Social Media in der DNA

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social media Zeitungsbranche

Social Media in der DNA Längst sind die Zeitungsverlage im Social Media-Bereich aktiv – jedoch nicht in allen Themenfeldern. Da geht noch was, sagen die beiden Gastautoren Christian Hoffmeister und Holger Kansky.

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tungen in den unterschiedlichen Wertschöpfungsbereichen. Dabei zeigen sich vielversprechende und zum Teil auch vergessene Ansätze. Gerade der „Leser-Reporter“ ist bei vielen technisch und konzeptionell gesehen noch kein wirkliches Handlungsfeld für den Einsatz von Social Media. Ebenso wenig werden die Anwendungsmöglichkeiten von internen sozialen Netzwerken zur Optimierung der Prozesse im Bereich Wissen und Transparenz als Ansatzpunkt für Social Media-Produkte gesehen, noch weniger werden CollaborationAngebote und offene Innovations-Plattformen eingesetzt. Letztgenannte finden sich in anderen Branchen massenhaft und zum Teil höchst erfolgreich wieder.

Relevanz steigt Die Relevanz von Social Media spiegelt sich in der Verlagsumfrage wider. Dennoch zeigen die Ergebnisse den sehr engen Fokus, den Zeitungen bisher auf das Themenfeld legen. 93 Prozent gaben an, dass ihre Zeitungsmarke im Social Web aktiv ist. Fast alle sind in sozialen Netzwerken präsent. Die großen Titel sind in den Angeboten von Facebook und Twitter vollständig auffindbar. Da die meisten Teilnehmer das Handlungsfeld als zunehmend relevant einstufen, verwundert es nicht, dass schon kurz nach der Öffnung von Unternehmenspages bei Google+ zahlreiche Zeitungstitel aktiv waren. Der Online-Auftritt der Welt startete aus dem Stand mit über 4.000, der der Bild mit knapp 600 Followern – ein Wert, den auch Sueddeutsche.de vorweisen kann. Regionale Zeitungen wie die Neue Westfälische oder die Rheinische Post haben ebenso bemerkenswerte Follower-Zahlen generiert Operativ werden damit die Ergebnisse der LEAD digital 03_2012

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eitungen und Social Media kann seit Jahren fast als symbiotische Beziehung gesehen werden. Dabei wird das Themenfeld mal sehr zeitungsnah, mal sehr zeitungsfern, etwa durch den Aufbau eigener lokaler Communitys unter neuen Brands, definiert. Sieht man sich den aktuellen Umsetzungsschwerpunkt an, wird Social Media wieder stark redaktionsnah eingesetzt. Die Zielsetzungen, die Zeitungen mit den vielen Aktivitäten in den Netzwerken vefolgen, sind größtenteils auf die Verbreitung redaktioneller Inhalte gerichtet. Die Nutzung und Anwendungen im Bereich der sozialen Netzwerke sind dabei auch sehr gut und werden bei vielen Zeitungsmarken stark genutzt: So sind zum Beispiel fast eine halbe Millionen Menschen Fan von Bild. Auch FAZ oder Süddeutsche Zeitung können gute Fanzahlen ausweisen. Allerdings verengt diese Sichtweise – das heißt die Definition, Social Media stark auf Netzwerke bezogen anzulegen – die Ausschöpfung des gesamten Potenzials im Handlungsfeld. Social Media ist nicht allein mit sozialen Netzwerken gleichzusetzen; es geht vielmehr um die Anwendung und Verknüpfung der im Internet ursprünglich getrennt voneinander eingesetzten Funktionen „Kommunikation“, also zum Beispiel Chat und E-Mail, „Vernetzung“ (zum Beispiel Kontaktnetzwerke wie Plaxo) und „Verteilung“ (etwa die Peer-to-PeerAnwendungen). Wird Social Media so verstanden, gibt es zahlreiche weitere Anwendungsfelder für Zeitungsverlage. In der BDZV-Studie „ Social Media als Herausforderung für Zeitungsverlage“ wurden Zeitungen daher nicht nur auf die konkreten Anwendungsfälle in externen sozialen Netzwerken hin analysiert und befragt. Vielmehr wurde der Fokus erweitert auf die unterschiedlichen Konzepte und Ansatzpunkte von Zei-


Studie bestätigt. Fast 90 Prozent gaben an, ihre Aktivitäten auszubauen, vor allem um Nutzer auf die eigene Website zu führen. Das ist bemerkenswert, wenn man sich ansieht, wie viele Channels und Pages die Zeitungen bereits aufgebaut haben und auch pflegen müssen. Die Welt twittert auf zwölf Kanälen, die Bild betreibt gut zehn Fanpages bei Facebook, und auch Zeitungen mit geringerer Auflagenhöhe und Online-Reichweite sind zum Teil mit vielen Angeboten aktiv. 44 Prozent der Teilnehmer sind bei Facebook und Twitter mit mehr als zwei Accounts vertreten.

