HEFT NR. 4/21 11. JAHRGANG
OPEN AIR IM PARK BAD KROZINGEN 20. JULI – 6. AUGUST 2021 23. Juli um 20.30 Uhr ABBA 99
Neue Hoffnung
Neuer Plattenladen
Neues Gift
RE-OPENING: 7 HÄUSER, 7 KÖPFE
TOTGESAGTE KLINGEN LÄNGER
FEMALE-RAP-DUO: PALAS SIND „BOSSY“
Freizeit
„Ein erhebendes Gefühl“
C 38 chilli Cultur.zeit Juni 2021
orona ist vorbei, hat neulich ein Besucher in der Redaktion gesagt. Nun, ob die nächste Welle der Pandemie nicht schon irgendwo wieder anschwillt, das wissen wohl nur Verschwörungstheoretiker und Glasmurmelleser. Viele Einrichtungen waren monatelang zu – oder konnten nur in ganz bescheidenem Rahmen Gäste begrüßen. Bei ihnen ist die Freude über die nachlassenden Einschränkungen jetzt besonders groß. chilli-Fotografin Julia Rumbach hat sie in ihren Wirkungsstätten getroffen und fotografiert: Im Hotel, im Museum, im Planetarium, im Theater,
im Fitnessstudio, im Thermalbad, im Kino. Und traf dabei auf viele frohe Menschen. Danach sollten die Porträtierten mit einem 140-Zeichen-Tweet auf ihre eigenen Fotos reagieren. Die Zeichenzahl einzuhalten, gelang auch einigen. Alle eint aber, dass sie sich wieder über Gäste, neue Programme, offene Türen, spannende Vorführungen und ein weiteres Stückchen Normalität freuen. Und es eint sie auch die Hoffnung, dass ihnen das bei anderen Inzidenzzahlen von der Politik nicht gleich wieder weggenommen wird.
Fotos: © iStock.com/ Vladimir Vladimirov, Julia Rumbach
7 Häuser, 7 Köpfe: „Super Happy“, „Schön“, „Glücklich“: Nach den jüngsten Lockerungen Freuen sich Gastgeber wieder auf Publikum
Freizeit
„Es ist ein erhebendes Gefühl, wieder Gäste empfangen zu können, sich vorzustellen, wie der Vorhang aufgeht und die Gäste klatschen. Der Kontakt zu Menschen ist das Lebenselixier von Kinomachern, und nicht gestreamte Veranstaltungen.“
Neriman Bayram Geschäftsführerin Kommunales Kino Freiburg
„Wir sind super happy, dass es wieder losgeht. Endlich wieder Muskeln brennen und sich von uns Trainer*innen anfeuern lassen, gemeinsam Spaß haben und Trainingserfolge feiern.“
Thomas Jeworowski Betriebsleiter vom Fitness-Loft Nord
„Es ist schön, dass wir endlich wieder Gäste empfangen können. Die Unendlichkeit des Alls erlebt man am besten gemeinsam mit anderen – hier bei uns im Planetarium.“
Thomas Presper Leiter des Planetariums Freiburg
Freizeit
„Wir haben unsere Besuchenden sehr vermisst und sie uns offenbar auch. Wir sind glücklich über den großen Zuspruch.“
Silke Stoll Direktorin Museum Natur und Mensch Freiburg
„Ich denke, dass uns das rapide Abflachen der Inzidenzen und das Impfen in eine naheliegende, sicherere Spielzeit führt. Irgendwelche Mutanten lauern aber schon, die das alles wieder gefährden können, wenn’s kalt und nass wird und uns die schwer erarbeitete Außenspielstätte wieder vereitelt. Denn weder das Land, noch die Stadt, noch das Gesundheitsamt haben Handlungsoptionen außer ‚zu Hause bleiben‘.“
Hans M. Poeschl Mitinhaber und künstlerischer Leiter des Wallgraben Theaters
Kürzere Schließphasen sind wir, im Zuge von Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten, gewöhnt. Der Lockdown war allerdings auch für uns eine Herausforderung. All unsere Mitarbeiter arbeiten derzeit mit Hochdruck an den letzten Vorbereitungen für den Bade- und Saunabetrieb. Wir freuen uns sehr, unsere Gäste ab 19. Juni mit neuen Angeboten wieder in Freiburgs Therme begrüßen zu dürfen.“
Oliver Heintz Geschäftsleiter des Keidel Mineral-Thermalbades
„Die Zeit des Lockdowns war sehr hart. Als Gastgeber aus Leidenschaft freue ich mich, endlich wieder das tun zu dürfen, wofür mein Herz schlägt.“
Michael-Stephan Sänger Geschäftsführender Direktor Colombi Hotel
