chilli cultur.zeit

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HEFT NR. 1/18 8. JAHRGANG

Eröffnung DER FRISCH SANIERTE PAULUSSAAL

Musik EL FLECHA NEGRA TRIFFT INS HERZ

Kino FREIBURGER HAUPTROLLE IM DRAMA „FREIHEIT“

Literatur ROTHENBURGS KAFKAESKES DEBÜT

Farbensprühende Fantasiewelten KUNSTHALLE MESSMER ZEIGT OTMAR ALTS VERSPIELTE „PUZZLEBILDER“


BILDENDE KUNST

Im Farbrausch KUNSTHALLE MESSMER WAGT SICH MIT OTMAR ALT IN NEUE GEFILDE

Foto: © Nachweis

von Tanja Senn

Auf den ersten Blick wollen Otmar Alt und Jürgen Messmer nicht so recht zusammenpassen. Schließlich ist die Sammelleidenschaft des Kunsthallen-Chefs die konkret-konstruktive Kunst mit ihren klaren Linien und den mathematischen Grundlagen. Dass er ganz gerne mal einen Ausflug in die Pop Art macht, hat er 2015 zwar schon mit Andy Warhol 52 CHILLI CULTUR.ZEIT FEBRUAR 2018

gezeigt, so bunt und poppig ging es in den zwölf Ausstellungsräumen jedoch noch nie zu. Auf Alts Werke sei er das erste Mal in den 80er Jahren gestoßen, erinnert sich Messmer. Seine Faszination für den Künstler weckte jedoch erst eine persön-

„Beeindruckende Fantasiewelten“ liche Begegnung 2016 bei einer Ausstellung in Gengenbach: „Mittlerweile pflegen wir einen fast freundschaftlichen Kontakt.“ So haben Messmer und seine Frau den Künstler im Vorfeld der Ausstellung auch in seiner westfälischen Heimat Hamm besucht. Hier lebt und arbeitet Alt in einem alten Bauernhaus mit Galerie, Museum, Amphitheater, Skulpturenpark und einem Wohnhaus für Stipendiaten. Hier ist auch die

Alle Bilder: © Otmar Alt-Stiftung

B

unt, poppig, leuchtend. Otmar Alt begeistert seit Jahrzehnten mit seinen farbenfrohen und fantasievollen Werken. Sogar Papst Franziskus könnte mittlerweile zu den Fans zählen: Ihm hat der 77-jährige Künstler im vergangenen Jahr seine „Otmar-Alt-Bibel“ überreicht, eine eigene Fassung des Neuen und Alten Testaments. In Südbaden ist der Künstler – außer mit seinen Poporgeln in Waldkirch – wenig präsent. Die Ausstellung „Lebenswege“ in der Riegeler Kunsthalle Messmer will das nun ändern.


AUSSTELLUNG Otmar-­A lt-Stiftung untergebracht, die junge Künstler fördert. Die rund 120 Werke der Riegeler Ausstellung sind Leihgaben dieser Stiftung. Eines davon kann man bereits seit November vor der Kunsthalle Messmer bewundern: eine drei Meter hohe knallbunte, verspielte Blume. Sie hat sich der Kunstmäzen in Alts Skulpturenpark ausgesucht. „Es ist unglaublich, welche beeindruckenden Fantasiewelten Otmar Alt mit seinen Werken im öffentlichen Raum geschaffen hat“, schwärmt Messmer. Dazu gehören auch drei Orgeln, die Alt gestaltet hat und die von Waldkircher Orgelbauern gefertigt wurden. Abgesehen von den Instrumenten, die im Elztalmuseum zu sehen sind, ist der Gegenwartskünstler in der Region wenig präsent.

Überblick über alle Schaffensperioden Für Messmer gerade deshalb ein Grund, ihn nach Südbaden zu holen: „Ich bin ja immer auf der Suche nach großartiger Kunst, die in der Gegend sonst nicht so zu sehen ist. Die Werke dieses vielseitigen Künstlers sind eine Bereicherung für die Region.“ Auf einen neuen Besucherrekord – die Chagall-Ausstellung sahen vor vier Jahren 40.000 Menschen – hofft der ehemalige Kugelschreiberproduzent nicht. Aber schon die Resonanz zur „Großen Gartenblume“ zeige, wie viele Menschen sich von der fantasievollen Kunst begeistern lassen. So hat sich der Künstler neben Horst Antes, HAP Grieshaber oder Wilhelm Lot als einer der wichtigsten Vertreter der „Neuen Figuration“ mittlerweile international etabliert. Die Ausstellung „Lebenswege“ zeigt aber nicht nur die heutigen erfolgreichen Arbeiten, sondern will einen Überblick über alle Schaffensperioden geben – von den ersten informellen Werken Anfang der 60er, die ab 1965 figurative Züge annehmen, bis hin zu Illustrationen zu den biblischen Erzählungen der Otmar-Alt-Bibel, die der Künstler im vergangenen Jahr persönlich dem Papst überreichte. Mit Alts Gemälden, Grafiken und Skulpturen wagt nicht nur die Riegeler Kunsthalle etwas Neues: Im Gegenzug zeigt die Otmar-Alt-Stiftung ab Mitte April 85 Werke aus Messmers Sammlung von André Evard. Dass Alt dem konstruktiven Künstler nicht abgeneigt ist, zeigte er auch bei Messmers Besuch in Hamm. „Über Nacht hat er mir und meiner Frau je ein persönliches Bild gemalt“, erzählt der Museumsleiter. „In meinem waren Elemente von Evard zu finden. Das hat mich sehr beeindruckt.“

120 Werke machen sich auf den Weg von Hamm nach Riegel, darunter: linke Seite: Der Mondfisch, 2001, Acryl auf Leinwand, 60 x 50 cm, Die Badende – Evelyn Morgan, 2016, Acryl auf Leinwand, 140 x 110 cm, rechte Seite: Der Traum der Wiese, 1965, Acryl auf Leinwand, 145 x 100 cm, Der Teufel im Zirkus, 1999, Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm

INFO Otmar Alt – Lebenswege: Malerei. Grafik. Skulptur. 3. Februar bis 27. Mai Kunsthalle Messmer, Riegel

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tanz

Mit blauem Auge zur Probe Bei „Dance aWay“ erzählen junge Geflüchtete mit Hip Hop ihre Geschichte

T

von Tanja Senn

Mit ganzem Herzen dabei: Die drei „Dance aWay“-Macher Nino Böhm, Arnold Nuss und Islam Seddiki (von links nach rechts).

