KULTUR
PEAC-MUSEUM FEIERT GROSSES JUBILÄUM
PEAC-MUSEUM FEIERT GROSSES JUBILÄUM
FRIAS-PROFESSOREN FORDERN MEHR MUT
DAS
PEAC-MUSEUM FEIERT 20. GEBURTSTAG
von Mario Wachter
eit zwei Jahrzehnten beherbergt ein Museumsareal im Industriegebiet-Nord die Kunstkollektion von Paul Ege. Die Identitätsfigur des PEAC-Museums starb vor fünf Jahren, doch seine illustre Sammlung bleibt der treuen Besucherschaft erhalten – und wächst beständig an. Ein Rückblick auf sein Lebenswerk.
Die Paul Ege Art Collection ist kein Ort für Laufkundschaft. Im grau schattierten Industriegebiet, wo Autohäuser und Recyclinganlagen das trostlose Landschaftsbild prägen, verirrt sich keine Seele ohne plausiblen Grund. Schnell wird klar: Der ausgefallene Standort an der Robert-Bunsen-Straße fußt auf Pragmatismus. „Paul Ege war nicht nur Gründer dieses Museums, sondern auch lange Jahre Geschäftsführer von Alexander Bürkle, dem Unternehmen, auf dessen Grund wir
stehen“, sagt Lea Altner, Kuratorin und Co-Direktorin des Museums.
Die Initialzündung für Eges flammende Kunstbegeisterung reicht bis in das Jahr 1958 zurück, als er mit 22 seine erste Litographie erwarb. In den Folgejahren stieß noch manches Kleinod dazu, doch die Sammlung blieb anfangs noch „dem persönlichen Geschmack verpflichtet und für den privaten Rahmen gekauft“. Dieser
Gründervater hatte Zweifel an der Langlebigkeit seiner Sammlung
wurde schon bald gesprengt, denn seine eigenen vier Wänden waren dem unversieglichen Kunsterwerb ab Mitte der 1990er-Jahre nicht mehr gewachsen.
Als provisorische Lösung fungierte eine Räumlichkeit im Alexander Bürkle-Areal, die kurz vor der Jahrtausendwende ein
handverlesenes Publikum erfreute. Sachdienlich ja, zufriedenstellend nein. Kurzum: Es war noch Luft nach oben – im wahrsten Sinne des Wortes. Ege entschied sich, aufs Firmendach noch ein Stockwerk draufzusatteln, was der Bebauungsplan durchaus erlaubte. „Das war für Paul Ege eine Möglichkeit, Räumlichkeiten für eine professionelle Präsentation seiner Kunst zu schaffen“, erzählt Lea Altner. Doch die Genese des Alexander Bürkle Museums, so der ursprüngliche Name, war nicht nur von Höhen gezeichnet – und das, obwohl PEAC wie „Spitze“ auf Englisch klingt.
So habe der Gründervater vor zwanzig Jahren noch erhebliche Zweifel an der Langlebigkeit seiner publikgemachten Kunstsammlung gehegt. Der fehlenden Massentauglichkeit zum Trotz blieb die „Kundschaft“ nicht aus – im Gegenteil: Das Herzensprojekt hat sich ausgezahlt, denn heute wäre das Museum kaum wegzudenken aus dem Kreis der wichtigsten Kunstinstitutionen in der Stadt Freiburg.
PEAC-Doppelspitze: Eveline Weber (l.) und Lea Altner
Die sorgfältig kuratierte Sonderausstellung zum 20. Jubiläum präsentiert knapp 70 Kunstwerke, von denen sich manche dem Radical Painting zuordnen lassen –einer Kunstströmung, die ihren Ursprung im New York der 1970er-Jahre hatte. „Die Idee dahinter war, einen radikalen Kahlschlag mit den künstlerischen Konventionen der damaligen Zeit zu machen“, erzählt Altner. Die Künstler machten also kurzerhand Tabula rasa und besannen sich fortan auf Trägermaterial, Pigmentwerkzeug und Abstraktion. Manche Vertreter dieser an die „Wurzeln“ gehenden Malerei kannte Paul Ege persönlich, schließlich kultivierte er eine genuine Freundschaft mit vielen seiner Lieblingskünstler.
Die Jubiläumsausstellung gibt Aufschluss darüber, in welche Richtung sich Eges Kunstgeschmack im Laufe der Jahre verändert hat. Ein dahingehendes Damaskuserlebnis lag in seiner geglückten Augenoperation in den frühen 1990er-Jahren begründet. Ein Sinneswandel, der sich in den monochromen Kunstwerken offenbart – und allem voran in der plötzlichen Farbpracht seiner Sammlung. Wer jedoch Schwarzweiß bevorzugt, kann die zerstörerisch-suggestiven Fotografien von Kelly Tissot bestaunen, der Gewinnerin des mit 10.000 Euro dotierten Paul Ege Kunstpreises. Ein rühmendes Erbe des umtriebigen Kulturmäzens, der sich zu Lebzeiten darum bemühte, angehende Künstler·innen aus der Region zu fördern. Die Jubiläumsausstellung, so Altner, sei eine Synergie aus Alt und Jung, emergierend und arriviert, aus Dreiländereck und US-Metropole. Oder, um es in den Worten von Paul Ege zu sagen: „Eine Ausstellung ist grundsätzlich nicht tradierbar, nicht einmal in einem Katalog.“
MEHR STARS ALS STERNCHEN
Zum Jubiläum für 25 Jahre kommt ein ganz starkes Line-up: Beim Open Air im Bad Krozinger Kurpark geben sich nationale und internationale Künstler die Mikrofone und Instrumente in die Hand: The Hooters kommen, die Schlagerkönigin und DSDS-Gewinnerin Beatrice Egli, die Popsängerin Leonie, das weltweit klangvolle Freiburger Barockorchester, die Westernhagen-Tribute-Band Willenlos sexy, das Wolfgang Haffner Trio.
