chilli cultur.zeit

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EMILIA PÉREZ

KULTUR

FREIBURGER TRIO BAUT

NEUES KULTUR-AREAL

WEG DER RAPPERIN SUZA AB 28.11. IM KINO!

LITERATUR

EIN COMIC ERSCHEINT NACH 40 JAHREN ALS BUCH

„Geht um die Community“

DREI FREIBURGER BAUEN AMBITIONIERTE MUSIKLOCATION

So viele Kreative hier. Aber kein Zufluchtsort.“ Mit dem Befund haben sich drei Freiburger zusammengetan, um etwas zu ändern. Seit Juli leiten sie den Verein Kulturraum Freiburg. An der Merzhauser Straße soll Anfang Dezember der erste Proberaum öffnen. Eine Bühne steht schon. chilli-Redakteur Till Neumann hat sich das Areal angeschaut.

zept haben Gabor und Leibham entwickelt, die BWL und VWL studieren und im Nachtleben aktiv sind. Leibham als Geschäftsführer des Harmonie Kellers, Gabor als Elektro-DJ und Veranstalter. Die Idee ist, einen Verein mit 3000 Mitgliedern aufzubauen, der diesen Zugang zum Areal bietet. 70 Fördermitglieder sind es bisher. 25 Euro im Jahr bezahlen sie.

Fotos: © tln

Zwei silberne Schaufenster-Puppen stehen vor der Bühne. Ihre Körper in gold-glänzende Folie gehüllt. Als Köpfe dienen zwei graue Röhrenfernseher. Um sie herum: ein 550 Quadratmeter großes Areal voller Technik, Möbel und Accessoires. Einen Namen hat die Location noch nicht. Doch die Halle an der Merzhauser Straße 16 hat Potenzial. 2012 eröffnete hier ein Asia Markt, es folgten ein Store für VR-Brillen, ein Geschäft für Terrassenmöbel und eine Corona-Teststation. Dann lag das Gebäude brach. Fabian Leibham (29), Sebastian Duis (35) und Andriy Gabor (26) griffen zu. Im Juli haben sie den Verein Kulturraum Freiburg gegründet. Seit September sind sie Untermieter hier.

Sechs Proberäume sollen entstehen. Zudem ein Saal für Partys und Livemusik, Studios, Ateliers (Tattoos/Nähen/Video) und ein Gemeinschaftsbereich. Für Fabian Leibham ist es die „perfekte Location“, um die Szene zu connecten. „Es geht um die Community“, betont er. Gabor schwebt eine „Rundumversorgung für Bands“ vor. Zum Proben, Connecten, Auftreten und Recorden.

Die Technik ist vor allem aus dem Bestand von Duis. Gebaut wird selbst. Das Vereinskon-

Wer einen Proberaum nutzen möchte, zahlt dafür extra. „Höchstens 150 Euro“, betont Gabor. Der Verein sei Non-Profit, die Halle solle sich lediglich selbst tragen. Mietbar sollen die Proberäume für einen oder zwei Wochentage sein. Von Kapazitäten für mindestens 30 Bands geht das Trio aus. Finanziell greift ihnen ein anonymer Geldgeber unter die Arme. Rund 20.000 Euro haben sie bisher investiert. Nun steht im Raum, einen Kredit aufzunehmen.

Auf die Idee kamen sie durch fehlende Flächen. „Es kann doch nicht sein, dass so eine coole Stadt mit so vielen Kreativen keinen Zufluchtsort für junge Leute hat“, berichtet Leibham. Bei Veranstaltungen des Kulturamts wurden sie enttäuscht. „Wir haben uns die Problematik der Stadt angehört und ein paar andere Vereine kennengelernt“, erzählt Gabor. „Die haben alle gute Punkte, aber irgendwie passiert da nichts.“ Also sagten sie sich: „Dann machen wir es selbst.“

Die vergangenen Wochen waren anstrengend. Doch runterschalten wollen sie nicht. Zum 1. Dezember soll hier die erste Band proben. Langfristig könnte das Areal um den 330 Quadratmeter großen Keller erweitert werden.

von Till Neumann
Haben viel vor: Sebastian Duis, Fabian Leibham und Andriy Gabor (v.l.)

Ein Geschenk als Schock

WARUM ANTONIA HEMING IHREN 1977 GEDREHTEN FILM

„CORINNA“ JETZT IM KOMMUNALEN KINO ERLEBT

Die Herren Filmkritiker konnten es nicht fassen. Da hatte sich 1977 in Tübingen ein junges Trio, eine 22-jährige Frau und zwei Männer, zusammengetan, um einen Film zu drehen –und alle hatten sie zuvor noch nie eine Kamera in der Hand oder sonst etwas mit der Produktion eines Films zu tun gehabt. Und dennoch: Statt Mitleid verschaffte sich „Corinna“, so der Filmtitel, Respekt.

Ja, manche Kritiker (und nicht die schlechtesten) fanden die Geschichte von Laien mit Laien über „die ganz normalen Erfahrungen eines Mädchens zwischen dem 14. und 15. Geburtstag“ in ihrer Schlichtheit bezaubernd. Ich gehörte eher nicht dazu. Als Filmkritiker des „Schwäbischen Tagblatts“ hatte ich am 1. Oktober 1977 die heikle Aufgabe, als erster Journalist den Film nach seiner „Welturaufführung“ im Tübinger Kino „Museum“ zu besprechen. Ein Tübinger Film in einer Tübinger Zeitung! Ich sah mir damals den Film (Drehbuch: Antonia Heming) gleich zwei Mal an, um nichts zu übersehen – und kam dennoch zum Schluss, die „Filmproduktionsgemeinschaft Tübingen“ habe da mit ihrem Erstling „zu hoch gegriffen, nicht daneben“.

