chilli cultur.zeit

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Heft Nr. 1/20 9. Jahrgang

Ab

5.3.

Die

u r u g n ä K

im Kino

Chronik en

Kunst

Musik

Literatur

Edward Hopper In der Fondation Beyeler

Zweatlana sieht Farbe in TĂśnen

Mit Patrick Hertweck ins Tal des GOldes


Kultur

Erinnerungspunkte: Figuren von Jörg Siegele und Peter Zimmermann (r.) bevölkern Orte im Sedan-Quartier und seiner nächsten Umgebung.

Pferde an der Rossschwemme 9 Skulpturen spiegeln im Sedanquartier 900 Jahre Stadtgeschichte

K

ünstlerische Erinnerungspunkte setzen der Förderverein Kunst im Faulerbad und das „Bürgerforum Sedanquartier und im Grün“ anlässlich des Freiburger Stadtjubiläums: An ausgesuchten Orten wurden neun Skulpturen aufgestellt, die historische Bezüge zum Viertel sowie zur ehemaligen oder auch aktuellen Nutzung des jeweiligen Ortes haben. Sieben regionale Künstler tragen mit ihren Leihgaben zum Ausstellungsparcours bei; am Sonntag, 15. März, um 14 Uhr wird er eröffnet. Auf dem kleinen, gepflasterten Platz an der Ecke Wilhelm- und Moltkestraße, wo der Eröffnungsumzug mit allen beteiligten Künstlern, 54 chilli Cultur.zeit Februar 2020

von Erika Weisser acht Musikern der Maddis’son Brass Band und einigen Vertretern des städtischen Kulturdezernats startet, erhebt sich eine große, konisch zulaufende kreisrunde Granitscheibe. Sie weist eine kerzengerade Schnittlinie auf, die im Mittelpunkt des Kreises in ein kleines ausgeschnittenes Quadrat übergeht. Dieses eröffnet den Blick auf eine riesige, eventuell von der Fällung bedrohte Hängebuche mitsamt einer leicht als Wächterin zu interpretierenden Figur. Die Scheibe ist das Werk des Merdinger Bildhauers Alois Landmann und soll den Mahlstein einer Mühle symbolisieren, die nach Recherchen von Ulrich Armbruster, dem Vorsitzenden des Bürgerforums, vor mehr als hundert Jahren ziemlich genau an dieser Stelle betrieben wurde. Am

Gewerbebach, von dem es hier heute keine Spur mehr gibt. Anders zeigt er sich am unteren Ende der Faulerstraße; hier sprudelt der früher überwiegend von dem bis in die 1960er-Jahre hier angesiedelten Schlachthof genutzte Bach noch kräftig. Und er weist durch eine beckenartige Verbreiterung auf die Rossschwemme hin, die es hier einmal gab. Dort wurden die Tiere vor der Schlachtung gewaschen. Dort badeten aber auch die Zugpferde der im Stühlinger gelegenen, heute nicht mehr existierenden Löwen-Brauerei – abends, nach der Bierauslieferung. Danach kehrten sie in die Ställe und Lagerhallen auf dem heutigen Gelände der Industrie- und Handelskammer zurück. Ihnen hat der Freiburger und sein Leben lang im Sedanquartier behei-


Aus der Traum?

Fotos: © Erika Weisser

Konzertpause bei Unicorn Music Vor 15 Monaten eröffnete der US-Ameri­kaner Robert Dale Kirch, mit Künstler­namen Rhino Rainbow, im verzweigten Hinterhof der Belfortstraße 31 den Laden Unicorn Music. Der ist mehr als ein Ort, in dem man Vintage-Gitarren kaufen und reparieren lassen kann. Er ist eine ­Mischung aus Musikgeschäft, Wohnzimmer, Galerie und Garagen-Proberaum. Und ein Ort für Konzerte, Jamsessions, ­MusikWorkshops. Mit regionalen M ­ usikern oder Bands, die Kirch persönlich kennt. Mit viel Publikum: Im Jahr 2019 seien mehr als 2000 Besucher zu den Veranstaltungen gekommen. Um zusätzlich 200 Quadratmeter in zwei direkt angrenzenden und nicht genutzten Räumen anzumieten, startete er im Januar eine Crowdfunding-Kampagne. Um die Investitionskosten von geschätzten 17.000 Euro zusammenzubekommen. Stattdessen ist das komplette Programm nun gestoppt. Denn anstelle der erwarteten Spenden flatterte ihm nun – nach einem Besuch der Baubehörde – ein städtischer Bescheid ins Haus, nach dem erst einmal alle Aktivitäten eingestellt werden müssten. Das hat er getan: Sämtliche Konzerte und

matete Künstler Jörg Siegele mit seiner aus gelasertem und schwarz lackiertem Eisen bestehenden PferdeSkulptur ein freundliches Denkmal gesetzt. Von ihm stammt auch die aus rotem Sandstein gehauene Figur, die am Rande des früheren, heute als Tanzfläche für Nachtschwärmer dienenden Springbrunnens am Fuße des Mensagartens platziert wurde. Sie stellt einen dynamischen, in seiner Bewegung verharrenden Tänzer dar. Neben Landmann und Siegele sind auch Bernd Goering, Dietrich Schön, Heinz Treiber, Ralf Weber und Peter Zimmermann an der Ausstellung beteiligt. Die von ihnen geschaffenen und im Viertel zwischen Theater, Kronenbrücke, Spechtpassage und ­ Grethergelände verteilten Werke sol-

len bis Ende des Jahres stehenbleiben. „Mindestens bis Ende des Jahres“, präzisiert Siegele als einer der Initiatoren dieser Kunstaktion im öffentlichen Raum. „Der Wunsch wäre natürlich, dass das Projekt darüber hinaus für die Zukunft weiterlebt.“ Die dauerhaft installierten Objekte könnten nicht nur der späteren Erinnerung ans Jubiläumsjahr dienen, sondern seien auch eine Möglichkeit, die vor 21 Jahren ins Leben gerufene Kunst-Liegewiese beim Faulerbad nachhaltig in Richtung Innenstadt zu erweitern. Dazu müssten die Skulpturen allerdings angekauft werden – von wohlwollenden Anwohnern oder Sponsoren. Er hofft, dass die Aufmerksamkeit, die beim Aufstellen zu spüren war, in dauerhaftes Interesse umschlägt.

Foto: © ewei

Skulpturen von Dietrich Schön (o.) und Alois Landmann säumen die Wilhelmstraße.