Der Kurpark verwandelt sich vom 13. Juli bis zum 5. August in eine Festivallandschaft, mit Lichterfest und Riesenrad, mit Klassik und Jazz, mit Rock und Schlager. The Hooters (All you Zombies, 500 Miles), seit 2001 wiedervereint, werden mit ihren Anführern Rob Hyman und Eric Bazilian bei ihrer 44. Anniversary Tour Halt im Kurpark machen. Der zweifache ECHO-Jazz-Preisträger Georg Haffner wird mit Bassist Thomas Stieger und Keyboarder Simon Oslender im Park einen Klangteppich verlegen. Das Freiburger Barockorchester unter der Leitung von Cecilia Bernardini die enge Verknüpfung von Vivaldi und Johann Sebastian Bach aufzeigen.
Am Donnerstag, den 25. Juli wird anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Bad Krozinger Schlosskonzerte im Kurpark die Schlager-Gala mit Beatrice Egli & Band und Reiner Kirsten über die Bühne gehen. Egli zählt seit zehn Jahren zu den beliebtesten und erfolgreichsten Künstlerinnen innerhalb des deutschsprachigen Pop-Schlagers. Schon 2013 gewann sie die Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“.
Die Sängerin Leony („Faded Love“, „Remedy“) ist eine der aktuell gefragtesten Künstlerinnen Deutschlands und tritt tags drauf auf der Freilichtbühne auf. Die 26-Jährige präsentiert mit „Somewhere In Between“ ihre ehrlichste Single. Zusammen mit One Republic und Meduza singt Leony auch den offiziellen Song „Fire“ für die Fußball-EM 2024.
Am 2. August spielt die „Willenlos Sexy – Westernhagen Tribute Band“ im Kurpark und wird mit einer ellenlangen Liste von Hits für glückliche Momente sorgen. 2021 wurde die Band Preisträger des Deutschen Rock-Pop-Preises. chilli
> www.bad-krozingen.info/Open-Air-im-Park
Foto: © Kur und Bäder GmbH Bad Krozingen
Liebesbriefe aus Nizza
Frankreich 2024
Regie: Ivan Calbérac
Mit: André Dussolier, Sabine Azéma, Thierry Lhermitte, Joséphine de Meaux, Eva Rami u.a.
Verleih: Neue Visionen
Laufzeit: 95 Minuten
Start: 1. August 2024
Der ausgediente General François ist ein Mann von Disziplin und Prinzipien. Zwar nimmt niemand in der Familie ihn und sein festgefügtes Weltbild so richtig ernst – außer dem ältesten Sohn, der ebenfalls eine militärische Laufbahn eingeschlagen hat. Doch darüber geht der stockkonservative Rentner großzügig und selbstgerecht hinweg. Erst die Entdeckung einer uralten Affäre seiner Ehefrau wirft ihn aus der Bahn – und bringt manche Selbstgewissheit ins Wanken.
Die mit einem roten Band umwickelten Briefe, die François beim Aufräumen des Dachbodens findet, sind 40 Jahre alt. Dennoch dürfte er sie nicht lesen: Sie sind an seine Frau Annie adressiert, die seit fast 50 Jahren mit ihm verheiratet ist. Glücklich verheiratet, wie er meint: Schließlich fehlt es ihr an nichts, in strengem Familiensinn sowie unbedingter Treue, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit hat er immer für sie gesorgt – und die drei erwachsenen Kinder sind auch auf einem guten Weg. Na ja, zumindest Amaury, der Älteste, der in seine Fußstapfen getreten ist und schon Vater von vier Kindern ist, wenn auch nur von Töchtern. Vom Leben seiner eigenen Tochter Capucine weiß er nicht viel, ebenso wenig wie vom Alltag des Jüngsten, Adrien, der als Puppenspieler arbeitet. Dass er und Annie nur eine oberflächliche Beziehung zu den beiden haben, schiebt er auf den Umstand, dass sie zu weit weg vom
von Erika Weisser
Elternhaus in Lille wohnen – in Nizza. Und genau von dort wurden die Briefe verschickt, die er jetzt findet.
Sie stammen von Boris, einem gemeinsamen Jugendfreund von Annie und François. Doch der Inhalt ist eher leidenschaftlich denn freundschaftlich; die Wortwahl lässt darauf schließen, dass der Briefeschreiber bestens mit den intimen Details des Körpers seiner Ehefrau vertraut ist. Der Loyalitätsfanatiker versteht die Welt nicht mehr; sie gerät genauso aus den Fugen wie er selbst: Niemals verzeiht er Annie ihren Seitensprung, an den sie sich gar nicht mehr erinnert; rasend vor Eifersucht droht er mit Scheidung – und damit, den Nebenbuhler zu Rechenschaft und Vergeltung zu ziehen.