Dass dieser Film nun am 17. November um 17.30 Uhr im Kommunalen Kino in Freiburg noch einmal in Originalfassung auf großer Leinwand zu sehen ist, also fast 50 Jahre nach seinem Start, ist mein Geschenk (und kleine Wiedergutmachung) an die Regisseurin von „Corinna“, Antonia

Heming (heute Townley). Sie feiert im November ihren 70. Geburtstag –und das in Freiburg. Denn hier wohnt sie seit zehn Jahren, arbeitet mit Kindern, malt Aquarelle und hat ein Kinderbuch geschrieben und illustriert. In jenen Oktobertagen 1977 klingelte es an meiner Wohnungstür. Davor stand Antonia Heming, lächelnd. Sie wollte mit mir über meine Kritik sprechen. Das taten wir –und das tun wir nun wieder, denn

seit jenem Tag sind wir befreundet. Deshalb weiß ich auch, wie schwer sie das Erbe dieses Films getragen hat. Trotz sichtbarer Erfolge: „Corinna“ wurde im Januar 1978 in der ZDF-Sendung „Aspekte“ in Ausschnitten gezeigt, lief auf der „Berlinale“ 1978 am Rande des Wettbewerbs. Hans C. Blumenberg („Die Zeit“) und Peter W. Jansen („Frankfurter Rundschau“ und SWF), die Koryphäen der damaligen Filmkritik, beschäftigten sich wohlwollend mit diesem mutigen Debüt.

Doch trotz einer durchweg positiv gestimmten Presse reichte es nicht, „Corinna“ zu einem kommerziellen Erfolg zu machen. Das lag auch daran, dass das Trio auch den Verleih selbst stemmen musste – also mit ihrem Film die Städte und Kinos vor allem im Südwesten abklapperte und das Publikum in ihr Werk einführte. Das Budget von 150.000 DM für das ganze Unternehmen, bestehend aus Krediten und Bürgschaften, war bald alle. Recht schnell galt es, die Schulden abzuarbeiten. Townley wurde deshalb, da besser bezahlt, sogar Pharmareferentin! Die letzten 35-mm-Kopien von „Corinna“ wanderten derweil ins Deutsche Filmmuseum nach Frankfurt.

Von dort kommt nun zur Wiederaufführung Heiko Arendt, selbst Filmemacher, der mitgeholfen hat, „Corinna“ im Archiv auszugraben und für den Privatgebrauch zu digitalisieren. Das aber ging nur mit Einwilligung von Townley. Die Geburtstagsüberraschung war damit dahin. Doch diese Kopie löste bei Townley einen kleinen Schock aus. Denn sie hatte in all den Jahrzehnten, inzwischen sechsfache Mutter, nie mehr über den Film gesprochen und so gut wie nichts davon aufbewahrt. So erfuhren ihre inzwischen erwachsenen Kinder erst jetzt von dem besonderen Vorleben ihrer Mutter – deren Eltern und Geschwister übrigens befürchtet hatten, mit „Corinna“ werde das Familienleben in den Schmutz gezogen. Heiko Arendt, der sich bei den Kopierarbeiten etwas in „Corinna“ verliebt hatte, regte auch an, den Film noch mal öffentlich vorzuführen. Das Kommunale Kino ließ sich gerne darauf ein.

von Bernd Serger

Neuigkeiten aus Lappland

Finnland 2024

Regie: Miia Tervo

Mit: Oona Airola, Hannu-Pekka Björkman, Emma Kilpimaa, Pyry Kähkönen, Tommi Korpela u.a.

Verleih: Neue Visionen

Laufzeit: 119 Minuten

Start: 14. November 2024

Rätselhafte Rakete

MIIA TERVOS LAPPLÄNDISCHE TRAGIKOMÖDIE IST EINE

REISE IN DAS LEBENS-FEELING DER 1980ER-JAHRE

Kaum hat Niina im tief verschneiten Wald mit Mühe und Not eine schöne Tanne für das bevorstehende Weihnachtsfest geschlagen, da kommt sie ihr auch schon wieder abhanden. Schlimmer noch: Nachdem der Autoanhänger mit dem darauf verstauten Baum während der Bergabfahrt an ihr und ihren beiden Kindern vorbeigerauscht ist, rast er ungebremst in das Redaktionshaus der „Lappland News“ und demoliert dabei ein teures Panoramafenster.

„Mindestens 10.000 Markka kostet so ein Ding“, erfährt sie vom ziemlich kauzigen Esko, der neben seinem Job als Chefredakteur des Regionalblättchens auch Träger einer unglaublichen Version der in den 1980er-Jahren verbreiteten Vokuhila-Frisur ist. Die alleinerziehende und offenbar nicht eben wohlhabende Niina ist schockiert. Aber nicht lange: Sie bietet dem bärbeißigen Hünen eine Art Ratenabzahlung an – in Form von Artikeln, die sie für diese einzige Zeitung im Umkreis der im äußersten Norden der 1600 Kilometer langen finnisch-sowjetischen Grenze gelegenen Kleinstadt schreiben könnte. Esko hat ein Einsehen und gibt der verzweifelten Frau eine Chance, die sie allerdings nur ziemlich stolpernd zu nutzen weiß: Mit ihren Schreibküns-

