Heft Nr. 3/19 9. Jahrgang
Festivals
Kultur
Musik
Blick hinter die Sea-You-Kulissen
Sehnsuchts-Trip entlang der B3
Funkband Fatcat will international starten
Special Festivalguide
Bass, Bass, wir brauchen Bass!
Foto: © Toby Krahl
E
in Feuerwerk über dem Bodensee bestaunen. Zwischen Schwarzwaldhügeln zu Reggaemusik feiern. Im Schlosspark Chansons lauschen und mit Kabarettisten lachen. Die Bandbreite der Festivals in und um Freiburg ist riesig. Und das ist gut so. Denn egal, ob man
beim Wort „Festival“ an Gummistiefel oder Blumenkränze, Dosenravioli oder Winzersekt, Halli-Galli-Drecksauparty oder gepflegte Unterhaltung denkt – für jeden ist etwas dabei. Hier ein kleiner Überblick, wo diesen Sommer getanzt, gefeiert, gesungen und gelauscht werden darf.
Wein & Musik
HillChill Open Air
Wann? 14. bis 16. Juni Wo? Staufen, Altstadt
Wann? 28. und 29. Juni Wo? Sarasinpark Riehen, bei Basel
Drei Tage Live-Musik bei freiem Eintritt, drei Tage Open-Air-Feeling – das verspricht das Straßenfest „Wein & Musik“ in Staufens Altstadt. Von Freitag bis Sonntag spielen Bands aus der Region sowie Musiker aus dem In- und Ausland auf den drei Bühnen am Marktplatz, am Kronenplatz und am Weinbrunnen: La Gapette und Äl Jawala ebenso wie die Stadtmusik Staufen oder der Musikverein Grunern. Mit Blasmusik, Blues, Oldies, Rock, Funk, Soul, Salsa und Jazz ist für Musikfans jeglicher Couleur was dabei – das Gleiche gilt für Gourmets, denn an den drei Tagen tischen die Staufener Winzer und Gastronomen an ihren Ständen edle Weine und Leckerbissen auf. Mit dem Straßenfest, das auf die Wiedereröffnung der Badischen Weinstraße zurückgeht, startet die Fauststadt in die Freiluftsaison.
Unter dem Motto #selbermachen geht das Riehener HillChill dieses Jahr an den Start. Schließlich läuft nicht nur die Organisation vollkommen ehrenamtlich und nonkommerziell, auch die Festival-Infrastruktur wie der „Bier-Counter“ ist selber erfunden und gebaut. Neben dem selbst gebrauten Bier ist aber vor allem die Musik handgemacht. Vertreten sind Schweizer und deutsche Bands wie Dagobert, Missling, Pabst, Brainchild, Fiji oder Gian, aber auch einige internationale Acts wie Sir Was oder Buntspecht. So hat sich das HillChill seit seinem Start im Jahr 2001 vom improvisierten Festival mit Teppich, Schlagzeug und ein paar Verstärkern zu Riehens größtem jugendkulturellen Event entwickelt. Das stetig wachsende Festival ist mittlerweile fest in Basels Kulturagenda etabliert. An der Kasse gilt: pay as you like.
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50 CHILLI Mai 2019
Foto: © Verein Freunde des Guten Tons
Die Festivalsaison ist eröffnet
Special Festivalguide
Wann? 4. bis 7. Juli den Wo? Kurgarten, Kurhaus, Baden-Ba
Mit Calypso Rose, der 79-jährigen Grande Dame der karibischen Musik, geht die 25. Ausgabe des beliebten Sommerfestivals fröhlich und lebenslustig an den Start. In den folgenden knapp sechs Wochen treten unter anderem Joe Jackson, The Cat Empire, das Ukulele Orchestra of Great Britain, die britsche Soulsängerin Shirley Davis und das Jazz-Quartett 4 Wheel Drive auf den Karlsruher Festival-Bühnen auf.
Wo lassen sich lauschige Sommernächte besser verbringen als im idyllischen Kurgarten in Baden-Baden? Neben köstlichen Speisen und Getränken dürfen sich die Besucher auf authentische Tribute-Bands freuen, die Hits von Genesis, Robbie Williams oder Michael Jackson auf die Bühne bringen. Auch danach darf noch gefeiert werden: Zwischen dem 2. und 17. August können Besucher bei den Sommer-Milongas jeweils freitags und samstags vor und im Konzertpavillon das Tanzbein schwingen. Beginn ist jeweils um 20 Uhr. Weiter geht das Programm vom 23. August bis 1. September. In dieser Zeit verwandelt sich der Kurgarten in eine große Party- und Gourmetmeile. Anlässlich der Internationalen Galopprennwochen wird im Konzertpavillon ein spannendes Musikprogramm geboten – von Jazz über Groove bis hin zu Funk. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.
Open Air im Park
Wann? 13. Juli bis 2. August Wo? Kurpark, Bad Krozingen
Foto: © Kur und Bäder GmbH
Baden-Badener Sommernächte
Wann? 28. Juni bis 7. August Wo? Tollhaus Karlsruhe
Egal ob Rockröhren, Popsternchen, Klassikliebhaber oder Schlagerfans – das Bad Krozinger „Open Air im Park“ ist ein Festival für (fast) jeden Musikgeschmack. Los geht’s ganz familiär mit dem traditionellen Lichterfest. 15.000 Kerzen und Lichter sowie 1000 japanische Bambuslaternen lassen am 13. und 14. Juli den Kurpark erstrahlen. Höhepunkt ist das große Feuerwerk am 14. Juli gegen 23 Uhr. Das nächste Highlight folgt am 19. Juli ab 20 Uhr. Pop-Newcomer Nico Santos tritt an diesem Abend nicht nur mit Hits wie „Rooftop“, „Safe“ und „Oh Hello“ auf, er hat auch seine neue Single „Unforgettable“ im Gepäck. Mit 25 Jahren ist Santos bereits einer der erfolgreichsten deutschen Songwriter. Vom Newcomer zum 1887 gegründeten Orchester: Fünf Tage nach Santos tritt das Philharmonische Orchester Freiburg auf. Unter Leitung von Fabrice Bollon spielen die Musiker Friedrich Smetanas „Die Moldau“, „Les Nuits d’Été op.7“ von Hector Berlioz und Ludwig van Beethovens „Sinfonie Nr. 6 F-dur op. 68 Pastorale“. Für Fans von Schlager und Volksmusik folgt bereits am Abend darauf, dem 25. Juli, der Festival-Höhepunkt: die Schlager-Gala mit Semino Rossi und Reiner Kirsten. Beide versprechen ein spannendes Programm – Rossi mit seinem lateinamerikanischen Spirit und Hits wie „Wir sind im Herzen jung“, Kirsten mit Schwarzwälder Charme und melodiösen Titeln wie „Träumer wie Du“. Am 26. Juli kommt dann die Manfred Mann’s Earth Band nach Bad Krozingen. Sie sind keine Neulinge bei „Open Air im Park“ und haben bereits hinreichend bewiesen, dass sie mit Hits wie „Blinded By The Light”, „Davy’s On The Road Again” oder „Father Of Day, Father Of Night” den Kurpark zum Beben bringen. Den Schlusspunkt des Freiluft-Festivals setzt am 2. August Saxophonist Klaus Doldinger. Der erfolgreiche Komponist von Filmmusik und TV-Titelmelodien wird mit seiner Band Passport und dem Trompeter Joo Kraus für Stimmung sorgen.