Annie lässt den altersstarrsinnigen und eigentlich schon immer völlig uncharmanten Ehemann indessen nicht alleine zu seiner geplanten Vendetta reisen – nach Nizza, wo Boris immer noch wohnt. Dabei ist unübersehbar, dass außer der Sorge um den Zusammenhalt der Familie auch eine gewisse erotische Neugier und Abenteuerlust mit im Spiel ist. Und es fehlt nicht viel, dass, als sie Boris finden, sie seinem unverminderten Charme erneut verfällt. Doch zunächst muss sie bei François andere Wogen glätten: Capucine outet sich unfreiwillig als lesbisch, und er hegt plötzlich Zweifel an der Vaterschaft zumindest von Adrien. Und während er sich seiner Raserei hingibt, zieht sie schließlich eine völlig unerwartete Konsequenz, die wiederum bei ihm scheinbar alles verändert. Mit ungewissem Ausgang.
Deutschland 2024
Regie: RP Kahl
Mit: Rainer Bock, Clemens Schick u.a.
Verleih: Leonine
Laufzeit: 186 Minuten
Start: 25. Juli 2024
(ewei). „Ich bitte, darauf hinweisen zu dürfen, wie dicht der Weg mit Zuschauern gesäumt war, als man uns aus unseren Wohnungen vertrieb und in die Viehwagen lud.“ Die Frau, die diesen Satz sagt, tritt als Überlebende der Shoa auf. Und sie macht diese Aussage zur Mitwisserschaft und dem oft die Grenze zur Mittäterschaft überschreitenden Mitläufertum mit dem Naziregime vor Gericht: als Zeugin 9 in RP Kahls Film über den ersten Auschwitzprozess.
Dieser fand von 1963 bis 1965 in Frankfurt statt; der vor antisemitischer Verfolgung geflüchtete Schriftsteller Peter Weiss war Beobachter. Die dort aufgedeckten Fakten über die systematische Ermordung von Menschen, das Leid der Davongekommenen, die Leugnungen der Angeklagten oder ihre Berufung auf eine Befehlssituation hat er zu einem Theaterstück verarbeitet.
59 Jahre nach der Uraufführung hat Kahl dieses „Oratorium in 11 Gesängen“ nun verfilmt – mit 60 Akteuren und ganz nah am Originaltext. Ein beklemmendes Kammerspiel.
Deutschland 2024
Regie: Natja Brunckhorst
Mit: Sandra Hüller, Peter Kurth, Max Riemelt u.a.
Verleih: X Verleih
Laufzeit: 116 Minuten
Start: 25. Juli 2024
(ewei). „Das Papiergeld der DDR wurde in einem Stollen eingelagert.“ Dieser zufällig irgendwo gelesene Satz löste bei Filmemacherin Natja Brunckhorst ein Kopfkino aus. Und Neugier, die sie zu Recherchen veranlasste. Deren Ergebnis lässt sich sehen – in Ost- und Westkinos.
Im Sommer 1990 sind die Tage der DDR gezählt, der Anschluss an die BRD ist für den 3. Oktober terminiert. Die Währungsunion ist vollzogen, die Bewohner einer Wohnanlage in Halberstadt haben ihre spärlichen Ersparnisse bereits in D-Mark umgetauscht. Alle leben in der Schwebe, fürchten um ihre Arbeitsplätze, hoffen auf Besserergehen.
Irgendwann fallen Robert und Volker die vielen Laster auf, die in Richtung eines stillgelegten Stollens fahren. Vom Aufseher Markowski erfahren sie, dass dort bergeweise DDR-Banknoten eingelagert werden. Zusammen mit Maren, in die beide verliebt sind, plündern sie das geheime Milliardengrab und finden Wege, das wertlos gewordene angebliche Eigentum des Volkes zu vergolden.
Deutschland 2024
Regie: Narges Shahid Kalhor
Mit: Baharak Abdolifard, Nima Nazarinia u.a.
Verleih: Schmidbauer Film
Laufzeit: 85 Minuten
Start: 1. August 2024
(ewei). Nach zehn Jahren in Deutschland will sich Narges Shahid Kalhor von einigem Ballast befreien, den sie noch aus ihrer iranischen Heimat mitschleppt. Dazu gehört auch das Wort „Shahid“ in ihrem Familiennamen: Es bedeutet Märtyrer und wurde vor 100 Jahren ihrem Urgroßvater verliehen, als er in seinem – aus damaliger Sicht – „Kampf für die Freiheit“ getötet wurde.
Sie will gegen diese Vergangenheit angehen – und damit auch gegen die Tradition einer patriarchalen Kultur. Deshalb soll dieser Teil des Namens gelöscht werden. Doch genau da taucht ihr Urgroßvater auf – mitsamt aberwitzig tanzender Kumpels, die sie von ihrem Vorhaben abbringen wollen. Ein Generationenkonflikt entbrennt, und es zeigt sich, welchen Bedeutungswandel so mancher Begriff im Laufe der Zeit erlebt und wie sich gesellschaftliche Rollenbilder verändern. Vom Guten zum Bösen, vom Opfer zum Täter. Am Ende aber geht keiner als Sieger hervor; zu viele radikale Ideologien werden in Frage gestellt.
