Ausgabe Dezember/Januar 16. Jahrgang / #155
A u s g abe 12/19-01/20 2,8 0 Euro
Was da wieder los ist: Termine & Partys 21.12.19 – 16.02.20
Tiefschlag am Augustiner Freiburgs Kulturbürgermeister von Kirchbach im Interview
Voll bunt
Die IKF und das Grenzenlos-Festival
Voll gut Die Lieder des Jahres
Voll vielfältig Museen in der Region
mit T h em en h ef t Weihnachts zeit
Bühne
Knaschtbrüeder auf dem Schauinsland Grenzenlos-Festival 2020: Training für die Lachmuskeln
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von Erika Weisser
Das Quartett Schlachtplatte liefert eine satirische Endabrechnung 2019, Fidelius Waldvogel (oben) tritt beim Alemannen Gipfel auf. Fotos: © Ralfo Essert, Florian Bilger
as Freiburger Grenzenlos-Festival geht in die nächste Runde: Zum 21. Mal präsentieren SWR-Studio Freiburg, Vorderhaus und Vaddi Concerts ihr streckenweise ziemlich abgründiges Programm mit Kabarett, Comedy, Chanson und Lesung – vom 26. Januar bis zum 8. Februar und an verschiedenen Spielorten. Unterstützt wird dieses grenzenlose Vergnügen mit vielen Highlights von der Freiburg Wirtschaft, Touristik und Messe GmbH. Zwölf Festivaltage mit 16 lachmuskel aktivierenden Veranstaltungen sind es heuer – nach Angaben von V orderhausGeschäftsführer Martin Wiedemann wurde der Umfang des Programms wegen der „ziemlich prallen“ städtischen Agenda zur 900-Jahr-Feier Freiburgs „ein wenig reduziert“. Dabei spielten auch Überlegungen bezüglich der personellen Kapazitäten eine Rolle: Nach Auskunft des SWR-StudioLeiters Christoph Ebner sind seine Mitarbeiter gerade im Zusammenhang mit dem Stadtjubiläum „schwer eingespannt“. Um zwar den personellen Aufwand, jedoch „nicht die Qualität zu verringern“, wird es, so Wiedemann, außer dem Vorderhaus und dem SWR-Studio keine anderen Spielstätten geben. Einzige Ausnahme: der „Alemannen Gipfel“. Er steigt am 30. Januar im Berghotel Schauinsland, wo
die indisch-stämmige Hotzenwälder Dialektdichterin Sandhya Hasswani auf die singenden Knaschtbrüeder aus dem Wiesental und den scharfzüngigen Hochschwarzwälder Kabarettisten Martin Wangler alias Fidelius Waldvogel trifft. Ein weiteres Highlight, sind sich die Veranstalter einig, könnte am 27. Januar der Jahresrückblick „Schlachtplatte – Endabrechnung 2019“ werden. Drei Frauen und ein Quotenmann, von denen man nach Ebners Einschätzung nicht wisse, „ob sie am Ende noch zusammen auf der Bühne stehen“, liefern eine wilde Show um den Wahn- und Schwachsinn des Jahres. Satirisch. Sarkastisch. Sozialkritisch. Und absurd – wie sämtliche Veranstaltungen der bestens ausgewählten grenzenlosen-kabarettistischen Feingeister mit ihrer schrägen Komik. Eröffnet wird das Festival einmal mehr mit der „Opening Gala“ auf der Messe, die, wie seit mittlerweile genau 20 Jahren, zugleich auch Auftakt zur Internationalen Kulturbörse Freiburg ist. Diese gibt es schon seit 1989 – und von ihr kam der Anstoß für „Grenzenlos“: Wie IKF-Chefin Susanne Göhner erläutert, wollte man „synergetische Effekte nutzen“ und Künstler, die ohnehin anwesend waren, auch „in die Stadt holen“. Eine, Idee, die sich bewährt hat.
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Kultur
„Das wirft einen emotional zurück“ cultur.zeit-Interview mit Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach
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um Weihnachtsinterview mit Chefredakteur Lars Bargmann zündete Freiburgs Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach erst eine Kerze an und sprach dann über authentische Erlebnisse, Konzerte im Schwarzwaldstadion und mehr Videoüberwachung. cultur.zeit: Herr von Kirchbach, das Stadtjubiläum beginnt im Januar mit einer World-Press-Ausstellung. Ist das kraftvoll genug, um die Stadtgesellschaft einzustimmen? von Kirchbach: Der eigentliche Auftakt ist ein ungewöhnlicher Neujahrsempfang am 15. Januar, wo auch 900 Zufallsbürger eingeladen werden. Wir haben innerhalb eines Jahres mit dem jetzt vorliegenden Programm fast Wunderbares vollbracht, das Image zum Positiven gewendet, jeden Monat zwei Highlights, 220 Veranstaltungen, mit Projekten über 300. Es ist für alle was dabei. cultur.zeit: Wie bewerten Sie den Erfolg der schleppend gestarteten 900x900-Euro-Aktion? von Kirchbach: Ich bin zuversichtlich, dass wir die 810.000 Euro zusätzlich zusammenbekommen, die der Gemeinderat ja dann noch verdoppelt. Jetzt können wir schon mit 500.000
Euro kalkulieren und jeden Tag kommt mindestens eine Spende von 900 Euro bei uns an. cultur.zeit: Was wird vom Stadtjubiläum bleiben? von Kirchbach: Die Menschen werden mit großer Freude und Begeisterung ans Jubiläum denken, an den Mittsommernachtstisch, die Illumination des Münsters, die Nacht der Narren, tolle Stadtteilprojekte. Die Lichtkunst „Freilicht“ hat Potenzial über 2020 hinaus. cultur.zeit: Etwas Sichtbares? von Kirchbach: Baulich nein, das hätte das Budget von drei Millionen Euro inklusive Personal gesprengt. Wir haben mit nicht üppigen Ressourcen ein Maximum rausgeholt. cultur.zeit: Etwas Bleibendes wäre das seit Jahren diskutierte Musikhaus gewesen ... von Kirchbach: Wir reden nicht von einem Musikhaus, sondern von einem multifunktionalen Gebäude, das auch Raum für bürgerschaftliches Engagement, für die Jugend bieten soll. Und einen Bolzplatz auf dem Dach. Wir prüfen derzeit, ob wir dafür die Mittel aus dem städtebaulichen Vertrag mit der Aurelis einsetzen können. Qualität geht vor Schnelligkeit. Bisher war das Thema allein beim Kollegen Mar-
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tin Haag (Baubürgermeister, d. Red.), jetzt sind wir als Kulturverwaltung mit eingestiegen. Wir haben ein bestimmtes Budget ... cultur.zeit: ... das irgendwo bei fünf Millionen Euro liegen dürfte ... von Kirchbach: ... so ungefähr. Es muss gut durchdacht werden, da kommt es auf ein paar Monate nicht an. cultur.zeit: Etwas Bleibendes wäre auch das Haus der Demokratie, das Rotteckhaus gewesen, die Stadt wird das Gebäude kaufen. Zieht die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) nun mit ein? von Kirchbach: Der Beirat hat empfohlen, den Arbeitstitel „Haus der Demokratie“ nicht mehr zu verwenden. Weil ja neben Information, Dokumentation, politischer Bildung und pädagogischer Arbeit auch ein Gedenkort entstehen soll. Das Land hat soeben grünes Licht signalisiert. Das ist sehr wichtig und freut mich. cultur.zeit: Eröffnet wird’s erst 2021? von Kirchbach: Ende 2021. cultur.zeit: Schräg gegenüber steht das Stadttheater. Intendant Peter Carp hatte in seiner ersten Spielzeit nur 176.000 Zuschauer, in der zweiten nun 192.000. Wir bewerten Sie das?
Interview von Kirchbach: Ich bin sehr zufrieden mit Peter Carp und der Kaufmännischen Direktorin Tessa Beecken. Die erste Spielzeit war nicht so erfolgreich, aber sie war zwei Wochen kürzer. Ich bin zuversichtlich, dass wir in dieser Spielzeit die 200.000 erreichen. Der Auftakt lief hervorragend, es gab gut besuchte Premieren, fulminante Kritiken... cultur.zeit: Carps Vorgängerin Bar bara Mundel hatte auch schon 220.000 geschafft ... von Kirchbach: Wir sind auf einem sehr guten Weg. cultur.zeit: Mundels Vorgängerin Amélie Niermeyer mal 233.000 ... von Kirchbach: Ja, aber das kann man nicht vergleichen. Niermeyer war damals eine gefeierte Regisseurin, die erste junge Intendantin in Deutschland, und sie hat es sehr gut verstanden, sich in die Öffentlichkeit zu bringen. Dann hatten wir aber den Bruch durch die Sanierung der Bühnentechnik, den Umzug aufs Ganter-Areal, das kann man nur langsam wieder aufbauen. cultur.zeit: Sie sehen kein generell geringeres Interesse am Theater durch Streamingdienste, Youtube und Co.? von Kirchbach: Nein. Ich bin ja auch Vorsitzender vom Bühnenverein Baden-Württemberg, das ist so nicht zu beobachten. Das Live-Erlebnis kann dir keiner ersetzen. Ich glaube, dass das Theater an Bedeutung gewinnen wird. cultur.zeit: 2020 hätte auch das seit 2004 sanierte Augustinermuseum endlich fertig werden sollen. Das wäre zum 900-Jährigen ... von Kirchbach: ... großartig gewesen, aber durch Pilz und Schwamm haben wir nun weitere Sanierungsarbeiten. So wird es leider erst Mitte 2022 fertig. cultur.zeit: Ende des Jahres sollte das Schadenskataster fertig sein und ein Sanierungskonzept stehen. von Kirchbach: Für den ersten Bauabschnitt steht es. Für den dritten kriegen wir es Mitte Januar.
cultur.zeit: Was kostet die Sanierung des ersten und wer zahlt’s? von Kirchbach: Es wird 2,5 Millionen zusätzlich kosten. Wir schauen, wer schuld an den Wassereintritten war und setzen uns dann an einen Tisch. cultur.zeit: Nach Dresden: Wie sicher ist das Augustinermuseum mit seinen wertvollen Kunstschätzen gegen Einbrüche? von Kirchbach: Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn uns was Ähnliches passieren würde. Wir werden auf jeden Fall noch zusätzliche Videoüberwachung installieren.