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Mai 2019 CHILLI 51
Foto: © Alexander Fischer
Zeltival
Special Festivalguide
Superlative am See
Sea You wächst und protzt mit Riesenbühne und Megagagen
Sea You
Wann? 13. und 14. Juli Wo? Tunisee, Freiburg
Fotos: © Till Neumann, Daniel Schmidt
Zum sechsten Mal steigt im Juli am Tunisee eine gigantische Elektroparty. Fast 35.000 Fans kamen 2018 zum Sea You. 40.000 sollen es dieses Jahr werden – auch dank neuer Specials. Was vor und hinter den Kulissen passiert, verrät Sea-You-Chef Bela Gurath (Foto rechts) im chilli-Gespräch. „Wir sind weit weg von der Teenie-Party, die wir mal waren“, sagt Gurath. Der 50-Jährige sieht sein Event lieber als musikalischen Leckerbissen mit stylischem Ambiente. Das Line-up lässt Elektrofans mit der Zunge schnalzen: Solomun, Jan Bloqvist oder Boris Brechja sind nur drei von mehr als 100 Acts auf sieben Bühnen. Einst gab es das Sea of Love. Seit dem Neustart 2014 heißt es Sea You. Zum Start hat Gurath herbe Verluste gemacht: „Wir haben eine Viertel Million versenkt im ersten Jahr“, erzählt er. Seine Vision sei von Anfang an international gewesen. Tickets verkauft Gurath mittlerweile in 56 Länder. Oman, USA, Mexiko … Das Produktionsbudget hat er fast verdreifacht: Von 1,2 Millionen Euro (2014) auf jetzt 3,3 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das ZMF hantiert für 19 Festivaltage mit etwa der Hälfte (1,7 Millionen). 70 bis 160 Taler kostet das Sea-You-Tagesticket. 60 bis 105 Euro zahlen Besucher für beide Tage. Damit werden auch teure Specials refinanziert: Gerade hat Gurath eine Bühne für 300.000 Euro bauen lassen. Stolze 66 Meter ist sie breit. „Amtlich“, sagt er. Neu sind auch Wassersprinkler. Sie können acht Meter hochfahren und die tanzenden Massen mit Sprühnebel abkühlen. 80 Meter weit und 40 Meter breit soll das Nebelfeld sein – in Trinkqualität. „Das Wasser kann ja in die Becher kommen“, erklärt Gurath. Die Logistik ist gewaltig: 1200 Hotelzimmer hat Gurath gemietet. Unter anderem das gesamte Motel One. Die großen Stars nächtigen im Colombi. 1500 Leute arbeiten in drei Schichten auf dem
52 CHILLI Mai 2019
Festivalgelände. 35 Fahrer sorgen für den Transport der Künstler. „Ihnen wird der Arsch gepudert, S-Klasse, frisch gepresster Saft, bester Champagner, Pool …“, sagt Gurath. Seltsam findet er das nicht. „Würde ich auch so machen.“ Das Festival organisiert er mit Holger Probst und Daniel Schmidt. Es findet sich im europäischen Zusammenschluss der zehn „Leading Beach Fests“ wieder und werde auch außerhalb Freiburgs in der Presse besprochen. Die Verlustjahre neigten sich dem Ende entgegen. „Wir haben den Turnaround geschafft, sind jetzt ‚credibil‘“, betont Gurath. Booker meldeten sich von selbst, um Acts anzubieten. Auch die ganz Großen kann er gewinnen. Für David Guetta zahlte er 2011 – noch unter dem Label Sea of Love – stolze 250.000 Euro Gage. In diesem Jahr liege der Spitzensatz bei 100.000 Euro für einen Act. Glück gehabt, sagt Gurath zum bisherigen Verlauf. Das Wetter habe mitgespielt. Falls es anders kommt, will er vorbereitet sein. Ein eigener Meteorologe ist auf dem Gelände stationiert und überwacht permanent die Lage. Falls ein Unwetter aufzieht, greift ein Notfallplan. Zehn Megafone seien mit bereits vorprogrammierten Chips ausgestattet. Landwirte mit Traktoren stünden im Falle des Falles bereit. Alle Tonanlagen können per Mausklick für wichtige Durchsagen unterbrochen werden. Gurath ist sicher, dass es nicht immer nur Sonne geben wird: „Irgendwann wird es uns auch mal erwischen.“ Aus der Bahn werfen lassen will er sich davon nicht. 40.000 Leute erwartet er dieses Jahr. Sein Plan für die nächsten fünf Jahre: „Stabil bleiben.“ Das Festival „Sea You – Beach Republic“ steigt am 13. und 14. Juli am Tunisee Freiburg. Tickets im Vorverkauf und das Programm gibt es auf www.seayou-festival.de
Special Festivalguide
ZMF
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Fotos: © Klaus Polkowski, Jannick Zebrowski, Kilian Kreb
Wann? 17. Juli bis 4. August Wo? Mundenhof, Freiburg
Für fast drei Wochen wird der Freiburger Mundenhof im Sommer wieder zum stimmungsvollen Festivalgelände. Für Groß und Klein, für entspannte Momente im Freien oder schweißtreibende Livekonzerte in kochend heißen Zelten. Zu sehen sind aufstrebende NewcomerActs, Evergreens (Dieter Thomas Kuhn) oder ausgewählte Weltstars. Das Programm bietet für fast jeden was Passendes: Fans der urbanen Musik kriegen Dendemann, Moop Mama oder Greeen auf die Ohren. Poppiges gibt’s von Lea, Sophie Hunger oder Namika. Stars des 37. ZMF sind US-Saxofonist Kamasi Washington oder etwa Jazzpanist Chick Corea. Nur die A-capella-Nacht fällt dieses Jahr aus. Wer’s punkig mag, geht zu Feine Sahne Fischfilet. Dancefloor-Freunde holen sich Tickets für Metronomy & Roosevelt, Soulfans bestaunen Curtis Haerding und Deutsch rap-Fans kommen zur Samy Deluxe-unplugged-Show. Auch Freiburger Künstler sind nicht zu knapp vertreten: Fatcat bieten mitreißenden Power Funk, Flecha Negra energiegeladenen Latinosound, The Brothers feiern ihren 40. Bühnengeburtstag. Der schon in jungen Jahren gefeierte Pianist Robert Neumann (wir berichteten) wird ZMF-Preisträger. Auch ohne Eintritt gibt’s auf dem Zelt-Musik-Festival jede Menge Musik und Kleinkunst zu erleben. Täglich bespielen Künstler des ZMF-Actionprogramms gleich mehrere Bühnen bei freiem Eintritt. Und wie immer gilt: Wer keine Tickets für die großen Konzerte bekommt, kann sich auch vors Zelt setzen. Ein bisschen was mitbekommen kann man auch da. Nicht zuletzt hat das Festival ein neues Design: Störche fliegen auf rot-weißen Postern und Buttons durch die Luft. Passend zum Motto: „Zuhause – Wenn Du jeden Sommer wiederkommst.“ Bei schönem Wetter ist das ZMF an Sommerabenden definitiv für viele Freiburger ein zweites Wohnzimmer. Mai 2019 CHILLI 53
Special Festivalguide
Wann? 27. und 28. Juli Wo? Festivalgelände Berghaupten
Wann? 2. bis 4. August Wo? Schlossplatz Emmendingen
Musik, Tanz, Sommerfeeling ... Das verspricht „Blackforest on Fire“, ein familienfreundliches Reggae-Festival, das im vergangenen Jahr mehr als 6000 Menschen in die kleine Gemeinde Berghaupten am Eingang des Kinzigtals lockte. Auch in diesem Jahr werden internationale Reggae-Künstler auf den Bühnen erwartet, etwa Anthony B, Rootz Underground, Miwata, Banda Senderos, Memoria, Naâman, Vanupié, Ganjaman oder Bare Jams. Zwischen den Acts heizen DJs den Festivalbesuchern ein. Zuhören, Tanzen und Feiern macht müde und hungrig – die gute Nachricht: Campen am Waldsee ist für alle Ticketbesitzer umsonst, und die Festivalküche wartet mit internationalen, vegetarischen und veganen Leckereien auf. Wer trotz durchtanzter Nacht dynamisch in den Tag starten möchte, kann das morgens mit „Yoga am See“. Und für alle, die es kaum noch erwarten können, gibt es am Freitag, 26. Juli, von 16 bis 24 Uhr eine Chill-Session auf dem Campingplatz.