„Wollte
EX-MONROSE-SÄNGERIN
DSolopfade: Bahar Kizil aus Freiburg startet 2024 erneut durch. Mit deutschen Texten will sie in Eigenregie eine Fanbase aufbauen – ganz unabhängig von ihrer einstigen Castingband Monrose.
Fotos: © Chris Haimerl
ie Freiburger Sängerin Bahar Kizil feierte vor rund 15 Jahren mit der Casting-Band Monrose europaweit Erfolge. 2024 startet die 35-Jährige neu durch. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann erzählt sie vom geplanten Karriereende, von starken Themen und einer möglichen Solotour.
chilli: Bahar, du bist seit 2024 wieder am Durchstarten. Unverhofft kommt oft?
Bahar: Ich habe 2020 angefangen, in Berlin Marketingkommunikation zu studieren. Ich wollte raus aus dem Musikbusiness. Zu meiner Bachelorarbeit bin ich im Sommer 2023 zurück in die Heimat nach Freiburg gezogen. Nach dem Abschluss hat es sich nach einer langen Zeit wieder natürlich angefühlt, Musik zu machen. chilli: Du wolltest wirklich aufhören?
Bahar: Ja, ich wollte eigentlich einen Schlussstrich ziehen, etwas anderes machen – und das habe ich. Doch meistens kommt es anders als geplant. Nach ein,
zwei Sessions habe ich wieder Blut geleckt und Anfang des Jahres gab es dann kein Zurück mehr – entweder ganz oder gar nicht.
chilli: Gibt es Menschen, die dich beraten?
Bahar: Bei solchen Entscheidungen gibt es niemanden, der mich zu irgendwas drängt. Auch wenn ich den vollsten Support meiner Familie habe, wissen die wenigsten meiner Engsten, was das alles mit sich bringt. Das Musik-Business ist sehr hart – auch wenn das nach außen leicht und schön aussieht.
chilli: Du hast 2024 bisher drei Singles veröffentlicht. Dabei setzt du auf Themen wie Gender Equality oder Selbstverwirklichung. Ist das die neue Bahar?
Bahar: Ja. Ich schreibe über gesellschaftliche Entwicklungen, Dinge, die in der Welt passieren, Themen, die mich und meine Mitmenschen berühren. Mir ist es wichtig, jetzt mit 35 mehr denn je, dass ich über meine Gedanken und Gefühle schreiben kann. Ich glaube, wir haben
diese Verantwortung, starken Themen, wichtigen Themen Raum zu geben.
chilli: Bei Monrose wurdet ihr in Schablonen gedrückt. Die jungen wilden Frauen, die einem Ideal entsprechen. Verarbeitest du das auch in Songs?
Bahar: Natürlich ging das unterschwellig immer mit rein: gut aussehen, fit sein ... Das war für mich aber ein natürlicher Werdegang, weil ich immer sportlich war. Fitness war mein Ausgleich zu allem, das hatte nie den Aspekt eines Schönheitsideals. Leute, die mich noch von vor 15 oder 18 Jahren kennen, fragen: Boah, wie geht es dir heute? Gewichtstechnisch ist etwas passiert, ich habe mich verändert, weiterentwickelt. Deswegen auch der Song „They Said“. Wir reden so viel über Diversität. Aber am Ende des Tages traut sich kaum einer, diese zu leben, indem er/sie andere leben lässt. In der Gesellschaft wird es einem schwer gemacht, etwas anderes zu sein.
„Ich hatte verlernt, meine Gefühle in einen Satz zu packen.“
chilli: Hast du bei Monrose jemals eine Textzeile selbst geschrieben?
Bahar: Nur einmal bei einer spontanen Session. Ich verstehe das aus Produzenten- und Maschineriesicht. Denn unsere Songs waren Hits, und Hits muss man schreiben können. Das ist ein ganz eigenes Handwerk. Langfristig wäre es wichtig gewesen, uns eine Möglichkeit zu geben, an gewissen Prozessen teilzuhaben.
chilli: War das Songwriting danach schwierig?
Bahar: Ja. Ich hatte verlernt, meine Gefühle in einen Satz zu packen. So richtig ging das erst wieder 2017, als ich angefangen habe, auf Deutsch zu schreiben. Heute liebe ich es.
chilli: Kannst du heute noch von Monrose-Einnahmen leben?
Bahar: Es gibt ein zwei Mal im Jahr die GVL-Tantiemen. Das hält sich aber alles in Grenzen. Damals haben wir überdurchschnittlich viel verdient, aber auch viel ausgegeben, weil wir dauernd unterwegs waren. Die neue Streamingwelt eröffnet einem viel. Aber auf finanzieller Basis ist das nichts wert.
chilli: Wie entsteht deine Musik heute?