ten ist es nicht weit her. Wider Erwarten wirft er sie aber doch nicht gleich raus; er gibt ihr für die Hochzeit ihrer Schwester Kaia sogar ein paar freie Tage – und einen Vorschuss. Bei der nicht ganz reibungslosen und recht derben Hochzeitsfeier mit allerhand skurrilen Gestalten und Tänzen gefällt es Niina, sich als Journalistin zu präsentieren. Als tapfere Frau, die trotz eines gewalttätigen und deshalb inhaftierten Ehemanns und trotz zutiefst demütigender Sticheleien seitens der Ehefrau ihres Vaters einen selbstständigen Weg aus der Misere findet. Dann überstürzen sich die Ereignisse: Irgendwo in der Eiswüste hört Niina einen Knall – und ihre journalistische Neugier erwacht: Sie vermutet einen russischen Marschflugkörper, womöglich mit Atomsprengköpfen, beginnt zu recherchieren und erfährt – nichts. Niemand will etwas gehört oder gesehen haben, bei Anfragen bei Behörden und beim Verteidigungsministerium wird gemauert. Andererseits tauchen in der Gegend plötzlich mehr Uniformierte auf als sonst, werden die Nachrichten in Rundfunk und Fernsehen immer rätselhafter. Trotz Drohungen und fristloser Entlassung von den „Lappland News“ gibt Niina nicht auf und überwindet schließlich einige Widersprüche, auch ihre eigenen.

EMILIA PÉREZ

Frankreich 2024

Regie: Jacques Audiard

Mit: Zoë Saldaña, Karla Sofia Gascón u.a.

Verleih: Neue Visionen & Wild Bunch

Laufzeit: 130 Minuten

Start: 28. November 2024

Opernhafter Trans-Krimi

(ewei). Anwältin Rita Moro Castro hat gerade einen Prozess für einen zwielichtigen Mandanten gewonnen, als sie entführt wird. Kurz darauf sitzt sie dem skrupellosen und sehr mächtigen mexikanischen Drogen-Kartellboss Manitas del Monte gegenüber. Der hat indessen ein überraschendes Anliegen: Gegen viel Geld soll sie ihm helfen, aus seinem Leben auszusteigen – inklusive fingiertem Tod, sicherer Unterbringung der Ehefrau Jenni und der beiden Kinder in der Schweiz sowie einer geschlechtsangleichenden Operation – der Gangster empfindet seinen Körper als falsch, als Gefängnis. Die OP findet unter größter Geheimhaltung statt, aus Manitas wird seine wohltätige Cousine Emilia Pérez. Vier Jahre später – sie lebt wieder in Mexico-City – beauftragt sie Rita, die Familie zurückzuholen; sie hält es ohne die Kinder nicht aus. Doch bald hat Jenni Pläne, die eine tragische Wendung für alle Beteiligten auslösen; der großartige, teilweise gesungene Trans-Krimi endet in einem opernhaften Showdown.

TONI UND HELENE

Österreich 2024

Regie: Sabine Hiebler

Mit: Christine Ostermayer, Margarethe Tiesel u.a.

Verleih: Alpenrepublik

Laufzeit: 93 Minuten

Start: 5. Dezember 2024

Ausbruch aus der Residenz

(ewei). Helene ist 86, als eine unheilbare Krankheit festgestellt wird. Die einst gefeierte Theaterdiva, die zurückgezogen in einer Seniorenresidenz lebt, vereinbart daraufhin mit einer Schweizer Sterbeklinik einen Termin. Mangels Führerschein kann sie jedoch nicht selbst dorthin fahren – und ihr Neffe, ein konservativer Politiker, weigert sich, in ihrem Jaguar den Chauffeur für die letzte Reise zu spielen.

Ihre letzte Hoffnung ist Zimmernachbarin Toni, eine lebenskünstlerische, 25 Jahre jüngere Frührentnerin, die wegen eines Sturzes zur Kurzzeitpflege im Heim einquartiert ist. Zwar verstehen sich die beiden gar nicht mal so gut, doch Toni bietet Helene ihre Hilfe an. Das ungleiche Duo bricht aus der Residenz aus und begibt sich im stylischen Oldtimer auf einen abenteuerlichen Roadtrip, der in Zürich vorerst gestoppt wird – nach einer irrwitzigen Verfolgungsjagd durch eine Polizei-Armada. Dass dabei ein Geheimnis gelüftet wird, ist nur eine von vielen amüsanten Wendungen.

voll von der Rolle

Unterwegs nach Süden

„Walk for the Planet“ lautet der Titel der neuen Dokumentation des Freiburger Filmemachers Marco Keller, der sich bereits mit einigen Filmen zu ökologischen Themen einen Namen gemacht hat.

Es geht darin um Lisa, Luca und Merlin, drei junge Menschen, die 2018 in Freiburg die Umweltinitiative Planet Earth Movement gründen, um „nicht länger tatenlos bei der Erderwärmung zuzusehen, sondern die Klimakrise ins öffentliche Bewusstsein zu rufen und Impulse für ein nachhaltiges Leben und die Nutzung natürlicher Ressourcen zu geben“. Nach mehreren örtlichen Aktionen, Workshops und einer intensiven Vorbereitungszeit startet die Gruppe im Frühsommer 2019 dann mit „anderen jungen und junggebliebenen Menschen“ zu einem mehrwöchigen Klima-Marsch, der sie ans französische Mittelmeer führt.

Von Freiburg aus gelangen sie über Basel, BesanÇon, Lyon, Avignon und NÎmes nach Montpellier und schließlich ans Ziel – vorbei an brennenden Wäldern, rauchenden Schornsteinen, sich türmenden Müllbergen, vertrockneten Flussbetten.