Am ersten August-Wochenende wird der Schlossplatz in Emmendingen schon zum 19. Mal in eine Open-AirBühne mit riesiger Tanz- und Mitmachfläche umgewandelt. Unter dem Motto „We are the World“ gibt es hier jeden Abend ein Programm, das ganz im Zeichen der musikalischen Vielfalt Afrikas sowie verwandter Musikstile und -kulturen steht. In diesem Jahr kommen internationale Künstler wie Fantan Mojah (Jamaica), Mo Kalamity (Cabo Verde) oder Sona Jobarteh (Gambia); daneben werden auch Freiburger Bands wie die Nutty Boys und Äl Jawala auftreten. Auch tagsüber ist für kulturelle Vielfalt gesorgt: Beim Weltbasar gibt es Schmuck, Kunsthandwerk, Stoffe, Kleidung, Deko, Taschen, afrikanisches Essen u.v.m., am Samstag ist Straßenparade und am Sonntag Gottesdienst. Bis zum Abendprogramm ist der Eintritt frei .
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Flammende Sterne
Foto: © afrikaba Kulturkreis e.V.
African Music Festival
Wann? 30. August bis 1. September n Wo? Dreiländergarten, Weil am Rhei
Südbaden bekommt ein neues Festival: Die Großveranstaltung „Flammende Sterne“, einer der renommiertesten Feuerwerkswettbewerbe Europas, kommt erstmals nach Weil am Rhein. Die besten Pyrotechniker der Welt zeigen hier ihre spektakulären Himmelskunstwerke. Mit einem normalen Silvesterfeuerwerk hat das rein gar nichts zu tun: Bei den hochkarätigen Musikfeuerwerken etwa werden die Lichter fein auf die Klänge abgestimmt. Die Pyrotechniker experimentieren mit Effekten und Produkten, die man unter normalen Umständen nicht zu sehen bekommt. Und im ganzen Park spielen zudem Musiker, es sind Feuerkünstler, Comedy-Artisten sowie Trommler unterwegs, und in der Lounge-Area legen DJs auf. Ein Markt, Familienprogramm, das gastronomische Angebot in weißen Pagodenzelten und die Illumination des gesamten Geländes ergänzen das Angebot. 54 CHILLI Mai 2019
Foto: © Oliver Willikonsky
Foto: © Black Forest on Fire GbR
Blackforest on Fire
Special Festivalguide
Rolling Stone Park
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Fotos: © Christoph Eisenmenger, Michelle Shiers, Michael Lavine
Wann? 8. und 9. November Wo? Europa-Park, Rust
Das beste neue Festival Europas – mit diesem Titel kann sich Rolling Stone Park schmücken. Denn für die gefeierte Premiere im vergangenen Jahr gab es den European Festival Award. Entsprechend gespannt darf man auf die zweite Ausgabe des Indoorfestivals sein, das im November im Confertainment Center des Europa-Park steigt. Auch wenn noch nicht alle Acts stehen – dass die Besucher auch diesmal eine volle Ladung Rock’n’Roll erwartet, ist sicher. Mehr als 30 Musiker rocken an den beiden Tagen insgesamt vier Bühnen. Mit dabei sind etwa die Pioniere des British Ska „The Specials“, die gerade ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum zelebrieren. Ihr starker von Ska und Reggae beeinflusster Sound findet sich auch auf ihrem Comebackalbum „Encore“, mit dem sie Halt beim Rolling Stone Park machen. Ebenfalls von der Insel herüber kommt die Rockband „Elbow“, die in den vergangenen Jahren zahlreiche Auszeichnungen und Awards gesammelt haben. Mit ihren besinnlichen Rocksongs und dem bitter-süßen Brit-Pop bringen sie eindrucksvolle Live-Momente in den Europa-Park. Wem das zu ruhig ist, der darf sich auf den krachigen Garage-Rock von „Jon Spencer & The Hitmakers“ freuen. Auch Bob Mould, einstiger Kopf der legendären Hüsker Dü, kommt für einen Auftritt mit seiner Band zum Festival. Den Deutschrock bringt die Hamburger Band „Blumfeld“ mit – nach jahrelanger Trennung dürfen sich Fans auf ein fulminantes Comeback freuen. Auch der Rhythm & Blues-Interpret Nick Waterhouse und die irische Indie-Folk-Erfolgsformation „Villagers“ konnten für die zweite Ausgabe des Indoor-Festivals gewonnen werden. Daneben werden Mark Lanegan, die amerikanische Liedermacherin Joan as Police Woman, die Country-Sängerin Nikki Lane, der deutsche Singer- Songwriter Tom Liwa und die kanadischen Blues Rocker „The Blue Stones“ auf der Bühne stehen. www.rollingstone-park.de Mai 2019 CHILLI 55
Kunst-Hybrid
Raus aus der Nische Erstes Internationales Screendance Festival will kunstform in Freiburg etablieren
„Die Resonanz hat uns positiv überrascht.“ Adriana Almeida Pees, künstlerische Leiterin der Tanzsparte am Theater Freiburg und Initiatorin des neuen Festivals, ist sichtlich erfreut, denn für das Festival wurden fast 200 Kurzfilme eingereicht. „Ich habe viele Tage damit verbracht, mir alle Filme anzusehen“, erzählt die Kuratorin Marisa Hayes. Der überwiegende Teil kam aus europä- es leichtmachen und den Jugendlichen ischen Ländern wie Spanien, Finnland, Werkzeuge an die Hand geben.“ In Frankreich oder Schweden hat das Frankreich oder Deutschland, aber auch aus Süd- und Nordamerika, China, Russ- Genre Screendance, auch Video- oder land, Israel und Australien wurden Filme Cinedance genannt, längst Fuß gefasst – eingereicht. In denen es keineswegs nur jenseits des Rheins etwa findet seit vielen darum gehe, Tanz zu filmen, wie Hayes Jahren das Festival International de Vidéo betont – vielmehr werde mit Mitteln der Danse de Bourgogne statt. In Deutschland Filmkunst „Tanz kreiert“ und auf diese dagegen sei es immer noch „Neuland“, berichtet die US-Amerikanerin. Einzig in Weise etwas Neues geschaffen. 36 Filme in drei Kategorien werden ge- Berlin gibt es bislang ein ähnliches, aber zeigt: 30 Sekunden, zwei Minuten oder fünf kleineres Festival – jetzt soll die Kunstform Minuten lang, alle eigens für das Festival im Dreiländereck etabliert werden. „Wir produziert, wobei sich Letztere mit dem Freiburg-spezifischen Ein Screendance lässt sich mit Thema „Wilis – Naturgeister aus dem Schwarzwald“ ausein- jeder Handykamera machen. andersetzen. Damit wollen die Veranstalter einen Bezug zwischen den in- möchten Freiburg als die führenternationalen Künstlern und dem Publi- de Screendance-Stadt Deutschkum vor Ort herstellen: „Die Verbindung lands positionieren“, fasst Franck aus global und lokal, kurz glokal“, so Hayes. Boulègue, Tanz-Filmemacher und Ergänzt wird das Programm durch Vor- Wissenschaftler, das Ziel zusammen. Boulègue ist, wie auch Hayes und träge und Workshops, etwa für tanzbegeisterte Jugendliche. Schließlich, so Pees, Mitglied der Jury, die für jede der Hayes, erfülle jede Handykamera die drei Film-Kategorien einen mit 500 technologischen Voraussetzungen, einen Euro dotierten Förderpreis vergibt; hinScreendance zu entwickeln. „Wir wollen zu kommt jeweils ein Publikumspreis, Foto: © Franck Boulègue
von Stella Schewe
Foto: © Natalia Palshina
56 chilli Cultur.zeit Mai 2019
Foto: © Segarra Vidal
T
anz kombiniert mit Film, das ist die Kurzfassung von „Screendance“ – einer Kunstform, die in Deutschland bislang noch ein Nischendasein fristet. Fünf Tage im Juni sollen das ändern: Dann laden die Tanzsparte des Theater Freiburg und das Kommunale Kino zum ersten Internationalen Screendance Festival ein.