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Juni 2021 chilli Cultur.zeit 41
MUSIK
Totgesagte klingen länger „DER PLATTENLADEN“ ÖFFNET IN FREIBURG – MIT VINYL UND CDS
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von Till Neumann
Starten optimistisch: Die Musikliebhaber Markus Muffler, Holger Dehno und Tom Lissy (von links) vor ihrem Plattenladen in der Schiffstraße 8. Fotos: © tln; pixabay.com/Bru-nO
42 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2021
s klingt halsbrecherisch: Im Frühjahr 2020 hat das Compact Disc Center (CDC) in der Schiffstraße 8 zugemacht. Das Geschäft lief nicht mehr. Jetzt eröffnen dort drei Männer den „Der Plattenladen“ – und setzen ebenso auf CDs. Trotz vieler Toten gesänge auf die Silberlinge: Die erfahrenen Betreiber sind voller Optimismus. Noch darf keiner reinschauen. Die Schaufenster gegenüber der Schwarzwald City sind abgeklebt. 33 Jahre lang war dort das kultige Compact Disc Center von Gerhard Gehre – mit der prägnanten run den Verkaufstheke. Die gibt’s jetzt nicht mehr. Aus dem urigen Stöberladen ist ein helles, aufgeräumtes Geschäft geworden – in schicker Schwarz-Weiß-Optik. Was es hier geben wird? „Fifty-fifty“, sagt Markus Muffler (58). Zur Hälfte CDs, zur Hälfte Vinyl. Der einstige Leiter des Lörra cher Burghofs war früher Stammkunde im CDC. Jetzt hat er das Team um Holger Dehno und Tom Lissy komplettiert. Die
beiden sind Veteranen des Plattenverkaufs: Dehno (59) arbeitete 30 Jahre im CDC. Lissy (47) seit 17 Jahren. „Wir waren das Kernteam“, sagt Lissy. Jetzt brennen sie darauf, ihr eigenes Ding zu machen. Zu dritt. Als „Dreamteam“, wie sie sagen. Den neuen Look sieht der Musiker, DJ und Plattenverkäufer Lissy auch als State ment: „Das hier ist nicht der CDC.“ Der
„Streamer hören Songs, ein Musikfan hört Alben.“ habe ausgesehen, wie in den 80ern designt. Jetzt gibt es zudem mehr Vinyl als früher. Rund 6000 Tonträger sollen es werden. Vorgänger Gehre hatte allein zum Abver kauf im März noch 10.000 im Angebot. Ob sich der CD-Verkauf überhaupt lohnt? „Unsere Kunden sind keine Streamer“, betont Muffler. „Streamer hören Songs, ein Musikfan hört Alben.“ Zu ihnen kämen Musikliebhaber, Sammler, Menschen mit
MUSIK audiophilem Touch, ergänzt Dehno. Gerade im Jazz- und Klassikbereich seien Tonträger gefragt. Freiburg finden sie „vinylaffin“. Obwohl vieles neu ist: Dehno und und Lissy setzen auf die einstige Stammkundschaft des Compact Disc Centers. „Viele haben auf unsere Pläne sehr positiv reagiert“, be richtet Dehno. Wie zum Beweis läuft vor dem Laden ein älterer Mann mit Vollbart vorbei und sagt: „Schön, dass ihr wieder aufmacht, wir haben euch vermisst.“ Um zu bestehen, setzt das Trio auf Einkaufserlebnis, Beratung und ein ausgewähltes Sortiment. Jeder Tonträ ger sei handverlesen. „Wir hätten auch Universal anrufen können und sagen: Schickt uns einen Grundstock“, sagt Lissy. Das sei nicht in Frage gekommen. Geben wird es neben Klassik und Jazz auch Indie, Pop oder HipHop. Eine Trettmann-LP steht bereits im Regal. Genau wie Curtis Harding, Bryan Ferry und Pink Floyd. Was es sicher nicht geben wird? „Schlager und Volksmusik“, betonen sie einhellig. Wenn jemand dennoch auf Helene Fischer bestehe, könne man das bestellen. Wichtig ist ihnen, Musik anzubieten, die es sonst nir gendwo gibt in Freiburg oder Baden-Württemberg. Ein Bei spiel: „Die Katapult“. Der Elektro-Pop-Act eines spanischen Labels habe deutsche Texte, die per Google-Translator ent stehen. Aktiv verkaufen müsse man so etwas. „Eine völlig schrägte Platte“, so Lissy. Wer sie einmal entdeckt habe, könne sie „kaputtfeiern“.
Für Musikliebhaber: Im Plattenladen gibt's Vinyl, aber kein Schlager.
