A u s g abe 0 4- 06/20 2,8 0 Euro
Ausgabe April/Mai 17. Jahrgang / #158
mit T H EM EN B U C H cultur.zeit
VOM VIRUS VERWEHT Freiburg im Würgegriff der Corona-Krise
INNOVATIV Tinder-App für WG-Suche
KONFLIKTIV Stresspotenzial am Dietenbach
PLAKATIV Künstler aus der Region
Chilli Editorial
Solidarisch gegen das Virus Demokratie auf dem Prüfstand
Liebe Leserin & lieber Leser, Zeiten von physical distance so bald wie möglich eigentlich hätten die chillisten in dieser Ausgabe wieder mehr eingebunden wird. Und es ist völlig Grund zum Feiern gehabt – im April 2004 war die richtig, wenn etwa die Grünen von Horn Video- Ausgabe 1 des Freiburger Stadtmagazins erschiekonferenzen für Fachausschüsse oder auch – wie nen. Eigentlich. Aber seit Wochen ist niemand in Mannheim schon praktiziert – personell demehr in Feierlaune. Und auch uns hat die Corozimierte Ratssitzungen einfordern. na-Krise hart erwischt. Aber wir waren uns im Die Corona-Krise greift nicht nur die Wirtschaft, Team schnell einig, dass wir diese Ausgabe trotznicht nur die Psyche der Menschen, sie greift auch dem machen. Es ist die erste in der 16-jährigen die Grundpfeiler der Demokratie an. Die dürfen Geschichte ohne Kalender. Es ist die erste, die als nicht einstürzen. Am April-Mai-DoppelausgaEnde ist irgendwann be erscheint. Und es ist die Frage, was wichtiger eine, die gezeigt hat, wie ist: das Leben jedes Einsehr unsere Anzeigenzelnen oder eine starke kunden auch in solchen Volkswirtschaft, die geZeiten zu uns stehen. rade in solchen Krisen Deswegen veröffentliihren Wert allen Menchen wir erstmals eine schen offenbart – die Liste mit allen Unternehbeispiellosen Staatshilmen, die in dieser AusgaFoto: © Picture Alliance/Patrick Seeger/dpa fen sind nur ein Beispiel. be trotz widriger VerhältEine ganz schwere Entnisse geworben haben Die Freiheit, die bleibt: Mitglieder des Freiburger (Seite 6). „Gerade jetzt“, Barockorchesters spielen Beethovens Ode an die Freude scheidung. Noch geht die Stadtgesellschaft sagte mir einer, obwohl den in Berlin, in Stuttgart und auch im Freiburer geschlossene Showrooms hat. In der Krise ger Rathaus eingeschlagenen Weg solidarisch zeigt sich der Charakter. Wir sagen allen: Danke. mit. Ob das im Sommer auch noch so sein würde, Mein persönlicher Dank gilt unseren Mitarsteht indes zu bezweifeln. beiterinnen und Mitarbeitern. Auch sie haben Zweifellos war es unsere Aufgabe, die AuswirkunCharakter gezeigt, angepackt und notwendige gen der Krise aus sehr vielen Perspektiven zu reEntscheidungen mitgetragen. Schwere Entscheicherchieren, aber wir haben auch viele virenfreie dungen zu treffen, das kennt in diesen Wochen Geschichten im Blatt. Und wünschen trotzjeder. Solche hatte auch Oberbürgermeister dem anregende Lektüre. Martin Horn zu treffen – oft genug ohne die übBleiben Sie, bleibt uns gewogen. Und gesund. lichen demokratischen Abstimmungsprozesse. Und solidarisch. Es ist aber wichtig, dass der Gemeinderat auch in
Herzlichst, Ihr Lars Bargmann, Chefredakteur & die chillisten
april/mai 2020 CHILLI 3
Foto: © tln
Foto: © pixabay.com/Logga Wiggler
CHILLI INHALT
> 10-12 Lenkt durch die Krise:
> 40-43 BLÜTENPRACHT: Radtour ins Markgräflerland
BUSINESS
Oberbürgermeister Martin Horn
20
MIKROKOSMOS LOKHALLE
IN EIGENER SACHE EDITORIAL
Corona hat alles verändert ÄRGER AM DIETENBACH
3
Stadt und Sparkasse steuern auf einen Zielkonflikt zu
22-23
LOCH IN RATHAUSKASSE
24
FLORIAN SCHROEDER
Finanzbürgermeister kalkuliert die erwartbaren Verluste der Corona-Krise
MEHR KOLUMNEN
IN WARTESTELLUNG
25
CORONA-HILFE
26
ARBEITSPLÄTZE SICHERN
30
MESSEBRANCHE
30
HILFE IM AUSNAHMEZUSTAND
32
GASTKOLUMNE
7 16, 19, 59, 66
TITEL VIRUS-TAGE
10-12
So erleben Freiburger die CoronaPandemie: Elf Stimmen aus der Stadt. Vom OB über den Arzt bis zum SC-Profi
SZENE SELTEN RADLOS
Tops und Flops: Wie gut ist Freiburg für Fahrradfahrende?
14-15 16
WG-SWIPEN
Tinder für WGs: Vier Freiburger wollen die Zimmersuche revolutionieren DER LANGEWEILE TROTZEN
Spiele-Tipps für Quarantäne-Tage von zweien, die es wissen müssen
IMPRESSUM chilli – Das Freiburger Stadtmagazin chilli Freiburg GmbH
Paul-Ehrlich-Straße 13, 79106 Freiburg fon / Redaktion 0761-76 99 83-0 fon / Anzeigen 0761-76 99 83-70 www.chilli-freiburg.de
E-Mail für Online- / Printredaktion redaktion@chilli-freiburg.de
Geschäftsführerin (V.i.S.d.P.) Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de
Chefredaktion
Lars Bargmann (bar): bargmann@chilli-freiburg.de
Lektorat Beate Vogt
18
Heft Nr. 4/20 9. JaHrgaNg
S-Immo bilanziert stabil
Sparkasse und Volksbank verzeichnen Flutwelle an Liquiditätshilfeanträgen Der große Run auf die Kurzarbeit Millionenverluste für die FWTM Alles zu den Förderprogrammen
KARRIERE & CAMPUS „WIE EIN TSUNAMI“
34-39
Wie Uni und Schulen auf E-Learning umstellen / Pflegewissenschaft / Tipps & Tricks fürs Vorstellungs gespräch per Video
Redaktion
Till Neumann (tln): neumann@chilli-freiburg.de Philip Thomas (pt): philip.thomas@chilli-freiburg.de Stella Schewe (ste): schewe@chilli-freiburg.de Arwen Stock (ars) arwen.stock@lust-auf-regio.de
Anna Henschel, Sophie Radix
40-46
Radtour zur Kirschblüte/Reiseziel Israel
cultur.zeit GRAFITTI-WANDBILDER
48-49
Tom Brane, seine Murals, sein Leben KREATIV DURCH DIE KRISE
50
KÜNSTLER AUS DER REGION
52-57
MUSIKLOS IN FREIBURG?
58-61
KURIER ODER WURFPOST
62
Freiburger Programmkinos suchen alternative Lösungen
Skulpturen, Ölbilder und Co.: Vielfältige südbadische Kunstszene Musiker in Existenznot / Albumrelease Rehats / CD-Tipps
Buchtipp / Freiburger Buchhandel reagiert kreativ GEGEN DIE LANGEWEILE
63-65
Lesestoff: Bücherempfehlungen
Gastkolumnisten
Beilage
Grafik Simone Bednarek, Miriam Hinze, Julia Rumbach
Nächster Erscheinungstermin
Titel © Klaus Polkowski
Ein Unternehmen der
Bildagenturen iStock, pixabay, pexels,
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Florian Schroeder, Ralf Welteroth
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Anzeigenberatung
Autoren
LesesToff per Kurier
REISE & FREIZEIT
Kulturredaktion
Maria Schuchardt (mas): schuchardt@chilli-freiburg.de
Literatur
Bands und Kinos im ausnahmezusTand
Volle Ladung Kultur in der Regio
Anzeigenannahme per E-Mail
Erika Weisser (ewei): weisser@chilli-freiburg.de
Corona-Krise
Tom Brane: LeBen in WimmeLBiLdern
> 47-66 Diese Ausgabe ohne Termine:
Liliane Herzberg (herz) herzberg@chilli-freiburg.de
Michaela Moser (mos): moser@chilli-freiburg.de
Kunst
anzeigen@chilli-freiburg.de
Christoph Winter (Leitung), Marlene Schick, Malika Amar, Jennifer Leval, Maria Schuchardt, Giuliano Siegel
Erlebniswelt Karlsruhe 15. Juni 2020
Druck & Belichtung
Poppen & Ortmann KG, Freiburg
Druckunterlagenschluss Jeweils am 28. des Vormonats. Es gilt die Preisliste Nr. 11
APRIL/MAI 2020 CHILLI 5
Schwarzes Brett
Gaëlle Dietrich arbeitet bei der Freiburger Frauenrechtsorganisation Amica e.V., die am 7. März den Göttinger Friedenspreis verliehen bekommen hat. Weltweit helfen Partnerinnen des Vereins Frauen in Krisenregionen, geben ihnen eine Stimme und sensibilisieren für Frauenrechte. Die Arbeit ist nicht immer leicht und fühlt sich oft nach einem kleinen Tropfen im Ozean an, erzählt die 36-Jährige, ist aber umso wichtiger im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für das Empowerment von Frauen.
Foto: © herz
Empowerment für Frauen
„Das erste Projekt war 1993 ein Haus für traumatisierte Frauen in Tuzla in Bosnien, wo psychosoziale Begleitung angeboten wurde, mit Sozialarbeiterinnen und Ärztinnen. Wir arbeiten mit schon bestehenden Fraueninitiativen vor Ort und haben vier Projektreferentinnen aus Freiburg, die drei bis vier Mal im Jahr hinfahren und sehen, was sie da brauchen. Das Konzept von Amica findet auf drei Ebenen statt: Die individuelle Ebene, auf der die betroffenen Frauen unterstützt werden. Die Organisatorische, bei der es um die Stärkung der Partnerinnen durch Fundraising, Supervision oder Self Care geht. Und die Gesellschaftliche, auf der die rechtliche Lage für die Frauen verbessert wird. In den Ländern, in denen wir arbeiten, herrschen oft sehr schwere Bedingungen. In Libyen zum Beispiel arbeitet das Team unter extremem Stress, die hören immer wieder Schüsse und kriegen den ganzen Tag über von schweren Schicksalen erzählt. Da müssen unsere Partnerinnen lernen, sich selbst zu schüt-
zen, durch Self Care wie Yoga oder Reflexion. Außerdem trainieren sie, wie man Probleme erkennt und wie man sich selbst bei sekundären Traumata hilft, also ausgelöst von dem, was jeden Tag gehört und gesehen wird. Die betroffenen Frauen kommen nicht einfach so zu uns. Auf der einen Seite wissen sie oft nicht, dass sie psychologische Hilfe in Anspruch nehmen können, und dann wollen die Männer das oft auch nicht. Wir schaffen deshalb ein Weiterbildungsangebot wie Näh-, Englischoder Handyreparaturkurse. Wenn die Frauen dann bei uns im Zentrum sind, können sie Hilfe in Anspruch nehmen. Bei sexueller oder häuslicher Gewalt braucht es sehr viel Zeit und Vertrauen, damit sich die Betroffenen uns öffnen. Unsere Partnerinnen gehen aber auch aus den Zentren raus in Flüchtlingslager. Dort verteilen sie Hygiene-Kits, fangen dabei Gespräche an und laden zu Workshops ein. In denen werden die Frauen dafür sensibilisiert, wo ihre persönlichen Grenzen sind und was ein sexueller oder häuslicher Übergriff ist, bevor ihnen erklärt wird, wohin sie sich wenden können. Schwierig ist, dass wir oft das Gefühl haben, gegen Windmühlen zu kämpfen. Unsere Partnerinnen leisten wichtige Arbeit, aber es fühlt sich häufig an wie ein Tropfen im Ozean. Das zeigt uns immer wieder, dass es noch viel Arbeit und Anstrengung braucht für das Ziel, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Aber es gibt auch Erfolge, die erlebt werden dürfen, wie etwa ein tolles Feedback der Frauen.“ Aufgezeichnet von Liliane Herzberg
Unser besonderer Da nk in der K rise gilt diesen A nzeigenkunden Albert-Ludwigs-Universität Baden IT Baden-Württembergische Bank Badische Staatsbrauerei Rothaus Badischer Verlag Bäcker-Innung Freiburg – Südbaden Brauerei Ganter Brauerei Waldhaus Betriebsgesellschaft Karlsbau Freiburg Bundesagentur für Arbeit Freiburg Erzbischöfliches Ordinariat EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg 6 CHILLI April/Mai 2020
Freiburger Kommunalbauten Fürstenberg Brauerei Gemeinde Merzhausen Gudrun Sjödén Haller Architekten Haitz & Partner Haufe-Lexware HBM Hecht & Partner Hildebrandt Wohnservice Hochschule Macromedia Malteser Hilfsdienst Messmer foundation
Premium Automobile Freiburg S-Beteiligungsgesellschaft Sparkasse Freiburg-Nördlicher Breisgau Strabag Real Estate Studierendenwerk Freiburg TAXI Freiburg Universitätsklinikum Freiburg Volksbank Freiburg eG Vuković – Enemag Zentrum für Akutmedizin Herzlichst, Ihre chillisten
SCHWARZES BRETT
BLITZERALARM Foto: © Liliane Herzberg
NACHGEWÜRZT! FAKE NEWS ZU CORONA
Erinnern Sie sich noch an die Zeiten, als wir uns über 107 Lungenärzte aufgeregt haben, die behaupteten, das mit dem Stickoxid sei nur halb so schlimm? Das war lustig. Jetzt, in der Corona-Krise, haben wir es mit dem leibhaftigen Nachfolger zu tun: Dr. Wolfgang Wodarg, Ex-Chef des Gesunheitsamtes Flensburg und Ex-SPD-Bundestagsabgeordneter. Er behauptet Sachen wie: „Wenn man nicht testen würde, würden wir gar nicht merken, dass es eine Krise gibt.“ Das hat etwa den Erkenntnisgewinn von „Wenn man die Bettdecke über den Kopf zieht, merkt man gar nicht, dass die Küche brennt.“ Stimmt irgendwie, steigert aber nicht die Lebenserwartung. Dafür hat er nun gute Chancen, bald als Infektionsschutz-Berater ins Weiße Haus einzuziehen. Seine Argumentation besteht hauptsächlich darin, Argumente zu ignorieren. Er kann nicht erklären, welche Ursache die tausenden Toten haben, die jetzt täglich dazu kommen – die können ja nicht alle jeden Lebenswillen verloren haben, nur weil sie Videos von Xavier Naidoo gesehen haben. Die Süddeutsche riet gegen Fake News: „Durchatmen“. Ob das im Zusammenhang mit einer Lungenkrankheit der beste Tipp ist? Vielleicht lieber „Luft anhalten“ – also für die Verbreiter von Fake News. Es ist hingegen kein simples Mittel, um herauszufinden, ob man selbst infiziert ist. So steht es in einem Kettenbrief, der per Whatsapp und bei Facebook herumgeht: Wer zehn Sekunden die Luft anhalten könne, sei nicht infiziert. Das hieße ja, dass alle Morning-Show-Radiomoderatoren infiziert wären! Luft anhalten gilt auch für „Geistheiler“, die verbreiten, die Menschen in Wuhan seien nicht Covid-19 zum Opfer gefallen, sondern den 30.000 Funkmasten, die das 5G-Internet mit Mikrowellen verbreiten. Interessanterweise werden hierzulande solche Verschwörungstheorien genau dort am meisten geglaubt, wo absolut keine Gefahr besteht, durch mobiles Internet zu sterben: auf dem Land in Ost-Westfalen. Einmal musste sogar das Bundesgesundheitsministerium seine eigenen News zurücknehmen: Am 12. März hatte es vor Fake News gewarnt, die davor warnten, dass weitgehende Einschränkungen des öffentlichen Lebens bevorstünden. Zwei Tage später musste es sich von der eigenen Distanzierung distanzieren, weil genau das beschlossen wurde. Mein Vorschlag: In Zukunft sollen Fake News und Distanzierungen vom Bundes-Troll-Ministerium koordiniert werden. Dann haben wir auch einen neuen Job für Andi Scheuer!