Theater
Theater Freiburg stellt Programm für die Spielzeit 2019/20 vor
Foto: © Ilana Paterman
Foto: © Luca Quaia
Foto: © Philippe-Alexandre Jaques
Foto: © Eri Kassnel
Foto: © Seth Myers
Von Wut & Akzeptanz
Gezeigt werden 36 Kurzfilme – alle eigens für das Festival produziert.
dessen Gewinner die Zuschauer im Anschluss an die Filmvorführungen bestimmen können. Als Partner wurde das Kommunale Kino ins Boot geholt, das wie das Theater Veranstaltungsort ist. Finanziert wird das Festival durch Fördermittel in Höhe von 30.000 Euro aus dem Innovationsfonds Kunst des Landes Baden-Württemberg. An was für ein Publikum richtet es sich? Einerseits an professionelle Tänzer, Choreografen und Filmemacher, sagt Hayes. Aber auch, das ist ihr wichtig, an Laien. „Das Format der Filme ist kurz und damit auch für Menschen geeignet, die mit Screendance überhaupt nicht vertraut sind. So give it a try.“
Foto: © Jacqueline Kooter
Info Screendance Festival Freiburg 5. – 9. Juni Theater Freiburg, Kommunales Kino Karten: Tel. 0761 / 2012853 8 Euro pro Abend, 25 Euro für das gesamte Festival
von Stella Schewe
W
ut und Wahn – mit diesen Themen startet das Theater Freiburg Ende September in die dritte Spielzeit mit Intendant Peter Carp. Spartenübergreifend geht es um die Frage: Was ist mit unseren Gesellschaften passiert, seit in Europa vor 30 Jahren der Eiserne Vorhang fiel? Um sie zu beantworten, arbeitet das Theater wieder mit internationalen Künstlerteams zusammen. „Wir sind der Überzeugung, dass eine mit Steuergeld finanzierte Institution die Vielfalt künstlerischer Konzepte abbilden sollte“, so der Intendant bei der Vorstellung des neuen Spielplans. Durch den sich „Wut aus Angst vor der Zukunft“ ebenso ziehe wie der „Wahn, globale Probleme national, durch Ausgrenzung lösen zu wollen“. So präsentiert das Musiktheater zur Saisoneröffnung Giuseppe Verdis Oper „Falstaff“, „die ‚Wut und Wahn’ als Untertitel haben könnte“, wie Leiterin Tatjana Beyer sagt. Ähnliches gelte für Carl Maria von Webers „Der Freischütz“. Außerdem stehen „The Turn of the Screw“ von Benjamin Britten und „Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini auf dem Programm. Beim Schauspiel setzen sich „Wut“ von Elfriede Jelinek oder „Der Sandmann“ von E. T. A. Hoffmann mit den Leit-Themen auseinander. Auch im Spielplan: „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller und William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ – wo es zwar darum gehe, eine Frau gefügig zu machen, so Chefdramaturg Rüdiger Bering: „Doch Sie können sich darauf verlassen, dass Regisseurin
Ewelina Marciniak dem einen ganz eigenen Standpunkt entgegensetzt.“ Das Kinderstück der neuen Saison ist „In einem tiefen, dunklen Wald“ von Paul Maar: „mit pfiffigen Prinzessinnen und schusseligen Prinzen“. Die Tanzsparte hat zwölf internationale Inszenierungen zu Gast, das Junge Theater präsentiert Stücke zum Thema Umbruch wie Peter Richters „89/90“ über das Erwachsenwerden in Zeiten des Mauerfalls, und das Philharmonische Orchester führt im Juli 2020 auf dem Münsterplatz Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 9 auf – als Teil der Feierlichkeiten zum 900-jährigen Stadtjubiläum Freiburg. Erfreulich für das Leitungsteam sind die steigenden Besucherzahlen. 176.000 waren es in der Saison 2017/18, bis zum Ende der aktuellen Spielzeit rechnet man beim Theater mit fünf bis zehn Prozent mehr.
Über die Grenzen der Sparten hinweg: „Wut und Wahn“ ist das Leitmotiv der neuen Fotos: © Theater Freiburg Theatersaison.
MAi 2019 chilli Cultur.zeit 57
Musik
Kleines Baby, große Liebe Fatcat wollen international durchstarten Foto: © Felix Groteloh
N
eue EP, neues Level: Die Power-Funk-Formation Fatcat hat „Love Child“ veröffentlicht. Sechs neue Songs auf einer Platte, die unterstreichen: Die acht Freiburger beherrschen ihr Handwerk.
Wie die Tracks live klingen, hat die Band kürzlich im ZDF-Morgenmagazin gezeigt. Am frühen Morgen schüttelten sie zwei Dinge aus dem Ärmel, die andere noch am Nachmittag vergeblich suchen: Energie und Groove. Warum dieses Jahr ein besonderes ist, erzählen Sänger Kenny Joyner und Bassist Fabian Gyarmati-Buchmüller in ihrem neuen Hauptquartier. Gewerbegebiet Gundelfingen. Über eine Treppe geht’s ins Untergeschoss eines ziemlich unspektakulären Gebäudes. Gleich zwei Klingeln sind an der Tür: Regie und Rehearsal Room. Ein paar Schritte weiter landet man dort, wo die Fatcats sich vor einem Jahr eingerichtet haben. Zum Proben, Aufnehmen und Ausspannen. Die neue EP ist das erste Release, das sie dort in Eigenregie aufgenommen haben. Der Titel „Love Child“ 58 chilli Cultur.zeit Mai 2019
steht auch für Unabhängigkeit: „Das Thema Liebe und deren Abwesenheit zieht sich durch die Platte“, sagt Sänger Kenny Joyner. „Als Band brauchen wir keine feste Partnerschaft mit einer anderen Firma, um unser Baby zu zeugen“, erklärt der 30-Jährige. Die Gruppe zieht ihre Kraft aus Zusammenhalt, sagt Gyarmati-Buchmüller: „Wir erleben zusammen Krisen und super frustrierende Momente, aber auch welche der glücklichsten Augenblicke, die man im Leben hat.“ In diesem Jahr sei das besonders. Man wachse gemeinsam, mache die nächsten Schritte. Alle seien dicke Freunde. „2019 ist speziell, ein Reifeprozess“, sagt der 28-Jährige. Und ergänzt: „Eigentlich darf ich gerade gar nicht hier sein, in drei Wochen muss ich meine Masterarbeit abgeben.“ Es trotzdem zu tun, zeigt: Der Fokus ist groß. Dafür nehmen es die Musiker in Kauf, ohne Einkommen zu ackern. Alle Bandeinnahmen gehen in die gemeinsame Kasse. Und werden in die Band investiert. „Ich sehe uns wie ein Start-up, wir sind in der Investitionsphase“, sagt Gyarmati-Buchmüller. Wichtig sei, voranzukommen und sich internatio-
nal einen Namen zu machen. Ein Paukenschlag dafür war der Auftritt 2017 beim Montreux Jazzfestival am Genfer See. „Das war fett, auf der Bühne direkt am Wasser im Sonnenuntergang als letzter Act des Tages“, schwärmt Joyner. Vor mehreren Hundert Leuten außerhalb von Freiburg zu spielen, ist normal geworden. Zufrieden gibt sich die Band damit nicht. „Wir wollen es live ausbauen und einfach abliefern“, sagt Joyner. Kürzlich waren sie in einem Tanzstudio, um an ihrer Performance zu arbeiten. Gerne würden sie das neu Gelernte auch mal in den USA zeigen. Der Plan, dort zu touren, stehe schon länger im Raum, sei aber bisher am Finanziellen gescheitert. Zusammen um die Häuser ziehen, ist dafür seltener geworden. Doch kürzlich sei es mal wieder hoch hergegangen. Drei Bandmitglieder wurden krank danach. Fit zu sein ist bei ihrem engen Programm Pflicht. Echte Cats haben aber auch mal einen Kater. Live: Fatcat spielen am 3. August im ZMF-Spiegelzelt. Till Neumann
Kolumne Cécile Verny Quartet
Malaka Hostel
Jazz
Global Umpa
Of Moons and Dreams
Dizko Fatale
Wer vergessen kann, ist klar im Vorteil. Manchmal zumindest. Sicher aber, wenn es um schlechte Musik geht. Man vergisst ganz einfach, was man gehört hat. Schwamm drüber, von der cerebralen Festplatte gelöscht – ein Traum.
