wie die NPD bekamen in Deutschland lange keinen Fuß mehr auf den Boden. Die neue Gefahr von rechts ist allerdings umso größer – weil sie die alten Strategien unterläuft und im bürgerlichen Gewand daherkommt. Nein, bei Pegida und Co. marschieren tatsächlich nicht nur Nazis mit – ganz im Gegenteil. Die Rechtsextremen, wie man sie in den letzten Jahrzehnten kennengelernt hat – mit Glatze und Springerstiefeln – machen eine verschwindende Minderheit aus. Der alten Rechten wurde von einer neuen, bürgerlich auftretenden Rechten der Rang abgelaufen. Das stellt die Bildungsarbeit zum Thema Rechtsextremismus vor neue Herausforderungen, gelten doch die alten Regeln nicht mehr – und verfangen damit auch die alten Strategien nicht mehr.
Warnt Pegida vor der Islamisierung des Abendlands, war es damals wörtlich die Slawisierung desselben, vor dem man warnte. Warnen Sarrazin und AfD-Politiker heute vor dem Aussterben der Bio-Deutschen und der Gebildeten aufgrund der vergleichsweise niedrigen Geburtenraten im Vergleich zu Türken, Arabern und anderen Ausländern warnte Jung damals vor der Ausbreitung des „Polentums“, was dafür sorgen werde, dass es schon in den 1960er-Jahren keine Deutschen mehr geben werde. Auch wenn die skizzierten Untergangsszenarien nicht eintreten wollten, schert das keinen der Anhänger dieser Theorien. Die „Konservative Revolution“ ist bis heute Stichwortgeber für die neue Rechte. Und wie in den 1920ern sehen die neurechten Köpfe von heute ihre Aufgabe, bevor sie später einen autoritären, antiwestlichen, fremdenfeindlichen und homophoben Staat errichten können, in der Dekonstruktion der bestehenden Ordnung. Schon während der Weimarer Republik war die Rede von der „weibischen Demokratie“, die in ihrer mühsamen Kompromissfindung das Volk lähmt. Schon damals raunte man, die etablierte Politik sei nur Diener der Interessen fremder Mächte; man erinnere sich nur an die Dolchstoßlegende. Und schon damals wurden die etablierten Medien als Vasallen der Volksverräter geschmäht. Die Vorwürfe im Rahmen der Eurorettungspolitik, Exekutive, Legislative und Judikative hätten sich zum gemeinsamen Rechtsbruch verabredet; die Schmähungen der Medien, der vierten Gewalt, als Lügenpresse und die Behauptung, Deutschland sei nicht frei, knüpfen genau dort an.
2016 B&E 1| Dass der derzeitige Angriff verdeckt geschieht – verdeckter zumindest als damals –, dass sich die Angreifer als unterdrückte Opfer inszenieren – geknechtet von „Gutmenschen“, überzogen von „Meinungsterror“ und „Denkverboten“ – macht dabei durchaus Sinn. Als Angegriffener, so die Logik, hat man die Sympathien auf seiner Seite, wenn man sich wehrt. Noch dazu würde es dem Anliegen sogar eher schaden, wenn man sich öffentlich erklären und eine Gesellschaftsordnung nach neurechtem Vorbild fordern würde, was man sich ungefähr so vorstellen kann, wie das, was derzeit in Putins Russland zu beobachten ist. Noch, so ahnt man bei den neurechten Vordenkern, ist die Gesellschaft nicht reif für den offenen Angriff. Wer heute einen antidemokratischen Staat skizzieren würde, würde damit kaum etwas gewinnen. Der Trick, den man stattdessen anwendet, ist einfach: Man inszeniert sich selbst als Demokraten – obwohl man das genaue Gegenteil der Demokratie als Ziel hat. Man formuliert einen einheitlichen Volkswillen, den es in einer pluralistischen Gesellschaftsform niemals geben kann, und schimpft jeden, der sich gegen diesen stellt, als Volksverräter und