Raser aufgepasst: An Freiburgs Straßen stehen gleich fünf neue Blitzer. An der Stefan-Meier-Straße, der Friedrichstraße, der Habsburgerstraße im Stadtteil Neuburg, an der Zähringer Straße und an der Hansjakobstraße in Littenweiler. In allen Bereichen darf nachts zwischen 22 und 6 Uhr nur Tempo 30 gefahren werden. Anwohner sollen durch die Blitzer besser geschützt werden. Also Fuß auf die Bremse – für ein solidarisches Miteinander. Unklar ist, ob auch Viren geblitzt werden können, wenn sie sich zu schnell ausbreiten. herz
CRIME CITY Endlich nicht mehr Erster: Freiburg ist den Titel der kriminellsten Stadt in Baden-Württemberg los. War ja langsam auch mal an der Zeit, schließlich trägt sie ihn seit 16 Jahren. 2200 Straftaten weniger im Vergleich zum Vorjahr gab es 2019. Die Zahl ist damit auf 22.560 Fälle zurückgegangen. Das sind glücklicherweise immer noch genug, um die Arbeitsplätze der Polizisten zu sichern. Die neuen traurigen Spitzenreiter sind BadenBaden und Mannheim. herz
Foto: © sandid/pixabay
HÜPFENDER NOTRUF
Florian Schroeder, Kabarettist, studierte in Freiburg, lebt in Berlin und vergibt die chilli-Schote am goldenen Band.
Foto: © Frank Eidel
Da konnten selbst die Müllheimer Polizisten nur staunen, als ihnen Anrufer meldeten: Im Industriegebiet steht ein Känguru am Straßenrand. Und was für eins. Nicht mal die Polizisten konnten es dingfest machen. Es entwischte und flüchtete in ein benachbartes Bürogebäude. Da konnte es vom „Marktleiter“ in einen Büro eingeschlossen werden. Erst dann brachte es sein Besitzer wieder nach Hause. Jetzt hat das Beuteltier wohl einiges zu erzählen von seinem Abenteuer in der großen weiten Welt. tln
APRIL/MAI 2020 CHILLI 7
TITEL MENSCHEN
VOM VIRUS VERWEHT SO ERLEBT FREIBURG DIE CORONA-KRISE von Liliane Herzberg, Till Neumann & Philip Thomas
O
b Ärztin, Abiturient oder Landwirt. Corona trifft alle. Die einen schieben Dauerschichten und kämpfen gegen die unsichtbare Gefahr. Die anderen stehen mit leeren Händen da und versuchen, ihre Existenz
zu retten. Das chilli hat elf Stimmen aus der Stadt gesammelt und gefragt: Wie erleben die Menschen ganz persönlich diese denkwürdigen Tage? Sie berichten von Schock, Anspannung und Sorgen. Aber auch von mehr Miteinander und großer Solidarität.
Trostlos im Frühjahr 2020: Verwaiste Gasse und Vorplätze zum fast verwaisten Freiburger Rathaus.
Foto: © iStock.com/bbsferrari
Martin Horn (35), Oberbürgermeister Freiburg
„DEUTLICHE WINDBÖEN“
Foto: © Stadt Freiburg
10 CHILLI APRIL/MAI 2020
„Was wir aktuell erleben, ist eine Ausnahmesituation, die es so seit dem Krieg noch nicht gegeben hat. Viele reden ja von der Ruhe vor dem Sturm, ich spüre deutliche Windböen. Jetzt müssen wir alles tun, damit uns das Sturmzentrum nicht voll erwischt. Der Verwaltungsstab und mein Team absolvieren ein Wahnsinnspensum. Die Stadtverwaltung arbeitet in kritischen Bereichen im Zweischichtbetrieb. Die Hälfte ist hier, die andere
im Home-Office. Ich bin den FreiburgerInnen dankbar, dass sie das Betretungsverbot zum allergrößten Teil mittragen und einhalten. Es gibt nur ganz wenige Bußgelder. Das soziale Engagement ist beeindruckend. Auch fürs Stadtjubiläum ist die Krise ein Tiefschlag, aber wir machen das Beste daraus. In 900 Jahren hat Freiburg schon andere Situationen durchgestanden. Ohne mein Team und meine Familie wäre diese Zeit für mich kaum schulterbar.“
TITEL MENSCHEN
Stephan Sigrist (67), Arzt, Koordinator der Abstrichstelle
PUFFER VOR DEN KRANKENHÄUSERN
Foto: © privat
„Anfänglich wollten an der Messe täglich 500 Leute einen Abstrich, die Wartezeiten betrugen teilweise bis zu sechs Stunden. Jeder, der meinte, einen Infizierten gesehen zu haben, war dort. Die Station war eine absolute Premiere, die Organisation musste schnell passieren, wir haben auch Fehler gemacht und daraus gelernt. Der erste Ansturm ist vorüber, aktuell sind es 50 bis
80 potenziell Erkrankte, die von bis zu drei medizinischen Fachangestellten sowie zwei Ärzten kartiert werden. Wir werden das Angebot nun in Fieber-Ambulanzen mit bis zu vier Ärzten und vier Fachangestellten für Tests bündeln und haben auch einen Fahrdienst, das Corona-Mobil, eingerichtet. Auch das ist ein Puffer, der dazu beiträgt, Krankenhäuser zu entlasten.“
Dominique Heintz (26), Fußballprofi
DEN BALL FLACH HALTEN
„Die gesamte Mannschaft bleibt gerade zu Hause. Wir stehen aber ständig in Verbindung, machen das Beste aus der Situation und halten uns derzeit zu Hause fit: Jeder hat vom Trainerteam Aufgaben für Läufe und Übungen bekommen. Ich gehe viel mit dem Hund joggen oder mach’ Krafttraining im Garten. Das ist ungewohnt, aber die Gesundheit geht vor. Sie ist das Wichtigste. Wir sind schließlich
Vorbilder und müssen da jetzt alle durch. Natürlich vermisse ich meine Familie, Freunde und vor vollen Rängen im Stadion aufzulaufen, aber darauf muss man derzeit eben verzichten. Auch, dass wir derzeit weniger Gehalt bekommen, ist für mich selbstverständlich. Ich hoffe, dass wir die Saison bald seriös zu Ende spielen können. Wenn alles wieder hochfährt, müssen wir bereit sein.“
Foto: © SC Freiburg
Aileen Haller (28), Studentin, organisiert Nachbarschaftshilfe
WICHTIGES ZEICHEN IN SCHWEREN ZEITEN
Foto: © privat
„Am 13. März habe ich eine Facebook-Gruppe für Nachbarschaftshilfe in Freiburg gegründet. Heute hat die Seite mehr als 2710 Mitglieder. Darauf vermitteln wir Helfer zu jenen, die zur Risikogruppe gehören, etwa für Einkaufsgänge. In der Gruppe gibt's viel mehr Menschen, die helfen wollen, als Hilfegesuche. Das freut mich sehr und ist ein wichtiges Zeichen für diese schweren
Zeiten. Wir leben in einer egoistischen Welt, und viele von uns haben verlernt, aus Nächstenliebe zu handeln. Auch die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass Solidarität besonders Fremden gegenüber oft an Grenzen stößt. Eine Krisensituation erfordert unseren Zusammenhalt, denn nur so können wir als gestärkte Gemeinschaft aus dieser Zeit gehen und wieder zueinanderfinden.“
Barry Azihuwa (17), Abiturient am Kepler-Gymnasium
„KEIN GERECHTES ABI“
„Am Anfang haben wir gejubelt, dass keine Schule ist. Aber es ist schon schlimm. Viele prognostizieren, dass das Abi nicht steigen wird – auch ich gehe davon aus. Wenn einer krank ist, wird die ganze Schule geschlossen. Wie soll das gehen? Ich fänd’s gut, wenn es keine Prüfungen gäbe. Viele meiner Kollegen auch. So sehr kann man den Schnitt nicht mehr verbessern. Wir können so nicht vorbereitet
werden, dann wären wir im Nachteil gegenüber anderen Jahrgängen. Das ist kein gerechtes Abitur. Wir wollten Lerngruppen machen, das geht jetzt nicht. Aktuell bekommen wir Arbeitsaufträge per Mail. So gut wie Frontalunterricht ist das nicht. Ich stehe meistens um 8 oder 9 Uhr auf, esse was und mache Sport. Für die Schule fange ich etwa um 12 Uhr an und arbeite so drei Stunden am Tag."
Foto: © privat
Carmelo Policicchio (60), Besitzer des Swamp
SOLIDARITÄT FÜR ALLE
Foto: © herz
„Das, was wir hier gerade erleben, ist nicht schön, aber es gibt Menschen, denen geht es noch bedeutend schlechter. Die Verlegerin meines letzten Buches hat eine Spendenaktion für mich gestartet, die relativ erfolgreich war. Das sollte eigentlich bis April laufen, aber sie hat schon nach einem Tag Ausmaße angenommen, die mir zu groß waren. Ich weiß nicht, ob das blöd ist, aber wenn ich sehe,
dass sich Hilfsorganisationen abstrampeln und bei mir kommt schon nach einem Tag so viel rein, dann finde ich das komisch. Ich habe null Einnahmen, aber mein Erspartes reicht zumindest für die nächsten ein bis zwei Monate. Aber Solidarität mir gegenüber, das finde ich schon wahnsinnig toll. Zu sehen, dass die Leute mögen, was ich tue, das ist ein schönes Zeichen und das rührt mich sehr.“ APRIL /MAI 2020 CHILLI 11
TITEL MENSCHEN
Michael Müller (49), Chefarzt im RKK Klinikum St. Josefskrankenhaus
„JEDEN RICHTIG BEHANDELN“
Foto: © RKK Klinikum
„In den täglichen Sitzungen des Krisenstabs planen wir die Versorgung vieler Patienten entsprechend der Hochrechnungen. Eigentlich haben wir elf Intensivbetten, jetzt sind es 37. Beatmungsgeräte sind weltweit ausverkauft, aber wir haben vorgesorgt. Die Hygiene halten wir hoch, es gibt strenge Regeln – für Mitarbeiter und Besucher. Das Schwierigste ist die Unsicherheit, was auf uns zukommt.
Aktuell haben wir zehn beatmete Patienten. Es gab auch schon Todesfälle. Hoffentlich bekommen wir nicht mehr Patienten als mit der Technik und dem Personal machbar ist. Wir haben eine Ethikbereitschaft, damit unser Personal Unterstützung bei schwierigen Entscheidungen hat. Total beeindruckend ist die Motivation der Mitarbeiter. Alle ziehen an einem Strang. Das ist extrem positiv.“
Claudius Dufner (33), Dekanatsjugendseelsorger
„WIR RÜCKEN ZUSAMMEN“
„Viele Kollegen machen Videogottesdienste. Mir ist der direkte Kontakt zu den Jugendlichen wichtig. Ich rufe sie an, frage, wie es ihnen geht. Wir reden über das Leben, nicht nur über Corona. Einmal im Monat treffen wir uns eigentlich im Cheers zum Stammtisch auf ein Bier. Das haben wir jetzt per Videochat gemacht. Am Sonntag habe ich statt eines Gottesdiensts einfach eine Stunde mit
den Jugendlichen per Skype geredet. Auch das war für mich eine Form Gottesdienst. Viele engagieren sich in der Nachbarschaftshilfe, das ist schön. Eine Gruppe im Rieselfeld hat sogar online einen Gottesdienst über Minecraft gefeiert. Der Glaube gibt Mut in diesen Zeiten. Das ist etwas Urchristliches. Durch das Kontaktverbot rücken wir näher zusammen. Auf Dauer funktioniert das aber nicht."
Foto: © Simone Richter
Marianne Nägele (58), Inhaberin der Zähringer-Apotheke
SCHUTZ, STRESS UND KUCHEN
Foto: © tln
„Die letzten Wochen waren mit viel Arbeit verbunden. Zu Beginn der Krise war die Anspannung hoch. Zum Glück haben wir von unseren Schreinermeistern Plexiglasscheiben aufgebaut bekommen. Somit fühlt sich das Team geschützt. Außerdem tragen wir Einmalhandschuhe, die wir mit Isopropanol desinfizieren. Innerhalb des Teams versuchen wir, genügend Abstand zu halten. Anfangs
waren diese Vorsichtsmaßnahmen gewöhnungsbedürftig, mittlerweile ist schon der Corona-Apotheken-Alltag eingekehrt. Wünschen würden wir uns, dass sich trotz Lieferengpässen kein Frust bei den Kunden aufbaut. Schöne Momente gehen in diesen Tagen vor allem auch von unseren Kunden und Freunden aus. Neben lobenden Worten erreichen uns Kuchen, die uns den Tag versüßen."