Tanztheater Dance aWay – Flucht zum Frieden? 22. bis 24. März, E-Werk Freiburg

anzen ist Medizin.“ Da ist sich Islam Seddiki sicher. Deshalb trainiert der 25-Jährige ehrenamtlich mit jungen Geflüchteten. Momentan sogar fünfmal die Woche. Denn die Jugendlichen haben ein Ziel: Im März werden sie im E-Werk auftreten. Mit einer Mischung aus Hip Hop und Artistik, Schauspiel und zeitgenössischem Tanz. Herzstück der Show sind aufgezeichnete Interviews, in denen die Jugendlichen von ihrer Flucht und ihrem Leben in Freiburg erzählen. Der Bass dröhnt aus den Lautsprechern des kleinen Übungsraums im Kepler Gymnasium. Sieben Jugendliche und zwei junge Breakdancer stützen sich mit Händen und Kopf auf dem Boden ab, die Beine seitlich in die Luft gestreckt. Seddiki steht vor der Gruppe und klatscht: „Das sah gut aus. Kurze Pause.“ Die Jugendlichen dehnen sich, üben nochmal einen Move, lachen und scherzen. „Am Anfang war das noch ganz anders“, erzählt Seddiki. „Sie waren so schüchtern, hatten keinerlei Selbstvertrauen.“ Der Trainer weiß aus eigener Erfahrung, was Tanz bewirken kann. Mit fünf Jahren kam er aus Algerien nach Deutschland. Eine schwere Zeit für den Jungen. Als Jugendlicher fing er an, sich per Youtube erste Hip-Hop-Schritte beizubringen. „Durch Tanzen habe ich meinen inneren Frieden gefunden“, sagt er heute. Über den Tanz kam er auch zum Verein „HipHop 4 Hope“, der Jugendliche in den Slums der Philippinen mit Tanz von Straßengewalt, Drogen und Alkohol abbringen will. „Als immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, war uns aber schnell klar, dass wir auch hier etwas tun müssen“, sagt Seddiki. Zu seinem ersten Training mit Geflüchteten kamen 68 Kinder und Jugendliche: „Wir

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konnten uns kaum bewegen.“ Mittlerweile hat sich ein Kern aus sechs Tänzern herausgebildet. Ihre ersten Auftritte hatten sie im vergangenen Jahr im E-Werk. Nun wollen sie mit „Dance aWay“ nochmal einen drauflegen. Dafür gab es gerade vom Kulturamt Freiburg eine Förderung von 4000 Euro. „Die Show wird um einiges professioneller“, sagt Seddiki. Unterstützt wird er von den beiden Breakdance-Profis Arnold Nuss und Nino Böhm, die nicht nur die Choreografie mitgestaltet haben, sondern auch selbst mittanzen. Auch die Interviewsequenzen seien nun „viel intensiver“, da die Jugendlichen mittlerweile gut Deutsch sprechen. Es geht dabei um ihre Flucht, aber auch um ihr tägliches Leben in Freiburg: Wie sie von Mitschülern ignoriert werden. Wie man in der Straßenbahn über sie tuschelt. Wie schwer es für sie ist, Freunde zu finden. Einmal sei einer der Jugendlichen mit blauem Auge bei der Probe aufgetaucht: Er hatte einer älteren Dame in der Straßenbahn keinen Platz gemacht. Daraufhin wurde er von Mitfahrern verprügelt. „Am Anfang habe ich jede Woche solche Geschichten gehört“, erzählt Seddiki, „mittlerweile ist es viel besser.“ Oft seien die Jugendlichen in Tränen ausgebrochen, aus dem Raum gerannt. „Wir haben dann aufgehört zu reden und einfach getanzt“, erinnert sich der junge Tanzlehrer. „Das hat geholfen, die Gefühle rauszulassen.“

Fotos: © tas


Einweihung

„Klasse statt Masse“ Erneuertes Paulus-Areal vereint Wissenschaft, Glaube und Kultur

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ach umfassender Sanierung und Modernisierung erstrahlen Paulussaal und Pauluskirche in Freiburg nun in neuem Glanz: Die Technik ist komplett neu, Dach und Glockenstuhl wurden saniert, es gibt neue Künstlergarderoben und eine neue Bühne. Der Veranstaltungsbetrieb hat Mitte Januar begonnen. Und auch die ersten Vorlesungen der Uni Freiburg sollen bald stattfinden. Offiziell eröffnet wird der Saal Anfang Februar. Im Paulusareal zieht neues Leben ein: In Freiburgs traditionsreichstem Konzertsaal wurde 20 Monate lang gewerkelt. Nun erfüllt der Saal alle Anforderungen des Brandschutzes und der Barrierefreiheit. „Die Qualitätsverbesserung von Ton und Licht hat Vorteile. Veranstalter müssen so kaum Equipment mitbringen“, sagt Norbert Aufrecht von der Evangelischen Stadtmission.

Nach der Sanierung: Nur noch Platz für 880 Sitze Die aufwändige Sanierung des 1907 erbauten Hauses hat einiges gekostet: Aufrecht beziffert sie auf etwa acht Millionen Euro. Allerdings fielen durch den Umbau von 1000 Stühlen 120 weg. „Neue Regelungen schreiben größere Sitzplatzabstände und -breiten vor“, so Aufrecht. Für ihn kein Nachteil, das Publikum setze auf Komfort: „Die Devise der Menschen, die heute kommen, heißt: Klasse statt Masse.“ Dieter Ott vom Künstlersekretariat Ott sieht in der Bestuhlung andere Probleme: „Für Kinderevents ist der Saal ungeeignet. Die flachen Sitze erfordern eine Sitzerhöhung, sonst sehen die Kinder nichts.“ Ebenso sei die Bühne für Tanz- oder Theaterauftritte zu klein. Auch die Uni Freiburg zieht ins Gebäude ein. Sie nutzt Saal und Kirche während der Sanierung des KG II als Hörsaal. Tische zum Schreiben gibt es nicht. „Die Sitze werden mit Tablaren ausgestattet. Auf der Empore muss mit Brettern gearbeitet werden.“

Keine Baustelle mehr: Im Paulussaal dominieren lange blaue Vorhänge und schwarze Stühle. Foto: © iba

Während der Vorlesungszeit wird es unter der Woche keine Veranstaltung geben. Der Gottesdienst leidet darunter aber nicht. Aufrecht, der auch als Diakon tätig ist, will keinen ausfallen lassen. „Ziel des Umbaus war es, aneinander vorbeizukommen. Es gibt ein zusätzliches Treppenhaus für die Gemeinde“, erläutert er. Durch die Investition wird nun das ganze Spektrum an Veranstaltungen abgedeckt. Dennoch gibt es Grenzen. „Es muss mit dem christlichen Glauben vereinbar sein“, so der gelernte Religionspädagoge, „eine Pornografie-Messe würde es hier nicht geben.“ Aus inhaltlichen Gründen habe er schon Veranstaltungen abgesagt. „Aber das ist an einer Hand zählbar.“ Bisher sind im laufenden Jahr 40 bis 50 Events gebucht, voll ausgelastet ist der Saal damit nicht. Immerhin sind neue Veranstalter als Kunden dazugekommen. „Viele sind neugierig geworden und wollen bei uns etwas Neues starten“, sagt der Diakon. Für Ott ist „der Paulussaal ein wichtiger Ort für Freiburg und in dieser Größenordnung einzigartig.“ Er sei relativ preisgünstig, allerdings sei die Erreichbarkeit ein Nachteil: „Der Saal strahlt nicht nach außen, man erkennt ihn nicht als solchen, vor allem kein auswärtiges Publikum.“ Das soll sich ändern: An der Straße wird Werbung angebracht und dort noch die Fassade saniert. Offiziell eröffnet wird der Saal am 3. und 4. Februar. „An dem Wochenende möchten wir die Bandbreite der Veranstaltungen und Angebote darstellen, die in Saal und Kirche möglich sind“, sagt Aufrecht. Die Besucher erwartet ein buntes Programm mit Bigband, TangoNacht, Klavierkonzert und Foodtrucks. Aufrecht hofft auf zahlreiches Erscheinen, „auch wenn der SC Freiburg und das MUNDOLOGIA-Festival zeitgleich laufen.“ Isabel Barquero

