Mein Haus ist dein Haus

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Mein Haus ist dein Haus Von einer einsamen zu einer gemeinsamen Architektur am Beispiel der Stadt Detroit


Master Thesis, schriftlicher Teil Studiengang Architektur Fachbereich Öffentliche Räume und Bauten / Städtebau Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart eingereicht bei Prof. Andreas Quednau & Kai Beck vorgelegt von Constantin Hörburger & Jakob Rauscher Stuttgart, August 2012


Vorwort Im Zeitraum von Oktober 2011 bis Juli 2012 haben wir uns im Rahmen der Master Thesis mit der Frage auseinandergesetzt, welche Folgen der Wandel in der Vorstellung von Eigentum auf die Architektur hat. Der vorliegende schriftliche Teil unserer Master Thesis beinhaltet die Ergebnisse unserer Recherche zum Wandel des Eigentumsbegriffs sowie unsere Feldstudie in Detroit – einer Stadt, die wie keine andere vom Eigentumsdenken geprägt wurde.


Inhalt

Einführung 7

These Abstract

Teil 1: Einsam 28

Hyperkonsum 29 Die Kraft der Verführung 29 Jetzt kaufen, später zahlen 30 Nur noch Eins 32 Gesetz der Lebenszyklen Es gibt nichts mehr zu kaufen 33

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Eigentum 36 Die Privatisierung der Welt

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Individueller Konsum

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Individuelle Architektur

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Individuelle Stadt Detroit 46 Detroit im Kontext 51 Geschichtlicher Überblick 56 Land als Privateigentum 59 Vertikaler Ausverkauf Das Hochhaus Luft wird zur Ware 63 Horizontaler Ausverkauf Stadt der Fabrikgebäude Stadt der Shoppingmalls Stadt der Einfamilienhäuser Stadt der Autobahnen 78 Krise der individuellen Stadt 81 Fazit


Teil 2: Gemeinsam 100

Aufbruch vom Eigentum zum Zugang 100 Auflösung der Abgrenzung 103 Schwerelose Ökonomie 105 Zugang

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Kollaborativer Konsum 109 Vier Prinzipien Glaube an Allmende Kritische Masse Vertrauen zwischen Fremden Ungenutzte Kapazitäten

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Kollaborative Architektur Produkt-Service-Systeme Kollaborative Lebensstile Umverteilungsmärkte 123 Entwerfen einer kollaborativen Architektur

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Kollaborative Stadt Detroit 132 Detroit als kollaboratives Labor 133 Feldstudie 134 Kollaborativer Selbstversuch 138 Kollaborative Produkt-Service-Systeme Hackerspaces I3 und Omnicorps Green Garage 144 Kollaborative Umverteilungsmärkte WARM Training Center und Reclaim Detroit 148 Kollaborative Lebensstile Spaulding Court Brightmoor Farmway Ponyride 154 Fazit

Schluss 171

Risiken und Chancen 171 Risiken einer kollaborativen Architektur 172 Chancen einer kollaborativen Architektur 174 Lernen von Detroit 177 182 184

Literaturverzeichnis Bildnachweis Impressum & Dank



Einleitung

These Die Zukunft gehört nicht dem individuellen Konsum der Isolation, sondern dem gemeinsamen Konsum des Teilens. Zeit für uns Architekten statt einer individuellen und einsamen eine ›gemeinsame Architektur‹ zu entwerfen.

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Einleitung

Abstract Unsere Gesellschaft ist durch die Vorstellung von Eigentum als Privateigentum geprägt. Diese Vorstellung führt zu einem Konsum, der die Wirtschaft zu unendlichem Wachstum drängt. Die Endlichkeit der Ressourcen, die zunehmende Verschmutzung der Umwelt sowie finanzielle und wirtschaftliche Krisen zeigen, dass dies nicht dauerhaft funktioniert. Bisher wird auch Architektur fast ausschließlich als Privateigentum gedacht – Sinnbild dafür ist das Einfamilienhaus. Neben dem verschwenderischen Umgang mit Energie, Material und Arbeit, lässt diese Art von Architektur das soziale Potenzial einer Gesellschaft verkümmern und kann somit nicht nur als individualistische, sondern auch als ›einsame Architektur‹ verstanden werden. Für einen ökologischen, ökonomischen und sozialen Gegenentwurf richten wir unseren Blick auf eine ›gemeinsame Architektur‹, als möglichen Lösungsansatz für die Probleme der bisherigen Vorstellung von Eigentum. Auf dem Weg dorthin wird der aktuelle Wandel in der Vorstellung von Eigentum beschrieben. Dass schon heute vermehrt Alternativen zum Privateigentum gelebt werden, zeigen wir am Beispiel der Stadt Detroit, die wie keine andere Stadt von dieser Eigentumsvorstellung geschaffen und in der Folge nahezu zerstört wurde. Gerade die Stadtentwicklung Detroits erfordert und fördert ein Umdenken und neue Konzepte des geteilten Eigentums, der Partizipation in der Nutzung, Planung und der Neuinterpretation von Räumen, Gebrauchsgütern, Mobilität und Wissen. Auch die Räume dafür definieren sich nicht mehr über ›Abgrenzung‹, sondern über ›Zugang‹ und schaffen die Grundlage für eine ›kollaborative Architektur‹. Ziel dieser Arbeit ist es, dem Potenzial der Gemeinschaft neuen Raum zu geben und dabei die ›kollaborative Architektur‹ als ökonomische und ökologische Alternative zu etablieren.

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Teil 1:

EINSAM

»Es gibt nichts mehr zu kaufen.« (Nam June Paik)

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Einsam

Hyperkonsum Heute schwimmt in den Meeren sechs Mal mehr Plastik als Plankton. Durch Strömungen entsteht im Pazifik die mit 3,5 Millionen Tonnen größte Ansammlung an Müll. 90 Prozent davon sind Plastik. Der schwimmende Müllberg ist viermal so groß wie Texas, geschätzte dreißig Meter tief und wird nüchtern Great Pacific Garbage Patch genannt. Strömungen haben auf den Pagan Islands einen ›Shopping Beach‹ erschaffen. Dorthin gehen die Einheimischen, wenn sie Sandalen oder einen Fußball brauchen, die zusammen mit anderem Müll dort angespült werden. (Botsman / Rogers 2010: 4 f.) Spätestens seit der Club of Rome 1972 seinen Bericht ›Die Grenzen des Wachstums‹ veröffentlicht hat, sind die Probleme der endlichen Ressourcen und der Umweltverschmutzung durch den Hyperkonsum öffentlich benannt und bekannt. Trotzdem ist unsere heutige Ökonomie darauf aufgebaut, Dinge zu produzieren, zu verbrauchen und danach wegzuwerfen (vgl. Pinzler 2011: 29 / vgl. Botsman / Rogers 2010: 6). So wurde in den letzten 50 Jahren mehr konsumiert als in allen Generationen davor (Botsman / Rogers 2010: 5). Die Folge ist ein massiver Ressourcen-Verbrauch und die Entstehung einer Wegwerfgesellschaft (ebd. 7). 99 Prozent aller Produkte werden keine sechs Monate alt und wandern danach in den Müll (vgl. ebd. 11). Dabei ist der Müll nur ein Teil des Problems. Der andere Teil sind Dinge, die nicht weggeworfen, aber auch nicht verwendet werden (vgl. ebd. 12). Die Bürger Australiens geben 10,8 Milliarden Dollar pro Jahr für Dinge aus, die sie nicht verwenden (ebd. 12). Das ist mehr Geld als die australische Regierung für Straßen und Universitäten ausgibt. Nicht verwendete Dinge wandern in angemietete Lagerräume. In den USA ist die gesamte Lagerfläche groß genug, dass alle Amerikaner mit ausgestreckten Armen Platz darin hätten. Für die Lagerung von nicht gebrauchten Dingen wird mehr ausgegeben als für Milch, Kaffee oder Bier (ebd. 13) und nach sechs bis acht Monaten sind die Kosten für die Aufbewahrung größer, als der Wert der gelagerten Gegenstände (ebd. 14). Zusammen mit den Lagerflächen ist in den letzten 50 Jahren auch das durchschnittliche 26


amerikanische Haus um das doppelte gewachsen, während die Zahl der Bewohner von 4,5 auf 3,3 zurückging (ebd. 14). In den deutschen Haushalten liegt ungenutzter Hausrat im Wert von 35,5 Milliarden Euro. Das sind 1013 Euro pro Haushalt an ungenutzten Dingen (Bund 2011: 29). Wir besitzen also immer mehr Dinge und brauchen dafür immer mehr Platz oder, um es in den Worten der Musikerin Dota Kehr zu sagen: »Wir kaufen Dinge, die man nicht braucht von Geld, das man nicht hat, um Leute zu beeindrucken, die man nicht mag.« (Kehr 2010) Dass wir immer mehr Dinge besitzen, ist zunächst nichts Schlechtes. Interessant ist allerdings ein Diagramm von Richard Layard, in dem er eine Linie für das Einkommen und eine Linie für das Glück zeichnet (Botsman / Rogers 2010: 16). Die Linie von Einkommen steigt stark an, während die Linie des Glücks zuerst ansteigt und dann konstant bleibt. Der Hochpunkt der Glückskurve liegt in den 50er Jahren und markiert den Beginn des Hyperkonsums. Seitdem besitzen wir immer mehr, sind aber nicht glücklicher. Wenn wir nicht glücklicher werden, warum konsumieren wir dann trotzdem immer mehr? Thorstein Veblen prägt im Jahr 1899 den Begriff des ›Verdächtigen Konsums‹1 um die Neureichen zu beschreiben, die aus einer Selbstdarstellung konsumieren. Interessanterweise steht der Begriff ›Konsum‹ im 19. Jahrhundert für Verwüsten und Plündern (Rifkin 2007: 188). In den 20er und 50er Jahren ändert sich die Bedeutung des Begriffes und das Konsumverhalten der Bevölkerung und so konsumieren heute nicht nur die Eliten, sondern alle. Konsequenterweise gibt es heute in Amerika mehr Shoppingmalls als Highschools. (Botsman / Rogers 2010: 20) Rachel Botsman und Roo Rogers beschreiben in ihrem Buch ›What’s Mine is Y(ours) / The Rise of Collaborative Cosumption‹ vier Faktoren für den Hyperkonsum: ›Die Kraft 1

engl. ›Conspicious Consumption‹ (Botsman / Rogers 2007: 20)

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×  1 Das Einkommen pro Kopf wächst konstant, das Glück der Menschen nach den 50er Jahren nicht mehr ×  2 Im Meer schwimmt heute sechsmal so viel Plastik wie Plankton

90 Einkommen pro Kopf

80 70 60 50 40

Glücksempfinden

30 20 10 0 1945 1

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1950

1960

1970

1980

1990

2000


der Verführung‹, den ›Kauf jetzt, zahl später-Faktor‹, das ›Gesetz der Lebenszyklen‹ und der ›Nur noch eins-Faktor‹ (ebd. 11). Im Folgenden werden die einzelnen von Botsman und Rogers identifizierten Punkte weiter ausgeführt.

Die Kraft der Verführung Einer der Ersten, der die Kraft der Verführung in der Werbung entdeckt, ist Edward Bernays, der 1917 das ›Committee of Public Information‹ übernimmt (vgl. ebd. 21). Der Begriff ›Puplic Information‹ ersetzt dabei den Begriff Propaganda, der zu sehr nach Kommunismus klingt. Bernays soll im Auftrag von President Woodrow Wilson die Amerikaner davon überzeugen, im Ersten Weltkrieg zu intervenieren. Bernays geht später in die Werbebranche, in der er sich das Wissen seines Onkels Sigmund Freud zu Nutzen macht. Bei Bernays wächst die Überzeugung, dass man die Gedanken des Konsumenten durch Aggressivität und Sexualität beeinflussen kann. Beispielsweise verknüpft Bernay die Zigarette mit der Emanzipationsbewegung der Frauen (vgl. ebd. 23). Zur damaligen Zeit war es für Frauen unüblich zu rauchen. Durch Bernay wird Rauchen zum emanzipatorischen Akt. Der Konsum wird so zum Symbol der Freiheit und der Konsument kauft, was er liebt und nicht, was er braucht.

Jetzt kaufen, später zahlen 1949 erfindet Frank McNamara die Diners Club Karte, nachdem er bei einem Restaurantbesuch sein Portemonnaie vergessen hat. Diners Club hat nach einem Jahr 20 000 und nach fünf Jahren 200 000 Mitglieder, die das bargeldlose Zahlen genießen. American Express erfindet die erste Kreditkarte, mit der man nicht nur Essen, sondern alle Konsumartikel bezahlen kann. Im Jahr 1959 gibt es die ›Revolving Balance‹ (ebd. 30), die es erlaubt, das Begleichen der Kreditkartenschulden zu verschieben. Interessant an der Kreditkarte ist die Veränderung im Verhalten der Konsumenten. 29


Hyperkonsum

Der Wissenschaftler Richard Feinberg entdeckt beispielsweise, dass Gäste in Restaurants 2 Prozent mehr Trinkgeld geben, wenn sie mit Kreditkarte statt mit Bargeld bezahlen (ebd. 26). Dilip Soman fragt Studenten, die sich gerade ein Buch gekauft hatten, nach dem exakten Preis. 35 Prozent der Studenten können den exakten Preis nennen, bei Kreditkartennutzer ist der Prozentsatz niedriger (ebd. 28). Rogers und Botsman folgern daraus, dass die Verwendung von Bargeld bewusster erfolgt (ebd. 29). Carnegie Mellon beschreibt, dass beim Bezahlen die gleichen Hirnregionen aktiv sind wie beim Empfinden von Schmerz. Kreditkarten stellen dagegen sicher, »dass das Gehirn gegen den Schmerz des Bezahlens betäubt ist.»2 Heute hat jeder Amerikaner durchschnittlich vier Kreditkarten, während es nur 5 Millionen Kreditkarten für 1,2 Milliarden Chinesen gibt (ebd. 30). Die durchschnittliche amerikanische Familie hat 8000 Dollar Schulden auf ihrer Kreditkarte und zahlt 1000 Dollar Zinsen pro Jahr. Insgesamt belaufen sich die Gesamtschulden aller Kreditkarteninhaber auf 1,8 Billionen Dollar (ebd. 31). Weil der Konsument nicht an die Folgen denkt und sie nicht spürbar sind, kauft er mehr und schneller, mit Geld, dass er eigentlich nicht hat (ebd. 32). Dabei handeln nicht nur Privatpersonen so, sondern auch Institutionen und Staaten, wie die aktuelle Finanzkrise zeigt. Schulden dienen dazu, noch mehr konsumieren zu können. So entspricht der private Wohlstandszuwachs von 381 Milliarden Euro in den Jahren von 2000 bis 2007 der wachsenden Staatsverschuldung (Uchatius 2011: 23). Jetzt kaufen, später zahlen.

Nur noch Eins Colin Campbell, Soziologieprofessor an der University of York, beschreibt den Menschen als ›neophil‹, als süchtig nach neuen Produkten (Botsman / Rogers 2010: 33). Noch im Mittelalter ändert sich die Mode nur langsam. So ist beispielsweise 2

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engl. »the nature of credit cards ensures, that your brain is anaesthetized against the pain of payment« (Botsman / Rogers 2010: 11)


Kleidung vor allem ein Produkt der Notwendigkeit. Die Umwertung von notwendigen Produkten in Produkte der Selbstdarstellung erfolgt erst vor ungefähr hundert Jahren. Diese Änderungen beschreiben Botsman und Rogers anhand von Henry Ford und Alfred P. Sloan (vgl. ebd. 34), die zusammen mit der Stadt Detroit groß werden. Henry Ford wächst auf dem Land in Dearborn in der Nähe von Detroit auf. Er kümmert sich um Felder und Kühe, hat aber währenddessen ein Interesse an Mathematik und Mechanik. 1903 gründet er die Ford Motor Company und baut das erste ›Model-T‹ im Jahr 1908. Das Model-T ist einfach, belastbar, günstig und ein Auto für alle Arbeits- und Lebenslagen. Alfred P. Sloan dagegen wächst wohlhabend und privilegiert auf. Er studiert Elektrotechnik am Massachusetts Institute of Technology. 1920 kauft sein Vater das Unternehmen General Motors. Sloan wird Präsident. Die größte Herausforderung für Sloan ist der wachsende Markt an Gebrauchtwagen und der stetig sinkende Preis für ein Model-T. Sloan entdeckt in der Mode die Gelegenheit, den Konsumenten zu überzeugen sich neue Dinge zu kaufen, bevor die alten verbraucht sind. Anstatt ein komplett neues Fahrzeug zu entwerfen, entwirft Sloan eine neue Haut für einen neun Jahre alten Chevrolet. Sloan lässt die Autos der Konkurrenz durch immer neuere Modelle alt aussehen. Charles Kettering ist zu dieser Zeit Direktor der Forschungsabteilung und beschreibt die Strategie von General Motors folgendermaßen: »Der Schlüssel zu ökonomischen Wohlstand ist die organisierte Schaffung von Unzufriedenheit […] wenn jeder zufrieden wäre, würde niemand etwas kaufen wollen.»3 Das Ziel von General Motors wird der ›Wechsel um des Wechsels willen‹4 durch die ›geplante Veralterung‹5 seiner Produkte durch immer neuere Produkte. So steigert General Motors seine Verkäufe, während Ford

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engl. »The key to economic prosperity is the organized creation of dissatisfication … if everyone were satisfied no one would want to buy a new Thing.« Charles Kettering, director of Research for Sloan (Botsman / Rogers 2010: 35) engl. ›change for change’s sake‹ engl. ›perceived obsolence‹

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Hyperkonsum

immer weniger Autos verkauft. Ford stellt das Model-T von 1908 bis 1927 her. Bis dahin verkauft er 15 Millionen Einheiten und senkt die Herstellungskosten pro Auto von 850 auf 298 Dollar. Danach orientiert auch er sich an den immer schneller wechselnden Moden.

Gesetz der Lebenszyklen 1932 schlägt Bernard London vor, die Weltwirtschaftskrise durch eine ›gezielte Veraltung‹ zu beenden, um mehr produzieren zu können. Produkte können nur bis zu einem bestimmten Datum verwendet werden, danach muss ein neues Produkt gekauft oder eine Strafsteuer gezahlt werden (Botsman / Rogers 2010: 37). Der Vorschlag wird nie auf staatlicher Ebene umgesetzt, aber auch heute werden viele Produkte nur für eine bestimmte Lebensdauer entworfen. Sie müssen dann durch neue Produkte ersetzt werden. Dieser Prozess ist mit dem Namen ›Datierung des Todes‹6 passend beschrieben (ebd. 36). So beschließt General Electric beispielsweise 1932 die Lebenszeit seiner Glühbirnen von 1000 Stunden auf 750 Stunden zu verkürzen, um mehr davon verkaufen zu können (ebd. 37). Arthur Miller erkennt das Gesetz der Lebenszyklen und beschreibt es in seinem Theaterstück ›Death of a Salesman‹: »Sie terminieren diese Dinge. Sie legen eine Zeit fest, und wenn man sie abbezahlt hat, sind sie verbraucht«

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engl. ›Death Dating‹


»Es gibt nichts mehr zu kaufen« (Rifkin 2007: 193) Bezahlen wird immer einfacher, der Konsument wird durch immer neue Produkte zum Kaufen angeregt oder bleibt unzufrieden zurück mit seinen alten Produkten, die irgendwann kaputtgehen, weil sie so entworfen wurden. In den letzten 50 Jahren wurde mehr konsumiert als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Gleichzeitig wurden die Menschen in den letzten 50 Jahren nicht glücklicher. Der heutige Mensch der westlichen Welt besitzt so viele Dinge, dass er keine Zeit hat, sie zu nutzen und lagert sie ein. Die Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern werden Opfer des Hyperkonsums oder versuchen Teil davon zu werden. Dieser Prozess verschwendet Ressourcen und verschmutzt die Umwelt. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Konsum nur Symptom ist. Die Ursache für den Konsum liegt in unserer Vorstellung von Eigentum und dem Versprechen, das es bietet. Das folgende Kapitel beleuchtet das Verständnis von Eigentum, untersucht dessen Veränderungen und beschreibt sein Potenzial für die Lösung der Probleme unseres Konsums.