Mehr Geld, besseres Image Warum? Weil die Teilnehmer ihren Traffic vergrößern wollen, um dadurch ihre Werbeeinnahmen zu erhöhen oder um digitale Produkte wie Apps zu pushen – und ihr Image verbessern wollen. Aber nicht nur diese Zielsetzungen verdeutlichen, dass Social Media aktuell noch stark auf Netzwerke mit redaktionellem Fokus eingegrenzt wird. Auch die Analyse der operativen Betreuung zeigt, dass Social Media ein stark redaktionell gesteuertes Thema ist: Bei über 80 Prozent ist hierfür die Redaktion fzuständig. Social Media-Monitoring und Geosocial Media werden als die kommenden relevanten Themen benannt. In der Umsetzungsplanung liegt der Fokus jedoch auf dem Aufbau eigener User-Generated-ContentAngebote, wie zum Beispiel Leser-Reporter-Plattformen und Nutzung des Potenzials zur Bewerbung eigener Produkte und Themen in den Netzwerken. Zeitungsverlage können sich dabei aus einem großen Vorlagen-Pool von Unternehmen anderer Branchen, aber auch News-Angeboten aus England oder den USA, bedienen. Gerade

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„Die fast symbiotische Beziehung von Zeitungen zu Social Media wird sich intensivieren – aber wie in jeder Beziehung muss daran gearbeitet werden.“ Christian Hoffmeister, Bulletproof / Holger Kansky, BDZV

der Guardian und die New York Times öffnen ihre Angebote für externe „Entwickler“: Der Guardian arbeitet bei einigen Projekten mit der sogenannten „Crowd“, also engagierten Bürgern, zusammen. Beim Einsatz von Netzwerken zur Optimierung der internen Kommunikation und Zusammenarbeit können Verlage sich die Beispiele von BASF oder der Telekom ansehen. Offene Entwickler-Schnittstellen setzen der CarsharingAnbieter Car2Go ebenso ein wie der Anbieter von Navigationskarten „Navteq“. Social Media ist also ein hoch relevantes, allerdings eben auch hochkomplexes und vielschichtiges Handlungsfeld, das von neuen organisatorischen bis hin zu Kompetenz- und Anwendungs-Fragen reicht bei Zeitungsverlagen. Die Teilnehmer sagen laut Studie selbst, dass es in den Verlagen noch keine klare, nachhaltige Strategie gebe. Vielmehr gehe es darum, die Ziele individuell und bereichsorientiert festzulegen und sukzessive eine Maßnahmenplanung zu formulieren. Perspektivisch wird allerdings Social Media auch die Unternehmensorganisation als Ganzes massiv beeinflussen und die Wertschöpfung verändern. Sieht man sich Unternehmen wie Apple oder Google an, dann zeigt sich, wie stark Konzepte, die eigentlich rein bei Social Media-Plattformen wie Facebook vermutet werden, inzwischen als Unternehmensstrategie in wichtigen

Wertschöpfungsbereichen implementiert werden. Apple setzt sowohl auf Cloud-Konzepte wie auch auf Open-Innovation im Bereich der App-Entwicklung. Und Google integriert das Netzwerk Plus immer mehr als Social Layer, das die vielen Dienste, die zum Teil anonym genutzt werden, immer mehr mit „identifizierten“ Usern vernetzt und somit den Anwendungsnutzen für die User, aber vor allem für sich als Unternehmen steigert.

Fazit: Hohes Potenzial Das Themenfeld hat ein hohes Potenzial, allerdings bedeutet es auch noch mehr Arbeit für Zeitungsverlage, die am stärksten von dieser Entwicklung profitieren können, Denn Zeitungen enthalten bereits eine Menge an Social Media-DNA in ihrer Unternehmensstruktur. Diese Mutation positiv zu gestalten, wird in Zukunft die Aufgabe für Verlagsmanager und Chefredakteure sein. Die fast symbiotische Beziehung von Zeitungen zu Social Media wird sich mit Sicherheit intensivieren – aber wie in jeder Beziehung muss daran gearbeitet werden, um das volle Potenzial ausschöpfen zu können. Dazu wird es aber teilweise tiefere Veränderungen auf Verlagsseite geben müssen – denn leider sind auch die schönsten Beziehungen manchmal sehr schmerzlich. Christian Hoffmeister, Bulletproof, Holger Kansky, BDZV

Christian Hoffmeister

Holger Kansky

Die Bulletproof Media in Hamburg ist eine Strategieberatung und Think Tank für eine neue Medienökonomie und Medieninnovation im Bereich Social Media, E-Publishing und digitaler Kundengewinnung. Ihr Gründer Christian Hoffmeister fungiert als geschäftsführender Gesellschafter.

Seit 2006 ist Holger Kansky beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin aktiv. Dort ist er als Referent für die Verbands-Aktivitäten im Bereich Multimedia zuständig und vertritt die Brancheninteressen in verschiedenen Gremien.

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