Antidemokraten. „Wir sind das Volk“, die Parole der Montagsdemonstrationen von 1989, hat auch heute noch einen guten Klang. Zu Ende gedacht, ist sie allerdings nur in einer Diktatur legitim – in einer offenen Gesellschaft wie der unseren dagegen liegt ihr ein antidemokratischer Impuls zugrunde, der nicht nur sagt, wer das Volk ist, sondern auch, wen man nicht dazu zählt. Den Feind absolut zu setzen, um das Eigene zu bewahren, war einer der Leitgedanken Carl Schmitts. Und es ist genau das, was die neue Rechte heute wieder versucht. Der Feind sind dabei wir alle, die wir an die freiheitlich demokratische Grundordnung und die Geltung der Menschenrechte glauben. Zur Dekonstruktion einer Gesellschaftsordnung braucht man keine parlamentarischen Mehrheiten für die AfD und auch keine Pegida-Demonstrationen mit Hunderttausenden. Auch eine gut organisierte Minderheit kann den Diskurs vergiften, Themen kapern, den rechten Hass in die Mitte einsickern lassen. In guten Zeiten sind es allgemein akzeptierte Tabus, die diesem Versuch Grenzen setzen. Anstand und Rücksichtnahme etwa sind solche Tabus, die das gedeihliche Miteinander von Menschen garantieren. Es verwundert daher kaum, dass diejenigen, die die Gesellschaftsordnung an sich zum Wanken bringen wollen, sich an genau diesen abarbeiten. Und leider viel zu oft unbedachten Beifall dafür bekommen.
AfD, Pegida und Co, die nur die sichtbaren Arme der neuen Rechten sind, die sich inzwischen auch in Medien, Kirchen und anderswo im vorpolitischen Raum festgesetzt hat, kämpfen dabei nur vordergründig gegen Tabus an sich. Ihnen geht es am Ende noch nicht einmal um weniger Tabus, wie deutlich wird, wenn man die einschlägigen Schriften liest. AfD-Mann Gauland etwa stellte in der Vergangenheit fest, die konservative Reaktion müsse „mehr Tabus und Dogmen“ haben. Noch klarer formulierte es der neurechte Deutungspapst Karlheinz Weißmann: „Es geht nur darum, dass die richtigen Leute mit den richtigen Vorstellungen die Tabus setzen“. Und er schob dann auch nach, wen er damit meinte, nämlich ihn selbst und seine Mitstreiter. Die Angreifer von rechts brauchen den Zusammenbruch der bestehenden Ordnung, um eine Chance zu haben, ihre menschenfeindliche Ideologie umzusetzen. Der immer wieder herbeigeredete – und gesehnte – große Knall, der Glaube an so etwas, wie ein reinigendes Gewitter, nach dem alles besser ist, ist dabei ein Irrglaube, der nur reüssieren kann, weil die Erinnerung an zwei große Kriege verschwindet. Auch 1914 herrschte eine solche revolutionäre Stimmung, die den meisten im Schützengraben schnell verging. Die manchmal quälend langsame Demokratie mit all ihren Schwächen befriedigt vielleicht nicht den Wunsch nach einfachen Antworten und einem abenteuerlichen Leben. Sie garantiert aber seit inzwischen sieben Jahrzehnten Wohlstand und Frieden. So einfach sollte man sich das nicht von rechts dekonstruieren lassen. Das sagt sich allerdings einfacher, als es ist. Den neuen Rechten mit aufklärerischer Arbeit den Boden für ihr Tun zu entziehen, ist eine deutlich größere Herausforderung, als der Kampf gegen stumpfe Neonazis. Die neue Rechte ist auch eine intelligentere Rechte, die genau weiß, wie sie ihren Hass auf Demokratie und Minderheiten so umschreibt, dass er für viele Menschen in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig wird. Den Schulen wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Denn das Thema wird uns noch eine lange Zeit beschäftigen.