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Eigentum7 § 41 »Die Person muss sich eine äußere Sphäre ihrer Freiheit geben, um als Idee zu sein. Weil die Person der an und für sich seiende unendliche Wille in dieser ersten noch ganz abstrakten Bestimmung ist, so ist dies von ihm Unterschiedene, was die Sphäre seiner Freiheit ausmachen kann, gleichfalls als das von ihm unmittelbar Verschiedene und Trennbare bestimmt.« (Hegel 1999: 55)

Hegel sieht als Grundlage für die persönliche Freiheit des Individuums das Eigentum. Dieser Gedanke ist tief im heutigen Denken verankert. Die Idee des Eigentums wird auch heute noch als privates Eigentum an Materie gedacht. Ohne sein Eigentum ist der Mensch ein Habenichts und nur durch sein Eigentum erhält er Status und Zugehörigkeit. Dass es noch andere Arten des Eigentums geben kann, ist heutzutage fast vollständig aus dem Blick gerückt. Crawford Macpherson, Professor für politische Theorie an der University of Toronto, beschreibt den Begriff des Eigentums, so wie wir in heute kennen, als Erfindung des 17. und 18. Jahrhunderts (vgl. Macpherson 1973: 198 & Rifkin 2007: 318). Entscheidend an dieser Art des Eigentums ist, dass andere davon ausgeschlossen werden können. Macpherson behauptet, dass es neben der Art des ausschließenden Eigentums auch eine andere Art des Eigentums gibt: ein Recht an der Nutzung von etwas, von dem man nicht ausgeschlossen werden kann – Eigentum als Recht auf Zugang. Ein Überblick über den Wandel des Eigentumsbegriffs zeigt, woher unsere heutige Vorstellung von Eigentum kommt. Diese Vorstellung von Eigentum als ausschließendes Recht hat Folgen auf die Architektur und im 7

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»Eigentum, das umfassende Recht (Besitz-, Verfügungs- und Nutzungsrecht), über Gebäude, Grund und Boden (unbewegl. Sachen) und sonstige Sachen (bewegl. Sachen, Rechte unter anderem) innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung nach freiem Belieben zu bestimmen. Hierzu steht im Ggs. die bloß tatsächl. Sachherrschaft (– Besitz).« (Brockhaus 2005)


×  3 Parzelliert und privatisiert: Felder in Kansas, USA

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Eigentum

Speziellen auf die Stadt Detroit, wie im Kapitel ›Individuelle Stadt Detroit‹ gezeigt wird.

Die Privatisierung der Welt Die Vorstellung von individuellem Eigentum gibt es schon im alten Griechenland, das den Eigentumsbegriff allerdings weiter fast als es heutige Gesellschaften tun. Aristoteles definiert zwei Arten von Eigentumssystemen: ein System, in dem alle Dinge Privatbesitz sind und ein anderes System, in dem es gemischte Formen von privatem und gemeinschaftlichem Eigentum gibt. (vgl. Macpherson 1977: 202) Im Mittelalter ist das Konzept von privatem Eigentum den Menschen fremd. Sie üben zwar Herrschaft darüber aus, aber niemand hat absolute Gewalt darüber (Rifkin 2007: 106). Alle Dinge sind in der ›göttlichen Kette des Seins‹ eingebunden, wie Tomas von Aquin schreibt. Alle Dinge sind Gottes Eigentum, der es den Menschen zur Nutzung überlässt. Erst die Einfriedung von Land beendet dieses Denken. Der Mensch gehört nun nicht mehr zum Land, sondern das Land gehört zum Menschen. (ebd. 106) Ende des 17. Jahrhunderts trat anstelle des göttlichen Rechts von Adel und der Kirche die Menschenrechte. Die Aufklärung löst das Individuum aus der göttlichen Kette des Seins und schafft so seine persönliche Freiheit. Religion wird zur freiwilligen Vereinigung und ein halbes Jahrhundert später ist der göttliche Ursprung und die Herrschaft der Pflicht durch Nützlichkeitserwägungen verdrängt (Macpherson 1973: 96). Die Folgen dieses Bedeutungswandels sieht John Meynard Keynes als Festigung des Eigentums: »Die eigentliche Absicht, aus der heraus man das Individuum so in den Vordergrund gestellt hatte, war die Entthronung von Monarchie und Kirche; die Wirkung – infolge der neuen moralischen Bedeutung, die man dem Gesellschaftsvertrag beilegte – eine Festigung des Eigentums und der gesetzlichen Vorschriften.«

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»Gute Begründung für die Eigentumsrechte und für das freie Verfügungsrecht des besitzenden Individuums über seine Person und sein Eigentum. Sie gehörten mit zu den Bestandteilen, die das 18. Jahrhundert für die geistige Atmosphäre lieferte, in der wir noch heute leben.« (Mattfeldt 1985: 97) Hegel bemerkt, dass sich das Individuum und sein freier Wille in den Sachen ein Dasein geben muss, um nicht abstrakt zu bleiben (Ritter 1961: 61 f.). Durch Eigentum verschafft sich die Person, die es bis dorthin nur als Idee gibt, Präsenz unter Menschen (Rifkin 2007: 175 f.). Joachim Ritter attestiert, dass »Hegel als Erster in Deutschland begriff, dass die ›kommende bürgerliche Gesellschaft‹ in der ›Anhäufung der Reichtümer‹ und in der ›Abhängigkeit und Not der an diese [besondere] Arbeit gebundene Klasse‹ (§ 234) sich gerade aufgrund der durch sie gesetzten Eigentumsverhältnisse durchsetzten wird.« (Ritter 1961: 62) Zusammen mit der industriellen Revolution beginnt so der Siegeszug des privaten Eigentums, (Rifkin 2007: 252) das der Lohn für das Entdecken, Erforschen und Aufteilen der Welt ist (ebd. 254). Jeremy Rifkin sieht die Spezialisierung der modernen Welt als Folge der Zerteilung der Welt in Eigentum. Die »Wissenschaft [hat die] Funktionen zu erforschen, [die] Technik um Produkte zu erschaffen, dann Privateigentum als Institution um Ertrag aufzuteilen« (ebd. 254) John Locke beschreibt in seiner ›Theorie des Eigentums‹ (ebd. 104 ff.) wie durch Geist und Arbeit die Natur in Dinge und Waren überführt wird: »So hat doch jeder Mensch Eigentum an seiner Person. Über seine Person hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände, so können wir sagen, sind im eigentlichen Sinne sein. Was immer er also jenem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner Arbeit gemischt und ihm etwas hinzugefügt, was sein eigen ist – es folglich zu seinem Eigentum gemacht. Da er es jenem Zu37


stand des gemeinsamen Besitzes enthoben, in den es die Natur gesetzt hat, hat er ihm durch seine Arbeit etwas hinzugefügt, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt. Denn diese Arbeit ist das unbestreitbare Eigentum des Arbeitenden, und niemand außer ihm selbst kann ein Recht haben auf irgendetwas, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist – zumindest dort nicht, wo für die anderen bei gleicher Qualität noch genug davon in gleicher Güte vorhanden ist.« (Locke 1977: 22 f.)

Eigentum

Privateigentum ist für Locke ein Naturrecht. Durch die vom Menschen verwendete Arbeit entnimmt er Dinge aus ihrem natürlichen Zustand und fügt sie seinem persönlichen Eigentum hinzu. Persönliches Eigentum ist für Locke ein ausschließendes Eigentum an materiellen Dingen: Während die Dinge der Natur noch allen gehören und von allen genutzt werden können, kann die Gesellschaft vom Eigentum des Arbeitenden ausgeschlossen werden. Als einer von vielen Philosophen dieser Zeit schafft Locke damit die theoretische Grundlage für das Individuum, das über die Arbeit mit anderen Individuen im Wettbewerb um das Anhäufen von Reichtümern steht. Charles Darwin ging so weit, das Wettbewerbsdenken zu proklamieren, dass nicht Gott, sondern »der freie Wettbewerb […] den Menschen geschaffen« hat (Mattfeldt 1985: 100). Im freien Wettbewerb ist die Einmischung des Staates nur hinderlich und so wächst der Wohlstandszuwachs von 1750 bis 1850 nur auf privater Initiative. (ebd. 99) Zur gleichen Zeit, in der sich das Individuum von Locke und Smith (Rifkin 2007: 30) etabliert, entwickelt Rousseau seine Idee des Glücks der größtmöglichen Anzahl: Wenn alle glücklich sind, so Rousseau, ist auch jeder Einzelne dieses Systems glücklich. Diese zwei gegensätzliche Systeme eines sozialistischen und eines individualistischen Denkens verschmolzen im 18. Jahrhundert, meint der Ökonom John Meynard Keynes:

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»Dem Prinzip des Laissez-faire war es gelungen, Individualismus und Sozialismus miteinander zu versöhnen und Humes’ Egoismus mit dem größten Glück der größtmöglichen Anzahl zu vereinen. Der Staatsphilosoph konnte nunmehr dem Geschäftsmann das Feld räumen – denn dieser vermochte das Summum Bonum des Philosophen zu erreichen, wenn er lediglich seinen eigenen Vorteil verfolgte.« (Mattfeldt 1985: 99) Die Konsequenz dieser Verschmelzung ist pikant: Durch das Verfolgen eigener geschäftlicher Interessen dient man dem Wohle der ganzen Gesellschaft. Der Wohlstandszuwachs ersetzt das gottgefällige Leben – als zumindest vorgegebenes Lebensziel – und so wurde die Anhäufung von Eigentum zum Lebensmittelpunkt der westlichen Gesellschaften. Der Staat wird dabei an den Rand gedrängt, da der Markt besser funktioniert als die Regierung. Marquis d’Argenson fasst diese Einstellung 1751 zusammen: »Um besser zu regieren, muss man weniger regieren.«8 Während das Eigentum das Individuum so aus den Zwängen des Absolutismus befreit und zur Grundlage seiner persönlichen Freiheit wird, schafft es dadurch eine neue Art des Denkens, das in der Anhäufung der Güter eine Vermehrung des Glücks sieht. Je mehr Eigentum ein Individuum hat, desto größer ist sein persönlicher Raum, von dem es andere ausschließen kann und desto freier ist es. Die Folgen dieses Denkens auf das Konsumverhalten und besonders auf die Architektur werden in den folgenden Kapiteln untersucht.

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frz. »Pour gouverner mieux, il faudrait gouverner moins.« (Mattfeldt 1985: 102)

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Individueller Konsum Zu Zeiten des Philosophen Adam Smith (1723 – 1790) bedeutet ›mehr‹ gleich ›besser‹. Es gibt nichts und die Menschen leiden Mangel (vgl. Botsman / Rogers 2010: 41 & Jackson 2011: 72). Der mit der Industrialisierung aufkommende Materialismus verspricht ein besseres Leben mit mehr Komfort außerhalb eines religiösen oder feudalen Systems. Die Menschen der westlichen Welt entkommen der Armut durch die Produktion und den Konsum von Gütern. Auf diese Weise gräbt sich der Gedanke, dass in der materiellen Vermehrung das größte Glück zu finden sei, tief bis ins heutige Bewusstsein ein. Das Gehalt muss mit dem Alter steigen, die Anzahl der Umzugskartons vermehrt sich und der Fernseher wird immer größer. Auch die Politik sieht das Wachstum der Wirtschaft als alternativlos zur Lösung der Krise: Nur wenn Wohlstand und Besitz wachsen, ist der moderne Mensch glücklich. Die erste Konsequenz ist, dass sich die Menschen mit Beginn des Hyperkonsums in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zuerst als Gesellschaft aus individuellen Konsumenten und an zweiter Stelle als Gruppe von Bürgern sehen. Der Glaube an Firmen ist größer als der Glaube an die Kooperation von Individuen. Dabei geht der Glaube an die Nachbarschaften verloren und es kommt zu einer Ablehnung alles Teilbaren. Robert Putnam beschreibt diesen Prozess als Verlust von sozialem Kapital. (Botsman / Rogers 2010: 42 f.) Statt seine persönliche Erfüllung in der Freizeit zu suchen, werden Hobbys und Freizeit aufgegeben, um Karriere zu machen. Der moderne Mensch arbeitet mehr, um sich mehr leisten zu können. Von 1980 bis ins Jahr 2000 verdreifachte sich der Konsum, während immer weniger Zeit blieb, die Dinge zu genießen (ebd. 44). Rachel Botsman und Roo Rogers fassen diesen Prozess in einem einfachen Satz zusammen:

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»Je weniger die Menschen ihre sozialen Kontakte pflegten, umso mehr Zeit verbrachten sie im Büro oder beim Einkaufen.«9 (Botsman / Rogers 2010: 43) Ziel der Gesellschaft ist die Vermehrung von Eigentum. Anzumerken ist, dass damit ›ausschließendes Eigentum‹ gemeint ist. Durch ausschließendes Eigentum schafft sich das Individuum Präsenz in der physischen Welt und grenzt sich von anderen Individuen ab. Dadurch ergibt sich die Konsequenz, dass jedes Individuum möglichst viel Eigentum braucht. Wer ein Loch bohren will, fährt in den Baumarkt und kauft sich eine Bohrmaschine. Wer zum Geburtstag keine Geschenke bekommt, reagiert gekränkt. Die Folgen dieses Strebens nach Anhäufen von Eigentum ist der Hyperkonsum: Die Individuen konsumieren mehr als sie nutzen können. Nicht verwendete Dinge wandern in den Müll oder werden im Keller eingelagert, bevor sie irgendwann auf den Müll geworfen werden. Dabei werden Ressourcen geplündert und die Umwelt verschmutzt. Dass diese ›Sucht‹ nach dem Anhäufen von ausschließendem Eigentum auch Folgen für die Architektur hat, wird im folgenden Kapitel beschrieben. 10

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engl. »The less time people spent socializing, the more time they spent in the office or shopping.«

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×  4 Das 18. Jahrhundert ist »wohnsüchtig«: Döschen, Deckchen, Plüsch und dicke Vorhänge schirmen die Außenwelt ab ×5 Das 20. Jahrhundert lässt Licht und Luft in das Haus, aber grenzt sich weiterhin ab – wie die Villa Arpel im Film ›Mon Oncle‹ von Jaques Tati

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Individuelle Architektur Alle Veränderungen im Bewusstsein einer Gesellschaft haben früher oder später Einfluss auf die Architektur. So auch der Wandel im Denken über das Eigentum. Mit dem Verständnis von Eigentum als Abgrenzung beginnt auch die Abgrenzung einzelner Räume voneinander. Während die Räume zuvor miteinander verbunden und die hintersten Räume nur durch ein Durchschreiten der vorderen Räume erreichbar sind, werden sie nun durch einen Korridor voneinander getrennt. Der Korridor ermöglicht es, die Räume einzeln zu erschließen. (vgl. Trüby 2012: 26 – 33) Abgrenzung und Anhäufung beginnen in der gesellschaftlichen Elite, ziehen sich aber später durch so gut wie alle gesellschaftlichen Schichten. Walter Benjamin beschreibt in seinem Passagenwerk das 18. Jahrhundert als ›wohnsüchtig‹ (Benjamin 1982: 291 f.). Jeder Gegenstand kommt in ein Döschen, das mit einem Deckchen verhüllt wird. Die Zimmer sind introvertiert, plüschig und durch dicke Vorhänge von der Außenwelt abgeschirmt. Auf diese Art und Weise baut sich das neu entstehende Bürgertum eine eigene, vom Feudalismus gelöste, auf dem Gedanken des individuellen Eigentums fußende Welt auf. Jeder Raum und jeder in ihm befindliche Gegenstand wird voneinander abgegrenzt. Zwar macht das »zwanzigste Jahrhundert […] mit seiner Porosität, Transparenz, seinem Freilicht- und Freiluftwesen dem Wohnen im alten Stile ein Ende« (Benjamin 1982: 291 f.), die Abgrenzung im Eigentum bleibt aber bestehen. Der Prozess der Abgrenzung und Anhäufung setzt sich fort. Am deutlichsten zu erkennen ist er am Traum vom eigenen Einfamilienhaus mit Garten, das in der nicht dicht besiedelten Vorstadt steht und nur durch das eigene Auto zu erreichen ist. Die Auswirkung auf die Städte sind Zersiedelung und Suburbanisierung. Während sich die europäischen Städte zu diesem Zeitpunkt schon entwickelt haben, wirken sich das Denken des ausschließenden Eigentums besonders deutlich auf die Städte in den USA aus, die zu Beginn des 43


Ă—6 Bau des Chrysler Freeways (I-75) durch den schwarzen Stadtteil Paradise Valley, Detroit 1964

20. Jahrhunderts entstehen und wachsen. Besonders deutlich zu erkennen sind die Auswirkungen des Individualkonsums an der Automobilstadt Detroit.

