Heft Nr. 1/19 9. Jahrgang
Fondation Beyeler »Der junge PICASSO – Blaue und Rosa Periode« 3.2. – 26.5.2019
Fotografie
Musik
Leinwand
Alexandre Goebel: Ein Meister des Märchenhaften
Triaz und der seltene Dreiklang
Der wortkarge Lokführer Nurlan
Kultur
Geweckte Begehrlichkeit Stadthalle im Dornröschenschlaf
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berbürgermeister Martin Horn will Leerstand bekämpfen. Ein in großen Teilen ungenutztes Riesen-Gebäude braucht er nicht lange zu suchen: die Stadthalle in der Oberwiehre. Sie diente als Veranstaltungshalle, Ersatz-Bibliothek, als Unterkunft für Geflüchtete, derzeit für Obdachlose. Doch der größte Teil steht leer. Ein Bürgerverein sammelt nun Ideen. „Es ist schon abstrus“, sagt Hans Lehmann vom Bürgerverein Oberwiehre-Waldsee zum Leerstand der Stadthalle. Der Vorsitzende will Bewegung in die Sache bringen. Deswegen sammelt er Vorschläge für eine Nutzung und spricht mit Gemeinderatsfraktionen. „Das ist für mich Bürgerbeteiligung“, sagt Lehmann.
„Kostenintensiver Rückbau“ steht noch aus Täglich kriege er Meldungen rund um die denkmalgeschützte Halle. Die Begehrlichkeiten sind offenbar groß – kein Wunder beim akuten Raummangel. Chöre hätten angeklopft, eine musikalische Nutzung sei gewünscht, auch ein Museum habe sich gemeldet, berichtet Lehmann. Demnächst möchte er sich für einen runden Tisch mit dem Rathaus starkmachen. Anfang März stehe als Termin im Raum. „In der Stadthalle sind derzeit Obdachlosenunterkünfte und Unterrichtsräume untergebracht“, informiert das Rathaus. Im Amt für Gebäudemanagement sei das Thema derzeit kein leichtes, vieles sei in Bewegung, wenig spruchreif. Fakt
von Till Neumann ist: Der große Veranstaltungsraum steht leer. Bis zur Eröffnung der neuen UB war dort eine Ausweichbibliothek installiert. Zuletzt wurden rund 400 Geflüchtete untergebracht. Dafür ist der große Saal in einzelne Räume unterteilt worden. Das ist noch heute so. Der „kostenintensive Rückbau“ steht noch aus. Sehr konkret will sich das Amt für Gebäudemanagement nicht äußern. „Es gab und gibt verschiedene Ideen.“ Beispielsweise eine Nutzung als Veranstaltungshalle. Das setze jedoch eine Generalsanierung voraus. Ob auch Probenräume oder eine Musikschule hier eine Bleibe finden könnten? „Denkbar ist alles“, antwortet Christel Brand vom Gebäudemanagement. Das Zeitfenster für die Planungen ist allerdings diffus: „Das hängt von einem tragfähigen Konzept und den finanziellen Mitteln ab“, sagt Brand. Lehmann will dazu Genaueres wissen: Bis Ende 2019 sei eine Nutzung ausgeschlossen. Ab 2020 könne man planen. In dem Jahr feiert Freiburg zufälligerweise 900 Jahre Stadt geschichte. Also wäre die Halle eine Stätte fürs Jubiläum? „Im jetzigen Zustand nein“, heißt es im Rathaus.
Kommentar Das abgelehnte Geschenk Wer im Jahr 2020 sein Stadtjubiläum für 900 Jahre Freiburg zelebriert und neben einem Veranstaltungsparcours für die Stadtgesellschaft auch bleibende Werte schaffen will, dem könnte die Stadthalle wie ein Geschenk vorkommen. Doch keiner will es annehmen. Das Rathaus sieht kostenmäßig keine darstellbare Nutzungsoption. 8,5 Millionen Euro für die Sanierung des Stube-Areals in St. Georgen waren indes drin. Für 1500 Quadratmeter. Und für ein millionenschweres Musikhaus auf dem Güterbahnhof werden derzeit auch die Weichen gestellt. Es mag sich der Eindruck aufdrängen, dass es der Stadtspitze am Willen fehlt, die Stadthalle richtig anzupacken. Sicher, Denkmalschutz und Brandschutz sind harte Brocken auf dem Weg zu einer Nutzung der 65 Jahre alten Halle. Wenn die Stadt diese nicht aus dem Weg räumen will, sollte sie einen Investor suchen, der das kann. Frei nach Udo: Einer muss den Job ja machen. Lars Bargmann
Foto: © tln
Groß und in großen Teilen ungenutzt: Die denkmalgeschützte Halle bietet viele Möglichkeiten. Februar 2019 chilli Cultur.zeit 66
Kultur
„Das haben wir noch nie gewagt“ Die Fondation Beyeler zeigt Picasso, wie er in Europa noch nicht zu sehen war 1
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von Tanja Senn
Info Der junge PICASSO – Blaue und Rosa Periode 3. Februar bis 26. Mai 2019 Fondation Beyeler, Riehen
ie aufwendigste. Die hochkarätigste. Die teuerste. Bei der Ankündigung der Picasso-Ausstellung in der Fondation Beyeler im schweizerischen Riehen geizte Kurator Raphaël Bouvier nicht mit Superlativen. „Die Ausstellung wird einer der kulturellen Höhepunkte in Europa sein“, kündigt er an.
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Aus dem Cleveland Museum of Art in Ohio ist „La Vie“ nach Basel gereist, „ein Meilenstein der Kunst des 20. Jahrhunderts und eines der eindrucksvollsten Bilder der Moderne“, freut sich Bouvier. Vor 35 Jahren war das Werk zuletzt im deutschsprachigen Raum zu sehen. Mit dabei ist auch das Gemälde „Fillette à la corbeille fleurie“ von 1905. Das Werk wurde im Mai beim New Yorker Auktionshaus Christie’s
Welche herausragende Bedeutung die Schau hat, zeigt auch, dass zur ersten Bekanntgabe sogar die Enkelin, Diana Widmaier Picasso, angereist ist. Sie macht deutlich, Werke im Wert von 4 Milliarden Franken warum die Ausstellung solch einen besonderen Stellenwert hat: Zu se- für 115 Millionen US-Dollar versteigert. hen sind Gemälde und Skulpturen aus der Insgesamt beträgt der Wert der 75 Bilder sogenannten Blauen und Rosa Periode von rund 4 Milliarden Schweizer Franken. Für den Transport und die Versiche1901 bis 1906 – Werke, die nicht nur rar sind und sich zum Großteil in privaten rung muss die Fondation mehrere MilliSammlungen befinden, sondern die auch onen Euro investieren, erzählte Direktor Sam Keller. Schließlich kann die in der ganzen Welt verstreut sind. So kommen die Leihgaben etwa aus dem Fondation nicht auf die eigene SammMetropolitan Museum of Art in New York, lung zurückgreifen. So umfassend diese der Tate in London, der National Gallery ist – Picasso mache den größten Teil der in Washington, D. C., dem Moskauer Push- Beyeler-Sammlung aus –, diese beiden kin State Museum of Fine Arts oder dem Perioden, die den genialen Künstler Centre Pompidou und dem Musée de zum Kubismus hingeführt haben, fehlen im Bestand. In dem stammt das ersl’Orangerie in Paris.