von Kirchbach: Das Sportreferat hat gemeint, ich würde mich jetzt auch in die Sportpolitik einmischen (lacht). Nun, es liegt doch nahe, dass man im Stadion auch mal drei, vier Konzerte machen kann. Da passen 24.000 Leute rein. Die Entfluchtung und der Brandschutz müssten lösbare Themen sein. Wenn die Tribünen rückgebaut würden, ist diese Idee allerdings kaum zu realisieren. cultur.zeit: Kulturpolitische Highlights 2020? von Kirchbach: Neben dem Stadtjubiläum ist der Kauf des ehemaligen Rotteckhauses mit dem NS-Dokuzentrum ein extrem wichtiges Projekt. Und dass wir 2020 den Bundeswettbewerb Jugend musiziert in Freiburg haben.
cultur.zeit: Am Mundenhof hat ZMFChef Marc Oßwald nach sechsstelligen Verlusten in 2019 die Alarmglocken geschlagen. Er hätte gerne ein größeres Zelt, um größere Künstler zu holen. Was macht das Rathaus? von Kirchbach: Ich hätte es vermutlich anders kommuniziert. Wir wollen dem ZMF aber helfen und werden dem Gemeinderat vorschlagen, im nächsten Doppel haushalt die Pacht Fotos: © pt zu halbieren, auf dann gut 23.000 Ulrich von Kirchbach: „Das Live-Erlebnis kann dir keiner ersetzen.“ Euro. Zudem hoffen wir, dass das Land seine Zuschüsse cultur.zeit: Worüber haben Sie sich direkt an die ZMF GmbH und nicht an 2019 geärgert? den Förderkreis zahlt, das brächte noch von Kirchbach: Am meisten über die einmal rund 10.000 Euro, weil die Um- Verzögerung beim Augustinermuseum, das wirft einen auch emotional satzsteuer dann nicht anfallen würde. zurück. Dass dann noch ein Teil des cultur.zeit: Das Land hatte das bis- Dachgesimses auf den Gehweg gefallen ist, ich bin gottfroh, dass niemand her abgelehnt ... von Kirchbach: Ja, aber rechtlich steht zu Schaden gekommen ist. dem nichts im Wege. Wir müssen abcultur.zeit: Das wären unschöne Weihwarten. nachten geworden. Wie feiern Sie? von Kirchbach: Daheim, wir essen cultur.zeit: Ein größeres Zelt ... von Kirchbach: ... wird es nicht geben. Fondue und gehen dann zu FreunSonst müssten wir alles neu beantra- den. Das Wichtigste ist, gemeinsam gen und das ist mit Risiken behaftet. mit meiner Frau und den Kindern am Tisch zu sitzen. Und dass ich mal ein cultur.zeit: Wir hatten exklusiv berich- paar Tage frei habe. tet, dass Sie für größere Konzerte das Schwarzwaldstadion ins Spiel gebracht cultur.zeit: Herr von Kirchbach, vielen Dank für dieses Gespräch. haben. Welche Reaktionen gab es? Dezember 2019 / Januar 2020 chilli Cultur.zeit 80
Johann Prinz
Foto: privat
Vaivén Circo
Foto: © Juan Antonio Cardenas
Sprung auf die Bühnenbretter Zur 32. IKF kommen Künstler und Kulturschaffende aus 30 Ländern nach Freiburg
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von Lars Bargmann
Foto: © Ellen Schmauss
Will sichtbar machen: Susanne Göhner
pot an: Wenn am 26. Januar die 32. Internationale Kulturbörse Freiburg (IKF) mit einer Gala ihren Auftakt feiert, dann richten sich alle Augen der europäischen Kleinkunstszene wieder nach Freiburg.
Doch zunächst Platz genommen am Gedankentisch im Zentralfoyer: Für zwölf Menschen ist er gedeckt. An jedem Platz liegt ein Kopfhörer. Wer ihn aufsetzt, hört die Gedanken seiner Tischnachbarn. Das kann lustig sein – aber durchaus auch verstörend. Eine Installation von Ola Szostak und Willemijn Schellekens. Ebenfalls aus den Niederlanden kommt der Kabarettist Patrick Nederkoorn mit einem Gedanken experiment: Was passiert, wenn seine Heimat in der Nordsee versinkt? Das Ergebnis „Die orangene Gefahr – Die Holländer kommen“ könnte nicht nur die deutsche
Die IKF-Chefin Susanne Göhner sitzt in ihrem Büro an der Messe, im Papierkorb neben ihr stapeln sich korrigierte Programmseiten, an der Wand hängt eine Magnettafel. Das neue Logo ist in vielen Facetten draufgepinnt, irgendwo steht „Preisgestaltung Stände überdenken“. Was Göhner vor ihrer zweiten Börse aber viel wichtiger ist, ist ein möglichst facettenreiches Programm, die „unKlimamigration in einer bitterbösen glaubliche Vielfalt“, die die Branche in nur drei Tagen konzentriert Vorabversion serviert bekommt. 650 Künstler, Bands, Gruppen haben Autofahrerseele aufrühren. Klimamigration sich heuer beworben. Längst nicht alle in einer bitterbösen Vorabversion. Dazu gibt es erstmals einen kleinen konnten einen Platz im prall gefüllten Programm ergattern, das fast 200 Liveauf- Schwerpunkt zum zeitgenössischen Zirtritte auf fünf Bühnen bietet, fast 400 kus. Am Stand des gleichnamigen BundesAussteller, Sonderschauen, Specials, Se- verbands präsentiert sich auch das Projekt minare, Vorträge, Workshops. Künstler „Zirkus I Wissenschaft“ der Westfälischen und Kulturschaffende aus 30 Ländern Wilhelms-Universität Münster sowie zwei kommen Ende Januar an die Messe, Zirkusschulen, zudem wird es einen Vorschon bekannte Größen, aber auch New- trag und einen Workshop zum Thema gecomer, für die die IKF ein Sprungbrett ben. Göhner liebt den Zirkus. Sie findet es wichtig, für die Belange dieses Genres auf die Bühnenbretter sein kann.
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Sampler für die City „Multitracks“ plant Compilation und Filmdoku Drei Freiburger starten am 24. Dezember ein Projekt für MusikerInnen und ProduzentInnen. „Multitracks“ soll musikalisches Schaffen greifbar machen. Geplant sind ein Sampler mit Songs aus der Stadt, Studio-Sessions und eine Filmdoku. Natalie Reckert
Öffentlichkeit herzustellen. „Genau das ist doch auch eine wichtige Aufgabe der IKF, das Sichtbarmachen.“ Und was ist eigentlich mit den Frauen im Kabarett? Ebenso unterrepräsentiert wie in den Vorstands etagen von DAX-Unternehmen. Das Deutsche Kabarettarchiv in Mainz plant anlässlich seines 60-jährigen Bestehens 2021 die Ausstellung „Kabarettistinnen. Von Marya Delvard bis heute“. Auf der IKF schon zu sehen ist die Plakatausstellung „Kabarettistinnen. Von 1900 bis heute“. 2022 wird die komplette Ausstellung dann als Premiere ebenfalls in Freiburg zu sehen sein, um dann weitest bunt bundesweit zu reisen. Noch mehr Netzwerk, noch mehr Bande knüpfen will Göhner ermöglichen, noch mehr als bisher für den Nachwuchs „the place to be“ sein. Und noch prominenter die Auszeichnung „Freiburger Leiter“ ins Rampenlicht stellen. Diese Leiter haben schon viele – heute prominente – Preisträger in den Bereichen Musik, Darstellende Kunst und Straßentheater in ihre Vitrinen gestellt. 2019 haben Frollein Smilla, Stefan Waghubinger und Fabuloka die Trophäe gewonnen. Fürs Lokalkolorit sorgen die Freiburger Bands Fatcat und Zweierpasch, Cécile Verny und Johannes Maikranz. Fatcat sind auch bei der Eröffnungsgala (die auch der Startschuss fürs Grenzenlos-Festival ist) an Bord, es moderiert der Schwarzclown und Ausnahme-Jongleur Matthias Romir. Ebenfalls fürs auch fachfremde Publikum ist der oft groß artige Varieté-Abend, Spannung ver-
Foto: © Kalena Leo
spricht zudem der Auftritt von Trygve Wakenshaw, der Physical Comedy macht. Zum Establishment zählt der Poetry-Abend, da will auch die Vocal Night hin, die aber mit „Best of Voices@Freiburg“ erst ihre zweite Auflage auf die Bühne bringt. Die Freiburger Kulturbörse als Impulsgeber, als Provokateur, als Sprungbrett, als Kontakthof für Veranstalter, Agenturen und Bühnenmacher, als Kaleidoskop der Kleinkunstszene: Ihren wahren Wert wird man vermutlich erst erkennen, wenn es sie mal nicht mehr geben sollte.
Open House Sonntag, 26.1., 20 Uhr Opening Gala, im Theatersaal 1 Tickets ab 24/19 Euro Montag, 27.1., 20 Uhr Trygve Wakenshaw, „Nautilus“ im Theatersaal 1 Tickets ab 18/16 Euro Dienstag, 28.1., 20 Uhr Poetry Slam Abend, im Theatersaal 3 Tickets ab 16/14 Euro Dienstag, 28.1., 20 Uhr Vocal Night – Best of Voices@Freiburg II in der Music Hall Tickets ab 21/17 Euro Mittwoch, 29.1., 19.30 Uhr Varieté-Abend, im Theatersaal 2 Tickets ab 25/22 Euro www.reservix.de, kulturboerse.de Das chilli verlost je 2 x 2 Karten für „Nautilus“ und den Varieté-Abend. Gewinnspiel auf www.chilli-freiburg.de
Foto: © tln
Gemeinsame Sessions: Im Studio treffen Freiburger Musiker auf Produzenten.