Arno Fünfgelt (55), Landwirt
VOM PRÜGELKNABEN ZUR WERTSCHÄTZUNG „Ich hab’ das Glück, dass meine Saisonarbeiter aus Polen zu 80 Prozent gekommen sind und ich auch viele Anfragen von Studenten oder sonstigen Leuten habe, die Zeit haben und helfen wollen. Ich bin da wirklich in einer glücklichen Lage. Von der Arbeit her ist es normal geblieben, nur für den Verkauf vom Spargel wird es Probleme geben, weil die Gastronomie wegfällt und weil der Hofverkauf auch
ein bisschen aufwendiger ist. Man muss Abstand halten und Sicherheitsmaßnahmen einhalten, aber ich bin zuversichtlich, dass ich da noch gut wegkomme. Vor einem halben Jahr war die Landwirtschaft ja im Fokus mit der „ProBiene“-Aktion, da waren wir ein bisschen die Prügelknaben, das ist eigentlich das Positive an der Krise, dass wir jetzt wieder ein bisschen mehr wertgeschätzt werden.“
Foto: © herz
Florian Wetter (39), Schauspieler und Leiter des Theaters „Die Immoralisten“
GROSSE ZEIT DER CHANCE
Foto: © Chris Meiser
12 CHILLI APRIL/MAI 2020
„Momentan ist eine Schockstarre eingetreten. Wir überlegen, wie es weitergeht, aber ich halte den 20. April als Endpunkt für illusorisch und wäre dankbar, irgendwas zu wissen. Finanziell sieht es ganz gut aus, wir müssen abwarten, was die Hilfemaßnahmen des Landes bringen. Hinzu kommt, dass viele Leute uns mit Spenden unterstützen. Wir sind gerührt, es ist toll, zu spüren, dass wir für
die Menschen wichtig sind und dass sie in dem Moment, wo es drauf ankommt, uns mit Gesten der Solidarität beistehen. Ich glaube, dass unsere Aufgabe nach der Krise kommt. Wir überlegen, was die Leute dann brauchen. Es wird um die großen Themen gehen, um die Frage nach Leben und Tod, dem Miteinander, nach Menschlichkeit. Es ist ja trotz allem eine große Zeit der Chance.“
Freiburg Mobilität
Tops und Flops
Wie fahrradfreundlich ist Freiburg? Rund 470 Kilometer lang ist das Freiburger Radnetz. Rund 3,5 Millionen Räder hat der Zähler an der Wiwili-Brücke 2019 erfasst. Dennoch will der „Fuß- und Radentscheid Freiburg” Stimmen sammeln für einen Bürgerentscheid. Das Rathaus soll mehr für die Verkehrswende tun. Die dauerradelnden chilli-Redakteure Philip Thomas und Till Neumann haben daher die Lupe ausgepackt. Hier ihre vier Tops und Flops der Radstadt Freiburg.
Fahrradstraßen Fahrrad first heißt es auf den rund 20 Freiburger Fahrradstraßen. Autos fahren hinterher. Sogar Nebeneinanderherreiten ist für Drahtesel ausdrücklich erlaubt. Für Pferdestärken heißt das höchstens Tempo 30. Top sind auch die sogenannten Pole Positions an Ampeln. Felder für Fahrradfahrer, die sich dort vor den Autos aufstellen können.
14 CHILLI April/Mai 2020
Ausgebremste Autos Königlich fühlt man sich als Radfahrer an der Kreuzung FR2 – Lehener Straße. Die Radvorrang-Route trifft da auf die gut befahrene Verbindung zwischen Arbeitsamt und Westarkaden. Seit April 2019 heißt es für Autofahrer: Stop, wenn Velos kommen. Und das funktioniert. Hinweisschilder und eine erhöhte Fahrbahn sprechen eine klare Sprache. Wer über den FR2 brettert, kommt hier locker durch, ohne anzuhalten. So geht Verkehrswende. Geliebte Leihräder Straßburg hat’s vorgemacht: Seit 2010 sind die quietschgrünen City Bikes „Velhop” dort allgegenwärtig. Freiburg hat sich lange geziert, ein flächendeckendes Leihsystem einzuführen. Seit Mai 2019 gibt es endlich die rot-weißen „Frelos”. Auch sie kommen an: Rund 20.000 Mal wurden sie Anfang 2020 pro Monat ausgeliehen. 30 Minuten kosten nur einen schlappen Euro. Studierende fahren die erste halbe Stunde sogar kostenlos. Fotos: © tln, pt, Pixabay
Vorrangrouten Was für PS-Junkies die A5, sind für Radler FR1 und FR2. Auf den zwei Radvorrangrouten cruist man quer durch Freiburg – garantiert staufrei. Auf dem FR1 geht’s zehn Kilometer entlang der Dreisam, ohne eine einzige Ampel. Auch der FR2 bietet Highway-Feeling: Wer in Haslach wohnt und am Güterbahnhof arbeitet, kommt in zehn Minuten von A nach B. Das schafft zu Stoßzeiten nicht mal Vettel im Ferrari. Übrigens: Der FR3 soll von Zähringen in das Vauban führen. Er wird ab Mai vorbereitet.
Parkplätze Wer zu Stoßzeiten in der City einen sicheren Parkplatz sucht, muss kreativ werden. Mal tut’s ein Baum, mal ein Geländer. Das Rathaus vermeldet dennoch: Mehr als 7000 Rad-Parkplätze gibt’s allein in der Innenstadt. Im Vergleich zu anderen Städten im Land sei das ein Spitzenplatz. Blockiert werden die beliebten Radbügel oft von ungenutzten Schrotträdern. Die kann man beim Umweltschutzamt melden. Räder in Straßenbahnen Nachts. Es regnet. Der Reifen ist platt. Für zwei Stationen in die fast leere Straßenbahn einsteigen? In Freiburg unmöglich. Freiburg ist die einzige Großstadt Baden-Württembergs, die Räder in Straßenbahnen kategorisch
verbietet. Die Begründung der VAG: Platzmangel, mangelnde Sicherheit und Verschmutzung durch ölige Ketten. Flop. Die Kreuzungen Uniklinik & Kilianstraße Der FR2 ist die Überholspur für zahlreiche Radler (siehe Tops). Brenzlige Stellen gibt es trotzdem: An der Ecke Uniklinik – Kilianstraße treffen Fußgänger, Radfahrer und Autos in einem undurchsichtigen Knoten aufeinander. Immerhin wäre ein Krankenwagen schnell zur Stelle. Im gesamten Stadtkreis Freiburg verzeich-
nete die Polizei im vergangenen Jahr 720 leichtsowie schwerverletzte Radfahrer und zwei Tote. Rot für Rechtsabbieger Kein Lebenszeichen beim neuen Verkehrszeichen, das Radfahrern erlaubt, auch bei roter Ampel rechts abzubiegen. Was in Paris, Straßburg, Basel, Colmar, Mulhouse oder Brüssel längst zum Stadtbild gehört, wird in der Fahrradstadt Freiburg schmerzlich vermisst. Beim Freiburger Garten- und Tiefbauamt verweist man auf fehlende Verwaltungsvorschriften und zeigt nach Berlin. Dort bemüht sich Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) um den „Grünpfeil“. Erste Tests dazu laufen schon.
Anzeige
Szene Technik
Tinder fürs Zimmer
Vier Freiburger wollen WG-Suche mit einer App revolutionieren
N
Foto: © Pexels/Pixabay
achrichtenflut, Absagen, unangenehme Castings: Die Suche nach einem WG-Zimmer ist oft mühselig. Vier Freiburger wollen das ändern. Sie tüfteln an einer App, die Suchende mit der passenden Wohngemeinschaft zusammenbringen soll. Vorbild ist eine Dating-App. Auf ein „Match“ folgt allerdings kein One-Night-Stand, sondern bestenfalls ein Mietvertrag. Im Juni 2017 hatte Annika Hübner ein WG-Zimmer in Freiburg gesucht. Fündig wurde die Lehramtsstudentin im August. „Ich habe insgesamt mehr als 30 Mails rausgeschickt und nur fünf Antworten bekommen“, erinnert sich die heute 26-Jährige. In dem Durcheinander habe sie kaum noch gewusst, welche Nachricht zu welcher Wohnung gehört. „Das war super anstrengend“, erzählt sie. Etwas Neues, Zeitgemäßes musste her: „Wir machen so viel To Go, da sollte es etwas für die Wohnungssuche geben.“ Die Idee für HelloWG war geboren. Die App funktioniert nach dem Tinder-Prinzip: Statt Körbchengröße und Bankkonto geben Wohngemeinschaften und Suchende an, wie gesprächig oder musikalisch sie sind. Wer beispielswiese auf Fleisch verzichtet, wolle laut Hübner eher mit Gleichgesinnten unter einem Dach wohnen: „Gerade in Freiburg wird oft nach den Essgewohnheiten gefragt.“
Wird „gematcht“, können sich beide Parteien per Knopfdruck auf einen Kennenlern-Kaffee verabreden. Platz für lange Textpassagen gibt es in der App nicht, stattdessen sollen skalierbare Punkte Auskunft über die Vorlieben und Abneigungen geben. „Das ist viel kürzer, so funktioniert alles auf einen Blick und ohne Mails“, so Hübner. Sie ist sich sicher: Der Aushang am Schwarzen Brett der Uni hat ausgedient. „Wir sehen uns als Visionäre, mit dem Ziel, Menschen zusammenzubringen, die miteinander wohnen wollen“, sagt sie. Dabei ist die Idee nicht neu. Schon mehrere Start-ups haben sich an der Idee, WG-Suche aufs Handy zu bringen, versucht. Bisher seien alle gescheitert: „Es gibt noch keine App, die funktioniert“, betont Hübner. Die kritische Phase nach der Gründung sei mittlerweile überwunden, das vierköpfige Team habe sich eingespielt, stecke nun in der Konzeptionsphase. Noch arbeiten alle unentgeltlich, später sollen die Firmenanteile aufgeteilt werden. Im Herbst will das Start-up einen ersten Prototyp vorstellen, 2021 soll die App online gehen. Die Corona-Quarantäne spiele dem Quartett dabei in die Karten: „Die Ausgangssperre kann als Chance zum Umdenken genutzt werden. Viele Leute fragen sich gerade, ob sie mit ihren Mitbewohnern wirklich glücklich sind.“
Philip Thomas
MEINE SORGEN Lernprozesse
So habe ich mir das Ende der Welt nicht vorgestellt. Statt postapokalyptischer Lagerfeuerromantik in einer verwaisten Wiehre-Villa mit offenen Türen und Toren gibt es in Freiburg noch mehr Absperrungen und Regeln. Rumknutschen, feiern, Oma besuchen – alles verboten. Zwar ist die medizinische Versorgung in der Stadt vergleichsweise gut, trotzdem wäre ich jetzt lieber woanders: Hier fehlen Nudeln und Klopapier. Im wenige Kilometer ent16 CHILLI April/Mai 2020
fernten Frankreich sind es Rotwein und Kondome. Wie gut sind die Grenzen nun eigentlich gesichert? Aber im Ernst: Ich habe mir für Krise, Kurzarbeit und Quarantäne vorgenommen, etwas Sinnvolles zu tun. Eine Sprache oder ein Instrument lernen, zum Beispiel. Oder wenigstens die kaputte Glühbirne im Kühlschrank wechseln. Aber mal ganz wirklich im Ernst: Ich werde nichts davon machen. Ich werde mir die Haare mit der Nagel-
schere schneiden, mein Körpergewicht in Chips verputzen und mehr Videospiele zocken, als das Internet zu bieten hat. Heute gibt’s dafür das Bundesverdienstkreuz. Früher hieß das Studium. Eines aber werde ich in der Krise tatsächlich lernen: Ich werde ehrlicher werden und mir selbst nicht mehr von all den Dingen erzählen können, die ich tun würde, wenn ich nur die Zeit hätte. Philip Thomas
Szene Freizeit
»Garantiert virenfrei« SpieleTipps für Quarantäne-Tage Högner: Hart. Wir dürfen nicht mehr aufmachen, nutzen die Zeit jetzt für Inventur, Umbau etc. Wegen der Corona-Situation bieten wir einen Online-Verkauf an: Es gibt jede Menge treue Kunden, die bestellen. In Freiburg liefern wir kostenlos.
Spiele-Cracks: Thomas Krohn und Florian Högner vom Freispiel.
Foto: © tln
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as tun bei Lagerkoller? Spielt, was das Zeug hält, raten Thomas Krohn und Florian Högner. Die Betreiber des Freiburger Spielecafés Freispiel geben im Interview mit Till Neumann Tipps für Familien, Pärchen und Einsiedlerkrebse. Auch Viren können so besiegt werden. chilli: Wie hat Corona euch getroffen? Anzeige
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chilli: Gibt es das perfekte Corona-Spiel? Krohn: Pandemic. Da wird die Welt von Seuchen befallen. Man muss sie vorm Untergang retten. Es ist hart, durchzukommen. Man braucht ein bisschen Glück. chilli: Gibt es sonst gute Virusspiele? Högner: Wir empfehlen den „Winter der Toten“. Da tritt man gegen Zombies an. Oder aber „Virus“, ein simples Kartenspiel. Man muss dabei seine Organe gesund halten. chilli: Was empfehlt ihr für Familien?
Krohn: „My City“. Das kam erst gestern rein. Da warten viele drauf. Jeder baut dabei seine eigene Stadt. Das ist absolut harmlos, familienfreundlich und garantiert virenfrei. chilli: Gibt’s auch was Romantisches für Pärchen? Högner: Wir legen euch „Blütenpracht“ ans Herz. Da muss man Blumen im Garten anpflanzen und ernten. Man kann immer neu entscheiden, ob man pflanzt oder erntet. chilli: Kann man Gesellschaftsspiele auch online zocken? Krohn: Jein. Per Skype gibt es schon Möglichkeiten. Aber oft muss jeder dasselbe Spiel haben. Gut funktioniert das Geschicklichkeitsspiel „Team 3“. Einer muss da ein Bauwerk errichten. Blind. Ein weiterer Spieler erklärt, was. Er bekommt das vom anderen pantomimisch gezeigt.
IN & OUT
Der mode- und verantwortungsbewusste Freiburger trägt diesen Frühling Atemmaske, Handschuhe und für die Kontrolle des Sicherheitsabstandes einen Zollstock – und zwar zu Hause. chilli-Trendchecker Philip Thomas hat den heimischen Flur zum Catwalk umfunktioniert und verrät, wie das Uniklinikum Engpässe umgeht und was Fridays for Future in der Quarantäne ausheckt.
IN
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Drucker
Foto: © Charité / Universitätsmedizin Berlin
Überall auf der Welt klagen Ärzte im Kampf gegen Corona über fehlende Schutz ausrüstung. Um des Problems Herr zu werden und seine Mitarbeiter vor Ansteckungen zu bewahren, setzt das Freiburger Uniklinikum auf Ausstattung Marke Eigenbau und druckt Visiere in der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik fortan selbst. Die Pläne für das Pilotprojekt am 3D-Drucker sind online frei verfügbar. „Wir müssen in der aktuellen Situation kreative Lösungen finden und interdisziplinär zusammenarbeiten“, so Benedikt Spies, Ärztlicher Direktor der Klinik. Plastikteile für Beatmungsgeräte könnten bald folgen.