Das Eröffnungswochenende 3. Februar ab 12.30 Uhr und 4. Februar ab 10.30 Uhr (Eintritt frei) Das bunte Rahmenprogramm des Eröffnungswochendes gibt es unter: www.paulussaal-freiburg.de Februar 2018 chilli Cultur.zeit 55


musik

Schwarze Pfeile, bunte Botschaft Mestizo-Truppe El Flecha Negra feiert die Vielfalt

Foto: © Promo

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von Till Neumann

Mit Straßenmusik fing alles an: Mittlerweile haben die „schwarzen Pfeile“ 200 Konzerte gerockt.

viel Energie geben die fünf Musiker den Takt an. Mal schallt Reggae aus den Boxen, dann Cumbia, dann peruanische ChichaSounds – die Bandbreite ist groß, das Tempo variabel. Mestizo-Sound könnte man das wohl am besten nennen. Traditioneller Latinosound trifft Rock und Reggae. An vorderster Front stehen die Sänger Cristian Kata und Tatán González Luis. Die beiMehr Wumms, mehr den Chilenen singen, tanEin Sprung in die Luft, dabei einen lässigen FußVielfalt, mehr Farbe zen und spielen Trompete. Tatán hat zudem kick nach vorne. Den diverse Percussion-InstruTanzmoove fordern die Flecha Negras (schwarze Pfeile) gerne von mente dabei und liefert ein paar Rapeinlaihrem Publikum. Auch bei der Releasefei- gen. Komplettiert werden sie von Schlager im Jazzhaus. Frontmann Cristian Kata zeuger Denis Molina aus Spanien, dem tanzt ekstatisch vor. Doch kaum einer deutsch-peruanischen Bassisten Christian kann ihm folgen. Zu dicht gedrängt stehen Ovalle und dem einzigen Deutschen der die Fans im Gewölbekeller. Der Laden ist Multi-Kulti-Truppe: Gitarrist Myron Manrammelvoll. Platz für Fußkicks in die Luft son, der mit bürgerlichem Namen Victor heißt, Dreadlocks trägt und optisch locker ist beim besten Willen nicht. Gejubelt wird dafür umso lauter. Die ebenso als Spanier durchgehen könnte. Zu dritt starteten Kata, Tatán und Lalo Stimmung in den bunt gemischten Reihen ist ausgelassen. Mit breitem Grinsen und Abbadie aus Mexiko 2014 als Straßenmusiropikal Passport heißt das zweite Album von „El Flecha Negra“. Damit haben die fünf Jungs aus Chile, Peru, Spanien und Deutschland viele Freiburger ins Herz getroffen. Ihre Releaseparty im Januar war ausverkauft. Schon Tage vorher waren die Karten vergriffen. Mit dem Albumtitel erinnert die Multikulti-Band auch an ihren ehemaligen Bassisten.

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Latino und Reggae ker. Mit Cajón, Kontrabass, Gitarre und dreistimmigem Gesang. Ein Jahr später erschien ihr Debütalbum „Schwarzwald“. „Freiburg ist einfach unglaublich“, finden die Jungs. Aus Liebe zur Region haben sie sich auch ihren Bandnamen gegeben: „Negra“ steht für den Schwarzwald, die Pfeile für ihre Musik. Das Ziel: ins Schwarze treffen. 2015 gewannen sie mit einer mitreißenden Liveshow das Internationale Straßenmusikfestival in Ludwigsburg. Und spielten dort vor rund 10.000 Zuschauern. Spätestens da war den Berufsmusikern klar: Da geht was. 2016 folgte eine Tour durch Chile, insgesamt 200 Konzerte haben sie mittlerweile gespielt. Dazu unzählige Shows auf der Straße. Vorarbeit genug, um die zweite Scheibe größer zu planen: mehr Wumms, mehr Vielfalt, mehr Farbe. „Wir wollten den Sound wechseln, auch um in anderen Locations zu spielen“, sagt Kata bei einem Tee in der Pizzeria Picasso direkt über ihrem Proberaum in der Hummelstraße. Statt Cajón gibt’s jetzt Schlagzeug. Die Bläser bringen mehr Druck in den Sound. Die E-Gitarre macht ihn rockiger. Was ihre Platte auszeichnet? „Sie ist bunt, frisch und hat ein gewisses Bewusstsein“, erklärt Tatán. Ihnen ist wichtig, nicht nur Partytracks zu machen. So liefert der Albumopener „Welcome“ eine politische Botschaft in Zeiten von Flucht und Migration: Jeder ist willkommen. „Syrien, Mexiko, die Mauer von Trump – das ist sehr präsent bei uns“, sagt Tatán. Der Albumtitel Tropikal Passport (tropischer Reisepass) ist da kein Zufall. Bassist Lalo musste mitten in der Albumproduktion das Land verlassen, sein Visum war abgelaufen. Ein Schock für die Band, der auch musikalisch verarbeitet werden musste. Bassist Christian Ovalle hat sich dafür glänzend eingefügt. Der jüngste Flecha zeigt mit seinen 23 Jahren Entertainer-Qualitäten: Im Jazzhaus kommt er immer wieder vor zum Bühnenrand, um Stimmung zu machen.

Fotos: © tln

Verlosung Das chilli verlost 2x2 Karten für das Konzert von Flecha Negra am 27. April im Jazzhaus. Zu den zwei Karten gibt es jeweils ein Album obendrauf. Ihr wollt gewinnen? Schickt uns eine Mail mit eurem vollen Namen und dem Stichwort „Flecha Negra“ an die Adresse redaktion@chilli-freiburg.de. Einsendeschluss ist der 28. Februar. Die Gewinner werden bis zum 2. März per Mail benachrichtigt.

Riesiger Andrang im Jazzhaus: El Flecha Negra legen deshalb im April nochmal nach.

Die Pfeile sind längst nicht verschossen Für alle fünf ist die Band Hauptjob. Dass sie ambitioniert zur Sache gehen, hört man der Platte an. Ausgefeilter und reifer als der Vorgänger klingen die dreizehn Tracks. Ihre Liebe zur Stadt spiegelt sich auch in den Texten wider: Ein Reggaetrack heißt „Freiburg Girl“. Und in der ersten Single „El Capitán Mantarraya“ erzählen sie von einem mexikanischen Kapitän, den sie einst in Freiburg kennengelernt haben. „Wir kamen gerade von einem Straßenkonzert, da hat er uns Spanisch reden hören“, erinnert sich Tatán. Spontan zogen sie mit ihm und seiner Tochter eine Nacht um die Häuser. Der Kapitän hatte Geburtstag. Feiern können die Jungs, daran gibt’s keinen Zweifel. „Otra, otra“, schallt es am Ende durchs Jazzhaus. „Noch eins“, rufen die Zuschauer. Gleich zwei Mal kommen die Schwarzen Pfeile für Zugaben zurück auf die Bühne. Da die Nachfrage fürs Konzert so groß war, spielen die Flechas am 27. April ein zweites Mal im Jazzhaus. Die Pfeile sind längst nicht verschossen. Die Freiburg Girls vielleicht schon. Februar 2018 chilli Cultur.zeit 57


e n g a a n r F ... 3 ... Vanessa Iraci

LUKAS RIEGER

AEM16 & APFEL

Rieger Records

Jungs aus der Schaft

CODE (16. FEBRUAR 2018)

SCHWARZ / WALD

Foto: © Johann Haas

„MEINE GRÖSSTE CHANCE“

Möchtegern-Bieber

Kopfnicker im Wald

Eine Freiburgerin beim Eurovision Song Contest (ESC)? Das könnte am 12. Mai wahr werden. Vanessa Iraci (32) ist unter den letzten sechs Kandidaten, um die Schweiz beim Finale in Lissabon zu vertreten. Die Schweizer entscheiden am 4. Februar. Wie es dazu kam, erzählt die Sängerin im Interview mit Till Neumann.