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Individuelle Stadt Detroit Die Stadt als Konsumprodukt

Detroit im Kontext Die Industrialisierung in den USA beginnt in den Jahren nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776. Nachdem sich an der Ostküste zunächst textilverarbeitende Betriebe ansiedeln, führt die Erschließung großer Vorkommen von Eisenerz, Kohle und Erdöl in den nördlichen Appalachen schnell zur Entstehung einer Verbundindustrie – dem ›Manufacturing Belt‹ (Unger 1995: 1981, 1991). Der Ausbau des Schifffahrts- und Eisenbahnnetzes gegen Ende des 19. Jahrhunderts lässt die Region weiter aufblühen. In Städten wie Chicago (mit Verbindungen in den Süden und Westen des Landes) oder in Detroit (mit Verbindungen an die Ostküste und nach Kanada) entstehen dabei die wichtigsten Knotenpunkte und Handelskorridore. In seiner vollen Größe erstreckt sich der ›Manufacturing Belt‹ im Nordosten der USA, entlang der Großen Seen, von Chicago über Boston und Washington D. C. bis nach New York. Die westlich liegenden Großstädte Chicago und Milwaukee sind Zentren der Lebensmittelindustrie, während sich die aufkommende Stahlindustrie vorwiegend im Staat Ohio ansiedelt und die Automobilindustrie auf die Stadt Detroit konzentriert. Während der Boomjahre des frühen 20. Jahrhunderts ist der Manufacturing Belt die wachstumsstärkste Region der Welt und das wichtigste Produktionszentrum sowohl für den Binnenmarkt als auch für den Export der USA. (Wise 2012) Um den rasanten Aufschwung der Region des Manufacturing Belts zu verdeutlichen, lohnt sich der Blick auf die Stadt Detroit. Detroit wird stärker als jede andere Stadt von der Vorstellung des ausschließenden und somit privaten Eigentums geprägt – ihre Entwicklung ist beispielhaft für viele Städte der Region. Während der ersten 200 Jahre Stadtgeschichte existiert der Ort als unscheinbares Fischerstädtchen am Detroit 46


River bis mit der Ansiedlung der Automobilindustrie und den ersten Fabriken ab 1900 ein extremer Wandel einsetzt. (Booza / Metzger 2004: 44 – 45)

Detroit wird quasi über Nacht reich und hat die Möglichkeit die Vorstellung von ausschließendem Eigentum umzusetzen, zu leben und in bauliche Strukturen zu transformieren. Da die Stadt im Gegensatz zu den europäischen Industriestandorten dieser Zeit kaum eine gewachsene Stadtstruktur vorweist, geschieht dieser Planungsakt am Reißbrett der Immobilienhändler. Als stadtplanende Investoren, (sog. ›Developer‹) treten sie in Aktion, um das Land in gleich große Parzellen zu zerteilen und zu verkaufen (Unger 1995: 1988 – 1989). Anstelle des Erhaltens und Schaffens öffentlicher Räume steht die Profitmaximierung dabei an erster Stelle. Beim Hochhausbau wird erstmals sogar die Ware Luft gehandelt und verkauft. (NYC 2012 a) Weiteres Wachstum, steigende Absatzzahlen der Autobauer und der exponentielle Anstieg der Bevölkerung auf 1,85 Millionen Einwohner bis 1953 (Herron 2004 a: 17) machen den Industriestandort endgültig zur ›Motor City‹: Mit dem eigenen Automobil und einem Netz aus Stadtautobahnen erreichen die Bewohner nunmehr ihre Einfamilienhaussiedlungen und die zahlreichen Shoppingmalls. Als Konglomerat eines neuen Hyperkonsums erstrecken sich immer weitläufigere Architekturen ins suburbane Umland der Metropole. Mit dem um 1960 einsetzenden Niedergang Detroits durch Überkapazitäten, Marktsättigung, Öl-, Finanz- und Kreditkrisen, sowie der Abwanderung von Arbeitsplätzen in Vororte und Entwicklungsländer, zeigt sich bis heute die Kehrseite der Medaille: Aus der gelebten Vorstellung des persönlichen Besitzes ist der Manufacturing Belt vom einstigen Welt-Produktionszentrum zum ›Rust Belt‹ verkommen und Detroit steht heute kaum noch manövrierfähig als ›Motorless City‹ da (vgl. Motorless 2012). Das Phänomen der Kommerzialisierung und Suburbanisierung durch das Streben nach Privateigentum zeigt auch die Bedeutung Detroits im Bezug auf andere Städte: So geschehen in Asien oder Europa seit 1945 vielerorts 47


×7 Fords Model-T und Trambahnen in Downtown Detroit, 1920

ähnliche Entwicklungen der Eigentumsverhältnisse. Vormals konträre Stadtentwicklungsmodelle werden dabei – dem vermeintlichen Erfolgsmodell Detroits folgend – ebenfalls zu Orten der Profitmaximierung und des sich anhäufenden persönlichen Eigentums. Ob dies aber dazu führt, dass ganze Städte und Regionen einen Niedergang erleben werden wie Detroit, bleibt abzuwarten. Vielleicht schafft es die Motor City mit einer erneuten Vorreiterrolle (siehe Kapitel ›Kollaboratives Detroit‹) hier rechtzeitig einen Gegenentwurf zu liefern. In den folgenden Kapiteln wird die Geschichte Detroits mit seinen wichtigsten historischen Eckdaten gezeigt. Danach wird die Entwicklung der Stadt als Konsumprodukt beschrieben und die Folgen der Vorstellung von privatem Eigentum gezeigt, die Detroit geschaffen und letzten Endes schwer getroffen haben.

48


49



× 8

Detroit: Geschichtlicher Überblick10

1701

Stadtgründung durch den französichen General Antoine de la Mothe Sieur de Cadillac unter dem Namen ›Fort Ponchartrain du Détroit‹: Die geografische Bezeichnung ›Le Détroit du Lac Erie‹ greift die Lage an der Wasserstraße zwischen Erie- und St. Clair-See auf. Bevölkerung: 483, einschließlich 33 Sklaven. Detroit dient in den Revolutionskriegen (unter anderem ›Pontiac’s War‹) als britische Außenposten gegen das Vordringen französischer Truppen. Der Stadtname wird zu ›Detroit‹ verkürzt. Detroit zählt nach der Amerikanischen Revolution (1763) und Unabhängigkeitserklärung (1776) offiziell zu den Vereinigten Staaten. 100-jähriges Bestehen, Bevölkerung: 500. Ein Großbrand zerstört nahezu ganz Detroit; Entstehung des bis heute gültigen Stadtmottos: ›Speramus Meliora; Resurget Cineribus‹ – »Wir hoffen auf Besseres; es wird aus der Asche auferstehen«. ›Woodward Plan‹ als Stadtplanungsgrundlage entsteht. Michigan wird 26. Bundesstaat und Detroit zur Hauptstadt (ab 1847 Lansing). Detroit wird wichtiges Transportzentrum (Schiff, Eisenbahn) und Produktionsstandort (Küchen-, Kutschen- und Bootsbau). Bevölkerung: 20 000. Henry Ford baut mit dem ›Quadricyle‹ an der Stelle des späteren ›Michigan Theater‹ sein erstes Atomobil. Ransom E. Olds baut die erste Autofabrik. Innerhalb von zwei Jahren ist er Millionär. 68 Prozent der Bewohner des Großraums Detroit leben im Stadtgebiet. Der Anteil der Weißen Bevölkerung in Detroit liegt bei ebenfalls 68 Prozent. (McGraw / Gavrilovich 2006: 289) Gründung der ›Ford Motor Company‹. Gründung der ›General Motors Corporation‹. Fords legendäres ›Model-T‹ entsteht. Bis 1927 werden 15 Millionen Exemplare verkauft. Auf der Woodward Avenue zwischen 6 Mile und 7 Mile Road entsteht Amerikas erste Straße aus Betonbelagsplatten. (McGraw / Gavrilovich 2006: 59) Weltweit erste Straßenmittellinien in Detroit. ›Hudson’s‹ eröffnet das seinerzeit größte Kaufhaus der USA in Detroit. Bis 1946 wächst dieses auf 200 000 Quadratmeter Fäche und 25 Geschossen. (Hudson 2012) Henry Ford führt das Fließband ein. ›Warren‹ und ›Weltmore‹ bauen das ›Michigan Central Depot‹ als Bahnhofs-Hochhaus. (Vergara 1995: 2018) Henry Ford verkündet den ›5-Dollar-Tag‹. Erste Verkehrsampel der Welt in Detroit. Albert Kahn baut für Ford die weltgrößte Fabrik mit dem Industriekomplex ›River Rouge‹: Gesamtfläche 8 Quadratkilometer, 93 Gebäude, über 100 000 Arbeiter. Albert Kahn baut das ›GM Headquarter‹ als größtes Bürogebäude der Welt. (Van Buren Jones (1995): 2004) Es entstehen 95 Prozent aller Hochhäuser im Stadtbereich Detroits. Das Michigan Theater eröffnet als eines von fünf Theatern mit 4000 bis 5000 Sitzplätzen. Detroit ist Heimat von 3200 großen Firmen und Industriebetrieben, die mehrheitlich im Automobilsektor produzieren. Eröffnung der ›Ambassador Brücke‹ als Verbindung nach Windsor in Kanada. Detroit wird trotz Wachstumseinbruch der Weltwirtschaftskrise zur Millionenstadt und erstreckt sich über ca. 225 Quadratkilometer.

Stadtkarte 1838

1751 1763

1796 1801 1805

1807 1837 1850 1896 1900

1903 1908 1909 1911

1913 1914 1915 1917 – 1927 1921 1925 – 1929 1928

1929 1930

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Informationen und Daten, wenn nicht anders gekennzeichnet, in Anlehnung an (Herron 2004 a: 16 – 17)

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1930 1940 – 1960

1941 1942 – 45

1943 1950 1953

1954 1956

1959 1960

1965 1967 1969, 1972, 1976

1970 – 1980 1974 1976 1977

1978-1998 1980 1981

1983 1984 1986 1987

Detroits städtisches Schienennetz umfasst 30 Linien mit einer Gesamtlänge von 860 Kilometern. (McGraw / Gavrilovich 2006: 232) Mehr als 3 Millionen Afroamerikaner ziehen aus dem ländlichen Süden in die Städte des Nordens. Detroits schwarze Bevölkerung wächst von 150 000 auf nahezu 500 000. (Unger 1995: 1991) Straßenbahnen fahren mit einer Taktung von 60 Sekunden entlang der Woodward Avenue. (McGraw / Gavrilovich 2006: 232) In Detroit werden die Autofabriken zum Bau von Panzern, Flugzeugen und Waffen umgerüstet. Mit dem Davison Freeway entsteht die erste Stadtautobahn zu den Auto- und Rüstungsfabriken. Detroit erlebt seine dritten Rassenunruhen mit 34 Toten. 65 Prozent der Bewohner des Großraums Detroit leben im Stadtgebiet; 58 Prozent der Stadtbevölkerung sind Weiße. (McGraw / Gavrilovich 2006: 289) Detroit erreicht als drittgrößte Stadt der USA seinen Bevölkerungshöchststand von 1,85 Millionen Einwohnern. Die Stadtfläche umfasst 360 Quadratkilometer. Wendepunkt in der Stadtentwicklung und Beginn zunehmender Suburbanisierung. Mit dem ›Northland Center‹ baut Victor Grün im Detroiter Vorort Southfield die erste Shoppingmall. Als zwischenzeitlicher Eigner baut General Motors Detroits Stadtbahnen zurück. Autos (und Busse) sind nunmehr die einzigen Verkehrsmittel. Mit Hilfe des ›Federal-Aid Highway Act‹ werden weitere städtische Autobahnen gebaut. Die Autobahn löst die Eisenbahn als wichtigste Ost-West Verbindung (nach Chicago) ab. Eine Volkszählung bestätigt zum ersten Mal das Schrumpfen der Stadt. Ford, General Motors und Chrysler haben weiterhin einen Marktanteil von 90 Prozent auf dem amerikanischen Automobilmarkt. Berry Gordy gründet ›Motown Records‹. Der Gebäudeabriss wird zur primären Bauaktivität in Detroit. Detroit erlebt schwere Rassenunruhen mit 43 Toten. Für den Bau der Interstates I-75, I-96, I-275 werden Tausende Bewohner Detroits (größtenteils Afroamerikaner) zwangsumgesiedelt und zahlreiche Stadtquartiere durchschnitten und voneinander getrennt. Im Stadtgebiet von Detroit werden durch Werkschließungen und Verlagerungen in der Automobilbranche 208 000 Arbeitsplätze abgebaut. Coleman Young wird Detroits erster afroamerikanischer Bürgermeister. Gründung der ›University Cultural Center Association‹ (UCCA), zur Stärkung Midtowns. Mit dem ›Renaissance Center‹ verlegt General Motors seinen Firmensitz ins Zentrum Detroits. Der Versuch einer nachhaltigen Wiederbelebung der Stadtmitte scheitert. Die Stadtverwaltung genehmigt 108 000 Abrisse und vergibt gleichzeitig lediglich 9000 Baugenehmigungen. Urbane Farmen entstehen auf Stadtbrachen. Für den Bau der neuen GM ›Cadillac‹-Fabrik werden auf 190 Hektar Stadt-gebiet in Poletown 3500 Menschen zwangsumgesiedelt, 1500 Häuser, 144 Geschäfte, 16 Kirchen, 2 Schulen und 1 Krankenhaus abgerissen. (Corsetti 1983) Das einst größte Kaufhaus Hudson’s schließt seinen innerstädtischen Departmentstore zugunsten seiner drei Malls in den Vororten. 30. Oktober, ›Devil’s Night‹: 810 brennende Häuser innerhalb einer Nacht. Das Michigan Theater wird als Parkgarage umgenutzt. Detroit führt die Mordrangliste in den USA mit 646 registrierten Morden (58,2 pro 100 000 Einwohner). (Unger 1995: 1999) Bau der Monorailbahn ›People Mover‹ als 4,7 Kilometer Rundkurs im Stadtzentrum. Der Versuch der Downtown-Wiederbelebung scheitert.

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1988 1990 Ab 1990

1996 2000

2000 – 2010 2007 2009 – 2011

2010

2011

2012

Juni 2012

Das Michigan Central Depot wird still gelegt. In Detroit stehen insgesamt 30 Hochhäuser und Wolkenkratzer leer. Nur noch 25 Prozent der Bewohner des Großraums Detroit leben im Stadtgebeit; 8 Prozent der Stadtbevölkerung sind weiß (McGraw / Gavrilovich 2006: 289). Mit Investitionen in den Downtown- und Midtownbezirken wird der zentrale Stadtbereich gestärkt. Das restliche Stadtgebiet erfährt im Gegenzug weitere Kürzungen in der Infrastruktur. Erste Maßnahmen für ›Community Supported Agriculture‹ (CSA): Förderprogramme zum Anbau von Gemüse auf Brachflächen. Drei Großkasinos entstehen in der Stadt; sie sollen neue Steuereinnahmen generieren. Seit 1930 fällt die Bevölkerungszahl zum ersten Mal wieder unter 1 Million. Detroit hat 40 000 leere Grundstücke (Zum Vergleich, New York 9800, Chicago 4500) (McGraw / Gavrilovich 2006: 295). Das erste ›Electronic Music Festival‹ wird in Detroit ausgetragen. Die Bevölkerung der Stadt sinkt um 25 Prozent; Detroit fällt von Rang 10 der größten amerikanischen Städte auf Rang 18 (Data 2010). Detroit wird laut dem ›Morgan Quitno Städteranking‹ als gefährlichste Stadt der USA gelistet. Bis 2010 verbessert sich die Stadt auf Position 3 (Quitno 2011). Mit ›Quicken Loans‹ und ›Compuware‹ verlegen erstmals seit den 70er Jahren wieder zwei Großunternehmen ihre Firmensitze nach Downtown Detroit. Es entstehen 4000 neue Arbeitsplätze. (Freep 2011) Mit dem Projekt ›I3-Detroit‹ eröffnet der erste Hackerspace in Detroit. (I3 2012) 79 725 Häuser im Stadtgebiet stehen leer oder sind ausgebrannt. 714 000 Menschen leben im Stadtgebiet, 4 296 000 in der Metropolregion. Die Arbeitslosigkeit steigt in einigen Stadtquartieren auf bis zu 70 Prozent. Der Anteil der schwarzen Bevölkerung im Stadtgebiet liegt bei knapp 95 Prozent (Data 2010). Bei der jährlichen Zwangsversteigerung der Stadt Detroit stehen 13 000 Gebäude zur Auktion(Quelle). Mit dem Projekt ›Green Garage‹ eröffnet eine zentrale Anlaufstelle für kollaborative Gründungsinitiativen (Green 2012 a). Mit ›Ponyride‹ entsteht ein kollaborativ genutzter Hackerspace mit Wohn-, Arbeits- und Produktionsbereichen (Oosting 2011). Die Stadtbevölkerung von Detroit unterschreitet die Marke von 700 000 (Census 2012 b). Feldstudie in Detroit, siehe Kapitel ›Kollaborative Stadt Detroit‹

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×  9 Michigan Central Depot, 1925 (Baujahr 1913) ×  10 Rassen-Unruhen in Detroit, 21.Juni 1943

9

10

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×  11 Fließband-Arbeiter bei Ford, 1928

×  12 Davison Freeway, 1942

×  13 Geschäftszentrum am Campus Martius, Downtown Detroit, 1922

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×  14 Reihenhäuser der Firma Levitt & Sons, um 1950

×  15 Ford Werk River Rouge, 1925

×  16 Ruine: Fließbandhalle Packard Plant, 2012

×  17 Monorailtrasse des People Movers, 2012

×  18 Downtown mit Waterfront, um 2010

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Individuelle Stadt Detroit

Land als Privateigentum In seinem Aufsatz ›Wie Detroit, so das ganze Land‹ (Unger beschreibt der Soziologe Frank Unger die amerikanische Stadt als zumeist kommerzielle Zweckgründung, die auf dem Reißbrett von Immobilienhändlern – und nicht etwa Architekten – entworfen wurde:

1995: 1986 – 2003),

»Deutete sich irgendwo die Möglichkeit an, dass ein Ballungsgebiet entstehen könnte, weil die Pläne von zwei Eisenbahngesellschaften einen Knotenpunkt verhießen, oder beabsichtigte irgendwo ein Industrieller einen größeren Produktionsbereich zu errichten, dann traten die ›Developers‹ in Aktion. Die Farmen in der unmittelbaren Umgebung wurden aufgekauft, Straßen angelegt, und entlang der Straßen wurde das Land in verkäufliche Parzellen aufgeteilt. Auf diese Weise entstand das für amerikanische Städte charakteristische Straßenbild des Gittermusters: Nicht irgendein häufig vermuteter Sinn für praktische Funktionalität verbirgt sich dahinter, sondern das Grundgesetz des Immobilienhandels, das heißt, die Notwendigkeit, den Preis für Grundstücke berechenbar und vergleichbar zu machen.« (Unger 1995: 1988 f.) Demnach sind Städte in Amerika für ihn keine organisch gewachsenen Lebensräume, sondern schlicht Investitionsfelder, die er als »Dauermessen der Immobilienbranche« sieht. Auch die weiteren Ausführungen Ungers zeigen dabei deutlich die kommerzielle Grundhaltung und Eigentumsvorstellung dieses Systems: »Bis ins späte 19. Jahrhundert verbot ein Kanon privater Eigentumsrechte jede Reservierung städtischen Raums für irgendwelche ›öffentlichen‹ Zwecke; die Gewährleistung seiner möglichst schnellen und reibungslosen privaten Veräußerung galt als sein einzig legitimer Zweck. Hier haben wir den juristischen Ausdruck für das, was als amerikanische Ideologie des 56


×  19 Meilen-Straßenraster erkennbar auf dem Satellitenbild von Detroit und Windsor, 2006

77

19

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›Privatismus‹ bezeichnet werden könnte: Sie besagt, die ökonomische Bereicherung sei das höchste Ziel jedes Individuums, deshalb ist es auch die höchste, ja einzige Funktion der Stadt, eine optimale Umgebung für das private Gewinnstreben derjenigen freien amerikanischen Bürger bereitzustellen, die sich dem Kauf und Verkauf von Immobilien verschrieben haben.«

Land als Privateigentum

(Unger 1995: 1989)

Die weitreichenden Folgen dieser Einstellung, die laut Aufsatztitel Gültigkeit in den gesamten USA und nicht nur Detroit hat, zeigen sich im Vergleich mit europäischen Stadtmodellen. Traditionellerweise bildet das Zentrum einer europäisch-mittelalterlich geprägten Stadt der öffentliche Raum eines Marktplatzes (vgl. Gruen 1973: 176, 211). Ein wichtiger Hinweis darauf, dass der städtischen Gesamtstruktur ein anderes Besitzmodell zugrunde liegt, bei dem der Gedanke des Gemeineigentums und des öffentlichen Raums in seiner ursprünglichen Auslegung wesentlich bedeutsamer ist. Ein weiteres Beispiel dafür liefert auch bis heute das skandinavische Land Schweden. Hier regelt das sogenannte ›Allemansrätt‹ (Jedermannsrecht) als traditionelles Recht zum Gemeingebrauch, den Aufenthalt in Schwedens Natur. Getreu der Faustregel ›niemanden stören und nichts zerstören‹ ist es dabei jedem erlaubt, ohne Einwilligung des Besitzers eine Nacht auf fremdem Boden zu zelten, sofern sich der Standort nicht auf einer landwirtschaftlichen Nutzfläche oder in der Nähe eines Wohn- oder Ferienhauses befindet. (Allemansrätt 2012) Wie konträr diese Vorstellung zum amerikanischen und Detroiter Verständnis von Eigentum ist, zeigen die folgenden Kapitel. Privatbesitz als ausschließender Besitz findet sich hier mittlerweile in allen infrastrukturellen Bereichen wieder: Wasserversorgung, Stromnetze, Straßenbau, Bahnlinien und dergleichen sind in den Händen profitorientierter Privatfirmen gelandet. Wie von Frank Unger gezeigt, reichen die Ursprünge dieses Systems zurück bis zur Gründung der Stadt. 58


Die folgenden Kapitel über den ›Ausverkauf in der Vertikalen und Horizontalen‹ werfen einen neuen Blick auf die Stadtentwicklung Detroits. Unter dem Gesichtspunkt des Privateigentums werden dabei architektonische Strukturen wie die Fabrik, die Shoppingmall und das Einfamilienhaus betrachtet. Das Automobil und seine Folgeerscheinungen sind dabei wichtiges Bindeglied und Referenzobjekt für den individuellen Privatbesitz, der Detroit zur Motor City macht.