Christoph Giesa lebt und arbeitet als Autor in Hamburg. Zuletzt erschien – genau einen Tag nach Heidenau – im Hanser-Verlag sein Buch „Gefährliche Bürger – Die neue Rechte greift nach der Mitte“. www.christophgiesa.de
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Im Bund und über Grenzen
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Im Mittelpunkt steht der Lehrerberuf Internationaler Bildungsgipfel in Berlin
Der sechste „International Summit on the Teaching Profession“ (ISTP) findet am 03. und 04. März 2016 in Berlin statt und wird von der OECD, Education International (EI) und der Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet. Erwartet werden Bildungsminister und Bildungsgewerkschafter aus 24 Ländern sowie Wissenschaftler und Vertreter internationaler Organisationen. Die mehr als 400 Experten diskutieren über die aktuellen Herausforderungen vor denen Pädagoginnen und Pädagogen heute stehen. Die nationalen Gastgeber sind die Kultusministerkonferenz (KMK) sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Verband Bildung und Erziehung (VBE), beide Mitglieder in Education International. „Der VBE als nationaler Gastgeber setzt darauf, dass der ISTP in Berlin konstruktive Impulse für die Stärkung des Lehrerberufs entwickelt“, betonte VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. „Dieser supranationale soziale Dialog von Regierungen und Bildungsgewerkschaften kann ein wichtiges Instrument sein, im weltweiten Vergleich die Perspektiven des Lehrerberufs zu justieren und die nötigen Gelingensbedingungen verbindlich zu setzen. Entsprechend bringen wir unsere gewerkschaftliche Expertise ein. Die vorangegangenen fünf ISTP haben gezeigt, dass kein Land über Patentlösungen für die gute Schule verfügt, doch geht es im Kern immer darum, die Bildungschancen jedes Schülers von dessen sozialer Herkunft zu entkoppeln. Es wurde zugleich deutlich, dass die nötige staatliche Finanzierung der Bildungseinrichtungen kein Selbstläufer ist.“ Der VBE dringe darauf, dass der Staat alles tue, attraktive öffentliche Schulen anzubieten. Die staatlichen Schulen müssten so unterstützt werden, bekräftigte Udo Beckmann, dass sie im Wettbewerb mit den Privatschulen konkurrenzfähig bleiben könnten. Dies müsse Auswirkungen auf die Lehrerbildung, auf die Organisation der öffentlichen Schulen, auf die personelle, finanzielle und sächliche Ausstattung sowie auf die Lern- und FeedbackKultur an den staatlichen Schulen haben.
„Mehr Bildungsgerechtigkeit ist nur auf diesem Wege zu erreichen und nicht im Wege schleichender Privatisierung im Bildungsbereich“, unterstrich der VBE-Bundesvorsitzende. Der ISTP ist ein zweitägiger Bildungskongress, der gemeinsam von OECD, Education International und dem jeweiligen ausrichtenden Land (2011 und 2012 USA, 2013 Niederlande, 2014 Neuseeland, 2015 Kanada) veranstaltet wird. Der ISTP geht auf eine Initiative von Präsident Barack Obama im Zusammenhang mit bildungspolitischen Reformen der US-Bundesregierung vor dem Hintergrund unbefriedigender PISA-Ergebnisse zurück und fand 2011 erstmals in New York statt. Ursprünglich nur als einmalige Veranstaltung vorgesehen, entwickelte sich der Summit aufgrund des großen internationalen Interesses zu einer jährlichen Veranstaltung, die jeweils von einem OECD-Mitgliedsstaat ausgerichtet wird. www.istp2016.org
Neuer Leitfaden Datensicherheit zum Downloaden In Düsseldorf stellten am 19. November 2015 Udo Beckmann und Rolf Busch vom geschäftsführenden Vorstand des VBE den jüngsten trinationalen Leitfaden Datensicherheit für Lehrpersonen und Schulleitungen vor. „Schulen können aufgrund mittelalterlicher IT-Ausstattung keinen ausreichenden Schutz für die hochsensiblen Daten garantieren“, warnte Udo Beckmann. Da dies nicht nur in Deutschland ein Problem sei, habe der VBE gemeinsam mit den Partnerverbänden GÖD Österreich und LCH Schweiz einen Leitfaden Datensicherheit entwickelt. Rolf Busch betonte, es sei ein Skandal, dass die Arbeitgeber Sicherheitslücken herunterspielen und auf die Kritik aus den Schulen nicht ernsthaft reagieren würden. „Der VBE fordert, jede Schule muss den ‚digitalen‘ Bildungs- und Erziehungsauftrag ausfüllen können.“ www.vbe.de/angebote/leitfaden-datensicherheit.html