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Kunst te Werk, eine Studie zu den „Demoiselles d’Avignon“, aus dem Jahr 1907. „Es war uns schon lange ein Bedürfnis zu zeigen, wie Picasso dahin kam“, sagt Keller. Denn ab 1901 hat sich der junge, aufstrebende Künstler in seiner von der Farbe Blau dominierten Phase vor allem mit der Misere und den seelischen Abgründen der Menschen beschäftigt. Ab 1905 drehte sich dann in der Rosa Periode alles um die Hoffnungen und Sehnsüchte der Zirkusleute. „Besonders die Artisten haben ihn fasziniert“, weiß seine Enkelin, „Er hat sie nicht nur gemalt, sondern auch selbst gekannt.“ Doch auch wenn das Basler Museum keine Werke der beiden Perioden hat: Neben der Sonderausstellung werden auch Teile der eigenen Picasso-Sammlung zu sehen sein. „Wir verwandeln die komplette Fondation in ein Picasso-Museum“, verrät Bouvier, „das ist etwas, das wir noch nie gewagt haben.“ Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es, wenn die Fondation Ende Mai die Werke wieder abhängt, in Europa noch einmal möglich sein wird, eine so prominent besetzte, reichhaltige Ausstellung des jungen Picasso erleben zu können.
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Veranstaltungen Blaue Stunde im Café Parisien Während der Ausstellung verwandelt sich das Untergeschoss in ein „Café Parisien“. Jeden Mittwoch von 18 bis 20 Uhr ist hier die „Blaue Stunde“ mit Veranstaltungen wie dem Vortrag „Picasso. Bleu et rose“ von Laurent Le Bon, Präsident des Musée national Picasso-Paris (13.2.), Burlesque-Tanz von Anja Pavlova (20.2.) oder „Le beau est toujours bizarre“ mit dem Ballett des Theater Basel.
Bildnachweise
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PABLO PICASSO, FEMME EN CHEMISE (MADELEINE), 1904-1905 Öl auf Leinwand, 72.7 x 60 cm / London, Tate, Vermächtnis C. Frank Stoop, 1933 / © Succession Picasso / 2018, ProLitteris, Zürich Foto: © Tate, London 2018 1
PABLO PICASSO, ARLEQUIN ASSIS SUR FOND ROUGE, 1905 Aquarell und Tusche auf Karton, 57.5 x 41.2 cm / Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Museum Berggruen / © Succession Picasso / 2018 ProLitteris, Zürich 2018 / Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB, Museum Berggruen / Jens Ziehe 2
PABLO PICASSO, ARLEQUIN ASSIS, 1901 Öl auf Leinwand, 83.2 x 61.3 cm / New York, The Metropolitan Museum of Art, Erworben, Herr und Frau John L. Loeb, 1960 / © Succession Picasso / 2018, ProLitteris, Zürich Foto: © 2017. The Metropolitan Museum of Art/Art Resource/Scala, Florenz 3
PABLO PICASSO, AUTOPORTRAIT, 1901 Öl auf Leinwand, 81 x 60 cm / Musée national Picasso – Paris / © Succession Picasso / 2018, ProLitteris, Zürich Foto: © RMN-Grand Palais (Musée national Picasso-Paris) / Mathieu Rabeau 4
PABLO PICASSO, FAMILLE DE SALTIMBANQUES AVEC UN SINGE, 1905 Gouache, Aquarell und Tusche auf Karton / 104 x 75 cm, Göteborg Konstmuseum, Ankauf, 1922 / © Succession Picasso / 2018, ProLitteris, Zurich Foto: © Göteborg Konstmuseum 5
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Kultur
Meister des Märchenhaften Wie Fotograf Alexandre Goebel Freiburg in Szene setzt
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lühender Himmel, leuchtende Landschaften, spiegelnde Lichter. Die Fotos von Ale xandre Goebel zeigen atemberaubende Szenerien. Von Münsterplatz, Schwabentor oder Schwarzwald. Wie schafft es der 42-Jährige, so perfekte Bilder zu machen? chilli-Redakteur Till Neumann hat ihm bei einem Shooting über die Schulter geschaut.
von Till Neumann
mehr Bilder alexandre-goebel.de www.instagram.com/ alexandre_goebel
Sein Plan heute: ein Foto vom neu gestalteten Rotteckring. „Schade, dass kein Wasser in den Bächle ist“, sagt Goebel. Mit Spiegelungen arbeitet er gerne. Nach kurzem Suchen entscheidet er sich für die noch unbenutzte Straßenbahnspur als Stativ-Standort. „Das gibt schöne Lichtstreifen mit den vorbeifahrenden Autos“, erklärt Goebel. Links die weißen der Heranfahrenden. Rechts die roten der Wegfahrenden. Vor dem Shooting zählt er die Sekunden, bis die Autos vorbeifahren. Ein wichtiger Faktor für die Belichtung.
Mit Schal, Kapuze und Regenhose sitzt Alexandre Goebel vor dem Colombi Hotel. Auf dem Grasstreifen der Tramlinie hat er seine Ausrüstung ausgebreitet und das Stativ „Ich will einzigartige Augenblicke aufgebaut – inklusive verblichenem Sport- festhalten mit einem Wow-Effekt“ club-Aufkleber. Es ist Für das perfekte Bild braucht Goebel bitterkalt und es wird langsam dunkel. Konzentriert schaut Goebel aufs Dis- meist mehrere Belichtungen. Sie werden play seiner Sony-Kamera, die linke Hand danach am Rechner zusammengefügt. So zieht die Schärfe, die rechte regelt die auch heute: „Eins mit den roten Lichtern, Belichtungszeit. „Ich hasse den Winter“, eins mit den weißen und eins für den Hinflucht Goebel und lacht. Auch in der tergrund.“ Ist das nicht geschummelt? „Nö. Kälte sucht er oft stundenlang den per- Künstlerische Freiheit“, sagt Goebel. Seine fekten Ort, die perfekte Einstellung, das Bilder veröffentlicht er vor allem auf Instagram, wie gemalt kommen viele daher. perfekte Licht.
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Fotografie Fünf Stunden blieb er, um den perfekten Moment einzufangen. Äußerst befriedigend seien solche Erlebnisse, sagt Goebel. Im vorvergangenen Sommer begann er nach holprigen Jahren mit der Fotografie. „Ich habe mir einfach eine Cam gekauft und bin losgezogen“, sagt Goebel. Als Autodidakt lerne er viel mit YouTube-Tutorials, bringt sich Dinge selbst bei. Als „Anfänger in der Lernphase“ sieht er sich heute. Mit seinem 3500-Euro-Equipment ist er am liebsten alleine unterwegs. Fürs perfekte Foto wird auch improvisiert: Einmal setzte er sich auf seinen Roller und fuhr für mehr Lichter durchs Bild. In der Konviktstraße schüttete er Wasser auf den Boden für eine Spiegelung. „Fame und 20.000 Follower brauche ich nicht“, sagt Goebel. Gute Fotos machen ihn glücklich. Die Kamera und sich sieht er als Liebespaar, Fotografie sei Freiheit. Nach rund zweieinhalb Stunden ist das Shooting am Rotteckring im Kasten. Durchgefroren aber happy geht’s auf den Heimweg. Geschlafen wird noch lange nicht. Getan ist die Arbeit erst nach der Bildbearbeitung.