Vertikaler Ausverkauf Das Hochhaus Detroits fulminantes Wachstum durch die aufstrebende Automobilindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts führt zu einer rasanten Ausweitung der Stadtgrenzen. Während in der Fläche meist niedrige Wohnhäuser und Fabriken das Umfeld der nunmehr 1,56 Mio. Einwohner (1930) (Oswalt / Hagemann et al. 2005: 56) dominieren, entsteht im Stadtzentrum entlang der Woodward Avenue als zentraler Verkehrsader bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine aufblühende Bürohaus-Architektur mehrstöckiger Bauten. Im Jahr 1928 haben sich aus den automobilverwandten Industrien bereits 3200 Firmen im Stadtgebiet Detroits niedergelassen , die das Geschäftsviertel innerhalb kurzer Zeit durch eine gewaltige Ansammlung von Kapital verwandeln (Van Buren Jones 1995: 2007). Grundstücksspekulanten und Investoren zeigen dabei wenig Interesse an der Architektur des vorigen Jahrhunderts und ersetzten 10-geschossige Bauten, Kirchen und kleine Theater durch erste Hochhäuser, riesige Warenhäuser und Filmpaläste mit insgesamt mehr als 25.000 Sitzplätzen. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg liegt Detroit mit seiner Wachstumsrate vor allen anderen US-Städten und verdrängt mit seinem jährlichen Bauvolumen im Jahr 1924 Los Angeles vom dritten Platz (Van Buren Jones 1995: 2007 f.). Im Zeitraum von 1925 bis 1929 entstehen 95 Prozent der Hochhäuser von Detroit und die Grundstückspreise in Downtown erreichen ihren Höchststand. Detroit wird quasi 59


×  20 Penobscot Building, 1935 ×  21 Transfer von ungenutztem Luftrecht

×  22 Gebäuderücksprung zur Straßenseite

20

Transferiertes Luftrecht

Regulär zulässige Bauhöhe mit ungenutzten Luftrechten

21

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Str

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über Nacht zur drittgrößten Wolkenkratzer-Metropole der USA – einzig Chicago und New York City schaffen es, noch mehr Kapital in Form von immer höher aufragenden Türmen in ihren Finanzzentren zu bündeln (vgl. Herron 2004 a: 17).

Luft wird zur Ware Aus dem Gedanken, ein Mindestmaß an Luft und Licht in die immer tiefer werdenden Häuserschluchten zu lassen, entwickelt der Architekt Ernest Flagg bereits 1898 den Vorschlag, unmittelbar an der Straße nur noch Gebäudeteile mit einer begrenzten Höhe zuzulassen (MIT 2012). 1916 wird dieser Vorschlag in New York als ›Zoning Resolution‹11 erstmals in eine Bauordnung aufgenommen, was in der Folge zu treppenartig von der Straße aufsteigenden Hochhäusern führt. (vgl. NYC 2012 a) Während das Konzept Flaggs für den Stadtnutzer als selbstverständliche Notwendigkeit erscheinen mag, ist die finanzielle Idee dahinter, mit der die Zoning Resolution von Investoren entwickelt wird, die entscheidende Neuerung: So wird als wichtiger Bestandteil der Resolution und ihrer Weiterentwicklung unter dem Begriff des ›Luftrechts‹ das Modell von Privateigentum in eine neue Kategorie überführt. Anstelle der bisher gültigen Vorstellung von Luft als Allgemeingut12 wird diese schlagartig zur handelbaren Ware. Der Bauplatz als Fläche dringt damit in eine neue, dritte Dimension der Vertikalen und kann nunmehr als Volumen gelesen und gehandelt werden. Über den Wert eines Bauplatzes im zentralen Geschäfts- und Hochhausbereich einer Stadt wie Detroit entscheidet somit nicht länger primär die Größe des Grundstücks, sondern vielmehr das damit verbundene Nutzungsrecht des Luftraumes als maximal mögliches Bauvolumen in der Vertikalen.

11 12

Bauordnung des New York City Department of Planning zur Flächennutzung einschließlich des umbauten Luftraumes vgl. Allmende, ›Res Communis‹

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Vertikaler Ausverkauf

Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Skyline von Detroit, so kann man feststellen, dass viele formale Ausprägungen nicht etwa Gestaltungsmerkmale der Architekten sind, sondern vielmehr dem Gedanken der Profitmaximierung entstammen. Einer vorgegebenen Hüllkurve folgend, wird dabei das maximal zulässige Bauvolumen ausgenutzt. Die treppenartige Form ist dabei schlichtweg die günstigste Form (NYC 2012 b). Die beiden New Yorker Wolkenkratzer ›Empire State Building‹ (1931) und ›Chrysler Building‹ (1930) (Burns et al. 2002: 384) sind wohl die bekanntesten Vertreter dieser baurechtlichen Auflage. Mehrere ihrer Vorreiter sind jedoch in Detroit zu finden. Zwei prägnante Beispiele der Motor City bilden das ›Penobscot Building‹ und das ›Fisher Building‹, die 1927 bis 1929 entstehen. (Van Buren Jones 1995: 2005) Während diese frühen Detroiter Beispiele als direktes Resultat der angewandten Zoning Resolution zu lesen sind, spielt bei neueren Projekten der Kauf und Verkauf von Luftrechten eine immer größere Rolle. Wer es schafft, seinem Nachbarn Höhenmeter abzukaufen, braucht nicht länger auf Rücksprünge der Gebäudeform zu achten und darf diese Höhe auf sein eigenes Haus draufsetzen (NYC 2012 b) Detroits ›Renaissance Center‹ (1977) oder Donald Trumps‹ diverse Glastürme in New York sind Beispiele für diesen Handel, der sich oft in der deutlich niedrigeren Bebauung der angrenzenden Gebäude ankündigt. Wer in New York derzeit zusätzliche Luft sein Eigentum nennen möchte, zahlt für die erstandenen Quadratmeter im Schnitt 50 Prozent mehr als der normale Grundstückspreis pro Quadratmeter ohnehin schon kostet. 2005 bekommt die New Yorker ›Christ Church‹ an der Park Avenue ein Angebot über 37 Millionen Dollar für ihren nicht genutzten Luftraum, der dem Bauherrn des Nachbargrundstücks zusätzliche Höhenmeter einbringen soll. (Schönstein 2005)

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Horizontaler Ausverkauf Stadt der Fabrikgebäude Den Startschuss zu einer fulminanten Entwicklung industrieller Architektur legt im Jahr 1900 Ransom Olds, der zum Bau seiner ›Oldsmobiles‹ die erste Autofabrik Detroits eröffnet (Herron 2004 a: 16). Zehn Jahre später gibt es bereits ein dichtes Netzwerk aus rund 2000 Firmen, Zulieferern und weiteren Betrieben, die mehrheitlich mit dem Produktionsablauf und Verkauf von Automobilen beschäftigt sind (Van Buren Jones 1995: 2008). Detroit wird damit innerhalb von nur einem Jahrzehnt zum weltweit größten Produktionsstandort für Automobile. Mit den Firmensitzen und zahlreichen Werken der drei größten amerikanischen Autobauer ›Ford Motor Company‹, ›General Motors Corporation‹ und ›Chrysler Motor Corporation‹ im Stadtgebiet, produziert Detroit während der ersten 70 Jahre des 20. Jahrhunderts etwa 90 Prozent aller Autos, die auf amerikanischen Straßen zugelassenen sind.13 Diese rasante Entwicklung und der Aufstieg Detroits sind möglich, da die Stadt, gelegen am Detroit River als Verbindungskanal zwischen dem Erie-See und dem St.Clair-See eine strategisch günstige Lage einnimmt. Dringend benötigte Rohstoffe wie Erz, Holz und Kohle erreichen die Produktionsstätten aus den Appalachen, während die Eisenhütten im Norden Michigans die Unternehmen mit Stahl, Kupfer und Messing versorgen (vgl. Unger 1995: 1991). Als Transportwege dienen dabei die Wasserwege und Kanäle der großen Seen, die Handelsrouten zum Atlantik und ins Landesinnere über den Mississippi eröffnen. Zusätzlich gibt es gegen Ende des 19. Jahrhunderts bereits Eisenbahnverbindungen nach Kanada, zur Ostküste und über Chicago in den Rest des Landes. Durch die Vorgeschichte Detroits als Produktionszentrum für Küchen, Schiffe und Kutschen

13

1980 haben Ford, GM und Chrysler zusammen einen US-Marktanteil von 75,4 Prozent, 1990 liegt er bei 71,6 Prozent und bis 2005 schrumpft er auf 57 Prozent (McGraw / Gavrilovich 2006: 16).

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Horizontaler Ausverkauf

können die neu entstehenden Automobilfabriken auf eine vorhandene Infrastruktur und das Fachwissen von Ingenieuren und Metallarbeitern zurückgreifen. Verhältnismäßig große Kapitalmengen der ersten Unternehmergeneration und die Verfügbarkeit von billigen, zugewanderten Arbeitskräften (zumeist europäische Einwanderer oder schwarze Landbevölkerung aus den Südstaaten) sind dabei Garanten stetig wachsender Investitionen. (Kerr 2000: 64) Alleine in den Jahren 1904 bis 1919 entstehen in Detroits Automobilfabriken mehr als 75 000 neue Arbeitsplätze (ebd. 64). Ein Beispiel der Produktivitätssteigerung des Systems zeigt die ›Ford Assembly Plant‹, die mit der Einführung des Fließbandes im Jahr 1913 (ebd. 65) darüber hinaus Produktionsabläufe, Effizienz und Architektur nachhaltig beeinflusst: Zusammen mit dem Architekten Albert Kahn entwickelt Henry Ford in der Detroiter Vorstadt ›Highland Park‹ in Anlehnung an Frederick Taylors (1856 – 1915) Prinzipien des ›Scientific Management‹ ein neuartiges Konzept bei dem »sämtliche für den Produktionsvorgang erheischte Geistesarbeit […] der Werkhalle entzogen und auf das Management verlagert« (Unger 1995:1991) wird. Über empirische Studien der Produktionsabläufe, Aufstellung der Fertigungseinrichtungen und den umfassenden Einsatz der neu entwickelten Förderbänder, generiert sich daraus bis ins Jahr 1913 endgültig ein neuer und alsbald weltweit kopierter Typus der Fabrik: als eingeschossige Betonkonstruktion mit allen Produktionsbereichen unter einem Dach; ohne trennende Wände, dafür mit Sheddächern zur gleichmäßigen Verteilung des Tageslichts als weit gespanntes Modul-System von potenziell grenzenloser Erweiterbarkeit. (Senkevitch 1995: 2044) Beim Bau des Ford Model-T revolutioniert diese neue Synthese aus Architektur und ›Taylorismus‹ ein ganzes System: Aus 14 Stunden Arbeitszeit für den Karosseriebau werden 90 Minuten, die nunmehr von größtenteils ungelernten Arbeitskräften geleistet werden können. Der Verkaufspreis kann bei steigenden Umsätzen von 850 auf 298 Dollar gesenkt werden und Fords Arbeiter erhalten schlagartig fast das doppelte Gehalt von 5 Dollar pro Tag. Im Zeitraum 1908 64


×  23 Werkhallen bei Ford in Dearborn: Produktion auf einer Ebene, 1925

×  24 Stahlpresswerk von Chrysler, 1938 Architekt bei beiden: Albert Kahn

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Horizontaler Ausverkauf

bis 1927 werden in den Ford Werken und den Förderbändern von Highland Park insgesamt 15 Millionen Einheiten des Model-T gebaut. Mit der ›Tin Lizzy‹ wird das Automobil endgültig Massenprodukt, das die individuelle Mobilität, Freiheit und Besitzvorstellung revolutioniert. (McGraw / Gavrilovich 2006: 44, 224)

Die Bedeutung der Fabrik als Produktionszentrum des Wohlstandes und physischem Ausgangspunkt des Privateigentums zeigt sich in Detroit auf stadträumlicher Ebene mit der zunehmenden Versiegelung von Land für immer neue Produktionsstätten: Highland Park wächst mit Fords Investitionen zu einem kompletten Stadtteil, der neben den riesigen Fabrikhallen auch eigene Schulen und Krankenhäuser beherbergt. Damit geschieht die Bereitstellung städtischer Infrastrukturen nun auch von privater Seite. (Unger / Carlson 1994: 61 ff.)

1917 bis 1927 erfolgt mit dem Werk ›River Rouge‹ der nächste Coup der Firma Ford an der Grenze von Dearborn und Detroit, die mit einer 8 Quadratkilometer großen Fabrikanlage die horizontale Expansion an neue Grenzen stoßen lässt. 100 000 Angestellte verteilen sich dort auf insgesamt 93 Gebäude. Bei der Fertigstellung aller Ausbaustufen im Jahr 1927 ist die größte Produktionsstätte der Welt fertiggestellt: Von der Anlieferung der Rohstoffe für den Automobilbau, durch konzerneigene Bergbaugesellschaften bis zur Auslieferung der Neuwagen, geschieht hier alles an einem Ort. (Van Buren Jones 1995: 2004) Der vom langjährigen General Motors Präsidenten (und späterem Verteidigungsminister) Charlie Wilson 1952 ausgegebene Leitspruch »was für GM gut ist, ist auch für den Rest des Landes gut – und umgekehrt genauso«14 zeigt die Einflussnahme und Durchsetzungskraft der Autofirmen, die Detroit und seine Bürger regelmäßig zu spüren bekommen. Besonders deutlich wird dies im Jahr 1981 sichtbar: Unter massiven Protesten, die mit Ausschreitungen und Toten enden, wird dabei zum ersten Mal einem 14

66

Originalzitat, Charlie Wilson 1952: »What’s good for GM is good for the country – and vice versa.« (Plunz 1995: 2012)


profitorientierten Privatunternehmen das Recht zugesprochen, Enteignungen und Zwangsumsiedlungen durchzuführen. Abgesichert ist das Vorhaben durch ein umstrittenes aber rechtskräftiges Urteil des Supreme Courts. Zum Bau der General Motors Cadillac-Fabrik im Detroiter Stadtteil Poletown, werden dabei 3500 Menschen umgesiedelt, sowie 1500 Häuser, 16 Kirchen, Schulen und Kindergärten abgerissen (Corsetti 1983). Dies ist in seiner Konsequenz der wohl stärkste Beweis für die Rolle und Bedeutung der Fabriken auf Expansionskurs in Detroit. Profitinteressen stehen dabei höher als die Werte einer gewachsenen Gesellschaft oder die Rechte von Individuen. Den Wunsch nach Wachstum und das Konzept vom persönlichen Eigentum in Form neuer Autos sieht auch das oberste Gericht der USA dabei als vorrangig an.

Stadt der Shoppingmalls Als wichtige Grundlage im Verteilungswettstreit um die Kaufkraft immer neuer Kunden etablieren sich in Detroit schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts große Ladengeschäfte und Handelshäuser. 1911 eröffnet mit dem ›Hudson’s‹ das seinerzeit größte Kaufhaus der USA in Detroit, das bis 1946 auf 200 000 Quadratmeter Verkaufsfläche anwächst, die sich auf einen kompletten Stadtblock mit 25 Geschossen verteilen (Oswalt / Beyer et al. 2005: 67). Für die Eigentümer der daraus entstehenden Warenhauskette steigen Umsatz und Gewinn mit jedem neuen Produkt, das sie in ihr Sortiment der Filialen und Versandkataloge aufnehmen. Überzeugt vom wirtschaftlichen Modell der Warenhäuser, wendet sich der österreichische Architekt Victor Grün als Beobachter der zunehmenden Suburbanisierung Detroits 1948 an die Eigentümer des Unternehmen Hudson’s (Gruen 1973: 27 ff.). Sein neues Geschäftsmodell sieht dabei vor, in der expandierenden Stadt neue Handelszentren und Treffpunkte in den Vororten zu schaffen, die motorisierte Massen über Autobahnen erreichen können, ohne in die Innenstadt fahren zu müssen. 67


×  25 Luftaufnahmen des Northland Centers mit Parkflächen und Autobahnanbindung, 1956

×  26 1954 eröffnete das Northland Centerin Southfield, Oakland, als erste Shopping Mall weltweit.1985 wurde das letzte Kaufhaus in der Stadt Detroit geschlossen (Oswalt 2005: 59)

25

Macomb

Oakland

Detroit

Wayne

26 Einkaufszentren mit über 10000 Quadratmeter Verkaufsfläche in Detroit und seinen angrenzenden Countys

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Northland Center, Southfield (Eröffnung 1954) Hudson’s Einkaufszentren (Eröffnung 1950 – 1960) Einkaufszentren (Stand 2005)


Mit dem ›Northland Shopping Center‹ wird 1954 in Detroit die weltweit erste Shoppingmall dieser Art eröffnet (Herron 2004 a: 17). Kurz darauf entstehen auch in den inneren Vorortringen im Osten und Westen der Stadt weitere Dependancen. Bereits die Zahlen für die Northland Mall sind bestechend: Unter einem Dach finden sich 110 Geschäfte mit insgesamt 130 000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Die Konstruktionskosten liegen bei 30 Millionen Dollar und bereits der erste Jahresumsatz erreicht 88 Millionen Dollar. (Time 1956)

Den Versprechen des Hyperkonsums folgend gibt es immer mehr Malls in den Vororten Detroits, die neben den reinen Einkaufsfunktionen auch zunehmend Dienstleistungszentren und Orte der Freizeitgestaltung werden. Gruens Hoffnung mit den Malls gleichfalls einen öffentlichen Raum als Stadtteilzentrum für die Vororte zu schaffen, bleibt dabei von Anfang an eine Illusion: Innerhalb der Malls dient der gesamte Raum als kommerzialisierte Zone und Verkaufsplattform, selbst Wartezonen und Grünflächen gehören dazu. Sie dienen der Unterbringung von immer neuen Werbeangeboten oder verwinkelten Wegesystemen, die darauf ausgelegt sind, den Kunden möglichst lange im Inneren der Konsumtempel im ›Kaufrausch‹ gefangen zu halten. Die architektonisch räumliche Ausprägung der Malls folgt ebenfalls einem streng genormten Muster: Der zu erwartende Individualverkehr in Form von Autos bestimmt den Flächenbedarf. Daraus generiert sich die Gebäudegröße nach einer simplen Faustformel: Die eingeschossige Bebauung überdeckt etwa 40 Prozent der Landfläche, die restlichen 60 Prozent sind Parkplatzflächen. In der Investorensprache findet man diese 40-prozentige Bebauung des Grundstücks unter dem Motto »the world moves at 0.4 FAR« (floor-to-area-ratio), Formenvielfalt ist dabei nicht vorgesehen. (Garreau 1992: 121) Die enorme Flächenversiegelung und horizontale Ausdehnung mit dem Bau der Malls zeigt sich auch in den Verhältnissen von Auto und Mensch: Um ein Auto zu parken (Parkplatz plus anteilige Zufahrten) sind etwa 37 Quadratmeter 69


Stadt der Shoppingmalls

vorgesehen, während der Mall-Angestellte im Schnitt etwa 23 Quadratmeter Fläche zur Verfügung hat. (Garreau 1992: 118) Der Erfolg der Malls, der steigende Konsum und die weitere Verlagerung des Kapitals in die Vororte führen 25 Jahre nach Eröffnung des Northland Centers dazu, dass im Zentrum Detroits kein einziges Einkaufszentrum mehr gibt (Unger 1995: 2003). Die dortige Hudson's-Filiale wird geschlossen. Zum Einkauf fährt man ins Umland, wenn man nicht sowieso schon dort wohnt.

