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36 36 36 Grenzfälle in Blau-Weiß-Rot Grenzfälle in Blau-Weiß-Rot Grenzfälle in Blau-Weiß-Rot Grenzfälle in Blau-Weiß-Rot
So grenzüberschreitend sich Corona ausweitet, so grenzschließend sind seine Auswirkungen zwischen Österreich und Deutschland. Beispiel Autobahngrenzübergang SalzburgWalserberg: Der Rektor der Fachhochschule Salzburg und Berufspendler Gerhard Blechinger schert mit seinem Pkw aus der auf die CovidGrenzabfertigung wartenden Autoschlange aus und reiht sich, in der Hoffnung, dass es schneller geht, in der Zollspur ein. Doch anstatt nach CoronaTest und Grund des Grenzübertritts fragt ihn der Beamte, ob er etwas zu verzollen habe. „Das habe ich seit 20 Jahren nicht mehr gehört“, sagt Blechinger im Telefonat mit der FURCHE und schimpft. Aber nicht gegen die Grenzpolizei. „Das ist keine Schikane, das sind ehrliche Leute. Die Politik hat sich da in ein Narrativ hineinmanövriert, aus dem sie nicht mehr herauskommt. Seit einem Jahr pendle ich zwischen roten Zonen hin und her. Ich bin wahnsinnig genervt.“
Mit seiner Klage über das VirusGrenzmanagement zwischen Deutschland und Österreich ist Blechinger nicht allein. Anfang der Woche brachte eine Tiroler Friseurin Klage beim Verwaltungsgericht in München ein. Trotz eines negativen Testergebnisses sowie einer OnlineRegistrierung an der Grenze wurde ihr der Grenzübertritt verweigert, konnte sie nicht von Kufstein zur Arbeit ins bayerische Kiefersfelden pendeln. Seit 14. Februar, nachdem Deutschland Tirol zum Virusvariantengebiet erklärte, gibt es an den Grenzen stationäre Kontrollen, die erst kürzlich wieder bis Ende März verlängert wurden. Deutlich länger wäre dadurch auch für den Tiroler Landeshauptmann Günther Platter die Fahrzeit nach Wien geworden. Seine Reise in die Bundeshauptstadt zu einem BundLänderGipfel über das weitere Vorgehen in der CoronaPandemie wurde von der bayerischen Staatskanzlei unter „keine der definierten Ausnahmen“ gereiht. Anstatt der Abkürzung über das „Große Deutsche Eck“ blieb dem Landeshauptmann lediglich eine VideoSchaltung nach Wien und großer Ärger über den großen Nachbarn.
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Sie sollen Brüder und Schwestern sein, sie sprechen halbwegs die gleiche Sprache, aber in der gemeinsamen Geschichte flogen zwischen Bayern und Österreich auch gerne einmal die Fetzen, Flüche und Kanonenkugeln. Horizonterweiterung zum Streit um Bayerns aktuelle Grenzsperren in der Pandemie.
Grenzfälle in BlauWeißRot
Mixtur mit Geschichte
Bayerns Adel herrschte Jahrhunderte in Österreich. Die Habsburger brachen die Macht und gründeten ihr Reich auf Bayerns Kosten. Doch Mischungen sind unübersehbar.