Knallig bunt: Alexandre Goebel (unten links, in Aktion am Rotteckring) fotografiert erst seit eineinhalb Jahren. Seine knallbunten Fotos fallen auf. Fotos: © Alexandre Goebel
Foto: © tln
Stundenlanges Fotografieren reicht dafür nicht: „Die Entwicklung ist ganz wichtig“, sagt der gelernte Grafiker. Zwei bis drei Stunden könne die Bearbeitung pro Foto dauern. Manchmal auch einen Tag. Wichtig ist ihm der Überraschungsmoment: „Ich will einzigartige Augenblicke festhalten mit einem Wow-Effekt.“ Dafür bringt der studierte Historiker vollen Einsatz. „Ich mache 24 Stunden lang Fotos, wenn ich nicht fotografiere, bearbeite ich“, erzählt Goebel und zündet sich eine Zigarette an. Rund 2000 Accounts haben ihn auf Instagram abonniert, nur ein paar wenige Bilder hat er bisher verkauft. Seine Brötchen verdient „Alex“ mit einer Text- und Grafikagentur. Kürzlich designte er Wahlplakate für den Dietenbach-Bürger entscheid. Seine Leidenschaft ist jedoch Fotografie: „Das ist mein Ding, Leben pur“, sagt Goebel und drückt auf den Auslöser. Immer wieder fährt er frühmorgens in die Berge. Doch als er neulich auf dem Schauinsland war, wollte die Sonne einfach nicht rauskommen. Just als er frustriert den Heimweg antrat, brach sie plötzlich durch.
Februar 2019 chilli Cultur.zeit 62
Musik
Seltener Dreiklang Fotos: © Max Parovsky, tln
Freiburger Jazzkombo Triaz will alles – aber bescheiden
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von Till Neumann
Geglückte Premiere: Auch wenn Lampenfieber in der Luft lag – ihr Releasekonzert im Jazzhaus meisterten Triaz mit viel virtuosem Spiel. Dabei war am Vortag ihr Bassist ausgefallen.
it ihrem Debütalbum haben Triaz gerade von sich reden gemacht. „Bring me Everything“, heißt die Scheibe. Die fünf Freiburger wagen damit einen seltenen Dreiklang: Jazz – Pop – Klassik. Wie es dazu kommt, haben sie chilli-Redakteur Till Neumann im Proberaum erzählt. Kurz darauf enterten sie für ihre Release-Party die Jazzhaus-Bühne – trotz eines Missgeschicks.
Erhardt – als einziger noch Student – lernt Filmmusik in Ludwigsburg. Ganz vorne steht Puluj, Sängerin und Texterin, die auch mal zur Geige greift. „Ich sehe mich als Geschichtenerzählerin“, sagt die Künstlerin mit dem Turban. Für den Song „Lost and Found“ hatte sie ein Zeitungsartikel über ein Flüchtlingsmädchen inspiriert, das es bis zur Olympiade geschafft hat. Für das Stück „Pari“ nahm sie eine Figur aus einem Roman von Khaled Hosseini als Grundlage. Den Text des Titeltracks hat eine Freundin aus Dublin geschrieben, mit der sie dort studierte. Als Bandleaderin sieht sie sich nicht: „Wir sind eine Demokratie“, erzählen die fünf im Proberaum. Das zeigt auch die
Es kommt meistens anders, als man denkt. Auch im Showgeschäft: Einen Tag vor der Releaseshow von Triaz im Jazzhaus fiel Kontrabassist Philipp Gerhard aus. Auf der Bühne stehen – unmöglich. Doch die vier übrigen Bandmitglieder ließen sich vom vielleicht wichtigsten Konzert ihrer Bandgeschichte Ein bisschen Funk, ein bisschen nicht abbringen. In aller Eile fanden sie Ersatz – ein Dozent Heavy Metal, ein bisschen Klassik ihrer Hochschule Macromedia (ehemals HKDM) sprang ein und Show im Jazzhaus. Immer wieder stellt rettete den Abend. Er spielte zwar mit sich Puluj an den Rand, überlässt ihren Noten, das aber souverän. Und bekam Musikern die Bühne. Ihre Instrumente beherrschen die Musieinen Extra-Applaus vom Publikum. Seit drei Jahren gibt es die Band um ker zweifelsohne. Den Sound einzuordSängerin Florine Puluj. Entstanden aus nen, fällt dafür schwer. Mal beginnen einem HKDM-Studienprojekt, fanden Tracks melodisch-sanft, entladen sich mit sich fünf Musiker mit ganz unterschied- fauchenden Gitarren („Anywhere I Go“). lichem Background: Gitarrist Thomas Mal geht’s flüsternd los, bis das Klavier die Schmeer ist „der Rocker“, erzählen die Schlagzahl erhöht, dann wieder von einer Kollegen. Pianist Timo Langpap kommt Jazzpassage gezähmt wird („Life Unlived“). vom HipHop, Kontrabassist Philipp Ger- Ein bisschen Funk ist drin, ein bisschen hard aus der Klassik. Drummer Julian Heavy Metal, ein bisschen Klassik.
61 chilli Cultur.zeit Februar 2019
jazz Abläufe nach Schema F gibt es bei Triaz nicht. Stücke entwickeln sich, bauen Spannungen auf, lösen sie, überraschen auch mal mit einer Geige. Zusammenpressen müssen Triaz ihre Nummern nicht. Fünf, sechs oder sieben Minuten lang sind die Songs. Dass das manchem Hörer zu langatmig ist, weiß die Band. „Manchmal haben wir die Befürchtung, dass wir den Jazzern zu wenig jazzig sind – und den Poppern zu wenig poppig“, sagt Schmeer. Doch die Erfahrungen der vergangenen Monate stimmen sie optimistisch. „Auch die Rockabillys feiern es“, erzählt Schmeer, der mit seiner Gitarre auch wildere Töne anstimmt. Das Vorurteil, Jazz sei langweilig, wollen sie widerlegen. Und schlagen dafür bewusst auch Poptöne an. „Der Sound ist schon auch eingängig“, sagt Puluj. Reinhören muss man sich als Hörer dennoch. Die Songs brauchen Zeit – und nehmen sie sich auch.
Die fünf Musiker sind überzeugt: „Wir passen in keine Schubladen“ Wichtig ist ihnen, etwas Eigenes zu schaffen. In Freiburg scheint das die Runde zu machen. Das Publikum im gut gefüllten, bestuhlten Jazzhaus klatscht kräftig Beifall. Viele Zuschauer sind schon eine Weile aus dem Studentenalter raus. Doch die Bandbreite sehen Triaz als Vorteil. Ein Jazzer habe ihnen kürzlich nach einem Konzert gesagt, 15 Euro Eintritt seien zu wenig für diese Band. Ein Satz, der hoffen lässt, dass die knappe Bandkasse sich durch die Tour füllen könnte. Rund 30 Shows haben sie in drei Jahren gespielt. Weitere 30 könnten es 2019 werden. „Wir sind erstmals großflächig unterwegs“, sagt Langpap. Ihr Sound kristallisiere sich langsam heraus, man wolle weiter wachsen und die Gelegenheiten nutzen, die sich bieten. Eine solche gab es zuletzt beim Jazzfestival Freiburg. Da spielte Triaz zur Eröffnung ein Konzert vor rund 400 Zuschauern. Neben der Releaseparty und einer Show im SWR-Schlossbergsaal ihr bisher größtes Event. Darauf soll mit dem neuen Album aufgebaut werden. Der Titel fasst die Ziele deutlich in Worte: Bring me Everything. Auf der Bühne bestechen die Musiker aber mit Bescheidenheit. Große Gesten sind nicht ihr Ding. Kein Wunder, bietet ihre Musik viel Intimität und Wehmut. „Wir passen in keine Schubladen“, sagen die Künstler. Ihr Name unterstreicht das: „Trias“ kommt aus dem Altgriechischen und steht für drei Elemente, die zusammengesetzt werden. Jazz, Pop und Klassik also. Den idealen Bausatz suchen die Musiker noch. Ein Prozess, der vieles will, aber keinen massentauglichen Märklinkasten.