(iba). Rund zwei Millionen Follower bei Instagram, fast eine halbe Million Abonnenten bei YouTube, ein Top-5Album und eine eigene Biografie – Lukas Rieger hat mit seinen jungen Jahren bereits einiges vorzuweisen. Der Social-Media-Star ist noch lan­ ge nicht fertig: Mitte Februar er­ scheint die nächste Platte mit dem Titel „CODE“. Elf mehr oder weniger ähnliche Songs gibt es hier zu hören. Schon nach wenigen Sekunden wird klar: Rieger will der deutsche Justin Bieber sein. Doch musikalisch kommt der 18-Jährige bei weitem nicht an den kanadischen Weltstar heran. Seine Stimme klingt ähnlich zart, doch den Melodien fehlt es an Dyna­ mik. Sanft und romantisch kommt sein Sound daher. Die Texte handeln häufig von Mädchen und Liebe. In „Won’t Forget About You“ säuselt Rie­ ger fast 60 Sekunden lang „Ich werde dich nicht vergessen“. Musikalische Magie sucht man vergeblich. Der einzige Track, der unter den schnulzigen Balladen heraussticht, ist „Phantom“. Groovige Beats pep­ pen den Song auf und sorgen für Ab­ wechslung. Seinen Teenie-Fans wird der harmo­ nische Sound gefallen. Für die anderen bleibt der Hannoveraner der deutsche Abklatsch von Justin Bieber. Dennoch: Für sein Alter hat Rieger einiges er­ reicht und das verdient Respekt.

(tln). HipHopper representen gerne ihre Stadt. Hamburg, München, Köln. Dass Berliner ein Album dem Schwarz­ wald widmen, ist selten. Genau das macht das Rapper-Produzenten-Duo AEM16 & Apfel. Die Ex-Freiburger erinnern sich ihrer Wurzeln. Der Stadt und Region, in der sie lebten und sich fanden. Entspannt kommt ihr Sound um die Ecke. Trockene Drums, neblige Pianos, vielsagendes Knistern. Dazu erzählt AEM16 Geschichten. Von dunklen Momenten. Von Krisen. Ver­ gangenheitsbewältigung hört man da raus, die Aufarbeitung von Höhen und Tiefen im „schönen Smaragd“ Freiburg. Und ein paar Kampfansa­ gen an die Nullen im Rapgame. Die Platte ist ein Konzeptalbum. Ge­ sampelt wurden ausschließlich Songs des Jazzlabels MPS Records aus Villingen-­Schwenningen, heißt es. Das Ergebnis klingt verspielt, zurück­ haltend, old-schoolig. Mal klimpert eine melancholische Gitarre, dann untermalen dezente Keybordflächen die Texte, dann schwirren Wortfetzen von Rappern wie Guru oder Oxmo Puccino durch die Boxen. Ab und an rumpelt der Flow etwas. Man droht den Faden zu verlieren. Doch nur Augenblicke später folgt man wieder den Gedanken des geer­ deten Erzählers. Die Kopfnicker sind nicht nur im Haus. Auch im Wald.

Vanessa, wie kommt’s zu dem ESC-Song? Die Produktionsfirma hat mich dem Produzenten von „Redlights”, Borislav Milanov, vorgeschlagen. Sie haben mir kurz vor Weihnachten ein Demo geschickt, das war total kurzfristig. Ich hab’s mir angehört und hatte sofort Gänsehaut! Anfang Januar bin ich dann ins Studio und meine Version hat allen gefallen. So kam ich direkt unter die letzten sechs Kandidaten für den Schweizer ESC-Song. Du trittst als Deutsche für die Schweiz an? Für mich ist die Schweiz Heimat. Ich habe Verwandte in der Schweiz und war als Kind oft in Basel. Auch beruflich pendele ich oft in die Schweiz. In den letzten zwei Jahren habe ich mit der Schweizer Band Myron gearbeitet, unsere erste Single und das Album kommen dieses Jahr raus. Ich werde alles geben, um die Schweiz endlich wieder ins große Finale zu bringen. Wie schätzt du deine Chancen ein? „Redlights” hat Hitpotential. Natürlich sind die anderen fünf Songs auch super. Bei meinem bekomme ich aber am meisten Gänsehaut. Damit kann man beim ESC sehr weit kommen – sonst würde ich nicht ins Rennen gehen. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen, am Ende entscheiden die Jury und das Schweizer Publikum. Das Video zu „Redlights“ gibt’s hier: bit.ly/chilli_iraci_esc 58 CHILLI CULTUR.ZEIT FEBRUAR 2018


HAIYTI

TOKUNBO

Berlin Vertigo

Yoruba Girl Records

MONTENEGRO ZERO

THE SWAN

DER SOUNDDRECK ... ... zum Hasen

HEADLINE Titel: Sing das Lied vom kleinen Hasen im Dreck Urheber: Unbekannt/flüchtig Jahr: 2015

Kreischende Gangsterlady

Akustische Kuscheldecke

(tln). Die Hamburger Rapperin Haiyti überschreitet mit „Montenegro Zero“ frech Genregrenzen. Hiphop trifft Trap. Dancehall trifft Disco. Elektro trifft Deutsche Welle. Gangsta-Pop nennt sie das. Die Zwölf-Track-Platte der gelob­ ten Newcomerin beginnt mit einem Störgeräusch. Was dann kommt, ist nicht weniger verstörend: „Mein Han­ dy, das ist ein Trap-Phone“, krächzt sie sechsmal. Wild, roh, kaputt klingt ihre Stimme. SC-Anheizer dürften nach 90 Minuten ähnlich röhren. Sie sei wie „Falco, der klingt wie Nina Hagen“, schreibt „Die Zeit“. Ein gewagter Vergleich. „Mein Onkel war ein Mafiosi“, schreit sie in „Mafioso“, „Keine Zeit für euch Bitches“, flüstert sie in „Bitches“. Reflektion oder Wort­ witz sucht man vergeblich. Fans fin­ den’s authentisch. Platt und über­ dreht, will man ergänzen. In ruhigeren Nummern wie „Sun­ ny Driveby“ gönnt sie dem Hörer ent­ spanntere Tonlagen. Da blitzt Charis­ ma auf. Die Unzerbrechliche, die macht, was sie will. Das effektbeladene Album setzt auf Repetition, Synthies und Glitzer. Es geht um Pralinen, Rosen, Schlägerei­ en. Mit offenem Visier brettert Haiyti gegen Genrewände. Weder inhaltlich noch musikalisch ist das ein Genuss. Kann man mögen, kann man aber auch abschalten.