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OUT
Demos
Foto: © Pixabay
Flugzeuge bleiben am Boden, Fabriken stehen still, Pendler bleiben zu Hause. Während Menschen überall auf der Welt im Vorbeigehen die Luft anhalten, atmet der Planet durch. So zeigen Satellitenaufnahmen eine deutliche Verbesserung der Luftqualität im östlichen China als Folge der Atemwegserkrankung Covid-19. Kein Grund zum Feiern, findet Fridays for Future Freiburg. Wegen des Versammlungsverbots nutzen die Aktivisten neue Kanäle und senden ihren Protest in quarantäneverträglichen Dosen via Radio. Sie ahnen: Nach der Corona-Krise ist vor der Umweltkatastrophe.
Business Coronakrise
Schock und Solidarität Wie Firmen und Start-ups die Krise meistern
Foto: © Nils Theurer
Trotzen der Krise: Eduard Dehgraf (links) und Jonas Lorscheid bringen den Messestand von Dikkes Wassar auf Kunden-Bildschirme.
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ie Lokhalle auf dem Güterbahnhof-Areal ist ein Mikrokosmos: Rund 80 A rbeitsplätze beheimaten Ost- und Westflügel. Dazu kommen die Start-ups im Kreativpark. Wie hat Corona dort eingeschlagen? Unternehmer berichten von Verlusten und Zusammenhalt. Ein Messestand. Ein Kunde. Eigentlich ein trauriges Bild. Doch für Jonas Lorscheid vom Start-up Dikkes Wassar ist das ein Weg aus der Krise: Der 28-Jährige filmt im Kreativpark mit Kollegen seinen Messestand. Beim simulierten Verkaufsgespräch auf der KreativparkBühne stellt er seinen Tomatenschnaps „Dikkes Wassar“ vor. Ziel ist, Kunden per Video zu bieten, was sonst auf einer Messe passiert. Das Ergebnis stellt Lorscheid auf die neue Seite www.community-freiburg.de. Sie soll Projekte zur Corona-Krise aus dem Kreativpark bündeln. Zu finden sind zum Beispiel „corona-feindliche Home-Office-Solutions“ oder „Graphic Recordings“ für virtuelle Meetings. Ins Leben gerufen hat er sie mit Robin Teuffel vom Start-up Image Media. Die Krise hat auch andere in der Lokhalle hart getroffen. Die Eventagentur 20 CHILLI April/Mai 2020
mehrpunkt berichtet von 250.000 Euro Einbußen. „Unerwartet und schmerzhaft“, sagt Geschäftsführer Nicolas Häbel. Alle aktuellen Projekte lägen auf Eis – bis zum Jahresende. „Zum Beispiel möchten Kunden jetzt noch keine Weihnachtsfeier buchen.“ Von heute auf morgen seien alle Mitarbeiter auf Homeoffice umgestiegen. Das klappe erstaunlich gut. „Zwischen Zweifel, Angst und Wut kommen auch Lichtblicke durch.“
Angst und Lichtblicke Auch bei der Firma Streit Service & Solution hat die Krise „voll durchgeschlagen“. Der Einrichter für Büro und Wohnbereiche kann den Verlust noch nicht genau beziffern. Versucht wird jetzt auf Home-Office-Ausstattungsangebote umzusteigen. Bei Investitionen herrsche, so Business-Unit-Inhouse-Leiter Clemens Imber,„gedämpfter Trommelklang“. Gebeutelt ist auch der Architekt Mathias Haller. Die Liste der gestoppten Projekte ist lang. Im Raum stehen „Kurzarbeit oder gar Mitarbeiterentlassungen“. Dringendster Wunsch ist
eine klare Aussage über die Übernahme von Sozialabgaben, Gehältern und Steuerzahlungen. Doch Haller spürt auch Begeisterung, „dass fast alle den Fokus auf das Wesentliche legen“. Beifall bekommt sonst auch das Aktionstheater Panoptikum. Doch jetzt wackelt vieles: Ein Kooperationsprojekt mit Tänzern aus Russland und dem Sinfonieorchester Crescendo ist gestoppt. Auch Auftritte in Mexiko oder beim Stadtjubiläum sind unsicher. 65 Prozent des Jahresumsatzes seien verloren. Ein Ende nicht absehbar. Doch auch hier gibt’s neue Ansätze: Eine digitale Kreativplattform hat das Team von Matthias Rettner ins Leben gerufen. Beteiligt sind bisher 40 Personen aus zwölf Ländern. Auch Jonas Lorscheid von Dikkes Wassar verbucht Erfolge. Sein Messestandvideo hat zwölf neue Kunden an Bord geholt. Das sei weniger als sonst, aber immerhin. Auch die Community im Kreativpark wachse zusammen. Nicolas Häbel bestätigt, dass der Zusammenhalt groß ist. „Man spürt, dass alle in einem Boot sitzen. Wenn wir untergehen, dann gemeinsam.“ Außer man sei Amazon und verkaufe das Boot. Till Neumann
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April /Mai 2020 CHILLI 21
WIRTSCHAFT STADTENTWICKLUNG
TAKTISCHES TAUZIEHEN AM DIETENBACH
WARUM RATHAUS UND SPARKASSE AUF EINEN KONFLIKT ZUSTEUERN
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er neue Stadtteil Dietenbach wird nach aktuellen Berechnungen 850 Millionen Euro kosten. Ursprünglich waren 613 veranschlagt. 750 Millionen sollen durch den Verkauf der Grundstücke wieder reinkommen, 100 Millionen in 20 Tranchen aus der Rathausschatulle. Macht unterm Strich eine schwarze Null. So zumindest steht es in einer Vorlage für den städtischen Bau-, Umlegungs- & Stadtentwicklungsausschuss, die dem chilli vorliegt. Diese Rechnung wird aber nur aufgehen, wenn die Sparkasse Freiburg auf Millionen Euro verzichtet. Bank und Stadtspitze steuern auf einen Zielkonflikt zu. Zeitgleich laufen bereits eine Normenkontrollklage und bald drei Enteignungsverfahren.
Geplanter Quartiersplatz: Auch die Kita rechts hinterm Baum ist mittlerweile höher geplant.
Der Bodenpreis für einen Quadratmeter Bauland – anfänglich war von 600 bis 700 Euro die Rede – liegt mittlerweile bei 980 Euro. Da dieser jährlich eine zweiprozentige Steigerung vorsieht, wird er beim Verkauf der ersten Grundstücke 2024 die 1000er-Grenze schon überschritten haben. Wer eine höhere bauliche Ausnutzung als das 1,6-fache der Grundstücksgröße hat, zahlt noch mehr, erklärt Rüdiger Engel, Chef der elfköpfigen Projektgruppe Dietenbach, im Gespräch mit dem chilli. Die Sparkassentochter Entwicklungsmaßnahme Dietenbach KG (EMD) zahlt privaten Grundstücksverkäufern 64 Euro (plus jährlich einen für die Option). Wenn sie alle knapp 80 Hektar von den Eigentümern kaufen kann, investiert sie rund 51 Millionen. Bei der Stadt stehen für diese Fläche 16,50 Euro auf der Kostenseite, mithin rund 13 Millionen. Wie dieses Loch von 38 Millionen gestopft werden soll, ist offen. „Wir werden kein Geld drauflegen“, sagt der Sparkassen-Vorstandsvorsitzende Marcel Thimm. „Ein
Ausgleich zwischen den 16,50 und den 64 Euro ist in unserer Kalkulation nicht enthalten“, sagt Finanzbürgermeister Stefan Breiter. Das größtmögliche politische Schreckgespenst ist derweil verscheucht. „Massenenteignungen sind vom Tisch“, sagt EMD-Geschäftsführer Ingmar Roth. Er hat mittlerweile für knapp 65 der privaten 78,5 Hektar Optionsverträge geschlossen. „Wir hätten nie gedacht, dass das Modell so erfolgreich sein würde“, beweist Thimm auch Marketingqualitäten. Mit drei Eigentümern aber kommen EMD und Stadt keinen Schritt voran, hier leitet Engel in den nächsten Wochen die Enteignungsverfahren beim Regierungspräsidium ein. Einigen sich die Beteiligten dort nicht, geht die Sache zur Baulandkammer beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe, dann zum Oberlandesgericht und schließlich zum Bundesgerichtshof. „Die Mühlen der Enteignungsjustiz mahlen sehr langsam und gründlich“, weiß Engel. Das hindere die Stadt aber nicht
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Visualisierung: © die-grille K9 ArchitektenLatz+Partner
daran, die fraglichen Flächen schon vorab in Besitz zu nehmen. Die Normenkontrollklage liegt derweil beim VGH. Hier attackieren Anwohner die Rechtmäßigkeit der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) insgesamt. Geklärt ist mittlerweile, dass das Land der Stadt seine 22 Hektar (siehe Infobox) für 16,50 Euro pro Quadratmeter verkauft. Das haben Spitzengespräche in Stuttgart erbracht. Geklärt werden muss aber noch, wie die Flächenbedarfe für die Landesanstalten SWR (Sendemast) und Uniklinikum (will selbst bauen) eingepreist werden. Die Stadt selbst darf nach einem Beschluss des Gemeinderats keinen einzigen Quadratmeter verkaufen, sondern nur als Erbpacht vergeben. Ob die Interessenten bei einem Bodenpreis von 1000 Euro dafür Schlange stehen, darf bezweifelt werden. Ebenso, ob bei diesen Preisen, 50 Prozent gefördertem Mietwohnungsbau und vielen weiteren Vorgaben – eine nennen die Politiker „klimaneutral“ – am Ende tatsächlich bezahlbar gewohnt werden kann. Denn
WIRTSCHAFT STADTENTWICKLUNG
auch für die Stadtbau ist der geförderte Wohnungsbau weiterhin „hoch defizitär“, wie Stadtbauchef Ralf Klausmann Anfang März erneut bekräftigte. „Die Entscheidung, was bei den Rahmenbedingungen noch realistisch und was verzichtbar ist, muss der Gemeinderat treffen“, sagt Engel. Um Kosten und Erlöse einigermaßen in die Balance zu bringen, wird derzeit vor allem an einer Stellschraube gedreht: an der baulichen Dichte. Während die Stadtspitze im Herbst 2016 von 5300 bis 5500 Wohnungen für 12.500 Menschen sprach, waren es im Juni 2018 schon 6000 Wohnungen für 15.000 und heute sind es 6800 – darunter mehrere hundert Apartments für Studierende, Klinikbeschäftigte und Azubis – für 16.000 Bewohner. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl von Bad Krozingen. „Wir werden insgesamt eine GFZ (gibt das Maß der Ausnutzung von Grundstücken an, d. Red.) von 1,7 oder 1,8 haben, in der Mitte von 2,6, an den Rändern weniger“, sagt Engel. Damit sei das Ende der Nachverdichtung erreicht.
Den aktualisierten Rahmenplan dafür soll der Gemeinderat am 9. Dezember beschließen. Der erste Teilbebauungsplan soll 2022 rechtskräftig werden, danach kommen die ersten Grundstücke in die Vermarktung – bis dahin müssen sich Rathaus und Sparkasse geeinigt haben. Wenn eine Wohnung im Schnitt 350.000 Euro kostet, liegen allein die Baukosten bei 2,38 Milliarden Euro. Ein großer Teil wird von der Sparkasse finanziert werden, die damit Geld verdient. Thimm lässt diese Gegenrechnung zum Millionendelta beim Grundstücksdeal aber nicht gelten: „Wir können unseren 35 Trägerkommunen nicht sagen, dass wir in Freiburg erst viele Millionen abschreiben, um irgendwann später mal auch zu verdienen.“ Rathaus und Sparkasse haben ein enormes Stresspotenzial abzubauen, bevor die ersten Baugenehmigungen 2024 auf den Tischen liegen. Gelingt das nicht, wird die Bank die Reißleine ziehen und die Optionsverträge nicht unterzeichnen. Dann müsste Thimm bis zu sieben Millionen Euro ausbuchen. Und die Stadt müsste die EMD übernehmen. Lars Bargmann
FLÄCHEN & KOSTEN INFO
Das Gebiet ist 130 Hektar oder rund 180 Fußballfelder groß. Knapp 60 Hektar umfasst das Nettobauland. 78,5 Hektar gehören Privaten; Stadt (27,2), Land (22) und Bund (2,4)haben 51,6 Hektar. Die Sparkasse Freiburg hat mit Privaten Optionsverträge für rund 65 Hektar abgeschlossen. Der erste Bauabschnitt wird im Zentrum des neuen Stadtteils gebaut und umfasst 35 Hektar. Die Kosten belaufen sich auf 850 Millionen Euro: 288 für soziale Infrastruktur, 170 für technische Erschließung innerhalb (mit Tram), 122,5 für Bodenordnung, Neuordnung der Grundstücke, Gewässerausbau, Ausgleichsmaßnahmen und Planung, 71,5 fürs Projektmanagement, 66,3 an Finanzierungskosten, 54,7 für technische Erschließung außerhalb, 33,7 für Grünanlagen, 21,5 für Grunderwerb, 15,4 für Entwässerung, 5 für die Vermarktung, 2 für Öffentlichkeitsarbeit. Die Projektgruppe rechnet mit 750 Millionen Euro aus Grundstücksverkäufen sowie gut 100 aus der Stadtkasse. bar ANZEIGE
APRIL /MAI 2020 CHILLI 23
WIRTSCHAFT KOMMUNEN
RIESENLOCH IN RATHAUSKASSE CORONA-KRISE REISST 25-MILLIONEN-LÜCKEN
Foto: © tln
Muss abwägen: Stefan Breiter fürchtet heute schon um den nächsten Doppelhaushalt.
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reiburgs Finanzbürgermeister Stefan Breiter hat angesichts der Corona-Krise mit seinem Team schon mal die erwartbaren Verluste für den städtischen Haushalt kalkuliert. Auf dem Taschenrechner stand am Ende die Zahl 25 Millionen Euro. Pro Quartal. „Es kommt darauf an, wie lange es noch dauert“, sagt Breiter. Wenn Mitte Mai die Welt da draußen wieder langsam hochfährt, Läden wieder öffnen können, Hoteliers wieder Gäste empfangen, die Gastronomie langsam wiederauflebt, dann sind es 25 Millionen. Es spricht aber Ende März nicht viel dafür, dass sechs Wochen später die Krise so beherrscht ist, dass die Freiheitsrechte der Menschen wieder ohne Beschränkung sind. Breiter kommt es in diesen Tagen so vor, als sei er gerade im Hauptberuf Katastrophenbürgermeister. Als Finanz dezernent ist der 53-Jährige auch Ordnungsbürgermeister und zählt etwa das Amt für Brand- und Katastrophenschutz zu den seinen. Und er ist auch 24 CHILLI APRIL/MAI 2020
für die städtischen Gesellschaften zuständig. Dort also, wo derzeit keine Messen über die Bühnen gehen, keine Vorführungen bestaunt werden können, wo nicht gebadet und kaum geparkt wird – übrigens auch nicht falsch. Die Einnahmen aus Knöllchen gehen stark zurück, die Bescheide wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen auch. Es werden keine Ausweise verlängert, deutlich weniger kostenpflichtige Angebote genutzt. Auf der anderen Seite forderten die Hoteliers bereits eine Aussetzung der Bettensteuer. Breiter schüttelte mit dem Kopf. „Wir können die Abgabe 2019 bis Ende September stunden, man darf aber nicht vergessen, dass die Steuer der Gast bezahlt und nicht der Hotelier.“ Darauf verzichten könne das Rathaus nicht. Insgesamt 25 Prozent der jährlichen Einnahmen stammen aus kommunalen Steuererträgen.