Live Triaz spielen auf ihrer Tour zwei Mal in der Region: 16.3. Offenburg, Kultur in der Kaserne 4.10. Freiburg, Passage 46 Februar 2019 chilli Cultur.zeit 60
Musik Between Owls
Deutschrap
Alternative & Indie
da nich für!
Wellness
Foto: © privat
Hebel fürs Nachtleben
Dendemann
4 Fragen an Deniz Binay Freiburger Booking Fonds
Geglücktes Update
Tanzende Eulen
Finanziellen Support für Veranstalter – das will der „Freiburger Booking Fonds“ bieten. Im Interview mit Till Neumann erzählt Gründer Deniz Binay (29), wie das Konzept mehr Vielfalt im Nachtleben ermöglichen soll.
(tln). Dendemann ist zurück. Mit altbekannter Reibeisen-Stimme und wilden Wortspielereien. Der Rapper mischte um die 2000er-Jahre als Eins Zwo mit DJ Rabauke die deutsche Rapszene auf. Zuletzt sorgte er als musikalischer Sidekick bei Jan Böhmermann für Medienpräsenz. Auf ein Release mussten Fans aber warten. Jetzt hat sich Daniel Ebel zurückgemeldet. 13 Jahre nach seinem letzten Studioalbum. „da nich für!“, heißt die Zwölf-Track-Scheibe. Ob es „Dende“ noch draufhat, ist schnell geklärt. Ja. Ob er klingt wie früher? Jein. Stimme, Flow und feine Analysen der Menschheit gibt’s weiterhin. Der Sound klingt aber nach 2019. Bisschen Autotune auf der Stimme, die Beats mit Trap-Sounds verziert, Stargäste wie Trettmann oder Casper sind mit an Bord. Fremde Stimmen braucht er höchstens als Reichweiten-Erweiterung. Denn Dendemann fesselt noch immer mit seiner kratzbürstig-liebenswürdigen Reimerei. Besonders gut klappt das im Intro „Ich dende also bin ich“, in „Wo ich wech bin“ oder im politischen „Parolen“. Ganz bescheiden will er da die Regierung stürzen. „BGSTRNG“ mit den Beginnern klingt dafür etwas beliebig. Dendemann ist das Update dennoch geglückt. Da besteht Reinhörpflicht für HipHop-Fans.
(tln). Garage-Indie-Folk-Pop-Punk nennen Between Owls ihren Sound. Zu hören nun erstmals auf Albumlänge. Mit „Wellness“ legen die Freiburger eine CD hin, die aufhören lässt. Es klingt zwar nicht alles geschliffen, aber vieles gut bis mitreißend. Die vier Musiker setzen auf Gitarren und Melodien, die ins Ohr gehen. Manchmal einfühlsam, oft wild nach vorne. Dazu paaren sich zwei Stimmen – weiblich und männlich. Die von Maggie drängt sich dezent auf, gibt dem Indie-Pop eine sanfte Note. Getextet wird auf Englisch und Deutsch. Gerade im Deutschen kommt bei Marc der Punk durch. „Ich bin nur ein Träumer und ich steh dazu“ singt er in „Bounty und Kleid“. Eine Rummelplatz-Ode an seine „Kürbiskönigin“ gibt’s in „Pommes & Karussell“. Der Sound lädt zum Tanzen ein. „Diese Band hört man, wenn man in den Urlaub fährt oder zum Knutschen“, heißt es im Pressetext. Stimmt: Die Musik der Nachteulen (Between Owls = zwischen Eulen) ist ein akustisches Antidepressivum. Die erste Single führt den Hörer viel weiter als in Urlaubsgefilde. „Moon“ schwebt federleicht Richtung Himmel. Musik, die ihre Kraft aus Ungeschliffenheit schöpft und keinen Zweifel daran lässt, dass da Leute mit Herzblut am Werk sind.
Deniz, was ist der Booking Fonds? Wir möchten ein Hebel sein für Freiburger Veranstalter. Er soll die Situation in der Szene verbessern, das Angebot diversifizieren. Veranstaltern und Clubs greifen wir finanziell unter die Arme. Sie haben immer weniger Geld für Veranstaltungen, das Programm wird uninspirierter. Was kann unterstützt werden? Wir fördern das Booking einzelner Acts. Vor allem im Nachwuchsbereich. Die Hilfe soll niederschwellig sein. Ein Veranstalter reicht einen Antrag ein und bekommt eine Förderung von zum Beispiel zwei bis drei Prozent der Gesamtfondsumme. Was gefördert wird, entscheidet ein für alle einsehbares Ranking auf unserer Online-Plattform. Woher nehmt ihr das Geld? Stadt, Land und Bund sind gefragt. Wir werden einen Antrag auf institutionelle Förderung für den Doppelhaushalt stellen. 20.000 bis 30.000 Euro sind für eine Stadt nicht viel. Wir sprechen auch mit Brauereien und Firmen wegen einer Förderung. Sie alle profitieren, wenn es der Szene besser geht. Kann zwei Prozent Förderung etwas bewegen? Ja. Es fehlt oft an ganz normalen Dingen, wenn Künstler eingeladen werden. Ein ICE-Ticket, ein Zimmer. Manchmal reichen 500 Euro, damit ein Veranstalter nicht in diese Miesen rutscht. 59 chilli Cultur.zeit Februar 2019
Lukas Meister
Luis Fonsi
Pop
Genre
Leuchten
VIDA
Der Sounddreck ... ... zu Tierquälerei – Kuh als Opfer
Titel: Das Kuh-Lied Urheber: Unbekannt, letzte Sichtung bei Passau Jahr: 2017
Gesungene Geschichten
Akustische Sonnenstrahlen
(tas). Vollbart, Brille, nettes Lächeln. Lukas Meister ist auf den ersten Blick wahrlich keine Rampensau. Als ihm eines nachts eine Fee drei Wünsche erfüllen will, muss er trotzdem nicht überlegen: „Ich will leuchten. Leuchten wäre schön.“ So beschreibt der Liedermacher im Titelsong, wie er zur Musik gekommen ist. Seitdem hat der Wahlberliner, der in Heitersheim aufgewachsen ist und in Freiburg studierte, drei Alben herausgebracht. Das neueste ist gerade erschienen – und leuchtet wie seine Vorgänger. Wieder einmal zeigt Meister mit kleinen Geschichten, die er auf der Gitarre begleitet, wie virtuos er mit Worten umgehen kann. Die Bandbreite reicht von wunderschön melancholischen Stücken wie „Der Bär“ („Jeder weiß, wie in Manhatten heute das Wetter war, aber niemand, wie man Einsamkeit heilt“) bis hin zu Liebesliedern wie „Das Meer“ („Warum liebst du gerade mich unter den Sternen, die viel heller sind als ich“). Daneben gibt es Geschichten zum Schmunzeln wie das „Plädoyer fürs gemeinsame Verreisen“ („Besser eine Bratwurst essen als sich mit Bananen quälen, denn die Seele hat ja kein Gewicht“). Gut, dass Meister auf die Fee gehört hat, als sie ihm riet: „Das Leben ist so langweilig, wenn man es richtig macht. Also hör mal auf dein Herz.“
(iba). Seit 20 Jahren steht Luis Fonsi auf der Bühne. Doch erst 2017 gelang dem puerto-ricanischen Sänger mit „Despacito“ der internationale Durchbruch. Der spanische Song hat vieles verändert. Nun möchte er mit „VIDA“, seinem zehnten Studioalbum, die deutschen Charts erobern. Anfang Februar erschien die neue Platte mit 15 Liedern – davon acht neue Titel und drei Remixe. Nicht fehlen darf „Despacito“, auch wenn viele dazu „Nicht schon wieder“ sagen könnten. Der Song gilt als das meistgesehene Video auf YouTube (sechs Milliarden Aufrufe). Ursprünglich als Kooperation mit Daddy Yankee veröffentlicht, kam später eine Version mit Justin Bieber auf den Markt. Der Nachfolger „Echame La Culpa” mit US-Sängerin Demi Lovato bringt es auf cirka 1,75 Milliarden YouTube-Views. Beide Hits ähneln sich, doch wer eine eintönige Platte erwartet, irrt sich. Mit den gefühlvollen Balladen „Sola“, „Poco A Poco“ und „Le Pido Al Cielo“ beweist der 40-Jährige, dass er auch andere Spielarten beherrscht. Latino-Pop-Liebhaber können sich auf einen bunten Mix aus romantischen, rhythmischen und heißen Liedern freuen. Fonsi sorgt mit seinem neuen Werk in der doch sehr grau-weißen Jahreszeit für den einen oder anderen akustischen Sonnenstrahl.