(tas). „I’m waving at the girl I used to be. Lightyears lie between her and me“, singt Tokunbo in ihrem Song „The Swan“. Zwei Jahre sind seit ihrem Debüt „Queendom Come“ vergangen. Zwei Jahre voller intensiver Arbeit an einer Reihe Songs, von denen es elf auf das neue Album geschafft haben (Release ist am 16. Februar). Vor Kurzem ist Tokunbo Mutter geworden. „Das war die größte Ver­ änderung meines Lebens“, sagt die Berliner Sängerin, die zwölf Jahre in Freiburg gelebt hat. Auch ihrer Mu­ sik hört man die Veränderung an: Ihre reduzierten, schlichten Arran­ gements sind komplexen Klangwel­ ten gewichen. Dabei reicht die Bandbreite vom sphärischen „Outer Space“ über das sanfte „Somersault“ mit seinen Country-Einflüssen bis hin zum melancholischen „The Swan“. Die ehemalige Frontfrau von „Tok Tok Tok“, die mit ihrer Band bereits 13 Alben veröffentlicht hat, hat sich weiterentwickelt. Doch Tokunbos Fans können aufatmen. Die Songwriterin ist ih­ rem Sound treu geblieben. Ihr sanfter, leicht düsterer Stil, den sie selbst als „Folk Noir“ bezeichnet, zieht sich durch alle Songs der Platte. Was beim Hörer ankommt, ist pure Wohlfühlmusik. So warm und weich wie eine Kuscheldecke an einem rauen Wintertag.

Musikbasierte Verbrechen gegen Hasen und hasenähnliche Lebewesen. Man sollte es nicht für wahr halten: Leider ein Kasus in der Kriminal­statistik. Ausgerechnet Hasen. Die letzten kindlichen, eierbringenden Biodiversitätsverteter landen auf dem Schragen der Unterhaltungsmusik des Homo Sapiens. Beispiele kennt jeder: „Es gibt 50.000 Hasen die wollen mir eine erzählen“ (Mickie Krause et.al. 2002) oder „Das Lied vom Kaninchen“ von Bernd Stelter: „Im nächsten Leben wär ich lieber ein Kaninchen ...“ Dann aber der Grund zu unserem aktuellen, öffentlichen Fahndungsaufruf: Der Titel eines unbekanntem Urhebers: „Sing das Lied vom kleinen Hasen im Dreck“. Ein Opus für zweistimmigen Gesang, klatschende Hände und Mundharmonika – hier sind beide Gesangs­ stimmen wiedergegeben. „Sing das Lied vom kleinen Hasen, sing das Lied vom kleinen Hasen // Sing das Lied vom kleinen Hasen, sing das Lied vom kleinen Hasen ...“ „Sing das Lied vom kleinen Hasen, sing das Lied vom kleinen Hasi ...// Bom, Bom, Bom Bombombom, Bom, Bom, Bom Bombombom ...“ „Sing das Lied vom kleinen Hasi, sing das Lied vom kleinen Hasi, sing, sing!“ // Bom, Bom, Bom Bombombom, Bom, Bom, Bom Bombombom ...“ „Er tanzt mit mir, er tanzt im Dreck, er tanzt mit mir. // Er spielt im Dreck. Er spielt mit seinen Sachen. // Mit seinen Sachen im Dreck. Der Dreck ist wunderschön. // Schöner Dreck, ein schöner Dreck. Spiel das Lied vom kleinen Hasen.“ Im Namen der Hasen: Wir bitten um sachdienliche Hinweise auf den begnadeten Urheber.

Die alten Hasen von der Wache. Für Ihre Geschmackspolizei, Benno Burgey


kino

Nichts zu verlieren In „Freiheit“ gibt Johanna Wokalek eine moderne Nora, die ihr Puppenheim verlässt von Erika Weisser

Freiheit

Fotos: © Film Kino Text

Deutschland/Slowakei 2017 Regie: Jan Speckenbach Mit: Johanna Wokalek, Hans-Jochen Wagner, Andrea Szabová u.a. Verleih: Film Kino Text Laufzeit: 100 Minuten Kinostart: 8. Februar 2018

60 chilli Cultur.zeit februar 2018

A

uf den Straßen Freiburgs ist Johanna Wokalek nicht mehr so oft anzutreffen wie zu den Zeiten, da sie hier ins Friedrich-Gymnasium ging. Um sie zu sehen, muss man schon ins Kino: In Jan Speckenbachs „Freiheit“ ist sie Hauptdarstellerin; sie spielt darin eine moderne Nora nach dem Ausbruch aus ihrem Puppenheim. Nora ist denn auch ihr Filmname. Und als solche durchstreift sie, ziemlich verloren wirkend, ziel- und planlos die Straßen Wiens. Dabei ist die gebürtige Freiburgerin dort bestimmt nicht verloren: Mehr als 20 Jahre lebte sie in Wien, zunächst als Studentin am Max-Reinhardt-Seminar, dann als Schauspielerin am Burgtheater. Als Nora bewegt sie sich indessen irgendwie schlafwandlerisch durch die Stadt, scheint von ihrer Umgebung keine Notiz nehmen, nicht mit ihr in Kontakt treten zu wollen. Kein Wunder: Wie später zu erfahren ist, hat Nora genug mit sich selbst zu tun, muss, nachdem sie Ehemann und zwei Kinder eines Abends ohne erkennbaren Grund allein im wohlgeordneten Eigenheim in Berlin zurückließ, sich und ihrem Leben eine neue Orientierung geben. Sie orientiert sich an der Donau – und landet in Bratislava, wo sie ein wenig aus ihrer Lethargie auftaucht: Sie findet einen Job und macht die Bekanntschaft einer Frau, die in einem Live-Sex-Show-Theater

arbeitet und glückliche Ehefrau und Mutter ist. Als Zaungast nimmt Nora an deren Familienleben teil, wird dabei aber zu sehr an ihr eigenes erinnert. Dieses geht, so zeigt der zweite, parallel verlaufende Handlungsstrang, auch ohne sie weiter. Noras Mann Philip, ein viel beschäftigter Anwalt, tut sich gerade zwar recht schwer mit der Pflichtverteidigung eines Mannes, der „einfach so“ einen Afrikaner ins Koma geprügelt hat, doch er kriegt den anstrengenden Alltag mit den beiden halbwüchsigen Kindern einigermaßen gemanagt. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig. Wobei er zusehends vereinsamt und seine Handlungsspielräume enger werden – in demselben Maß, in dem sich ihre erweitern: Noras Freiheit wird Philip zur Fessel. Speckenbach liefert keine Erklärungen und keine Patentrezepte. Er regt nur dazu an, über den Begriff „Freiheit“ zu reflektieren. Und Johanna Wokalek spielt dabei eine großartige Rolle.


Kino

Frankreich 2017 Regie: Eric Toledano & Olivier Nakache Mit: Jean-Pierre Bacri, Eye Haidara, Benjamin Lavernhe u.a. Verleih: Universum Laufzeit: 116 Minuten Kinostart: 1. Februar 2018

Deutschland 2016 Regie: Mareille Klein Mit: Katrin Röver, Ulrike Willenbacher, Till Firit u.a. Verleih: Koryphäen Film Laufzeit: 94 Minuten Kinostart: 8. Februar 2018

Shape of Water

Foto: © 20th Century Fox

Dinky Sinky

Foto: © Koryphäen Film

Foto: © Universum

Das Leben ist ein Fest

USA 2017 Regie: Guillermo del Toro Mit: Sally Hawkins, Michael Shannon, Octavia Spencer u.a. Verleih: 20th Century Fox Laufzeit: 123 Minuten Kinostart: 15. Februar 2018

Turbulenzen im Schloss

Babywunsch als fixe Idee

Märchenhafte Außenseiter

(ewei). Max hat sein Job als Traumhochzeitsplaner längst satt. Zwar läuft seine Agentur recht gut, doch die Kunden werden immer wählerischer, erwarten die Umsetzung exklusivster Wünsche – und werden dabei zunehmend geizig. Außerdem empfindet der Glücks-Allrounder sein Team als chaotisch, eitel und anspruchsvoll, die Ideen als ausgereizt. Einmal noch will Max – in einem mondänen Schloss in der Nähe von Paris – eine feine Hochzeit ausrichten, doch dann soll Schluss sein. Er hat vor, seine Firma zu verkaufen und endlich nicht mehr am Lebensglück anderer, sondern am eigenen zu arbeiten: Er will seine zerrüttete Ehe in Ordnung bringen – und die Krise mit seiner heimlichen Geliebten überwinden. Der höchst selbstgefällige Bräutigam bringt die routinierte Dramaturgie der Truppe indessen gehörig durcheinander. Das Gelingen des Fests wird zu einer echten Herausforderung, für die es viel Improvisationstalent braucht – und Max großen Spaß macht. Den Zuschauern auch.

