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Eigenen Weg gefunden
JAZZ-FESTIVAL MIT NEWCOMERN UND BEKANNTEN
Als Jazz-Metropole geht Freiburg nicht durch. Dennoch hat sich das hiesige Jazz-Festival – 2001 als „Gipfel du Jazz“ gestartet – einen Namen gemacht. Im September geben sich mal wieder Szene-Stars, Newcomer·innen und lokale Acts die Klinke in die Hand.
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cz: „Fahrrad“ war euer erster kleiner Hit. Wie kam es dazu?
Kacksen: Wir standen zu zweit nach dem Fußballtraining an der Ecke und hatten den Anfang dieser Hook: „Ja wir cruisen mit dem Fahrrad, trag den Kasten nur zu zweit / noch ein Wegbier für die Brüder, ja der Kasten wird geteilt.“ cz: Ihr habt das Heroes selbst eingefädelt. Erzählt mal. cz: Und dann haben sie euch kontaktiert?
Amadeus79: Das ist aus einem übelsten Joke entstanden. Wir haben gesagt, komm, wir können da mal ein paar Kommentare schreiben. Als alle Künstler announct wurden, hat Kacksen das gephotoshopt und uns selber announct. Dann haben wir angefangen, Storys zu machen.
Kacksen: Wir haben denen jeden Tag oder jeden zweiten ’ne direct Message geschrieben auf Insta. Das haben wir seit Februar durchgezogen.
Amadeus79: Irgendwann haben sie uns geschrieben. dass wir irgendwie sehr überzeugt von uns seien und dass wir mal callen sollen.
Kacksen: Er meinte: „Yo, wir haben es gefeiert, was ihr gemacht habt. Liefert jetzt mal noch ein bisschen ab.“ Dann kam von uns das Video an der Messe (bit.ly/DLR_MESSE).
Dann haben sie gesagt: „Alles klar, wir schicken euch raus.“ cz: Crazy. Wie würdet ihr euren Sound beschreiben? cz: Letzte Frage: Was macht ihr anders als andere?
Kacksen: Ich würde Party-Rap sagen.
Amadeus79: Und Alkohol-Rap. Aber Party-Rap ist besser.
Kacksen: Es gibt bei uns nur, dass wir uns nicht zu ernst nehmen und Bock haben, durchzuziehen. Wenn man uns auf dem Splash sieht, sieht man uns nur vor einem Moshpit. Genau das ist unser Plan: Bei den Konzerten genau diesen Abriss, den wir selber fühlen, wenn wir feiern, nach außen zu bringen.
Das Jazz-Festival ist eine Kooperation von Jazzhaus und E-Werk. „Wir können uns nicht mit den ganz Großen vergleichen“, sagt Michael Musiol, Geschäftsführer des Jazzhauses. Um Events wie dem Montreux Jazz Festival nachzueifern, fehle es an Finanzen. „Das haben wir zur Tugend gemacht und unseren eigenen Weg gefunden“, berichtet Musiol. In Freiburg könnten Künstler·innen entdeckt werden, die später auf den großen Bühnen stehen. „Wir haben einen guten Riecher“, findet der Fachmann.
Der Schwerpunkt liegt bei der diesjährigen Ausgabe auf Großbritannien. „Dort passiert aktuell mit sehr vielen jungen und frischen Musikern einiges“, erklärt Musiol. Dazu gehört das Trio um den Pianisten Fergus McCreadie (Forum Merzhausen, 21. September). In dessen Musik spiegeln sich schottische Landschaft und Musiktradition sowie amerikanische und skandinavische Einflüsse wider. Ebenfalls am Start ist die Saxophonistin, Komponistin und Bandleaderin Jasmine Myra (Jazzhaus, 17. September) aus Leeds. Sie verbindet Jazz mit Elektronica.
Kein Geheimtipp mehr ist das Tingvall Trio (Jazzhaus, 19. September). Die Kombo um den Pianisten Martin Tingvall ist schon oft in Freiburg aufgetreten. „Über die Jahre sind die Musiker so etwas wie gute Freunde geworden“, berichtet Musiol. In Jazzkreisen bekannt ist auch der Sopransaxophonist Emile Parisien (E-Werk, 22. September), er gilt als ein Star der französischen Szene.