Veranstaltungen wurden schweren Herzens abgesagt. Doch aufgeben will der „ziemlich enttäuschte“ Rhino Rainbow die Verwirk­ lichung seines Traums von einem nicht-­ kommerziellen und gemeinnützigen Kultur­ zentrum für Musik, Kunst und Tanz noch nicht. Er sucht jetzt nach geeigneten Rechtswegen, über die er sich jedoch noch nicht detailliert äußern will. Erika Weisser Februar 2020 chilli Cultur.zeit 55


Kultur

Das Verborgene zeigen Beyeler zeigt Werke Edward Hoppers und eine filmische Hommage von Wim Wenders

K

von Arwen Stock

Der Blick der Frau geht ins Jenseits von „Cape Cod Morning“, daneben Wim Wenders, der in seiner filmischen Hommage an Edward Hopper dessen Gemälde „Gas“ weitererzählt (re). Foto oben: © Picture Alliance (Ennio Leanza) Keystone dpa • Foto rechts: © Road Movies – Wim Wenders, Hopper

aum ein anderer amerikanischer Maler ist so bekannt und gleichzeitig so unbekannt wie Edward Hopper. Die Fondation Beyeler in Basel-Riehen zeigt bis 17. Mai die erste Ausstellung mit Bildern des Künstlers in der Schweiz. Und es ist die erste, die seine ikonischen Landschaftsbilder in den Mittelpunkt rückt. Fenster ohne Glas, Telegrafenmasten ohne Leitungen, ein Leuchtturm ohne Meer – Edward Hopper fängt in seinen Bildern oft das Verborgene ein, ohne es zu zeigen. So auch in „Cape Ann ­Granite“ aus dem Jahr 1928: Granitfelsen türmen sich an einem Abhang, werfen Schatten auf eine lichte grüne Wiese, versperren die Sicht auf das Meer, das im rechten Bildrand kaum zu erahnen ist. „Hopper bricht mit der Tradition“, kommentiert Kurator Ulf Küster das Bild, mit dessen Dauerleihgabe der Rockefeller-Sammlung die Idee zur Ausstellung von Hoppers Landschaften kam. Es zeigt die Verweigerung des Künstlers, dem Betrachter darin die Aussicht zu er-

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öffnen. Diese ist in der typischen Landschaftsmalerei zentral und wird meist flankiert von einem Felsen am einen und einem Baum am anderen Bildrand. Nicht so bei Hopper: Der Künstler suggeriert in seinen Bildern vielmehr das, was nicht sichtbar ist, sich außerhalb der Darstellung ereignet und die Fantasie des Betrachters beflügelt – manchmal mit einem leisen Grauen, weil der Betrachter die Szenen weiterdenkt. Hopper war laut Küster ein extrem schüchterner und extrem großer Mann. 1882 geboren, verdiente er sich nach dem Studium an der New York School of Art seinen Lebensunterhalt als Illustrator, bis er sich als Künstler etabliert hatte. Noch zu Lebzeiten wurde er zu einem der bekanntesten Maler Amerikas, dem neben zahlreichen Ehrungen sowie TimeMagazin-Titeln auch diverse ­Ausstellungen in Museen und auf der Biennale in Venedig gewidmet wurden. Heute gilt Hopper als einer der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts.


Zeitzeugnisse des modernen Amerika Malen: „Mein Ziel ist es immer gewesen, von den Gefühlen und Empfindungen ausgehend, die mir die Natur einflößt, meine innersten Wahrnehmungen von einem Sujet, welches das intensivste Gefühl in mir auslöst, auf die Leinwand zu bringen.“ Doch bis zur Findung solcher Motive war es für den belesenen Künstler, der Deutsch sprach und immer ein Goethe-Zitat bei sich trug, oft ein langes Ringen. Dann flüchtete er sich ins Kino.

Die filmischen Einflüsse sind in Hoppers Werk teils deutlich sichtbar, im Spiel mit Licht und Schatten, in seinen Perspektiven, im Sichtbaren und Unsichtbaren. Sein wohl berühmtestes Werk „Nighthawks“, die Barszene der Nachtschwärmer, scheint direkt einem Hollywoodfilm entsprungen. Doch Küster und Keller haben einen anderen Fokus für diese Hopper-Ausstellung gewählt, dieses bekannte Werk nicht angefragt. Dafür einen anderen Meilenstein seiner Landschaftsmalerei: „Gas“ von 1940. Das Gemälde zeigt eine einsame Tankstellen-Szene vor einem düsteren Wald. Und ist Ausgangspunkt des 14minütigen 3D-Films, den Kult-Filmemacher Wim Wenders als Hommage an den großen amerikanischen Künstler für die Schau gedreht hat. „Man kann von jedem Maler das Sehen lernen, aber von Hopper habe ich noch viel mehr gelernt“, betonte Wenders, der bei einem New-York-Besuch in den 1970er-Jahren dessen Werk für sich entdeckte. Genauso wie ganze Generationen von Filmemachern. „Two or Three Things I know about Edward Hopper“ lautet der Titel des Wenders-Streifens. Gleich einer Parabel, vorsichtig, aber nicht zu viel erzählt der Filmemacher die Geschichte der Hopper-Werke weiter. Die Rechnung geht auf, Wenders kann in dem nur mit Musik unterlegten 3DFilm der gewaltigen Aura der meisterhaft gemalten Bilder gerecht werden. Und ergänzt so kongenial diese einzigartige Ausstellung.

Kulturnotizen Preis für Poetry Der auch für seine zeitgeistige Videokunst bekannte Freiburger Poetry-Slammer Sebastian Lehmann erhält einen der mit je 5000 Euro dotierten Hauptpreise des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg 2020 – unter anderem für sein neues Programm „Andere Kinder haben auch schöne Eltern“. Die Preisverleihung ist am 28. April im E-Werk. ewei

Foto: © Annika Zieske

Nur 366 Gemälde hat Hopper bis zu seinem Tod 1967 gefertigt. Kurator Küster konnte auf zwei Roadtrips in den USA teils auch sehr selten gezeigte Bilder aus Privatsammlungen für die Schau leihen. Mit 65 Werken ist die Riehener Ausstellung „größer und schöner geworden als erhofft “, betont Samuel Keller, Direktor der Fondation Beyeler. Alle Aspekte von Hoppers Malerei, auch seine Zeichnungen und Radierungen, sind zu sehen. Ikone der Ausstellung ist das farbintensive Ölgemälde „Railroad Sunset“ von 1929, ein Eisenbahngleis vor einem Sonnenuntergang. In vielen seiner Werke spiegelt Hopper den amerikanischen Traum, ohne die dunklen Seiten auszublenden. Und erschafft damit Zeitzeugnisse des modernen ­Amerika. In einem Brief äußerte sich Hopper ein seltenes Mal über sein

Landes-Kleinkunstpreis für Sebastian Lehmann

Besucherplus in Freiburger Museen Die Städtischen Museen Freiburg melden für 2019 Positives: 276.800 Besucher – 26.529 mehr als im Vorjahr – zählten das Augustinermuseum, das Museum für Neue Kunst, das Museum Natur und Mensch, das Archäologische Museum Colombischlössle und das Museum für Stadtgeschichte.