Robert Ribeiro, Attilio Ferrarese und Ella Kugler wollen lokalen Künstlern eine neue Plattform bieten. In einer ersten Phase rufen sie Musikerinnen und Musiker auf, ihnen selbst komponierte Songs zu einem Thema zu schicken, das am 24. Dezember bekanntgegeben wird. Drei Produzenten wählen ihre Favoriten aus und treffen sich mit den Musikern im Studio. Bei zweitägigen Sessions soll eine gemeinsame Vision entstehen und umgesetzt werden. Begleitet wird das mit der Kamera. So entsteht zu jedem Song eine Filmdoku, die „Einblicke in die Gedanken und Arbeitsweisen der Kunstschaffenden gibt.“ Das Projekt besteht damit aus drei Phasen: Multitracks Sampler, Multitracks Sessions und Multitracks Doku. Unterstützt wird es von den Vereinen Multicore und Klimper stube sowie dem Freiburger Kulturamt. Teilnehmen können alle Musiker, Bands oder DJs aus Freiburg und der Region. Sampler (mit allen eingereichten Songs), Sessions und Doku sollen „Inspirations- und Erfahrungsquelle für Musiker*innen und Musikbegeisterte Personen“ werden. Sie werden nach Projektabschluss im Herbst 2020 digital vertrieben. Die Projekthomepage wird in Kürze freigeschaltet. Till Neumann www.multitracks-freiburg.de
Museumsführer
Vielfältige Ausstellungen Entdeckungsreise in die Welt der Museen
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von Stella Schewe, Arwen Stock, Erika Weisser, Philip Thomas
ie kalte Jahreszeit ist angebrochen und es wird Zeit für einen Besuch im Museum. Wer die Gelegenheit für seine Muße nutzen möchte, dem seien eine Vielzahl an Ausstellungen ans Herz gelegt. Es locken jede Menge Alternativen. Ob Skulpturen, Bilder, Krippen, Spielzeug oder Flugobjekte – die Ausstellungen in den Museen von Basel übers Elsass bis nach Karlsruhe sind bunt, facettenreich und spannend.
Museum Frieder Burda
Funde aus der Erde erzählen im Augustinermuseum von der Stadtgeschichte Freiburgs. Um faszinierende Blicke auf die Erde gehts im LA8. Fotos: © Museum La8, Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stutgart
Realistische Obsession Sie zählt zu den bedeutendsten deutschen Malerinnen der Gegenwart, war einst Meisterschülerin Gerhard Richters. Das Museum Frieder Burda widmet Karin Kneffel eine Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit der Künstlerin konzipiert und in Kooperation mit der Kunsthalle Bremen realisiert wurde. Sie dokumentiert mit rund 140 Werken aus drei Jahrzehnten den Weg von den überdimensionalen Früchte-Gemälden, mit denen Kneffel in den 1990er-Jahren international bekannt wurde, hin zu ihren komplexen malerischen Interieurs, in denen Zeit- und Bild ebenen, Kunst, Architektur und Film miteinander verschmelzen. Die 1957 geborene Künstlerin reizt obsessiv die Möglichkeiten realistischer Darstellung aus. Karin Kneffel, bis 24. Februar www.museum-frieder-burda.de
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Augustinermuseum Reise in die Stadtgeschichte Es soll die umfassendste Schau aller Funde sein, die aus städtischem Boden ausgegraben wurden. Zum Auftakt des Festjahres zeigt das Augustinermuseum die Schau „900 Jahre Leben in der Stadt“. Exponate von der Gründung Freiburgs im Jahre 1120 bis in die Neuzeit sind zu sehen. Bereits im zwölften Jahrhundert sind demnach Bächle durch Freiburg geflossen und waren nicht unschuldig daran, dass Altstadtstraßen höher gelegt werden mussten. Innerhalb der alten Mauern gab es einst 20 Klöster und vielerlei Handwerk. Um den Menschen im Mittelalter näher zu kommen, haben sich die Forscher der Kriminalistik bedient und DNA-Spuren ausgewertet. So bekamen zum Beispiel „Margarethe“ und „Ida“ ein Gesicht. Ihre Skelette hat man dort geborgen, wo heute genüsslich Münsterwürste verspeist werden. Denn zwischen 1100 und 1512 befand sich hier ein Friedhof. Als Comic-Gestalten mit fantasievoll rekonstruierten Lebensläufen und neu zugedachten Namen locken sie nun in die Sphären der Geschichte und durch die Ausstellung. „freiburg.archäologie“ 900 Jahre Leben in der Stadt bis 4. Oktober www.freiburg.de/museen
Nur fliegen ist schöner In der Geschichte der Menschheit hat der Wunsch, vom Erdboden abzuheben und wie ein Vogel durch die Lüfte zu gleiten, zahllose Künstler und Techniker inspiriert. Das Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts LA8 in Baden-Baden bringt den Himmel bis zum 8. März ein bisschen näher und zeigt „Die Welt von oben“. Erst Ende des 19. Jahrhunderts ließ Otto Lilienthal den Traum der beiden mythologischen Figuren Ikarus und Daidalos technische Realität werden: Der Erfinder entschlüsselte die bis heute verwendeten Prinzipien des Auftriebs und startete mit vogelartigen Tragflächen den ersten erfolgreichen Gleitflug. Die mit Grafiken, Gemälden und Skulpturen gespickte Ausstellung will nicht nur von Höhepunkten tollkühner Pioniere und Himmelsstürmer erzählen, sie möchte der Vorstellungskraft der Besucher Flügel verleihen. Die Welt von oben – Der Traum vom Fliegen im 19. Jahrhundert bis 8. März www.museum.la8.de
Dreiländermuseum Das Existenzielle des Menschseins Das Dreiländermuseum in Lörrach ist in Europa das einzige Museum dieser Art. Die zentrale, zweisprachig erläuterte Dauerausstellung befasst sich mit der Geschichte und Gegenwart von Deutschland, Frankreich und der Schweiz – den Ländern, die, als Ergebnis einer einzigartigen Entwicklung, mehr als eine Grenzregion bilden: die Europa-Region am Oberrhein. Welche Gemeinsamkeiten verbinden die drei Länder? Wie kam es zur Dreiteilung des gemeinsamen Kultur- und Siedlungsraums? Wie wirken sich die Grenzen auf Politik, Wirtschaft und Alltag der Menschen aus, die hier leben und die gleiche Sprache sprechen? Die erlebnisorientierte Dreiländerausstellung informiert auf rund 1000 Quadratmetern über die wechselhaften Beziehun-
gen, denen die Region im Laufe der Jahrhunderte unterworfen war – mit mehr als 2000 Exponaten aus Südbaden, dem Oberelsass und der Nordwestschweiz. Dazu gehören persönliche Dokumente von Johann Peter Hebel und eine beachtliche Sammlung zur Badischen Revolution 1848/49. Viel Raum gibt es aber auch für Sonderausstellungen zur Kunst und Kultur in der Oberrhein-Region. So widmet sich die nächste Ausstellung dem Lörracher Maler Paul Ibenthaler (1920–2001). Gezeigt wird eine Retrospektive aller Schaffensperioden des Ausnahmekünstlers, der in seinem Werk existenzielle Aspekte des Menschseins verhandelt – und einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Markgräfler Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg leistete. Paul Ibenthaler – 100 Jahre 17. Januar bis 8. März www.dreiländermuseum.eu
Museum für Stadtgeschichte Lässt Herzen höherschlagen Ob von Märklin, Playmobil oder ganz klassisch aus Holz – Spielzeug eisenbahnen lassen die Herzen vieler Kinder, und auch so mancher Erwachsener, höherschlagen. Für sie alle präsentiert das Breisacher Museum für Stadtgeschichte im historischen Rheintor die Ausstellung „Geliebte Eisenbahn“. Zu sehen sind vielfältige Varianten, vorwiegend aus Privatbesitz, von denen manche ihre Runden inmitten zauberhafter Landschaften drehen. Außerdem werden zahlreiche Popup-Bücher zum Thema aus der Sammlung des Museumsleiters Uwe Fahrer ausgestellt. Ergänzt wird die Sonderschau durch Dokumente und Bilder der Eisenbahngeschichte Breisachs, NeufBrisachs und Volgelsheims – womit sie gut zur aktuellen Diskussion über die Wiederherstellung der Bahnverbindung Freiburg-Breisach-Colmar passt.
Lieblingsspielzeug: Zu bewundern im Breischer Museum für Stadtgeschichte.
Foto: © Dreiländermuseum Lörrach
Museum LA8
Foto: © Stadtmuseum Breisach
Museumsführer
Ausnahmekünstler: Bilder von Paul Ibenthaler zeigt das Dreiländermuseum in Lörrach. Anzeige
Geliebte Eisenbahn bis 3. März www.stadt.breisach.de Dezember 2019 / januar 2020 chilli Cultur.zeit 76
Badisches Landesmuseum
Trompetenmuseum
Trophäensammlung des „Türkenlouis“ Das Badische Landesmuseum Karlsruhe feiert sein 100-jähriges Bestehen mit einer Großen Landesausstellung. Die Sonderschau „Kaiser und Sultan. Nachbarn in Europas Mitte 1600–1700“ versammelt rund 320 Exponate auf 1600 Quadratmeter über zwei Stockwerke. Gezeigt wird die „Karlsruher Türkenbeute“ zusammen mit Teilen der sogenannten „Türckischen Kammer“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Hinzu kommen weitere Leihgaben aus Museen, Stiftungen und von Privatpersonen. Die Ausstellung führt zurück ins 17. Jahrhundert, in eine durch Kriege erschütterte Epoche. In Deutschland wütete der Dreißigjährige Krieg. In drei Kriegen, standen sich zudem Habsburgermonarchie und osmanische Heere gegenüber. Die „Karlsruher Türkenbeute“ besteht zum Großteil aus der Trophäensammlung des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, der sich als „Türkenlouis“ im letzten dieser Kriege hervortat. Über weite Strecken ist der Parcours eine waffenstarrende Rüstkammer: mit Helmen und Harnischen, Panzerhemden und Panzerstechern, Schwertern, Schildern und Streitäxten. Das spektakulärste Objekt ist das frisch restaurierte, über 18 Meter lange und fünf Meter hohe osmanische „Blaue Zelt“ aus Krakau.