Marco Keller war von Anfang an dabei, begleitete die Aktivisten von Etappe zu Etappe, filmte sie und viele besondere Spots in der durchwanderten Landschaft, zeichnete Gespräche auf, erfuhr vieles über die Beweggründe der Teilnehmer·innen. Derzeit ist er mit dem gerade fertiggestellten, fast eineinhalb Stunden dauernden Film bundesweit auf Kinotour; natürlich wird er ihn auch in Freiburg vorstellen – mit der Möglichkeit, anschließend mit ihm ins Gespräch zu kommen:

Mittwoch, 20. November, 20.15 Uhr, Kino Friedrichsbau

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Marco Keller hat die Freiburger Planet-Walker begleitet.
Foto: © Neu Visionen/Wild Bunch
Foto: © Alpenrepublik
Foto: © Maximo-Hans Musielik

Die Netzwerkerin

RAPPERIN SUZA ÜBER KUNST, ZWEIFEL UND EIN ABGELEHNTES FEATURE

In Freiburg gehört sie zu HipHop wie die Bächle zur Innenstadt: Suza aka Susanna Metzger. Rapperin ist sie seit Ewigkeiten, Freestyle-Host, Subkultur-Pionierin, Entertainerin und Veranstalterin auch schon eine Weile. Sich selbst sieht die toughe Frau mit Hang zum Selbstzweifel aber vor allem als eins: Netzwerkerin.

Wenn sich in Freiburg die Rap-Szene trifft, ist Suza meist nicht weit. Die Künstlerin mit den breiten Hosen steht regelmäßig als Host von Freestyle-Battles auf der Bühne. Oder spielt eigene Shows. Oder zieht im Hintergrund die Fäden. In der Männerdomäne Rap hat sie sich einen Namen gemacht.

„Großes Maul und Skills dahinter“, liest man über die Frau Ende 30. Wer sie live on stage sieht, kann sich schnell von beidem überzeugen. Wer sich näher mit ihr befasst, kann aber

auch feststellen: Hinter den wortstarken Ansagen steckt ein Artist mit Bodenhaftung und Reflexion. Ein Indiz dafür ist die Zahl ihrer Releases: In rund 25 Jahren Rap-Karriere hat sie bis zum November 2024 nur einen Song veröffentlicht. „Interpretier“ stand als einziger Track von ihr seit 2023 auf Spotify und Co. Warum es nicht mehr gibt? „Ich tue mich schwer damit, Sachen rauszuhauen“, sagt Suza. Das liege an ihrem Perfektionismus und an ihrer flexiblen Meinung. „Es kann sein, ich schreibe einen Song, und drei Tage später denke ich mir: Was hab’ ich denn da gesagt?“

Back-Piano tanzen. Verschachtelte Sätze treffen auf Scratches und lässige Lebensweisheiten. Mehr als 100.000 Aufrufe hat der Track und die Fans hoffen auf mehr. Anfang November wurden sie belohnt mit einem „super traurigen Liebessong“, wie Suza erklärt.

Ein spontanes Angebot von Kool Savas lehnt sie ab

Zweifel begleiten sie: „Ich kenne so viele saustarke Rapper. Und dann denke ich mir immer, die haben viel mehr Daseinsberechtigung als ich.“

Dabei muss sich Suza alles andere als verstecken. Mit „Interpretier“ lässt sie die Wörter auf einen OldSchool-Kopfnick-Beat über ein Laid-

Aufgewachsen ist Metzger als Heimkind in Schwäbisch Gmünd und Stuttgart. Früh begann sie Texte zu schreiben. Ein Freund sagte ihr: „Das kann man flown.“ Sie staunte, probierte es und kam zum Rap. Mit 14 Jahren stand sie erstmals auf der Bühne. Acts wie Blumentopf oder M.O.R waren Inspiration. Und das Liveding hat sie nicht mehr losgelassen. Doch der Gedanke, damit groß rauszukommen, lag ihr fern.

Es hätte anders kommen können: Mit Anfang 20 stand sie als erste

„Ich bin selbst ein
Macho“: Rapperin Suza hat ihren Platz gefunden

Frau unter den besten 16 im bundesweiten Freestyle-Battle „One on One“. Nur wenige Jahre später fragte sie der „King of Rap“ Kool Savas spontan im Studio nach einem Feature. Suza lehnte ab. „Das wäre total bescheuert“, sagt sie noch heute. Stilistisch passe das nicht so. Und einfach nur ein Feature um des Feature willens zu machen, das sehe sie nicht. Viele Künstler würden das anders handeln. Doch Suza geht ihren eigenen Weg. Der bestand auch darin, ein Angebot für einen Plattenvertrag vom Label FourMusic abzulehnen: „Das war auch nicht meins.“

Seit 2011 ist sie in Freiburg und prägt die Szene. In den Breisgau zogen sie Kontakte zu DJ Sirob oder der Rapcrew Weiße Scheiße. Rund 20 Shows spielt sie im Jahr. Doch zu viel Fokus auf sie ist ihr unangenehm. Die Sorge ist da, nicht gut genug zu sein. Dazu kommen Bedenken, dass große Sprünge den Spaß am Hobby nehmen. „Ich bin ein Quatschkopf und stehe eigentlich in erster Linie gerne auf der Bühne“, betont Suza.

Battles gegen 16-Jährige will sie nicht machen

Ihre Qualitäten schätzt auch Weggefährtin Anna María Müller vom Freiburger Verein Corner. „Suza hat ein großes Herz, Superpower und ist eine zugewandte Netzwerkerin.“ Sie initiiere großartige kulturelle Projekte und bringe hierzu Leute zusammen. „Dabei kann nur Gutes entstehen.“ Suza habe immer ein offenes Ohr und einen reflektierten Ratschlag.