Sich von der Konkurrenz abzuheben, ist nötig. Schließlich gibt es mit „Flight 13“, „The Record Store“ und dem „Mono“ drei weitere Tonträger-Läden in der Stadt. Sorgen macht das dem Trio nicht. Mit dem Flight habe es im Vorfeld Gesprä che gegeben. „Wir pinkeln uns nicht gegenseitig ans Bein“, betont Lissy. Im Gegenteil: Sei etwas nicht vorrätig oder ver fügbar, schicke er Kunden zu den anderen. Ihr Laden sei keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung des Angebots. Ob sie wirklich an die CD glauben? „Die Auguren haben sie schon oft totgesagt“, sagen die drei Plattendealer. Sie sind überzeugt: Solange es Anspruch an guten Klang gibt, wird es auch CDs geben. Eine Geschichte über andere Plattenläden in Freiburg lesen Sie hier: bit.ly/plattenlaeden_krise
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JUNI 2021 CHILLI CULTUR.ZEIT 43
MUSIK
„Singen aus der Mitte“
„Wollen was anstoßen“ FEMALE-RAP-DUO PALAS MACHT „WITCH TRAP“
Foto: © Linda’s Faces/Linda Stark
von Till Neumann
3 FRAGEN AN Britta Allies Träumen von einer besseren Welt. Das macht die Freiburgerin Britta Allies in ihrer Debütsingle „Better“ im Duett mit Niklas Bastian. Was das mit Corona zu tun hat, erzählt die 24 Jahre alte preisgekrönte Sängerin im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann. „Better“ ist der Traum einer besseren Welt. Ein Corona-Statement? In gewisser Weise ja. Durch die Corona-Zeit ist der Fokus deutlich auf die Beziehungen in unseren Leben gefallen. Sie sind stärker geworden oder gar zerbrochen. Wir möchten ein Zeichen setzen, dass Vergebung und ein hoffnungsvoller Blick wichtig sind. Sie singen vor allem Cover. Wie schwer ist es, das erste eigene Ding rauszubringen? Das war eine super spannende Zeit. Mir ist wichtig, dass ich als Musikerin hinter meiner Musik stehe und sicher bin, etwas zu sagen zu haben. Die Grundidee der Akkordfolge stammt von der Pianistin Elizabeth Audrey. Die Story basiert auf wahren Erlebnissen. Mit Niklas Bastian haben wir den perfekten Duettpartner gefunden. Sie werden als „Silberstimme“ gelobt. Was ist Ihr Geheimrezept für eine starke Stimme? Die Grundlagen habe ich von der Sopranistin Isabel Pedro gelernt. Sie gab mir die Technik „Singen aus der Mitte“ weiter, die ich meinen Schülern vermittle. Eine starke Stimme verbraucht sich weder mental noch physisch, sondern nutzt die natürlichen Abläufe des Körpers. Das Video zu „Better“ gibt’s auf YouTube. 44 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2021
P
rovokante Texte, wuchtige Beats und einen Platten vertrag bei Europas erstem Female-HipHop-Label. Das Rap-Duo Palas aus Freiburg und Berlin will 2021 durchstarten. Mit ihrer ersten Single „Giftig“ haben die Rapperinnen Tina Turnup und Babylit Fans ge wonnen – und Hater. Ihre Musik soll auch für ein Umdenken sor gen: Sie fordern weniger Diskrimi nierung und Sexismus, dafür mehr Individualität.
Immer wieder trafen sie sich in Berlin – und begannen, an Songs zu arbeiten. Über Freunde erfuhren sie vom neuen Label 365xx. Dem nach eigenen Angaben „ersten all fe:male Hip Hop Label Europas“, gegründet
„Bossy, bossy, wir sind bossy.“ Die Hookline der zweiten, noch unver öffentlichten Single klingt mehr als selbstbewusst. Dabei sind Palas erst seit einigen Monaten am Start. Im April kam ihr erstes Vi deo „Giftig“: „Dieses Zeug ist gif tig, meine Zunge giftig“, rappen die beiden da im schrillen Trap- Style und tanzen im Flackerlicht. Viele englische Begriffe schallen durch die Boxen. Auch wenn nicht jedes Wort zu verstehen ist, die Message ist klar: Achtung, jetzt wird’s gefährlich.
Die Nerven liegen beim Texten auch mal blank Sarah alias Tina Turnup lebt in Freiburg, Gianna alias Babylit in Berlin. Ihre vollen Namen und das Alter wollen sie beim Zoom-Inter view nicht preisgeben. Von ihrem einstigen Jazz-Studium an der Freiburger Macromedia-Hochschu le berichten sie aber gerne. Schon damals schrieben sie einen Song. Dann brachen sie das Studium ab.