VBE-Magazin 2016 B&E 1|
Note 3,6 für IT-Ausstattung der Schulen
von den Schulbehörden – , weichen Lehrer zwangsläufig auf ihre auch privat genutzten modernen Geräte aus“, so der VBE-Bundesvorsitzende. „Es handelt sich hier um hochsensible Daten. Datenlecks, Hacking oder unkonJeder zweite Lehrer würde gern im Unterricht digitale trollierter Zugriff können zu gravierenden Verletzungen Medien einsetzen. Allerdings mangelt es an der techder Persönlichkeitsrechte von Schülern, Eltern und Lehnischen Ausstattung der Schulen und an geeigneten Weirern führen. Das Problem wird sich noch verschärfen mit terbildungsangeboten. Aus diesem Grund fordert eine zunehmender schulischer Inklusion.“ Es sei vollkommen große Mehrheit der Lehrer ein stärkeres Engagement des inakzeptabel, dass von Lehrern erwartet werde, ihren Bundes bei der Entwicklung und Umsetzung einer Digidienstlichen Auftrag mit Privatgeräten zu erfüllen und talen Strategie für Schulen. Das ist das Ergebnis einer dabei das volle Risiko bei ihnen liege. Udo Beckmann repräsentativen Befragung von 505 Lehrkräften der bekräftigte die Forderung des VBE: „Den Lehrern muss Sekundarstufe I im Auftrag von VBE, Digitalverband Bitzur Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags die kom und der Karlsruher Messe Learntec, die Mitte Januar dafür notwendige Hard- und Software durch Arbeitgeber vorgestellt wurde. und Schulträger bereitgestellt werden.“ Dies dürfe auch www.vbe.de/presse/meinungsumfragen.html nicht Sponsoren überlassen werden. Die Befragung machte deutlich, dass die Lehrkräfte die Rechtssicherheit Die befragten Lehrkräfte gaben der IT-Ausstattung der als Schwachstelle sehen. Acht von zehn befragten Lehrern Schulen in der Sekundarstufe I die Note 3,6. VBE-Bundeswollen, dass die Rechtssicherheit beim Einsatz digitaler vorsitzender Udo Beckmann betonte, das „ausreichend“ Medien verbessert wird. Udo Beckmanns Fazit „Die Polisei eine klare Botschaft an die Länder und Schulträger, alle tik wird nicht müde, die Bedeutung von MedienkompeSchulen mit zeitgemäßer IT-Ausstattung zu versorgen und tenz für die heranwachsende Generation herauszustellen. mehr qualifizierte Fort- und Weiterbildung anzubieten. Schulen müssen endlich ganz oben auf die digitale Auch verwies Udo Beckmann auf „problematische Folgen Agenda gesetzt werden. Und diese Agenda muss gemeinfür die Schulen“. Immer noch habe nicht jeder Lehrer Zusam von Bund, Ländern und Kommunen umgesetzt wergang zu einem Dienst-PC und zu einer geschützten Dienstden.“ E-Mail-Adresse. „Da aber zugleich immer mehr Aufgaben auf digitalem Wege erledigt werden müssen – abgefordert
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Abstandsangaben; Abstandsangaben; Bitte einhalten (Bsp.: Titelbereich 6,61 – 5,06 / max. 2 Zeilen) Bitte einhalten (Bsp.: Titelbereich 6,61 – 5,06 / max. 2 Zeilen)
Titelbereich
6,61 5,06
Lehrer nutzen häufig private Geräte für schulische Zwecke 6,61 Lehrer nutzen häufig private Geräte für schulische Zwecke Titelbereich Für welche dieser Aufgaben verwenden Sie digitale Anwendungen z.B. auf dem Computer? 5,06
4,25 Inhaltsbereich
Für welche dieser Aufgaben verwenden Sie digitale Anwendungen z.B. auf dem
Notenverwaltung
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73%
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Notenverwaltung
Schülerverwaltung Inhaltsbereich
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Schülerverwaltung Digitales Klassenbuch
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Digitales Klassenbuch