Zum Träumen
Zum Durchdrehen
(awy). Eine Platte wie „Of Moons and Dreams“ zu rezensieren ist so ambitioniert, wie einen Charakter zu beschreiben. Genauso vielseitig kommt die neue CD des Cécile Verny Quartets daher. Mal dramatisch, mal fordernd, mal melancholisch, handelt die LP von Sehnsucht und Liebe. Auch ernstere Themen knüpft sich die ausdrucksstarke Freiburger Sängerin vor: In „Top Shelf Live“ prangert sie Handy-Kultur und Social Media an. In „Garden of Love“ heißt es pessimistisch: „I went to the garden of love (...) and I saw it was filled with graves and tomb-stones where flowers should be.“ Ein nachdenkliches Album ist es geworden. Mit vielen ruhigen Momenten und jede Menge Groove. Aber auch eines, das mit 17 Tracks ein wenig langatmig ist. Weniger wäre da mehr. Gleich vier Lieder haben „Moon“ oder „Dream“ im Titel. Träumen im Mondscheinlicht scheint Programm. Die Musik ermöglicht das im Handumdrehen, wenn Cécile mit viel Gefühl und Nuance singt – auch mal auf Französisch. Eingefleischte Jazzfans kommen hier auf ihre Kosten. Die Musik der vier Freiburger ist wie eine Praline: sanft zu Beginn, kraftvoll im Abgang.
(tln). Eskalation auf der Bühne. Das versprechen Malaka Hostel. Die sechs Freiburger haben gerade ihr erstes Album herausgebracht: Dizko Fatale. In ihrer verruchten Tanzhöhle zappelt ein wilder Haufen zu Weltmusik, Balkan, Reggae, Ska und Polka. Den Mix treibt die Single „Dizko Fatale“ zur Perfektion: Gypsy-Sounds treffen auf wabernde Bässe und Volldampf-Bläser (inklusive Mundharmonika). „Die Kojoten der Liebe“ bitten zum Tanz – mit „Amore total“. Sprachen werden gemischt – Deutsch, Englisch und Spanisch – genau wie die Styles: Ein bisschen Seed hört man raus, ein bisschen Irie Révoltés, ein bisschen Shantel. „Traveller’s Glory“ bietet ruhigere Töne. Sänger Viktor Myron Wagner erzählt von fernen Reisen. Zentrales Element sind auch hier die Bläser. Stillhalten können die Musiker nicht: Am Schluss wird ordentlich beschleunigt. Den Vagabunden ist ein wilder Stilmix gelungen, der das Rad nicht neu erfindet, es aber knallbunt anpinselt. Im Genre-Spagat klingen die Malakas nach Weltoffenheit und Vauban, nach großer Bühne und staubiger Straße, nach Leidenschaft, Lust und Schmerz. Für manchen Hörer treiben sie’s damit vielleicht zu bunt. Tanzwütige Vielfalt-Feierbiester sollten in der fatalen Disko aber ordentlich eskalieren können.
Live: Das Cécile Verny Quartet spielt am 19. und 20. Mai im Jazzhaus Freiburg.
Doch wir können und dürfen nichts vergessen. Wir vergessen uns allerhöchstens mal. Wer möchte dies der Freiburger Geschmackspolizei schon verübeln? Aber gehen wir doch in medias res und machen es an konkreten Beispielen fest. Wer sich da so alles bei uns leider schon unvergesslich gemacht hat. Unheilig mit „Vergessen“, Glasperlenspiels „Nie vergessen“ oder noch besser oder schlechter Luxuslärm „Vergessen zu vergessen“. Nicht zu vergessen Olaf Henning mit „Das kannst du vergessen.“ Danke für nichts, außer, dass es sich eben um „Musik“ von „Künstlern“ handelt, die sich prima zum Vergessen eignet und dazu noch thematisch korreliert – was will man mehr respektive weniger? Weniger ist ja oft mehr, aber zu wenig oder gleich gar nichts vom Guten – vergesst es. Man wünscht sich mit einer Amnesie geschlagen zu sein, aber bevor wir uns wieder einmal vergessen und wir selbst am Ende dem Vergessen anheim fallen, rufen wir an dieser Stelle allen zu, die es hören wollen oder auch nicht – nein, komm, was soll’s. Vergesst es einfach! Unvergesslich, für Ihre Geschmackspolizei, Ralf Welteroth
kino
Zermürbendes Warten Ein berührender Film über die Folgen des Mangels an Spenderorganen von Erika Weisser
Deutschland 2019 Regie: Steffen Weinert Mit: Maggie Valentina Salomon, Christoph Bach, Alwara Höfels, Barbara Philipp u. a. Verleih: Camino Laufzeit: 92 Minuten Start: 6. Juni 2019
J
Doch dann ändert sich von einem Moment auf den anderen alles: Als die Familie ein Wochenende in ihrem Haus im Schwarzwald verbringt, klagt Jana mitten in der Nacht plötzlich über Atemnot. Während ihre Mutter Natalie den Notarzt ruft, bricht sie leblos in den Armen ihres Vaters Micha zusammen. Ihr Herz hört auf zu schlagen, sie atmet nicht mehr. Notarzt und Ambulanz aus dem nicht weit entfernten Freiburg sind bald zur Stelle; den Rettungssanitätern gelingt es in letzter Sekunde, das Kind zu reanimieren. Zwar geht es auf schnellstem Wege in das Herzzentrum der Universitätsklinik, doch nach eingehenden Untersuchungen wird den vor Sorge zermürbten Eltern mitgeteilt, dass das Herz ihrer Tochter so weit geschädigt ist, dass sie nur durch eine Transplantation eine längerfris-
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tige Überlebenschance habe. Und dass die Wartezeit für ein Spenderorgan etwa acht Monate betrage und Jana bis dahin an eine Herzmaschine angeschlossen in der Klinik bleiben müsse. Als die Situation nach einem Jahr unverändert ist, sucht Micha nach anderen Möglichkeiten, um an ein neues Herz für seine Tochter zu kommen. Entgegen der Vorbehalte und Warnungen der Ärzte und gegen den Willen seiner Frau Natalie wendet er sich an eine Agentur, die in kurzer Zeit Organspender vermitteln kann. Nur zu gern glaubt er dem Mittelsmann bei einem Treffen, dass dabei alles mit rechten Dingen zugehe und keine kriminellen Machenschaften im Spiel seien. Er leiht sich Geld, bereitet alles akribisch vor, entführt Jana mitsamt Maschine aus der Klinik und fliegt mit ihr nach Bukarest, zur Transplantation. Doch dort entdecken sie die wahre Herkunft des „gespendeten“ Herzens. Der teilweise in Freiburg gedrehte Spielfilm ist ein sensibler Beitrag zu der aktuellen Diskussion um die legalen Organspenden, an denen in Deutschland ein großer Mangel herrscht. Was das illegale Geschäft mit Organen fragwürdiger Herkunft blühen lässt. Preview: Am Mittwoch, 29. Mai, 18.30 Uhr ist Regisseur Steffen Weinert zur Vorpremiere im Friedrichsbau; im Anschluss gibt es eine Podiumsdiskussion mit Experten, in Kooperation mit dem Verein „Kleine Helden“. Fotos: © Camino Filmverleih
Das Leben meiner Tochter
ana ist ein aufgewecktes kleines Mädchen mit einer großen Lebenslust und einem ausgeprägten Interesse an allem, was sie umgibt und ihr begegnet. Die selbstbewusste 8-Jährige lebt mit ihren Eltern in einer freundlichen, harmonischen Familie, in der in einer liebe- und humorvollen Weise über alle Dinge des Lebens gesprochen wird und in der es auch auf die neugierigste Frage keine ausweichenden Antworten gibt. Die drei verstehen sich prächtig, es geht ihnen gut, um die Zukunft brauchen sie sich nicht zu sorgen.