Sind „giftig“ und „bossy“: Tina Turnup und Babylit.
KOLUMNE von der Leipziger Musikpromoterin Lina Burghausen. Sie schickten ein Demo hin – und bekamen einen Ver trag. „Ihr klingt anders“, sagte die Plattenfirma zu Palas. Rund 6000 YouTube-Klicks hat „Giftig“ bisher. Fast 100.000 Plays sind es auf Spotify. „Wir sind sehr zu frieden“, sagt Sarah. Den Erfolg füh ren sie auch auf das Label zurück. Eine Ehre sei es, dort unter Vertrag zu stehen. „Lina hat eine krasse Ex pertise“, schwärmt Sarah. Ihre Stimmen oszillieren zwischen hingehaucht und aggressiv. Ein Mix aus Sexyness und Wut. Die User·innen auf YouTube sind gespalten: „Wie soll ich darauf klarkommen? Nur
krass“, schreibt eine. „Ich kann gar nicht so viel kotzen wie ich will. Sorry Mädels, aber das ist wirklich echt nicht gut“, schreibt ein anderer. Palas polarisieren. Man könnte sa gen, ein ziemlich guter Indikator für erfolgreiche Rapmusik. Ihre Musik nennen Lit und Turnup „Witch Trap“. Klingt das nicht böse? „Wir finden das nicht negativ, es heißt für uns, unser Leben selbst zu gestalten“, sagt Gianna. Hexen hät ten eine gewisse Macht und Magie. Die wollen sie sich über ihre Musik selbst erobern. Immer wieder wür den sie zweifeln, ob eine Strophe gut genug sei. Die Rap-Partnerin sage aber: Genau so ist es cool. So provo kativ sie in den Tracks rüberkom men, hinter den Kulissen geht’s be scheidener zu: Beim Songwriting seien sie regelmäßig kurz vorm Ner venzusammenbruch, erzählen sie im Interview. Ihre Musik in der Macho-Domäne Rap sehen sie auch als Selbstermäch tigung. „Das hat viel mit Befreiung zu tun“, sagt Sarah. Es gehe darum, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wichtig ist ihnen, anders zu klingen als der Rest. „Bist du Kopie von Ko pie von Kopie? Oder willst du lieber aufhören, dich und die Welt zu lang weilen und uns deine eigene Unique ness zu schenken?“ So lautet einer ihrer Posts auf Facebook. Um das unter Beweis zu stellen, wollen sie noch dieses Jahr eine EP veröffentli chen. Dann soll auch live mehr ge hen. Bisher haben sie nur drei Mal auf einer Bühne gemeinsam gejammt. „Wir wollen was anstoßen“, sagt Gian na zur ihrer Musik. Ihr Wunsch für die Rapszene: weniger Diskriminierung, mehr Individualität und Kreativität.
Foto: © albi.rich
LABEL 365XX Das Musiklabel 365xx nennt sich das „erste all fe:male Hip Hop Label Europas“. Gegründet hat es die preisgekrönte Musikpromoterin und Autorin Lina Burghausen. Sie möchte „visionären Artists aus dem deutschspra chigen Raum“ ein Zuhause geben. Entstanden ist die Idee aus einem Blog von ihr, auf dem ein Team 365 Tage lang täglich eine Rapperin porträtierte.
... zum Beton-Busen Die Freiburger Geschmackspolizei ermittelt schon seit fast 20 Jahren gegen Geschmacks verbrechen – nicht nur, aber vor allem in der Musik. Für die cultur.zeit verhaften Ralf Welteroth und Benno Burgey in jeder Ausgabe geschmacklose Werke von Künstlern, die das geschmackliche Sicherheitsgefühl der Bevölkerung empfindlich beeinträchtigen.