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Stundenplanverwaltung
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Erledige ich mit digitalen Anwendungen Erledige ich auf einem Gerät, das ichErledige auch privat nutze ich mit digitalen Anwendungen
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Erstellung von Arbeitsblättern
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13 Basis: Alle befragten Lehrer (n=505) | Mehrfachnennungen möglich
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13 Basis: Alle befragten Lehrer (n=505) | Mehrfachnennungen möglich
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Schülerbewertung
Prüfung von Schülerarbeiten auf Plagiate
73%
63%
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Inhaltsbereich
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VBE in den Ländern
Neues aus den 20
Hamburg
Baden-Württemberg
Bildung statt Böller Könnte man die Beträge, die zu Silvester am Himmel verpulvert werden, zusätzlich für die Bildung von Kindern und Jugendlichen ausgeben, würde so manchem Schüler eine Erleuchtung kommen. Noch immer fehlten an den Schulen Stunden für Stütz- und Fördermaßnahmen, bemängelt der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg. Und nicht nur Flüchtlingskinder hätten dringend mehr Unterstützung nötig, sondern auch die Schüler, die sich als die Verlierer im Bildungssystem fühlten, weil ihnen die Eltern keine Nachhilfestunden finanzieren könnten. „Die Abschaffung der Versetzungsentscheidung mache Schüler nicht schlauer“, so der VBE-Sprecher. www.vbe-bw.de Bayern
Inklusion – es fehlt an Personal, Zeit und Geld Rund fünf Jahre nach der Ratifizierung der UN-Konvention zur Inklusion an Schulen sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung noch immer mangelhaft – auch an Bayerns Schulen. Im Freistaat leben derzeit etwa 70.000 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. „Nicht alle sollen und müssen die Regelschule besuchen, aber für die, die es möchten, muss es gute Bedingungen geben“, erklärte die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, anlässlich des „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung“. Gute Bedingungen bräuchten vor allem auch die Schulen, in denen Kinder mit Behinderungen unterrichtet werden sollen. „Leider sind Lehrkräfte oft in der Situation, betroffene Mädchen und Jungen in Regelklassen zu integrieren, ohne entsprechende personelle Unterstützung und ohne entsprechende fachliche Ausbildung. Noch immer fehlt es an Personal, Geld und Zeit.“ Daher sei auch die Einstellung vieler Lehrkräfte zur Inklusion in Bayern durchwachsen: „Die meisten sprechen sich zwar für eine Umsetzung aus und versuchen sie mit großem Engagement zu realisieren, gleichzeitig fühlen sie sich aber mit der Aufgabe allein gelassen. Sie prangern an, dass erfolgreiche Inklusion ohne angemessene Rahmenbedingungen nicht möglich ist“, sagte Fleischmann. www.bllv.de
Bildungsstandards zur Disposition gestellt Mit Befremden haben die Lehrergewerkschaften Hamburgs die Äußerungen von Bundesinnenminister de Maizière zum Umgang mit Ausbildungsstandards in Schule und Beruf vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle zur Kenntnis genommen. Der Minister hatte geäußert, dass Deutschland aufgrund der Flüchtlingsströme kaum an den Bildungsund Ausbildungsstandards festhalten könne und temporär improvisieren müsse. Die Lehrergewerkschaften Hamburg stellen dazu fest, • dass eine Absenkung der Bildungs- und Ausbildungsstandards auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise den Betroffenen nicht vermittelbar ist und gesellschaftlich kontraproduktiv ist und • dass über Jahrzehnte im Bildungsbereich und gesellschaftlich um diese Standards gerungen worden ist und dass eine Abkehr von diesen nicht hinnehmbar ist, da dies – allemal mit der Begründung des Innenminis ters – einer Diskriminierung gleichkommen würde, und • dass die in der Schule vermittelten Prinzipien von Gleichberechtigung und Rechtsstaatlichkeit ebenfalls mit zur Dispositionsmasse werden, und • dass vom Gesetzgeber erlassene Verordnungen und Gesetze keine Dispositionsmasse darstellen. Durch die teilweise Außer-Kraft-Setzung von Einreiseregelungen und Baurecht ist das Rechtssystem sowieso stark belastet. www.dl-hamburg.de Hessen