Stadt der Einfamilienhäuser Mit dem wachsenden Wohlstand der Fabrikarbeiter wächst der Wunsch nach privatem Eigentum und einem höheren Lebensstandard. Der Traum, sich mittels eines Eigenheims den Lebensstil der Mittelschicht kaufen zu können, wird durch die Vergabe von billigen Krediten für viele wahr. Der Blick auf Luftbilder oder Karten zur Siedlungsstruktur Detroits verdeutlicht, dass mit der letzten großen Expansion des Stadtgebiets in den späten 20er Jahren auf einer Fläche von über 360 Quadratkilometern (Herron 2004 b: 32) und allen folgenden Schritten der Suburbanisierung über die Stadtgrenzen hinaus der Typus des Einfamilienhauses die nahezu einzige Bauform ist – und bleibt. Entscheidenden Einfluss auf die rasche Verbreitung der Einfamilienhäuser haben die günstigen Preise, die durch Vorfertigung erzielt werden können, sowie der Einsatz staatlich subventionierter Kreditprogramme wie der ›Federal Housing Administration (FHA) mortgage financing and subdivision regulation‹ (Fishman 2000: 20). Dass mittels dieser Strategie trotzdem massenweise ungedeckte Kredite vergeben werden, nehmen Banken und Produzenten wissentlich hin und ist sogar strategisch gewollt, um Fabrikarbeiter zu Konsumenten ihrer eigenen Güter zu machen. Zudem ist ein Arbeiter, der darauf angewiesen ist seine monatlichen Raten abzuzahlen, tendenziell weniger protestbereit oder gewerkschaftlich organisiert – entscheidende Faktoren, bei der Kontrolle und dem Streben nach Profit. 70


×  27 Eastside Detroit mit Blick auf nach Süden Richtung Downtown, um 1930

×  28 Levittown: Reihenhaussiedlung um 1950

×  29 Baustelle mit Material für ein Fertighaus, einschließlich Küche, 1948 27

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Stadt der Einfamilienhäuser

Zur Finanzierung eines Standard-Einfamilienhauses der Firma ›Levitt and Sons‹ im Wert von 7 990 Dollar, inklusive aller Installationen, Küche und Außenraumgestaltung, beträgt die Anzahlung gerade einmal 10 Dollar (plus 90 Dollar bei Einzug) und die monatliche Rate zur Abzahlung des Kredits weitere 60 Dollar (Blackwell 1951). Je nach Finanzierungsplan – für Kriegsheimkehrer entfallen Anzahlung und Einzugsrate – ergibt sich daraus ein System, das mit der monatlichen Belastung deutlich unter einem zu zahlenden Mietzins liegt. Der nunmehr erschwingliche ›American Dream‹ in Form des Eigenheims wird dabei besonders in den Nachkriegsjahren zum Verkaufsschlager – angeboten in immer neuen Varianten und Produktkatalogen. Auf den Internetseiten ›Levittowners‹ (Levitt 2012) und ›Capitalcentury‹ (Zehren 2012: 6), als Austausch-Plattform zum größten Hersteller für vorfabrizierte Einfamilienhäuser um 1950 (Levitt and Sons), deuten die Einträge der Nutzer auch heute noch auf die große Beliebtheit und Bedeutung dieser Entwicklung hin: »Wir waren jung […] und wir dachten Bill Levitt wäre der großartigste Mensch der Welt. Stell dir vor – eine Anzahlung von 50 Dollar, 90 Dollar beim Einzug und du hattest ein eigenes Haus! Levit, ein genialer Verkäufer, nannte es Demokratie auf dem Immobilienmarkt […], die jeder Familie in den Vereinigten Staaten zu einer angenehmen Unterkunft verhalf.«15 Ein anderer Nutzer zeigt sich kritischer, indem er vor allem das Streben nach Profit und weniger den Willen der Demokratisierung erkennt: »Bill Levitt was the Henry Ford of Housing« (ebd.). Dies wiederum passt zur Aussage, die Levitt im Privaten als Firmenphilosophie ausgegeben haben soll:

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engl. »We were young, […] and we thought Bill Levitt was the greatest man in the world. Imagine it $10 deposit, $ 90 at settlement, and you had a house of your own! […] Levitt, a dapper salesman called it democracy in real estate […] entiteling every family in the United States to decent shelter.« (Levitt 2012)


»Jeder Trottel kann Häuser bauen. Was zählt ist, wie viele du für wie wenig verkaufen kannst.«16 Das Einfamilienhaus mit Garten, Doppelgarage und den dazugehörigen Besitztümern stellt durch seine Omnipräsenz im Statdgebiet und den Vororten Detroits den größten Einflussfaktor in der horizontalen räumlichen Entwicklung Detroits dar. Der Privatbesitz als Symbol für Freiheit und der Wunsch nach mehr Raum und Komfort prägen die weitläufig zersiedelte Stadtsruktur bis heute. In der typischen Infrastruktur von ›Suburbia‹ mit Mall und Stadtautobahn ist die Auffassung von Raum als ein fast ausschließlich privates Konzept zu beachten: Im Vergleich zum Innenstadtgebiet wird dieses Konzept besonders in den Vorstädten der Einfamilienhaussiedlungen durch ›Gated Communities‹, eingezäunte Gärten und Privatparkplätze perfektioniert. (ebd.)

Stadt der Autobahnen Für die Entwicklung Detroits ist das Thema der Mobilität und der damit verbundene Wandel vom öffentlichen Massenverkehr zum privaten Individualverkehr eine der bedeutendsten und weittragendsten Transformationen der Stadtgeschichte. Mit dem ›Woodward Plan‹ (Augustus Woodward, 1774 – 1827) entsteht 1807 ein erstes großräumliches Verkehrswegekonzept, das die Stadt auf der Grundlage ihres Einmeilenrasters mit einer konzentrischen Primärstruktur überlagert: Vom Ausgangspunkt am ›Grand Circus› laufen sechs radial angeordnete Hauptverkehrsachsen sternförmig nach außen, wo sie über zwei große Ringstraßen verbunden sind und bis heute das Straßenbild der Stadt bestimmen. (Herron 2004 a: 16) Ihre wirkliche Bedeutung für die Stadtmobilität erfahren diese Hauptverkehrsadern mit dem Bau von Eisenbahn16

engl. »Any damn fool can build homes. What counts is how many can you sell for how little.« (Zehren 2012: 6)

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Stadt der Autobahnen

und Tramlinien ab 1861, die mit dem rasanten Aufstieg der Stadt ab 1900 in ein weitverzweigtes Netz aus städtischen Bahnlinien ausgebaut werden. Zusammen mit dem 1913 errichteten ›Michigan Central Depot‹ (Vergara 1995: 2019), als Knotenpunkt für den Fernverkehr, erreichen die städtischen Tramlinien im Jahr 1930 mit einer Gesamtgleislänge von etwa 860 Kilometern (innerhalb der Stadtgrenzen) und 30 Linien, ihre größte räumliche Ausdehnung. Detroit hat damit das seinerzeit fortschrittlichste Nahverkehrssystem der USA. Die große Effizienz des Systems zeigt sich besonders deutlich auf der Woodward Avenue als Hauptverkehrsader, die zu Spitzenzeiten mit einer Taktung von 60 Sekunden befahren wird. (McGraw / Gavrilovich 2006: 232) Der einsetzende wirtschaftliche Erfolg des Automobils und der Wunsch nach dieser neuen Form der persönlichen Freiheit auf eigenen Rädern beginnen jedoch schon früh ein paralleles Transportsystem innerhalb der Stadt Detroits zu etablieren, das innerhalb von wenigen Jahrzehnten den Bahnstandort in Vergessenheit geraten lässt. Der radikale Ausbau Detroits zur ›autogerechten Stadt‹ beginnt 1909 mit dem ersten asphaltierten Straßenabschnitt auf der Woodward Avenue. 1911 folgt die markierte Straßenmittellinie und 1915 die erste Verkehrsampel der Welt (Herron 2004 a: 16). Ein weiterer Meilenstein ist die 1942 als ›Industrial Expressway‹ gebaute erste Stadtautobahn. (Unger 1995: 1987) Der Höhepunkt innerhalb dieser Entwicklung hin zur Autostadt findet sich im Jahr 1955, als die Autofirmen unter der Schirmherrschaft von General Motors innerhalb von nur wenigen Monaten die zuvor privatisierte Bahninfrastruktur vollständig zurückbauen, zubetonieren und weiterverkaufen. Das Versprechen nach individuellem Eigentum in Form des Automobils hat damit in den 50er Jahren einen weiteren entscheidenden Etappensieg errungen. Die Phänomene des Autobahnbaus, der Suburbanisierung und der Einfamilienhaussiedlungen sind die Folgeerscheinungen dieser Maßnahmen. Richard Plunz, Architekt und Professor an der New Yorker Columbia Universität und Kurator der Ausstellung ›Detroit Is Everywhere‹ (1998) beschreibt diesen Vorgang wie folgt: 74


»… sobald die Stadt auf ihrem Höhepunkt war, wurde sie schon von ihren eigenen Maschinen unterminiert. Noch wurde die Stadt gebraucht, um die Autos zu bauen, aber die Auswirkungen der Fahrzeuge begannen, die Stadt zu zerstören. General Motors trug ganz offen dazu bei. Als sich die Arbeiter Autos leisten konnten, ließ die Firma 1955 die Straßenbahn demontieren. Darin erwies sich Detroit als Prototyp einer konsumistischen Stadtlandschaft. Detroit erfüllte die Hypothese, die Guy Debord 1967 aufstellte: die Stadt des Konsums verschlingt sich am Ende selber. Heute fahren Straßenbahnwagen aus Detroit noch immer in Mexiko City, während es in Detroit kaum öffentlichen Nahverkehr gibt.« (Plunz 1995: 2012) Die Auswirkungen dieses radikalen Stadtumbaus sind heute allgegenwärtig: Ein dichtes Netz aus Stadtautobahnen, Highways und Interstates trennt die Stadt in einzelne Sektoren, die praktisch nur mit dem Auto verlassen werden können. Architektur und Infrastruktur verlieren dabei den Menschen und Nutzer als Planungsgrundlage und orientieren sich als Bezugsgröße am Transportsystem Automobil. Der Flächenbedarf eines Gebäudes ergibt sich aus den benötigten Parkplatzflächen; die ›Drive-In‹-Architektur in Form von Restaurants, Banken und anderen Dienstleistern ist allgegenwärtig. Pendler erreichen den ›Central Business District‹ ausschließlich mit dem eigenen Auto. Die tägliche Reise aus den Vororten in die Stadt geht damit vom eigenen Haus im eigenen Auto in die eigene Bürozelle. Der Verlust des Kontakts zur Stadt als öffentlicher Raum ist frappierend – die Privatisierung hat vorerst gesiegt. (vgl. Garreau 1992: 106)

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×  30 Detroit United Railway Linienplan, 1913. Stadtnetz mit Anbindung nach Michigan und Kanada

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×  31 Stau auf der Fahrt ins Stadtgebiet, 1958

×  32 Autobahnkreuz: Chrysler Freeway (I-75), Ford Freeway (I-94), 1970

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Krise der individuellen Stadt Mit einer nahezu erreichten Marktsättigung und stärker werdender Konkurrenz aus Asien und Europa schreiben Chrysler, Ford und GM in den 60er Jahren zunehmend größere Verluste. Als Kompensationsmaßnahme verlegen die Unternehmen ihre Produktionskapazitäten in neue, effizientere Fabriken der Detroiter Vororte oder aber direkt in Standorte ferner Billiglohnländer. Mit der Öl-Krise im Jahr 1973 folgt ein weiterer drastischer Stellenabbau bei steigender Automatisierung in den verbliebenen Werken Detroits. Alleine im Zeitraum von 1970 bis 1980 bedeutet dies den Verlust von 208 000 Stellen, die im Stadtgebiet von Detroit verloren gehen (Oswalt 2004: 3). Fehlende Einkünfte bei den entlassenen Arbeitern machen sich dabei negativ auf den Gesamtkonsum und die Ausgaben bzw. Neuinvestitionen in der Stadt Detroit bemerkbar. Die Abhängigkeit der Stadt vom Automobil zeigt sich folglich nicht nur im Aufstieg, sondern vor allem im Niedergang der Motor City in ihrer ganzen Dimension. Im Privaten äußert sich diese Krise in vielen Fällen mit wachsenden Schulden und Krediten, die nicht länger zurückgezahlt werden können – was über kurz oder lang den Verlust der Mobilität in Form des Autos und später die Zwangsräumung des bisherigen Eigenheims bedeutet. Durch die enorme Weitläufigkeit des Stadtgebiets entstehen daraus neue Probleme, da nunmehr potenzielle Arbeit, gute Schulen oder auch Dinge des alltäglichen Bedarfs wie frische Lebensmittel oft in unerreichbare Ferne rücken. Von städtischer Seite aus steht man vor ähnlichen Herausforderungen, da der Unterhalt für die Infrastruktur in immer weniger dicht besiedelten Stadtgebieten immer teurer oder auch technisch unmöglich wird. Parallel zum Niedergang der Stadtbereiche gilt die Region Detroit spätestens seit den 50er Jahren als Vorläufer der Stadt-Rand-Wanderung, die einen immer größer werdenden Ring von prosperierenden Vororten schafft. Hintergrund der Suburbanisierung ist neben dem Automobilismus und dem Siegeszug des Individualbesitzes in den 78


×  33

1916

Schwarzpläne Stadtentwicklung im Central Business District 1916 – 1994 »Die Schwarzpläne von Detroit aus den Jahren 1916, 1950, 1960, 1994 dokumentieren, wie sich das festgefügte und klar erkennbare Stadtgewebe langsam auflöst. Die Baublocks zerfasern, ihre Ränder brechen auf, allmählich verschwinden sie ganz, die Straßen erschließen und markieren leere Grundstücke, bis 1994 selbst das Straßenraster unkenntlich wird. Inzwischen ist Detroits Downtown weniger dicht besidelt als seine Umgebung; Detroit, so heißt es, sei zur ›Vorstadt‹ seiner Vostädte geworden.« (Plunz 1995: 2012 f.)

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Krise der individuellen Stadt

Vororten auch der schwelende Rassenkonflikt, der in Detroit zunehmend auf finanzieller Ebene ausgetragen wird: 2012 sind als vorläufiger Höhepunkt der ›White Flight‹-Bewegung etwa 90 Prozent der Menschen in den Vororten weiß, während annähernd 95 Prozent der Bewohner der Innenstadt afroamerikanischer Herkunft sind (Census 2012 a). Die Stadtgebiete Detroits zählen heute zu den ärmsten und gewalttätigsten Quartieren der USA, während einige der Vororte Detroits in den reichsten Counties der USA liegen. Die Durchschnittseinkommen unterscheiden sich hier um den Faktor 10. (Oswalt 2005: 44 ff.) Im Jahr 2000 gibt es nur noch etwa ein Viertel der städtischen Industrie-Arbeitsplätze von 1960. An ihre Stelle treten Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, Gewalt und Leerstand. Allen Reurbanisierungsversuchen zum Trotz liegt heute mehr als ein Drittel der gesamten Stadtfläche brach; in manchen Stadtgebieten stehen nur noch 10 Prozent der ursprünglichen Bebauung. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine vergleichbare Zahl leer stehender Hochhäuser. (Vergara 1995: 2015 ff.) Zehntausende Gebäude sind abgerissen, verlassen oder abgebrannt. Die Anzahl leer stehender Immobilien beträgt im Jahr 2010 laut dem US Census Bureau 79 725, was einer Leerstandsrate von 22,9 Prozent für die gesamte Stadt entspricht. Die Arbeitslosenquote liegt in manchen Stadtquartieren bei über 70 Prozent. Zum Jahreswechsel 2011/12 liegt die Zahl der Einwohner bei unter 700 000; ein Wert wie zuletzt vor knapp 100 Jahren (im Jahr 1915). (Census 2012 b) Ein ikonografisches Beispiel für die Brachialität des Stadtumbaus im Zeichen der Krise liefert das ›Michigan Theatre Building‹, das im Jahr 1926 im prunkvoll barocken Stil als Filmtheater erbaut wurde und seit 1977 in seiner aktuellen Bestimmung als Parkhaus dient: 4 000 ehemalige Sitzplätze sind dort heute in Form von 160 PKW-Stellplätze anzutreffen. (Kleinmann / Van Duzer 1995: 2028 ff.)