Erneut beschäftigt uns ein alter, eiskalter Fall. Er führt uns zurück in die 70er, als leider Schlaghosen den Vorzug vor Schlagstöcken erhielten, das Land komplett mit Prilblumen überklebt war und quasi jeder Gruppensex, Skigymnastik oder auch beides gleichzeitig praktizierte. Zu der Zeit begann auch die „Karriere“ eines gewissen Lorenz Schadhauser alias Lenz Hauser (kein Wunder, dass er uns den Schaden in seinem Namen verheimlichte), er veröffentlichte den Song – Achtung Reim! – „Suzi Wong“. „Suzi Wong, Suzi Wong hat nen Busen aus Betong.“ Diese Zeile wird sicherlich an die fünfzig Mal deklamiert, nur unterbrochen von den Interjektionen Dong und Bong, die sich anstandslos auf Wong reimen, sowie auch die weitere Textzeile „Letzte Woche hat sen gwong“ (vermutlich bayrisch für gewogen). Von ihm selbst wurde das Machwerk verharmlosend als Blödelsong bezeichnet, was natürlich erschwerend hinzukommt. Der Mann hat viele Gesichter und Alias-Namen. Bei der GeschPo ist er auch schon als Lorenzo mit dem Pizzasong aktenkundig geworden. Danach ist er in der Schlagerszene untergetaucht, von wo aus er bis zum heutigen Tag aktiv ist. Helfen Sie uns, ihn dingfest zu machen, damit wäre uns allen geholfen. In diesem Sinne, ding, dong, ding, dong, grüßt Ralf Welteroth für die Freiburger Geschmackspolizei
LITERATUR
Schnaken und Schnecken LITERATURHAUS IM GRENZGEBIET ZWISCHEN NATUR UND KULTUR
D
von Erika Weisser
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ie Türen zum Literaturhaus sind, wenn auch noch nicht sperrangelweit, wie der geöffnet. Dennoch nehmen Mar tin Bruch, Hanna Hovtvian und Birgit Güde die Besucher erst einmal mit an die frische Luft: An fünf Tagen und vor allem Abenden, vom 7. bis 11. Juli, laden sie zum Lesefest „Weltgarten“ ein – zu Lesungen und Gesprächen mit namhaften Autoren des „Nature Writing“. Im Stadtgarten, unter Kasta nien am Alten Wiehrebahnhof, in der Baumschule Vonderstraß, den Schre bergärten an der Wonnhalde und im Atrium beim Waldhaus. Der „Weltgarten“ eröffnet mit der Verleihung des Deutschen Preises für Nature Writing 2021 und der Premie renlesung des noch zu ermittelnden Gewinners. Dazu sind Andreas Rötzer und Judith Schalansky vom Verlag Matthes & Seitz vor Ort, die seit Lan gem die viel beachteten „Naturkun den“ herausgeben. Tags darauf geht es unter anderem um die in dieser Reihe erschienenen „Schnecken“ von Florian Werner. Und bevor Jürgen Reuß zum Abschluss die „Schwärmer und Schna ken“ des Nobelpreisträgers Harry Martinson wiederentdeckt, geht es noch um „Nestwärme“ und viele an dere Naturphänomene. Auch eine Vogelwanderung ist vorgesehen. „Wir freuen uns sehr, dass es wieder losgeht“, sagt Bruch. Und dass er sich „keine Sorgen“ mache, dass das Publi kum nicht zurückkehren könnte. Er geht davon aus, dass sogar neue Leute erreicht werden, zumal das noch ver bleibende halbe Jahr 2021 „eines der interessantesten Jahre im Literatur haus“ zu werden verspricht: Das Team hat die publikumskontaktbeschränkte Zeit genutzt, um große neue Projekte anzugehen – und das dafür notwendige Geld zu beantragen.
46 CHILLI CULTUR.ZEIT JUNI 2021
Mit Erfolg: Das Literaturhaus hat in diesem Jahr mit 150.000 Euro mehr als sonst; etwa durch Mittel aus den Kul turförderprogrammen von Bund (Neu start Kultur) und Land (Kultur trotz Abstand). Nur ein Teil davon fließt in die beiden Freiluftprojekte des Som mers. Denn bevor es mit den „Naturau toren“ auf literarische Expedition durch Wälder und Meere, in die Wildnis und an den Rhein, unter die Erde und hin auf in den Himmel geht, gibt es noch ein anderes kleines Festival. „Es grimmt“ ist sein Name und es richtet sich vom 22. bis 24. Juni beson ders an Kinder und ihre Eltern. Will kommen sind aber auch „mutige Er wachsene“, wie Bruch sagt: Sowohl im nachmittäglichen Märchenparcours im Stadtgarten als auch bei den abend lichen zauberhaften Lesungen mit Fe licitas Hoppe, Michael Köhlmeier und Ulrike Almut Sandig im dortigen Pavil lon sind Fantasie, Fabulierlust und Furchtlosigkeit gefragt. Bei Regen werden die Veranstal tungen ins Literaturhaus verlegt, wo ohnehin einzelne besondere Treffen mit Autoren geplant sind. Dort ist die Besucherzahl aber begrenzt. Und kein Platz für Zaungäste.