KINO Zwischen den Zeilen
Foto: © Studiocanal
Foto: © AlamodeFilm
Roads
Deutschland 2018 Regie: Sebastian Schipper Mit: Fionn Whitehead, Stéphane Bak u.a. Verleih: Studiocanal Laufzeit: 100 Minuten Start: 30. Mai 2019
Frankreich 2018 Regie: Olivier Assayas Mit: Juliette Binoche, Guillaume Canet u.a. Verleih: Alamode Laufzeit: 107 Minuten Start: 6. Juni 2019
Foto: © AlamodeFilm
Das Familienfoto
Frankreich 2018 Regie: Cecilia Rouaud Mit: Vanessa Paradis, Camille Cotin u.a. Verleih: Alamode Laufzeit: 98 Minuten Start: 16. Mai 2019
Der letzte Wunsch
Auf Irrwegen zum Ziel
Dichtung und Wahrheit
(ewei). Bei der Beerdigung des Großvaters kommen drei allerhöchstens lose Kontakte pflegende Geschwister wieder zusammen: Gabrielle, Elsa und Mao. Dort treffen sie auf ihren Vater Pierre, dem Sohn des Verstorbenen, der mit einer neuen Frau anreist, die jünger ist als seine längst erwachsenen Kinder. Auch deren Mutter ist anwesend – sie begleitet die demente Witwe ihres früheren Schwiegervaters. Die Wiedersehensfreude der Familie hält sich in Grenzen. Pierre ist sauer, weil seine Mutter ihn nicht erkennt, die ehemalige Ehefrau ist ohnehin nicht gut auf ihn zu sprechen, und die Geschwister hegen einen spürbaren Groll gegen die Eltern, die sich vor Jahren trennten und sie auseinander rissen. Einzig die Großmutter ist guter Dinge; sie kündigt an, dass sie mit ihren Enkeln nach St. Julien reisen und dort sterben wolle. Allmählich erinnern sie sich an die Bedeutung dieser gemeinsamen Kindheitssommer mit der Großmutter an diesem Ort und wollen ihr diesen letzten Wunsch erfüllen.
(ewei). Der 17-jährige Gyllen ist nur widerwillig mit seiner Mutter und deren Mann auf Familienurlaub in Marokko. Er mag seinen Stiefvater nicht und trachtet danach, einfach auf eigene Faust loszuziehen. Eines Tages steigt er in dessen Wohnmobil und startet durch. Weit kommt er nicht; bald gibt der Wagen den Geist auf und Gyllen hat keine Ahnung, wie er ihn wieder startklar kriegt. Da ist es geradezu ein Glück, dass der 18-jährige William des Wegs kommt, der über mehr hand werkliches Geschick und Lebenserfahrung verfügt als der junge Engländer. William kommt aus dem Kongo und ist unterwegs nach Europa, um nach seinem verschollenen Bruder zu suchen. Er kann das Auto nicht nur reparieren, sondern auch fahren, und sie beschließen, den Weg gemeinsam fortzusetzen. Mit Zusammenhalt, Mut und der Hilfe eines trickreichen Hippies gelingt es sogar, William im Hafen von Tanger auf die Fähre nach Spanien zu schmuggeln. Doch nach der Landung fängt das Abenteuer erst richtig an.
(ewei). Manchmal fällt es gar nicht so nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen: In Léonards Romanen, die er als Auto-Fiktion bezeichnet und in denen er seine Liebschaften verarbeitet, sind die realen Bezüge mehr schlecht als recht verschleiert. Sein Verleger Alain hat darauf jedoch keine Lust mehr; ist insbesondere von Gérards jüngstem Manuskript wenig überzeugt. Er ist gerade auch eher mit der Digitalisierung seines Verlags beschäftigt – oder vielmehr mit der hierfür zuständigen attraktiven jungen Mitarbeiterin. Alains Frau Selena dagegen gefällt Léonards Text; sie versucht, ihn von dessen Qualität zu überzeugen – vielleicht weil sie selbst heftig in die Geschichte verstrickt ist. Ehrlichkeit ist für sie ein zumindest flexibles Konzept. Und so diskutieren sie denn eingehend und spitzfindig über Dichtung und Wahrheit sowie den kulturellen und digitalen Wandel – und sehen dabei entspannt über ihr gegenseitiges zweifelhaftes Handeln hinweg. Intelligente Unterhaltung.
Filmforum
Grenzen überschreiten Das Freiburger Filmforum versteht sich als Festival des transkulturellen Kinos von Erika Weisser
D
er voll besetzte Zug rollt durch Tansanias staubige Steppe, er ist auf dem Weg vom bergigen Norden des Landes nach Daressalam am Indischen Ozean. Drei Tage und Nächte ist er unterwegs; Zeit genug für die in drei Klassen reisenden Fahrgäste, sich ausgiebig über die Dinge des Lebens auszutauschen – und die Zuschauer auf besondere Weise mit einzubeziehen. Der alte Massai Isaya, der mit seinem Enkel William auf dem Weg in dessen neue Heimat ist und zum ersten Mal auf der Holzbank einer Eisenbahn sitzt, findet, dass es sich anfühlt wie auf einem Esel. Und während sich der Zug holpernd voranbewegt, freuen sich die beiden, dass sie noch eine so lange Strecke voller Erlebnisse vor sich haben.
Mit dieser Bahnreise durch die ostafrikanische Gegenwart wird das dies jährige Freiburger Filmforum im Kommunalen Kino eröffnet – am 28. Mai, 19 Uhr, in Anwesenheit des Regisseurs, dem holländischen Filmemacher Jeroen van Velzen. „Tanzania Transit“ hat er den 2018 gedrehten Film genannt, der Menschen aus ganz unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen miteinander in Kontakt bringt. Name und Inhalt des Eröffnungsfilms korrespondieren bestens mit dem neuen Label des Filmforums: Festival for Transcultural Cinema. Mit diesem Zusatz, sagt Organisator Mike Schlömer, werde das Anliegen dieser seit 1985 alle zwei Jahre veranstalteten internationalen Filmwoche ziemlich genau formuliert: „Einseitige Perspektiven und Grenzziehungen aufzuheben und sie in alle Richtungen zu überschreiten.“ 62 chilli Cultur.zeit Mai 2019
Foto: © SNG Film
In der Eisenbahn quer durch das Land: „Tanzania Transit“, der Eröffnungsfilm zum Freiburger Filmforum, ist eine Reise durch die ostafrikanische Gegenwart.