Die Freiburger Jazzlandschaft beschreibt Musiol als sehr lebendig. Davon können sich Gäste unter anderem beim Minigipfel (16. September) überzeugen. Dabei gehen Musiker·innen in Kneipen und Gaststätten auf die Bühne. Auch beim Jazz im Park (24. September) am Colombischlössle ist Musik von lokalen Künstler·innen zu hören. „Das ist eine Möglichkeit, die Szene zu unterstützen“, findet Musiol. Das Jazz-Festival läuft vom 16. bis zum 24. September. pl
Heroes Festival
Das Heroes Festival steigt am 8. und 9. September an der Freiburger Messe. Es kommen Rap-Größen wie 01099, Cro, Juju, Luciano oder Marteria. Als Freiburger sind „Die Letzte Reihe“ am 8. September ab 14 Uhr auf der Bühne zu sehen. Mehr Infos auf heroes-festival.com/freiburg
Rooftop-Premiere
SCHEITERN BAUMARKT / ZÜNDELS ABGANG Punkrock
Im Juli stieg erstmals eine „RooftopSession“ auf dem Dach der Sparkasse Freiburg. Die Liedermacher·innen Laura Braun aus Freiburg und Max Prosa aus Berlin spielten und talkten mit Magdalena Ganter. Die Idee kam von Thomas Walz, Macher der Streaming-Plattform inFreiburgzuhause. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann erzählt der 48-Jährige, was dahintersteckt.
Herr Walz, wie kam es zur ersten RooftopSession?
Mit der Dachterrasse der Sparkasse im Quartier Unterlinden habe ich schon immer was machen wollen. inFreiburgzuhause ist ja kein PandemieProjekt mehr. Unsere Ziele haben sich etwas geändert. Wir versuchen, Kulturtalente aus Freiburg zu zeigen und zu fördern. Die RooftopSessions sollen lokale Acts mit jemandem zusammenbringen, der schon weiter ist.
Es gibt aber nicht nur Musik. Genau. Als Moderatorin ist die Sängerin Magdalena Ganter aus Hinterzarten dabei. Sie war von Anfang an begeistert und hat Max Prosa als überregionalen Musiker ins Spiel gebracht. Die Premiere war ein toller Anfang. Wir hatten 336 Live-Aufrufe und mittlerweile mehr als 600 Aufrufe für das Video.
Geht das Format in Serie?
Wir werden jetzt Bilanz ziehen, auch mit Blick auf die Kosten. Sicher ist: Wir haben Lust auf mehr. Die RooftopSession ist kein Winterprojekt. Der Plan wäre, für das späte Frühjahr zwei, drei weitere Ausgaben zu organisieren.
Den ganzen Bericht zur Premiere: bit.ly/rt_chilli
Mehr davon
(pl). Eigentlich sind sie alte Hasen: Die fünf Musiker·innen von Scheitern sind aus Freiburger Formationen wie Redensart, Casually Dressed, Deserteur Schumann oder Dead Cats on Moped bekannt. Nun hat die Band ihre beiden ersten Songs veröffentlicht. Die in der Klimperstube aufgenommenen und auf YouTube erschienenen Tracks rumpeln mit Ecken und Kanten aus den Boxen.
„Baumarkt“ haben Scheitern Anfang des Jahres releast. Die melodiöse Nummer beginnt langsam, explodiert aber spätestens im hymnischen Refrain. Inhaltlich lässt der Track Interpretationsspielraum, unter anderem besingt Dominik Schindler einen Breakdown im Baumarkt („Und vorm Axtregal bin ich so sentimental, die letzte Bastion fällt“). Mit dem Song hat das Quintett einen sehr gelungenen Punkrock-Track geschaffen.
Auf dem Mitte Juli erschienenen
„Zündels Abgang“ – benannt nach einem Roman des Autors Markus Werner – übernimmt Gitarrist Gabriel Bechler den Leadgesang. Der Song ist zwar weniger eingängig als „Baumarkt“. Dennoch überzeugt er mit Leidenschaft und düsteren Zeilen wie „Auf Mauern wachsen Zäune, ich vermisse meine Freunde“. Die Songs machen ordentlich Bock auf mehr. Hoffentlich müssen die Punkrock-Fans darauf nicht zu lange warten.
Hymnischer Frust
(pl). Das Hardcore-Quartett steht nicht still: Erst vergangenes Jahr haben Phantom Bay ihre hochgelobte Debüt-Platte veröffentlicht, nun legt die Gruppe mit Freiburger Connection neue Songs nach: Anfang September erscheint die EP „Underground“. Die zweite Single „Collective Decline“ überzeugt mit ganz viel Leidenschaft.
Die Band um Sänger und Gitarrist Michael Hanser kommt aus Bremen. Doch wer sich mit der Szene im Breisgau auskennt, sieht bekannte Gesichter: Bassist Laurin Rutgers spielt bei Redensart und Casually Dressed, Schlagzeuger Yannic Arens war bei den Deadnotes. Gemeinsam mit Gitarrist Marc Schulz macht das Quartett treibenden Hardcore-Punk. Mit Erfolg: Gerade haben die Musiker die etablierte Band Turnstile supportet, im Oktober geht es zum legendären Festival „The Fest“ in Florida.