Vorbei die Zeiten, als Kühe noch als heilig galten und wir um das goldene Kalb tanzen durften. Musikalische Tierquälereien machen dieser Tage nicht mal mehr vor dem Kuhstall halt. Die Tiere werden ins Freie gezerrt und musizierenden Pädagogen nebst Kindern ausgeliefert. „Alle Kühe sind schon da, Alle Kühe alle, Wir sind alle schon gespannt, Wie die Kühe wohl genannt, Alle kommen angerannt nur die Kühe warten.“ Der Text wirft die eine oder andere Frage auf, nach Syntax und Versmaß etwa, aber auch nach der Kohärenz. Nach einem Kuhglocken Intermezzo geht es weiter: „Was sie uns verkünden nun Nehmen wir zu Herzen, Zahlt den Preis, Und das geht schnell, Denkt dabei an unser Fell, Ruhig und langsam sollt ihr sein, Nehmt euch das zu Herzen.“ Aha. Unfassbar. Wir mussten das Veterinäramt einschalten. Und dann gibt’s auf die (Kuh-) Glocke.
Für Ihre Geschmackspolizei, Benno Burgey
kino
Leben an der Schiene Eine märchenhafte Geschichte – Ganz ohne Dialoge erzählt von Erika Weisser
Vom Lokführer, der die Liebe suchte Aserbaidschan 2018 Regie: Veit Helmer Mit: Miki Manojlovic, Denis Lavant, Maia Morgenstern u.a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit:90 Minuten Start: 7. März 2019
Fotos: © Neue Visionen
57 chilli Cultur.zeit Februar 2019
N
urlan ist Lokomotivführer bei der aserbaidschanischen Eisenbahn. Täglich legt der freundlichen, aber äußerst wortkarge ältere Mann zwischen dem Hafen der am Kaspischen Meer gelegenen Hauptstadt Baku und der Vorgebirgszone des Kaukasus große Strecken zurück. Stundenlang ist er unterwegs, allein mit sich, seinem endlos langen Güterzug und der gewaltigen Natur. Tagelang: In sein zwar ausgesprochen malerisches, doch weit ab- und sehr hochgelegenes Dorf, das er nur zu Fuß erreichen kann, kommt er nur selten. Selten und spärlich sind denn auch seine Kontakte zu anderen Menschen, denen er indessen stets wohlgesonnen begegnet. Etwa einer Weichenstellerin, die Nurlan zum Zeitvertreib gerne Streiche spielt. Oder seinem ziemlich skurrilen Adjutanten, den er in den letzten Tagen vor seiner Pensionierung geduldig in die Geheimnisse des Lokführermetiers einweiht. Sehr gerne mag er wohl auch eine junge Schäferin in seinem Dorf, die ihrerseits ihr Herz an ein bezauberndes braunes Lämmchen verloren hat. Ganz besonders hat es Nurlan jedoch der Waisenjunge Aziz angetan, der im Bakuer Vorort „Shanghai“ in einer Hundehütte wohnt und immer dafür sorgt, dass der Zug den
schmalen Abstand zwischen den dicht am Geleise gebauten Häusern ohne Hindernisse passieren kann: Sobald das Bahnsignal auf Grün schaltet, rennt Aziz trillerpfeifend los, jagt alles davon, was sich auf den Schienen tummelt – teetrinkende Männer, spielende Kinder und Frauen, die im letzten Moment ihre Wäsche von der Leine reißen. Dabei bleibt so manches Wäschestück an der Lok hängen; auf der letzten Fahrt vor der Pensionierung ist es gar ein zartblauer spitzenbesetzter BH. Nach ein paar Tagen in der Einsamkeit seines Dorfes geht er zurück in die Stadt und macht sich auf die Suche nach der Besitzerin. Er will das Fundstück – wie er es immer getan hat – zurückbringen, hofft aber insgeheim auch auf Zuwendung. Er gerät indessen in unterschiedliche Frauenwelten, die ihm nicht recht verständlich sind. Und an eine Horde eifersüchtiger Ehemänner. Ein märchenhafter Film, der zugleich heiter und melancholisch ist und durch das Weglassen von Dialogen einen ganz besonderen Reiz hat.
KINO Sweethearts
Asche ist reines WeiSS
Ein königlicher Tausch
Foto: © Warner Bros. Pictures Germany
Foto: © Neue Visionen
Foto: © Alamode
Deutschland 2018 Regie: Karoline Herfurth Mit: Hannah Herzsprung, Frederick Lau u.a. Verleih: Warner Bros. Pictures Germany Laufzeit: 107 Minuten Start: 14. Februar 2019
China 2018 Regie: Jia Zhang-Ke Mit: Zhao Tao, Liao Fan, Xu Zheng u.a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 136 Minuten Start: 28. Februar 2019
Frankreich/Belgien 2018 Regie: Marc Dugain Mit: Lambert Wilson, Anamaria Vartolomei u.a. Verleih: Alamode Laufzeit: 100 Minuten Start: 28. Februar 2019
Ein missglückter Coup
Das Ende einer Utopie
Prinzessinnenschicksale
(ewei). Mel geht es schon seit einer Weile nicht mehr gut: Sie zieht ihre kleine Tochter ohne deren inzwischen kriminellen Vater auf und verfügt nur über ein geringfügiges Einkommen, das nicht einmal für sie alleine reichen würde. Und seit einer Weile tüftelt die zielstrebige Frau deshalb nun schon an einem ausgeklügelten Plan, dessen Umsetzung ihr zu einem geldsorgenfreien Leben verhelfen soll: einen Diamantenraub. In der Praxis erweist sich der Plan indessen als nicht sonderlich ausgefeilt; der große Coup geht gründlich daneben. Um wenigstens ihre Haut zu retten, sieht Mel sich gezwungen, eine ziemlich orientierungslose Zufallspassantin als Geisel zu nehmen. Doch diese Franny leidet an Panik- attacken und extremen Stimmungsschwankungen – und diese bringen die von der Flucht vor der Polizei ohnehin genervte Mel vollends an den Rand des Wahnsinns. Als sie schließlich auch noch den Polizisten Harry in Geiselhaft nimmt, ist das Chaos nicht mehr aufzuhalten. Sehr witzig.