Schuhgröße ist kein Maßstab für Lehrerbesoldung
Bis heute verdienen Grundschullehrer deutlich schlechter als Studienräte an Gymnasien. Dagegen setzt sich der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Hessen mit einer neuerlichen Kampagne zur Wehr. „Die Arbeit aller Lehrkräfte ist natürlich nicht gleichartig, aber gleichwertig. Alle Lehrer sind Lehrer“, betont VBE-Landesvorsitzender Stefan Wesselmann und fügt hinzu, dass auch niemand auf die Idee käme, einen Kinderarzt schlechter zu bezahlen, nur weil seine Patienten kleiner seien. Gestützt wird die Auffassung des VBE Hessen durch ein Gutachten von Prof. Dr. Christoph Gusy, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld, das der renommierte Wissenschaftler 2011 im Auftrag des VBEDachverbandes erstellt hat. In seiner unter dem Titel
Landesverbänden 20164 B & E 13| „Gleiche Lehrerbesoldung als Verfassungsauftrag“ Rheinland-Pfalz erschienenen Expertise kommt der Staatsrechtler zu dem Ergebnis, dass eine unterschiedliche Besoldung der Lehrer „begründungsbedürftig“ sei, eine Gleichbehandlung dagegen nicht. www.vbe-hessen.de „Ohne Zweifel ist die soziale Integration der Schlüssel Niedersachsen für eine gelingende Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in unserem Land. Integration ist die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Wurzeln.
Integration ist der Schlüssel für ein friedliches Zusammenleben
VBE erwartet Neujustierung der gesamten Lehrerarbeitszeit!
„Der VBE begrüßt die Ankündigung der Kultusministerin endlich mit den Berufsorganisationen in einen Dialog über die Überbeanspruchung der an Niedersachsens Schulen Tätigen einzutreten. Die höchstrichterlichen Urteile verlangen insgesamt eine Neujustierung der unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Beanspruchungen. Zusammen dürfen diese die jährliche Arbeitszeit, die für Beamte gilt, nicht überschreiten.“ Mit diesen Worten reagiert VBE-Landesvorsitzende Gitta FrankeZöllmer auf eine Presseerklärung von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt. Die Abhebung auf Verwaltungsaufgaben greift zu kurz. Ein großer Teil ist die Folge der Auflösung der Bezirksregierungen und der Einsparung von Verwaltungspersonal. www.vbe-nds.de
Diese Integration fängt für Kinder und Jugendliche in der Schule an. Deshalb fordert der VBE Rheinland-Pfalz den massiven Ausbau entsprechender pädagogischer Programme und nicht nur der Sprachförderung.“ Dies sagte in Mainz der Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen Lehrergewerkschaft VBE, Gerhard Bold, zu den aktuellen Fragen um pädagogische Integration von Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien. Gerhard Bold: „Unsere Forderung nach einem Ausbau der pädagogischen Programme zielt zuerst auf eine bessere Sprachförderung. Aber es geht um mehr. Integration bedeutet auch das Erlernen und Einüben unserer gesellschaftlichen Grundregeln.“ www.vbe-rp.de Saarland
SLLV fordert attraktive Mein Kampf – Arbeitsverhältnisse zur Bildungsliteratur ist das nicht Deckung des Lehrerbedarfs Nordrhein-Westfalen
Aus Anlass der jetzt veröffentlichten kommentierten Neuauflage von Hitlers „Mein Kampf“ erklärt Udo Beckmann, Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung NRW: „Der Holocaust und die NS-Zeit sind ein fester Bestandteil des Lehrplans. Dazu kann es auch gehören, Auszüge aus Hitlers Hetzschrift im Unterricht als Quelle zu nutzen, ebenso wie auch aktuelle Veröffentlichungen von Neonazis.