Mit ihren Songs werden Phantom Bay sicher auch in den USA neue Fans finden. Im April legten sie mit der Single „Ends meet“ die Latte hoch. Mit „Collective Decline“ hat das Quartett noch eine Schippe draufgesetzt. In den Lyrics beschreibt Hanser Gefühle der Ohnmacht im Angesicht der Weltlage. Trotz brachialen Gesangs und hörbarer Frustration geht die hymnische Nummer ins Ohr. Hoffentlich erhalten sich Phantom Bay die hohe Produktivität.
... zu Till L.
Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Überlegt und laut
(as). Der Freiburger Rockmusiker und Buchautor Al Page alias Alpasan Hatkoy hat im Juli sein Album „Seven“ rausgebracht. Darin führt er uns teils autobiografisch, teils allgemeingültig durch die Ups and Downs des Lebens. Die 14 Tracks sind zunächst mit kraftvollen Gitarrenriffs und rauer Stimme keine neue musikalische Offenbarung. Doch inhaltlich kommen diverse Überraschungen raus: von introspektiven Texten hinsichtlich seiner Depressionen über klassische Lovesongs bis zu originellen tanzbaren Bangern.
Ein Song aber fällt deutlich aus der Reihe: Auf „Joe must die“ besingt der Mittvierziger die Racheaktion einer reichen Lady – eine Referenz auf „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt?
Gegensätze vereint hat Hatkoy schon früher: So brachte er 2017 ein Rockalbum auf Latein raus. Sowohl literarisch als auch musikalisch hat er mehrere Liebeserklärungen an Freiburg geschrieben – inspirierend für Locals.
Durch seinen generischen Sound und sehr direkte Lyrics macht Seven nicht unbedingt Lust auf mehr Rock. Jedenfalls für Leute, die sich sonst anderer Genres erfreuen. Für eingefleischte Rocker·innen hingegen kann das gerade inhaltlich erfrischend sein.
Retro-Wolken
(tln). 1986 landete die Band Desireless mit „Voyage Voyage“ einen Hit. In mehr als zehn Ländern schoss die Nummer auf Patz eins der Charts. Mit Synthies, Elektrodrums und einer markanten Stimme bahnte sich der Ohrwurm seinen Weg.
Auf diesen Spuren wandelt auch die Freiburger Künstlerin alvva. Dahinter steht Rebecca Chazarenc, die im Juli ihren ersten Song veröffentlicht hat. Auch darin geht’s um Reisen. Und das weit über den Wolken. Dazu kommt: Die Soundästhetik ist so retro, dass man sich an Desireless erinnert fühlt. Zumal alvva nicht nur auf Englisch singt, sondern auch auf Französisch.
Zugegebenermaßen: Etwas moderner als die 80er klingt das schon. Aber mit einfachen Drums, schwebenden Synthie-Flächen und viel Platz für die zarte Stimme hat das einige Elemente einer Zeitreise. „Let’s get out of here“ singt alvva. „Je vois les nuages courants, un petit voyage autour du monde.“ Eine Weltreise steht also an, begleitet von Wolken. Tiefenentspannt kommt das daher. Verträumt wie eine Siesta in der sonnigen Provence.
Ganz so ohrwurmig wie „Voyage Voyage“ ist das Werk nicht. Ein Song für Menschen, die den Mainstream nicht mehr hören wollen oder können. Mutiger Ansatz, zeitlose Kunst zu machen. Gespannt, was als Nächstes kommt.
Es gibt, und man will sich eigentlich damit nicht rühmen, Künstler, vor denen man schon seit Jahren gewarnt hat, aus verschiedensten Gründen. Eine überregionale Tageszeitung verortete die Band von Herrn Lindemann einmal recht treffend „Zwischen Baumarkt, Gangbang und Reichsparteitagsästhetik“. Klingt lustig, ist es aber nicht.
Ansonsten keine Vorverurteilungen, das betrifft die Musik inklusive der Texte aber nicht. Diese haben wir schon seit Langem als das, was sie sind, identifiziert: unsäglich alberner, ironiefreier, stampfend-brachial-teutonisch abgestandener (prä/post-)pubertärer Männlichkeits-Rock mit Feuer. Aber dafür ohne Esprit, Soul und Witz.
Schlimm genug. Der kleine Till hatte wohl zudem schon immer ein Problem mit seinem ebensolchen Genital. Bringen wir’s doch hier mal auf den Punkt: Ein Riesenphallus auf der Bühne – Dr. Freud, bitte übernehmen! Wer hören und lesen kann, der ist schon immer im Vorteil gewesen. So auch bei der Kapelle und den Texten des Herrn Lindemann. Explizit sind Holzhammer-Provokationen wie „Dicke Titten“ für uns eigentlich nicht der Rede wert, aber auf alle Fälle geschmacklos und schlecht im Sinne von schlecht, schlecht eben. Die Gedichte des kleinen Till stehen dem in nichts nach. Wie gesagt keine Vorverurteilung, alles a posteriori.
Grüße aus der letzten Reihe, Ralf Welteroth für Ihre Geschmackspolizei