(ewei). Qiao ist eine schöne Frau. Sie lebt in der chinesischen Provinz, kommt aus einfachen Verhältnissen und mag es sichtlich, durch ihre Beziehung zum lokalen Gangsterchef Bin in den Genuss bestimmter Konsumgüter und Privilegien zu kommen. In erster Linie aber liebt sie diesen ziemlich undurchsichtigen Mann über alle Maßen – und erhofft dasselbe von ihm. Doch er bleibt indifferent, will sich nicht auf ein „angepasstes Leben“ mit ihr einlassen. Als Bin von einer rivalisierenden Gang überfallen und übel zugerichtet wird, rettet Qiao sein Leben – indem sie die Angreifer mit ein paar Luftschüssen aus seiner Pistole in die Flucht jagt. Doch während sie wegen unerlaubten Waffenbesitzes fünf Jahre im Gefängnis verbringt und ihn nicht verrät, geht er eine andere Beziehung ein. Und weicht ihr aus, als sie nach ihrer Haft nach ihm sucht – und dabei durch ein Land reist, das gleichfalls seine Utopien aufgegeben und einen alles zerstörenden kapitalistischen Weg eingeschlagen hat.
(ewei). Dieser bemerkenswerte Film erzählt historisch ziemlich präzise die Geschichte zweier sehr junger Prinzessinnen, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus diplomatischen Gründen und zum Erhalt des Friedens zwischen Frankreich und Spanien mit dem jeweiligen Kronprinzen des anderen Landes verheiratet wurden. Louise Elisabeth, die Tochter des französischen Regenten Philippe von Orléans, muss nach Madrid, um Luis, den Sohn des spanischen Königs Felipe V, zu ehelichen; im Gegenzug schickt er seine Tochter Maria Ana Victoria als Gemahlin des künftigen Königs Louis XV nach Paris. Indessen handelt es sich bei allen ungefragt Beteiligten um Kinder: Louise Elisabeth und Luis sind gerade einmal 12 Jahre alt; Maria Ana Victoria ist erst vier und ihr Ehemann Louis zarte 11 Jahre alt. Doch das ist den Vätern gleichgültig, zur Sicherung ihrer Interessen gegenüber anderen Monarchien werden die Kinder zur reinen Verhandlungsmasse ohne jeden Eigensinn. Der sich schließlich dennoch regt.
kino Beale Street
Foto: © WDR/Nik Konietzny
voll von der Rolle
Der Fall Sarah & Saleem
Blauer Dunst: Burkhart Klaußner in seiner Rolle als dauerzigarrenrauchender Bert Brecht.
Berlinale in Freiburg (ewei). Aller Cineasten Augen sind in diesen Tagen auf Berlin gerichtet, wo bis zum 17. Februar die 69. Ausgabe der Berlinale läuft – zum letzten Mal unter der Ägide von Dieter Kosslik, der dieses Internationale Filmfestival 18 Jahre lang leitete. „Das Private ist politisch“ lautet heuer das Motto, unter dem Prominente und Unbekannte, Filmemacher und Produzenten, Schauspieler und Juroren zusammenkommen, um 11 Tage lang Filme aus 25 Ländern zu präsentieren, zu sichten, zu bewerten. Um den Goldenen und die Silbernen Bären konkurrieren 17 Produktionen, darunter vier deutschsprachige: „Der Goldene Handschuh“ von Fatih Akin, Nora Flingscheidts Debüt „Systemsprenger“ und „Ich war zuhause, aber“ von Angela Schanelec, außerdem „Der Boden unter den Füßen“ von der österreichischen Regisseurin Maria Kreutzer. Eine Auswahl an Berlinalefilmen wird im Lauf des Frühjahrs und Sommers auch in Freiburg zu sehen sein; so manche hiesigen Kinobetreiber sehen bestimmt gerade mit Argusaugen eine der 20 Uraufführungen an, die dort zu erleben sind. Zu diesen Weltpremierenfilmen gehört Heinrich Breloers „Brecht“, eine zweiteilige und mit Burkhart Klaußner und Tom Schilling in den Titelrollen prominent besetzte Doku-Fiktion über das so bewegte wie bewegende Leben des meistgespielten deutschen Dramatikers des 20. Jahrhunderts. Und auf diesen Film brauchen wir hier nicht einmal zu warten: Freiburg gehört zu den Städten, in denen er noch vor dem Ende der Berlinale als exklusives Kino-Event gezeigt wird: Vom 14. bis 20. Februar, im Kino Kandelhof. Auch im Kommunalen Kino gibt es Berlinale – mit einer kleinen, aber feinen Auswahl an „Highlights“ von 2018: „Yours in Sisterhood“, „Die Erbinnen“ und „Aggregat“. Info: www.koki.de & www.friedrichsbau-kino.de
55 chilli Cultur.zeit Februar 2019
Foto: © DCM
USA 2018 Buch & Regie: Barry Jenkins Mit: Kiki Lane, Steven James, Regina King u.a. Verleih: DCM Laufzeit: 119 Minuten Start: 7. März 2019
Foto: © Missingfilms
Palästina/Niederlande/Deutschland 2018 Regie: Muayad Alayan Mit: Sivane Kretchner, Maisa Abd Elhadi, Ishai Golan u.a. Verleih:Missingfilms Laufzeit: 127 Minuten Start: 14. März 2019
Unschuldig im Knast
Eine brandgefährliche Affäre
(ewei). 2017 gewann Regisseur Barry Jenkins für sein Anti-Rassismus-Drama „Moonlight“ den Oscar für den besten Film. Jetzt kommt sein Film „Beale Street“ ins Kino, der zumindest in der Kategorie „Bestes adaptiertes Drehbuch“ für den diesjährigen Oscar nominiert ist. Den Originalroman, auf dem Jenkins’ neue Produktion beruht, hat US-Autor James Baldwin im Jahr 1974 geschrieben, das Thema hat indessen bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Erzählt wird die Geschichte von Tish und Fonny, einem jungen afroamerikanischen Paar, das im New Yorker Stadtteil Harlem lebt. Bis Fonny fälschlicherweise der Vergewaltigung einer Puerto-Ricanerin beschuldigt wird und ohne Prozess ins Gefängnis kommt. Als Tish kurz darauf feststellt, dass sie von Fonny schwanger ist, verspricht sie ihm, ihn noch vor der Geburt des Kindes aus dem Knast zu holen. Mit Hilfe der beiden Familien versucht sie mit allen Mitteln, seine Unschuld zu beweisen und der Willkür der weißen Justiz zu trotzen.