Der Klang der Naturtrompete Die Trompete spielt nicht nur in Blechmusik- und Spielmannszügen und Guggenmusiken eine unüberhörbare Rolle. Sie ist auch aus großen Symphonieorchestern, aus der Rockmusik und vor allem auch aus Jazz-Formationen nicht wegzudenken. Und es gibt sie schon lange – seit ungefähr 700 Jahren. Im Mittelalter war sie ein sehr angesehenes Instrument, die Trompeter wichtige Leute. So auch der „Trompeter von Säckingen“, mit dem der Dichter Joseph Viktor von Scheffel 1854 der Stadt ein literarisches Denkmal setzte. Ein Umstand, der im Jahr 1985 schließlich zur Gründung des Trompetenmuseums im Schloss Schönau führte, wo dem Dichter eigens ein paar Räume gewidmet sind. 400 Jahre Trompetengeschichte sind hier auf einen Blick zu sehen und zu erleben; das älteste Stück der umfangreichen und erstaunlichen Sammlung ist eine Naturtrompete – also ein Instrument ohne Ventile und Klappen – aus dem Jahr 1664. Zu bestaunen sind aber auch ganz ungewöhnliche, skurrile instrumentenbauliche Spielarten und eine große Kornettsammlung. Multimediale Technik vermittelt dem Besucher zudem vielfältige visuelle und klangliche Eindrücke.
Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte 1600–1700 Schloss, Karlsruhe, bis 19. April, www.landesmuseum.de
Blasinstrumente | Dauerausstellung, Do., & So., 14–17 Uhr www.trompetenmuseum.de
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Markgräfler Museum Müllheim Festhalten an Figur und Gegenstand Der 2008 verstorbene Karlheinz Scherer gehört zu den wichtigen Malern, Zeichnern und Grafikern des deutschen Südwestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach seinem Studium an der Kunstakademie Freiburg zählte er mit Horst Antes, Jürgen Brodwolf, Peter Dreher und Dieter Krieg zur Gruppe süddeutscher Maler, die, abstrakten Tendenzen zum Trotz, an Figur und Gegenstand festhielten. Kritisch hinterfragte er die Rolle von Kunst und Künstlern. Anlässlich des 90. Geburtstags widmet ihm das Markgräfler Museum eine Einzelausstellung. Karlheinz Scherer. Hommage zum 90. Geburtstag bis 29. März, www.markgraefler-museum.de 75 chilli Cultur.zeit Dezember 2019 / Januar 2020
Foto: © Johannes Brenke
Foto: © VG Bild-Kunst Bonn 2019
Foto: © VG Bild-Kunst Bonn 2019
Gemälde, Trophäen, Muskinstrumente: Museale Ausstellungsobjekte erzählen lebendige Geschichten aus der Geschichte und der Jetztzeit.
Museumsführer
Foto: © SWMB SA
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Himmel auf Erden: Den erleben Taschenliebhaber im SWM in Basel.
Spielzeug Welten Museum Basel Der Liebling der Frauen Sie kann klein oder groß sein, weich oder hart, am Henkel oder über der Schulter getragen, mit Goldkettchen verziert oder ganz schlicht – die Handtasche. Die Ausstellung im Spielzeug Welten Museum Basel gibt mit rund 400 Exponaten Einblick in ihre Geschichte. In früheren Zeiten konnten Beutel und Säckchen von Männern wie Frauen getragen werden – und zwar praktisch am Gürtel oder als Umbindetaschen unter der Kleidung. Langsam entwickelte sie sich zur reinen Damenhandtasche. Als enge Chemisenkleider aus hauchdünnem Musselin aufkamen, blieb gar keine andere Wahl, als die Beutel in die Hand zu nehmen oder am Arm zu tragen. Es dauerte noch bis 1875, bis Exemplare mit Henkel eingeführt wurden. Im 20. Jahrhundert kam dann der große Boom: Handtaschen wurden zu Kultobjekten und Ikonen, wie die sogenannte Kelly Bag. Und zu absoluten Lieblingen. Taschen – Ikonen & Wertanlagen bis 5. April, www.swmb.museum
Historisches Museum Basel Basler Zeitsprünge In Basel leben 200.000 Menschen aus 200 Ländern. Die Stadt bildet das Zentrum einer großen trinationalen Region, deren Geschichte weit zurückreicht. In der Barfüsserkirche, dem „Flaggschiff“ des Historischen Museums Basel (HMB), gibt seit Juni eine neue Dauerausstellung mit rund 100 Exponaten einen schlaglichtartigen Überblick über diese 100.000-jährige Geschichte – von den frühen menschlichen Spuren bis heute. Sechs Kurzfilme eröffnen historische Perspektiven auf die Gegenwart, zeigen etwa den Einfluss von Zuwanderung und Migration, die Bedeutung der Pharma-Industrie oder die Beziehung zwischen Stadt, Land, Fluss und Welt. Medienstationen laden zum Entdecken und Rätseln ein. Eine interaktive Installation vereint Pläne, Bilder Fakten zur Stadt- und Bevölkerungsentwicklung. Zeitsprünge – Basler Geschichte in Kürze Neue Dauerausstellung, www.hmb.ch Dezember 2019 / januar 2020 chilli Cultur.zeit 74
Museum der Kulturen Von dramatischer Schönheit Bima ist Königssohn und Held in einem der wichtigsten epischen Werke Indiens. Verkörpert als Stabpuppe mit greifvogelartigen Daumennägeln sind er und das Volksepos mittlerweile in ganz Asien verbreitet. Mit der Ausstellung „Bima, Kasper und Dämon“ taucht das Museum der Kulturen Basel in die Welt des Figurentheaters ein und beleuchtet seine faszinierenden Puppen, Marionetten und Schattenspielfiguren. Anlass für die Schau war die Schenkung der Sammlung Gamper mit rund 2500 Objekten. Aus diesem und dem großen Fundus des Museums sind wunderschöne Stab- und Handpuppen, Schattenspielfiguren und Marionetten aus Asien und Europa zu sehen. Zudem geben Videos Einblick in die Kunst zeitgenössischer Stabpuppenspieler aus Asien. Eine Mitmachstation lädt zum Spielen ein. Bima, Kasper und Dämon bis 2. August, www.mkb.ch
20. Basler Museumsnacht Ölkreidenorgie und leise Pfoten „Kühne Töne auf leisen Pfoten“ im Münster gehören ebenso zur Basler Museumsnacht wie „Geschichten über Leben und Tod“ in der Sammlung Friedhof Hörnli. Oder ein gruselig-kurioses Polit-Quiz im Grossratssaal des Rathauses, ein Vortrag über die Brandschutzversicherung Anzeige
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der Korkeiche im Botanischen Garten, eine dem Weg einer Ente folgende „Ölkreidenorgie für Kinder und andere Kunstschaffende“ im Cartoon-Museum. Der Fantasie, dem Hören, Sehen, Staunen und Mitmachen sind keine Grenzen gesetzt, wenn diese ganz besondere Veranstaltung am Freitag, 17. Januar, in die 20. Runde geht – mit mehr als 200 Angeboten in 36 Museen und Kulturstätten. Das Ticket berechtigt außer zum Besuch aller Museen ab 17 Uhr auch zur kostenlosen Nutzung von Straßenbahnen, Schiffen und Shuttle-Bussen. 20. Basler Museumsnacht 17. Januar, 18 bis 2 Uhr, www.museumsnacht.ch
Musée Unterlinden Auffrischung eines Altars Ein Rundgang durch das am Rand des historischen Stadtkerns von Colmar gelegenen Musée Unterlinden kommt einer Zeitreise durch fast 7000 Jahre Menschheitsgeschichte gleich. Objekte aus vorgeschichtlicher Zeit, die ab Januar 2020 neu präsentiert werden, treffen hier auf große Kunstwerke des Mittelalters und der Renaissance sowie auch des 20. Jahrhunderts. Und seit vier Jahren besteht das Museum nicht mehr nur aus dem im 13. Jahrhundert errichteten Gebäude des ehemaligen Dominikanerinnen-Klosters; durch architektonisch sehr gelungene moderne Erweiterungsbau-
Foto: © R. Letscher
Foto: © Musée Unterlinden
Foto: © Museum der Kulturen Basel
Fremde Welten: Stabpuppen sind in Basel zu bewundern(l), Glaskunst von René Lalique im Elsass (r.) und Live-Restaurierungs-Einblicke in Colmar (m).
Museumsführer ten über und unter der Erde ist es zu einer besonderen Kulturstätte geworden. Diese beherbergt außergewöhnliche Kunstwerke. Zur ständigen Ausstellung gehört etwa ein monumentaler Wandteppich, der Pablo Picassos „Guernica“ beinah in Originalgröße darstellt. Ein weiteres weltberühmtes Kunstwerk lockt derzeit noch mehr Besucher nach Colmar als sonst: Matthias Grünewalds Isenheimer Altar. Dieses Herzstück der Sammlungen wird seit September 2018 gleichermaßen sorgfältig wie aufwendig restauriert – bei laufendem Betrieb, direkt vor den Augen der Besucher. Die Arbeiten an der Haupttafel, der unvergleichlichen Kreuzigungsszene, sind in Bälde abgeschlossen, die gesamte Restaurierung wird im Frühjahr 2021 beendet sein.
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Der Isenheimer Altar Restaurierung bei laufendem Betrieb, bis Frühjahr 2021 www.musee-unterlinden.com
Musée Lalique Das Weihnachtsfest der Tiere Weihnachten ist die Zeit der Wunder. Bis zum 5. Januar erwachen im Musée Lalique in Wingen-sur-Moder nördlich der Vogesen zum Fest verschiedene Tiere aus Glas zum Leben. Das Lalique-Museum wurde 2011 an der ehemaligen Glashütte Hochberg eröffnet. Die Verbindung zwischen dem Ort und dem schimmernden Feststoff ist aber viel älter: 1921 gründete René Lalique dort eine Glasfabrik. Fast 100 Jahre später können Besucher an der Stelle durch Fantasiewelten flanieren und zum Klang der berühmten Suite „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns durch eine Kunstausstellung mit mehr als 650 Zeichnungen, Flakons, Gegenständen aus der Tafelkultur, Kronleuchter, Kühlverschlüsse oder Vasen spazieren. Besucher können außerdem bis zum 24. Dezember ein Türchen eines Happy-Cristal-Adventskalenders öffnen und ein kleines Geschenk gewinnen. Happy Cristal geöffnet: Täglich von 10–18 Uhr, 24. & 31.12.: 10–16 Uhr, 25.12. & 1.1.: geschlossen. Eintritt frei für Happy Cristal. www.musee-lalique.com
Museumspass Freier Eintritt in 335 Museen Museen gibt es viele im Dreiländereck – und alle bieten spannende Dauer- und Sonderausstellungen. Die Vielfalt ist riesig – und damit niemand durch häufige Museumsbesuche an finanzielle Grenzen gerät, gibt es seit e inigen Jahren den Museums-Pass. Er kostet 112 Euro und bietet einer erwachsenen Person und fünf Kindern freien Eintritt in 335 Museen, Schlösser, Burgen und besondere Gärten in ganz Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in der Nordschweiz sowie über das Elsass hinaus. Er gilt für ein ganzes Jahr. www.museumspass.com Dezember 2019 / januar 2020 chilli Cultur.zeit 72
Comeback der Weltstars Fünf Musicals lassen Legenden leben
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von Till Neuman
Termine Beat It! 16. Januar 2020, Sick-Arena all you need is love! 18. Januar 2020, Sick-Arena Falco – Das Musical 20. Januar 2020, Konzerthaus Freiburg That’s Life 23. Februar 2020 Konzerthaus Freiburg „Simply The Best“ 11. April 2020, Sick-Arena
Verblüffend echt: Michael Jackson und die Beatles kommen mit ihren Hits nach Freiburg. Fotos: © SIC, Marcel Klette, DAVIDS, Livemacher
ie Beatles, Michael Jackson, Tina Turner, Falco und Frank Sinatra: Ihre Geschichten gibt’s 2020 als Musicals in Freiburg zu bestaunen. Hits der Superstars sollen zelebriert werden wie zu ihren besten Tagen.
