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Die Presse Unabhängige Tageszeitung für Österreich Wien, am 27.01.2021, 312x/Jahr, Seite: 9 Druckauflage: 54 440, Größe: 70,15%, easyAPQ: _ Auftr.: 8420, Clip: 13351826, SB: Ischgl
Warum Virus-Sequenzierungen so wichtig sind Pandemie. Das Zerlegen des Coronavirus in seine Einzelteile ist ein Schlüssel zur Beobachtung der Pandemie. Österreich befindet sich im Mittelfeld, holt aber auf. VON KÖKSAL BALTACI
Wien. Spätestens seit der Ausbreitung der deutlich ansteckenderen britischen und südafrikanischen Variante in fast ganz Europa ist das sogenannte Sequenzieren des Virus in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Das Zerlegen des aus rund 30.000 Basen (Nukleotiden) bestehenden Genoms in seine Einzelteile, um relevante Veränderungen (Mutationen) festzustellen und daraus Rückschlüsse auf Infektionswege zu ziehen, wird in den kommenden Wochen und Monaten weiter an Bedeutung gewinnen. Mit Ländern wie etwa Island, Dänemark, Großbritannien, Australien und Neuseeland kann Österreich zwar nicht mithalten, ist aber im Europavergleich mittlerweile ganz gut aufgestellt.
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jahr Tausende Ansteckungen in Europa auf Ischgl und das Paznauntal zurückzuführen waren. In Ischgl etwa kursierte eine dominante Variante, der zwischen 80 und 90 Prozent der Proben zugeordnet wurden. Im dortigen Cluster war nämlich eine Mutation mit der Bezeichnung „Clade 20C“ sehr präsent, die bei Betroffenen in Deutschland, Dänemark, Norwegen und Island gefunden wurde. Das muss aber nicht bedeuten, dass diese Variante ihren Ursprung in Ischgl hatte. Denn interessanterweise war sie im Frühjahr auch an der Ostküste der USA und vor allem in New York dominant. Wo die Variante entstand, ist unklar.
Wie viele Sequenzierungen fanden in Österreich bisher statt?
Österreichweit wurden bisher 0,36 Prozent aller bestätigten Fälle in einem aufwendigen, rund eine Woche dauernden Prozess sequenziert. Spitzenreiter in Europa sind Dänemark mit zwölf Prozent und Großbritannien mit 5,4 Prozent, die die Bedeutung von Virusanalysen früh erkannten und darin investierten; gefolgt von der Schweiz (1,1 Prozent), Niederlande (0,6 Prozent) und Belgien (0,5 Prozent). Hinter Österreich liegen unter anderem Schweden (0,2 Prozent), Israel (0,1 Prozent), Frankreich (0,1 Prozent), Deutschland (0,1 Prozent) und Italien (0,06 Prozent). Eine Ausnahme stellt Island dar, wo praktisch alle Proben der 6000 positiv Getesteten untersucht wurden (siehe Frage 3). 99 Prozent der Sequenzierungen in Österreich fanden unter der Leitung von Andreas Bergthaler und Christoph Bock im Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CEMM) statt. Sie begannen bereits im März aus eigener Initiative damit, erste Genome auf Mutationen zu überprüfen – unterstützt von den Med-Unis Wien und Innsbruck, der Ages sowie weiteren Institutionen. In Summe wurden bisher 2000 Vollgenom-Sequenzierungen durchgeführt, rund
In Österreich werden wöchentlich 400 Proben von Infizierten sequenziert.
1300 davon luden Bergthaler und sein Team in die internationale Datenbank Gisaid hoch. Dem European Centre for Disease Control (ECDC) zufolge entspricht das 0,17 Prozent der Gisaid-Einträge, damit liegt Österreich (wie auch bei der Zahl der Sequenzierungen) im europäischen Mittelfeld. Künftig sollen – unterstützt durch das Gesundheitsministerium – noch mehr, nämlich mindestens 400 Genome pro Woche sequenziert werden, was in Europa einen Platz im oberen Drittel bedeuten würde.
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[ AFP/Halada ]
Welche Erkenntnisse lassen sich durch Sequenzierungen gewinnen?
Derzeit dient das Sequenzieren vor allem dem Zweck, die seit Kurzem auch in Österreich zirkulierende britische sowie südafrikanische Variante zu entdecken und ihre Ausbreitung zu beobachten. Dauerhaft wichtiger ist aber die Möglichkeit, damit Infektionswege nachzuvollziehen und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie danach auszurichten. So wurde beispielsweise nachgewiesen, dass im Früh-
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Warum ist ausgerechnet Island Weltmeister im Sequenzieren?
Das ist dem Umstand zu verdanken, dass in Island bereits Ende der 1990er-Jahre das auf Genom-Sequenzierungen spezialisierte Unternehmen Decode Genetics gegründet wurde, um vor fünf Jahren die weltweit größte genetische Studie einer Bevölkerung durchzuführen und so neue Erkenntnisse über Risikofaktoren für Krebserkrankungen zu gewinnen. Nach Ausbruch der Pandemie konnten sich die Wissenschaftler also einer bestehenden Infrastruktur bedienen und sofort in großem Stil beginnen.
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