Communicatio-Magazin 01/17: Lust an Gott – Lust am Lernen

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DAS MAGAZIN DES THEOLOGISCHEN SEMINARS ST. CHRISCHONA

.COM MUNI CATIO KOMMUNIKATIVE THEOLOGIE

– tt o G n a t Lus Lernen m a t s Lu tsc – investieren in Menschen

AUSGABE 1/17


l a i r o t i d E

Communicatio steht für „Kommunikative Theologie an der Arbeit“. Einige von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, haben es gewagt und gleich mitgemacht. So haben wir uns das erhofft: Runter von der Zuschauertribüne und miteinander Kommunikative Theologie bearbeiten und besprechen. Und was wir da gehört haben, das hat uns veranlasst, der zweiten Ausgabe von Communicatio einen eigenartigen Titel zu geben: Lust an Gott – Lust am Lernen. Das muss ich kurz erklären.

In Communicatio 1/2016 war die Rede von einer horizontalen Kommunikationsebene (360° mit allen möglichen Gesprächspartnern) und einer vertikalen Kommunikationsachse als Zentrum Kommunikativer Theologie (das Gespräch mit Gott). Wie wichtig dieses Zentrum zu sein scheint, das kam in einigen Reaktionen deutlich zum Vorschein. Etwa bei Johannes Hartl: „Ihrem Wesen nach aber verliert Theologie immer ihre Substanz und wird letztendlich banal, wenn sie keine betende Reflexion mehr ist.“ Dietmar Kamlah verbindet Theologie und Gottesbeziehung, wenn er mit Martin Buber antwortet: „Die ‚gesunde Lehre‘ gehört in das Grundwort Ich-Du.“ Michael Junk klinkt sich so ins Gespräch ein: „Es scheint für mich zentral zu sein, die Verwurzelung aller echten Theologie im Gebet wiederzuentdecken und aus der betenden Resonanz auf die ewige trinitarische communicatio neu hörund sprachfähig zu werden.“ An solchen Beiträgen kamen wir nicht vorbei und haben an dem weiter gearbeitet, was Uwe Rechberger so fasst: „Theologische Wissenschaft und persönliche Frömmigkeit gehören unabdingbar zusammen.“ Der Zusammenhang von Theologie und Spiritualität war dann das Thema eines theologischen Forums am tsc im Januar 2017. In seinem Vortrag zitierte Eckhard Hagedorn Hos 6,6: „Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ Könnte man so nicht versuchen, Theologie und Spiritualität wieder zusammen zu bringen wie die zwei Seiten eines Reissverschlusses?

Lesen Sie, wie Andreas Loos Kommunikative Theologie versteht: als Lust der Liebe, Gott kennen zu lernen. Ohne die Gotteskommunikation verödet die Theologie, während Spiritualität ohne Gottes­ erkenntnis nicht empfehlenswert ist. Eckhard Hagedorn zeigt das enge Zusammenspiel von Hören und Tun, Lehre und Leben auf einem kleinen Spaziergang durch die Bibel. Er will die plakativen Vorurteile abtragen, die im Hinblick auf Theologie oder Spiritualität herumgeistern. Beide sind Gefährten und Freunde. Claudius Buser dockt an bei der monastischen Theologie, die sich aus der gestalteten Liebesbeziehung zu Gott speist. Wer will, kann hier konkret lernen aus der Geschichte der Christenheit. Debora Sommer verbindet akademische Theologinnenarbeit mit einer tiefen, kreativen Spiritualität. Wie sich das in Poesie und Wortkunst ausdrückt und Menschen anrührt und verändert, erfahren Sie in einem ausführlichen Interview mit ihr. Ich hoffe sehr, dass Sie richtig Lust bekommen, wenn Sie die zweite Ausgabe von Communicatio durcharbeiten.