DIE LAGE IST VERHEEREND Beispiel Gewerbesteuer: Im Plan für 2020 stehen dort 190 Millionen Euro. „Es kann gut sein, dass wir 20 Millionen abschreiben müssen“, so Breiter. Verheerend sei das. Gespräche mit der Aufsichtsbehörde hat er angesichts der trüben Aussichten bereits geführt. Klemens Ficht, Vizepräsident im Regierungspräsidium Freiburg, habe ihm Mut zugesprochen. Auch im RP, wo quasi im Stundentakt von den Bürgermeistern und Kämmerern der 295 Gemeinden im Regierungsbezirk Meldungen über Haushaltsengpässe eintrudeln, gelten in diesen so besonderen Tagen besondere Handhabungen, eine lange Leine. Breiter lobt die Finanzhilfen aus Berlin und Stuttgart: „Das ist enorm
wichtig.“ Das gilt vor allem fürs Kurzarbeitergeld, das größte Thema in den städtischen Gesellschaften, aber auch für die Tarifbeschäftigten in der Stadtverwaltung. Das gilt aber auch für die Ankündigung aus Stuttgart, 100 Millionen Euro für Kitas zu verteilen. In Freiburg sind die Gebühren für städtische Tagesstätten im April ausgesetzt. Kosten: 1,6 Millionen Euro. Das Rathaus ist auch Vermieter vieler Flächen und wird bei geschlossenen Gastronomien, bei kulturellen und sozialen Einrichtungen und Läden Miet abstriche machen müssen. Die CDU-Fraktion im Rathaus fordert in einem Brief an Oberbürgermeister Martin Horn, „so rasch wie möglich alle kommunal zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung zu setzen, um zumindest zu temporären Entlastungen beizutragen. Von Stundungen der Steuerzahlungen bis zum Erlass von Mietkosten in städtischen Gebäuden – alles muss jetzt auf den Prüfstand.“ Breiter nickt, sagt aber auch: „Dafür braucht es eine gesamtstädtische Abstimmung, das kann nicht nach dem Windhundprinzip gehen.“ Die Stadt werde aber dort, wo es nötig ist, Rettungsschirme aufspannen. Da Freiburg kaum gewerbesteuermächtige Industrie hat, stärker vom – derzeit nur rudimentär funktionierenden – Dienstleistungssektor lebt und somit auch stärker als andere von den Schlüsselzuweisungen von Bund und Land lebt, macht sich der Dezernent schon heute größere Sorgen um den Doppelhaushalt 2021/2022: „Wir werden die Ansätze nach unten anpassen müssen.“ Bei der ersten Steuerschätzung des Bundes im Mai, spätestens aber bei der zweiten im November werde es „ordentlich rumpeln“. Breiter hofft mehr denn je auf maßvolles Handeln im Gemeinderat – die Aufstellung des Haushalts ist dessen Königsrecht. Lars Bargmann
WIRTSCHAFT IMMOBILEN
S-IMMO TROZT TREND
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SPARKASSEN-TOCHTER VERKAUFT IMMOBILIEN FÜR 58 MILLIONEN EURO
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it dem vergangenen Jahr sind wir sehr zufrieden", sagt Oliver Kamenisch, Geschäftsführer der Sparkassen-Immobiliengesellschaft über 2019. Die S-Immo wickelte 168 Kaufverträge mit einem Volumen von rund 58 Millionen Euro ab und wiederholte damit fast ihr Vorjahresergebnis von 163 Verträgen mit einem Umsatz von 58,1 Millionen Euro. Das sei gerade deswegen erfreulich, weil die Zahl von Kaufverträgen in Freiburg 2019 insgesamt um sieben und das Verkaufsvolumenum neun Prozent nachgaben. Im gesamten Stadtgebiet fehle es weiter an Bauobjekten: 2016 habe der Anteil von vermittelten neuen Wohnungen, etwa am Güterbahnhof, noch bei 50 Prozent gelegen, vergangenes Jahr seien es nur noch neun Prozent gewesen. „Das ist die Marktlage“, kommentiert Kamenisch. Auch in den kommenden Jahren werde sich in dieser Hinsicht in Freiburg nicht viel tun: „Andere Großstädte wie Heidelberg haben mehr Flächen, wie die Bahnstadt.“ In Baden-Württemberg gingen bei den Immobiliengesellschaften der Sparkassen 2019 rund 1000 Neubauten über den Tisch, im Jahr davor waren es landesweit 750 Immobilien. Deswegen werde der neue Freiburger Stadtteil Dietenbach bei der S-Immo sehnlichst erwartet. Der 49-Jährige rechnet mit ersten Vermarktungen Ende 2024. Anfragen gebe es bereits jede Menge. „Dietenbach ist noch weit weg. Preise für Grundstücke oder die Kriterien der Grundstücksvergabe sind noch vollkommen unklar“, betont er. Die Auswirkungen der Corona-Krise seien zum Redaktionsschluss ebenfalls noch nicht absehbar. Fest stehe aber, dass sich viele Kaufinteressierte derzeit um ihren Arbeitsplatz sorgten. Statt 20 Immobilien-Interessierten für eine Wohnung gebe es bald vielleicht noch zehn. pt
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WIRTSCHAFT BANKEN
TAUSENDE KUNDEN BEANTRAGEN LIQUIDITÄTSHILFEN HEISSE DRÄHTE BEI VOLKSBANK UND SPARKASSE – KUNDE HEBT MILLIONENBETRAG BAR AB
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ie Corona-Krise beschert der Sparkasse und der Volksbank Freiburg eine Flutwelle von beantragten Liquiditätshilfen. Bei der Volksbank meldeten sich auf Programme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in wenigen Tagen 500 Kunden, bei der Sparkasse mehrere Tausend. Ein Unternehmer beantragte Hilfe in zweistelliger Millionenhöhe. Ein Kunde nahm einen siebenstelligen Betrag bar mit nach Hause. Sparkassen-Chef Marcel Thimm kritisiert im Gespräch mit dem chilli die „zu starren“ Kf W- Programme. „Virus essen Wirtschaft auf“, titelte Ende Februar die Zeit in Anlehnung an Rainer Werner Fassbinders Melodram „Angst essen Seele auf“. Mehrere Tausend Kunden der beiden großen Banken sind in so kurzer Zeit so sehr in Not, dass sie es mit der Angst bekommen und Hilfe brauchen. Die Telefonleitungen in den personell massiv aufgestockten Servicecentern laufen heiß. Allein die Sparkasse hatte Ende März schon 1500 Anträge bearbeitet. „Da geht es mal um ein paar hundert Euro, einmal aber auch um einen achtstelligen Betrag“, sagt Thimm. Hilfen können über die Hausbank bei der KfW, bei der L-Bank, bei der Regionalbank selbst oder auch durch verschiedene Zuschussprogramme beansprucht werden. Bei den medial stark inszenierten KfW-Programmen ist indes schon die Einstiegshürde so hoch, dass viele sie gar nicht überwinden können. Die Betriebe oder Unternehmer dürfen in der Bilanz für 2019 maximal zehn Prozent weniger als im Vorjahr umgesetzt haben, sie brauchen eine gute aktuelle BWA (betriebswirtschaftliche Auswertung), müssen seriös aufzeigen, dass 26 CHILLI APRIL/MAI 2020
Marcel Thimm (l.) und Uwe Barth: Das Lächeln (hier noch vor der Corona-Krise) ist mittlerweile einer sorgenvollen Miene gewichen.
sie die Hilfen in spätestens fünf Jahren komplett zurückzahlen, private Lebenshaltungskosten auch ohne Hilfen bezahlt werden können. „Die KfW-Programme sind in dieser Krise viel zu starr“, kritisiert Thimm. Das Land sei da großzügiger und handle angemessener. „Bei uns beantragt daher ein bedeutender Anteil Landesmittel.“ Dem Volksbank-Vorstandsvorsitzenden Uwe Barth geht es nicht anders: „Bei uns geht es um Liquiditätshilfen, aber auch um Stundungen von Kreditraten oder auch einfach um neue Kredite.“ Mindestens 80 Prozent seiner Kunden seien indes KfW-fähig. Die Bank helfe gemeinsam mit den Steuerberatern beim Erstellen von seriösen Liquiditätsplänen. Barth wie Thimm rechnen damit, dass sich die Krise auch deutlich in ihren Bilanzen ab 2020 abzeichnen werde. „Ein Szenario ist, dass die Sparkasse 2020 gar keinen Gewinn macht. Aber selbst dann geht die Welt nicht unter“, sagt Thimm. Die stillen Reserven würden sicher ausreichen, um auch in dem Fall – das worst- case-Szenario – weiterhin Kredite ausgeben zu können. Stille Reserven hat auch die Volksbank angehäuft. „Wir haben ein
Foto: © Christoph Duepper Photography
sehr gutes Polster und können davon zehren, um unsere Eigenkapitalquoten zu halten und das Kreditgeschäft ohne Einschränkungen weiter zu betreiben.“ So einig sie sich dabei sind, bei den Filialschließungen gehen sie konträre Wege: Die Sparkasse hat alle kleinen Filialen geschlossen, nur die großen drei (Freiburg, Emmendingen, Waldkirch) sind offen. Die Volksbank hat große geschlossen und kleinere offen gehalten. Bei den Geldautomaten machen die beiden Institute derweil gemeinsame Sache: So können Volksbank-Kunden auch an Sparkassen-Automaten Geld bar abheben und umgekehrt – kostenlos. Bargeld übt auf die Bürger in diesen Krisentagen einen großen Reiz aus: Neben den Telefonleitungen laufen auch die Automaten heiß. „Das zeigt das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Menschen“, sagt Thimm. Das zeige sich auch beim Gold: „Unsere Goldreserven sind ausverkauft.“ Ein Kunde konnte sein Bargeldbedürfnis am Automaten indes nicht befriedigen: Der Mann ließ sich im Finanzzentrum einen siebenstelligen Betrag auszahlen und nahm das Geld bar mit. Lars Bargmann
WIRTSCHAFT CORONA-KRISE
»AUS DER FINANZKRISE GELERNT« SÜDBADENS BETRIEBE SETZEN IN DER KRISE AUF KURZARBEIT
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Heruntergefahren: In zahlreichen Büros bleiben die Plätze leer.
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eere Büros, geschlossene Fabriken, geplatzte Termine: Die Corona-Pandemie hat den Wirtschaftsstandort Südbaden hart getroffen. Zahlreiche Firmen reagieren mit Kurzarbeit und versuchen, ihre Angestellten zu halten. Allein beim Freiburger Arbeitsamt gingen bis zum Redaktionsschluss rund 3400 Anzeigen auf Reduzierung der Arbeitszeit ein. „Unser Eindruck ist, dass Arbeitgeber aus der Finanzkrise gelernt haben“, sagt Reiner Geis, Geschäftsführer der Gewerkschaft Verdi Südbaden. In vielen Firmen stehe vor der Kurzarbeit noch das Aufbrauchen von Überstunden sowie Urlaubstagen. „Es wird alles probiert“, betont er. Kündigungen gebe es in seinem Zuständigkeitsbereich bisher nur in Kleinstbetrieben mit niedriger Kapitaldecke. Während zahlreiche Arbeitnehmer, etwa im Textilhandel, Journalismus, der Müllentsorgung oder dem Sicherheits- sowie Speditionsgewerbe Stunden reduzierten, schieben andere Sektoren Überstunden. „Überall, wo Lebensmittel verkauft werden, sind Arbeitnehmer mit Mehrarbeit konfrontiert“,
sagt Geis. Auch in der Pharmaindustrie „arbeiten Menschen am Anschlag“. Ebenso im Gesundheitssystem. Der Gewerkschafter fordert für die „Helden der Krise“ eine zusätzliche Bezahlung von monatlich 500 Euro. Dazu komme die Frage, was mit den derzeit geleisteten Überstunden geschehen solle. Auch bei den Arbeitsämtern dürfte das Licht derzeit länger brennen: Bei der Bundesagentur für Arbeit gingen im März 470.000 Anzeigen auf Kurzarbeit ein. Zum Vergleich: Im Februar lag diese Zahl noch bei 1900. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach in dem Zusammenhang von einem „historischen Kraftakt“. Die Hilferufe kommen laut Hanspeter Fakler, Pressesprecher bei der Freiburger Arbeitsagentur, auch in Südbaden aus allen Branchen: „Bei der Finanzkrise 2008 und 2009 waren die Anzeigen vor allem aus dem produzierenden Gewerbe.“ Zum Redaktionsschluss registrierte seine Agentur 3397 Anzeigen auf Kurzarbeit aus dem Stadtgebiet Freiburg und den Landkreisen Breisgau-Hochschwarzwald und Emmendingen. Hinter der Zahl verbergen sich sowohl ganze Betriebe als auch einzelne Abteilungen. „Wir wissen derzeit nicht, wie viele Menschen dahinterstehen“, so der 54-Jährige. Mit belastbaren Zahlen rechnet er erst in sechs Monaten. Sein Amt sei für den Ansturm „im erheblichen Maße“ umgebaut worden. Nachdem die Telefonleitung nach der Verkündung der Bundesregierung, den Zugang zum Kurzarbeitergeld erleichtern zu wollen, Mitte März zusammengebrochen war, sei die Agentur in Freiburg nun technisch wie personell für die Aufgaben gewappnet. Um die soziale Sicherung in dieser besonderen Situation zu gewährleisten, gelte bei der Agentur nun Leistung vor Vermittlung: „Wir sind zuversichtlich, dass wir die Gelder schnell rausbringen können.“ Philip Thomas
MILLIONENVERLUSTE FÜR DIE MESSE INTERBRUSH UND INTERSOLAR GESTRICHEN
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s ist das erste Mal in der 43-jährigen Geschichte der Interbrush, dass sie ausfällt. Sehr früh schon, am 13. März, zogen die veranstaltende Freiburger Messegesellschaft und ihre Partner die Reißleine. Zur Weltleitmesse wären 200 Aussteller aus 26 Ländern, mindestens 7000 Besucher aus fast 100 Ländern gekommen. Schon damals gab es Risikogebiete. Keine Chance. „Wir waren da sehr vorausschauend und haben die Messe mit unseren Partnern um zwei Jahre verschoben“, 30 CHILLI APRIL/MAI 2020
sagt Messechef Daniel Strowitzki. Einen siebenstelligen Umsatzbetrag kann er nun ausbuchen. Nicht das einzige Loch, das die Corona-Krise in die Kasse reißt: Auch die Intersolar Europe – die zweite Weltleitmesse made in Freiburg – ist abgesagt. Sie hätte am 17. Juni beginnen sollen. Aktuell sind alle Veranstaltungen bis einschließlich 15. Juni verboten. Am 16. Juni steht das Konzert mit Udo Lindenberg in der Sick-Arena auf dem Plan. Heute kaum vorstellbar, dass es über die Bühne geht. Strowitzki hofft, dass am ersten Augustwochenende so viel
Normalität eingekehrt ist, dass der 6. Freiburger Streetfood-Market läuft. Für die Interbrush beginnt nun Anfang Mai 2022 eine neue Zeitrechnung. Die Messe, die bisher – innovationsgetrieben – im vierjährigen Turnus stattfand, macht nun eine sechsjährige Pause. Und wird dann 2026 ihr 15. Gastspiel in Freiburg geben. Die Unternehmen müssen in diesem Jahr andere Wege finden, ihre neuen Maschinen in den Markt zu bringen. Dabei geht es um viel mehr Millionen von Euro, als die Messegesellschaft in diesem Jahr nicht erlösen kann. bar
WIRTSCHAFT CORONA-KRISE
ANGEBOTE IM AUSNAHMEZUSTAND KAMMERN & CO. HELFEN, BETRÜGER ATTACKIEREN
Virus wirft Wirtschaft um: Die zentrale Frage ist, wie lange noch.