Stipendien für Südbadener Zwei der drei vom Land Baden-Württemberg jährlich vergebenen Literatur-Jahresstipendien in Höhe von je 12.000 Euro gehen an südbadische Autoren. Lisa Goldschmidt, 1993 in Freiburg geboren, überzeugte die Jury mit ihrem Lyrik-Debüt „Tage Fragmente“; der 33-jährige Jannic Han Biao Federer, der in Breisach aufwuchs, wurde für seinen Roman-Erstling „Und alles wie aus Pappmaché“ ausgezeichnet.

Wahlen im E-Werk In der jüngsten Mitgliederversammlung hat das E-Werk Freiburg die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Angelika Furmaniak in ihrem Amt bestätigt und Clemens Pustejovsky zu ihrem Stellvertreter gewählt.

Spitzenjahr bei Beyeler 437.000 Besucher zählte die Fondation Beyeler in Riehen im vergangenen Jahr. Es war das drittbeste Jahr der Geschichte. Davon kamen mehr als drei Viertel (335.244) der Besucher, um die „once-in-a-lifetime“-Ausstellung „Der junge Picasso“ zu sehen. Vom 16. Mai bis 17. August gibt es eine große Goya-Ausstellung. ewei


Musik

Alles auf Orange Zweatlana will hoch hinaus und Freiburg wohl verlassen

Fotos: © Marc Wilhelm

Foto: © Severine Kpoti

Foto: © Marc Wilhelm

von Philip Thomas

I

m Alleingang will die Musikerin Zweatlana Streaming-Plattformen erobern. Ihre Orange-EP ist ein bunter Mix aus Pop, Hip-Hop, Trap-Elementen sowie Gesang und ein frischer Wind in Freiburgs indie-dominierter Diskografie. Schwarz-weiße Noten lesen kann die Künstlerin nicht – dafür sieht sie Farbe in Tönen. An Freiburg als Künstlerstadt lässt die Solistin mit den zwei Zöpfen kein gutes Haar.

Bei Freiburg als Pflaster für Künstler sieht sie hingegen schwarz. Die Stadt sei zwar schön, musiktechnisch aber ein weißer Fleck auf der Landkarte. „Hier gibt es tolle Künstler“, sagt sie. Aber der Platz für Kunst sowie die Anzahl der Bühnen sei eben sehr begrenzt. In die Szene pflege sie kaum Kontakte: „Es fällt mir schwer, mich dort einzuordnen.“ Auch die Lage sei nicht das Gelbe vom Ei. Wichtige Bands überspringen den beschaulichen Breisgau gerne: Tourbusse fahren von Stuttgart oft ohne Zwischenstopp direkt nach Basel. Es fehle an Vernetzung. „Das ist schade, wenn man Ambitionen hat“, bedauert Zweatlana: „Ich möchte von meiner Musik leben.“ Orange könnte die erste Rate sein. Bestimmte Erwartungen habe sie nicht, „ich freue mich darauf, meine Musik in den Händen halten zu können“, sagt sie. Auch, wenn das nur via Smartphone und Laptop möglich ist, denn die EP erscheint ausschließlich digital. Gerne würde sie auf Vinyl

Schon als „Svéa“ war Zweatlana gerne solo unterwegs. „Ich hatte nie Lust auf eine Band“, erzählt die 25-jährige Musikerin in einem Freiburger Café. Für Gruppenprojekte fehle es ihr an Geduld: „Ich hatte keine Lust, die richtigen Leute zu finden.“ Ihre Musik entspricht ihrem Naturell: „Ich mache gerne Sachen alleine.“ Die kreative Freiheit passt in keine Schublade. Dabei verlief ihr musikalischer Werdegang zunächst klassisch. Mit sechs Jahren begann „Zweaty“ mit dem Klimpern auf dem heimischen Klavier, mit 15 kam eine Gitar- „Ich kann nach Farben komponieren.“ re hinzu. „Ich habe dann angefangen, eigene, sehr schlechte Songs zu veröffentlichen, für die EP schrieb die schreiben“, lacht die Künstlerin. Nur No- Künstlerin aber bereits rote Zahlen: „Ich bin ten lesen hat die Autodidaktin bis heute nur am Investieren.“ Manchmal werde ihr das Künstlerdasein nicht gelernt. In der Musikgeschichte ist sie damit in guter Gesellschaft: Künstler in Freiburg zu bunt: Loopstation, Synthe­ wie Eric Clapton oder Paul McCartney sizer und Keyboard passen nicht in ein sind in diseser Hinsicht ebenfalls Analpha- Neun-Quadratmeter-Zimmer in der Inbeten. Zweatlana greift darüber hinaus nenstadt. „Natürlich will niemand unter aber auf ein anderes, farbenfroheres Sys- Musikern wohnen“, sagt sie. Wegen der hotem zurück: Synästhesie – eine angebore- hen Mieten könne man sich das aber nicht ne Wahr­ nehmungs­ veränderung, bei der aussuchen. Und mit ihrem rumänischen Sinne vermischt werden. Betroffene sehen Straßenhund sei es nochmal schwieriger, die Zahl zwei und denken dabei beispiels- bei Vermietern einen Fuß in die Tür zu beweise an die Farbe Grün. „Das sind auto- kommen. „Manchmal habe ich das Gefühl, matische Assoziationen“, erklärt sie. Das dass für Menschen wie mich in Freiburg Phänomen lässt sich auf Musik übertra- kein Platz ist“, sagt Zweatlana, die mit dem gen: „Ich kann nach Farben komponieren, Gedanken spielt, wegzuziehen. Freiburg würde damit viel Farbe verlieren. a-Moll hat für mich die Farbe Rot.“


Kolumne The Brothers

Boris Brechja

Rock

Dance / Minimal

Grounded

Space Driver

... für Anfänger Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit fast 20 Jahren gegen Geschmacks­ verbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaften Ralf Welteroth und Benno Burgey in jeder Ausgabe geschmack­lose Werke von Künstlern, die das geschmack­liche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.