Das hilft ihr beim Weiterreichen des Rap-Staffelstabs. „Wir wollen Raum schaffen für die nächste Generation“, betont sie. Für Battles gegen 16-Jährige sei sie schlicht zu gut. Und der Hunger fehle. Dafür engagiert sie sich auf Plattformen, die was anstoßen wollen: Als Teil des Vereins Corner will sie Kultur pushen, mit EuroPop setzt sie sich für grenzüberschreitenden Austausch ein. Und bei regelmäßigen Workshops schreibt sie Songs mit jungen Menschen.

„Wenn ich Leute connecte und die schreiben einen Song zusammen oder ich kann eine Veranstaltung supporten, das sind Momente, wo es mir die Tränen in die Augen treibt“, erzählt Suza. Sich selbst betrachtet sie vor allem als Networkerin. Ein großer Wunsch daher: einen Ort in und für Freiburg schaffen, wo so etwas möglich ist. Sozial, kulturell, inklusiv, generationsübergreifend.

Ihre Rap-Karriere gerät dabei mit etwas Glück nicht ins Hintertreffen. Eine EP zu releasen, das würde sie gerne noch machen. „Aber das sage ich jetzt schon so lange“, sagt sie und lacht. Sich in der Männerdomäne Rap zu behaupten, fällt ihr nicht schwer. „Ich bin ja selber Macho“, sagt Suza. Ein Hindernis ist eher der Schlafmangel. Müde sei sie. Wegen vieler schöner Projekte.

Liebe für Live

MALAKA HOSTEL LEGEN „ASPHALT ODYSSEY“ VOR

Die Freiburger Band Malaka Hostel sieht sich vor allem als Band auf der Bühne. Daher ist das neueste Release „Asphalt Odyssey“ ein Live-Album. Es führt die selbst ernannten Coyoten auf Tournee. Dort wollen sie Herzen erobern – aber nach Freiburg zurückkehren.

Einen „wilden und farbenfrohen Querschnitt aus allen Epochen der Bandgeschichte“ versprechen die sechs Musiker. Drei Alben haben sie seit 2015 vorgelegt. Das jüngste ist am 8. November erschienen und eine Liveplatte. Was die Hörer·innen auf „Asphalt Odyssey“ erwartet? „Malaka Hostel vom Feinsten“, schwärmt Mundharmonika-Spieler Holger Gainsburg (42). Die acht Songs sollen das Publikum mitnehmen in ihren wilden Kosmos. „Wir sind zuallererst eine Live-Band“, sagt Sänger Viktor Myron (36). Man spiele einfach anders, wenn die Leute tanzen und glücklich sind. Der Albumtitel steht für ihre Reisen. In den vergangenen Jahren spielten sie auf Festivals wie der Fusion, dem Jazzfestival Saalfelden (Österreich) oder dem St. Gallen Open Air in der Schweiz. „Der Asphalt steht für die Landstraße, das Live-Touren, das Woandershin-Kommen“, erzählt Myron. „Und Odyssey dafür, dass der Weg das Ziel ist“, ergänzt Gainsburg. Die Produktion im Plankton Studio Freiburg war ein „ordentlicher Spagat“, erklärt Gainsburg. Das Live-Feeling soll rüberkommen, aber edel dürfe es dennoch klingen. Die Tour startet am 29. November im Freiburger E-Werk. Danach geht es nach Kempten, Ulm und Karlsruhe.

Die zwei Musiker wünschen sich unerwartete Momente und viele Begegnungen. Leicht habe man es als Musiker nicht. „Konzertveranstaltungen haben es schwer, Förderprogramme werden zurückgefahren, die Kosten steigen“, berichtet Myron. Die Besucherzahlen seien rückläufig. Er ist trotzdem zuversichtlich, dass es voll wird. „Wir haben uns in den letzten zehn Jahren einen guten Ruf erspielt.“

Vielleicht wollen sie auch deswegen Freiburg treu bleiben. „Klar, du kannst als Musiker nach Berlin gehen, um anschließend im Überangebot unterzugehen. Ich seh’ den Sinn darin nicht“, sagt Myron und lacht. „Die Berlin-Frage stellt sich eigentlich gar nicht“, ergänzt Gainsburg. Einige Bandmitglieder seien jahrelang auf Weltreise gewesen, aber Freiburg bleibe die Basis. Till Neumann

Holger Gainsburg (rechts)

Freiburg traut sie einiges zu als HipHop-Stadt. Sie selbst hat ihren Teil dazu beigetragen. Seit 13 Jahren ist sie hier und hat vor zu bleiben. Auch releasetechnisch wird man wieder von ihr hören. Selbst wenn es ein paar Jahre dauern kann.

Till Neumann

Gehen auf Tour: Malaka Hostel um Sänger Viktor Myron (Dritter von rechts) und Mundharmonika-Spieler
Foto: © Simon Metzger

„Laute Umarmung“

3 FRAGEN AN WILLMAN

Das Freiburger Elektro-Pop-Duo Willman hat mit dem Song „Cool war ich nie“ einen Landespreis bei der The Creative Länd Chällenge in der Sparte Musik gewonnen. Wie es zum Song kam und was die EP bietet, erzählt Sängerin Julia Lauber im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann.

Wie kamt ihr auf die Idee zum Song? Wir haben gemerkt, wie oft wir und andere versuchen, sich in irgendwelche Schubladen zu quetschen, nur um irgendwo dazuzugehören. Und dabei ist cool sein so eine wackelige Sache. Also dachten wir uns: Warum nicht einfach drauf pfeifen und einen Song darüber machen? Er ist quasi unser persönliches „Schubladen-frei“-Manifest für alle, die einfach sie selbst sein wollen – ohne Kompromisse.