Die kritisch kommentierte Veröffentlichung biete auch mit Blick auf das Thema Rechtsradikalismus in Deutschland die Chance, Hitlers Machwerk zu entlarven. „Es ist ein furchtbares rassistisches Machwerk, in dem der Holocaust bereits angedacht wurde. Ein Pflichtlehrwerk in Schulen sollte es aber nicht sein, da setze ich auf die Profession der Lehrkräfte, die selbst in der Lage sind zu entscheiden, welche Literatur zu welchem Zeitpunkt für ihre Lerngruppe die richtige ist.“ www.vbe-nrw.de
Der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) unterstützt die Forderungen von Bildungsminis ter Commerçon, wegen des Flüchtlingszustroms weitere Lehrerinnen und Lehrer einzustellen. Er stellt in diesem Zusammenhang klar, dass es bereits jetzt nicht mehr für alle Schulformen gelingt, die dafür spezifisch ausgebildeten Pädagogen einzustellen. So müsse man sich mit Kandidaten aus anderen Schulformen behelfen, die zum Teil noch nicht voll ausgebildet sind. Diese Behelfslösung ist längerfristig nicht tragbar. „Für die speziellen Anforderungen der einzelnen Schulformen brauchen wir die für die jeweiligen Schulformen ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer“, so die Landesvorsitzende Lisa Brausch. www.sllv.de
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Raus aus der Lethargie!
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Leichter lernen: mit Bewegung und den richtigen Schulmöbeln Auf rund 86 Milliarden schätzen Forscher heute die Zahl der Zellen eines menschlichen Gehirns – bei Erwachsenen wie Kindern gleichermaßen. Dass Kinder viele Dinge noch nicht so können wie Erwachsene, hat also nichts mit der Zahl der Hirnzellen zu tun, sondern damit, wie diese untereinander vernetzt sind. Damit dies geschehen kann, müssen Kinder an ihrer Umwelt teilhaben. Dinge erforschen, ausprobieren, begreifen. Mit Menschen umgehen, Gefühle und Mitgefühl entwickeln. Lernen ist vom ersten Tag an ein aktiver Prozess. In der Schule ist das nicht anders – auch wenn es über viele Generationen anders praktiziert wurde: Nur still sitzen und dem Lehrer an der Tafel zuhören, das weiß man heute, ist weitaus ineffektiver als selbst aktiv zu werden und sein eigenes Lernen durch Neugier und Handlung voranzubringen. Aktiv lernen bedeutet dabei weit mehr als selbständig zu denken – Aktivität ist hier tatsächlich auch mit körperlicher Bewegung gleichzusetzen. So haben beispielsweise die Tübinger Psychologen Ulrike Cress und Hans-Christoph Nürk vor einiger Zeit herausgefunden, dass Kinder davon profitieren, wenn sie sich zu unterschiedlich große Zahlen entsprechend auf einer digitalen Tanzmatte bewegen. Ergebnis: Zweitklässler lernen so leichter den Zahlenstrahl und profitieren auch in weiteren mathematischen Teilbereichen. Was wir vom Gelernten im Gedächtnis behalten, hängt maßgeblich vom Grad unserer Aktivität ab. So behalten wir nach Erkenntnissen der Erziehungs- und Sportwissenschaftlerin Prof. Renate Zimmer 10 Prozent dessen im Gedächtnis, was wir
lediglich lesen, 20 Prozent von Gehörtem und 30 Prozent von Gesehenem – aber gut 90 Prozent von dem, was wir selbst tun. Auf der anderen Seite nimmt Inaktivität in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zu: Ende der 9. Klasse hat ein Kind heute rund 1200 Stunden in der Schule gesessen und weitere 1600 Stunden vor einem Bildschirm verbracht. Und Bewegung? „Die Erwachsenen wollen nur den Kopf in die Schule schicken, aber immer kommt das ganze Kind“, formuliert es Ilka Seidel von der Uni Karlsruhe. Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer wollen der kindlichen Lethargie mittlerweile entgegenwirken und setzen auf einen bewegten Unterricht. Auch deshalb, weil körperliche Aktivität ganz entscheidend dabei hilft, konzentrierter zu arbeiten und Aggressionen abzubauen. Besonders gut gelingt dies an Schulen, die mit Mobiliar nach dem original kvartet Konzept arbeiten. Dort schaffen handliche Dreieckstische und spezielle Stühle für alle Altersgruppen nicht nur für jede Menge Freiraum in ständig wechselnden Gruppensituationen – die Einrichtung macht es nämlich möglich, dass Klassenzimmer im Handumdrehen zu Bewegungsräumen werden. Drei Handgriffe, stapeln, jede Menge Platz! „Für viele Kollegien ist es wie ein Befreiungsschlag, mit den passenden Tischen und Stühlen endlich ihren Wunsch-Unterricht umsetzen zu können“, sagt Karsten Flensberg, Geschäftsführer von kamira Konzepteinrichtungen. Wie einfach sich bessere Arbeits- und Lernbedingungen schaffen lassen, wird hier erklärt: www.kamira.de
Flexibles Lernraumkonzept für modernen Unterricht Das auf dem Dreieckstisch basierende kvartet Konzept für multifunktionale Lernräume bietet nahezu unendliche Kombinationsmöglichkeiten für Klassen-, Kurs-, Gruppen- und Seminarräume.