Gemeinsame Zeit

Maskierter Meister

(herz). Mit „Let Them Drown“ steigen die Freiburger Brothers so rockig wie politisch in ihr neuntes Album „Grounded“ ein und machen sich stark für Seenot­ rettung, die kein Verbrechen sein darf­. Die (leiblichen) Brüder sind seit mehr als 40 Jahren musikalisch zusammen unterwegs, haben gemeinsam Höhen und Tiefen erlebt, Europa bereist, Straßenmusik gemacht und schließlich große Locations gefüllt. Dem Album merkt man die vielen in schwitzigen Tourbussen, während langer Proben und früheren Soundchecks verbrachten Stunden an: „Grounded“. Weil sie mittlerweile geerdet sind, die Strapazen kennen, aber irgendwie angekommen sind, mit den Füßen auf dem Boden stehen und wissen, „The B-side is better than the A-side“ – manchmal ist das Erste nur das Zweitbeste. Ihre musikalische Erfahrung dringt rockig aus den Boxen und führt nach dem schnelleren Einstieg mit melo­ diösen, manchmal disharmonischen Songs durch die Erfahrungswelt des Quartetts. Etwa die augenzwinkernde Hymne „Father's Day“: „Today is father's day, they say a very special day. I wash the dishes like every day.“ Oder „Things By Halves“, das davon erzählt, ganz zu lieben, auch wenn die Dinge sonst nur halb getan werden. Eine mitreißende, zuweilen aber etwas oberflächlich wirkende Platte, die mit mehr textlichem Tiefgang noch stärker geglänzt hätte.

(pt). Techno ist keine Musikrichtung wie jede andere. Botschaften oder tiefgründige Bedeutungen? Was zählt, ist der Bass. Und der knallt auch auf Space Driver, dem fünften Studioalbum von Boris Brechja. Der deutsche DJ ist kein Geheimtipp mehr: Ausgestattet mit Gespür für Melodie und Tempo sowie seiner Harlekin-Maske versetzt der 38-Jährige auch die Massen im Elektro-Mekka Tomorrowland in Ekstase. Zwar brauchen einige neue Tracks wie „Kittys Journey“ ein paar Minuten, um die Krallen auszufahren, allerdings flirren alle zwölf Songs jenseits der 125Beats-per-Minute-Marke und bringen Köpfe zum Nicken und Beine zum Tanzen. Wer dabei Zeit findet, über unangenehm hashtagtaugliche Titel wie „Lieblingsmensch“ oder „Never Look Back“ zu sinnieren: selber Schuld. Wie sollen die Stücke denn heißen? „Utz Utz“? „Bum Bum“? Auch eingestreute Vocals à la „Can You Hear Me?“ oder „I Take It Smart“ sind bloß Platzhalter in raumgreifenden Songs. Space Driver ist ein wilder Ritt zum Mond und zurück. Eingängig und mit genug Kickdrums als Sicherheitsgurt für jene, die auch mal im Freiburger Räng Teng Teng zum Pulp-Fiction-­ Soundtrack und „Are You Gonna Be My Girl“ abschwofen, aber nuanciert und laut genug für alle Astronauten im Hans-Bunte.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das wussten schon die Neandertaler, oder hat's am Ende DJ Ötzi gesungen? Egal. Wir versprühen jedenfalls keinerlei Zauber, kennen höchstens die Zauberhaft. Ha. Anfänger sind schon seit jeher ein Problem für die Geschmackssicherheit im Lande. Heerscharen von Gitarren-, Flöten-, Geigen-, Gesangs- und Klavierschülern, die ihre ersten Töne lernen und diese immer und immer wieder versuchen zu treffen, sind für jede Gesellschaft eine Herausforderung – um nicht zu sagen eine große Herausforderung. Wehret den Anfängen! Wir fordern deshalb Instrumenteneignungstests, Klavierführerscheine, schalldichte Gemeinschaftsübungsräume sowie einen drakonischen Strafenkatalog für Misstöne und Notennötigung. Viele von denen, die uns seit Jahren mit ihrer Mucke professionell auf den verbeamteten Sack gehen und Ärger machen, hätte man so wohl noch davon abhalten können. Anfängerfehler. Die Liste ist lang und geht von A wie Amigos bis Z wie Zillertaler Schürzenjäger. Da gibt es mehr als nur einen Anfangsverdacht, die Beweislage ist erdrückend. Aller Anfang bleibt auch im neuen Jahr schwer.

In diesem Sinne grüßt anfängerhaft Ralf Welteroth für die Freiburger GeschPo


kino

Im Griff der Dämonen Fiktives Selbstporträt einer ewigen Identitätssuche von Erika Weisser

Tommaso und der Tanz der Geister USA/Italien 2019 Regie: Abel Ferrara Mit: Willem Dafoe, Cristina Chiriac, Anna Ferrara, Kim Rossi Stewart u. a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 115 Minuten Start: 13. Februar 2020

T

ommaso ist tief zerrissen: Der einstige amerikanische Skandalregisseur, der jahrelang von einem Exzess zum nächsten raste und dabei völlig aus der Bahn geriet, hat zwar Zuflucht in Rom und im geordneten Familienleben mit seiner deutlich jüngeren Frau Nikki und der kleinen gemeinsamen Tochter Deedee gefunden. Doch auch als alternder Mann ist er ruhelos, will sich nicht damit abfinden, dass sein Dasein nur noch aus Verantwortung, Spiel­platz­konver­sa­tion,­ Einkaufszetteln, Yoga-­Übungen und Therapiestunden für ehemals Heroinsüchtige bestehen soll. Die täglichen, sich stets wiederholenden Besorgungen langweilen ihn zunehmend, das geräumige Apartment empfindet er als einengend – wie das Atmen auf einem fremden Planeten. Tommaso spürt, dass der unkonventionelle Hedonismus seines Künstler-Egos ihn wieder einholt. Um das Familienleben dennoch zu retten – schließlich ist er mit Nikki und Deedee auch glücklich –, versucht er, beide Welten zusammenzubringen: Er will die Routine nur ein wenig durchbrechen, will auch als Künstler wieder aktiv und kreativ werden, neue Projekte voranbringen.