(ewei). Sarah betreibt im Westteil von Jerusalem ein Café. Sie ist mit einem israelischen Berufsmilitär verheiratet und Mutter einer reizenden Tochter. Das hält sie jedoch nicht davon ab, mit Saleem, dem palästinensischen Gebäcklieferanten aus dem Osten der geteilten Stadt, eine Affäre zu beginnen. Auch bei ihm scheint die Anziehungskraft einer verbotenen Beziehung stärker zu sein als die Verantwortung gegenüber seiner jungen Frau, die überdies ein Kind erwartet. Bei einem ihrer nächtlichen Stelldicheins geraten sie in eine Auseinandersetzung mit Unbekannten; dadurch bricht ihr Lügenkonstrukt allmählich zusammen, kommen die Ehepartner hinter das Techtelmechtel. Als sich auch die Geheimdienste mit horrenden Verschwörungstheorien in die Angelegenheit einmischen, bekommt der eigentlich ganz gewöhnliche Seitensprung eine gefährliche politische Dimension – zumindest für den inhaftierten Saleem. Ein spannender Film über anscheinend unüberwindbare Grenzen.
DVD Finsteres Glück Schweiz 2018 Regie: Stefan Haupt Mit: Eleni Haupt, Noé Ricklin, Elisa Plüss u.a. Studio: Lighthouse Laufzeit: 114 Minuten Preis: ca. 10 Euro
303
Gundermann Deutschland 2018 Regie: Andreas Dresen Mit: Alexander Scheer, Anna Unterberger u.a. Studio: Alive Laufzeit: 128 Minuten Preis: ca. 15 Euro
Deutschland 2018 Regie: Hans Weingartner Mit: Mala Emde, Anton Spieker u.a. Studio: Alive Laufzeit: 145 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Verschüttete Erinnerung
Diagonal durch Europa
Verdrängte Vergangenheit
(ewei). Der kleine Yves ist der einzige Überlebende eines schweren Verkehrsunfalls seiner Familie. Traumatisiert liegt er in einem Basler Spital, kann sich an nichts erinnern als an eine Sonnenfinsternis, die zu beobachten die Familie in die Vogesen gefahren war. Die Klinikpsychologin Eliane nimmt sich des Kindes an, hilft ihm mit Liebe und Vertrauen, zu dem rätselhaften Geheimnis der Unfallnacht vorzustoßen. Dabei spielt auch der Isenheimer Altar im Colmarer Unterlindenmuseum eine Rolle.
(ewei). Eigentlich war die Fahrt von Berlin nach Südportugal nicht geplant. Zumindest nicht als gemeinsame Unternehmung: Jule und Jan sind beide gerade ziemlich gefrustet, als sie sich auf einer Art Daseinsflucht zufällig an einer Raststätte über den Weg laufen und dann die Fahrt in ihrem Oldtimer-Wohnmobil zusammen fortsetzen. Und auf dem Weg durch unglaublich schöne Landschaften nicht nur über den Sinn des Lebens diskutieren und immer mehr zu sich finden. Und schließlich auch zueinander.
(ewei). Gerhard Gundermann: Ein schmächtiger Baggerfahrer, der nach seiner Arbeit im Lausitzer Braunkohlerevier Lieder schreibt. Poetische Lieder über Hoffnungen, Träume, Liebe und Solidarität. Ein Idealist, der niemandem etwas zuleide tun will und der dennoch zum Spitzel wird – und selbst bespitzelt wird. Ein einfühlsamer Musiker, der mit seiner Band durch die neuen Bundesländer tourt und auf sein verschwundenes Land schaut und sich irgendwann auch seiner verdrängten Vergangenheit stellt.
Nach dem Urteil Frankreich 2017 Regie: Xavier Legrande Mit: Denis Ménochet, Léa Drucker u.a. Studio: Universum Laufzeit: 93 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Offenes Geheimnis Frankreich/Spanien 2018 Regie: Ashgar Farhadi Mit: Penélope Cruz, Javier Bardem u.a. Studio: EuroVideo Laufzeit: 128 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Foxtrot Israel 2017 Regie: Samuel Moaz Mit: Lia Ashkenazi, Lia Adler, Yonatan Shiray u.a. Studio: EuroVideo Laufzeit: 109 Minuten Preis: ca. 13 Euro
In Angst und Schrecken
Zwischen Hoffen und Bangen
Antikriegserklärung
(ewei). Miriam ist entsetzt, als ihre Anwältin ihr die Entscheidung des Familiengerichts mitteilt: Es hat ihrem geschiedenen Mann Antoine außer dem gemeinsamen Sorgerecht für den 11-jährigen Sohn Julien auch das Recht zugesprochen, regelmäßig Wochenenden mit ihm zu verbringen. Aus Angst vor seiner Gewalttätigkeit hatten sie und das Kind diese Treffen abgelehnt. Zu Recht, wie sich bald herausstellt. Denn er will lediglich wieder die Kontrolle über Miriams Leben – und geht bis an die Grenze.
(ewei). Laura lebt seit Jahren in Argentinien, ist dort mit Alejandro verheiratet. Zur der Hochzeit ihrer Schwester kommt sie mit ihren beiden Kindern in ihr kleines Dorf in der spanischen Provinz zurück. Unter den Gästen ist auch Paco, einst Lauras große Liebe, der inzwischen eine gutgehende Finca betreibt. Vom ersten Moment an ist die Spannung zwischen den beiden zu spüren; sie wird unerträglich, als Lauras halbwüchsige Tochter Irene entführt wird. Denn es gibt noch einige offene Rechnungen.
(ewei). Das Leben des Tel Aviver Architekten Michael und seiner Frau Dafna ändert sich schlagartig, als zwei Uniformierte mit einer traurigen Mitteilung vor ihrer Tür stehen. Während Dafna ihren Schmerz um den gefallenen Sohn Jonathan mit Beruhigungsmitteln betäubt, wird Michaels Trauer zu einer rasenden Wut auf das sinnlose Sterben in sinnlosen Kriegen, die scheinheiligen Trostpflaster und die politischen Kräfte, die friedliche Koexistenz verhindern. Eindrückliche Antikriegserklärung. Februar 2019 chilli Cultur.zeit 54
Literatur
Kaffee aus Deutsch-Ostafrika Das Stadtarchiv legt eine fundierte Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Freiburgs vor
W von Erika Weisser
von Bernd-Stefan Grewe, Markus Himmelsbach, Johannes Theisen, Heiko Wegmann „Freiburg und der Kolonialismus“ Stadtarchiv Freiburg, 2019 187 Seiten, gebunden Preis: 24,50 Euro
nach dem ersten Weltkrieg ebenso wenig verschwunden wie rassistisches Gedankengut. Das belegt eine Zeittafel am Ende des Buchs, in der sie den Ereignissen der deutschen Kolonialgeschichte die einschlägigen Aktivitäten in Freiburg gegenüberstellen. Darin wird deutlich, dass die im Jahr 1919 im Paulussaal von den Freiburger Parteien abgehaltene große Kundgebung gegen „Kolonialraub“ nur der Beginn einer Reihe zahlreicher Veranstaltungen zu diesem Thema war. Während der Weimarer Republik und der Nazizeit wurden – unter anderem auch vom Arbeiterbildungsverein oder vom Frauen-Rotkreuz – gut besuchte Versammlungen und Vorträge organisiert. Bei diesen traten etwa der Kolonial- Offizier Wilhelm Winterer und der Rassenhygieniker Eugen Fischer als Referenten auf. Höhepunkt dieser Veranstaltungen war die von der Stadt ausgerichtete
Die koloniale Idee, schreibt Projektleiter Bernd-Stefan Grewe in seiner Schlussbetrachtung, sei bei den Freiburgern fester verankert gewesen als „dies in den bisherigen stadtgeschichtlichen Forschungen dargestellt wurde“. Die Überzeugung von einer „zivilisatorischen Überlegenheit der Deutschen gegenüber Massenhafter Zulauf zur den kolonisierten Bevölkerungen“ sei in allen sozialen Schichten Freiburger Kolonialausstellung weit verbreitet gewesen: Im bürgerlich-nationalen und im katholischen „Reichskolonialtagung“ mit knapp 2000 Milieu sowie in der Arbeiterklasse hätten Teilnehmern im Juni 1935; die gleichdie meisten Menschen „ausgesprochen zeitig eröffnete Kolonialausstellung zum Thema Lebensraum zählte – bei damals kolonial gedacht“. Nicht nur zur Kaiserzeit, in der sich zahl- etwa 100.000 Einwohnern – in zwei Moreiche national-koloniale Verbände gründe- naten rund 25.000 Besucher. Das Buch, betonte Bernd-Stefan Grewe ten und das Völkerkundemuseum eingerichtet wurde: Die Begeisterung für die bei der Präsentation, sei „nur ein Anfang“ afrikanischen Kolonien, fanden Grewe und der regionalen Kolonialforschung. Ein sein aus Johannes Theisen, Heiko Weg- nächster Schritt sei die für 2021 geplante mann und Markus Himmelsbach beste- und vom Kulturamt organisierte große hendes Team heraus, sei nach deren Verlust Ausstellung zum Thema.