Bahar: Ich habe zwei, drei sehr gute Produzent·innen. Meistens entstehen Songs in Sessions, gemeinsam mit anderen Writern. Der Vibe spielt eine große Rolle. Welche Themen mich beschäftigen und welche Rolle Emotionen einnehmen sollen. Text und Melodie – beides muss mir entweder Gänsehaut verschaffen oder mich zum Tanzen bringen.
chilli: Du bringst fast monatlich eine Single raus. Im September kommt eine weitere EP. Wo soll die Reise hingehen?
Bahar: Das große Ziel ist aktuell die EP. Wenn es musikalisch wächst, gehe ich vielleicht auf Solotour. Bis dahin will ich eine Community aufbauen, die mit mir wächst, meine Songs hören will und mich nicht nur der Ära von Monrose zuordnen kann.
„YOOMCIRCLE“ SETZT AUF SOLO-RETRO-SOUND
Der Freiburger Musiker Johannes Maikranz war in vielen Konstellationen unterwegs. Als Gitarrist hat er unter anderem den ZMF-Preis 2018 erhalten. Jetzt probiert er sich mit einem Soloprojekt als yoomcircle. Das klingt nach „Zurück in die Zukunft“. Manchmal sind es kleine Momente, die große Projekte zünden. So war es bei Johannes Maikranz, als er 2016 David Bowies letztes Album entdeckte. „Ich war voll geflasht“, erzählt der 36-Jährige. Er fühlte sich inspiriert, Songs zu schreiben, die komplett aus seiner Feder sind – und dazu selbst zu singen. Etwas, das er so noch nicht gemacht hatte.
Gesagt, getan: Maikranz baute sich ein Home-Studio auf, schrieb Lieder, brachte sich neue Dinge bei. „Das wurde immer mehr, bis ich mir gesagt habe: Jetzt mache ich ein Album.“ Das trägt den Titel Nomad und erscheint am 9. August als Digitalrelease. Seit März releast Maikranz die ersten Singles dazu auf Streamingportalen. Vier Stück sind bisher erschienen. Und bieten poppigen Retro-Sound mit vielen Synthies und eingängigen Vocals. „Retro futuristic indie music“ nennt Maikranz seine Musik. Wie das klingen kann, zeigt zum Beispiel die jüngste Single „Waterfalls“. Der Track kommt mit treibenden Drums und vielen Soundspielereien durch die Box. Zurück in die Zukunft. Tanzbar ist das. Mitsingbar auch. Gute Laune mit Radioappeal. Die Inspiration zum Track kam, als gerade überhaupt keine Ideen sprudelten. Bis es passierte: „Wie Wasser, das über einen drüberrieselt“, erzählt Maikranz. Er summte ein paar Fantasiewörter zur Melodie – und fühlte irgendwann einen Wasserfall. „Waterfall“ war geboren. Zum Song gibt es ein Musikvideo mit den Turmspringern Anna Bader und Kris Kolanus. Dafür mietete Maikranz das Westbad. Bereit zum Investieren ist er. Wie weit das Projekt gehen wird, weiß er aber noch nicht. Eine Releaseparty ist nicht geplant. „So viel Zuhörerschaft wie möglich zu erreichen“, ist das erste Ziel. Mit einem Projekt, das den Stempel DIY mehr als verdient. Bis auf das Mastering hat Maikranz alles selbst geschrieben, eingespielt und abgemischt.
Till Neumann
Einer für alles: Johannes Maikranz macht sein eigenes Ding.
3 FRAGEN AN PHILIPP WINTERSTEIN
Die Freiburger Plattenfirma Jazzhaus Records hat einen neuen Manager: Als Nachfolger von Thorsten Ilg ist jetzt Philipp Winterstein am Ruder. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann erzählt der 31-Jährige, wie das Team Bands zum Durchbruch verhelfen kann.
Was sind Ihre Aufgaben als Labelmanager?
Die Aufgaben sind vielfältig, was ich an diesem Job sehr reizvoll finde. Ich muss viel planen und koordinieren, zum Beispiel wenn ein neuer Release ansteht. Ich sehe mich aber auch als Ratgeber und allgemeiner Ansprechpartner für unsere Artists. Außerdem bin ich in die Marketingstrategien involviert und arbeite eng mit unserem Vertrieb zusammen, damit unsere Musik die größtmögliche Reichweite erzielt.
Wie verhelft ihr Acts zum Durchbruch?
Das liegt leider nicht nur in unserer Macht. Ich kann bestimmte Voraussetzungen schaffen, die einem Artist zum Durchbruch verhelfen können. Sowas hängt von vielen Faktoren ab. Vor allem braucht es Zeit und eine gute Strategie.
Drei Tipps: Was sollten junge Musiker·innen tun, um groß rauszukommen?
Sie sollten sich auf keinen Fall übernehmen und erst mal schauen, dass sie an den musikalischen Grundlagen arbeiten. Der Musikmarkt ist hochdynamisch und erfordert viel Anpassung. Soziologen wie Andreas Reckwitz sprechen von „erschöpfter Selbstverwirklichung“. Als Musiker kenne ich dieses Gefühl. Man sollte sich daher vor allem auf die eigenen Stärken konzentrieren und langfristig denken.
(pt). Eine der bekanntesten Bands der Stadt hat einen neuen Song aufgelegt: „7 Days“ nennt sich das dreieinhalbminütige Stück von Fatcat. Es vereint luftige Sommerklänge mit kurzweiligen Lyrics. Der Track hätte das Zeug zum Europameisterschafts-Einspieler. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er eine Woche vor dem Eröffnungsspiel releast wurde.