Michael Jackson Der „King of Pop“ ist zurück. Er macht mit „Beat It!“ am 16. Januar in der Sick-Arena halt. Seit der Premiere im vergangenen Jahr sorgt die Live-Show für Standing Ovations. Die Hommage zeigt in spektakulären Bildern Michael Jacksons erste Schritte im Musikbusiness mit den „Jackson 5“, seine unvergleichliche Solokarriere, aber auch seine persönlichen Veränderungen.
The Beatles Ein Dreifach-Jubiläum feiern die Beatles 2020: Genau 60 Jahre zuvor gaben die vier jungen Männer aus Liverpool ihr erstes Konzert als „The Beatles“. Es folgte ein Jahrzehnt, in dem die „Fab Four“ Musikgeschichte geschrieben haben. Am Ende stand die Trennung, die sich 2020 zum 50. Mal jährt. Die Musical-Biographie „all you need is love!” bringt den Zauber dieser Zeit am 18. Januar zurück auf die Bühne.
Falco Auch Falco gibt sein Comeback: Die Erfolgs-Produktion über eine der schillernds-
71 chilli Cultur.zeit Dezember 2019 / Januar 2020
ten Figuren der 80er-Jahre geht 2020 erneut auf Tournee. Die Besucher des Freiburger Konzerthauses dürfen sich am 20. Februar auf die Falco-Biografie mit allen bekannten Hits freuen. 1998 verstarb Johann „Hans“ Hölzel bei einem Autounfall. Das Musical setzt ihm ein weiteres Denkmal.
Frank Sinatra Einer der größten Entertainer aller Zeiten kehrt zurück: Zum 105. Geburtstag von Frank Sinatra feiert das Musical „That’s Life“ Anfang 2020 Premiere in Berlin und geht auf Tournee. Es macht am 23. Februar ebenfalls im Konzerthaus Freiburg halt. Sinatra gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Popmusik des 20. Jahrhunderts. „That’s Life – das S inatra-Musical“ zeigt sein monumentales Schaffen in beeindruckenden Bildern.
Tina Turner Sie ist eine lebende Legende: Tina Turner. Zum 80. Geburtstag im November 2019 geht die Erfolgs-Show um die RockLegende auf große Tour. Am 11. April dürfen sich die Besucher der Sick-Arena auf das Spektakel in Freiburg freuen. „Simply The Best“ bringt den einzigartigen Turner-Sound noch einmal live auf die Bühne. Darstellerin Coco Fletcher schafft es, ihr Idol perfekt zu imitieren.
Musik
Foto: © Felix Groteloh
Suche nach Symbiose Der Freiburger Frederik Heisler tanzt auf vielen Hochzeiten
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edizinstudent, Schlagzeuger, Familienvater. Der Freiburger Frederik Heisler wandelt zwischen vielen Welten. Sein Werdegang ist geprägt von überraschenden Wendungen. Im Januar tritt der 31-Jährige beim Jazzkongress Freiburg auf. Die Tage sind eng getaktet bei Frederik Heisler. Gerade kommt er von der Uni. Fürs Interview hat er nicht viel Zeit – die Familie wartet. Am Abend hätte er im Waldsee spielen sollen. Doch das hat er ausnahmsweise abgesagt. Wegen einer Erkältung. Ersatz am Schlagzeug ist gefunden. Ein Medizinstudium und das Leben als Berufsmusiker, geht das zusammen? „Meine Familie hält mir den Rücken frei“, erzählt Heisler. Das Studium sei „voll machbar“. Der große Kerl mit der kleinen roten Mütze auf dem Kopf hat gerade Windeln gekauft. Jetzt sitzt er in seiner Altbauwohnung im Stühlinger, Frau und Kinder sind nebenan. Der Wandel zwischen den Welten wurde ihm in die Wiege gelegt. Mutter Antje Hecker-Heisler ist Musikerin,
von Till Neumann Vater Alexander Arzt und ZMF-Gründer. „In unserem Haus war immer Musik“, erzählt der gebürtige Köndringer. Als Knirps war er bei den Soundchecks der ZMF-Stars dabei, turnte bei Konzerten unter den Tribünen durch. Mit 11 Jahren hatte er seine erste Band. Als 13-Jähriger spielte er Konzerte in Jugendzentren. Mit 15 begleitete er den Saxofonisten von James Brown. Nach dem Abi schrieb er sich für ein Medizinstudium an der Berliner Charité ein – und wurde genommen. Kurzerhand entschied er sich aber dennoch für ein Jazz-Studium in Basel. Beim Auslandsjahr in Barcelona lernte er ein Wort, das ihn bis heute prägt: disfrutar. Genießen. „Es ist weniger wichtig, ob ich alle Kicks treffe, viel wichtiger ist es, den Moment zu leben“, sagt Heisler. Kunst ist daher eine Suche nach Flow: „Ich versuche, alle Bremsen zu lösen.“ Als Drummer möchte er andere Musiker glänzen lassen: „Ich will ihnen was providen.“ 2012 gründete er „Mama Magnet“. Ein Ensemble aus rund 15 Musikern. Dazu gibt’s die kleineren Ableger Mini.Magnet und Neo Magnet. Außerdem spielt er in zwei Jazz-Trios. Nur Musik reicht ihm dennoch nicht. Ein Jahr nach dem Abschluss in Basel
schrieb sich Heisler an der Uni Freiburg ein: Hier studiert er im 10. Semester Medizin. Er möchte – wie sein Vater – Landarzt werden. Der sei „ein großes Vorbild“. Nicht weil er das ZMF gegründet habe oder Arzt ist, sondern weil er ihn als Mensch und Freund bei allem unterstütze. Support kann Heisler gebrauchen. Sein zweites Baby ist gerade zur Welt gekommen. „Die Familie steht vor allem.“ Dann kommen die Jobs. „Musik ist mein kleiner heiliger Ort“, sagt Heisler. Nur das Business sieht er kritisch. Da gehe es zu viel um Klicks und Likes statt um guten Sound. Für „Fred“ Heisler ist der beste Instrumentalist nicht gleich der spannendste. Wichtiger sei die Symbiose in einer Band. „Ich will Kumpels spielen sehen, die keine Angst vor Risiko haben, die ihre Insider haben, die gemeinsam auf der Couch pennen.“ So sei das bei Mama Magnet. Und so ist es in seinem Leben. Als Vater, Student und Musiker. „Ein Tanz auf der Rasierklinge“, wie Heisler sagt. Aber einer, der ihn mit Sinn erfüllt. Live Mit dem Jazz-Trio „Amster“ spielt Frederik Heisler am 13. Januar beim Jazzkongress im „Schützen“.
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Musik
Catastrophe Waitress
Freiburgs beste Songs aus 2019
A
lle guten Artists ziehen nach Berlin? Pustekuchen. Freiburg hat viele innovative und überregional erfolgreiche Musiker. Vielleicht nicht wie Sand am Meer. Aber zumindest wie Fischtreppen an der Dreisam. Die chilli-Redaktion hat zum dritten Mal die zwölf besten Songs des Jahres zusammengestellt. In der Jury sitzt erstmals auch eine externe Jurorin: die Musikerin und Veranstalterin D eborah Ewert. Sie hat mit den chillisten Till Neumann und Philip Thomas eine subjektive Auswahl getroffen. Von Pop bis Balkan, von Rap bis Latino, von Folk bis Soul.
Foto: © Stefanie Ringshofer
Foto: © Martin Zimmermann
Tracks des Jahres
Zweierpasch
Foto: © Linda Stark
Liner Notes
Catastrophe Waitress » Gun
Für coolen Latino-Sound muss keiner über den Atlantik jetten. Fünf Chicos aus Freiburg liefern Tracks, die auch Eisklötze zum Tanzen bringen können. „No me l lamas“ ist einer davon. Entspannte Nummer mit Gesang und Rap. En español, claro. Das macht nicht nur im Wohnzimmer Laune. Die Schwarzen Pfeile bieten auch live ein Feuerwerk. Den Beweis gibt’s am 26. Januar bei ihrer Birthday-Show im E-Werk.
Foto: © Samuele Nigro
Heirs to the Wild Otto Normal
Volles Dutzend: Diese zwölf Bands haben sich im Rennen um die besten Plätze gegen die Konkurrenz durchgesetzt.
Michael Oertel Band » Shoe Store Man
Zweierpasch » Lichter
Schon zu Beginn von „Shoe Store Man“ wird deutlich, wohin es gehen soll: geradewegs nach vorne. Es ist nicht die einzige Rocknummer auf dem neuen Album der Michael Oertel Band – weitere Hörempfehlung ist „Rosalie“. Mehr noch als beim letzten Release kommen auf „A Little Faith“ die Songwriting-Qualitäten des Frontmanns zum Vorschein. Sie enthüllen eine ausgewogene Mischung aus Blues, Rock und Pop.
Die zweisprachigen Zwillinge von Zweierpasch fackeln nicht lange. „Lichter“ vom neuen Album „Un Peu d’Amour“ geht direkt ins Ohr und bleibt dank starker Gesangseinlage von Kenny Joyner (Fatcat) auch im Kopf. Dazu gibt’s Poesie und Politik, transportiert durch Rap und reduzierte Ins trumente. Verdient ebenfalls Rampenlicht: Der ElektroRemix des Stücks brennt langsam, ist aber ein echter Kopfnicker.