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Fazit Der heutige Blick auf Detroit als Metropole eines fulminanten Aufstiegs und eines ebenso rasanten Niedergangs offenbart eine Stadt, die mit ihrer singulären Ausrichtung und großen Konsumabhängigkeit als einstiges Zentrum der Automobilindustrie tiefer in der Krise steckt als viele andere Städte. Dies hat damit zu tun, dass das Konzept und die Verbreitung von persönlichem und damit ausschließendem Eigentum hier seit dem frühen 20. Jahrhundert stärker in Erscheinung treten als in anderen Städten und Regionen der Erde. Die Tragweite dieser Betrachtung und die Bedeutung Detroits für einen größeren, landesweiten Kontext zeigen sich so auch in einer Reihe wissenschaftlicher Studien, wie der 1999 von der ›Fannie Mae‹ Stiftung entstehenden Umfrage (Fishman 2000: 18 ff.) über verschiedene Einflussgrößen in der Geschichte der amerikanischen Stadt. Im Auftrag der ›Gesellschaft für amerikanische Stadt- und Regionalplanung‹17 kommt dabei ein interdisziplinäres Team aus rund 1000 Stadthistorikern, Stadtplanern, Sozialwissenschaftlern und Architekten unter dem Titel ›Die Amerikanische Metropole am Ende des Jahrhunderts: Vergangene und künftige Einflussgrößen‹ zu folgendem Ergebnis und Ranking: Für sie ist die amerikanische Stadtentwicklung von 1949 bis 1999 in erster Linie der dominierenden Rolle des Automobils und der ›staatlichen‹ Subventionsprogramm wie dem ›Interstate Highway Act‹ (1956) geschuldet. Auf Platz zwei folgt mit der ›Federal Housing Administration‹ das staatlich subventionierte Kreditvergabeprogramm zum Kauf von Eigenheimen. Es folgen die Deindustrialisierung der inneren Stadtbereiche (Platz 3), die städtische Erneuerung durch spezielle Downtown-Entwicklungsprogramme und geförderte Wohnbauprojekte (Platz 4), die Bedeutung von Levittown, als massenproduziertes Fertighaus der Vorstädte (Platz 5), rassistisch bedingte Segregation (Platz 6), die Entwicklung von Shoppingmalls (Platz 7), 17

engl. Society for American City and Regional Planning

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Fazit

Urban Sprawl (Platz 8), die Klimaanlage in Wohn- und Bürogebäuden (Platz 9) und die großen Proteste und Unruhen in den 60er Jahren (Platz 10). (Fishman 2000: 18 ff.) Auffallend ist bei diesen landesweiten Ergebnissen, wie direkt sie sich auf die Stadt Detroit anwenden lassen, denn tatsächlich treffen dort alle zehn Kriterien auf die ein oder andere Art zu – insbesondere die beiden ersten Punkte zur Rolle des Automobils und des Eigenheims. Die bereits zitierten Essays Frank Ungers ›Wie Detroit, so das ganze Land‹ (Unger 1995:1986 ff.) oder Richard Plunz’ ›Detroit is Everywhere‹ (Plunz 1995: 2012 ff.) bestätigen dies bereits im Titel. Dass Privateigentum dabei nicht automatisch den Niedergang eines Systems bedeutet, soll an dieser Stelle auch nochmals deutlich gemacht werden. Denn obwohl Detroit im Inneren heute nahezu handlungsunfähig ist, bringt genau dieses Konzept Suburbia Reichtum und Wohlstand. Wie lange das gut geht, bleibt allerdings fraglich, denn aktuell holt der Verfall bereits die Vorstadt-Ringe der ersten Generation ein. Auch laufende Projekte von Organisationen wie dem ›Habitat For Humanity‹ (Habitat 2012), die in Detroit erneut mit subventionierten Einfamilienhäusern – also dem bisherigen System – versuchen die Krise zu lösen, scheinen im Gesamtkontext des Stadtgebiets aussichtslos. Ein Hinterfragen und ein Umdenken der Eigentumsverhältnisse als prägende Bausteine der Stadtentwicklung scheinen in jedem Fall notwendig zu sein. Als möglicher Lösungsansatz soll in den folgenden Kapiteln eine neue Form der kollaborativen Architektur vorgestellt werden, welche die entscheidende Frage nach Besitz und Eigentum neu stellt.

»Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.« (Albert Einstein)

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Teil 2:

Gemeinsam

ÂťAlles in allem findet man Reichtum viel eher im Gebrauch als im Besitz.ÂŤ (Aristoteles)

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Gemeinsam

Aufbruch vom Eigentum zum Zugang

Auflösung der Abgrenzung Als Chemiker einst versuchen die von ihnen entdeckten chemischen Elemente patentieren zu lassen, werden diese Anfragen von der amerikanischen Patentbehörde mit der Begründung abgelehnt, dass diese Elemente den Wissenschaftlern nicht gehören können, da sie schon in der Natur vorhanden sind. Sie werden von den Wissenschaftlern nur entdeckt. Heute verfolgt die Patentbehörde eine andere Linie. Das Denken in ausschließendem Eigentum geht soweit, dass Gene patentiert und Privateigentum werden können (Rifkin 2007: 90 ff.). Diese Gene sind dann nicht mehr Eigentum des Genträgers, sondern des Entdeckers. Während bei Locke der eigene Körper dem Individuum gehört, wird dieser nun zum Eigentum, das auf andere übertragen werden kann (ebd. 95). Durch einen radikalisierten Eigentumsbegriff ist es heute tatsächlich möglich, Menschen von der medizinischen Nutzung ihrer eigenen Gene auszuschließen. Dieses Beispiel zeigt, wie tief Eigentum als Besitz an etwas, von dem man andere ausschließen kann, im heutigen Denken verankert ist. Für den modernen Menschen ist es nur schwer vorstellbar, dass es noch andere Arten von Eigentum gibt. Er bezeichnet öffentliches Eigentum nicht als sein Eigentum, Ian Macpherson, Professor für politische Theorie an der University of Toronto, macht hingegen genau das. Für ihn kann Eigentum auch ein Recht sein, von der Nutzung einer Sache nicht ausgeschlossen werden zu können (vgl. Macpherson 1977). Macpherson nennt dies inklusives Eigentum und ihm zufolge besitzt der Mensch nicht nur, worauf er das Recht auf alleinige Benutzung hat, wie beispielsweise seine Krawatten, sondern auch die Straße, da er das Recht hat, nicht von deren Nutzung ausgeschlossen zu werden. Unter dem Blickwinkel von Macpherson passieren zwei erstaunliche Dinge: Erstens erzeugt er ein anderes Verständnis des öffentlichen Raums. Die Bibliothek gehört nicht einfach der Stadt, sondern ist Eigentum jedes 100


einzelnen Bürgers, da er das Recht hat, von ihrer Nutzung nicht ausgeschlossen zu werden. Der zweite Punkt ist für diese Untersuchung der spannendere: Eigentum kann auch geteilt werden. Eine Erfahrung, die eigentlich selbstverständlich ist und trotzdem oft vergessen wird. Für ein Studium müssen nicht aller Bücher gekauft werden, sondern es reicht aus, sie in der Bibliothek zu finden. In diesem Denken löst sich die starre Form des individuellen Eigentums auf. Nicht mehr der Besitz an etwas, sondern der Zugang dazu wird wichtig. Macpherson beschreibt das Eigentum in seiner ausschließenden Form als Erfindung des 17. und 18. Jahrhunderts und als Produkt der damaligen gesellschaftlichen Vorstellungen. Dass sich die Vorstellungen des Eigentums heute zu verändern beginnen, passt in eine Entwicklung die Gilles Deleuze in seinem Text ›Postscript on the Societies of Control‹ (vgl. Deleuze 1992) beschreibt. Gegen Ende des 21. Jahrhunderts sind die festen Institutionen in einer Krise und beginnen sich aufzulösen. Deleuze bezieht sich dabei auf das foucaultsche Modell der Disziplinar-Gesesllschaft im Zeitraum vom 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. In dieser Gesellschaft bewegen sich die Menschen von einem festen System in ein anderes. Der Mensch wächst in der Familie auf, kommt in die Schule, danach in die Baracken des Militärs und geht dann in die Fabrik. Jedes dieser Systeme ist eine in sich geschlossene Welt, in der die anderen Welten nicht vorkommen. Die heutige Zeit beschreibt Deleuze dagegen als ›Verflüssigung‹. Die festen Formen lösen sich auf und durchdringen einander. Wer früher ins Gefängnis kam, blieb auch dort. Heute gibt es den offenen Vollzug und die Fußfessel. In Krankenhäusern gibt es die ambulante Behandlung statt des Mehrbettzimmers und studieren kann man per Fernstudium am Computer nach der Arbeit. Die Wirtschaft hat dieses Denken schon lange übernommen. Statt Besitztümer und Kapital anzuhäufen, lagert sie Ressourcen aus und wird schneller und beweglicher. War Ford mit seinen Fabriken wichtig für das 20. Jahrhundert, so ist es heute Google durch das Zugänglichmachen 101


×  34 Damals: Das Panopticon als feste Institution des Strafvollzugs ×  35 Heute: Die flüssige Form des Strafvollzugs

×  36 Auch Teppiche werden nicht mehr gekauft sondern geleast

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immateriellen Wissens. Die Auswirkungen dieses Zugangsdenkens in der Wirtschaft zeigt Jeremy Rifkin in seinem Buch ›Access‹. Darin zieht er den Schluss, dass das Eigentum bestehen bleiben wird. Allerdings wird es verliehen, verteilt und zugänglich gemacht, was den Austausch von Eigentum als Grundschema des Wirtschaftskreislaufes ablösen wird (Rifkin 2007: 11). Statt Besitz wird der Zugang in der Wirtschaft immer wichtiger. Rifkin nennt diese Form der Wirtschaft ›Schwerelose Ökonomie‹.

Schwerelose Ökonomie Waren Konzerne bisher auf die Anhäufung von Sachkapital in Form von Werkzeugen, Maschinen und Fabriken ausgerichtet, raten heute Unternehmensberater dies möglichst zu vermeiden. Stan Davis, Professor an der Harvard Business School, und Christoph Meyer von der Unternehmensberatung Ernst & Young sagen, dass »wir uns von der Vorstellung verabschieden [müssen], dass der Besitz oder die Kontrolle von Kapital notwendig sind, um Marktbedürfnisse zu befriedigen« (ebd. 58). Heutigen Unternehmen raten sie: »Nutze das Kapital, aber besitze es nicht!« (Rifkin 2007: 58)

Dadurch werden Ressourcen frei, die schnell genutzt und vielseitig eingesetzt werden können. So sind 1997 schon fast ein Drittel aller Maschinen, Betriebsanlagen und Transportflotten amerikanischer Unternehmen geleast (ebd. 56). 180 von 582,1 Milliarden Dollar, die in Anlagen investiert werden, sind Leasingverträge. Heute kann von Milchkühen über Büroräume so gut wie alles geleast werden und 80 Prozent der Unternehmen in den USA leasen ihr Sachkapital mindestens teilweise, wenn nicht sogar vollständig. (ebd. 59) Leasen bietet für beide Seiten Vorteile. Unternehmen halten erstens ihr Kapital beweglich, da beispielsweise 103


Schwerelose Ökonomie

Leasingwagen als kurzfristige Ausgaben und nicht als Verbindlichkeiten verbucht werden. Dadurch lässt sich zweitens die finanzielle Situation besser darstellen. Die Leasingunternehmen können im Gegenzug höhere Rendite erzielen, als dies mit Krediten möglich ist. (ebd. 60) Flexibilität ist ein Grund für ein Unternehmen sich für einen Leasingvertrag zu entscheiden. Ein anderer Grund sind die damit verbundenen Annehmlichkeiten. Der Kunde kann die Instandhaltung des geleasten Gegenstands an den Leasinggeber übertragen, der oft auch die Verwaltung leistet. (ebd. 61) Leasingverträge sind nichts Neues und es gibt sie zur Verpachtung von Land gegen einen Teil der Ernte schon vor 5000 Jahren (ebd. 59). Sie waren immer ein unkonventionelles Finanzierungsmodell und Mittel, um Kapital für andere Investitionen frei zu halten. Neu daran ist, dass es für Unternehmen nicht mehr wichtig ist, Sachkapital anzuhäufen. Viele Unternehmen verkaufen sogar ihr Kapital und leasen es sofort wieder zurück. Dieser Vorgang wird ›Saleand-Lease-back‹ genannt. Motel 6 hat einen solchen Leasingvertrag für 288 seiner Standorte mit einem Volumen von 1,1 Milliarden Dollar. Damit ist Motel 6 nicht mehr Besitzer dieser 33 000 Zimmer, sondern betreibt sie nur noch. Das freigewordene Kapital kann an anderer Stelle flexibel reinvestiert werden, während das bisherige Geschäft weiter betrieben werden kann. (ebd. 61 f.) Ein weiterer Ausdruck der Schwerelosen Ökonomie ist das Outsourcing. Dabei werden Funktionen, die nicht Kernaufgabe eines Unternehmens sind, an andere Unternehmen ausgelagert. Betriebsmittel werden durch den Zugang an Betriebsmitteln ersetzt. Durch die Auslagerung von Funktionen aus einem Unternehmen entsteht so ein Netzwerk aus verschiedenen Unternehmen. Rifkin nennt sie ›virtuelle Gesamtunternehmen‹ (Rifkin 2007: 63). Zu den ausgelagerten Funktionen zählen unter anderem Postverkehr, telefonische Kundenbetreuung, Buchhaltung, Sicherheitsüberwachung und Kantinen. Mittlerweile lagern weltweit 60 Prozent aller Unternehmen mindestens einen Teil ihrer Aufgaben aus und 30 Prozent der Industriebetriebe 104


haben mindestens die Hälfte ihrer Produktion an andere Unternehmen abgegeben. (ebd. 65) Einer dieser virtuellen Firmen ist Nike (ebd.). Nike besitzt als führende Marke von Sportschuhen weder Fabriken noch Maschinen, dafür aber ein riesiges Forschungs- und Entwicklungslabor und in Asien ein Netzwerk aus Unternehmen. Namenlose Produzenten stellen Produkte her, die Nike mit Marketingkampagnen verkauft, die größtenteils auch ausgelagert sind (ebd. 66). Nike hat durch diese Strategie Zugang zu Produktionsmitteln der Fabriken und Wissen der Marketingabteilungen, ohne sie zu besitzen. Diese Strategien nutzen heute die meisten der Unternehmen. Ständig vorhandenes Eigentum wird durch den temporären Zugang ersetzt. Dadurch ergeben sich zwei große Vorteile. Erstens entsteht so Flexibilität durch freigewordenes oder nicht gebundenes Kapital. Zweitens kann sich ein Unternehmen auf seine Kernaufgabe konzentrieren und muss keine Kräfte für die Verwaltung seines Eigentums binden.

Zugang Während die Wirtschaft die Vorteile des Zugangs gegenüber dem Besitz erkennt, beginnt auch in der Gesellschaft ein Umdenken. Carsharing ist dafür ein gutes Beispiel. Wer nur ab und zu ein Auto braucht, kann sich heute überlegen, ob er sein Geld für die Anschaffungskosten, die Versicherung und die Reparaturen seines Autos bindet oder nicht Kunde eines Carsharing-Angebots wird. Dort kann er gegen einen geringen Preis Zugang zu einer großen Auswahl an Autos bekommen, um die er sich darüber hinaus nicht kümmern muss. Der Kunde muss keinen großen Betrag, wie für den Kauf eines Autos, aufbringen, und muss auch kein Geld in die Instandhaltung des Fahrzeugs setzen. Alles, was der Kunde im Gegenzug leisten muss, ist ein kleiner monatlicher Beitrag und die Bereitschaft nicht mehr ›sein‹ Auto zu besitzen, sondern ein mit anderen geteiltes Auto zu nutzen. 105


Zugang

Das Konzept eines geteilten Konsums gibt es mindestens seit den ersten Leasingverträgen (für Ackerland) vor 5000 Jahren. Neu daran ist, dass es für große Teile der Bevölkerung an Bedeutung gewinnt. Als Adam Smith im Jahr 1776 seine Buch ›Wohlstand der Nationen‹ schreibt, leben die meisten Menschen in Mangel. Für sie ist ›mehr‹ – an individuellem Eigentum wohlgemerkt – gleich ›besser‹. Douglas Rushkoff beschreibt in seinem Buch ›Life Inc.‹ wie diese Denkweise zu einer Abneigung der bürgerlichen Vorstadt gegenüber gemeinsamem Eigentum führt: »Jedes Haus war der eigene Machtbereich. Selbst-Versorgung war Teil des Mythos vom selbst-gemachten Mann mit seinem privaten Grundbesitz, so wurden Gemeinschaftseigentum, Fahrgemeinschaften oder irgendeine Art von Teilen zu einem Fluch der vorstädtischen Ästhetik.«18 Dieser Gedanke der Unabhängigkeit durch individuelles Eigentum steckt immer noch tief in den heutigen Lebensweisen (Botsman / Rogers 2010: 41). Immer mehr Menschen wird nun aber bewusst, dass bei diesem Denken von ›noch mehr‹ und ›alles meins‹ die Umwelt und die Gemeinschaft verlieren. Das Denken von Eigentum in privater Form wird weicher. Der Zugang wird wichtiger. Aus Descartes »Ich denke, also bin ich!« wird ein »Ich nehme teil, also bin ich!« (Rifkin 2007: 5)

Teilnehmen kann man auch beim Projekt Linux. 1991 postet der 21-jährige finnische Student Linus Torvals auf Usenet, einer globalen Diskussionsplattform, eine Anfrage auf Kritik an einem Projekt. Dabei handelt es sich um ein Betriebssystem für Computer, das von Torvald als Hobby entwickelt wurde. Aus diesem Projekt wurde die größte Open Source Software der Welt. Heute gibt es über 18

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engl. »Each home was to be its own fiefdom. Self-suffenciency was part of the myth of the self-made man with his private estate, so community property, carpools, or sharing of almost any kind became anathema to the suburban aesthetic.« (Botsman / Rogers 2010: 42 f.)


18 Millionen Nutzer und 128 500 ehrenamtliche Programmierer, die daran arbeiten Linux noch besser zu machen (Botsman / Rogers 2010: 57). Diese Programmierer sind auf der ganzen Welt verteilt, aber durch das Internet verbunden, dass diese Zusammenarbeit erst ermöglicht. Die Anfänge von Linux können bis auf Richard Stallmans GNU Projekt am Massachusetts Institute of Technology zurückverfolgt werden, der einen offenen und verständlichen Code entwickelt. Im Gegensatz zu Linux fehlt GNU aber eine entscheidende technologische Entwicklung: Die gemeinsame Zusammenarbeit im Netzwerk. (ebd. 57) Diese Veränderung in der Arbeitsweise geht einher mit der neuen Technologie Internet. Das Internet verändert die Art und Weise, wie die Menschen kommunizieren, weil es neue Möglichkeiten der Kommunikation anbietet. Genau wie der Buchdruck das Denken und die Kommunikation revolutioniert und am Anfang der Neuzeit steht (Rifkin 2007: 274), wird auch das Internet die bisher bekannte Welt verändern. Alle Folgen sind noch nicht abzusehen, eine davon ist aber gewiss: Alle Empfänger sind mit dem Web 2.0 auch Sender geworden. Die bisherigen Sender haben ihre elitäre Position verloren. Don Tapscott und Anthony D. Williams (Botsman / Rogers 2010: 56) nennen dies ›Waffen der massenhaften Zusammenarbeit‹19. Diese ›Waffen‹ stören und unterbrechen die bisherigen Kommunikationsweisen der Gesellschaft. Informationen kann man nicht mehr nur aus den Medien bekommen, sondern auch von Privatpersonen, die Ereignisse mit ihren Handys dokumentieren. Auf dieser Art der massenhaften Zusammenarbeit gründet sich eine aktuell sehr erfolgreiche Partei: die Piratenpartei. Im Gegensatz zu den hierarchisch strukturierten traditionellen Parteien, bei denen Entscheidungen von der Führung getroffen werden, entscheidet bei der Piratenpartei – idealerweise – die Basis. Grundlage für die Entscheidungsfindung ist die Software ›Liquid-Feedback‹. Per Internet kann jedes Mitglied Vorschläge zur Position der Partei geben. Erhält der Vorschlag ein bestimmtes Quorum an Zustimmung, 19

›Weapons of mass collaboration‹ (Botsman / Rogers 2010: 56)

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Zugang

wird die Feedback-Phase gestartet, in der diskutiert wird und Veränderungen eingebracht werden können. Wenn ein Vorschlag 10 Prozent Unterstützung erhält, wird er nach einer als Bedenkzeit genutzten Pause zur Abstimmung zugelassen. Findet der Vorschlag die Zustimmung der Mehrheit, wird er offizielle Position der Partei (vgl. Rosenfeld 2012). Ein Nachteil dieses Systems ist, dass die Parteiführung in vielen Diskussionen noch keine Aussage machen können, da darüber noch keine Entscheidung gefällt worden ist. Allerdings ist die Entscheidungsfindung der Piraten, genau wie der sich ständig ändernde Hypertexts des Internets, (vgl. Rifkin 2007: 278) im Fluss. Die Partei kann somit ihre Positionen im Einklang mit der Basis anpassen. Während die Piraten die Denkweise des Zugangs als offene Beteiligungsform bei Entscheidungsfindungen in der Politik etablieren und die Wirtschaft damit schon lange Geld verdient, übernimmt die Gesellschaft dieses Gedankengut und formt so eine neue Art des Konsums.