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etriebe, Solo-Selbstständige und Freiberufler, die sich unmittelbar infolge der Corona-Pandemie in einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Lage befinden und massive Liquiditätsengpässe erleiden, werden mit einem einmaligen, nicht rückzahlbaren Zuschuss durch ein Sofortprogramm vom baden-württembergischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau unterstützt. Bei der Handwerkskammer Freiburg (HWK) sind innerhalb der ersten Woche nach Inkrafttreten mehr als 4100 Anträge eingegangen und rund 2500 Anträge an die L-Bank weitergeleitet. 50 Beschäftigte waren am letzten März-Wochenende im Einsatz, um dem Antragsansturm gerecht zu werden – fast im Minutentakt gingen weitere Anträge ein. HWK-Präsident Johannes Ullrich weiß von Betrieben, in denen sich ein dubioses Unternehmen als einzig offizielle Stelle zur Abwicklung der Soforthilfe ausgibt. Im Verlauf des Telefonats werde auf einen Link verwiesen, der nicht Teil des offiziellen Förderprogramms ist – und mit diesem Link könnten die Betrüger dann Daten abfischen. Auch die IHK Südlicher Oberrhein hilft. Hauptgeschäftsführer Dieter Salomon hat der Plausibilitätsprüfung der Anträge oberste Priorität eingeräumt. Zwei Drittel der kompletten Belegschaft prüfen derzeit Anträge: „Wir sind der Landesregierung dankbar, dass sie die so dringend notwendige finanzielle Unterstützung für die Wirtschaft bereitstellt.“ Die Soforthilfe für Antragsberechtigte ist gestaffelt nach der Zahl der Beschäftigten und beträgt (jeweils für drei Monate) bis zu 9000 Euro für Solo-Selbstständige und Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen; bis zu 15.000 Euro für Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten, bis zu 30.000 Euro für Betriebe mit bis zu 50 Beschäftigten. Das auf Kleinunternehmer und Selbstständige spezialisierte Freiburger Softwareunternehmen Lexware hat für seine Klientel ein vielfältiges Informations- und Aufklärungsangebot zusammengestellt, das zu wichtigen Fragen rund um Arbeits32 CHILLI APRIL/MAI 2020
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ausfälle, Kurzarbeit, staatliche Hilfen und Entgeltfortzahlung Antworten liefert. Außerdem stehen neben Online-Schulungen und Handlungshilfen in Kürze auch Tools und Erweiterungen von lexoffice zur Verfügung – ein halbes Jahr lang kostenlos. „Das Kleingewerbe in Deutschland ist auf jede Hilfe angewiesen, um seine Existenz über die Krise hinaus sichern zu können. Neben schnellen finanziellen und staatlichen Hilfen brauchen sie verlässliche und verständliche Antworten auf die vielen und immer neuen Fragen, die sich stellen“, so Lexware-Geschäftsführer Jörg Frey. Darüber hinaus hat die Regierung Finanzämter angewiesen, Steuerstundungen zu gewähren, auch Krankenkassen sind größtenteils unkompliziert bereit, Stundungen für die Sozialversicherungsbeiträge zu gewähren. Die Steuerberater- und Wirtschaftsprüferkanzlei Hecht, Bingel, Müller und Partner empfiehlt, diesbezügliche Einzugsermächtigungen vorübergehend zu widerrufen. Die Arbeitsagentur Freiburg meldet, dass derzeit gefälschte Mails an Arbeitgeber zum Kurzarbeitergeld im Umlauf sind. Der Absender lautet: kurzarbeitergeld@arbeitsagentur-service.de. Darin werden Arbeitgeber aufgefordert, konkrete Angaben zur Person, zum Unternehmen und zu den Beschäftigten zu machen, um Kurzarbeitergeld zu erhalten. Arbeitgeber sollen auf keinen Fall auf die Mail antworten, sondern diese umgehend löschen. chilli
MEHR INFO:
arbeitsagentur.de/datei/anzeige-kug101_ba013134.pdf arbeitsagentur.de/corona-grundsicherung bw-soforthilfe.de hwk-freiburg.de/corona-soforthilfen lexware.de/coronavirus suedlicher-oberrhein.ihk.de/corona wm.baden-wuerttemberg.de
KARRIERE & CAMPUS DIGITAL
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»WIE EIN TSUNAMI«
WIE UNI UND SCHULEN AUF E-LEARNING UMSTELLEN
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on null auf hundert. So geht es Schulen und Unis in Sachen E-Learning in Corona-Zeiten. Digital ist nichts Neues. Aber ausschließlich auf Distanz unterrichten? Darauf war keiner vorbereitet. Wie das dennoch funktionieren kann, berichten zwei Freiburger Lehrer. Sie sind schon mittendrin. An der Uni Freiburg laufen dafür die Vorbereitungen noch auf Hochtouren. Wie von einem Tsunami überrollt fühlt man sich in der Abteilung E-Learning.
Fotos: © Richard Kiefer – Lichtwerkstatt Kirchzarten, Fionn Große
„Wir sind voll dabei und es funktioniert!“ So jubelt Patrick Bronner Mitte März. Der Lehrer am Freiburger Friedrich-Gymnasium setzt schon länger auf Digitales. Davon kann er jetzt profitieren. Seine Achtklässler bekommen in Corona-Zeiten einen digitalen Mathetest mit vollautomatischer Korrektur. Mit einem Startcode können sie den von zu Hause aus machen – ohne Noten. Eine Referendarin liefert direkt das Erklärvideo zu den Aufgaben.
Digital-Cracks: Die Freiburger Patrick Bronner und Dejan Mihajlovic unterrichten nicht erst seit der Krise mit Tablet, Smartphone und Co.
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Das klingt einfach. Willkommen in der schönen neuen Home- Learning-Welt? Ganz so ist es nicht, erklärt der 41-Jährige: „Die Situation ist eine ziemliche Herausforderung für alle.“ Nur rund 20 Prozent seiner Kollegen hätten schon vor dem Shutdown intensiv digital gearbeitet. Daher hätte es zum Start erst mal Spontanschulungen zu Clouds und Servern gebraucht. Die Stimmung im Lehrerzimmer sei angespannt gewesen. Für Bronner, der 2016 „Deutschlands Lehrer des Jahres“ war, ist das eine bekannte Spielwiese: Tablets und Smartphones setzt er schon seit Jahren im Unterricht ein. Seine Schüler lässt er jetzt zu Aufgaben Erklärvideos drehen, die auf einer gemeinsamen Plattform bewertet werden können. Vormittags bietet er Präsenszeiten und Videochats an. Ergebnisse der Schüler könne er jetzt sogar besser auswerten als zuvor.
Das digitale Klassenzimmer Der Lehrer warnt aber auch: „Wenn man digitales Lernen übertreibt, kann es böse nach hinten losgehen.“ Es brauche daher klare Regeln. Vier Grundsätze für einen sinnvollen digitalen Unterricht hat er formuliert. Einer davon: Digitales darf nur temporär eingesetzt werden. In einer Doppelstunde maximal 30 Minuten. Solche Medien seien eine Ergänzung und keineswegs automatisch besser als andere. Klar ist für ihn: Der reguläre Unterricht ist nicht zu ersetzen. Soziales und Interaktion fehlen. Ende März ist schließlich auch Bronner etwas gefrustet. Der Schulserver ist nach einem Update ausgefallen. Er merkt an: „Jede Firma mit über 50 Mitarbeitern hat eine IT-Abteilung mit studierten Informatik-Experten.“ In der Schule liege die Verantwortung für die gesamte IT in der Hand von einzelnen Lehrern, die diese Tätigkeit einfach so nebenher machen. Daher fordert er „ein vom Schulträger zentral gemanagtes Serversystem und einen verlässlichen Support von außen“. Ein neuer Server ist bestellt.
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Auch Dejan Mihajlovic ist Digitalexperte. An der Pestalozzi- Realschule in Freiburg nutzt der Lehrer schon seit rund fünf Jahren eine Online-Beteiligungsplattform. „Da haben wir digitale Klassenzimmer“, sagt Mihajlovic. Der 43-Jährige stellt dort Aufgaben ein und kann mit Schülern kommunizieren. Als Beispiel: In Ethik lässt er Zehntklässler zu einem Artikel der Washington Post arbeiten. Danach gibt es ein Video-Hang out, um die Ergebnisse in Kleingruppen zu besprechen. Nicht alles funktioniert reibungslos. Aber Mihajlovic ist überzeugt: „In jedem Fach gibt es Wege, auf Distanz zu unterrichten.“ Selbst im Fach Sport könne man per Video eine Fitnessstunde anbieten. Die Ballettstunde seiner Tochter funktioniere ebenfalls so.
Lösung per WhatsApp Ein Problem beim Homeschooling sei Bildungsungerechtigkeit. „Viele Schüler haben unterschiedlich gute Geräte, müssen sie sich mit Geschwistern teilen oder es fehlt an Unterstützung.“ Auch mangelnde Bandbreite sei für Konferenzen ein Problem. Fehlende Kontrolle über die Schüler sieht er nicht als solches: „Ich gehe da andersrum ran“, sagt Mihaj lovic. Schüler wollten ja lernen. Auch im richtigen Unterricht seien nicht alle immer bei der Sache. „Wir müssen Lernprozesse völlig neu denken“, so Mihaj lovic. Ein Lückentext zum Ausfüllen sei fragwürdig. Das werde von einem ausgefüllt und gehe direkt als Screenshot in die Schüler-WhatsApp-Gruppe. Die Schüler müssten vielmehr etwas Eigenes erarbeiten. Die Aufgabe des Lehrers sei, zu unterstützen und zu moderieren. Der Druck auf alle Beteiligten ist groß. Als Lehrer wisse er nicht, unter welchen Bedingungen zu Hause gearbeitet wird. Allein etwa? Oder mit vier Geschwistern in einem Zimmer? Sein Ansatz: Aufgaben, die auch unter bescheidenen Bedingungen funktionieren. Einer Klasse hat er aufgegeben, in Sozialen Netzwerken gute Seiten und Beiträge zum Thema Physik zu finden. Die Ergebnisse werden gemeinsam diskutiert. Entscheidend ist für Mihajlovic außerdem, ein offenes Ohr zu haben für die Schülerinnen und Schüler. Denn persönliche Gespräche fehlen beim Lernen ohne Ansteckungsgefahr. Lehrer bemühen sich, das aufzufangen. Auch ein Videochat kann dabei helfen.
Nis prenis doluptat et: doloreicit.
Uni stellt rigoros um So weit ist die Uni Freiburg noch nicht. Sie hat ihren Semesterstart um drei Wochen verschoben. Losgehen soll es am 11. Mai – mit einem Paukenschlag: Prorektorin Juliane Besters-Dilger fordert alle Lehrkräfte auf, „ihre Lehrveranstaltungen so zu konzipieren, dass sie anstatt Präsenzlehre auch Fernlehre anbieten können.“ Hotspot wird dadurch die Abteilung E-Learning im Rechenzentrum. Was bisher eine kleine Zelle war, ist jetzt Drehund Angelpunkt. „Die aktuelle Situation überrollt unsere 563 Jahre traditionsreiche Präsenzuniversität gerade wie ein Tsunami“, berichtet Leiterin Nicole Wöhrle. Vor einigen Wochen sei E-Learning noch eine sinnvolle didaktische Ergänzung gewesen. Jetzt sehe das ganz anders aus. APRIL /MAI 2020 CHILLI 35
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Foto: © Patrick Seeger
Im Vergleich: Knapp 25.000 Studierende sind an der Uni immatrikuliert. Dazu kommen mehrere tausend Lehrkräfte. Hürden für digitale Lehre seien bisher vor allem zeitliche Engpässe bei Lehrkräften gewesen. Es sei oft wenig Zeit geblieben, sich mit neuen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. „Heute scheint diese Herausforderung nahezu verschwunden“, sagt Wöhrle. Engpass sei jetzt – wie in Schulen auch – die Netzinfrastruktur. „Durch Homeoffice und Fernlehre nutzen plötzlich alle Leitungskapazitäten wie nie zuvor.“
„Zeitlich sehr aufwendig“ Preisgekrönt: Jennifer Andexer und Heiko Winter haben Erfahrung mit E-Learning. Auf 100 Prozent digital sind aber auch sie nicht vorbereitet.