Liner Notes » Unwind Origineller Sound, moody Vibes und Pocket – so lautet es im Pressetext der Liner Notes. Was hier unter Pocket zu verstehen ist, wird nicht nur auf dem Album „The Struggle and the Love“ deutlich: Perfektes Zusammenspiel und Timing zeichnen die Neo-Soul-Band um Julia Mikulec und Björn Geiger auch live aus. Ihre erste Single „Unwind“ glänzt noch dazu mit einem geschickt inszenierten Musikvideo. 69 chilli Cultur.zeit Dezember 2019 / Januar 2020
Fatcat » Candy Pink Freiburgs Exportschlager meldet sich nach Auftritten auf dem Fusion-Festival und im Schloss Bellevue zurück. Die acht Jungs machen auf ihrer dritten StudioEP „Love Child“ ordentlich Welle. Die Single C andy Pink hat ein kleines Video spendiert bekommen. Das Stück selbst ist gewohnt funky, äußerst tanzbar, dazu vielschichtig und nicht zu überladen.
Foto: © Janosch Krug
El Flecha Negra » No me llamas
Qult
Foto: © Heirs to the Wild
Nüchtern und genau auf den Punkt erzählen Catastrophe Waitress mit ihrer neuen Single „Gun“ eine Geschichte, die lethargisch und dramatisch zugleich anmutet. Die Folk-Pop-Band beweist darin ein feines Gespür für Ins trumentierung und Groove, eingängige Melodien verleihen dem Song Ohrwurmcharakter – ein vielversprechender Vorgriff auf ein bald erscheinendes neues Album?
Musik Qult » Traum einer Welt
El Flecha Negra
Foto: © Benjamin Berthold
Foto: © Ana Fuentes
Qult träumt von einer besseren Welt. Dazu vermischen die Gewinner des ZMF-Lokalderbys gekonnt Rap, Rock und nachdenkliche Texte. „Ganz egal, ob wir arm oder reich sind, schwarz oder weiß sind. Wir entscheiden selbst. Und ein kleiner Flügelschlag inspiriert vielleicht die Welt“, schmettert Frontsänger Jens Gläsker über Gitarre, Klavier und Drums. Man wird ja noch träumen dürfen. Michael Oertel Band
Zweatlana
Malaka Hostel » Disko Fatale Durchdrehen auf dem Dancefloor. Darum geht’s bei Malaka Hostel. Die sechs selbsternannten Kojoten machen einen wilden Mix aus Balkan, Reggae, Ska und HipHop. In ihrer Disko Fatale treibt es die Crew mit Wagenburg-Vergangenheit in der Vauban bunt. Dicke Bässe, Pauken und Trompeten warten auf die Zaungäste. Ihr Motto: Amore total. Der Weg dahin: Eskalation.
The Rehats » City Lights Fatcat Foto: © Marc Wilhelm
Foto: © Felix Groteloh
In die Lichter der Großstadt tauchen The Rehats mit ihren Hörern ein. „City Lights“ ist eine Ballade der vierköpfigen Folk-Band, die ins Ohr geht. Vor allem wegen der warmen Stimme von Frontmann Johannes Stang, aber auch wegen kleiner, einfacher Melodien. Man kann den Sound zu schmusig finden. Man kann sich aber auch dabei erwischen, den Chorus am nächsten Tag immer noch im Kopf zu haben.
Otto Normal » Mit Dir Ohne Dich The Rehats Malaka Hostel Foto: © Tobi Krahl
Foto: © Fuchsrot
Zweatlana » FCKN ART Zweatlana (ehemals Svéa) macht Ton aus Strom. Keine Band und kein Schlagzeug, dafür mit Keyboard, Misch pult und viel Gefühl für Melodie. Mit „FCKN ART“ und gut abgemischtem Elektro-Pop möchte die Solokünstlerin so groß werden wie ihre Buchstaben. Schon jetzt ist die Produzentin ein frischer Wind für die Freiburger Folk/Rock/Ska-dominierte Musikszene. Ihre erste EP kommt im Februar.
Heirs to the Wild » Black Night Fast schon überraschend feierten Heirs to the Wild im Oktober die Veröffentlichung ihres Debütalbums „The Promise“. Die Live-Version von „Black Night“ fängt die bemerkenswerten Phrasierungen von Sängerin Rabea Hussain behutsam ein, mit gekonntem E-Gitarren- und Bassspiel bringt das Trio so seinen Poetic Crossover Jazz zum Klingen. Smoothe Klänge für die gemütliche Jahreszeit.
Die Indie-Pop-Band aus Freiburg liefert mit „Mit dir ohne dich“ ein Liebeslied der besonderen Art. Es erzählt von zwei Leben, dem Hin und Her zwischen Single und Beziehung. „Mit dir Hugh Grant und tatsächlich Liebe, ohne dich Wu Tang, James Brown, Sexmaschine!“, rappt Frontmann Pete. Smoothes Piano, Ohrwurm- Gitarre, starker Text. Und im Video performen Gehörlose mit Gebärdensprache.
Anhören Alle Songs zum Nachhören gibt’s auf chilli-freiburg.de
Die Jury Name Jobs Hört gerne Ist allergisch auf
Till Neumann chilli-Redakteur und Musiker HipHop, Soul, Urbanes Schlager und schlechte Texte
Name Jobs Hört gerne Ist allergisch auf
Deborah Ewert (Debbie Ela) Kulturschaffende und Musikerin Rock, Pop, Experimentelles Fade-Outs
Name Philip Thomas Jobs chilli-Volontär Hört gerne Elektro und Techno Ist allergisch auf Deutsch-Pop und Nazis Dezember 2019 / januar 2020 chilli Cultur.zeit 68
kino
Ghostwriter mit Talent Heiterer Film über die Balanceakte im Literaturzirkus von Erika Weisser
Der geheime Roman des Monsieur Pick Frankreich 2018 Regie: Rémi Bezançon Mit: Fabrice Luchini , Camille Cottin, Alice Isaaz, Hanna Schygulla u. a. Verleih: Neue Visionen Laufzeit: 111 Minuten Start: 26. Dezember 2019
Fotos: © Neue Visionen
D
ie Verlagslektorin Daphné und ihr Liebster, der noch unbekannte Autor Frédéric, sitzen gebannt vor dem Fernseher, es läuft gerade die Literatursendung von Jean-Michel Rouche. Als der gleichermaßen verehrte wie gefürchtete Kritiker den in Daphnés Verlag erschienenen Debütroman Frédérics mit demonstrativer Nichtbeachtung auf den Stapel der nichtlesenswerten Bücher befördert, sind sie niedergeschmettert. Zu Recht: Der wortlose Verriss des einflussreichen Feuilletonisten hat zur Folge, dass das frisch gedruckte Werk kaum Absatz findet und irgendwann zu Recycling-Papier verarbeitet wird. Zwar schreibt Fred bereits eifrig an einem neuen Buch, doch der ehrgeizigen Daphné ist klar, dass es, selbst bei hoher literarischer Qualität, ihren Verlag nicht retten wird: Wer bei Rouche einmal durchgefallen ist, hat ausgespielt. Also sucht sie fieberhaft nach anderen, verheißungsvolleren Werken. Fündig wird sie ein paar Monate später – ausgerechnet in ihrem bretonischen Heimatdorf Finistère: Als das junge Paar Daphnés Vater auf der malerischen Halbinsel besucht, erzählt dieser ihnen von einer Bibliothek der zurückgewiesenen Bücher, die der inzwischen
67 chilli Cultur.zeit Dezember 2019 / Januar 2020
verstorbene Buchhändler des Orts in seinem Keller eingerichtet habe. Von Neugier und Erfolgszwang getrieben, stattet sie dem Etablissement einen Besuch ab – und entdeckt das offenbar einst verpönte Manuskript des ebenfalls bereits verstorbenen Pizzabäckers Henri Pick. „Die letzten Stunden einer großen Liebe“ lautet sein Titel – und die geübte Lektorin entdeckt ziemlich schnell, dass hier ein großer Romancier am Werk war. Mit der Zustimmung von Picks Witwe und ihrer Tochter Joséphine bringt ihr Verlag das Buch heraus; es wird ein Riesenerfolg und stößt bei Kritikern und Lesern auf außerordentliches Wohlwollen. Auch bei Rouche. Bis sich bei ihm das erste Misstrauen gegenüber der allzu wundersamen Story vom puschkinesken Literaten regt, der nie auch nur ein einziges Buch gelesen hat. Er macht seine Zweifel öffentlich – und verliert Ehefrau, Job und Ansehen. Da er nun endlos Zeit hat, beginnt er mit akribischen Ermittlungen, bei denen er einige eklatante Ungereimtheiten aufdeckt – und in Picks sehr belesener Tochter Joséphine eine unerwartete Komplizin findet. Ein heiterer Film über den Literaturzirkus und seine Hinter- und Abgründe.