(ewei). Eigentlich geht es Frida ausgezeichnet: Die smarte Mittdreißigerin arbeitet engagiert als Sportlehrerin, lebt mit ihrem zuverlässigen und liebevollen Partner Tobias in einer schicken Wohnung, hat gut funktionierende soziale und familiäre Bindungen. Zum perfekten Glück fehlt ihr jedoch noch ein eigenes Kind. Ihre Freundinnen sind schon Mütter oder gerade schwanger. Und Frida will es unbedingt endlich auch werden. So sehr, dass der Kinderwunsch längst zur fixen Idee geworden ist, der sie alles unterordnet und die sämtliche Lebensbereiche durchdringt: Sie führt Buch über ihre eigenen Fruchtbarkeitszyklen – und, anhand von Notizen aus dem Sportunterricht, auch über die ihrer Schülerinnen. Ihre Beziehung zu Tobias ist – nicht nur in sexueller Hinsicht – derart vom Baby-Thema beherrscht, dass er schließlich entnervt auf Abstand geht. Und Frida an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treibt. Überzeugendes Kinodebüt von Regisseurin und Hauptdarstellerin.

(ewei). Elisa lebt allein irgendwo in den USA der 1960er Jahre. Sie ist stumm, hat ein besonderes Verhältnis zu Wasser und arbeitet nachts als Putzfrau in einem von der Regierung betriebenen geheimen Forschungszentrum, in dem der herrschsüchtige Sicherheitschef Strickland nicht nur mittels eines elektrischen Schlagstocks ein strenges Regiment führt. Elisas einzige Freunde sind ihre afroamerikanische Kollegin Zelda und ihr schwuler Nachbar Giles. Das ändert sich, als sie eines Nachts in einem Tank einen geheimnisvollen Amphibienmann entdeckt, der sie zwar sofort fasziniert, der aber Forschungs- und vor allem Quälobjekt von Strickland ist. Es gelingt ihr, sein Vertrauen zu gewinnen und ihm ihre Gebärdensprache nahe zu bringen. Fortan versorgt sie ihn mit Essen und Freundschaft, spielt ihm Musical-Schallplatten auf dem Grammophon vor. Und rettet schließlich sein Leben. Ein Epos über märchenhafte Außenseiter; Goldener Löwe 2017.


kino

Foto: © Badische Zeitung

Eine ereignisreiche Zeitreise (ewei). Das Glück, den Film mit dem schlichten Titel „Universitätsstadt Freiburg. Die Jahre 1932 – 1964“ im Kino zu sehen, hatten gerade einmal 450 Freiburger. Denn die bereits kurz nach der Ankündigung restlos ausverkaufte Premiere war zugleich die Dernière: Die aus zahlreichen Privataufnahmen bestens zusammengefügte und von Zeitzeugen kommentierte Dokumentation kam nur ein einziges Mal zur Aufführung – Ende November 2017. Kurz darauf war auch die DVD ausverkauft. Jetzt ist sie wieder zu haben – für 18,90 Euro, in den Geschäftsstellen der Badischen Zeitung. Es war die BZ-Heimatredaktion, die im Sommer 2016 die Idee zu diesem Film hatte – und ihre Leser einlud, sich daran zu beteiligen. Die Resonanz war gewaltig: Mehr als 90 private Filme mit höchst vielfältigen Einsichten in etwa sechs Jahrzehnte wechselvoller Regionalgeschichte seien eingereicht worden, freut sich Heimat-Ressortchef Holger Knöferl. Die unerwartete Fülle des Materials legte den Filmemachern bald eine zweiteilige Dokumentation nahe. Im ersten Teil der Zeitreise gibt es neben bewegten Bildern und bewegenden Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit, an schneereiche Winter auf dem Feldberg und an so manches Fasnets-Ereignis auch ein Wiedersehen mit Rennfahrer Mario Ketterer und den legendären Schauinsland-Bergrennen, die 1984 eingestellt wurden. Teil 2 erscheint in diesem Frühjahr. Universitätsstadt Freiburg Die Jahre 1932 – 1964, Teil 1 Dokumentarfilm, Freiburg 2017 Regie: Matthias Kirchhoff Mit: Mario Ketterer, Wolfgang Fiek u.a. Vertrieb: StadtMedia & BZ Laufzeit: 73 Minuten Preis: 18,90 Euro

62 chilli Cultur.zeit Februar 2018

Frankreich 2017 Regie: Lorraine Levy Mit: Omar Sy, Ana Girardot u.a. Verleih: Wild Bunch Laufzeit: 113 Minuten Kinostart: 22. Februar 2018

Arthur & Claire

Foto: © Universum

Reges Leben am Bertoldsbrunnen in den 1930er Jahren.

Foto: © Wild Bunch

voll von der Rolle

Docteur Knock

A/D/NL 2017 Regie: Miguel Alexandre Mit: Hannah Hoekstra, Josef Hader, Rainer Bock u.a. Verleih: Universum Laufzeit: 100 Minuten Kinostart: 8. März 2018

Ärztlicher Geschäftssinn

Nächtliche Überraschungen

(ewei). Knock, ein Kleinganove, rettet sich auf der Flucht vor seinem „Kollegen“ Lansky auf ein gerade ausfahrendes Schiff. Als Lansky ihn Jahre später einholt, hat Knock einen neuen Beruf: Er hatte sich als Schiffsarzt ausgegeben, dabei sein medizinisches Talent entdeckt und nach absolviertem Studium die Praxis eines Landarztes übernommen. Bei den Dorfbewohnern ist er sehr beliebt: Er bietet ihnen kostenlose Sprechstunden an und heilt sie, natürlich kostenpflichtig, von Krankheiten, an denen sie dank seiner suggestiven Überzeugungskünste zu leiden glauben. Der an chronischem Geldmangel leidende Lansky trifft bei seinem Versuch, alte Schulden einzutreiben, also auf einen erfolgreichen und wohlhabenden Mann – und beginnt, ihn zu erpressen. Doch der Doktor findet ein Heilmittel. Denn er bangt nicht nur um seine Existenz. Sondern auch um seine Liebe. Ein heiterer Film, bei dessen Rollenvergabe die Hautfarbe offensichtlich keine Rolle spielte. Bravo!

(ewei). Schon auf Arthurs Flug nach Amsterdam wird deutlich, dass der grantige 50-Jährige seine Ruhe haben will: Mit der drastischen Beschreibung möglicher Auswirkungen eines Luftlochs bringt er ein besserwisserisches Kind zum Schweigen. Arthur hat Krebs und ist auf dem Weg in eine Sterbeklinik. Und will von nichts und niemandem behelligt werden. Doch am Abend vor dem Eingriff dringt laute Rockmusik in sein edles, aber einsames Hotelzimmer. Aufgebracht stürmt er nach nebenan – und trifft auf die 30-jährige Claire, die gerade dabei ist, sich das Leben zu nehmen. In letzter Minute entreißt er ihr das Glas mit den aufgelösten Schlaftabletten – und wirft ihr vor, es gar nicht ernst zu meinen mit dem Suizid. Wegen der lauten, aufmerksamkeitsheischenden Musik. Nach kurzem, heftigem Streit einigen sich die beiden Todeskandidaten, den letzten Abend gemeinsam zu verbringen – und stürzen sich in die an Überraschungen reiche Nacht. Eine Liebeserklärung an das Leben.