INFO & RESERVIERUNGEN: literaturhaus-freiburg.de
FREZI
MORITURI
FÜR IMMER DIE ALPEN
von Olga Flor Verlag: Jung und Jung, 2021 206 Seiten, gebunden Preis: 22 Euro
von Benjamin Quaderer Verlag: Luchterhand, 2020 592 Seiten, gebunden Preis: 22 Euro
FREIBURG – KLEINE STADTGESCHICHTE
von Peter Kalchthaler Verlag: Friedrich Pustet, 2021 3. Aufl., 168 Seiten, kartoniert Preis:14,95 Euro
Vampirische Prozedur
Ein Lebenslügenkünstler
900 Jahre im Taschenformat
(ewei). In einer fiktiven grenzregio nalen Moorlandschaft in der österrei chischen Provinz bereitet sich ein ganzes Dorf auf die Eröffnung einer neuen Klinik vor. Einer Privatklinik, die den unscheinbaren Charakter dieses „hauptsächlich aus Zersiede lung und nicht mehr ganz taufrischen Fertighäusern“ bestehenden Ortes nicht einmal verdirbt: Sie funktio niert unterirdisch und untermoorig. Das Projekt scheint nicht nur we gen seiner Lage ziemlicht dubios: In den verborgenen Räumen sollen rei che Leute die Möglichkeit erhalten, sich ihren Traum vom ewigen Leben zu erfüllen – vermittels permanenter Bluttransfusion von jungen, gesun den zu demnächst alternden Men schen. Was diese ohnehin vampi risch anmutende Prozedur besonders brisant macht: Als Blutspender und somit Lebensverlängerer für den Geld- und Politadel fungieren Asyl bewerber, die damit Sozialpunkte für einen gesicherteren Aufenthaltssta tus im Land erwerben können. Zur Eröffnung der Wunderklinik gibt es Besuch vom Präsidenten. Die sen zeichnet die Autorin ausgespro chen hinterhältig als Figur, die sich aus einem ausländischen, gern ober körperfreien Politiker, einem inländi schen „Buberlkanzler“ und weiteren männlich-autokratischen Komponen ten zusammensetzt. Und während die „patriarchatskompatible“ Bürgermeis terin vor ihm auf die Knie fällt, lauert schon ein Attentäter ...
(ewei). Steuerflucht, Geldwäsche, Datenklau und andere krumme Deals sind die Spezialität von Johann Kaiser. In diesen zweifelhaften Metiers hat er es zu wahrhafter Meisterschaft und entsprechend üppigem Reich tum gebracht – und schließlich zum Prädikat „Staatsfeind Nr. 1“. Das ist wenig beruhigend, auch wenn dieser Staat nur ein winziges, weltpolitisch unbedeutendes Fürs tentum in den Alpen ist. Da es in finanz- und vor allem steueroasen politischer Hinsicht aber eine wich tige, international weitverzweigte Rolle spielt, taucht der zwielichtige Liechtensteiner lieber erst einmal unauffindbar ab. Und beginnt, sein Leben aufzuschreiben. Unter fal schem Namen, versteht sich. Denn auch das ist seine Spezialität: Chamäleonartig, mit ständig wech selnden Namen, Identitäten und Bio grafien schlug er sich bisher durchs Leben, setzte sein ausgeprägtes Ge spür für die Erwartungen seiner Kon trahenten stets vorteil- und gewinn bringend ein. Doch dann überspannte er den Bogen, das Lebenslügengebäude stürzte ein. Nicht einmal Fürstin Gina samt ihrem Roten Kreuz konnten ihn noch retten. Am Ende ist die Geschichte des flagranten Delinquenten „alles, was mir geblieben ist“. Und diese Ge schichte eines finanzmanipulativen Hochstaplers erzählt Benjamin Qua derer mit großem Vergnügen – zum großen Vergnügen ihrer Leser.
(ewei). Dass der 1091 vom Zährin gerherzog Bertold II. am Fuße des Schlossbergs gegründeten Siedlung Freiburg im Jahr 1120 von dessen Sohn Konrad das Stadt- und Markt recht verliehen wurde, ist hinlänglich bekannt. Nicht zuletzt, weil zum 900. Jubiläum dieses Vorgangs ein ganzes Festjahr angesagt war. Das freilich schon nach zwei Monaten zu Ende war – das Anfang März 2020 unterbrochene Programm wurde nie richtig fortgesetzt oder planmäßig zu Ende geführt. An diesem bedauerlichen Um stand hält sich Peter Kalchthaler im Vorwort zur dritten und sorgfältig aktualisierten Auflage seiner 2006 verfassten Kleinen Stadtgeschichte jedoch nicht lange auf. Er hält sich ohnehin nicht lange an den einzel nen stadtgeschichtsprägenden Er eignissen auf; wer mehr als 900 Jahre samt Zeittafel, Registern so wie Innenstadtplan auf knapp 170 Seiten unterbringen will, darf nicht allzu ausführlich werden. Diese Auf gabe hat der stellvertretende Leiter der Städtischen Museen indessen mit Bravour gemeistert: Das Bänd chen, das auch auf die viel länger als 900 Jahre währende Besiedlungszeit vor der Stadtgründung eingeht und als jüngsten Meilenstein den dem nächst geplanten Umzug des SC Freiburg ins neue Stadion erwähnt, liefert ein fundiertes Basiswissen, das sich jederzeit von jederfrau ver tiefen lässt. JUNI 2021 CHILLI CULTUR.ZEIT 47
Kultur
Teichlandschaft in Haus und Park
W von Erika Weisser
enn wir erkennen, dass unser Leben untrennbar mit unserer Umgebung verwoben ist, sowie mit Strukturen und Systemen, die weit über unseren lokalen Kontext hinausreichen, wird uns meiner Meinung nach bewusst, dass wir alle verletzlich sind und nicht alles unter Kontrolle haben.“ Diese Worte stammen vom isländisch-dänischen Künstler Ólafur Elíasson. Und sie beziehen sich weniger auf die derzeitige pandemische Lage, sondern vielmehr auf seine derzeitige Ausstellung. „Life“ heißt die ungewöhnliche Installation, die in der Fondation Beyeler in Riehen zu besichtigen ist. Oder besser: zu erleben.