Nicht nur Zeitlupen-Tore lassen sich zum fein produzierten „7 Days“ gucken. Der Song passt zu Pool, Party, Palmen und pastellfarbenen Sonnenuntergängen. Das geht auch, weil der Songtext angenehm austauschbar und unverfänglich ist. „Together we reach our dream / Nothing can hold us back / More than just you and me“, trällert Vocalist Kenny Joyner unter satten Beats, einigen „Nananas“ sowie druckvollen Trompeten ins Mikro. Fatcat nennen ihre Musik nicht umsonst „Power Funk“.
Die Freiburger Funker waren VorAct von Anastacia, Jamie Cullum oder La Brass Banda und treten bei Festivals im In- und Ausland mittlerweile auch als Headliner an. Mehr als 500 Shows hat die Band mittlerweile auf dem Buckel. Diese Erfahrung schwingt catchy und karibisch auch im neuesten Werk mit. Aber: Obwohl das kurzweilige „7 Days“ absolutes Ohrwurmpotenzial hat – sieben Tage bleibt der Song nicht im Ohr.
KARL FROM HOME TAKE YOUR TIME Indie
(mwa). Das Ende Juni erschienene Debütalbum der Freiburger OneMan-Band Karl from Home versteht sich als musikalisches Tagebuch, als künstlerische Chronik seiner depressiven Lebensphase. Mit 27 Jahren zog der desillusionierte Multiinstrumentalist aus Hamburg zurück zu seinen Eltern in die südbadische Provinz –in seiner Selbstzerfleischung ein Schritt nach hinten.
Das schöpferische Resultat seiner „Blauen Periode“ ist ein pop- und indielastiges Erstlingswerk, das von einer ungeschönten Ehrlichkeit und Selbstreflexion zeugt.
Anknüpfend daran hat er eine Handvoll Lieder als roughe Demosongs veröffentlicht. Der Albumtitel „Take Your Time“ bestimmt die Marschrichtung – suche deinen Platz in der Welt, lebe nach deinem Tempo, finde dein eigenes Glück.
Die Klangwelten der Single-Auskopplungen „Famous, Gold und The Wind“ sind von verträumt-melancholischer Natur und speisen sich aus unterschiedlichsten musikalischen Inspirationsquellen – seien es legere Indie-Sounds à la Mac DeMarco, seelenumpflügende Synthesizerklänge aus den 80er-Jahren oder melodiöswummernde Basslines im Stile der Stone Roses. Eine Symbiose aus Introspektion und Leichtigkeit. Uneingeschränkte Hörempfehlung.
(tln). Globale Krise? Wir lächeln trotzdem. So könnte man den neuesten Tune der Freiburger Indie-Kombo Between Owls deuten. Die vier Musiker·innen haben mit „Big Smiles“ im Juni einen Feel-Good-Song rausgehauen. Dazu gibt’s ein KI-LipsynchVideo auf YouTube.
Hinter der Musik stecken natürlich Menschen: Sängerin Maggie trägt die Band mit ihrer markanten Stimme. Marc begleitet sie in „Big Smiles“ im Chorus, dazu gibt es treibende Gitarren und einen Beat, der Köpfe zum Nicken bringt. Tanzbar und mitsingbar kommt das daher.
„Big Smiles, little Lies, I wonder why” lautet der Chorus. Muss man sich die Welt einfach mal schönlügen? „Die Single erforscht das Bedürfnis nach digitaler Verbindung und Bestätigung“, erklärt Maggie. Der Song beobachte die Unsicherheit des Selbstbildes, das nach äußerer Bestätigung sucht.
Musikalisch klingt das federleicht.
„Musik, die deinen Eltern gefällt“, sagen Between Owls wohl nicht ohne zu grinsen. Mit dem Release meinen sie es aber ernst: „Big Smiles“ ist die erste Single aus einem Album, das 2025 über das Label KROD-Records erscheinen soll. Die nächste Single dazu heißt „Fun“ und kommt am 12. Juli. Die Band sagt dazu: „Der Song klingt wie klebrige Erdbeereis-Finger.“ Guten Appetit.
DIAZ CHANCES (SINGLE)
Singer-Songwriter/Pop
(fnh). Frechster mexikanischer Sonnenschein – so beschreibt sich die Freiburger Singer-Songwriterin Annie Diaz. Ihre Musik nutzt sie, um ihre Message zu verbreiten: Sei du selbst und akzeptiere dich mit all deinen Macken. Mit den Themen Mental Health, Selbstakzeptanz und Liebe will sie ihre Zuhörer·innen erreichen. So auch mit ihrer neuen Single „Chances“, die Anfang Juli erschienen ist. Zu jazz-touchiger instrumenteller Begleitung singt sie auf Englisch selbstbewusste Zeilen. Sie rechnet mit einer Person und damit, ihr zu viele Chancen gegeben zu haben, ab. Einige Lines sogar auf Spanisch.