DVD Tulpenfieber USA 2017 Regie: Justin Chadwick Mit: Alicia Vikander, Christoph Waltz u.a. Studio: Prokino Laufzeit: 107 Min. Preis: ca. 13 Euro

Don Quijote von der Mancha USA 2016 Regie: David Beier u.a. Mit: Buck Acosta, Carmen Argenziano Studio: Tiberius Film Laufzeit: 80 Min. Preis: ca. 13 Euro

Mein Engel Belgien 2017 Regie: Harry Cleven Mit: Fleur Geffrier, François Vincentelli, Elina Löwensohn u.a. Studio: Alive Laufzeit: 77 Min. Preis: ca. 11 Euro

Der Preis der Zwiebel

Wider das Unrecht der Welt

Mit anderen Sinnen

(ewei). Im Amsterdam des 17. Jahrhunderts waren Tulpenzwiebeln wertvoller als Diamanten und kostbarer als Gold. Sie wurden begehrtes Spekulationsobjekt – und führten zum ersten verbürgten Börsencrash. Vor diesem Hintergrund spielt die Geschichte einer jungen Frau, die aus Not den falschen (reichen) Mann heiratet und aus Liebe zum richtigen (armen) Mann eine waghalsige Intrige inszeniert. Ausstattungsreiches Historiendrama mit einer aufregenden Hauptdarstellerin Alicia Vikander.

(ewei) Das geflügelte Wort vom „Kampf gegen Windmühlen“ ist im täglichen Sprachgebrauch so selbstverständlich, dass man seinen Ursprung möglicherweise längst vergessen hat. Für alle, denen es so geht, gibt es jetzt höchst unterhaltsame Nachhilfe: Die jüngste Verfilmung des Weltklassikers „Don Quijote de la Mancha“, den Miguel de Cervantes vor 400 Jahren schrieb. 80 Minuten lang können wir diesen wundersamen Idealisten bei seinem Kampf gegen das Unrecht der Welt begleiten.

(ewei) Ange ist der Sohn eines Zauberkünstlers, der bei einem Auftritt spurlos verschwand und seine schwangere Frau Louise völlig entgeistert zurückließ. Und Ange hat von seinem Vater die Fähigkeit geerbt, unsichtbar zu sein – jedoch dauerhaft und ohne Zaubertricks. Als er die gleichaltrige Madeleine trifft, werden die beiden zu perfekten Gefährten: Sie ist blind und nimmt ihn mit anderen Sinnen wahr. Doch dann steht bei ihr eine Augenoperation an. Ein berührendes Erwachsenenmärchen.

Der die Zeichen liest Russland 2017 Regie: Kirill Serebrennikov Mit: Pyotr Skvortsov, Viktoria Isakowa u.a. Studio: good!movies Laufzeit: 113 Min. Preis: ca. 15 Euro

Körper und Seele Ungarn 2017 Regie: Ildikó Enyedi Mit: Alexandra Borbély, Géza Morcsányi u.a. Studio: Alamode Laufzeit: 116 Min. Preis: ca. 16 Euro

Ein Sack voll Murmeln Frankreich 2017 Regie: Christian Duguay Mit: Dorian Le Clech, Batyste Fleurial Palmieri u.a. Studio: Weltkino Laufzeit: 113 Min. Preis: ca. 14 Euro

Ein fanatischer Kreuzzügler

Träumerische Annäherung

Unbegleitete Minderjährige

(ewei) Benjamin besucht eine aufgeklärte staatliche Schule. Eines Tages verweigert er seine Teilnahme am Schwimmunterricht – der Anblick seiner knapp bekleideten Mitschülerinnen verletzt seine religiösen Gefühle. Er ist zum Christentum konvertiert und sieht sich als Missionar und Kreuzzügler, der gegen Homosexuelle und selbstbestimmte Frauen ins Feld zieht. Bald gerät der Wissenschaftsbetrieb ins Wanken: Die Lehrinhalte und Vorschriften ändern sich. Bitterböse Satire über Manipulierbarkeit.

(ewei) Maria, die neue Qualitätskontrolleurin des städtischen Schlachthofs, ist so berührungsängstlich, dass sie sofort ihre Füße zurückzieht, als während der Mittagspause im düsteren Innenhof des trostlos betongrauen Gebäudekomplexes ein paar dünne Sonnenstrahlen auf ihre Zehenspitzen fallen. Endre, ihr gleichermaßen unnahbarer Vorgesetzter, beobachtet sie dabei. Da wissen sie noch nicht, dass sie jede Nacht denselben Traum von einer zaghaften Annäherung teilen. Goldener Bär 2017.

(ewei) Zwei Jungs werden von ihren Eltern mit dem Nötigsten ausgestattet und auf eine Reise ins Ungewisse geschickt. Das ist keine moderne Flüchtlingsgeschichte, auch wenn sie es sein könnte. Hier geht es um das Schicksal einer jüdischen Familie im von den Nazis besetzten Frankreich, die sich der Verfolgung durch Flucht entzieht. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des jüngsten Sohnes: Joseph Joffo, der seine Erinnerungen Jahre später niederschrieb – als Appell an die Humanität. Februar 2018 chilli Cultur.zeit 63


Literatur

Kafkaeskes Debüt Julia Rothenburgs Roman spielt im Freiburger Uniklinikum

D

von Erika Weisser

er Debüt-Roman der 27-jährigen Berliner Autorin Julia Rothenburg ist in Freiburg angesiedelt, genauer: im Universitätsklinikum, wo Pflegenotstand und patientenferne Routine nicht erst jetzt Thema sind. Klug, mit großer sprachlicher Kompetenz und einem präzisen Blick fürs Detail, beschreibt sie diesen Zustand anhand des persönlichen Befindens des fiktiven Patienten Koslik, spiegelt ihn gleichsam an dessen eigenem Innenleben. Foto: © Erika Weisser

Koslik ist krank von Julia Rothenburg Frankfurter Verlagsanstalt, 2017 256 Seiten, gebunden Preis: 20 Euro

Die Geschichte hätte in jedem beliebigen Krankenhaus spielen können, an der internen Routine ist sicher nichts Freiburg-Spezifisches. Doch Rothenburg empfand „den Kontrast zwischen der gerade in Freiburg so lebendigen Außenwelt und der trostlosen Parallelwelt eines Krankenhauses“ als so krass, dass es für sie gar keine andere Wahl gab, als sie mit dem Schreiben begann. Sie weiß, wovon sie schreibt: Vier Jahre hat sie in Freiburg gelebt und während ihres Bachelor-Studiums der Soziologie und Politikwissenschaft eine Woche im Uniklinikum verbracht. Dort hat sie die ihrer Romanfigur zugeordneten Erfahrungen von Ausgeliefertsein und Ungewissheit selbst gemacht, hat wie Koslik abends hinter den schalldichten Fenstern beobachtet, wie „der Mond wie ein großes helles Auge über dem Schwarzwald steht“. Und hat wie er „die eigene Identität an der Garderobe abgegeben“. Dieser Koslik erwacht eines Morgens mit Lähmungserscheinungen, fürchtet einen Schlaganfall und fährt in die Klinik – in der Hoffnung, nach ein paar Untersuchungen wieder nach Hause und zur Volkshochschule gehen zu können, wo er Englisch unterrichtet. Doch die Prozedur dehnt sich ins Unendliche, wobei ihm niemand verbindliche Auskunft über die nächsten Schritte gibt. Zwar hört er laufend diverse Fachbegriffe, doch kann er nur wenig damit anfangen. Und traut sich nicht, beim stets wechselnden Personal nachzuhaken.