Dr. Benedikt Walker Seminarleiter tsc


INHALT SEITEN 4-7

KOMMUNIKATIVE THEOLOGIE UND DIE LUST AN GOTT DR. ANDREAS LOOS

SEITEN 8-13

ZUSAMMENSPIEL PFR. DR. ECKHARD HAGEDORN

SEITEN 14-19

MONASTISCHE THEOLOGIE – LERNEN AUS LIEBE ZU GOTT CLAUDIUS BUSER

SEITEN 20-23

THEOLOGIE UND SPIRITUALITÄT SIND WIE SIAMESISCHE ZWILLINGE EIN GESPRÄCH MIT TSC-DOZENTIN DR. DEBORA SOMMER

SEITEN 24-25

GOTT SPRICHT EIN GEDICHT VON DR. DEBORA SOMMER

SEITEN 26-27

ÜBER DAS TSC


KOMMUNIKATIVE THEOLOGIE UND DIE LUST AN GOTT

n a t s u L Gott .COMMUNICATIO | AUSGABE 1/16 | SEITE 4

m a t s Lu n e n r Le


Unsere Lust an Gott ist Antwort auf seine ewige Lust, mit der er uns will – Spiritualität ohne Erkenntnis Gottes ist nicht empfehlenswert – Theologie ist die Lust der Liebe, Gott kennen zu lernen – ohne Spiritualität verdorrt die Theologie, und umgekehrt.

THEOLOGIE – DIE LUST, GOTT KENNEN ZU LERNEN

SPIRITUALITÄT – LUST AN GOTT? Lust – das ist ein vorbelasteter Begriff. Kann man den überhaupt verwenden, wenn es um Gott geht? Ich denke, man kann. Dabei muss aber klar sein, wer hier den ersten Rang einnimmt: Die Lust selbst oder Gott? Wenn es die Lust selbst ist, dann ist Gott lediglich das Mittel zur Lustbefriedigung. Das würde gut zu einem Leben passen, in dem das maximale Erleben von Lust das höchste Ziel ist (Hedonismus). Woran wir dann Lust haben, das ist letztlich egal. Es können andere Menschen oder Geschöpfe sein. Sie werden gnadenlos zu Lustobjekten degradiert. Es können Handlungen sein, die wir je länger je mehr nur deshalb tun, um Lust zu empfinden: konsumieren, shoppen, essen, trinken, Sex haben, im Internet surfen . . . Das Problem mit dieser verselbstständigten Lust (concupiscentia): Sie lebt nur noch relativ zu sich selbst. Sie frisst nicht nur die Mitgeschöpfe auf, sondern wird zu einer Sucht, in der sich der Lustmensch selbst verzehrt. Darauf machen Anthropologen, Verhaltensforscher, Soziologen und Philosophen aufmerksam. Schon die Bibel weiss um die selbstzerstörerische Gravitationskraft, die sich bis zur Lust am Bösen und der Sünde selbst steigern kann (Spr 10,23; 12,12; Jes 66,3; 1Kor 10,6; 2Thess 2,12). Wenn aber Gott den ersten Rang einnimmt, dann entsteht eine heilige Lust. Denn Gott selbst ist es, der seine Lebensfülle, Güte, Wahrheit und Schönheit mit den Menschen teilt und ihnen schenkt. Und er tut das mit Lust und Liebe. Er hat Lust an den Menschen, an ihrem Heil und Glück (Ps 18,20; Spr 8,30-31). Und er nennt

Dr. Andreas Loos

AUF DEN PUNKT GEBRACHT:

sein Volk „meine Lust“ (Jes 62,4)! Vermutlich ist das der Grund, warum wir Menschen uns voll Freude, Wonne und Entzücken an den Gütern, Erfahrungen und Zuständen des Heils ergötzen können (5Mo 14,26; 2Sam 24,3; Jes 35,2; 58,13). Der hinreissende Gott ist das Gravitationszentrum unserer Seele, die nach ihm lechzt (Ps 42,2). Und wie leidenschaftlich und eifersüchtig er uns liebt, das zeigt er endgültig, indem er uns im Sohn, Jesus Christus, und im Heiligen Geist alles schenkt, was er geben kann (Röm 8,32). Wer glaubt, der antwortet Gott auf diese Liebe, und zwar mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Verstand (Mt 22,37). Glauben heisst, Lust zu haben an Gott und auch auf Gott (Ps 1,2; 37,4; Jes 58,14; Röm 7,22). Oder wie Luther in seinem Grossen Katechismus sagt: „Lust und Liebe zu allen Geboten Gottes.“ Und mit Johann Sebastian Bach singt die Christenheit im Choral „Jesus bleibet meine Freude“ von „meiner Augen Lust und Sonne, meiner Seele Schatz und Wonne.“ Ich plädiere also dafür, dass Spiritualität unter anderem auch meint, Gott und seine Gaben mit vollen Zügen zu geniessen und zu feiern. Die Kunst, geistbestimmt zu leben (ars spiritualis), beinhaltet auch, dass wir die Affekte und Emotionen, mit denen Gott uns begabt hat, kultivieren und so eine heilige Lust an Gott einüben. Aber was hat das nun mit Kommunikativer Theologie zu tun?

Sich mit Lust und Liebe zu Gott in Beziehung zu setzen, das geschieht laut dem höchsten Gebot nun auch durch den Verstand oder das Erkenntnisvermögen (dianoia) des Menschen (Mt 22,37). Der Zusammenhang von Liebe und Erkennen ist derart eng, dass die Weisheit Gottes in Spr 8,30-31 (dahinter könnte der Sohn Gottes, der Logos aus Joh 1,1-18 stecken) sein ewiger Liebling und seine ewige Lust ist. Kann man hier von einer trinitarischen Lust Gottes sprechen?

„Die erste Betätigung der Liebe zu Gott ist, dass wir an Gott denken, da die Liebe den Lauf unserer Gedanken zu dem hinlenkt, dem sie sich gibt … Die Liebe Gottes ist die reine, unvergängliche Wurzel der Theologie in allen ihren Stufen.“ Adolf Schlatter: Dogma, S. 510.

Jedenfalls hat der dreieine Schöpfer Lust an den Menschen, die er geschaffen hat. Es ist daher keine Überraschung, wenn Gott in Hos 6,6 klarmacht: „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ Die Beziehung des Glaubens, der Liebe und Hoffnung zu Gott ist gar nicht möglich, ohne dass der Mensch Gott kennenlernt. Als ob man sagen könnte: „Hauptsache, ich glaube an Gott und liebe ihn, aber wer er ist, das muss ich nicht so genau

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ZUSA MMEN SPIEL AUF DEN PUNKT GEBRACHT: Kommunikative Theologie und Spiritualität gehören eng zusammen – sie sind gefährdete Gefährten – sie brauchen einander, um die jeweilige Betriebsblindheit des anderen aufdecken zu können.

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Ein paar spielerische Szenen, zum Beispiel Fussball bei Bayern München: Doppelpass zwischen Franck Ribéry und Arjen Robben, Schuss; der Ball schlägt im rechten oberen Eck ein, unhaltbar. Ein Symphonieorchester: eine Vielfalt von Instrumenten und Begabungen; jede Instrumentengruppe spielt etwas anderes. Zu hören sind Harmonien, Dissonanzen, die sich wieder auflösen. Zu sehen ist auch ein Dirigent, der das Zusammenspiel leitet. Zwei Ladendiebe: Der eine lenkt eine Kundin ab, der andere schnappt sich ihr Portemonnaie – perfektes Zusammenspiel. Im Sandkasten: Zwei Buben spielen miteinander und es entsteht eine Sandburg. Dann laute Worte, eine Rauferei, eine kaputte Burg. Aber die beiden versöhnen sich wieder. Neues Zusammenspiel. So ist es auch mit dem Zusammenspiel von Kommunikativer Theologie und Spiritualität.

Wir können und müssen damit leben, dass die Begriffe „Theologie“ und „Spiritualität“ heute sehr unterschiedlich gefüllt werden. Klar ist zwar, dass „Theologie“ sich von theos, Gott, herleitet und Spiritualität von spiritus, Geist. Damit ist an sich noch nicht viel gewonnen. Bleiben wir aber in Rufweite der Bibel, ergeben sich schnell sinnvolle Perspektiven.