Fotos: © Neue Visionen

60 chilli Cultur.zeit februar 2020

Er belebt alte Kontakte neu und beginnt, nachts an einer neuen Filmidee zu arbeiten. Doch diese soll in den Eiswüsten Sibiriens umgesetzt werden, was sich als schier unrealisierbar erweist. Zumal ihm auch die Geldgeber plötzlich schwer zu schaffen machen. Voller Selbstzweifel und heimgesucht von abgründigen und schmerzhaften Träumen, setzt er schließlich sein Privatleben aufs Spiel. Zugunsten des künstlerischen Werks: Das Sibirien-Filmprojekt im Film wird weitergeführt. Dass es auch – allerdings von Abel Ferrara als realem Alter Ego des fiktiven Tommaso – zu Ende gebracht wurde, ist auf der Berlinale 2020 zu sehen: Dort geht „Siberia“ ins Rennen um den Goldenen Bären. Mit Willem Dafoe in der Hauptrolle. „Tommaso und der Tanz der Geister“ ist der bisher persönlichste Film von Regiemeister Abel Ferrara. Ncht nur, weil er in seinem eigenen Apartment in Rom gedreht wurde und seine Ehefrau und seine Tochter die Hauptrollen spielen – neben Schauspiellegende und Ferraras bestem Freund Willem Dafoe. Besonders ihm und seiner grandiosen Verkörperung des in seiner endlosen Identitätssuche zutiefst gespaltenen Künstlers auf dem schmalen Grat zwischen Fakt und Fiktion ist es zu verdanken, dass der Film zu einem faszinierenden Kinoerlebnis wird.


KINO La Gomera

WeiSSer weiSSer Tag

Cronofobia

Foto: © alamode

Rumänien, Frankreich 2019 Regie: Corneliu Porumboiu Mit: Vlad Ivanov, Catrinel Marlon u.a. Verleih: Alamode Laufzeit: 98 Minuten Start: 13. Februar 2020

Foto: © Filmperlen

Schweiz 2019 Regie: Francesco Rizzi Mit: Vinicio Marchioni, Sabine Timoteo u.a. Verleih: Filmperlen Laufzeit: 93 Minuten Start: 20. Februar 2020

Foto: © Arsenal

Island, Dänemark 2019 Regie: Hlynur Pálason Mit: Ingvar E. Sigurdsson, Ida Mekkin Hlynsdottir u.a. Verleih: Arsenal Laufzeit: 109 Minuten Start: 20. Februar 2020

Pfiffiger Spurensucher

Beklemmender Beobachter

Auf nebligen Straßen

(ewei). Als ein etwa 50-Jähriger zu den Beats von Iggy Pops „Passenger“ einem auf La Gomera angelandeten Schiff entsteigt, ist gleich spürbar, dass er nicht weiß, was ihn erwartet – und die ihn erwarten, wirken nicht gerade vertrauenerweckend. Am Zielort angelangt, trifft er Gilda wieder, die ihn, den korrupten Bukarester Polizisten Cristi, hierhergelockt hat. Mit der Aussicht auf ein großzügiges Honorar – falls es ihm gelingen sollte, die spurlos verschwundenen Millionen ihres inhaftierten Mafia­freundes aufzuspüren. Dieser sitzt indessen nur im Knast, weil die Polizei ihm Kokain untergejubelt hatte. Um sich mit den an der Geldjagd beteiligten „Kollegen“ verständigen zu können, muss der wackere Rumäne eine besondere Variante der insularen Pfeifsprache El Siblo erlernen. Zwar beherrscht er sie bald, doch bleiben ihm die Hintermänner der komplexen unmoralischen Machenschaften lange verborgen. Köstlicher Neo-Noir-Thriller.

(ewei). Michael ist nicht leicht zu fassen. Im Wohnmobil fährt er durch die Schweiz, sitzt grübelnd in Autobahn-Raststätten, beobachtet seine Umgebung mit Blicken, die so bohrend sind, dass man ihn für einen Stalker oder einen Serienkiller auf der Pirsch halten könnte. Indessen reist er im Auftrag seiner Chefin, schlüpft in unterschiedliche Rollen, um in Tankstellen, Geschäften, Gaststätten oder auch einmal in einer Bank die Mitarbeiter zu testen und auf ihre Ehrlichkeit zu überprüfen. Dabei wird er wiederholt von seltsamen Anfällen heimgesucht; alptraumhafte Bilder und ein bohrender Tinnitus deuten an, dass Michael von einem Vorfall aus der Vergangenheit traumatisiert ist. Dieser Vorfall scheint mit Anna zusammen­ zuhängen, die er auf seinen Reisen unentwegt beobachtet und deren Mann vor einiger Zeit ums Leben kam. Bald entwickelt sich eine seltsame Beziehung zwischen den beiden, die von Anziehung, aber auch von Vorsicht und unterdrückten Geheimnissen geprägt ist.

(ewei). Es ist schon einige Zeit her, dass die Frau des ehemaligen Polizisten Ingimundur auf den nebeligen Straßen Islands vom Weg abgekommen und tödlich verunglückt ist. Doch die Trauer liegt schwer auf der Seele des Mannes, der sich immer mehr in die Einsamkeit zurückzieht, ein Haus renoviert, dessen weiter Blick über das endlose Meer reine Melancholie ist. Allein seine Enkelin Salka macht Ingimundur Freude. Um ihre Eltern zu entlasten, kümmert er sich um das Kind, fährt sie zur Schule, erzählt ihr Geschichten. Doch auch Salka bekommt bald zu spüren, dass ihr Großvater sich verändert, denn ein Verdacht nagt an ihm: Seine verstorbene Frau könnte ihn betrogen haben. Mit zunehmender Obsession hängt Ingimundur diesem Verdacht nach, analysiert jede Spur, gräbt sich manisch in alte Videoaufnahmen seiner Frau ein, die seinen Schmerz nur noch größer werden lassen. Keine leichte Landschaftskost mit Schafen und Ponys, sondern eine inhaltlich wie formal strenge Psychostudie.


kino die KänguruChroniken

Foto: © Cine Global

voll von der Rolle

Für Sama

Berlinale im Koki: Zu den gezeigten Highlights und Preisträgern von 2019 gehört auch Pepa San Martíns „Rara“.