Aus dem gleichen Holz geschnitzt
mit den bayerischen Freunden gut, wir „die österreichischen Forderungen stellen sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.“ allmählich eine Zumutung dar“. Denn es ist ja keineswegs so, dass erst In diesem Sinn hat sich in der gemein Corona den politischen Streit zwischen den samen Geschichte kaum etwas geändert. „verfreundeten Nachbarn“ Tirol und Bayern „Zumutungen“ prägen heute, gestern und angezündet hätte. Transitbeschränkungen vor hunderten Jahren das Verhältnis zwiund Nachtfahrverbote oder der Ärger über schen Bayern und Österreich. Auch Witze Mautgebühren lösen in regelmäßigen fallen darunter. Manche davon setzen auch Abständen Reibereien zwischen München gleich am Beginn dieser gemeinsamen Geund Innsbruck aus. Zur letzten schweren schichte an, von wegen „aus dem gleichen Krise kam es 1986, als Österreich nach dem Holz geschnitzt“: „Im Anfang schnitzte Gott Reaktorunfall in Tschernobyl gegen die ge Bayern. Die Späne warf er hinter sich. Das plante Errichtung der AtomWiederauf war Österreich.“ Was für ein Beginn. Wenn man etwa 1400 Jahre zurückrechnet, lan „ Transitbeschränkungen, det man ungefähr dort. Damals nahmen bayerische Adelige und Klöster die „Späne Region“ mit Begeisterung in Besitz. Ober
Tirol werde „bewusst an den Pranger gestellt“, warf Platter der bayerischen RegieNachtfahrverbote oder Maut- gebühren lösen regelmäßig und Niederösterreich, Kärnten, die Steiermark und Tirol waren vom 7. bis ins 13. Jahrhundert ein von bayerischem Adel rung nach Verlängerung des strengen Grenzregimes vor und verlangte Unter Ärger zwischen München beherrschter Landstrich. Diese Länder müssen für die Mächtigen westlich des stützung von der Europäischen Kommission und der österreichischen Bundesregierung, damit beide „ein Ende dieser und Wien aus. “ Inn so etwas wie Amerika für die Europäer gewesen sein. Statt go west hieß es im Mittel alter go east. ungerechtfertigten Schikane gegen Tirol In diesem Wilden Osten Mitteleuropas, erwirken und Deutschland diese Kontrol bereitungsanlage in Wackersdorf mobi einem Land der unbegrenzten Möglichlen umgehend beendet“. Vorbei die Zeiten, lisierte. BayernPatriarch Franz Joseph keiten: Es gab endlose Gebiete zu erobern, als Platter der Süddeutschen Zeitung trotz Strauß schickte daraufhin einen gehar Indigene zu vertreiben oder untertan zu dem einen oder anderen Verkehrspolitik nischten Brief an Bundespräsident Kurt Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. machen. Es galt Faustrecht durchsetzen, Scharmützel erklärte: „Ich verstehe mich Waldheim, der in dem Vorwurf gipfelte, Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/5125261). Pressespiegel Seite 36 von 37 damit hernach das Recht der Sieger herr
„Die Erhebung Österreichs zum Herzogtum 1156 war nicht mehr als ein kaiserlicher (schwacher) Trost für die Amtsenthebung eines Babenbergers in Bayern. “
Dennoch sind die ungefragt zu Österreichern gewordenen Österreicher im Herzen Bayern geblieben. Nicht umsonst beschweren sie sich nach dem Aussterben der Babenberger und der Einsetzung der Habsburger 1282 darüber, dass „nun alles schwäbisch spricht“ am Hof in Wien. Es ist der Beginn einer langen Entfremdung, die letztlich zu einem Angriff derer von Österreich auf das Stammgebiet der Kolonisatoren ausartet. Nachdem die Habsburger über die Jahre den Bayern die Herrschaft über Kärnten und Tirol durch allerfeinste Erbschleiche entwunden haben, greifen sie ab dem 16. Jahrhundert zu drastischeren Mitteln. 1504 bringen österreichische Truppen das Gebiet um Kufstein und Rattenberg unter ihre Gewalt. Dass die damals eingesetzte Kanone des austroschwäbischen Kaisers Maximilian von Habsburg „Weckauf“ heißt, hat durchaus epochalen Bezug.