DAS INEINANDER VON SPIRITUALITÄT UND THEOLOGIE Wir setzen an bei Römer 8: Hier ist Spiritualität das „dem Geist gemässe“ Leben, ein Ganzes also und nicht nur ein religiöser Bereich neben anderen Bereichen. Dieses Ganze braucht freilich spezielle Akte, Vollzüge, Übungen, Gewohnheiten, ausgesonderte Zeiten und Räume, um ein Ganzes sein und bleiben zu können. Wolfgang Bittner spricht von der „Beziehungspflege der Beziehung zu Gott“. Wie eng Kommunikative Theologie und Spiritualität zusammengehören, zeigt sich daran, dass es oft um dieselben biblischen Zusammenhänge und Stellen geht. Gott spricht zu Abram (Gen 17,11): „Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm.“ „Fromm“ gibt in der Lutherbibel verschiedene Grundtextwörter wieder: gut, gerecht, weise, redlich. „Ein Christ, der so ist, wie er sein soll, der ist fromm“, meint Friso Melzer. Spirituell geht es um ein Leben im Angesicht Gottes, Lebensgestaltung aus der Berufung heraus. Spiritualität ist die gelebte Antwort auf die Frage: Wie gestaltet jemand, mit dem Gott einen Bund geschlossen hat, seine Beziehung zu Gott? Und damit betritt man den Bereich der Theologie. Es geht um die Lehre von Gott, seinem Bund und seiner Berufung.

Pfr. Dr. Eckhard Hagedorn

EINE KLEINE WANDERUNG DURCH DIE BIBEL

„Spiritualität ist die gelebte Antwort auf die Frage: Wie gestaltet jemand, mit dem Gott einen Bund geschlossen hat, seine Beziehung zu Gott? Und damit betritt man den Bereich der Theologie.“ Hans Walter Wolff (1911-1993) hat das „Wissen um Gott“ in Hos 4,1 und 6,6 als „Urform von Theologie“ bezeichnet. Es geht um eine verständig-gehorsame Gottesbeziehung, die Gott für das Gottesvolk wirklich Gott sein lässt. Wir finden ein Ineinander von Spiritualität und Theologie vor. In Hos 6,6 steht Erkenntnis Gottes synonym für Liebe zu Gott: „Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“

FÜNF ASPEKTE DER ERKENNTNIS GOTTES Heinzpeter Hempelmann hat aus über 1‘100 alttestamentlichen Stellen, an denen „erkennen“ und „Erkenntnis“ vorkommen, fünf Aspekte herausgearbeitet und diese im Neuen Testament wiedergefunden: 1. den kognitiven (wahrnehmenden) Aspekt – dabei geht es um eine „sinnvolle, inhaltlich bestimmbare Erfahrung, die die Erkenntnis des Erkennenden beansprucht“, 2. den konstativen (feststellenden) Aspekt, ein „aus Erfahrung gewonnenes Wissen, das kein toter Besitz ist, sich vielmehr dem Stehen vor Gott verdankt“,

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ZUS MME SPI .COMMUNICATIO | AUSGABE 1/17 | SEITE 11


Monastische Theologie – Lernen aus Liebe zu Gott AUF DEN PUNKT GEBRACHT: Monastische Theologie fliesst aus der Beziehung mit Gott und wieder in sie hinein – ihre Vertreter fanden bei Luther höchstes Lob – wir können vieles lernen von der „kommunikativen“ Theologie der Mönche des Mittelalters.