Berlinale in Freiburg (ewei). Vom 20. Februar bis 1. März wird Berlin wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Cineasten der Welt stehen: Dort finden, heuer bereits zum 70. Mal und unter ganz neuer Leitung, die Internationalen Filmfestspiele „Berlinale“ statt. 18 Filme gehen dieses Mal ins Rennen um den Goldenen (und natürlich auch die silbernen) Bären, darunter zwei deutsche Produktionen: Burhan Qurbanis Neuverfilmung von „Berlin, Alexanderplatz“ und Christian Petzolds Drama „Undine“ mit dem aus Freiburg stammenden Schauspieler Franz Rogowski. Dabei sind u.a. aber auch „Siberia“ mit Willem Dafoe von Abel Ferrara, „The Roads not Taken“ von Sally Potter oder der Schweizer Beitrag „Schwesterlein“ mit Nina Hoss und Lars Eidinger. Ein Teil der insgesamt rund 340 zur Vorführung kommenden Filme schaue „auf die dunkle Seite des Menschen“, informierte Carlo Chatrian, der im Sommer 2019 zusammen mit Mariette Rissenbeek die künstlerische Leitung des Filmfestivals übernommen hat. Daneben gebe es aber auch Heiteres, wie etwa Matteo Garrones „Pinocchio“. Und während sich in der Hauptstadt täglich Hunderte von Menschen in bis auf den letzten Platz besetzten Kinosälen drängeln, können sich Berlinale-Begeisterte im beschaulichen Freiburg der eher gemütlichen Variante hingeben: Im Kommunalen Kino läuft während des ganzen Monats „eine besondere Auswahl an Filmen und Preisträgern des vergangenen Jahrs“, wie Geschäftsführerin Neriman Bayram sagt. Dazu gehört der mitreißende Überraschungserfolg „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt; dieser mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnete Film über ein in gar keinen Rahmen passendes Kind wird gleich dreimal gezeigt. Dazu gehört auch Pepa San Martíns „Rara“ über eine ungewöhnliche argentinische Familie. Info: www. koki-freiburg.de

62 chilli Cultur.zeit Februar 2020

Foto: © X Verleih

Deutschland 2020 Regie: Dani Levy Mit: Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Henry Hübchen u.a. Verleih: X Verleih Laufzeit: 90 Minuten Start: 5. März 2020

Foto: © Filmperlen

Großbritannien 2019 Regie: Waad al-Kateab, Edward Watts Dokumentarfilm Verleih: Filmperlen Laufzeit: 95 Minuten Start: 5. März 2020

Erheiternde Wortgefechte

Filmischer Liebesbrief

(ewei). Der hyperkreative, doch völlig unambitionierte Kleinkünstler MarcUwe hat einen neuen Mitbewohner: Sein bisheriger Nachbar Känguru zieht bei ihm ein; es entwickelt sich eine klassische Wohngemeinschaft mit erheiternden Wortgefechten. Doch kurz darauf reißt ein rechtspopulistischer Immobilienhai die halbe Nachbarschaft ab, um mitten in Berlin-Kreuzberg das Hauptquartier der internationalen Nationalisten zu bauen. Das gefällt dem Känguru überhaupt nicht. Es ist nämlich Kommunist – und übt bald mehr als passiven Widerstand. Jedenfalls entwickelt es einen genialen Plan. Und dann noch einen, weil Marc-Uwe den ersten nicht verstanden hat. Und noch einen dritten, weil der zweite nicht funktioniert hat. Vier Nazis, eine Hasenpfote, drei Sportwagen, ein Psychotherapeut, eine Penthouse-Party und am Ende ein großer Anti-Terror-Anschlag, der dem rechten Treiben ein Ende setzen soll. Nach einer wahren Begebenheit bzw. dem gleichnamigen Buch von Marc-Uwe Kling.

(ewei). Mit 21 Jahren beginnt Waad al-Kateab, mit ihrem Mobiltelefon Filmaufnahmen zu machen. Aufnahmen von den Protesten der Studenten der Universität Aleppo gegen das autokratische Regime Bashir al-Assads. Sie ist eine von ihnen, schließt sich den Demonstrationen an. Mit ihrer Kamera fängt sie den Optimismus und die Fröhlichkeit dieser Zeit des Aufbruchs von 2012 ein; sie findet Freunde, lernt Hamza kennen, verliebt sich in ihn. Al-Kateab filmt auch weiter, als die Stadt sich im Krieg befindet, viele ihrer Weggefährten von Heckenschützen, Luftangriffen und Fassbomben getötet werden – und sie und Hamza häufig in Lebensgefahr sind. Die beiden ziehen in ihre erste gemeinsame Wohnung – und werden Eltern von Sama. Angesichts der zunehmend lebensbedrohlichen Situation erstellt ayl-Kateab aus ihren Bildern eine Botschaft für ihre Tochter, um ihr zu erklären, wer ihre Eltern sind, wofür sie kämpfen und wie sie auf die Welt kam. Es ist ein berührender filmischer Liebesbrief geworden.


DVD Die Agentin Deutschland/Israel 2019 Regie: Yuval Adler Mit: Diane Kruger, Martin Freeman u.a. Studio: Weltkino/ Leonine Laufzeit: 113 Minuten Preis: ca. 12 Euro

Mein Leben mit Amanda

Blown away

Frankreich 2019 Regie: Mikhaël Hers Mit: Vincent Lacoste, Isaure Multrier u.a. Studio: MFA + Cinema Laufzeit: 105 Minuten Preis: ca. 13 Euro

Deutschland 2016 Regie: Micha Schulze Mit: Hannes Koch, Ben Schaschek u.a. Studio: Jackhead Laufzeit: 119 Minuten Preis: ca. 19 Euro

Zwischen Loyalität und Liebe

Ende der Unbeschwertheit

Musik, Meilen und Magie

(ewei). Über ein Jahr hat MossadKontaktmann Thomas Hirsch nichts mehr von seiner Agentin Rachel gehört, als er plötzlich einen kryptischen Anruf von ihr erhält. Dieser erreicht indessen nicht nur ihn: Der Geheimdienst ist alarmiert, Thomas wird sofort zu einem Krisentreffen beordert, denn als ehemalige Spionin verfügt Rachel über brisantes Wissen. Jetzt soll er herausfinden, ob sie eine Bedrohung darstellt, während er zugleich versucht, sie zu beschützen. Hochspannend.