Sie möchte aus der Pop-Mainstream-Szene ausbrechen. Als „sassy sunshine Pop“ bezeichnet die junge Sängerin ihre eigene Musik. Frech, hell und peppig hört sich ihre neue Single an. Aber auch dramatisch kann sie, wie sie in anderen Songs zeigt. Mit gerade mal drei Singles steht die junge Sängerin noch am Anfang. Da ist noch Zeit für Entfaltung.
Potenzial hat sie mit ihren authentischen Texten und einer charakterstarken Stimme aber durchaus. Derzeit feilt sie an neuen Songs in Zusammenarbeit mit lokalen Musiker·innen Freiburgs aus dem Bereich Pop, Rock, Rap und Hiphop. Das macht gespannt auf mehr.
Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen, vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet
Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Sommer? Früher, ja, früher da war nun wirklich alles besser. Und siehe da, endlich ist auch der Sommer wieder ein Sommer, wie man ihn von früher kennt und eigentlich auch schätzte. Heute aber umso mehr. Regen und Temperaturen weit unter 30 Grad, ein Traum in Zeiten des Klimawandels. Richtig? Falsch! Alle wollen doch schwitzen und sich ihren Sommer auf dem Lande oder in der Stadt von niemandem madig machen lassen, zur Not trinkt man ihn sich schön. Auch der einfache Geschmackspolizist ist nur ein verdammter Nostalgiker mit Sehnsucht nach Sonnenbrand und Softeis.
Der Spaß hört allerdings für uns da auf, wo der Sommer dazu verwendet wird, geschmackloses Liedgut unters Volk zu bringen. Wolfgang Petry übernahm das schon vor vielen Jahren exemplarisch mit „Sommer in der Stadt“
„Ich geh ganz in Gedanken meinen Weg Hör die Band aus Lilis Diskothek
Und am Flipperautomat, da gewinn ich sogar ein Spiel Doch das ist es nicht, was ich suche und was ich will Sommer in der Stadt
Warten auf die Nacht
Und ich geh dorthin, wo sie alle sind
Wo die Musicbox mir die Langeweile nimmt
Sommer in der Stadt
Ich hab es so satt
Gibt‘s nicht irgendwo in dem Riesenhäusermeer
Das Mädchen dessen Freund ich gerne wär?“
Deshalb: Abführen zu RTL auf lebenslänglich ins „Sommerhaus der Stars“.
Hemdsärmelig grüßt Ihre Geschmackspolizei
Zwei Professoren der Uni Freiburg, Bernd Kortmann und Günther G. Schulze, haben unlängst im Wissenschaftsverlag Transcript ein Buch herausgegeben, in dem sich elf Autorinnen und Autoren mit den verschiedenen Erscheinungsformen von Mut oder Mutlosigkeit auf politischer, gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und privater Ebene beschäftigen. Ihre veröffentlichten Essays sind das Ergebnis des Symposiums „Mut wagen!“, das der Anglist und der Ökonom im Juni 2022 organisierten – zum Ende ihrer Amtszeit als Direktoren des renommierten Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS).
Mehr Mut wagen!
Plädoyer für eine aktive Politik und Gesellschaft
Bernd Kortmann & Günther G. Schulze (Hrsg.)
Verlag: Transcript, 2024 166 Seiten, Paperback
Preis: 18 Euro
Ursprünglicher Auslöser für die zweitägige Denk- und Debattenveranstaltung war die seinerzeit viel diskutierte Unentschlossenheit der politisch Handelnden in der Coronakrise in den vorangegangenen Jahren. Mit dem kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und den Reaktionen der kurz davor neu gewählten Regierungsverantwortlichen in Deutschland wurde das Thema um einen unerwartet aktuellen Aspekt erweitert: So setzen sich etliche kontroverse Beiträge mit Bundeskanzler Olaf Scholz auseinander, der wenige Tage nach dem Überfall vor dem Bundestag die „Zeitenwende“ ausrief. Peter Wittig, in Freiburg promovierter Geschichts-, Politik- und Rechtswissenschaftler und bis 2020 Botschafter in London, Washington und bei der UN, bescheinigt ihm etwa, dass er „Mauern von Tabus und Verkrustungen in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ einriss und dabei „nachgerade umstürzend und wahrhaft mutig“ gewesen sei. Hingegen spricht ihm Spiegel-Redakteur Ulrich Fichtner genau das Quäntchen Mut ab, das zu einer konsequenten Abkehr vom bisherigen Regierungskurs fehlte: Er habe es fertiggebracht, „eine Zeitenwende zu erklären und sie gleichzeitig zu verweigern“.
Einig sind sie sich indessen – auch mit Herausgeber Günther G. Schulze – darin,
dass allein die Reaktion auf bestimmte Ereignisse nicht als adäquates, Vertrauen bildendes oder gar mutiges politisches Handeln gewertet werden könne. Zur Beendigung des besagten Kriegs müssten umfassende und transparente Strategien entwickelt werden; dabei dürfe man auch einen Paradigmenwechsel in der Verteidigungspolitik nicht scheuen. Zumal, so Schulze, Mutlosigkeit in diesem Bereich Menschenleben kosten könne.