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2017 gedenken wir 500 Jahren Reformation: Feiern wir dabei die Schritte der Reformatoren raus aus der Vormundschaft der katholischen Kirche und die neu selbstverantwortlich und individuell gestaltete Gottesbeziehung der evangelischen Christen? Sind die Protestanten aus dem vormodernen Mief der Klöster und finsteren Kirchen selbstbewusst in die Freiheit einer neuen Zeit geschritten unter dem Motto: Nichts soll bleiben, wie es war, alles soll besser werden? Viele mögen zustimmend nicken, aber weder die Reformatoren noch die Väter des Pietismus haben alles beiseitegeschoben, was an Weisheit und Erkenntnis bei der mittelalterlichen Kirche zu finden ist. Die Freude an Gott, die innige Liebe zu ihm, ja, die spürbare Lust an seinem Wort wurde gelesen und verbreitetn, in Schriften wie der anonymen „Theologia Deutsch“, der „Imitatio Christi“ von Thomas von Kempen oder den Texten von Bernhard von Clairvaux. Denn bei den Kirchenvätern und Gelehrten des Mönchtums konnte und kann man lernen, wie Theologie und Spiritualität, Gelehrsamkeit und geistliches Leben zusammenspielen. „Monastische Theologie“, so bezeichnet man heute eine Theologie, die aus der Beziehung mit Gott fliesst und wieder in sie hineinführt. Theorie und Praxis des Glaubens sind hier keine Gegensätze. Der Beter ist hier immer Theologe, und die Theologie immer anbetend. Es handelt sich also um eine „kommunikative“ Theologie, die von Gott spricht, während sie zugleich mit ihm redet. Wir haben gute Gründe – wie die Reformatoren und Pietisten – die monastische Theologie nicht beiseite zu schieben, sondern von ihr zu lernen.

MONASTISCHE THEOLOGIE – EINE GESCHICHTLICHE SKIZZE Die monastische Tradition hat tiefe Wurzeln. Sie geht zurück auf die Anfänge des Mönchtums in den Wüsten Syriens und Ägyptens. Von dort aus tritt sie einen beeindruckenden Weg an, der sie auch nach Europa bringt. Sie umfasst neben den Texten der Wüstenväter auch die Schriften der Kirchenväter, mit denen sich die Mönche des Mittelalters stark auseinandersetzen, indem sie diese weitergeben und kommentieren. Während dieser Jahrhunderte ist die Rede von Gott durch die Arbeit in den Klosterschulen geprägt. Inhaltlich geht es den Mönchen eher um eine „praktische Theologie“: Es werden Predigten für die tägliche Lehrverkündigung und Schriftauslegungen verfasst, um das Verständnis der Bibel und der Gottesbeziehung zu vertiefen. Auf den ersten Blick sind diese Jahrhunderte, in denen die monastische Theologie die Norm war, nicht gerade Blütezeiten für die Dogmatik. Alf Härdelin schreibt dazu: „Mit wenigen raschen Schritten eilen [die Handbücher der Dogmen- und Theologiegeschichte] von den Lehrstreitigkeiten der Väterkirche zu Anselm, der zwar Mönch war, aber gewöhnlich als ‚Vater der Scholastik‘ angesehen wird. […] Von einer ‚monastischen Theologie‘ ist jedoch kaum die Rede, höchstens davon, was gelegentlich ‚vorscholastische Theologie‘ genannt wird.» (Härdelin: Monastische Theologie, S. 109). Diese „vorscholastische Theologie“ ist ausgerichtet auf das Denken und Reden über Gott, die Metaphysik allgemein und natürlich die Auslegung der Heiligen Schrift. (vgl. Köpf: Die Anfänge, S. 13.) Der Begriff der Theologie erweitert sich nun aber während des 12. Jahrhunderts grundsätzlich. Erstens wird der Umfang grösser, weil „die Einsicht [wächst], dass die theologia ein grosser, den ganzen Bereich religiöser Phänomene […] umfassender Organismus ist, der sich mit der herkömmlichen Vorstellung von Gotteslehre nicht mehr deckt.“ (Köpf: Die Anfänge, S. 19). Zweitens wird die Methode verändert: „Theologia ist nun nicht mehr ein beliebiges, sondern ein wissenschaftliches Denken und Reden über Gott.“ (Ebd.) Zusätzlich nimmt die Theologie das Gespräch mit anderen sich entwickelnden wissenschaftlichen Bereichen auf.

Claudius Buser (Th.M.)

1.