(ewei). David führt ein unbekümmertes Singleleben, das er sich mit verschiedenen Jobs finanziert. Gelegentlich schaut er bei seiner einzigen Schwester und ihrer kleinen Tochter Amanda vorbei. Und da ist noch seine neue Nachbarin Léna, in die er sich verlieben könnte. Doch von einem auf den anderen Tag findet die Unbeschwertheit ein Ende: Amandas Mutter wird bei einem Anschlag getötet. David ist gezwungen, eine schwere Entscheidung zu treffen und eine große Verantwortung zu übernehmen.

(ewei). Ein Segeltörn rund um den Globus. 75.000 Kilometer haben Ben Schaschek und Hannes Koch in vier Jahren zurückgelegt, um in fremden Ländern freundliche Musikanten zu finden. Ihre Songs nehmen die neugierigen gelernten Tontechniker auf, am Ende der musikalischen Expedition kamen mit über 200 Musikern 130 Stücke zusammen, die als Sound­track der etwas anderen Art veröffentlicht werden. Sympathische Typen mit wenig Geld auf einem Trip mit coolen Begegnungen.

Nurejew – the white crow

ClEo Deutschland 2019 Regie: Erik Schmitt Mit: Marleen Lohse, Jeremy Mockridge u.a. Studio: Weltkino/ Leonine Laufzeit: 94 Minuten Preis: ca. 12 Euro

Großbritannien 2019 Regie: Ralph Fienness Mit: Oleg Ivenko, Louis Hofmann u. a. Studio: Alamode Laufzeit: 122 Minuten Preis: ca. 12 Euro

Spitze! Deutschland 2019 Regie: Stefan Ganter Dokumentarfim Vertrieb: Münster­ bauhütte Laufzeit: 90 Minuten Preis: ca. 15 Euro

Aufregende Zeitreise

Geschmack der Freiheit

Über den Dächern Freiburgs

(ewei). Cleos größter Wunsch ist es, die Zeit zurückzudrehen – mit einer magischen Uhr, die längst verschollen ist. Sie hofft, so den frühen Tod ihrer Eltern verhindern zu können. Eines Tages begegnet sie dem Abenteurer Paul, der auf einem Hausboot lebt und eine aufschlussreiche Schatzkarte ersteigert hat. Gemeinsam begeben sie sich auf einen aufregenden Trip durch die pulsierende Großstadt und treffen auf verrückte Typen und urbane Legenden.

(ewei). Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs schickt die Sowjetunion mit dem Leningrader Kirow-Ballett ihre beste Tanzkompanie nach Paris – als Beweis für ihre künstlerische Stärke. Dabei sorgt der virtuose junge Tänzer Rudolf Nurejew für die große Sensation. Attraktiv, rebellisch und neugierig, lässt er sich vom kulturellen Leben der Stadt mitreißen – und beantragt politisches Asyl in Farnkreich. Ein riskantes Katz-und-Maus-Spiel mit dem Geheimdienst beginnt.

(ewei). Zwölf Jahre wurde der Turmhelm des Freiburger Münsters saniert – unter einem blickdichten Gerüst. Nun öffnet Stefan Ganter den Blick auf die Arbeiten, die er mit seiner Kamera festgehalten hat – in schwindelerregender Höhe über den Dächern der Stadt: Hier montieren Gerüstbauer die Arbeitsplattformen um die Turmpyramide, hantieren Steinmetze mit schweren Maßwerkteilen – und wirken in ihren weißen Schutzanzügen wie sorgfältige Operateure am offenen Herzen. Februar 2020 chilli Cultur.zeit 63


Literatur

Comeback mit Anlauf Der Freiburger Autor Patrick Hertweck wird hoch gehandelt

D

von Till Neumann

Inspiriert: Die Idee zur Geschichte von „Tara & Tahnee“ kam Hertweck im Wartezimmer einer Arztpraxis. In einem Reisemagazin entdeckte er einen kleinen Artikel zu Schiffswracks in San Francisco. Fotos: © Jens Dörre, Patrick Hertweck

rei Jahre lang war Funkstille bei dem ­Freiburger Schriftsteller. Jetzt ist Patrick Hertweck zurück. Im Februar erscheint „Tara & Tahnee“, das zweite Buch des 47-Jährigen. Die Rombach-Buchhandlung feiert das mit dem Autor am 13. Februar. Der Mann ist Quereinsteiger par excellence. Mit 40 Jahren reichte Hertweck, geboren 1972 in Baden-Baden, sein erstes Manuskript ein. Mit dem Kinderbuch „Maggie und die Stadt der Diebe“ landete er 2015 einen Coup. Mehr als 20.000 Mal verkaufte sein Verlag die hochgelobte Story um ein Waisenmädchen, das sich im New York des 19. Jahrhunderts der Vergangenheit stellt. Die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel besprachen es, die Plattform LovelyBooks zeichnete es mit dem Leserpreis aus. „Das war ein Wunder damals“, sagt Hertweck noch heute ungläubig. Er sitzt mit seinem Sohn im Café Atlantik am Rande der Freiburger Innenstadt. In die Kneipe kommt er gerne, um zu schreiben. Wenn Zeit ist. Als dreifacher Familienvater sind Freiräume nicht selbstverständlich. Sein erstes Buch schrieb er in zehn Wochen – mit drei Stunden Schlaf pro Nacht. Dann ging erst mal nix. „Wenn es nicht vorangeht, ist das eine unendliche Qual“, sagt Hertweck und lacht. Die Erwartungen seien nach dem Debüt groß gewesen. Das Selbstverständnis fehlte. „Ich bin kein Handwerker“, sagt der Späteinsteiger. Einfach so losschreiben ginge nicht. Um mit den Erwartungen zu brechen, entschloss er sich nach zwei Jahren, einen Jugendroman zu schreiben. Ende 2018 schickte er das fertige Manuskript dem Thienemann-Verlag. Der hatte schon sein erstes Buch veröffentlicht. Die Story schien zu gefallen. Doch es kam anders als gedacht. Der Verlag meldete sich im vergangenen April – mit dem Wunsch, dass er ein weiteres Kinderbuch schreibt. Nur rund fünf Monate blieben ihm, um das Buch fertigzustellen. Die Story nahm zwar Form an, doch sie wurde