Farbenspiel: Was unwirklich wirkt, ist wirklich echt.
Denn diese tagsüber in toxischen Grünund nachts in geheimnisvollen Blautönen schimmernde und von allerhand Pflanzen belebte Wasserlandschaft, die sich vom eigentlichen Teich vor der – für die Dauer der Installation behutsam entfernten – Glasfassade des Hauses bis in dessen sechs vordere Ausstellungsräume erstreckt, ist ganz und gar nicht zum berührungslosen Anschauen da: Auf hölzernen Stegen lustwandeln Be48 chilli Cultur.zeit Juni 2021
sucher über den je nach Außenwetter bewegten oder ruhigen Fluten – und können sich dabei gar als Teil von „Life“ fühlen. Das Kunstwerk und das beherbergende Kunstmuseum, erläutert Elíasson, seien nämlich nicht nur mit dem umliegenden Park und der Stadtlandschaft verwoben. Sondern auch mit dem ganzen Planeten. Und alles werde „durch alles und alle, die hier aufeinandertreffen, zum Leben erweckt“. Deshalb ist das Werk, das Übergänge und Zusammenhänge von Kultur und Natur vor Augen führt, auf ausdrücklichen Wunsch seines gastfreundlichen Schöpfers auch rund um die Uhr frei zugänglich: Tagsüber zu den üblichen Öffnungszeiten und mit Eintrittskarte, ab 21 Uhr gratis und in Anwesenheit von Security-Personal. Der 54-Jährige, der an der Berliner Universität der Künste lehrt und dort das Institut für Raumexperimente gründete, will integrieren, „was die Besuchenden mitbringen: ihre Erwartungen und Erinnerungen, ihre Gedanken und Gefühle“. Nicht zuletzt deshalb gibt es donnerstags das Angebot, den Tag mit einer Meditation am Wasser zu starten – in der morgendlichen Ruhe von 7.30 bis 8.30 Uhr. Ein besonderes Erlebnis vor dieser einzigartigen Kulisse, die mindestens bis Mitte Juli vor Ort bleibt.
Info „Life“ von Ólafur Elíasson Fondation Beyeler Baselstrasse 101, CH-4125 Riehen www.fondationbeyeler.ch/olafur-eliasson-life
Installationsansicht, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, 2021, Courtesy of the artist; neugerriemschneider, Berlin; Tanya Bonakdar Gallery, New York / Los Angeles,© 2021 Olafur Eliasson, Fotos: Mark Niedermann (o.), Pati Grabowicz (u.)