Dies führt zu Spannungen zwischen bisheriger Praxis und der neuen Art, Theologie zu betreiben. Die neue Form, als Scholastik bezeichnet, setzt sich im wissenschaftlichen Diskurs auf breiter Basis durch. Erst im 20. Jahrhundert führt der Benediktiner Jean Leclercq den Begriff „monastische Theologie“ für die früh- und hochmittelalterliche Art des theologischen Arbeitens ein. 2009 hat Papst Benedikt XVI. in einer Generalaudienz über die beiden theologischen Richtungen gesprochen: „Die Vertreter der monastischen Theologie waren Mönche, im allgemeinen Äbte, begabt mit Weisheit und glühendem Eifer für das Evangelium, die sich im Wesentlichen dafür hingaben, die liebevolle Sehnsucht nach Gott zu wecken und zu nähren. Die Vertreter der scholastischen Theologie waren gebildete Männer voller Leidenschaft für die Forschung; ‚Magistri‘, die von dem Wunsch erfüllt waren, die Vernünftigkeit und Begründetheit der Geheimnisse Gottes und des Menschen aufzuzeigen, die gewiss mit dem Glauben angenommen, aber auch von der Vernunft verstanden werden. Die unterschiedliche Zielsetzung erklärt den Unterschied ihrer Methode und ihrer Art und Weise, Theologie zu betreiben.“ (Benedikt XVI. Generalaudienz, Mittwoch, 28. Oktober 2009, Libreria Editrice Vaticana). Während die scholastische Theologie in der Reformation in Verruf gekommen ist, weil die Humanisten und Reformatoren darin nur noch Theologengezänk gesehen haben, finden Vertreter einer monastischen Theologie, wie Bernhard von Clairvaux, bei Luther höchstes Lob: „Ist jemals ein gottesfürchtiger und frommer Mönch gewesen, so war‘s St. Bernhard, den ich allein viel höher halte als alle Mönche und Pfaffen auf dem ganzen Erdboden.“

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„Theologie

und Spiritualität sind wie siamesische Zwillinge.“ EIN GESPRÄCH MIT TSC-DOZENTIN DR. DEBORA SOMMER ÜBER DIE LUST AN GOTT UND DIE LUST AN DER THEOLOGIE – UND WIE BEI IHR BEIDES ZUSAMMENSPIELT.

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Communicatio: Liebe Debora Sommer, sehen Sie das auch so, dass Theologie und Spiritualität zusammengehören? Debora Sommer: Ja, zweifellos und unbedingt gehören Theologie und Spiritualität zusammen. In einer Würdigung von Bonhoeffers Werk durch Kurt Koch ist mir neulich die Formulierung begegnet, dass Theologie und Spiritualität zusammengehören wie siamesische Zwillinge, die man nicht auseinanderreissen dürfe. Ein interessanter Vergleich! Wie spielen bei Ihnen die Lust an Gott (Spiritualität) und die Lust am Lernen (Theologie) zusammen? In meinem Leben verbinden sich mit der Theologie und Spiritualität zwei Leidenschaften und auch zwei Pole meiner Persönlichkeit. Einerseits der Kopfmensch, der intellektuell verstehen und dazulernen will. Andererseits die Künstlerin mit einer reichen Gefühlswelt, die sich danach sehnt, Gott auf existenzielle Weise tief im Innersten zu erfahren und bei ihm zur Ruhe zu kommen. Eckhard Hagedorn schreibt in seinem Beitrag, dass die „Gefährten“ Theologie und Spiritualität auch gefährdet sind. Die Gefahr lauert darin, dass eines der beiden zu Lasten des anderen betont oder das eine gegen das andere ausgespielt wird. Wo sehen Sie Gefahren einer einseitigen Theologie bzw. einseitigen Spiritualität? In gewisser Weise sehe ich das Theologisieren als Tun vor Gott und dem gegenüber die Spiritualität als Sein vor Gott. Beides ist extrem wichtig und befruchtet sich gegenseitig. Und beides soll im praktisch gelebten Glauben zum Ausdruck kommen. In der Art und Weise, wie wir unseren Glauben leben und unsere Überzeugungen weitergeben, prägen wir andere Menschen. Und genau hier sehe ich eine Gefahr der Einseitigkeit. Andere Menschen zu prägen, ist mit grosser Verantwortung verbunden. Je mehr wir dazulernen und Zusammenhänge verstehen, desto grösser wird die Gefahr, sich etwas auf die eigenen Erkenntnisse einzubilden und anderen Menschen seine eigenen Überzeugungen aufzudrängen. Dies kann bis zu geistlichem Missbrauch führen.