Mörder und Helden
hatten. Sendling ist der Ursprung blau der Wittelsbacher Kurfürst Karl Theodor weißer Volkshelden, etwa dem Schmied Bayern freiwillig an Österreich abgeben von Kochel, der als bayerischer Titan das will, um dafür die Niederlande zu erhalten. Reich der Sagen bereichert. Die Österrei Dass die Bayern damals nicht verscherbelt cher sind spätestens ab da Ziel bayerischer wurden, rührt daher, dass alle anderen 17 Schmähung. Es tauchen Sentenzen und Fürsten Deutschlands sich gegen den HanSprüche auf – und sie halten sich hart del auflehnten. So viel zur Außenwirkung näckig: „Was ist das Gegenteil von geist österreichischbayerischer Einheit: Sie er reich? Österreich.“ zeugt Angst und Schrecken. 1740 besetzen die Geschmähten im Österreichischen Erbfolgekrieg erneut Bayern. Kurioserweise wird der vertriebene Kurfürst Karl Albrecht in dieser Situation zum deutschen Kaiser gewählt, als erster bayerischwittelsbachische Kaiser seit mehr als 400 Jahren. Aber – Österreich sei Dank – kann er sich nicht wirklich freuen: „Meine Krönung ist vor sich gegangen mit einer Pracht und einem Jubel ohne gleichen, aber ich sah mich zur gleichen Zeit von Stein und Gichtschmerzen angefallen – krank, ohne Land, ohne Geld kann ich mich wahrlich mit Hiob, dem Mann der Schmerzen, vergleichen.“ 200 Jahre später vertreiben Österreichs Die habsburgischen Eroberer kommen in
Heere im Spanischen Erbfolgekrieg Max den folgenden Jahrzehnten dreimal – und
Emanuel von Bayern aus München. Die Ba gehen ebenso oft wieder, begleitet von Träuyern erheben sich kurz darauf gegen die men der Vereinigung. Als Österreich 1778
Besetzer mit Flinten und Mistgabeln, er das Innviertel von Bayern abzwackt, beobern Braunau, Schärding, Kehlheim zu merkt Joseph II. wehmütig: „Es ist ein winrück, formieren ein eigenes Parlament und ziger Gegenstand, wenn man bedenkt, was marschieren zu Weihnachten 1705 Rich vielleicht hätte gelingen können.“ tung München. In der „Sendlinger Mord Was übrigens den groß Wort führenden weihnacht“, werden sie von den Österrei Nationalstolz in BlauWeiß und RotWeißchern niedergemetzelt, obwohl sie schon Rot betrifft, gar so tief scheint er nicht zu die Waffen niedergelegt und sich ergeben reichen. 1785 kommt es sogar dazu, dass Zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG. Digitale Nutzung gem PDN-Vertrag des VÖZ voez.at. Anfragen zum Inhalt und zu Nutzungsrechten bitte an den Verlag (Tel: 01/5125261). Pressespiegel Seite 37 von 37
Die „hoibe“ Geschichte
Und heute? Es ist eine „hoibe Gschicht“ geblieben – historisch, aber auch mental. „Zu Bayern und Österreich fällt mir allenfalls die Analogie zu einem Geschwisterpaar ein – so was wie: Im Zank verbunden“, antwortet der Münchner Journalist und Schreibtrainer Peter Linden auf die Frage, wie er das Verhältnis zwischen den Nachbarländern beschreiben würde. „Für mich persönlich gibt es nicht einmal diesen Zank“, sagt Linden, der regelmäßig in Österreich unterrichtet: „Für mich ist Österreich physisch und auch emotional um Welten näher als, sagen wir, Sachsen. Die Grenze zu Tirol nehme ich gar nicht wahr. Die Grenzen im Norden Bayerns sehr stark.“ „Natürlich hat der aktuelle Disput zwischen Bayern und Tirol eine historische Dimension“, meint der Politikwissenschafter Anton Pelinka: „Immerhin ist Tirol unter dem Diktat Napoleons an Bayern angeschlossen worden und 1809 waren es nicht nur französische, sondern auch bayerische Truppen, die Andreas Hofers Bauernheer besiegt haben. Aber daran denkt in Tirol