Ihr seid Musiker. Fühlt ihr euch trotzdem uncool? Ich glaube, unsere Definition von cool sein hat sich krass verändert: Cool zu sein ist heute für uns irgendwie viel mehr, authentisch zu sein und sich selbst treu zu bleiben. Für einige sind wir cool, für andere ist es total uncool, wenn wir ehrlich über unsere Gefühle sprechen oder gesellschaftliche Erwartungen hinterfragen.

Zum Song gibt’s das Album „Ich bin Ich“. Was erwartet uns da?

Mit „Ich bin Ich“ erwartet euch eine Reise zu sich selbst, durch die Ups und Downs des Lebens. Das Album feiert die kleinen Siege, die Kämpfe mit dem eigenen Spiegelbild und das Herzklopfen, wenn man einfach mal zu sich selbst steht. „Ich bin Ich“ ist wie eine laute Umarmung für alle, die sich trauen oder sich trauen wollen, einfach sie selbst zu sein. KASI HARDDRIVE2024

Unglaublich generiert

(pid). Einmal gefühlsbetonter SCFreiburg-Song, bitte. Kommt sofort. Timo Hirlinger aka DJ Tim Gladis liefert für seinen Lieblings-Fußballverein einen Song, der kein Gefühl auslässt: Stolz, Zuversicht, Leidenschaft, Mut, Treue – alles dabei.

Die wortgewaltige Single kommt mit dem schlichten Namen „SC Freiburg“ daher. Leicht verzerrte E-Gitarre und ein stampfender Viervierteltakt führen zum durchaus grölbaren Refrain. Hinter dem Beat, der sympathischen Stimme und den Riffs stecken die Dreisampiraten. Namen haben die Bandmitglieder keine, die Band ist nicht echt. Also schon echt, die Musik ist ja da. Aber eben nicht aus Fleisch und Blut, sondern eine KI-gesteuerte Crew, die der Freiburger DJ Tim Gladis produziert.

Die Dreisampiraten wurden in diesem Jahr gegründet und lassen sich von Bands wie The Strokes und Arctic Monkeys inspirieren, heißt es auf Spotify. Pünktlich zur Europameisterschaft haben die KI-Piraten schon einmal gemeinsame Sache mit DJ Tim Gladis gemacht und Mitte Juni den Song „Deutschland im Fußballfieber“ veröffentlicht. Wüsste man es nicht besser, würde man die Stimme nicht als KI-generiert erkennen. Ob das gute oder schlechte Nachrichten für die Musikindustrie sind, lassen wir mal offen.

Hype und Kummer

(tln). Bis vor kurzem war Kasi noch Student an der Uni Freiburg. Dann ging die Karriere steil. Mit seinem Freiburger Producer Antonius trifft der gebürtige Frankfurter einen Nerv: Gefühlvollen Indie mit einer Prise Rap und vielen Storys über Liebeskummer und Downs schrauben die beiden in ihrer WG.

Jetzt ist Kasi auf Tour. Und hat die EP harddrive2024 vorgelegt. Mühelos füllt er damit Hallen wie das E-Werk Freiburg.

Sein Release zeigt, was Kasi kann: Im Opener „hausnummer_16_17“ erzählt er vom Abbrechen der Zelte und einem Neuanfang. „Ich geh nie wieder ans Handy, ich geh nur noch geradeaus“, singt er im typisch zerbrechlichen Kasi-Style. Dazu gibt’s Synthies, eine Gitarre und smooth treibende Drums. Kasi versteht es, Einblicke in seine Seele zu geben. Auch auf „boys do cry“. Wieder geht es da um eine Liebe, die weg ist. Und der Song ist ein Link zum ersten Kasi-Antonius-Tune „Boys don’t cry“. Doch, hier darf geweint werden. Das kommt an –auch bei vielen weiblichen Fans. harddrive2024 kann man durchhören. In den ruhigen Momenten. Aber in „mein herz setzt aus“ kann sogar getanzt werden. Und gelacht. Dazu gibt es zwei weitere Herzensthemen des Freiburger Durchstarters: Alkohol und Kippen.

Rhythmische Hypnose

(js). Die Freiburger Band Magister setzt auch mit ihrem zweiten Album „Halcyon Days“ auf einen Klang in der Schwebe zwischen Psychedelic-, Kraut- und Stonerrock. Eine Kombination, die schon mit Acts wie Neu!, Can, Amon Düül II Einzug in die deutsche Musiklandschaft gehalten hat.

Die vier Musiker führen das Genre nun weiter. Ihr sechs Tracks starkes Album bleibt dem hypnotischen, Loopgetriebenen Stil der Band treu. Texte gibt es keine, dafür Platz zum Eintauchen. Die Songs sind 3 bis fast 11 Minuten lang und zeigen mit Titeln wie „Salve Magister“ oder „Lectura Dantis“ den Hang zum Lateinischen.

Das erste Album hat die Band als Duo veröffentlicht. Jetzt sind Saxofonist und Bassist dazugekommen. Sie vertiefen und intensivieren den Sound. Die melodischen Wendungen und der hypnotische Rhythmus schaffen einen Kosmos, der Fans des Stoner- und Krautrocks gefallen dürfte. Die Musik soll Hoffnung verbreiten. Mit „Party-Krautrock zelebrieren sie Zuversicht und Zusammenhalt“, heißt es im Pressetext.

Die Rocker sind in Locations wie Slow Club und Ruefetto aufgetreten. Am 26. Oktober feierten sie ihr Albumrelease im Pop-up Westhoff-RuefFrittiercafé. Zu hören gibt es die Musik auf Spotify, Bandcamp und auf einer hübschen Vinyl.