Die Spiritualität wirkt hier als Korrektiv. Das Sein vor Gott lehrt uns eine gesunde Demut, indem wir immer wieder neu erkennen, wer Gott ist und wer wir sind. Ebenso, dass all unsere Erkenntnis nur Stückwerk ist und dass allein in Jesus alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind. Wir brauchen eine geistliche Metamorphose, bei der unser ganzes Wesen – unser Sein und Tun – mehr und mehr von dem Einen geprägt werden, der als Einziger vollkommen, gerecht und weise ist. Von dieser geistlichen Metamorphose handelt auch mein neues Buch „einzigartig“. Auf der anderen Seite kann die Theologie aber auch zum Korrektiv für eine Spiritualität werden, welche die eigenen Gefühle und geistlichen Erlebnisse zum Massstab für den Glauben anderer Christen macht. Wie haben Sie Ihre Lust an der Theologie entdeckt – und wie hält sie bis heute an? Rückblickend denke ich, dass erste Ansätze hierfür bereits in meiner Kindheit da waren. Als Tochter eines Pastors und Theologieprofessors hörte ich bereits als Kind und Teenager eine Vielzahl von Predigten und Referaten. Schon früh hielt ich spannende Erkenntnisse in meiner Bibel fest und dachte über viele Dinge nach. Besonders scheinbare Widersprüche faszinierten mich und ich bemühte mich herauszufinden, ob und wie sie aufzulösen waren. Mein Weg zum Theologiestudium entsprach nicht meiner ursprünglichen Berufsplanung, sondern war eine eindrückliche Lebensführung von Gott. Das Studium machte mir viel Freude. Begeistert lernte ich alte Sprachen, tauchte ein in die Zeit der Bibel, in die faszinierende Kirchengeschichte und vieles mehr.

Debora Sommers neues Buch „einzigartig“ ist im März 2017 erschienen.


Ich erhielt aber nicht wie erwartet Antworten auf meine vielen Fragen, sondern stattdessen vermehrten sich die Fragen laufend. Es gab so vieles, das ich noch genauer verstehen wollte. So viele Themenbereiche, in die ich mich gerne weiter vertieft hätte. Und genau an dem Punkt bin ich bis heute. Ich muss mich nicht krampfhaft darum bemühen, die Lust an der Theologie am Leben zu erhalten. Vielmehr stelle ich schmerzlich fest, dass mein Leben zu kurz ist, all dem nachzugehen, was mich interessiert, was ich noch lernen oder sogar liebend gerne noch studieren möchte. Um meine Wissbegierde zu befriedigen, lese ich viel und gerne und stelle mich auch immer wieder Herausforderungen, bei denen ich gewissen Themen auf den Grund gehen und mein Wissen punktuell vertiefen kann.

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Dr. Debora Sommer ist Leiterin des Fernstudiums am Theologischen Seminar St. Chrischona (tsc) und hat es mit aufgebaut. Daneben ist sie Vorstandsmitglied der „Gesellschaft für Bildung und Forschung in Europa“ sowie CoResearcherin am Department of Christian Spirituality, Church History & Missiology der University of South Africa. Kontakt: debora.sommer@tsc.education


DIE STUDIENANGEBOTE AM TSC

Gottes Botschaft verstehen und vermitteln. Inhaltlich breit gefächert, gleichzeitig ausgerichtet auf eine Kommunikative Theologie für die Menschen von heute. 3 Jahre Präsenzstudium. Abschluss: Bachelor in Theologie (Honours), validiert von der Middlesex Universität London

Solides theologisches Studium und vielseitige pädagogische Ausbildung. 3 Jahre Präsenzstudium. Abschluss: Bachelor of Arts (Honours) Theologie & Pädagogik, validiert von der Middlesex Universität London