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Kollaborativer Konsum 20

Der Gedanke des offenen Zugangs etabliert sich immer weiter in der Wirtschaft und der Politik. Auch Eigentum kann deshalb unter dem Blickwinkel des Zugangs betrachtet werden. Ein Gedanke, der in den letzten Jahrzehnten zwar nicht verschwunden, der modernen Gesellschaft aber fremd geworden war, ist dabei, sich neu zu etablieren. Dieser Gedanke des Zugangs ist die Grundlage für einen kollaborativen Konsum.

Vier Prinzipien Produkte und Angebote, die auf dem Prinzip des Zugangs beruhen, schaffen einen gemeinsamen statt eines individuellen Konsums. Die Vorteile davon lassen sich an einem bereits etablierten Beispiel ablesen: Beim Carsharing teilen sich verschiedene Nutzer ein Auto. So werden weniger Ressourcen verbraucht und weniger Müll verursacht. Jeder Nutzer spart Kosten, bewegt sich nachhaltiger, kommt in Kontakt mit Gleichgesinnten und schärft sein soziales Bewusstsein. (vgl. Botsman / Rogers 2010: 216)

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»Eine Kollaboration (lat. co- = ›mit-‹, laborare = ›arbeiten‹) ist die Mitarbeit bzw. Zusammenarbeit mehrerer Personen oder Gruppen von Personen. Historisch steht der Begriff für die Zusammenarbeit mit dem Feind zu Zeiten eines Krieges oder der Besatzung. In diesem Sinne ›kollaborierende‹ Personen werden als Kollaborateure bezeichnet. […] Der Begriff der Kollaboration wird heute aber – den begriffshistorischen Kontext ignorierend – auch in vielen Zusammenhängen, etwa in den Wirtschaftswissenschaften, als Synonym für Zusammenarbeit verwendet, wohl auch, weil der Begriff Zusammenarbeit in englischen Texten im Begriff collaboration seine Entsprechung hat. In diesem Sinne stellt eine Kollaboration bzw. Zusammenarbeit eine starke Form einer Kooperation dar.« (Wikipedia 2012) In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff ›Kollaboration‹ im zweiten Sinne verwendet, um das vorwiegend englischsprachigen Recherchematerial möglichst nah am Originaltext ins Deutsche zu übersetzen.

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Vier Prinzipien

Der Erfolg von Angeboten, die auf dem Prinzip des Zugangs funktionieren, gründet sich auf vier Pfeilern. Rachel Botsman und Roo Rogers identifizieren diese folgendermaßen: I. Glaube an Allmende II. Kritische Masse III. Vertrauen zwischen Fremden IV. Ungenutzte Kapazitäten

I. Glaube an Allmende Eigentum unter dem Blickwinkel des Zugangs zu betrachten, ist für die Bürger der römischen Republik kein ungewöhnlicher Gedanke. Sie bezeichnen vor 2000 Jahren bestimmte Dinge als ›Res Publica‹ und ›Res Communis‹. ›Res Puplica‹ bedeutet Dinge, die für die Allgemeinheit reserviert sind, wie beispielsweise Bäder, Theater und Straßen. ›Res Communis‹ sind dagegen Dinge, die allen Menschen gehören wie beispielsweise Luft, wilde Tiere, Kultur, Sprache und öffentliches Wissen. (Botsman / Rogers 2010: 88) In Deutschland ist der Begriff ›Allmende‹ 21 gebräuchlich. Er ist mittelhochdeutsch und bedeutet ›was allen gemein ist‹. Allmende beschreibt eine Form von gemeinsamem Eigentum, das einer Gruppe gehört, zu dem jeder, der Teil dieser Gruppe ist, Zugang oder das Recht auf Nutzung hat. Erst das 15. Jahrhundert beginnt das öffentliche Land in England durch Dornhecken in privates Land aufzuteilen (ebd. 30). Wie Macpherson zeigt, geht in den folgenden Jahrhunderten das Verständnis, dass es neben dem ausschließenden Eigentum auch geteiltes Eigentum gibt, verloren. Dagegen ermöglicht es das neue Denken des Zugangs in Wirtschaft und Politik, gefördert durch Open Source Software 21

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»Allmende [mhd. ›was allen gemein ist‹] die, in Westfalen und Niedersachsen Mark, Teil der Gemeindeflur, die als Gemeindeeigentum der Ortsgemeinde für alle Ortsansässigen frei nutzbar war, i.d.R. Weide, Wald und Ödland. Reste haben sich bes. in Süddeutschland und der Schweiz erhalten (Realgemeinde).« (Brockhaus 2005: 175)


und das Internet, das Bewusstsein von Eigentum als Recht auf Zugang wieder zu finden. Das Individuum braucht kein Privateigentum im Sinne von Hegel mehr, sondern definiert sich über seinen Zugang. Durch das Teilen muss man seinen Individualismus nicht aufgeben. Rachel Botsman und Roo Rogers bezeichnen diese Entwicklung als ›Collaborative Individualism‹ (ebd. 70), als gemeinsame Individualität, bei der sich individuelle Menschen zu Gruppen zusammenfinden und gemeinsam an Projekten arbeiten. Dabei gibt es einen starken Glauben an das Eigeninteresse und an das Gute für die Gruppe. Wikipedia ist dafür ein gutes Beispiel. Einzelne Autoren arbeiten gemeinsam an einer großen Wissensbibliothek. Der Lohn der Arbeit des Einzelnen ist der Zugang zum Wissen aller anderen Autoren.

II. Kritische Masse Selbstverständlich funktioniert Wikipedia nur, wenn eine bestimmte Anzahl an Autoren an Artikeln arbeitet, damit auch genügend Suchende dort finden können, was sie suchen. Umgekehrt motiviert natürlich die Anzahl der Nutzer die Autorenschaft und vergrößert sie. Nur wenn eine bestimmte Größe vorhanden ist, hat der Nutzer genügend Auswahlmöglichkeiten. Auf der anderen Seite muss es genügend Nutzer geben, damit sich ein Angebot lohnt (ebd. 2010: 79). Ein Carsharing-Angebot muss deshalb eine ausreichende Auswahl an Fahrzeugen haben und funktioniert in einer Stadt besser als auf dem Land. Je mehr Nutzer ein Angebot hat, desto mehr neue Nutzer wird es im Gegenzug anziehen. Nutzer zählen als sozialer Beweis dafür, dass ein Angebot funktioniert, und senken die Hemmschwelle, für einen Interessenten etwas Neues auszuprobieren. (ebd. 81)

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III. Vertrauen zwischen Fremden

Vier Prinzipien

Eine weitere Hemmschwelle für neue Mitglieder ist das Fehlen eines neutralen Zwischenhändlers zwischen Anbieter und Nutzer. Die bisherige Hierarchie der Wirtschaft, in der oben ein Produzent stand, in der Mitte die Händler und unten die Endbenutzer, wird aufgehoben. Bei eBay sind so unter Umständen Verkäufer und Käufer ein und dieselbe Person. Ebenso müssen Mitglieder bei Angeboten wie Couchsurfing, wo Mitglieder ihnen unbekannte Mitglieder bei sich übernachten lassen, Vertrauen zu Fremden aufbauen. Die Rolle des neutralen Vermittlers wird ersetzt durch eine soziale Kontrolle der Mitglieder untereinander. Nach jeder Transaktion von eBay können sich Verkäufer und Käufer gegenseitig bewerten. Mitglieder, die sich nicht regelkonform verhalten, erhalten schlechte Bewertungen. Sie werden deswegen von anderen Mitgliedern gemieden und können letztlich nicht mehr an diesem Angebot teilnehmen. Mitglieder, die ein Interesse daran haben diese Angebote zu nutzen, werden versuchen, alles dafür zu tun, eine gute Bewertung zu erhalten. Eine positive Bewertung erhält so den Status einer Empfehlung eines guten Bekannten. Bei Couchsurfing ist es darüber hinaus notwendig eine ausführliche, persönliche Beschreibung über sich zu formulieren. Auf diese Weise lernen sich die Nutzer teilweise schon kennen, bevor sie sich tatsächlich zum ersten Mal treffen. eBay ist nicht nur ein Pionier auf dem Feld der Bewertungssysteme seiner Mitglieder, sondern auch auf dem Feld der ›ungenutzten Kapazitäten‹.

IV. Ungenutzte Kapazitäten Die Hälfte aller amerikanischen Haushalte hat eine elektrische Bohrmaschine. Jede dieser Bohrmaschinen wird in ihrem Lebenszyklus im Schnitt zwischen 6 und 13 Minuten benutzt (ebd. 83). Warum haben so viele Menschen 112


eine Bohrmaschine, obwohl sie offensichtlich doch das Loch und nicht den Bohrer wollen? Diese Bohrer sind ungenutzte Kapazitäten, genau wie Autos, die 22 Stunden am Tag nicht verwendet werden (ebd. 83). Insgesamt werden 80 Prozent des persönlichen Eigentums in den USA nur einmal benutzt (ebd. 83). Hier liegt ein Potenzial an ungenutzten Kapazitäten. Diese Produkte müssen nicht extra produziert werden, es reicht, wenn man sie teilt. Ungenutzte Kapazitäten, das Vertrauen in Fremde, eine kritische Masse und ein Glauben an die Allmende bilden die Grundlage für das Entstehen des kollaborativen Konsums, von dem es mittlerweile viele höchst unterschiedliche Beispiele gibt. Rachel Botsman und Roo Rogers haben diese Angebote in drei Kategorien geordnet: 1. Produkt-Service-Systeme 2. Umverteilungsmärkte 3. Kollaborative Lebensstile Die folgenden Kapitel halten sich an diese Einteilung und geben Einblick in die Vielfalt des kollaborativen Konsums. Zuvor werden die drei Kategorien näher erläutert.

1. Produkt-Service-Systeme »Wir wollen das Loch nicht den Bohrer.« (Victor Papanek)

Der Satz von Designer Victor Papanek ist die Grundlage aller Produkt-Service-Systeme. Der Nutzer ist an der Leistung eines Gegenstandes interessiert und nicht am Gegenstand selbst. Er will sich nicht um die Instandhaltung des Gegenstandes kümmern und spart sich die Kosten für die Anschaffung. Es genügt, Zugang zum Nutzen dieser Gegenstände zu haben, man muss sie nicht besitzen. Botsman und Rogers unterscheiden zwei verschiedene Arten von Produkt-Service-Systemen. Einmal sind Unternehmen Eigentümer der Gegenstände, wie das Carsharing113


×  37 Produkt-Service-System (z.B. Japanische Karaoke Bar als Wohnzimmer) ×  38 Umverteilungsmarkt (z.B. Flohmarkt)

×  39 Kollaborativer Lebensstil (z.B. Schwimmbad)

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Unternehmen Zipcar. Andererseits können die zum Nutzen oder Teilen angebotenen Gegenstände auch privates Eigentum sein wie das private Carsharing Tamyca. (Bund 2011:29 & Botsman / Rogers 2010: 72)

Zipcar ist der weltweit führende Carsharing-Anbieter. Mitglieder von Zipcar können jederzeit im Internet oder per Smartphone-App ein Auto in den angebotenen Städten reservieren (Botsman / Rogers 2010: 74 f.). Auch Zipcar ist kein neues Geschäftsmodell, nur eines das gerade wieder an Bedeutung gewinnt, wie die jährliche Wachstumsrate der Mitglieder von 100 Prozent bei Zipcar zeigt. Im Schnitt gibt der amerikanische Bürger 8000 Dollar im Jahr für ein mittelgroßes Autos aus. Das sind 18 Prozent seines Einkommens. Währenddessen wird das Auto 22 Stunden am Tag nicht genutzt. Im Durchschnitt spart der Nutzer von Carsharing 600 Dollar pro Monat beim Wechsel zu Carsharing-Angeboten. Einerseits spart man sich die Anschaffungskosten und den Unterhalt. Mitglieder zahlen 75 Dollar Beitrittsgebühr und 8 Dollar pro Stunde. Andererseits fährt man als Nutzer bewusster. Mitglieder dieser Angebote fahren 44 Prozent weniger und können darüber hinaus jedes Mal ein anderes Auto fahren. Jedes geteilte Auto ersetzt sieben oder acht privat besessene Autos. (ebd. 114 ff.) Zipcar ist als Unternehmen Eigentümer der vermieteten Autos. Bei Tamyca dagegen vermieten Privatpersonen ihr Auto an andere Privatpersonen. Über eine Internetseite mit Kontaktinformationen können Treffen von Anbietern und Nutzern vereinbart werden. Die Übergabe von Schlüssel und Fahrzeugschein erfolgt persönlich. Als Rücküberführung reicht der Einwurf des Schlüssels in den Briefkasten des Eigentümers und eine Benachrichtigung per SMS, wo der Wagen steht. Getauscht und geteilt wurde schon immer, aber mit den modernen Kommunikationsformen ist es so leicht wie noch nie. (vgl. Bund 2011: 29) Produkt-Service-Systeme können auch die Nutzungsdauer eines Produktes verlängern. Das Unternehmen Interface hat den Wandel vom Produzenten zum Anbieter eines Produkt-Service-Systems erfolgreich hinter sich. Das Unternehmen besteht seit dem Jahr 1973 und stellt 115


Produkt-ServiceSysteme

modulare Teppichfliesen für Büros und Flughäfen her. Ab dem Jahr 1994 kommt es zu einer Änderung der Unternehmensstrategie, nachdem der Gründer von Interface Ray Anderson beschließt, seine Firma bis 2020 vollständig nachhaltig zu führen. Die größte Änderung ist es, den Teppich nicht mehr zu verkaufen, sondern nur noch zu verleasen. Interface bietet seinen Kunden ein Komplettpaket von der Planung, über die Installation, die Reinigung und den Austausch von durchgetretenen Teppichelementen an. Alte Teppiche werden eingesammelt und wiederverwertet. Interface ist somit für den gesamten Lebenszyklus seines Produktes zuständig. Der Vorteil für den Anbieter dieses Systems ist, dass er nicht nur ein Produkt, sondern weitere Zusatzleistungen verkaufen kann. Der Kunde profitiert von dem sorgenfreien Rundum-Angebot. Weltweit entwickelt sich die Reihe der Produkt-Service-Systeme weiter. Steelcase verkauft keine Möbel mehr, sondern Möblierungssysteme. IBM bietet statt Hard- und Software ganze Businesssysteme an. (vgl. Botsman / Rogers 2010: 116 – 119) Mit diesem Hintergrund sind Produkt-Service-Systeme umweltschonend und günstig, da nicht die ganzen Anschaffungskosten pro Nutzer geteilt werden müssen. Der Nutzer muss sich nicht um die Instandhaltung kümmern und kann sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren.

2. Umverteilungsmärkte Die Internetseite Freecycle.org beruht auf dem Gedanken, dass es keinen Müll, sondern nur nützliche Dinge am falschen Platz gibt (ebd. 124 f.). Freecycle.org versteht sich daher als Plattform über die Nutzer nicht mehr benötigte Gegenstände ohne Gegenleistung austauschen können. Freecycle organisiert sich in lokalen Gruppen, damit die Mitglieder nicht weit fahren müssen, um Sachen austauschen zu können. Die Nutzer veröffentlichen kleine Nachrichten über Dinge, die sie brauchen oder loswerden möchten. Nach Angaben des Gründer Deron Beal finden 99 Prozent der Dinge schon nach kurzer Zeit einen Abnehmer, 116


manche schon nach wenigen Minuten. Beal hat dafür eine einfache Erklärung: »Des einen Müll ist des anderen Schatz.«22 (Botsman / Rogers 2010: 125)

Freecycle ist damit ein Verteilermarkt. Auf Freecycle werden jeden Tag geschätzte 24 000 Gegenstände getauscht. Das entspricht 700 Tonnen vermiedener Müll (ebd. 129). Der zweite Aspekt ist, dass mit jeder Interaktion ein kleines Stück Gemeinschaft entsteht, wenn sich Anbieter und Abnehmer treffen. So beschreiben manche Mitglieder das Gefühl des Gebens alter Dinge als genauso befriedigend wie das Gefühl des Nehmens von neuen Dingen. (ebd. 131) Solche Verteilermärkte gab es auch schon früher, wie die Kleinanzeigen in den Zeitungen belegen. Mit der Technologie des Internets ist es nun immer einfacher Anbieter und Abnehmer zusammen zubringen. War es früher einfacher, nicht mehr benötigte Dinge einfach wegzuwerfen, so ist es heute einfach, sie per Internet zu verschenken oder zu verkaufen. Craigslist.com ist ein weiteres Beispiel für einen Verteiler-Markt. Auf Craigslist werden nicht nur Gegenstände angeboten, sondern auch Wohnungen und sogar Arbeitsplätze. Heute ist Craigslist eine der beliebtesten Webseiten mit 47 Millionen verschiedenen Nutzern in den USA, das entspricht 20 Prozent der Bevölkerung. Weltweit wird Craigslist 20 Milliarden mal pro Monat angeklickt (ebd. 134 f.). Diese Art von Verteilermärkten ist nicht mehr zu vernachlässigen, wenn man das Handelsvolumen von eBay betrachtet: Es erreichte in den letzten Jahren einen Jahresumsatz von etwa 52 Milliarden Dollar (ebd. 70). Der Vorteil von Verteilermärkten liegt auch hier klar auf der Hand. Die Nutzer sparen Geld, leben nachhaltiger und knüpfen nebenbei soziale Kontakte.