Kritik und Bier

(mz). 2022 gab es ihr Debütalbum „Flüssiges Gold“. Jetzt legt die Freiburger Punk-Rock-Band Die Alcocops „Stimmt so.“ nach. Ihrem Markenzeichen bleiben sie treu: viel Meinung. Viel Bier. Doch es muss das Richtige sein. Craftbeertrinker seien Arschlöcher, stellt die Band im gleichnamigen Lied freundlich fest.

Neue Töne sind das nicht gerade. Bei den ersten Riffs schweifen die Gedanken direkt in die 90er zu Claus Lüer und der Knochenfabrik. Hat die Band deswegen eine Identitätskrise? Eher das Gegenteil: An Selbstbewusstsein scheint es den Alkocops nicht zu mangeln. Gleich der zweite Track des Albums heißt „Geile Band“. Natürlich meinen sie damit die eigene.

Genre-Zweifel von Kritiker·innen räumen sie aus dem Weg: „Wer uns Punk-Verräter nennt, den machen wir zur Sau.“ Und hauen Zeilen wie diese raus: „Ihr seid hässlich, kein Wunder, dass euch keiner kennt.“

Der ironisch-zynische Ton zieht sich durchs gesamte Album. Mal etwas kritischer, mal als stumpfe Sauf-Hymne. Doch gerade, wenn man anfängt, eine gewisse Monotonie zu finden, wird man überrascht. Zum Beispiel mit einem Ausschnitt aus dem Intro eines Bibis-Beautypalace-Videos.

Wer bei Humor keine Schmerzgrenze kennt und gerne aufdreht, ist hier an der richtigen Adresse.

... namens Martin

Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit 20 Jahren gegen Geschmacksverbrechen, vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaftet Ralf Welteroth fragwürdige Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.

November. Sankt Martin („Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir“) treibt sein Unwesen und hält uns auf Trab. Nicht nur er allein, auch andere Martins. Der von Mireille Mathieu zum Beispiel. Es ist eines der seltenen Lieder, in dem die Stadt Straßburg eine Rolle spielt, aber das spielt eigentlich gar keine Rolle:

„Straßburg lag im Sonnenschein / und ich sah nur ihn allein, Martin / weißt Du, wie verliebt wir sind / sagte er im Sommerwind, Martin

Ich denke immer an die Zeit / und keine Stunde tut mir leid / Einmal wird er vor mir steh'n / Und ich träum' vom Wiederseh'n / mit Martin, denn seine Liebe war so schön“

Mathieus Frisur hatte immer einen hohen Wiedererkennungswert, schön ist was anderes.

Diether Krebs, unterstützt von einer gewissen Gundula, schlüpfte dereinst auch in die Rolle eines Martin, das hörte sich dann so an:

„Martin My love, Martin My love, Mmmh Mmmh Martin My love. Ich bin der Martin, Ne – Sag mal was willst du eigentlich von mir? Ich bin der Martin, Ne …“

Nichts für ungut, aber der Name hat was Besseres verdient.

Es grüßen die Martins von der Geschmackspolizei

Wildes Märchengeschnetzel

FRANZ HANDSCHUH

ZAUBERT EINEN GUTE-NACHT-COMIC AUS DER SCHUBLADE

Was vor 40 Jahren als Familien-Gute-Nacht-Geschichte begann, kommt nun auf den Buchmarkt: Franz Handschuhs Comic über eine Oma, die sich weder von ihrer Hausmaus noch von allerhand unverhofften Zaungästen von einem schönen Leben abhalten lässt. Eine ziemlich schräge Geschichte hat sich der ehemalige Kunst-Fachbereichsleiter der Volkshochschule Freiburg da ausgedacht.

Ein „anarchisch-lustvolles Märchengeschnetzel“ nennt er sein Werk, das er in den 1980ern für seine Kinder erfunden und gezeichnet hat. Es beginnt harmlos mit einer fernsehenden Großmutter, die täglich Zeitungs-Todesanzeigen studiert und dabei Haselnusskuchen isst. Doch die Ohrensessel-Gemütlichkeit wird ausgerechnet an ihrem 80. Geburtstag jäh unterbrochen, als eine Maus herbeiflitzt und sich ein paar Krümel schnappt.

Preis: 15 Euro

Vom Mäuse-Jagdfieber gepackt, vergisst die Oma das auf dem Herd köchelnde Suppenhuhn – und wirft das beinharte Ding dann kurzerhand aus dem Fenster. Dabei trifft sie den just in diesem Moment mit seinem Schwein des Wegs kommenden glück-

lichen Hans so unglücklich am Kopf, dass dort eine knallrote Riesenbeule erblüht. Diese hält ein kurzsichtiger Jäger für Rotkäppchens Käppchen und freut sich, dass das Mädchen und die Oma wohlauf sind. Die hat die Maus inzwischen gefangen – und tauscht sie gegen Hans’ Schwein. Mit dem Plan, es an ihrem 100. Geburtstag den Jubelgästen als saftigen Braten zu kredenzen. Hans zieht mit der Maus weiter – und gerät kurz darauf unter die Pfanne von Omas Zwillingsschwester Bolte, die das seltsame Gespann für Haselnusskuchendiebe hält und vertreibt. Auf ihrer Flucht schließen die beiden sich anderen Flüchtenden an, die im Pick-up des gestiefelten Katers unterwegs nach Bremen sind – und dort krachend scheitern. Völlig zerlumpt kehren sie irgendwann zurück und finden eine 200-jährige Oma, die Farbfernsehen schaut und am Laptop Todesanzeigen studiert.