Eine ungewöhnliche Ausstellung in der Fondation Beyeler
Musik im Park
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Buntes Programm unterm Sternenhimmel
E
s gibt heuer also doch wieder das eine oder andere Sommerfestival. Wie in Bad Krozingen, wo vom 20. Juli bis 6. August im Kurpark ein höchst abwechslungsreiches musikalisches Programm über die Freilichtbühne geht. Den Auftakt beim diesjährigen Open Air im Park gibt das Sonus Brass Ensemble. Außer neuen Ideen und einer Prise Unbeschwertheit bringt dieses österreichische Quintett einen lebensfreudigen virtuosen Musikmix mit, der von Barockmusik bis zu coolem Jazz reicht. Zwei Tage später kommen Schlagerfans auf ihre Kosten – beim Sommer-Schlager-Fest. Mit dabei sind die Amigos, die ihre volkstümliche Musik um neue Freiheits-Themen erweitern. Ferner treten Stefan Mross & Anna-Carina Woitschak mit einer neuen Bühnenshow auf; mit von der Partie sind auch die Schlagerpiloten. Ein Höhepunkt des Festivals dürfte der Auftritt der Revival-Band ABBA 99 am 23. Juli sein; sie bringt die unvergessenen Hits der legendären schwedischen Kultband wieder live auf die Bretter. Auch ein klassischer Abend ist eingeplant: am 28. Juli spielt das Philharmonische Orchester Freiburg Stücke von Max Bruch, Johann Georg Neruda, Peter Tschaikowski und anderen. Weitere Gäste sind das Ensemble d’Instino (29. Juli), die „Phil the genesis & Phil Collins tribute show“ (30. Juli) und der weltberühmte Saxophonist Klaus Doldinger, der mit seiner Band Passport und der Jazz-Sängerin China Moses am 31. Juli auf der Bühne steht. Den rockigen Abschluss liefert am 6. August die Spider Murphy Band. ewei
Info
Foto: © Kur und Bäder GmbH Bad Krozingen
Tourist-Information Bad Krozingen Tel.: 07633 4008-164, www.open-air-im-park
Rocky Roccoco: Das Sonus Brass Ensemble Juni 2021 chilli Cultur.zeit 49
KulturTipps Kunsthalle Messmer
Theater im Marienbad
Instrumentensammlung Schloss Schönau, Bad Säckingen Mi. -So., 14-17 Uhr
Neues Programm ab dem 17. Juni info@marienbad.org
Fotografin unter Musikern
Geschichte auf einen Blick
Der Vorhang hebt sich wieder
(tas). The Rolling Stones, The Doors, Janis Joplin, Jimi Hendrix, Simon and Garfunkel oder Aretha Franklin – die Fotografin Linda McCartney hatte sie alle vor der Linse. In ihren Bildern hat sie nicht nur die Stars der 60er- Jahre eingefangen, sondern zeigt auch eindrucksvoll die Seele der Swinging Sixties. Es ist eine Zeit des Umbruchs, von dessen politischen und kulturellen Umständen diese Fotografien zeugen. Der prämierten US-Fotografin ist es gelungen, die berühmten Rockstars auch ganz privat und hinter den Kulissen zu zeigen. Als sie später den Beatles-Sänger Paul McCartney kennenlernt und heiratet, wird sie sogar selbst Teil der Szene und hält ab diesem Zeitpunkt vorwiegend ihr Familienleben mit dem Rock-Idol und den Kindern fest.Zudem zeigt die Kunsthalle Messmer Fotos, die auf ihren vielen Reisen entstanden sind.
(mos). 400 Jahre Trompetengeschichte auf einen Blick, unterstützt von multimedialer Technik: Die Besucher bekommen in der Ausstellung vielfältige visuelle und klangliche Eindrücke, die nicht nur von den handwerk- lichen Fähigkeiten alter Instrumentenmacher, sondern auch von den hohen bläserischen Fertigkeiten früherer Trompetergenerationen zeugen. Das älteste Stück der Sammlung ist eine Naturtrompete aus dem Jahr 1664. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Chromatisierung des Instrumentes. Sie gehört zu den wichtigsten instrumentenbaulichen Entwicklungsprozessen in der Geschichte der Trompete. Zu sehen sind neben einer umfangreichen Kornettsammlung auch teils ungewöhnliche, teils skurrile bauliche Spielarten. Zahlreiche bildnerische Werke und Dokumente aus dem Kontext des Instrumentes ergänzen die Ausstellung.
(pt). Nach einer viel zu langen Pause geht der Vorhang im Theater im Marienbad wieder auf. Am 17. Juni startet das Programm mit einer Premiere: „Räumen – Ein Spiel von Haben und Sein“ ist eine Auseinandersetzung mit den Dingen, die wir lieben und die uns beherrschen. Vom 30. Juni bis zum 6. Juli widmet sich das Theater im Rahmen von „Für alle reicht es nicht“ dem Themenschwerpunkt Obdach. Am 30. Juni feiert „Gun Love“ Erstaufführung in Deutschland – eine poetische Geschichte voll hartem Realismus. Ab dem 2. Juli geht es in „Wovon träumst du, kleiner Bär?“ um einen kleinen Pelzträger, der den Winter gar nicht leiden kann. Am 6. Juli folgt „Der Sander“, eine Geschichte vom Scham des sozialen Abstiegs. Ab dem 13. Juli rundet „Die besten Beerdigungen“ das Programm ab. Schließlich wollen auch Hummeln bestattet werden.
Linda McCartney – The Sixties and more bis voraussichtlich 18. Juli
Foto: © Paul McCartney, Fotografin Linda McCartney, Johannes Brenke, Minz & Kunst Photography
TrompetenMuseum
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50 chilli Cultur.zeit Juni 2021