Ob die technische Infrastruktur vorhanden sei? „Wir haben eine gut ausgebaute Lernplattform, die bisher die begleitende Betreuung der Präsenzlehre mit Lernmaterialien und Übungsbereichen sowie Videoinfrastruktur gut abgedeckt hat“, sagt die 45-Jährige. Es fehle aber ein umfassendes Konferenzsystem, um beliebig viele Liveschaltungen abzuhalten. In ihrer Abteilung arbeiten bisher gerade mal rund zehn Leute. Inselchen seien das gegenüber dem Tsunami, erklärt Wöhrle. ANZEIGE
Das Problem wird auch auf zwei Dozenten zukommen, die sich mit Digitalem auskennen: Jennifer Andexer und Heiko Winter. Sie haben den eLearning-Förderpreis 2020 der Uni Freiburg bekommen. Gänzlich vorbereitet sind aber auch sie nicht. „Komplett neue E-Learning-Module zu erstellen, ist zeitlich sehr aufwendig“, sagt Andexer. Die 39-jährige Dozentin am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften hat die Erfahrung gemacht, dass die Diskrepanz zwischen dem gewünschten Ergebnis und dem technisch Möglichen frustrierend sein kann. Zeitliche und örtliche Flexibilität seien ein Vorteil. Fehlende Interaktion und weniger direktes Feedback aber ein Problem. „Die geforderte Selbstständigkeit kann auch überfordernd wirken“, sagt Andexer. Zeitverzögerte Angebote von zu Hause aus hält sie für umsetzbar. Bei Live-Schaltungen für Seminare befürchtet sie Engpässe im Netz. Ein persönliches Gespräch ist für Jennifer Andexer nie durch Telefon oder Video zu ersetzen. Außerdem seien Studiengänge in ihrem Fachbereich durch Praktika geprägt. „Würden Sie sich gerne von einem angehenden Chirurgen behandeln lassen, der nur am Computer gelernt hat, wo der Blinddarm ist?“ Sie ist überzeugt: Arbeiten und Lernen im Labor wird sich nicht komplett ersetzen lassen.
Asynchrone Seminare Auch ihr Kollege Heiko Winter ist gespannt auf die neue Situation. Er habe zwar bereits ein kleines E-Modul angeboten, das sei aber ebenfalls auf Präsenz der Teilnehmer aufgebaut. Nutzen kann er es für Distanzlehre nicht. Das Einfachste für den 42-Jährigen ist: „Wir nehmen Vorlesungen auf und stellen sie in kleineren Einheiten zur Verfügung.“ Die Interaktion fehle dann, aber austauschen könne man sich auch über Foren. Wichtig sei, dass asynchron gearbeitet werde. Das heißt, dass nicht alle parallel online gehen. Denn dafür reicht die Bandbreite nicht. Ein großes Problem sieht er in Prüfungen. „Wie machen wir das?“ Es gebe Möglichkeiten, es sei aber nicht einfach, das in „eine didaktisch sinnvolle Form zu meißeln“. Bei aller Krise: Winter und Andexer sehen auch Chancen, neue Wege zu gehen. Unterstützung finden sie bei der Abteilung E-Learning. „Die macht sehr gute Arbeit und stellt uns Materialien zur Verfügung“, lobt Winter. Gegenseitige Hilfe ist jetzt gefragt. Und eine große Prise Optimismus. Winter fasst es in zwei Worten zusammen: „Wird schon.“ Till Neumann 36 CHILLI APRIL/MAI 2020
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KARRIERE & CAMPUS TESTIMONIAL
KNOW-HOW AM BETT
PFLEGEWISSENSCHAFT VERBINDET THEORIE UND PRAXIS
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ine Ausbildung und ein Studium – auf einen Schlag. Das bietet das duale Studium Pflege wissenschaft. Die Uni Freiburg bietet damit eine seltene Kombination, die neue Wege eröffnet. Dafür entschieden hat sich Julian Feigl. Es gibt Pflegekräfte. Es gibt Ärzte. Die einen sind Experten für Krankheit, die anderen für den Umgang damit. Der Bachelorstudiengang Pflegewissen schaft schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Er zielt auf beides ab.
Julian Feigl hat sich dafür entschieden. Nach dem ersten Jahr seiner Ausbildung zum Pflegefachmann (früher Gesundheits- und Krankenpflege/Kinder krankenpflege) startete er zusätzlich ein Studium in Freiburg. Jetzt ist er im 3. Semester und hat die Wahl kein bisschen bereut. „Mir macht das viel Spaß“, sagt Julian. Gerade kommt er von einer Vorlesung in Recht und ist vor allem Student. Drei Monate lang geht die Phase am Institut für Pflegewissenschaft. Dann zieht er für sechs bis acht Wochen wieder den weißen Kittel an und lernt an der Uni klinik die praktische Arbeit kennen. Ein Wandeln zwischen zwei Welten. „Der Wechsel klappt gut“, sagt Julian. Was er an Theorie lerne, könne er im Klinikalltag umsetzen. Ein weiterer Vorteil: Er verdient als Student schon Geld. Zehn Stationen hat Julian bisher kennen gelernt. Sein Luxusproblem: „Mich interessiert alles.“ Favoriten hat er dennoch ausgemacht: die Intensivstation und die Psychiatrie. Dort sei mehr Zeit für Patienten als beispielsweise in der Chirurgie. Da war er schon vor der Ausbildung als Hilfskraft und fand: Das ist zu viel Hinterherarbeiten und zu wenig Eigeninitiative. Julian will pflegen und gestalten. „Wissenschaft ans Patientenbett bringen“, nennt er das. Im Alltag merkt er: Pflegekräfte haben den Ruf, „Bettpfannenträger“ zu sein. Er ist überzeugt: „Wir können so viel mehr.“ Im Studium hat er hin und wieder auch Veranstaltungen mit Medizinstudierenden. Dabei merkt er, dass deren Fachsprache sich von jener der Pflegekräfte unterscheidet. Da in den Kliniken eng zusammengearbeitet wird, fände er es gut, noch mehr Kurse mit angehenden Medizinern zu haben. So könne man sich noch besser kennenlernen und vielleicht auch zeigen: Pfleger können ja mehr als gedacht. Pendelt zwischen Klinik und Hörsaal: Student Julian Feigl.
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Foto: © Till Neumann
Ideen, den Pflegeberuf zu verbessern, hat Julian viele. Er hofft, dass sich Pflegerinnen und Pfleger mehr zutrauen. Und mehr zugetraut bekommen. Mit größerer Verantwortung und mehr Befugnissen könnten sie zum Beispiel in der Notaufnahme Ärzte entlasten. Für den Blick über den Tellerrand war er gerade in Norwegen. Bei dem sechswöchigen Erasmus-Aufenthalt stellte er fest: Die Personallage dort ist entspannter als hier. Obwohl er kaum Norwegisch konnte, hat er vor Ort viele Eindrücke gesammelt. Sich den Umständen anzupassen, ist er damit gewohnt. Bei den vielen Wechseln zwischen Theorie und Praxis sicher ein Vorteil. Zumal auch in der P flege gilt: Man weiß nie, was als Nächstes passiert. Till Neumann
PFLEGE WISSENSCHAFT INFO > Dauer 3 Jahre (Bachelor of Science), 2 Jahre für Studierende mit abgeschlossener Pflegeausbildung > Studienstandort Uni Freiburg > Voraussetzungen Abitur, Fachabitur (fachgebundene Hochschulreife) oder Fachhoch schulreife und Deltaprüfung; auch Hochschulzugang für Berufs tätige ohne Abitur möglich; bei Studienbeginn zudem min destens ein Jahr der Ausbildung zur / zum Pflegefachfrau / Pflegefachmann (m/w/d) > Bewerbungszeitraum fürs Studium jährlich 1. Juni bis 15. Juli > Mehr zum Studium pflegewissenschaft.uni-freiburg.de > Mehr zur Berufsausbildung akademie.uniklinik-freiburg.de
KARRIERE & CAMPUS JOBSUCHE
BLOSS KEINE JOGGINGHOSE
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SO GELINGT DAS JOBINTERVIEW PER INTERNET
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irmen setzen neben Bewerbungsgesprächen auch auf Videochats. Zum Beispiel, um Bewerbende der Teamleitung vorzustellen. Oder als Erstgespräch vor der Einladung in die Firma. Das geht schnell und kosteneffizient. Jobsuchende sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen, warnt der Recruiting-Dienstleister IQB Career Services. Auf das Outfit kommt es an Die Grundregel: Ein Vorstellungsgespräch per Videotelefonie sollte so sorgfältig vorbereitet werden wie ein Präsenztermin. Das gilt auch für das Outfit.„Manche Kandidatinnen und Kandidaten denken, dass es ausreicht, wenn sie sich am Oberkörper gut kleiden“, sagt Susanne Glück, Geschäftsführerin von IQB Career Services. Ihr Rat lautet jedoch: „Das komplette Outfit muss passen.“ Denn das Gespräch könne sich unvorhersehbar entwickeln.„Vielleicht fängt die Sonne mitten im Gespräch an zu blenden und die Bewerbenden müssen aufstehen und die Jalousien dimmen.“ Dann sei es unpassend, wenn die Jogginghose ins Blickfeld gerät. Die Technik auf Herz und Nieren prüfen Ein Headset nutzen, in eine gute Webcam investieren und auf die Klangqualität achten, damit die anderen kein Echo hören. Wer seine Technik vor dem Termin geprüft hat, führt das Gespräch entspannter. Wenn doch eine Panne passiert, ist das kein Grund zur Verunsicherung. Ruhig und besonnen bleiben, sich erklären und das Problem beheben. Das kann im besten Fall sogar Pluspunkte geben. „Im Grunde ist das Vorstellungsgespräch per Internet eine erste wichtige Arbeitsprobe. Hier können Sie zeigen, wie gut Sie sich auf ungewohnte Situationen vorbereiten und ob sie die nötige Ernsthaftigkeit mitbringen“, sagt Glück. Nicht ablenken lassen Vor dem Bewerbungsgespräch empfiehlt sich ein kurzer Umgebungs-Check: Ist gesichert, dass das Gespräch ungestört geführt werden kann? Können weder Kind noch Mitbewohner durchs Bild? Wie sieht der Hintergrund aus? Nicht zu unruhig und nicht zu privat? Das Internet-Interview kann auch dazu verführen, Dokumente und Stichpunkte neben den Bildschirm zu hängen oder auf den Tisch zu legen. Susanne Glück rät zur Vorsicht: „Anstatt Sicherheit zu geben, können Zettel neben dem Computer beim Vorstellungsgespräch ablenken. Wer zu oft darauf schaut, spricht nicht mehr frei.“ Möchten Bewerberinnen und Bewerber darüber hinaus während des Gesprächs Notizen festhalten, sollten sie das handschriftlich tun. Das sei optimal für ein konzentriertes und ruhiges Gespräch. tln APRIL /MAI 2020 CHILLI 39
Freizeit Radtour
Blütenmeer
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Frühlingstour durchs Markgräflerland
illkommen zum Markgräfler Kirschblüten-Hanami! Im Frühjahr wird das beschauliche Eggenertal zur Bühne eines spektakulären Naturschauspiels. Wenn auf den Wiesen Tausende Obstbäume zu blühen beginnen, verwandelt sich das ganze Gebiet in ein leuchtendes Blütenmeer. Eine mittelschwere Rundtour von Auggen über Bad Bellingen führt Radfahrer mitten hinein.
Freizeit Radtour
Freiheit und Weite! Das sind die ersten Impressionen beim Losradeln am Auggener Bahnhof. Eine Ackerlandschaft mit sanft im Wind wogenden Halmen und vereinzelten Obstbäumen, im Westen die ferne Vogesensilhouette, im Osten das Berpanorama mit dem majestätisch aufragenden Hochblauen und seinem weithin sichtbaren Sendeturm. Am Fuße des Blauen wird die Rundtour am Ende wieder nach Auggen zurückführen, aber zunächst verläuft die Route nach dem Linksabbiegen südwärts nach Steinenstadt.
Steinenstadt
Südlich des Dorfes wurde Anfang der 1950er-Jahre nach Erdöl gebohrt. Die Tiefenbohrung war zwar erfolglos, aber durch das versiegelte Bohrloch bahnte sich salzhaltiges warmes Wasser seinen Weg an die Oberfläche. Dieses Quellwasser wurde bis in die 80er-Jahre als Heilwasser für Trinkkuren genutzt, heute versorgt es das Steinenstadter Thermal-Sportbad, das auf dem Weg nach Bad Bellingen passiert wird.
Bad Bellingen
In Bad Bellingen endet die Flachlandstrecke, bereits im Ort beginnt ein steiler Anstieg in Richtung Hertingen. Wer davor noch etwas Kraft tanken und schöne Impressionen aus dem kleinen Bäderort sammeln will, stellt sein Rad ab und flaniert durch die großzügige Kurparkanlage. Die besondere Atmosphäre des Parks rührt unter anderem daher, dass das Gelände einst Auenwald war. Erst seit Anfang der 60er-Jahre wurde nach zunehmender Trockenheit und Verlandung des Feuchtgebiets eine großzügige Parklandschaft gestaltet, einige alte Baumriesen zeugen noch von der Auenwaldzeit. Nur ein Teil der Fläche ist von Menschenhand geformt, im „wilden“ Teil des Parks bleibt die Natur sich selbst überlassen. Dort kann man auch seinen Füßen eine besondere Erfahrung gönnen: Auf einem 800 Meter langen Barfußpfad durch urwüchsige Waldlandschaft wechseln sich unterschiedliche Untergründe wie Rindenmulch, Kieselsteine, Sand und hölzerne Balancierelemente ab. Der Pfad ist kostenlos und jederzeit frei zugänglich.
Panoramablick: der beeindruckende Blauen.
Fotos: © Nicole Kemper
Hertingen
Zirka 150 Höhenmeter sind bis zum nächsten Etappenziel zu bewältigen. In Hertingen würden wir die Strecke normalerweise auf einen kurzen Abstecher nach rechts verlassen und den Schildern mit der Aufschrift „Landhaus Ettenbühl“ folgen. Dort erstreckt sich, außerhalb des Dorfs, mitten im Ackerland, ein außergewöhnlicher Park im englischen Stil. Was in den 1970er-Jahren als privater Rosengarten eines Aussiedlerhofs begann, hat sich in über 40 Jahren zu einer fast fünf Hektar großen Anlage nebst Gärtnerei, Landhaus-Shop und Restaurant entwickelt. Der wunderbare Garten, zu besichtigen auf dem rosengesäumten Granny’s Walk durch über 20 Themengärten, ist derzeit geschlossen, ebenso wie Restaurant und Café im Landhausstil. Es bleibt die Hoffnung auf die Sommermonate, wenn der Garten möglicherweise wieder in all seiner jetzt verborgenen Pracht zugänglich ist, wenn es wieder lauschige PickApril/Mai 2020 CHILLI 41
Freizeit Radtour
Stehenbleiben lohnt sich: Immer wieder bietet die Tour fantastische Aus- und Blütenblicke. Entspannung bietet eine kleine Pause auf dem Barfußpfad im Kurpark Bad Bellingen.
nick-Abende geben wird: Nach Vorbestellung erhalten die Gäste einen gepackten Picknickkorb, dessen Inhalt sie an ihrem frei gewählten Lieblingsplatz in einem der Gärten genießen können … Ein Traum! Fürs Träumen zu Hause ist derzeit der online-Landhaus-Shop zuständig. Hier finden sich neben Accessoires, Gartenartikeln und Kosmetik auch die verschiedensten Rosenprodukte aus eigener Manufaktur, beispielsweise Tees und Essig, Risotto und Fruchtaufstriche. Bestelltes wird per Post geschickt. Garten- und Rosenfreunde können sich per E-Mail mit ihren Fragen an die Gartenkenner richten. Die Gärtnerei ist nach wie vor für Abholer von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Das „Landhaus Ettenbühl“ kämpft wie so viele Betriebe in der REGIO in der Corona-Krise und antwortet mit vielen Ideen, die online zu betrachten sind. Keine traumhaften Live-Erlebnisse in diesem Jahr also, daher biegen wir in Hertingen nicht nach rechts ab, sondern fahren ohne Abstecher gleich weiter nach Schliengen. Dort steht die 42 CHILLI April/Mai 2020
zweite Bergetappe an: Der Weg führt nun über den Ortsteil Liel bis nach Schallsingen stetig leicht bergan.