KINO Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão
Milchkrieg in Dalsmynni
Crescendo – #makemusicnotwar
Foto: © Piffl Medien
Foto: © Alamode
Foto: © Camino
Brasilien/Deutschland 2019 Regie: Karim Aïnouz Mit: Carol Duarte, Julia Stockler u.a. Verleih: Piffl Medien Laufzeit: 139 Minuten Start: 26. Dezember 2019
Island 2019 Regie: Grímur Hákonarson Mit: Arndís Hrønn Egilsdóttir, Sveinn Ólafur Gunnarsson u.a. Verleih: Alamode Laufzeit: 92 Minuten Start: 9. Januar 2020
Deutschland 2018 Regie: Dror Zahavi Mit: Peter Simonischek, Sabrina Amali, Bibiana Beglau u.a. Verleih: Camino Laufzeit: 102 Minuten Start: 16. Januar 2020
Emotionen ohne Kitsch
David gegen Goliath
Fast geglücktes Experiment
(ewei). Brasilien 1951: Euridice und ihre zwei Jahre ältere Schwester Guida sind ein Herz und eine Seele – bis ein Mann die beiden trennt. Guida hat sich Hals über Kopf in den griechischen Seemann Yorgos verliebt und folgt ihm in dessen Heimat, um dort zu heiraten. Die hochbegabte Klavierspielerin Euridice hingegen träumt zwar von einem Stipendium am Wiener Konservatorium, heiratet stattdessen aber den drögen Antenor und wird schwanger. Auch Guida erwartet bald ein Kind, doch wird sie es nicht in Griechenland zur Welt bringen, weil sich die Verbindung mit dem windigen Seemann als Irrtum erweist. Als sie reuevoll zurückkehrt, wird sie von ihrem verärgerten Vater Manuel verstoßen. Der zudem behauptet, dass Euridice zum Klavierstudium nach Österreich ausgewandert sei. So leben die Schwestern viele Jahre lang in Rio, ohne voneinander zu wissen. Denn auf ihre Briefe an Euridice, die ihre Mutter Ana für sie nach Wien übermitteln soll, bekommt Guida keine Antwort …
(ewei). In der isländischen Provinz betreiben Inga und ihr Mann eine Milchfarm, sind Teil einer Kooperative, der sie einst mit dem Versprechen beigetreten sind, dass die Gemeinschaft sie stützt und auffängt. Doch die Realität sieht anders aus: Die Farm ist hoch verschuldet, die Verpflichtung, nur an die Kooperative zu verkaufen und in den dortigen Geschäften zu kaufen, verhindern den Erfolg der Farm. Als dann auch noch Ingas Mann bei einem Unfall ums Leben kommt, scheint das Ende der Farm endgültig gekommen zu sein. Um ihre Schulden loszuwerden, sieht Inga nur die Möglichkeit, ihre Farm an die Kooperative zu verkaufen. Doch dann erfährt sie von ihrem Freund und Nachbarn Fridgeir, dass Eyjólfur, der Leiter der Kooperative, ihren Mann wegen der hohen Schulden erpresst hat: Als Spitzel sollte er die anderen Bauern verraten, wenn sie es wagten, in anderen Geschäften als denen der Kooperative einzukaufen. Wütend nimmt Inga den Kampf auf: weiblicher David gegen selbstgefälligen Goliath.
(ewei). Im Auftrag der „Stiftung für effektiven Altruismus“ bereitet der weltberühmte Frankfurter Dirigent Eduard Sporck mit jungen palästinensischen und israelischen Musikern ein Konzert vor, mit dem diese das Abendprogramm bei neuerlichen Friedensverhandlungen gestalten sollen. Dabei erweisen sich die Zweifel am Gelingen des Experiments, die der Maestro von Anfang an hegte, schon bei den Vorspielen in Tel Aviv als begründet: Unter den zahlreichen Bewerbern für das Kammerorchester herrscht außer der üblichen Kollegen-Konkurrenz auch ein extrem vorurteilsbeladenes Misstrauen, das oft in blanken gegenseitigen Hass umschlägt. Vergeblich versucht Sporck, als Sohn eines KZ-Ärzte-Ehepaars aus Auschwitz selbst tief traumatisiert, Verständnis für- und Kommunikation miteinander aufzubauen. Als die Proben vom Zentrum des politischen Konflikts weg nach Südtirol verlegt werden, gelingt ihm das zwar allmählich. Doch dann läuft alles aus dem Ruder. Engagierter Film mit starker Botschaft.
kino Das Vorspiel
Sorry we missed you
Intrige
Foto: © Port au Prince
Foto: © NFP/Filmwelt
Foto: © Weltkino
Deutschland 2019 Regie: Ina Weisse Mit: Nina Hoss, Simon Abkarian u.a. Verleih: Port au Prince Laufzeit: 90 Minuten Start: 23. Januar 2020
Großbritannien 2019 Regie: Ken Loach Mit: Kris Hitchen, Debbie Honeywood u.a. Verleih: NFP/Filmwelt Laufzeit: 90 Minuten Start: 30. Januar 2020
Frankreich 2019 Regie: Roman Polanski Mit: Jean Dujardin, Louis Garrel u.a. Verleih: Weltkino Laufzeit: 132 Minuten Start: 6. Februar 2020
Zu viele Lebenslügen
Das Ende der Hoffnung
Erschreckende Aktualität
(ewei). Eigentlich hat Anna ein gutes Leben. Sie arbeitet als Geigenlehrerin an einem Musikgymnasium, lebt mit ihrem Mann Philippe, der in einem eigenen Geschäft Musikinstrumente restauriert, in Liebe und Wohlstand – und hat einen einigermaßen musikalischen und pflegeleichten Sohn: Jonas. Mit ihrem Kollegen, dem Cellisten Christian, hat sie insgeheim außerdem einen musikalischen Liebhaber. Die erfolgreiche bürgerliche Existenz ist indessen Fassade: Seit sie ihr entscheidendes Vorspiel verpatzte und ihren ehrgeizigen Traum von einer Violinistinnen-Karriere aufgeben musste, ringt sie mit Selbstzweifeln. Und ist auf der Suche nach jemandem, den sie so aufbauen kann, dass ihr eigenes Versagen kompensiert wird. Als der talentierte neue Schüler Alexander in die Schule aufgenommen wird, sieht sie die Chance gekommen, sich endlich zu beweisen. Sie bedrängt den Jungen, will ihn zu dem machen, was sie nie war. Ausgezeichnetes Spiel von Nina Hoss – Goldene Muschel in San Sebastián.
(ewei). Nach der Finanzkrise von 2008 versucht sich die Familie Turner im nordenglischen Newcastle halbwegs über Wasser zu halten. Während die Mutter Abbie einen relativ festen Job als mobile Krankenschwester hat, schlägt sich ihr Mann Ricky mit verschiedenen Aushilfsjobs durch. Zwar ist er nie wirklich arbeitslos, doch das Geld reicht einfach nicht. Dann scheint sich das Los zu wenden: Ricky bekommt einen Job bei einem Paketdienst. Als Selbstständiger steht ihm dort aber kein Firmen-Lieferwagen zur Verfügung und er muss für jede Verspätung Strafe zahlen. Er überredet seine Frau, zur Finanzierung eines eigenen Lieferwagens ihr kleines Auto zu verkaufen. Und bald erweist sich der Traum vom Beginn einer erfolgreichen Selbstständigkeit als Anfang vom Ende jeder Hoffnung. Ein echter Ken-Loach-Film; der über 80-jährige Altmeister des Sozialrealismus legt eine ebenso brillante wie schonungslose Entlarvung der menschenverachtenden Strukturen des Neoliberalismus vor.
(ewei). Am 5. Januar 1895 wird der junge jüdische Offizier Alfred Dreyfus wegen Hochverrats aus der französischen Armee ausgeschlossen und zu lebenslanger Haft auf die Teufelsinsel im Atlantik verbannt. Zeuge dieser Entehrung ist Marie-Georges Picquart, der kurz darauf zum Geheimdienstchef der Abteilung befördert wird, die Dreyfus der angeblichen Spionage überführte. Da weiterhin militärische Geheimnisse an die Deutschen verraten werden, kommen Picquart allmählich Zweifel an Dreyfus’ Schuld. Doch seine Vorgesetzten weisen ihn an, der Angelegenheit nicht weiter nachzugehen. Entgegen dem Befehl ermittelt er weiter und gerät in ein gefährliches Labyrinth aus Verrat und Korruption, das sein Leben in Gefahr bringt. Roman Polanski rekapituliert einen der größten politischen Skandale des 19. Jahrhunderts und deckt ein ungeheuerliches Geflecht aus Antisemitismus, Macht und Vertuschung auf. Präzise inszeniert und von erschreckender Aktualität. Großer Preis der Jury in Venedig 2019.
DVD Leid und Herrlichkeit Spanien 2019 Regie: Pedro Almodóvar Mit: Antonio Banderas, Penélope Cruz u.a Studio: Arthaus Laufzeit: 110 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Der unverhoffte Charme des Geldes Kanada 2018 Regie: Denys Arcand Mit: Alexandre Landry, Maripier Morin u.a. Studio: Sony Pictures Home Laufzeit: 128 Minuten Preis: ca. 12 Euro
Das Leben meiner Tochter Deutschland 2019 Regie: Steffen Weinert Mit: Christoph Bach, Maggie Valentina Salomon u.a. Studio: EuroVideo Laufzeit: 88 Minuten Preis: ca. 13 Euro
Faszinierendes Vexierspiel
Kapitalist wider Willen
Tiefer moralischer Konflikt
(ewei). Seit über 40 Jahren dreht Pedro Almodóvar Filme; längst ist er einer der Größten des internationalen Kinos. Nun, mit fast 70 Jahren, hat er seinen persönlichsten Film gedreht: Ein faszinierendes Vexierspiel zwischen Fiktion und autobiografischer Wahrheit, in dem das schillernde Leben eines unverhofft am Ende seiner Laufbahn angekommenen berühmten Regisseurs über drei Epochen aufgefächert wird. Goldene Palme in Cannes 2019 für Antonio Banderas als bester Darsteller.
(ewei). Jean-Paul, eingefleischter Kapitalismusgegner und studierter Philosoph, jobbt als Kurierfahrer und kommt per Zufall an zwei Taschen voller Geld. Mafia, Finanzamt sowie zwei gewiefte Polizisten haben ein verdächtig großes Interesse an seinem neuen Reichtum. Doch mithilfe eines gerade erst aus dem Knast entlassenen Finanzgenies, eines Offshore Bankers und einer neuen, teuren Freundin gelingt es ihm, ein System auszutricksen, in dem alles nur auf Erfolg und Geld ausgerichtet ist.
(ewei). Die Geschichte eines Vaters, der mit allen Mitteln versucht, das Leben seiner Tochter zu retten: Jana, die mit acht Jahren einen Herzstillstand überstand, doch nur mit einem riesigen stationären Unterstützungssystem am Leben erhalten werden kann und dringend auf ein Spenderorgan angewiesen ist. Nach einem Jahr vergeblichen Wartens schwinden bei Vater Micha Geduld und Vertrauen. Er wendet sich an einen Organhändler – und steht bald vor schwerwiegenden Gewissensentscheidungen.