Scans aus der Freiburger Zeitung: © Universitätsbibliothek Freiburg
Kaffee aus Kamerun und Vorträge über deutsche „Besitzungen“: Das Interesse der Freiburger an den Kolonien war enorm
as lange währt, wird endlich Buch: Im Januar hat das Stadtarchiv eine Studie namens „Freiburg und der Kolonialismus“ veröffentlicht, die bereits 2013 über den Kulturausschuss des Gemeinderats auf den Weg gebracht wurde. Darin liefern vier Historiker eine fundierte Analyse über die Verstrickung der Stadt Freiburg und ihrer Bevölkerung in die deutsche Kolonialgeschichte. Mit umfangreichem, aus akribischer Recherche zusammengetragenem Material zeichnen sie das Bild einer vom Kolonialismus stark geprägten Stadtgesellschaft.
53 chilli Cultur.zeit Februar 2019
FRezi
Serotonin
Alles kann passieren
von Michel Houellebecq Verlag: Dumont, 2019 336 Seiten, gebunden Preis: 24 Euro
von Doron Rabinovici & Florian Klenk Verlag: Zsolnay, 2018 64 Seiten, Taschenbuch Preis: 10 Euro
Fundstücke Zeichnungen
von Herbert Schoppe & Robert Schad Verlag: Modo, 2019 88 Seiten, gebunden Preis: 19,80 Euro
Erwartbar deprimierend
Bedrohliche Visionen
Szenen einer Freundschaft
(dob). Eine traurige Geschichte in Zeiten des abendländischen Libido-Verlustes. Eine Geschichte über den Mittvierziger Florent, einem ehemaligen EU-Bürokraten, der in einem so desolaten Zustand ist, dass er sich wie „das alternde, sterbende und sich vom Tod erfasst fühlende Tier ein Lager sucht, um sein Leben zu beschließen“. Dies schreibt der große französische Melancholiker und Romantiker, manche sagen auch: Zyniker und Pornograph, Michel Houellebecq in seinem neuen Roman „Serotonin“ – einem erwartbar deprimierenden, aber überaus lesenswerten Buch. Der Titel ist Programm, handelt es sich dabei doch um einen Wirkstoff, der in einem neuartigen, wunderbaren Antidepressivum steckt, der aber zugleich die Libido des alten weißen Mannes wie Florent auf Null setzt. Bleiben Zigaretten (möglichst viele und überall, auch in und gerade in Hotelzimmern) und Alkohol. Florents Leben zieht vorbei, die Einsamkeit tut selbst beim Lesen weh. Da sind die Verflossenen: Kate, Claire, und Camille, ja, vor allem Camille. Da ist der Überdruss am Leben, am Fernsehprogramm, an der neoliberalen Gesellschaft, die alles zerstört, nicht zuletzt auch das Leben von Florents wohl einzigem Freund, dem streitbaren, traurigen Landwirt Aymeric. Es ist ein schmerzvoller Weg, den Florent da einschlägt. Einschlagen muss.
(ewei). Alles kann passieren: Eigentlich ist der im Buchtitel zitierte Satz ganz harmlos. Und zutreffend: Nichts ist wirklich vorhersehbar. Wenn dieser Satz aber am Ende einer Rede steht, in der der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán über seine politischen Ziele schwadroniert, dann bekommt er etwas Bedrohliches. Zumal er anfügt, dass dieses „alles“ durchaus „schwer zu definieren“ sei. Bevor er zu dem Schluss kommt, dass in diesem banalen Satz gar „das Wesen der Zukunft“ liege, behauptet er, dass „eine Demokratie nicht notwendigerweise liberal sein muss“, dass ein nationaler Staat aufgebaut werden müsse, der nicht aus „der bloßen Ansammlung von Individuen“ bestehe, sondern aus einer neu zu organisierenden Gemeinschaft, die „in der Lage ist, sich selbst biologisch aufrecht zu erhalten“. Und sich gegen Andersartige zu verteidigen. Nachzulesen sind Auszüge aus derartigen Zukunftsvisionen in dem schmalen Buch, in dem die beiden Wiener Autoren Doron Rabinovici und Florian Klenk ähnliche Äußerungen mehrerer rechtspopulistischer Politiker Europas zusammengestellt haben – zu einem höchst entlarvenden „Stimmenorkan gegen die offene Gesellschaft“. Klenk bringt das Polittheaterstück nach Freiburg, wo es Schauspieler des Theaters im Marienbad aufführen: Freitag, 1. März, 19.30 Uhr, im Literaturhaus.
(ewei). Welche Bilder wohl im Kopf des Künstlers Robert Schad abliefen, als er Herbert Schoppes Geschichte von den Frisören hörte, die im Laufe seines Lebens mit seiner einst „monochrom schwarzen“ und fülligen, jetzt eher spärlichen, dafür aber „monochrom weißen“ Haarpracht „ihre Scherereien“ hatten? Eine offenbar mit dickem Filzstift angefertigte Zeichnung, auf der eine Menge schwungvolle Spiralen zu sehen sind, lassen den Schluss zu, dass er einen üppig gelockten Jüngling vor sich sah. Diese und alle anderen Grafiken entstanden, während Schoppe seinem Freund Schad sein Manuskript vorlas; sie korrespondieren bestens mit den Texten, die der frühere Kulturredaktionsleiter des SWR Freiburg geschrieben hat. Mit feinem Gespür für selbstironische Situationskomik – und der Gabe, sie in treffliche Worte zu fassen. Und mit großer Sympathie für die Menschen, denen er in den Geschichten begegnet und deren Eigentümlichkeiten er bewundert. Etwa die Fähigkeit eines der besagten Frisöre, „in manchen Augenblicken Poesie zu leben“: Er gab ihm immer eine Rose für seine Frau mit. Ein beglückendes Fundstück. Herbert Schoppe und Robert Schad präsentieren das Buch mit Lesung und Gespräch am Sonntag, 10. Februar, 11 Uhr im Modo-Verlag – zur Eröffnung der Buchkunst-Ausstellung Schoppe & Schad, die dort bis 15. März zu sehen ist. Februar 2019 chilli Cultur.zeit 52