Unter einem anderen Aspekt betrachtet der Freiburger Verfassungsrechtler Andreas Voßkuhle den Begriff, der schon zu den aristotelischen Tugenden zählte: Für ihn, der früher „lieber von Zivilcourage sprach“, ist Mut im Alltag die Voraussetzung für Demokratie, Offenheit, Wahrhaftigkeit, Pioniergeist, Innovationskraft – und somit „für ein menschliches Miteinander und eine zukunftsfähige und nachhaltige Gestaltung unserer Welt“.
von Alain Claude Sulzer
Verlag:
Galiani, 2024
192 Seiten, gebunden
Preis: 24 Euro
(ewei). Frank und der Ich-Erzähler sind ein Jahr alt, als sie am selben Tag im selben Haus in dieselbe Etage ziehen. Und da sich ihre Eltern sofort anhaltend anfreunden, wachsen die beiden Einzelkinder wie unzertrennliche Zwillingsbrüder auf. Das Band hält über viele Lebensphasen – und wird enger, als sie als 17-Jährige innerhalb weniger Monate den Tod ihrer Mütter erleben und das „empörend“ finden. Doch kaum ein Jahr später reißt es ein. Nicht nur, weil beide Väter mit ihren Söhnen in andere Städte ziehen. Sondern in erster Linie, weil Frank zuvor bei einem Tête-à-Tête mit dem schönen, zu einer der Sinti-Familien im Erdgeschoss gehörigen Matteo erwischt wird. Dass der Bruderfreund sich als schwul outet, bezieht der Ich-Erzähler auf sich und meidet peinlich beschämt den Umgang mit ihm.
Schon zuvor wird er ihm seltsam fremd: als Frank sein künstlerisches Talent entdeckt und Bilder produziert, die er nicht begreift. Als er sein Bohèmedasein in die USA verlegt, kommen sie sich fast ganz abhanden. Bis zu dem Tag, da Frank ihm sagt, dass er Aids hat und zum Sterben nach Deutschland zurückkehrt. Mit emotionaler Wucht beschreibt der Basler Autor Alain Claude Sulzer eine verkannte und verdrängte Freundschaft – und das fast vergessene Drama der Aids-Toten der 1980er-Jahre.
von Ulrich Land
Verlag:
8 Grad, 2024
216 Seiten, gebunden
Preis: 24 Euro
Erscheint am 28. Juli
(ewei). Sieben junge Frauen, darunter Friederike Brion, Charlotte Buff, Charlotte von Stein und Christiane Vulpius, haben genug von den Männern. Tief enttäuscht und schwer beschädigt von deren amourösen Lügen und Betrügereien tun sie sich zusammen, um ...
Ja, um was zu tun? Sich der Männerwelt fortan zu verweigern? Sich zu rächen? Die Männer mitsamt ihrer Schwächen und Unzulänglichkeiten öffentlich bloßzustellen? Kein einfaches Unterfangen im ausgehenden 19. Jahrhundert, wo gerade in den angeblich vornehmen Kreisen für Frauen eine gute Partie und Heirat die Voraussetzung war, um gesellschaftlich auf- oder vielmehr nicht abzusteigen.
Wie dem auch sei, der Freiburger Autor Ulrich Land nimmt sich viel künstlerische Freiheit und schmiedet die einst real existierenden Damen, die im wirklichen Leben wohl kaum ein Wort miteinander wechselten, zu einer wort- und aktionsreichen Verschwörung zusammen. Diese gipfelt darin, dass sie einen Popanz erfinden, dem sie sämtliche Gemeinheiten und Lieblosigkeiten andichten, die sie erdulden mussten.
„Goethe“ nennen sie dieses kollektive Spiegelbild ihrer Alpträume und entlassen den Dichterfürsten in einer Art „Goethe-Dämmerung“ in die Welt. Und feiern Erfolge damit. Ob sie den Geist, den sie riefen, wohl je wieder loswerden?
von Jörg Später
Verlag:
Suhrkamp, 2024
760 Seiten, Hardcover
Preis: 40 Euro
(ewei). 1949 kehrte der Philosoph Theodor W. Adorno aus dem Exil in seine Geburtsstadt Frankfurt zurück. 1933 hatten die Nazis ihn dort wegen seiner jüdischen Familiengeschichte mit Lehrverbot belegt und sein marxistisch ausgerichtetes Institut für Sozialforschung (IfS) aufgelöst.
Nach Jahren der Weiterführung ihrer „Frankfurter Schule“ in den USA brachten er und Institutsgründer Max Horkheimer sie nun zurück an ihren Stammort in der gerade gegründeten Bundesrepublik. Bis zu seinem Tod 1969 war Adorno Direktor des IfS, das sich der Kritischen Theorie verschrieben hatte – einer Denkrichtung zur Überwindung der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft. Adorno wurde durch Radiosendungen bald populär – und zur Ikone für die sich nach ihrer Zerschlagung neu formierende politische Linke. Ebenso für viele Studierende, die nach Erklärungen für Faschismus & Co. suchten.
Der Freiburger Historiker Jörg Später folgt 13 ehemaligen Adorno-Schülern auf ihren weiteren wissenschaftlichen Wegen und schildert, wie und in welchen sozialen Bewegungen sie sein Erbe bewahrten und veränderten. Damit schreibt er die Geschichte der Kritischen Theorie neu – als vielstimmige Erzählung der Zeit und des Denkraums zwischen Nachkrieg und Wiedervereinigung.