Unzählige Filme hat das Team um drängung sowie die Kontinuität koloniSchlömer in den vergangenen Mona- alistischer Denkweisen. Die Filme zum ten gesichtet; etwa 30 Kurz- und Lang- ersten Themenkomplex beschäftigen filme aus 22 Ländern wurden ausge- sich mit expandierender Industrialiwählt. 25 Gäste aus Asien, Afrika, sierung und der fortschreitenden ErLateinamerika und Ozeanien werden schließung ländlicher Räume, im zweiihre Produktionen präsentieren und ten geht es unter anderem um die bis Freiburg einmal mehr zu einem Zent- heute währende Enteignung von Kultrum des internationalen Filmschaffens Junge Talente treffen auf „alte Hasen“ machen. Ehrengast ist in diesem Jahr die der internationalen Filmemacherszene norwegische Ethnologin und Filmemacherin Lisbet Hol- und Kulturgegenständen ehemals kolotedahl, die seit 1982 in Kamerun nisierter Völker. Dazu gibt es zum Abforscht. Sie bringt zwei Filme mit: schluss, am Sonntag, 2. Juni, 11.30 Uhr „Wives“, der seltene Einblicke in die eine Paneldiskussion mit Tina Brüderinternen Beziehungen einer polygamen lin vom Freiburger Museum Natur und Familie bietet, und „Le Château“, das Mensch, Anette Rein, ehemals Leiterin Porträt eines superreichen Kameruner des Weltkulturen Museums Frankfurt, und Albert Gouaffo, Professor für GerIndustriellen. Neben der Student’s Platform mit ei- manistik und interkulturelle Kommuner Auswahl an Debüt- und Abschluss- nikation an der Universität Dschang/ filmen junger Talente und einer Rei- Westkamerun. he aktueller Filme geht es um zwei Schwerpunkte: Fortschritt und Ver- Info: www.freiburger-filmforum.de
DVD Der Trafikant
25 km/h Deutschland 2018 Regie: Markus Goller Mit: Lars Eidinger, Bjarne Mädel u.a. Studio: Sony Pictures Home Entertainment Laufzeit: 116 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Leto
Österreich 2018 Regie: Nikolaus Leytner Mit: Simon Morzé, Bruno Ganz, Johannes Krisch u.a. Studio: Tobis Laufzeit: 113 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Russland 2018 Regie: Kirill Serebrennikow Mit: Filipp Avdeev, Irina Starshenbaum u.a. Studio: Weltkino Laufzeit: 123 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Entspanntes Road-Movie
Im Strudel der Nazi-Politik
Von Zensur zur Rebellion
(ewei). Die Brüder Georg und Christian haben sich mehr als 30 Jahre lang nicht gesehen. Jetzt ist der Vater gestorben und die beiden ungleichen Geschwister müssen sich zusammenraufen. Georg hat den Vater gepflegt, Christian hat Karriere gemacht. Im Alkoholrausch beschließen sie, einen alten Traum wahr zu machen: Auf Mofas quer durch Deutschland zu reisen. Im Schneckentempo tuckern sie hinein ins Abenteuer – und haben unterwegs genug Zeit zu lernen, was es heißt, Familie zu sein.
(ewei). Österreich 1937: Der 17-jährige Franz Huchel verlässt sein Dorf und geht beim Wiener Trafikanten Otto Trsnjek in die Lehre. Zu dessen Stammkunden zählt auch Sigmund Freud, bei dem der Junge Rat sucht, als er sich unglücklich in die Varieté tänzerin Anezka verliebt. Doch er stellt fest, dass Frauen dem weltbekannten Psychoanalytiker ebenfalls ein großes Rätsel sind. Dann übernehmen Nazi-Truppen das Kommando und die drei geraten in den Strudel der politischen Ereignisse.
(ewei). Leningrad, ein Sommer Anfang der 1980er. Während Alben von Lou Reed und David Bowie heimlich die Besitzer wechseln, brodelt die Underground-Rockszene. Mike und seine Frau Natascha lernen den Musiker Viktor Zoi kennen. Ihre unbändige Leidenschaft für die Musik verbindet sie schnell zu einer eigenwilligen Dreieckskonstellation. Als Teil einer neuen Musikbewegung werden sie trotz staatlich kontrollierter Konzerte das Dasein des Rock ’n’ Roll in der Sowjetunion verändern.
Mackie Messer Deutschland 2018 Regie: Joachim Lang Mit: Tobias Moretti, Joachim Król u.a. Studio: New KSM Cinema Laufzeit: 125 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Was uns nicht umbringt Deutschland 2018 Regie: Sandra Nettelbeck Mit: August Zirner, Barbara Auer u.a. Studio: Alamode Laufzeit: 124 Minuten Preis: ca. 12 Euro
Astrid Schweden 2018 Regie: Pernille Fischer Christensen Mit: Trine Dyrholm, Alba August u.a. Studio: Universum Laufzeit: 123 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Geld regiert die Welt
Suchende Seelen
Antikriegserklärung
(ewei). Nach dem Welterfolg der „Drei groschenoper” will das Kino den Autor Bert Brecht für sich gewinnen. Doch der ist nicht bereit, nach den Regeln der Filmindustrie zu spielen. Seine Vorstellung vom „Dreigro schenfilm“ ist radikal, kompromisslos, politisch, pointiert. Er will eine völlig neue Art von Film machen, auf die sich die Produktionsfirma nicht einlassen will. Er bringt die Produktionsfirma vor Gericht, um zu beweisen, dass die Geldinteressen sein Autorenrecht schmälern.
(ewei). In der Praxis des Psychotherapeuten Max kreuzen sich die Wege diverser Menschen mit verloren gegangenen Seelen: Ein Pilot mit Flugangst, eine spielsüchtige Schauspielerin, eine Autorin, die aus Trauer um ihren Freund nur noch über ihr eigenes Begräbnis nachdenkt und schreibt. Allmählich entstehen zwischen ihnen – und anderen Leidensgenossen – wundersame Querverbindungen, verknüpfen sich ihre skurrilen Geschichten. Ein heiter-schwermütiger Episodenfilm mit viel Dialogwitz.