Gut, dass Handschuh diesen aberwitzigen Comic wieder aus der Schublade geholt und „mit Schere, Klebstoff und TippEx“ eine neue und sehr schrille Version davon geschaffen hat.

Oma reicht’s jetzt! von Franz Handschuh Verlag: Drey Verlag, 2024 32 Seiten, gebunden
von Erika Weisser
Fotos: © Franz Handschuh

ZUWEILEN NICHTS BESONDERES ES WIRD NACHT, SEÑORITA

von Harald

Martenstein

Verlag:

C. Bertelsmann, 2024

224 Seiten, gebunden

Preis: 22 Euro

Subtext auf der Parkbank

(bar). Eine Parkbank ist eine schöne Erfindung. Da sitzt man, staunt in die Umwelt, bis einer vorbeikommt, sich dazusetzt und einfach mal anfängt zu erzählen. So ist es mit den Kolumnen von Harald Martenstein. Sie fangen meist ganz unverfänglich an – und dann zieht der Autor einen irgendwohin, wohin weiß man nicht.

Etwa so: Martenstein war auf einer Party und unterhielt sich privat mit einem Theatermann über dieses und jenes. Der Regisseur genderte und genderte drauflos und Martenstein schreibt dann, er habe sich gar nicht mehr auf den Inhalt des Gesprächs konzentrieren können, „weil mein Gehirn mit der Entschlüsselung des Subtexts dieser Situation völlig ausgelastet war“.

Seine Kolumnen über alles Woke, Cancel Culture, Aneignung, die „Letzte Generation“, auch mal Anne Franks Brüste oder Bundesjugendspiele, kurzum seine „Gedanken über die Beglückungen der Gegenwart“, wie es im Untertitel heißt, haben diesen unverkennbaren Ton des felsenfest liberalen Geists, der sich durch moderne Albernheiten, manche mögen es auch Mode nennen, nicht aus der Position bringen lässt. Er selber, der vielfach Preisgekrönte, ist übrigens im Elternhaus selten zu Wort gekommen. Und hat deswegen irgendwann angefangen zu schreiben. Er wollte einfach kurz mal was sagen. Jetzt steht er von der Parkbank auf und geht seines Weges.

HEY GUTEN MORGEN, WIE GEHT ES DIR? FREZI

von Martina Hefter

Verlag:

Klett Cotta, 2024

222 Seiten, Hardcover

Preis: 22 Euro

Tanzende Sternschnuppe

(ewei). Juno heißt eigentlich Isabella Flock. Aber nur, wenn sie ermahnende Selbstgespräche führt. Etwa dann, wenn sie den Love-Scammern, mit denen sie in schlaflosen Nächten chattet, zu dicke Lügen aufgetischt hat. Oder ihnen versehentlich zu viel über sich verraten hat.

Die Sternenbildbegeisterte Juno lebt mit ihrem Mann, den sie Jupiter nennt, in einer kleinen Wohnung mit einer Glastür zwischen seinem und ihrem Schlafzimmer: Er ist schwer MS-krank und auf ihre Hilfe angewiesen; bei Bedarf oder Unfall muss sie sofort reagieren. Sie bewältigt den manchmal mühsamen Alltag, in dem sie auch als Tanz-Performerin tätig ist, eigentlich ganz gut. Und der freie Buchautor Jupiter ist nicht allzu fordernd – in ihre nächtlichen Chats mischt er sich nicht ein.

So nimmt er auch nicht wahr, dass er an Junos Sternenhimmel irgendwann nicht mehr der einzige Planet ist: Ein gewisser Benu aus Nigeria erobert sich dort allmählich auch einen Platz. Zwar enttarnt sie den jungen Mann, der sich mit einem falschen Profil an sie heranmacht. Doch dann lässt sie ihn zu nahe an sich heran, gibt viel preis. Es entwickelt sich eine seltsame Beziehung – bis er wie eine tanzende Sternschnuppe verschwindet. Eine fast magische, betörend geschriebene Geschichte – deutscher Buchpreis 2024!

von Ute Guzzoni

Verlag:

Karl Alber, 2024

95 Seiten, Hardcover

Preis: 19 Euro

Ungewisse Gewissheit

(ewei). Die Freiburger Philosophin Ute Guzzoni ist eine sehr unabhängige Denkerin. Das beweist die inzwischen 90-Jährige auch in ihrem soeben erschienenen neuen Buch, in dem sie sich mit den Besonderheiten des Ich, der Vögel, des Besonderen, der Wolken und anderer bedenkenswerter Erscheinungen auseinandersetzt. Darin bringt Guzzoni, die als langjährige Professorin an der Freiburger Uni Scharen von Studierenden eigenständiges Denken lehrte, ihre Gedanken auch philosophischen Laien so nachvollziehbar und, ja, fast unterhaltsam nahe, dass man ihre früheren Schüler beinahe um die Zeit mit ihr beneidet.

Regelrecht geist- und augenöffnend ist etwa ihre Sicht auf die kleine Wolke, die an „jenem Tag im blauen Mond September“ sehr weiß und ungeheuer oben und nur für einen einzigen Augen-Blick am Sommerhimmel stand. Diese flüchtige Erscheinung, philosophiert Guzzoni, brennt sich in die Bewusstheit des Protagonisten in Brechts Gedicht ein – als etwas Einmaliges, Einzigartiges. Und nur die Erinnerung an die Wolke ermöglicht es ihm, auch der „stillen bleichen Liebe“ zu gedenken, die er dereinst küsste, von der er aber weder Namen noch Gesicht erinnert.

Auch die anderen Essays bringen Einiges an Erkenntnisgewinn. Einzige Voraussetzung beim Lesen: Denken wollen und wagen.

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