Eggenertal
Wer zur Blütezeit – meist Mitte April – unterwegs ist, fährt nun durch die weiß betupfte Hügellandschaft des berühmten Kirschblütentals. Die besonderen klimatischen Bedingungen des Oberrheintals lassen den Frühling im Markgräflerland schon drei Wochen früher als im übrigen Deutschland starten. Der lösshaltige Boden und die geschützte Lage schaffen im Eggenertal die idealen Bedingungen zum Kirschenanbau. Über tausend Tonnen Kirschen werden hier pro Jahr geerntet und unter anderem zu Säften und Schnäpsen verarbeitet. Mit dem Highlight der Blütentour lassen wir zugleich auch den höchsten Punkt der Strecke hinter uns: Entlang ausgedehnter Streuobstwiesen sausen wir durch den Müllheimer Ortsteil Feldberg und genießen die fünf Kilometer lange Abfahrt bis zum Ausgangspunkt. Nicole Kemper
Dauer: ca. 3 Stunden Länge: 32 Kilometer Auf- und Abstieg: je 537 Höhenmeter Das Blütentelefon i nformiert unter Tel.: 0 76 35/ 8 24 96 49 oder im Internet unter www.bluetentelefon.de wöchentlich über den Stand der Kirschblüte.
REISE ISRAEL
Links die Grabeskirche in Jerusalem, rechts die modernen Wolkenkratzer Tel Avivs: Israels Stadtbilder könnten nicht gegensätzlicher sein.
Widersprüche im Heiligen Land Israel hat es geschafft, mit seinen einzigartigen Vorzügen zu einem Reiseziel für Touristen aus aller Welt zu werden. Trotz Nahost-Konflikt. Zunächst wirkt es paradox, dass ein Staat voller politischer Spannungen von so vielen Menschen besucht wird, die Ruhe und Erholung suchen. Doch der besondere Reiz liegt darin, dass man einerseits tatsächlich entspannen kann – beim Schweben im Toten Meer, in endlosen Wüstengebieten, an der Strandpromenade von Tel Aviv – und gleichzeitig unglaublich viel lernt. „Kaum ein Land besitzt so viele his torische Stätten von immenser Be deutung für Geschichte und Gegen wart“, erklärt uns Guide Jenny auf dem Weg zur Festung von König
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Herodes, Masada. In gefühlt jeder Stadt wird man in eine andere Zeit zu rückversetzt: „Römer, Griechen, Os manen, Kreuzritter – sie alle eroberten das ,Heilige Land‘ und hinterließen ih re Spuren.“ Die sind heute oft noch so gut erhalten, dass es sehr leicht ist, sich das Geschehene lebhaft vorzu stellen. So auch Masada: Die Festung erlangte nach dem Ableben des ver hassten Herrschers traurige Berühmt heit. Eine Gruppe von Juden beging hier kollektiv Selbstmord, um der wei teren Versklavung durch die Rö mer zu entgehen. Schon die Fahrt dorthin durch die Judäische Wüste mit ihren Palmenoasen und dem umliegenden Judäischen Gebirge ist beeindruckend.
Der Blick von oben schließlich auf das angrenzende Tote Meer ist atem beraubend. Die Entfernungen in dem kleinen Land sind so kurz, dass man danach problemlos noch den En Gedi Nationalpark besuchen kann. In der Oase En Gedi sprudeln verschiedene kleine Wasserfälle. „Deshalb steht hier so eine üppige Vegetation im kargen Wüstengebiet“, so Jenny. Von der Anhöhe des David-Wasserfalls blickt man über den Park mit seinen Johannesbrotbäumen, Palmen und dem dahinter liegenden Toten Meer. In den schroffen Felswänden entdeckt man mit etwas Glück kletternde Steinböcke und Klippschliefer, eine Murmeltierart. »
Fotos: © iStock.com/Bernhard Richter, freepik.com/tbaodatui, Sophie Radix
Von den antiken Stätten bis ins „Silicon Valley“ des Nahen Ostens
REISE ISRAEL
» Das Tote Meer hat einen Salzgehalt von bis zu 33 Prozent (zum Vergleich: das Mittelmeer hat durchschnittlich 3,8 Prozent). Aber: „Leider trocknet es immer mehr aus – die Ufer ziehen sich zurück und Süßwasser dringt in die Sedi mente ein. So entstehen Hohlräume, über denen die Ober fläche einstürzt – sogenannte Schlucklöcher“, erklärt Jenny. So sind immer mehr Bereiche um das Tote Meer ab gesperrt. Noch gibt es aber genügend Strände, an denen man das Wasser genießen kann. Nach dem Besuch des Na tionalparks und Masadas klingt der Tag gemütlich an ei nem solchen Strand aus. Masada ist nur einer von vielen Orten, wo Geschichte in Israel greifbar wird. In Caesarea bestaunt man ein Aquädukt, ein Hippodrom und ein Theater, auch aus Zeiten von Herodes. 60 Kilometer weiter nördlich liegt Akko. Die Stadt war ein wichtiger Stützpunkt der Kreuzfahrer auf ihrem Weg nach Jerusalem. Die Gewölbe der Rittersäle wirken, als hätten hier eben noch die Mönche miteinander angestoßen. Während ei ner Tagestour ab Tel Aviv oder Jerusalem hat man genügend Zeit, um sich beide Städte entspannt anzuschauen.
Der Stadtstrand von Tel Aviv gehört zu den schönsten der Welt. Hier wird das Leben in vollen Zügen genossen, von Einheimischen wie Touristen. 46 CHILLI APRIL/MAI 2020
Doch nicht nur über die Vergangenheit lernt man in Israel viel. Wohl nur vor Ort kann man wenigstens ansatzweise verstehen, was Nahost-Konflikt wirklich bedeutet, und be greifen, wie jahrhundertealte Geschehnisse die Gegenwart beeinflussen. In Jerusalem stehen bedeutende Heiligtümer der drei größten monotheistischen Weltreligionen: der Fel sendom, wo der Prophet Mohammed seine Himmelsreise angetreten haben soll, die Klagemauer, Hauptheiligtum der Juden, und das Grab Jesu. Unter anderem deshalb sehen sowohl Palästinenser als auch Israelis Jerusalem als Hauptstadt an – ob es jemals Frie den um die Heilige Stadt geben wird? Ein israelischer und ein palästinensischer Guide führen uns ins nahe Bethlehem. Sie möchten vermitteln, dass in ihren Ländern friedliche Ko existenz vorherrscht. Beide Guides sind sich einig: „Die Span nung wird in den Medien schlimmer dargestellt, als sie ist.“ Die Mauer, die die Palästinensischen Autonomiegebiete von Israel trennt und den Staat vor terroristischen Angriffen schützen soll, verdeutlicht aber die Realität des Konflikts. Trotz aller Spannung ist Israel heute ein sehr sicheres Land für Touristen. Auf keiner Israel-Reise sollte Tel Aviv fehlen, das „Silicon Valley“ des Nahen Ostens. Die Stadt steht im krassen Gegensatz zu Jerusalem. Inmitten von modernen Wolkenkratzern wird deutlich, wie hoch industrialisiert Is rael ist. Kreativ, jung, modern – in Tel Aviv herrscht eine ganz besondere Dynamik. So sind die Bewohner gefühlt immer in Feierlaune, an jeder Ecke schießen Start-ups aus dem Boden. Ein Teil des Strandlebens spiegelt die allgemei ne Lebenseinstellung der jungen Israelis wider: Nicht mal die eisige Wassertemperatur im Februar hält die Kitesurfer davon ab, den Wind und die Wellen zu genießen. Das Heilige Land ist eins voller Widersprüche. Sophie Radix
Fotos: © freepik.com, Sophie Radix
Blumen statt Bomben: Ein Graffito auf der Grenzmauer bei Bethlehem drückt den Wunsch nach Frieden aus. Darüber: Blick auf Jerusalem – ein ewiger Streitpunkt des Nahostkonflikts.
Im Heiligen Land verschwimmen Gegenwart und Geschichte
CHILLI ASTROLOGIE
DAS »BIERERNSTE«
CHILLI-HOROSKOP DIE KONTAKTVERBOT-EDITION VON HOBBY-ASTRONAUTIN LILIANE HERZBERG
WIDDER 21.03. – 20.04. Immerhin bewahrt dich das Kontaktverbot vor einem Treffen mit deinem Schwiegervater. Lieber verbringst du zwei Wochen in deiner Neun-Quadratmeter-Bruchbude und verprasst deinen Klopapiervorrat auf der Toilette, als dir endlose Monologe über Corona aus der Spezialquelle „Rudi-vom-Bowlingclub“ anzuhören.
STIER 21.04. – 21.05. Der Lagerkoller setzt bei dir schon ein, wenn du nur einen Nachmittag allein zu Hause bist. Du musst dich dringend beschäftigen: Deine Türklinken sind aber bereits poliert, du hast alle Lizenzverträge von Apple auswendig gelernt, jeden Millimeter deiner 300-Quadratmeter-Wohnung mit der Zahnbürste geputzt – und überstanden hast du: einen Nachmittag.
ZWILLING 22.05. – 21.06. Viel von der weltweiten Pandemie mitbekommen, hast du nicht, denn du hast die vergangenen vier Wochen durchgezockt. Deine Freunde sind Fortnite, Call of Duty, World of Warcraft, und du verlässt deinen Rechner nur, wenn der Postmann zum zwanzigsten Mal klingelt oder der Schimmel in deinen dreckigen Töpfen anfängt zu kriechen. Weiter so – Leute wie du sind heute Vorbilder.
KREBS 22.06. – 22.07. In der ungeplant freien Zeit willst du ausprobieren, wie einfach Entspannung sein kann. Geht immer: im Bett liegen und die Decke anschauen, Chipstüten leer futtern, alle 1758 Folgen der Lindenstraße durchsuchen. Geht eindeutig nicht: abspülen, Wäsche waschen, Zähne putzen, Wohnung auf Vordermann bringen. Fazit: Entspannung will geübt sein.
LÖWE 23.07. – 23.08. OB Martin Horn möchte, dass alle Freiburger zu Hause bleiben. Aber kein Problem – wir vom chilli versorgen dich auch diesen Monat mit anregendem Lesestoff. Kleiner Hinweis am Rande: Wenn die Quarantäne andauert, die Supermärkte leer gekauft sind und es wirklich hart auf hart kommt: Das chilli eignet sich eher weniger als Klopapier.
JUNGFRAU 24.08. – 23.09. Du organisierst große Partys und marschierst mit deiner 78 Mann starken Gang durch alle öffentlichen Bereiche deiner Stadt. Mag für dich ein Kick sein, ist für deine Mitmenschen aber schädlich. Kleine Anregung: Revolutionäre Geister können auch von zu Hause aus agieren. So wie Nelson Mandela. Der hat sein zweites juristisches Staatsexamen im Knast abgelegt.
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WAAGE 24.09. – 23.10. Der April ist da und mit ihm warme Tage und blühende Blumen. Bringt dir nichts, du stehst unter Quarantäne. Empfehlenswert ist da der Frühling von Vivaldi und ein Ausflug in das Jahr 1725, als noch kein Coronavirus in Sicht war. Aber dafür leider die Pest. Dann doch lieber das Hier und Jetzt und Wohnzimmerkonzerte auf Instagram, die sind wenigstens virensicher.
SKORPION 24.10. – 22.11. Dass sich neuartige Viren nicht über die olle Antenne deines Röhrenfernsehers übertragen lassen, hast du mittlerweile verstanden. Du nutzt jetzt die freie Zeit, um dein neumodisches Smartphone ebenfalls virensicher zu machen. Und um die Verschwörungstheorien wieder zurückzuziehen, die du verbreitet hast, als sie in deinem Kopf noch Sinn ergaben.
SCHÜTZE 23.11. – 21.12. Wie so viele bist du im unfreiwilligen Corona-Heimurlaub. Zum Glück nicht alleine, sondern mit deinem Liebsten auf Flitterreise in St. Couchingen. Mittlerweile habt ihr Netflix leergeschaut, alle Steuererklärungen gemacht und alles gesprochen. Wenn das so weitergeht, gehört ihr bald zu den neuen Babyboomern. Und dabei gibt es jetzt schon kaum Kita-Plätze ...
STEINBOCK 22.12. – 20.01. Mit dem Strom oder gegen den Strom? Das ist gerade nicht die Frage, denn jetzt ziehen alle an einem Strang – dem #wirbleibenzuhause- und #FlattenTheCurve-Strang. Das Internet ist voller Solidarität und Sportskanonen, die 396 Push-ups machen und dabei Menschenleben retten. Dann vielleicht doch gegen den Strom und einfach altmodisch ein Buch über Fitness lesen.
WASSERMANN 21.01. – 20.02. Wassermänner sind sehr gesellige Menschen. In Zeiten von Corona bedeutet das: Deine Telefonleitung läuft heiß und du nervst alle Menschen, die du kennst, mit minütlichen Anrufen. Wenn niemand abnimmt, sattelst du um und lädst dich selbst zum Essen und zu einer Weinführung durch dein eigenes Haus ein. Hach, was bist du nur für eine anregende Gesellschaft.
FISCHE 21.02. – 20.03. Kontaktverbot nennt man deinen Lifestyle also. Was für die anderen der Horror ist, ist für dich normales Leben. Du gibst seit Jahren Online-Workshops und erklärst, wie man sich am besten selbst umarmt, Selbstgespräche führt, ohne aufzufallen, oder sich zum romantischen Dinner-for-One ausführt. Deine 19 Katzen und du seid für die Quarantäne wie geschaffen …