(ewei). Das Leben des Tel Aviver Architekten Michael und seiner Frau Dafna ändert sich schlagartig, als zwei Uniformierte mit einer traurigen Mitteilung vor ihrer Tür stehen. Während Dafna ihren Schmerz um den gefallenen Sohn Jonathan mit Beruhigungsmitteln betäubt, wird Michaels Trauer zu einer rasenden Wut auf das sinnlose Sterben in sinnlosen Kriegen, die scheinheiligen Trostpflaster und die politischen Kräfte, die friedliche Koexistenz verhindern. Eindrückliche Antikriegserklärung. Mai 2019 chilli Cultur.zeit 63
Literatur
Roadtrip auf der B3 Lockruf des Südens: Wo die Sehnsucht anfängt
E
von Lars Bargmann
von Wolfgang Groeger-Meier Lockruf des Südens Verlag Corso, 2019 200 Seiten, gebunden Preis: 24,90 Euro
Fotos: © Wolfgang Groeger-Meier
in alter mintgrüner BMW 2002, eine Kamera, ein Notizbuch – und los geht’s. Wolfgang Groeger-Meier hat eine sehr charmante Idee zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Er ist die B3 einmal quer durch die Republik gefahren und hat am Wegesrand aufgesammelt, was aufzusammeln war. Ein bilderstarkes, informatives, hin und wieder lehrreiches und fast immer unterhaltsames Roadbook. Der Autor dieser Zeilen kennt die Kreuzung, an der die B3 von der B73, die dort Hamburger Chaussee heißt, abzweigt. Die sich in den Hamburger Medien als Todeskreuzung einen Namen gemacht hat. Wo die Caribien Bar steht. In der es auch um Verkehr geht. Dort „fängt die Sehnsucht an“, das ist der Startpunkt auf der „Traumstraße“, der deutschen Route 66, die mit 800 Kilometern zweitlängste Bundesstraße der Republik, die durch Niedersachen und Hessen nach Baden-Württemberg führt und im Weiler Stadtteil Otterbach am Zollamt an der Schweizer Grenze ihr Ende findet. Groeger-Meier, der sein Geld eigentlich mit der Fotografie verdient, hat für sein Werk sieben Freunde als Co-Autoren gewonnen, der im Badischen bekannte Wolfgang Abel ist darunter. In sechs Etappen geht es von Nord nach Süd, mittendurch oder knapp vorbei an malerischen Landschaften, geschichtsträchtigen Orten wie Bergen-Belsen (wo Anne Frank
mit 15 Jahren starb) oder Gebäuden wie dem Elvis-Hotel, durch große und kleine Städte, mit großartigen Altstädten oder kleinmütiger Architektur, durch trostlose und trostspendende Gegenden. Die sechste Etappe auf der Route 66 führt von Offenburg bis an die Grenze, das Teilstück bis Freiburg handelt der schreibende Beifahrer Josef Clahsen schnell, auf Konsumtempel entlang der Straße schimpfend, ab, macht kurz Halt auf dem Münsterplatz in Freiburg und wird erst bei den Weingütern Zähringer und Lämmlin-Schindler wieder milder gestimmt. Und wie er so dasteht, der alte 02er, da wird einem ja auch einfach milde ums Herz. Die vielen eindringlichen Fotos machen das Buch zu einem Genuss. Man entschleunigt beim Mitfahren und Miterleben.
Entschleunigung beim Lesen Groeger-Meier hat mit der Route National 7 in Frankreich und der italienischen Mille Miglia schon zwei berühmte Straßen zwischen zwei Deckel gepackt. Die B3, von der Todeskreuzung im hohen Norden bis an den eidgenössischen Grenzposten, ist damit ein Stück Heimatlektüre geworden, beinahe eine Hommage. Für Fischköppe ebenso wie für Hessen oder Badener.
FRezi
Kaffee und Zigaretten
von Ferdinand von Schirach Verlag: Luchterhand, 2019 192 Seiten, gebunden Preis: 20 Euro
Alles was ich Dir geben will
von Dolores Redondo Übersetzung: Lisa Grüneisen Verlag: btb, 2019 608 Seiten, gebunden Preis: 22 Euro
Die Farben des Feuers
von Pierre Lemaitre – Übersetzung: Tobias Scheffel Verlag: Klett-Cotta, 2019 479 Seiten, gebunden Preis: 25 Euro
Auf den Spuren Kleists
Alltägliche Horrorszenarien
Habgieriges Intrigenspiel
(ewei). Der Junge hat keine glückliche Kindheit: Im Sommer sitzt er jeden Tag am Teich. Die Familie fährt nie in die Ferien. Der Höhepunkt im Jahr ist Weihnachten. Manchmal kommen Verwandte zu Besuch. Er muss sich verbeugen und ihnen Handkuss geben. Er will nicht dabei sein, wenn sie sich unterhalten. Er will ohnehin nie dabei sein, fühlt sich nirgendwo zugehörig: Als er „kurz vor seinem zehnten Geburtstag in ein Jesuiteninternat“ in einem dunklen, engen Schwarzwald tal kommt, findet er keinen Anschluss, hat das Gefühl, dass ihm „etwas fehle, was er nicht benennen kann“. Und er ist 15 Jahre alt, als er sich kurz nach dem Tod des Vaters zum ersten Mal betrinkt, Kleists letzte Briefe liest und sein Leben wie dieser beenden will – doch das Gewehr ist nicht geladen. Obwohl es zu ahnen ist, wird erst bei der Lektüre der übrigen 47 Erzählungen und Notizen klar, dass diese erste Geschichte in Ferdinand von Schirachs neuem Buch autobiografisch ist, dass der Erfolgsautor ein unglücklicher, depressiver, ja, autistischer Junge gewesen sein muss. Dennoch ziehen einen seine Überlegungen nicht herunter. Denn sie zeugen von tiefer Menschenkenntnis – und Selbsterkenntnis.
(dob). Ein spannender Plot, uralte Klöster und Herrensitze, eine wunderschön beschriebene Landschaft und natürlich eine gehörige Portion Leidenschaft – das sind die notwendigen Zutaten für einen Bestseller. Doch wie in der Küche gilt auch in der Literatur: Man muss diese gekonnt arrangieren, sonst wird das Ergebnis fad. Dolores Redondo, laut Verlagsangaben derzeit meistgelesene Autorin Spaniens, ist dies mit ihrem soeben erschienenen Roman „Alles was ich Dir geben will“ recht gut gelungen. Es geht um Mord, Missbrauch, Drogensucht und Abgründe – und es ist gut erzählt: Das Klingeln reißt den Erfolgsschriftsteller Manuel Ortigosa in Madrid von seinem Schreibtisch weg. Es ist die Polizei. Die traurige Nachricht: Sein Mann ist bei einem Autounfall in Galicien tödlich verunglückt. Aber sollte Álvaro denn nicht geschäftlich in Barcelona sein, am anderen Ende des Landes? Manuel bricht auf in den Nordwesten Spaniens und taucht in das frühere, das andere, das bislang vor ihm geheim gehaltene Leben seines geliebten Mannes ein. Zusammen mit einem eigensinnigen, schwulenfeindlichen Ex-Polizisten und dem Jugendfreund Álvaros, einem Priester, kommt er einem grausamen Geheimnis auf die Spur. Álvaros Familie, eine der angesehensten in Galicien, ist mehr auf ihren guten Ruf bedacht als das Leben ihrer Mitglieder.
(ewei). Als der mit allem Pomp ausgestattete Leichenzug von Marcel Péricourt, dem Patriarchen des gleich namigen Pariser Bankenimperiums, losmarschiert, geschieht vor den Augen der mehr oder weniger Trauernden ein Unglück: Paul, der einzige Enkel des Verstorbenen, stürzt aus einem Fenster im zweiten Stock, knallt auf den Sarg des Großvaters und bleibt dort mit blutigem Kopf liegen. Dank eines zupackenden Arztes wird Pauls Leben gerettet. Doch der Junge, erfährt die verzweifelte Mutter Madeleine, werde sich körperlich und geistig nie vollständig erholen. So steht sie überfordert an der Spitze der väterlichen Bank – in einer Zeit, da Frauen noch nicht einmal einen Scheck unterschreiben dürfen. In einer Epoche, die zudem von sozialen Spannungen, Börsenskandalen, Wirtschaftskrisen und dem Aufstieg faschistischer Parteien geprägt ist. Madeleines intriganter Onkel und der Bankprokurist, der zugleich ihr abgewiesener Heiratskandidat ist, nutzen ihre Hilflosigkeit und zetteln einen ruinösen Komplott gegen sie an: Sie sind beim Erben leer ausgegangen. Doch sie rächt sich – mit der Hilfe eines Freundes und der wundersamen polnischen Pflegerin Vladi, die Paul ins Leben zurückholt. Ein beredtes und höchst vergnügliches Gesellschaftstableau, aus dem Französischen übertragen vom Freiburger Übersetzer Tobias Scheffel.
Am Mittwoch, 25. Mai, 19.30 Uhr ist der Autor zur Lesung im Theater Freiburg
Mai 2019 chilli Cultur.zeit 65