Und mit unseren altersgerechten Stühlen wird für alle Schulformen und Jahrgangsstufen echtes Lernen auf Augenhöhe an einer einheitlichen Tischhöhe möglich!
www.kamira.de kamira Konzepteinrichtungen GmbH & Co KG Weberstr. 4, 48619 Heek • Info: 02568-93 493-92 • vertrieb@kamira.eu
Impressum
20164 B & E 13| Sachsen
Entgeltordnung-Lehrkräfte: Hinweise zur Beratung und Antragsmuster Lehrkräfte, deren Arbeitsverhältnis zum Freistaat Sachsen über den 31. Juli 2015 hinaus fortbesteht, sind zum 1. August 2015 in die Entgeltordnung Lehrkräfte (Anlage zum TV EntgO-L) übergeleitet, unter Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe und Stufen, für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit. Im Zuge der Überleitung in die Entgeltordnung Lehrkräfte fand eine Überprüfung und Neufeststellung der Eingruppierungen durch den Arbeitgeber nicht statt. Ergibt sich nach der Entgeltordnung Lehrkräfte eine Verbesserung, also eine höhere Entgeltgruppe, müssen die betreffenden Kolleginnen und Kollegen einen Antrag auf Eingruppierung in diese (höhere) Entgeltgruppe bzw. auf eine Angleichungszulage stellen. Für Beschäftigte, die ab 1.8.2015 neu eingestellt wurden, gilt die Tarifautomatik. www.slv-online.de Thüringen
Hortentscheidung: Antworten fehlen Mit Unzufriedenheit reagierte der tlv thüringer lehrerverband auf die Informationen über die Entscheidung des Koalitionsausschusses über die Zukunft der Thüringer Grundschulhorte. „Wir wissen jetzt zwar, dass der Modellversuch beendet wird“, so Rolf Busch, Landesvorsitzender des Verbands, „Aber das, was die Erzieher und Erzieherinnen wirklich umtreibt, ist weiterhin offen. In den vergangenen acht Jahren hatte der Modellversuch Grundschulhorte in kommunaler Trägerschaft dazu geführt, dass es in Thüringen zwei Arten von Horten gab. Jetzt wurde bekannt, dass der Versuch – anders als noch im Sommer verkündet – beendet wird und die derzeit bei den Kommunen beschäftigten Erzieherinnen wieder in den Dienst des Landes übernommen werden. Nach Ansicht des tlv-Landesvorsitzenden war zu erwarten, dass die nun gefallene Entscheidung nur ein Kompromiss sein kann. „Denn beide Varianten, sowohl die Trägerschaft durch das Land als auch die durch die Kommunen, haben Vor- und Nachteile.“ Um die Situation der Erzieher und Erzieherinnen auch unabhängig von der Entscheidung nachhaltig zu verbessern, entwickelte der Verband deshalb in Abstimmung mit Betroffenen einen Forderungskatalog mit fünf Hauptpunkten. www.tlv.de
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Redaktionsschluss für Heft 2/2016: 14. April 2016
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