So wie du mich willst Frankreich 2019 Regie: Safy Nebbou Mit: Juliette Binoche, François Civil u.a. Studio: Alamode Laufzeit: 88 Minuten Preis: ca. 14 Euro
Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein Österreich 2018 Regie: Rupert Henning Mit: Karl Markovics, Valentin Hagg u.a. Studio: good!movies Laufzeit: 134 Minuten Preis: ca. 11 Euro
Die büchse der Pandora Deutschland 1929 Regie: Georg Wilhelm Pabst Mit: Louise Brooks, Fritz Kortner u.a. Studio: Nero-Film Laufzeit: 143 Minuten Preis: ca. 16 Euro
Virtuelle Verstrickung
Flucht aus der Welt
Lulus Lieben und Leiden
(ewei). Juliette Binoche spielt Claire, eine Professorin, die von ihrem Mann verlassen wurde und die eine Affäre mit Ludo, einem jüngeren Mann hat, der ihr aber kaum Aufmerksamkeit schenkt. Sie legt sich in einem sozialen Netzwerk ein falsches Profil an und kommt als Clara mit Ludos bestem Freund Alex in Kontakt. Sie verlieben sich, er drängt auf eine Begegnung, aber sie lehnt ab. Denn wie könnte sie Alex erklären, dass alles außer ihren Gefühlen eine Lüge war? Packendes Psychogramm.
(ewei). In seinem Roman „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ verarbeitete der Schriftsteller André Heller fantasiereich die schwierige Beziehung zu seinem Vater. Die nicht minder magische Verfilmung erzählt von dem zwölfjährigen Paul Silberstein, der die Demütigungen des Vaters und der Pfarrer im Internat nicht an sich herankommen lässt und sich stattdessen in eine Welt flüchtet, in der das Merkwürdige und Seltsame zelebriert wird. Trotz Überlänge keine Sekunde langweilig.
(ewei). „Die Büchse der Pandora“ aus dem Jahr 1929 ist der wohl bekannteste Stummfilm von Regie-Legende Georg Wilhelm Pabst. Nun ist der Film, der mit Stummfilm-Star Louise Brooks in der Hauptrolle die Geschichte der tragischen Lieb- und Leidenschaften einer Frau namens Lulu sowie deren schauriges Ende erzählt, in einer sorgfältig restaurierten Fassung endlich wieder zu haben. Zum 90-jährigen Jubiläum als hochwertig gestaltetes, limitiertes Mediabook mit umfangreichem Bonus-Material.
Dezember 2019 / januar 2020 chilli Cultur.zeit 64
Foto: © pixabay.com
Lesetipps
Helden, Romantiker, Lebensvernichter Das sind für die chilli-Redaktion die Bücher des Jahres 2019 Der stillste Ort der Welt
Für FuSSballromantiker
Herr Fliegenbein ist ein „Held“, den man von der ersten Seite an ins Herz schließt. Und das, obwohl er ziemlich absonderlich ist: Er trägt zu kurze Anzüge, ist extrem lärmempfindlich – selbst das Geplauder seiner Kollegen nervt, von hupenden Autos ganz zu schweigen – und findet Ruhe allein beim Betrachten seines Lieblingsbildes: einer menschenleeren Alpenlandschaft. Als eine Abrissbirne seine Wohnung zerstört, macht sich Herr Fliegenbein auf die Suche. Doch wahre Stille findet er weder bei den wortkargen Finnen noch im tiefsten Regenwald oder im Schweigekloster. Erst allmählich wird ihm klar, dass der stillste Ort der Welt auf keiner Landkarte zu finden ist. Und dass manchmal nur lautes Lachen hilft, um mit der Unbill dieser Welt fertig zu werden. Stella Schewe
Die treuen SC-Fans auf der Nordtribüne kennen ihn und seine Schreibe, ebenso die treuen Trinker und Indie-Musik-Fans in der Freiburger Kneipe Swamp. Denn der Wirt Carmelo „Chico“ Policicchio ist Kolumnist der Stadionzeitschrift „Heimspiel“ und schreibt neben Fußball auch über Musik. Und ein Romantiker ist der Kinzigtäler Italiener obendrein, ein mürrisch-charmanter. Nun liegt ein zweiter Band mit seinen Texten vor. „Chico“ nimmt uns mit auf eine feuilletonistische Reise hin zu seinen Helden wie Luigi „Gigi“ Riva, den italienischen Gerd Müller, er führt uns in den Fußballhimmel, wo der Fußballgott manchmal ein Südbadener ist, und erzählt, wie es ältere Männer gerne tun, vom Ruhm der Vergangenheit, also von 1993 und Volker Finke. Großer Sport. Dominik Bloedner
Astrid Göpfrich, Herr Fliegenbein und die Suche nach der Stille, Pendo Verlag, 2019, 256 Seiten, Hardcover, 16 Euro 63 chilli Cultur.zeit Dezember 2019 / Januar 2020
Carmelo Policicchio, Worte kommen meist zu spät. 2. Halbzeit, Strzelecki Books, 2019, 160 Seiten, 14.80 Euro
Lesetipps Meisterhaft erzählt
GröSSer als 2,13 Meter
Egidius Arimond ist Epileptiker. Das bringt ihm nicht nur das Prädikat „wehruntauglich“ ein, sondern auch die Entfernung aus dem Schuldienst und die Zwangssterilisierung: In Zeiten der herrschenden politischen Epilepsie wird sein Leben als „unwert“ kategorisiert. Er schlägt sich mit dem Verkauf der Erzeugnisse aus seiner Bienenzucht durch; das Geld reicht jedoch nicht für die Medikamente, mit denen er die Krankheit unter Kontrolle und sich somit die Lebensvernichter vom Leib halten kann. Also schmuggelt er in präparierten Bienenstöcken jüdische Flüchtlinge von der Eifel nach Belgien. Meisterhaft erzählt. Erika Weisser
Sieben Jahre lang hat der Schriftsteller Thomas Pletzinger den Basketballstar Dirk Nowitzki begleitet und pünktlich zu dessen Karriereende keine Biografie vorgelegt. Der Roman erzählt nämlich nicht nur in schöner Sprache, wie aus dem „Weißbrot aus Würzburg“ einer der besten Basketballer der Welt wurde – Pletzinger belegt in eindrucksvollen Bildern darüber hinaus, dass Sport mehr sein kann als Sieg und Niederlage. Dazwischen gelingt es dem Autor, der sich sogar für sein Studienobjekt prügelt, den Menschen hinter dem Maverick kennenzulernen. Emotionale und unkritische Nahaufnahme ohne Kitsch über einen ganz Großen. Philip Thomas
Norbert Scheuer, Winterbienen, Verlag C.H. Beck, 2019, 319 Seiten, 22 Euro
Thomas Pletzinger, The Great Nowitzki, Kiepenheuer & Witsch, 2019, 512 Seiten, 26 Euro
Plaisir und Pflicht
Inspirierend und fundiert
Es gibt zwei Arten von Lektüre: Plaisir und Pflicht. Bücher, um mit Kindern das Lesen zu üben, zählen meist zu letztgenannter Kategorie. Nicht so das Buch „Edison. Das Rätsel des verschollenen Mauseschatzes“ von Thorben Kuhlmann. Der Autor und Illustrator erzählt mit wunderbaren Zeichnungen und Texten die Geschichte von zwei Mäusen, die ihre Suche nach einem lang verschollenen Schatz bis auf den Grund des Atlantiks führt. Und beleuchtet dabei die Historie zur Erfindung der Glühbirne durch Thomas A. Edison. Ein absolutes Plaisir-Buch: genial gezeichnet, schön geschrieben – eine Inspiration auch für Erwachsene. Arwen Stock
Nach diesem Jahr kennt jeder diesen Namen: Greta Thunberg. Hinter ihm steckt nicht nur eine 16-jährige Klimaaktivistin, sondern eine ganze Generation, die freitags für ihre Zukunft streikt. Das schwedische Mädchen mit den zwei Zöpfen und dem strengen Blick hat weltweit Millionen Menschen, Politik und Medien wachgerüttelt. Giannella erzählt Gretas inspirierende Geschichte und füttert sie mit wissenschaftlich fundierten Fakten. Die Kapitel sind kurz, aber detailreich, von fossilen Brennstoffen bis zu Biodiversität wird alles erklärt, was den Klimawandel betrifft. Aus meiner Sicht ein absolutes Muss für jeden, der auf diesem Planeten lebt. Anna Jacob
Torben Kuhlmann, Edison: Das Rätsel des verschollenen Mauseschatzes, NordSüd Verlag, 2018, 112 Seiten, 22 Euro
Valentina Giannella, Mein Name ist Greta: Das Manifest einer neuen Generation, Midas Verlag, 2019, 128 Seiten, 12,90 Euro
Wenn das Leben kippt
gedruckte Lügen
Die große Schriftstellerin Brigitte Kronauer ist im Juli gestorben. In ihrem letzten Buch brandet ihre erzählerische Kraft noch einmal, ein letztes Mal auf, sie wohnt übergangsweise in einem Häuschen im Wald, draußen hört sie Vögel, drinnen hängen Vogelbilder an der Wand. Kronauer verschränkt Natur und Kultur ebenso wie das präzise Innenleben ihrer 39 Romangeschichtenhelden mit den äußeren Zuständen. Sie nähert sich ihren Figuren fast zärtlich, immer sprachmächtig, aber auch analytisch. Der Untertitel könnte auch „Novellen“ heißen, weil es immer um den einen Moment geht. Der Moment, in dem das Leben plötzlich kippt. Lars Bargmann
Tausend Zeilen Lüge. So nennt Juan Moreno sein Buch über einen der erfolgreichsten Schwindler aller Zeiten: den Spiegel-Journalisten Claas Relotius. Der schrieb fantastische Reportagen am Fließband und gewann damit in fünf Jahren viermal die renommierteste Auszeichnung der Branche, den Deutschen Reporterpreis. Der Haken daran: Ein Großteil war frei erfunden. Aufgedeckt hat das sein Kollege Juan Moreno. Im Werk erzählt der Journalist die atemberaubende Geschichte eines grandiosen Betrügers – und dessen Fall. Doch jetzt steht der Enthüller Moreno selbst am Pranger: Relotius wirft ihm vor, im Buch ebenfalls Unwahrheiten zu verbreiten. Pflichtlektüre. Till Neumann
Brigitte Kronauer, Das Schöne, Schäbige, Schwankende, Klett-Cotta, 2019, 596 Seiten, 26 Euro
Juan Moreno, Tausend Zeilen Lüge, Rowohlt Berlin Verlag, 2019, 288 Seiten, 18 Euro Dezember 2019 / Januar 2020 chilli Cultur.zeit 62