Verbindung aus grundlegendem theologischem Studium und professioneller musikalischer Ausbildung. 3 Jahre Präsenzstudium. Abschluss: Bachelor of Arts (Honours) Theologie & Musik, validiert von der Middlesex Universität London

NEU: Online-Kurse zur individuellen Weiterbildung Wählen Sie zielgerichtet die Studienmodule, die Sie interessieren oder Sie in Ihrem beruflichen Kontext weiterbringen: Die flexible Art, Theologie zu studieren. Abschluss: Bachelor of Arts (Honours) in Theologie (Distance Education), Validierung durch die britische Middlesex Universität London ist aktuell in Bearbeitung (subject to validation).

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- Führungsverantwortung - Griechisch - Mitarbeiterführung und Coaching - Einführung in die Evangelische Theologie und Spiritualität - und viele mehr … Start der Online-Kurse: 4. September 2017 Mehr Informationen: www.tsc.education/online-kurse

10 Monate theologische Weiterbildung und Gemeinschaft auf dem Chrischona-Campus.


EINE INVESTITION, DIE SICH LOHNT Seit 1840 hat das tsc bereits mehr als 6400 Menschen ausgebildet. tsc-Absolventen engagieren sich in vielen christlichen Gemeinden, Missionen und Werken – weltweit. In jeden Einzelnen hat das tsc investiert – theologisch, geistlich und persönlich. Eine Investition, die sich lohnt. Dank vieler Menschen, die hinter dem tsc stehen:

Beter, die für die Mitarbeiter und Stu denten auf dem Chrischona-Campus vor Gott einstehen. Botschafter, die andere Menschen auf das tsc und seine Angebote hin weisen. Geber, die dem tsc Geld spenden und damit die wichtige Investition in Men schen am tsc ermöglichen.

Möchten Sie für das tsc beten und wünschen Gebetsanliegen? Dann schreiben Sie an gebetsbrief@tsc.education. Möchten Sie als Botschafter das tsc in Ihrem Umfeld bekannt machen? Nützliches Infomaterial bestellen Sie per Mail an tsc@tsc.education. Möchten Sie mit einer Spende dem tsc ermöglichen, in Menschen zu investieren? Infos dazu finden Sie unter www.tsc.education/spenden

AUSBLICK

IMPRESSUM

Die nächste Ausgabe von Communicatio erscheint im Herbst 2017. Das Thema dann: Kommunikation. Hm, war das nicht in den bisherigen Heften irgendwie immer Thema? Natürlich. Es ist ja schliesslich ein Magazin, das sich einer „Kommunikativen Theologie“ widmet. Das Communicatio 2/17 geht deshalb dem „Kommunikativen“ auf den Grund und will danach fragen, wie wir heute über Kommunikation denken und wie wir kommunizieren.

COMMUNICATIO ist das Magazin des Theologischen Seminars St. Chrischona (tsc). Es widmet sich den vielfältigen Themen einer „Kommunikativen Theologie“, wie sie am tsc gepflegt und erarbeitet wird.

Das Communicatio erscheint zweimal im Jahr, jeweils im Frühjahr und Herbst.

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HERAUSGEBER Dr. Benedikt Walker, Seminarleiter tsc Theologisches Seminar St. Chrischona (tsc) Chrischonarain 200, 4126 Bettingen, Schweiz, Sekretariat: Tel. +41 (0)61 646 44 26 E-Mail: tsc@tsc.education www.tsc.education INHALTLICHES KONZEPT Dr. Andreas Loos, Dozent am tsc REDAKTION Michael Gross, Leiter Kommunikation Chrischona International Tel. +41 (0)61 646 45 57 E-Mail: michael.gross@chrischona.ch ERSCHEINUNGSTERMIN Mai 2017 ERSCHEINUNGSWEISE zweimal im Jahr, jeweils im Frühjahr und im Herbst. LAYOUT Fabrice Ettlin Grafik, www.fabriceettlin.ch www.communicatio-magazin.ch


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