64 chilli Cultur.zeit februar 2018

Julia Rothenburg bei der Lesung in Freiburg.

Schließlich wird er stationär aufgenommen und gerät in ein geschlossenes, merkwürdig gespenstisches Szenario, das mit seinen immer gleichen Abläufen und dem routinierten Zusammenwirken von Ärzten, Pflegern und Patienten nach den geheimen Regeln eines Kammerspiels zu funktionieren scheint. Koslik passt sich an – und merkt irgendwann, dass er selber „diese Choreografie vervollständigt“. Zudem schleicht sich allmählich der Eindruck ein, dass es kein Entrinnen gibt; in Erwartung eines Befunds wagt er sich nicht einmal vor die Tür. Wie ein Untersuchungsgefangener, der auf seinen Prozess harrt und dabei jegliches Zeitgefühl verliert. In seiner Handlungsunfähigkeit ergreift ihn eine seltsame Unruhe. Zumal ständig die Gefahr droht, einem ehemaligen Kommilitonen und durchsetzungsfähigen Konkurrenten wieder über den Weg zu laufen, der sich auch in der Klinik aufhält. Er wirkt auf Koslik wie ein Spiegel – und bringt ihn in die beklemmende Situation, sich mit seinem nicht eben erfolgreichen bisherigen Leben auseinanderzusetzen. Für das Manuskript dieses wunderbar kafkaesken Romans erhielt Julia Rothenburg den Retzhoff-Preis für junge Literatur – der Türöffner zur Frankfurter Verlagsanstalt. Auf ihr nächstes Buch darf man gespannt sein; sie schreibt gerade daran.


FRezi

Zwischen Stromausfall und Erleuchtung

von Carla Dörr Verlag: travediary, 2017 272 Seiten, broschiert Preis: 16,80 Euro

Zweites Wiedersehen!

von Peter Kalchthaler (Hg.) Verlag: Rombach, 2017 180 Seiten, broschiert Preis: 18 Euro

Das Erwachen der Gletscherleiche

von Roland Weis Verlag: Lindmanns, 2018 396 Seiten, broschiert Preis: 14,95 Euro

Tempel und bunte Küken

Baulücken und Bausünden

Unterwegs mit dem Eismann

(ewei) Wer Carla Dörrs Buch über ihren Freiwilligendienst in einer buddhistischen Selbstversorger-Community im Osten Thailands flüchtig durchblättert, wird an einem befremdlichen Foto hängen bleiben: Es zeigt eine zwar flauschige, jedoch grellbunte Kükenschar. Auf einem Markt bei Prasat Phanom Rung, ist dem Bildtext zu entnehmen, hat sie die giftgrünen, schrillpinken und gelben Tierchen entdeckt. Prasat Phanom Rung ist eine alte Tempelstätte; sie gilt als eine der schönsten in ganz Thailand. Gemeinsam mit Freunden reiste die damals 19-Jährige dorthin, um dem „auf Dauer etwas eintönigen Allt a g in der Asoke“ zu entfliehen – zumindest für ein paar Tage. Die Freunde reisten weiter, sie nutzte die Zeit bis zur Bus-Rückfahrt in ihre Asoke-Community zum Marktbesuch. Und fotografierte die besagten Küken, „mit einer Mischung aus Staunen und Entsetzen“. An dem Ort, an dem die Freiburgerin nach dem Abi ein Jahr lang als Englischlehrerin und Küchen- und Gartenhilfe lebte, gab es derlei Irritationen nicht: Dort ging es vegan zu. Und spirituell – in Achtsamkeit von Mensch, Natur und Tier. Sie ist dankbar für diese Erfahrungen zwischen Schule und Studium – und ihr Buch eine Anregung für künftige Freiwillige.

(ewei) Um den neu gestalteten Platz der Alten Synagoge gab es im vergangenen Sommer allerhand Unruhe. Dabei trat ein in unmittelbarer Nähe stehendes und gleichfalls nicht unumstrittenes Bauwerk ein wenig in den Hintergrund. Obwohl sich darin das rege Leben rund um den Wasserspiegel in den Grundrissen der 1938 zerstörten Synagoge vielfach widerspiegelt: die Universitätsbibliothek. Der Geschichte der UB haben die Autoren von „Zweites Wiedersehen!“ gleich zwei der 40 ausgewählten Kapitel aus der von ihnen selbst verfassten Wiedersehen-Serie der BZ gewidmet. Denn wer weiß heute noch, dass der neogotische Bau des heutigen KG IV um 1900 eigens zur Unterbringung der UB errichtet wurde. Und dass sie dort bis 1979 blieb. Und wer hat noch das alte, 1874 im Stil der italienischen Renaissance erbaute und 1958 komplett sanierte Rotteck-Gymnasium im Sinn, das 1972 abgerissen wurde, um der neuen UB Platz zu machen. Dass sie nicht einmal 30 Jahre funktionierte, bevor sie durch den futuristischen Spiegelbau ersetzt wurde, dürfte indessen vielen Freiburgern bekannt sein. Bei der Lektüre der historischen und oft ganz persönlichen Betrachtungen zu Veränderung in verschiedenen Stadtteilen werden Erinnerungen wach. Leider auch an so manche Bausünde.

(ewei) Das Telefon, das mitternachts in Johannes Emmanuel Aschendorffers Wohnung in der Beurbarung klingelt, reißt ihn nicht aus dem Schlaf: Der Direktor des Freiburger Forschungsinstituts BioGen ist gerade bei seiner üblichen Nachtlektüre. Der Inhalt des Telefonats reißt die „Koryphäe auf dem Gebiet der Genund Stammzellenforschung“ freilich fast vom Hocker: Seine Assistentin Mona, die mit einer Hochgebirgswandergruppe im Engadin unterwegs ist, erzählt, dass sie im schmelzenden Gletschereis einen toten Mann gefunden habe. Aschendorffer, ein „eingefleischter Fan tiefgefrorener Leichen“, begibt sich mit dem listenreichen Instituts-Faktotum Meslut Kaymal und einem Bofrost-Lieferwagen zweifelhafter Herkunft sofort nach St. Moritz. Gemeinsam retten sie den Eismann, den sie Bowolf nennen, vor dem Zugriff der Schweizer Behörden. Diese nehmen Bowolfs Spur jedoch auf und bitten die Freiburger Polizei um Amtshilfe. Die Presse bekommt Wind davon; Reporter Charly Katz dringt mit feinem Gespür, gezielter Recherche und den richtigen Fragen zum Kern der Wahrheit durch. Roland Weis hat diesen vergnüglichen Krimi „Zurbo“ gewidmet: Dem 2015 verstorbenen Freiburger Journalisten Karl-Heinz Zurbonsen, mit dem Charly Katz nicht nur das Kürzel gemein hat: kaz. februar 2018 chilli Cultur.zeit 65


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