komplex. Also krempelte er vieles um. Nach einer Schreibkrise an Pfingsten beendete er sein Werk im Spätsommer. Die ersten Reaktionen waren positiv: „Nach allem, was ich höre, ist mir was Gutes gelungen“, sagt Hertweck bescheiden. Rund 80 Lesungen hatte er bisher, reich geworden ist er nicht. Pro Buch komme ein Euro bei ihm an: „Man muss schon einen Harry Potter verkaufen, um viel zu verdienen.“ Auch sein Jugendroman ist fertig und kommt 2021 in die Regale. Mit den zwei Büchern in der Pipeline kann der Autor aufatmen. „Ich fühle mich befreit, es kann richtig losgehen.“ Er sehe sich erstmals als richtiger Autor. Einfach sei der Job nicht: „Das Schreiben ist eine einsame Angelegenheit.“ Auch spektakuläre Recherche­ reisen gibt’s nicht. „Für einen historischen Roman nach New York oder San Francisco zu fliegen, ist Quatsch“, sagt Hertweck. Nach einigen Krisen hat er mittlerweile gelernt, sich zu vertrauen. Er weiß: „Nach der Qual kommen wunderschöne Momente.“ Im Scherz hat er kürzlich seinem Verleger gesagt: Wenn er 500.000 Bücher verkauft, sollte beim nächsten Werk eine Recherchereise auf Verlagskosten drin sein. Vielleicht geht’s ja ans andere Ende der Welt. Seine vierte Geschichte spielt in Australien.


FRezi

Glücksorte in Freiburg

von Kathrin Blum & Silke Kohlmann Verlag: Droste, 2019 168 Seiten, Taschenbuch Preis: 14,99 Euro

„Hier war doch nichts!“

von Wolfram Wette Verlag: Donat, 2019 528 Seiten, Hardcover Preis: 29,80 Euro

Alles was sie sehen ist neu

von Annette Pehnt Verlag: Hanser, 2020 192 Seiten, Hardcover Preis: 18 Euro

Klassiker und Geheimtipps

Lehren der Vergangenheit

Schattenboxen im Nichtland

(ste). Kann man glücklich werden, einfach indem man irgendwo hinfährt? Kann man, behaupten die beiden Journalistinnen Kathrin Blum und Silke Kohlmann und treten in der Freiburg-Ausgabe der „Glücksorte“-Reihe den gleich 80-fachen Beweis dafür an. Auf je einer Doppelseite mit Foto präsentieren sie ihre ganz persönlichen Wegweiser zum Glück: mittelalterliche Gassen und urbane Plätze, Felsen mit Weitblick und Wanderungen zwischen Reben, besondere Cafés und den Biergarten mitten in der Stadt. Darunter sind Klassiker wie ein Sonnenuntergang auf dem Schlossberg oder das Münster als „Insel im Alltag“, aber auch echte Geheimtipps – zumindest für Freiburg-Neuentdecker. Etwa der Kräutergarten des Klosters St. Lioba in Günterstal, in dem gegen fast alles ein Kraut gewachsen ist. Oder die offene Keramikwerkstatt in der Fabrik, wo Besucher unter Anleitung eigene Tassen oder Schalen töpfern können – was „unbeschreiblich zufrieden macht“, wie die Autorinnen versprechen. Oder die Dreisamschaukel: mitten im Fluss gelegen und nicht ganz einfach zu erklimmen, dann aber so idyllisch und schwungvoll, dass man unbedingt wieder hin will. Versehen ist das Büchlein mit einer Übersichtskarte und Tipps fürs Hinkommen mit Bus und Bahn. Das Glück zu finden, wird so ganz leicht.

(ewei). Am Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, am 30. Januar 1933, sagte der Gipser und politisch weitblickende Sozialdemokrat Adolf Licht aus Waldkirch-Kollnau zu seinen erwachsenen Kindern: „Dieser Mann wird einen Scherbenhaufen hinterlassen!“ Sein damals 30-jähriger Sohn Hermann, Arbeiter in einer Textilfabrik und Vater von fünf Kindern, wird im Mai 1933 verhaftet: Er hatte sich jahrelang im Kampf gegen die NSDAP engagiert; für ihn hatte es „nie etwas anderes gegeben, als sozialistisch zu sein“. Nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft setzte er seine Arbeit für die „Antifaschistische Aktion“ fort, wurde 1935 erneut verhaftet und zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Danach wurde er ohne jedes weitere Verfahren in das KZ Dachau deportiert, von wo er während eines Transports kurz vor Kriegsende fliehen konnte. Hermann Licht, der 1990 im Alter von 87 Jahren starb und für das erfahrene Unrecht nie entschädigt wurde, war einer der wenigen aktiv Widerständigen: Das Kapitel „Widerstand“ umfasst gerade 50 Seiten in der 530 Seiten starken Dokumentation über die Geschichte Waldkirchs in der Nazi- und Nachkriegszeit. Ein sehr wichtiges und lehr-­ reiches Buch, das viele Zusammenhänge beleuchtet – auch die schwierige Aufarbeitung der dunkelsten Epoche der Stadt.

(ewei). Der Reiseleiter heißt Nime und hat die Stimme eines Märchen­ erzählers. Und alles, was er der soeben in Kirthan eingetroffenen Reisegruppe auf dem Weg vom Flug­hafen zum Hotel erzählt, klingt in den Ohren der Ich-Erzählerin irgendwie unglaubhaft. So ist sie skeptisch, als Nime behauptet, dass hier „vor zehn Jahren nichts war, nur Schlamm“. Dass die quirlige, überbevölkerte Stadt sich in dieser Zeit aus Pfützen und Dreck erhoben habe. Es müsse, flüstert sie ihrem betagten, doch exzellent vorbereiteten und bestätigend nickenden Vater und Reisegefährten zu, mindestens doch Äcker oder Reisfelder gegeben haben. Die Zweifel mehren sich – und eines Tages verschwindet Nime plötzlich. Auch die Erzählung kommt vom Weg ab, verzweigt sich immer weiter, wird zu einer Spurensuche. Zu einem Schattenboxkampf mit einem unsichtbaren und dennoch allgegenwärtigen Kontrahenten. In einem Land, das es gar nicht gibt, von seiner totalitären Grundstruktur her jedoch vertraut wirkt. Bis hin zu eingebildeten oder real existierenden Viren, deren Streuung ebenso rigoros eingedämmt wird wie die Verbreitung unliebsamer Botschaften. Buchpräsentation mit Annette Pehnt, Renate Obermaier und Victor Calero: Mittwoch, 11. März, 19.30 Uhr, Literaturhaus Freiburg februar 2020 chilli Cultur.zeit 65


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