22

engl. »One person’s trash is another person’s treasure.«

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3. Kollaborative Lebensstile Mittlerweile werden nicht nur Güter getauscht, sondern auch Zeit, Erfahrungen, gemeinsame Interessen und Können. Rogers und Botsman fassen dies unter dem Begriff ›Kollaborative Lebensstile‹23 zusammen. Diese Dinge finden auf lokaler Ebene statt und umfassen Arbeitsplätze (Citizen Space, Hub Culture), Gärten (Urban Gardenshare, Landshare), Fähigkeiten (Brooklyn Skillshare) und Reisen (Couchsurfing, Airbnb, Roomorama). Da keine Güter, sondern soziale Interaktionen ausgetauscht werden, ist ein Vertrauen in Fremde Grundvoraussetzung. Kollaborative Lebensstile erzeugen soziale Verbundenheit. Geldsparen, Selbermachen, neue Freunde finden, Platz und Zeit sparen sind oft genannte Gründe. Nachhaltigkeit ist oft eine unbewusste Folge. (Botsman / Rogers 2010: 73) Ein interessantes Beispiel für Kollaborative Lebensstile ist die TimeBank USA. Ihr Prinzip ist simpel: Jede Stunde, die ein Mitglied arbeitet, in dem es beispielsweise für ein anderes Mitglied Rasen mäht oder einkauft, bekommt es eine Stunde auf seinem Zeitkonto gutgeschrieben. Mit diesem Guthaben kann es sich Zeit von anderen Mitgliedern kaufen. Mitgliedern der TimeBank ist es so möglich, ihre Leistungen gegen Leistungen von anderen Mitgliedern einzutauschen. Ein Rentner kann beispielsweise abends auf Kinder aufpassen und sich im Gegenzug sein Dach reparieren lassen (ebd. 161).

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engl. ›Collaborate Lifestyles‹ (Botsman / Rogers 2010: 73)


Kollaborative Architektur Genau wie die Allmende ist die kollaborative Architektur sehr alt, neu ist nur die Bewertung von bekannten Typologien als kollaborative Architektur, ihrem Bedeutungszuwachs und das Entstehen von neuen Beispielen. Gebäude mit mehreren Eigentümern und Nutzungsformen gibt es seit Beginn baulichen Tuns: Eine öffentliche Bücherei impliziert die Architektur für geteiltes Wissen, Parks und Plätze sind für Bürger allgemein zugänglich, Gärten und Museen beinhalten die gemeinsame Kunstsammlung. Im letzten Jahrhundert geriet diese Art von Architektur vermehrt in Widerspruch mit der Vorstellung des ausschließenden Eigentums. (vgl. Macpherson 1977: 200) Eigentum wird in der Marktwirtschaft als privates Eigentum gedacht. Diese Art von Eigentum ist nötig, damit mit ihm gehandelt werden kann. Allgemeines Eigentum kann nicht gehandelt werden und entzieht sich somit dem Spiel der Märkte, die versuchen das allgemeine Eigentum in ausschließendes Eigentum zu verwandeln und in sich aufzunehmen (ebd. 213). Die Folge ist beispielsweise die Privatisierung von öffentlichen Institutionen wie der Post. Die heutige Gesellschaft hat gelernt, in ausschließendem Eigentum zu denken und verlernt, dass es auch Eigentum als Recht des Zugangs gibt. Daher kommt eine Schwierigkeit, die die heutige Gesellschaft mit dem öffentlichen Raum24 hat; für sie ist nicht mehr zu fassen, wem diese Räume gehören. Im Gegensatz dazu erinnert Macpherson daran, dass diese Räume allen Bürgern gehören. Ihr Eigentum ist das Recht des Zugangs zu diesen Räumen. Darin liegt sicher nicht der einzige aber doch ein wichtiger Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Räumen: Bei privaten Räumen hat eine juristische Person das Recht zu entscheiden, wer davon ausgeschlossen wird und wer Zugang erhält. Bei öffentlichen Räumen sind viele juristische Personen 24

vgl. Habermas, Jürgen 1975: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der Bürgerlichen Gesellschaft vgl. Sennett, Richard 2008: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität

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Kollaborative Architektur

Eigentümer des Rechts nicht von diesen Räumen ausgeschlossen zu werden.25 Eine Bibliothek ist daher ein gutes Beispiel dafür. Sie ist in den Augen von Macpherson Eigentum eines jeden einzelnen Bürgers, der die Räume und das Angebot darin nutzen kann. Die gemeinsame Nutzung und der Zugang sind dabei entscheidend für den öffentlichen Raum, der somit immer kollaborative Architektur ist. Kollaborative Architektur kann darüber hinaus auch in privaten Räumen und privatem Eigentum stattfinden. Entscheidend dabei ist, dass dieses Eigentum auch für andere zugänglich gemacht wird, also gerade nicht ausschließlich gedacht wird. Eine Wohngemeinschaft ist dafür ein gutes und seit Langem bekanntes Beispiel. Statt Eigentum an der Wohnung zu erlangen, genügt es den Bewohnern vom Eigentümer Zugang zum Produkt Wohnen zu erhalten. Die Infrastruktur der Wohnung, wie das Bad und das Telefon, werden gemeinsam genutzt. Die Motivation für Wohngemeinschaften ist unterschiedlich, mal sind es finanzielle Gründe, mal steht die bewusste Entscheidung für einen bestimmten Lebensstil dahinter. Die beiden genannten Beispiele sind allseits bekannt, kollaborative Architektur ist also nichts Neues. Neu daran ist der Bedeutungszuwachs, den sie nach Jahren des fast Vergessenseins wieder bekommt. Der Wandel vom Eigentum zum Zugang hinterlässt seine Spuren in Konsumprodukten und in der Architektur. Beispiele dieses Wandels gibt es schon, sie werden im Folgenden gezeigt.

1. Produkt-Service-Systeme Kollaborative Architektur findet sich auf zwei Arten in Produkt-Service-Systemen. Einerseits ist sie die Architektur, in der Produkte angeboten werden. Andererseits wird 25

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Auffällig ist der zeitliche Zusammenhang zwischen der Entstehung des privaten Eigentums und des privaten und öffentlichen Raumes. Beide funktionieren über Abgrenzung. Eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen privatem Eigentum und privatem Raum würde den Umfang dieser Arbeit sprengen, kann aber Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion sein.


die Architektur auch zum Produkt. Ein Beispiel für Kollaborative Architektur ist hier wieder die Bücherei, in der das Produkt des Zugangs zu Büchern angeboten wird. Die Architektur ist räumlicher Dienstleister für ein Produkt. Die Architektur kann auch selber Produkt werden, wie das bekannte Beispiel Hotel zeigt. Hier ist das angebotene und geteilte Produkt der Raum. Neben bekannten Beispielen entstehen auch neue Arten der kollaborativen Architektur. Caballero und Tsukamoto (vgl. Caballero / Tsukamoto 2006: 301–308) beschreiben, wie die Wohnungen in Tokio Funktionen auslagern. Funktionen, die nicht unbedingt individuell nötig sind, verschwinden aus der Wohnung, die letztlich nur noch die Funktionen Schlafen und Lagern behält. Die Funktion Essen erfüllen die vielen Restaurants, das Wohnzimmer wird durch die Karaokebar ersetzt, in der man sich mit Freunden trifft. Caballero und Tsukamoto nennen diese Art von Räumen ›Dividual Spaces‹, sie sind für die Öffentlichkeit zugänglich, werden aber privat genutzt. Die Gründe für die Entstehung des Dividual Space sehen Caballero und Tsukamoto einerseits im finanziellen Bereich – der Wohnraum in Tokio ist zu teuer – und andererseits in der praktischen Nutzung. Durch die großen Entfernungen zur Arbeit und die langen Arbeitszeiten isst man auswärts und trifft seine Freunde unterwegs. So entstand in Tokio ein effektives und flexibles System aus Karaoke-Bars, Manga-Kaffees und Love-Hotels, das von den Menschen dort als temporärer Wohnraum genutzt wird. Das Aufbrechen des privaten Wohnraums und das Öffnen für Fremde sind nicht nur in Tokio zu beobachten, sondern ein weltweites Phänomen. Die Website Airbnb.com ist dafür eine gutes Beispiel. Airbnb ist eine Plattform, die es ermöglicht ungenutzten Wohnraum für kurze Zeit an fremde Menschen zu vermieten. Airbnb übernimmt damit den klassischen Produkt-Service eines Hotels, allerdings findet dies alles im privaten Eigentum eines Wohnraums statt. Hier ist die Verschiebung interessant, da es für den Eigentümer nicht mehr darum geht, seinen Wohnraum abzugrenzen, sondern für Fremde zu öffnen.

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2. Umverteilungsmärkte

Kollaborative Architektur

In der kollaborativen Architektur sind Umverteilungsmärkte die am wenigsten definierten Räume. Entscheidendes Merkmal ist auch hier die Zugänglichkeit. Flohmärkte und Kleidertausch-Partys sind dafür ein gutes Beispiel. Sie ermöglichen den Treffpunkt von Menschen, die ihre ungenutzten Dinge verkaufen wollen. Sie bilden das physische Pendant zu virtuellen Umverteilungsmärkten, wie Freecycle oder Craigslist. Alles, was dafür vorhanden sein muss, ist ein leerer Raum. So wird beispielsweise der ehemalige Luxusklub Goya in Berlin für die Dauer einer Kleidertauschparty zu einem Umverteilungsmarkt. (Bund 2011: 29)

3. Kollaborative Lebensstile Das wohl bekannteste architektonische Beispiel für einen kollaborativen Lebensstil, vor allem im Sommer genutzt, ist das Freibad. Obwohl es in unseren Breitengraden nur ungefähr zwanzig Tage im Jahr richtiges Freibad-Wetter gibt, wird heftig protestiert, wenn ein Freibad aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden soll. Anscheinend gibt es eine große »Einigkeit im Recht auf Freibad« (Rietz 2012), wie die Zeit titelt, vereint es doch viele Vorteile der kollaborativen Architektur: Es ermöglicht den Zugang zu einem riesigen Becken, Sprungtürmen und manchmal auch Wasserrutschen für einen geringes Entgeld. Durch Teilen wird möglich, was man sich als Einzelner nicht leisten kann. Schwimmbecken werden nicht nur auf städtischer Ebene geteilt, sondern auch auf der eines Apartementblocks, wie das Beispiel Co-Housing zeigt. Hierbei handelt es sich um ein Gebäude oder eine Sammlung von Gebäuden, die sich bestimmte Dienstleistungen wie Schwimmbecken, Fitnessräume und Gästezimmer teilen. Auch in Detroit gibt es dafür Beispiele, auch wenn sie dort eher die Ausnahme bilden. Mies van der Rohe entwirft mit seinem 122


›Lafayette Park‹ zur Blütezeit des Hyperkonsums ein ›CoHousing‹-Projekt, bei dem sich die Bewohner von zwei Hochhäusern immerhin ein gemeinsames Schwimmbecken teilen.

Entwerfen einer kollaborativen Architektur Der gesellschaftliche Wandel weg vom Eigentum und hin zum Zugang ändert auch das theoretische und praktische Fundament der Architektur. Dies geschieht zum einen auf der Ebene des Entwurfsprozesses und zum anderen im Wandel der architektonischen Projekte. Für den Bewusstseinswandel ist das Internet mitverantwortlich, da es die bisherigen Wissensmonopole der herkömmlichen Medien infrage stellt. Ähnlich wie der Buchdruck die beginnende Neuzeit prägt, hat auch das Internet seine Folgen für unsere heutige Welt. Diese lassen sich heute noch nicht vollständig erfassen. Klar ist allerdings jetzt schon, dass die Menschen sich wandeln vom Empfänger zum Sender, die ihr Wissen frei zugänglich machen. Neue Arten der Zusammenarbeit entstehen und der Konsument wandelt sich zum Teilnehmer. (Botsman / Rogers 2010: 188) Thomas Goetz, Chefredakteur des Wired-Magazines, sieht im Open Source Gedanken einen Fortschritt für die kreative Zusammenarbeit: »Open Source ist für die massenhafte Kreativität, was das Fließband für die Massenproduktion war.«26, warum sollten die Architekten dieses Potenzial nicht nutzen und in unsere Entwurfsund Planungsprozesse einbinden? Mario Carpo untersucht in seinem Buch ›The Alphabet and the Algorythm‹ die Auswirkungen dieses Denkens der gemeinsamem Entscheidungsfindung auf die Architektur (vgl. Carpo 2011). Genau, wie der Hypertext den einen spezifischen Autor verschwinden lässt, sieht er diese Entwicklung auch in Planungsprozessen. Als Beispiel außerhalb der Architektur nennt Carpo Wikipedia. Die einzelnen 26

engl. »Open Source is doing for mass innovation what the assembly line did for mass production« (Botsman / Rogers 2010: 189)

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Entwerfen einer kollaborativen Architektur

Artikel von Wikipedia sind nicht mehr einem einzelnen Autor zuzuordnen, sondern entstehen durch gemeinsame Arbeit und prozesshafte Überarbeitung. Carpo sieht diese Entwicklung auch in den digitalen Entwurfsprozessen der Architektur und teilt den Entwerfer in zwei Kategorien ein. Der Entwerfer der ersten Kategorie erstellt ein Regelwerk, das eine unendliche Anzahl an Möglichkeiten beinhaltet. Der Entwerfer der zweiten Kategorie wählt eine endgültige Möglichkeit aus all diesen Formen aus. Dadurch ist es möglich, bisher Außenstehenden Zugang zu Planungsprozessen zu schaffen. Bisher gibt es für diesen Planungsprozess nur wenige Beispiele. An dieser Stelle ist auf jeden Fall das Project ›Projective Tables‹ von Bernard Cache zu nennen. Cache entwirft einen Algorithmus für die Geometrie eines Tisches. Über ein Interface kann der Nutzer seine eigenen endgültigen geometrischen Vorstellungen und Wünsche aussuchen. Bei einer Ausstellung in Paris kaufen die Besucher jedoch lieber die ausgestellten Tische, als sich selber einen eigenen zu entwerfen. Ein anderes bekanntes Beispiel für die Verflüssigung des Planungsprozesses ist das ›Maison Domino‹ von Le Corbusier, das unabhängig vom Tragwerk ausgebaut werden kann. Das ›Smart-Price-House‹ von Bel Associates aus dem Jahr 2010 greift dies auf: Die Architekten errichten nur das Tragwerk mit Versorgungsinfrastruktur, das von den Bewohnern selbst ausgebaut wird. Der geöffnete Planungsprozess ist für die Architektur nichts Neues, aber führt bisher nur ein Nischendasein. Der Architekt und Städtebauer Jochem Schneider27 organisiert aktuell zusammen mit dem Pädagogen Dr. Otto Seydl28 einen Planungsprozess für die räumlichen Neuordnug eines Schulzentrum in Tettnang, das von drei Schulen

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Jochem Schneider, Dipl.-Ing. SRL DASL, ist Architekt und Städtebauer und Mitgründer des bueroschneidermeyer Stuttgart/Köln Dr. Otto Seydl ist Gründer des Instituts für Schulentwicklung, das Schulen konzeptionell bei der Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung berät. Erfahrung sammelte er als Pädagoge und Leiter des Salem International College


×  40 Damals: Maison Domino von Le Corbusier, 1914

×  41 Heute: Struktur zum selber Ausbauen von Bel Associates, 2010

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Entwerfen einer kollaborativen Architektur

gemeinsam genutzt werden wird. In diesem Planungsprozess werden sowohl die Schulleitung und die Verwaltung als auch die Schüler miteinbezogen. In Disskussionsrunden werden Wissen und Wünsche gesammelt und die Planer erhalten Ideen und Einblicke, die ihnen ohne Gespräche womöglich verwehrt geblieben wären. Des Weiteren wachsen durch die Einbindung aller Beteiligten in die Planungschritte Wissen und Verständnis über das Projekt und eine persönliche Bindung an den Entwurf. Aktuell bindet die Stadt Detroit ihre Bürger über das Projekt ›Detroit Works‹ in den Planungsprozess ein. Eine Webseite informiert über die Fortschritte, Planungsspiele fordern zum Mitmachen auf, ein Planungstisch geht auf Wanderung in den Nachbarschaften und in Symposien findet ein persönlicher Austausch zwischen Planern und Bürgern statt. Dass sich Außenstehende auch gegen den Willen von Planern und Entscheidern Zugang verschaffen und Interesse an der Mitentscheidung verkünden, kann man 2011 in Baden-Württemberg beim Streit um Stuttgart 21 beobachten (vgl. Die Zeit 2011). Durch Bürgerbegehren, Unterschriftensammlungen und Demonstrationen ist der Druck auf die Landesregierung so groß, dass im Oktober und November 2010 acht Schlichtungsgespräche zwischen Projektbefürwortern und -gegner stattfinden, die im Fernsehen und im Internet live zu verfolgen sind. Die im März 2011 neu gewählte Landesregierung beschließt eine Volksabstimmung abzuhalten, in der sich die Mehrheit der Wahlberechtigten für das Projekt ausspricht. Das Entscheidende bei dem Projekt Stuttgart 21 ist dabei nicht die Entscheidung über das Projekt, sondern der Ablauf des Projekts. Durch demokratische Mittel gelingt es den Projektgegnern in den bisher nur Experten offen stehenden Planungsprozess einzudringen. Sie kommen in den Schlichtungsgesprächen zu Wort, in denen Planer und Politiker ihre Entscheidungen erläutern. Die Motivation für die Auseinandersetzung mit dem Bahnhof ist der Gedanke des Zugangs zu politischen Entscheidungsprozessen, der immer deutlicher eingefordert wird. Neben dem Planungsprozess ist auch das geplante 126


Projekt entscheidend. Der Designer Ezio Manzini (vgl. Botsman / Rogers 2010: 190 – 194) identifiziert vier wichtige Punkte für den Entwurf: erstens eine leichte Nutzbarkeit, zweitens vielfältige Zugangsmöglichkeiten, drittens die Reproduzierbarkeit und viertens eine gesteigerte Kommunikation. Die leichte Nutzbarkeit baut Barrieren und Hemmschwellen für die Nutzung ab. Der Carsharing-Anbieter Zipcar hat eine Applikation für Smartphones seiner Mitglieder entwickelt, um dieses als Schlüssel verwenden zu können. Das Abholen oder Austauschen eines Schlüssels entfällt damit. Das architektonische Pendant dazu kann ein Zahlencode für ein privat vermietetes Appartement sein. Der Code kann per SMS übermittelt werden und ist für die Dauer des Aufenthaltes gültig. Reproduzierbarkeit bedeutet, dass die Idee an verschieden Orten mit leichter Abwandlung wiederholt werden kann. Für die Architektur können Änderungsfaktoren Klima, umgebende Bebauung und kulturelle Eigenheiten sein. Vielfältige Zugangsmöglichkeiten schaffen verschiedene Nutzarten eines Angebots. So hat der französische Spielzeugverleih ›Dim Dom‹ verschiedene Angebote für Eltern (längerfristig) und Großeltern (kurzzeitig). Jeder Kunde kann sich ein für ihn geeignetes Angebot aussuchen. Ein architektonisches Gegenstück dazu ist beispielsweise genossenschaftliches Bauen mit Mietwohnungen, in denen man Miteigentümer werden kann, sich kurzfristig einmietet oder einfach nur zu Besuch kommt. Das vierte Merkmal ist die gesteigerte Kommunikation. Bisher hat der technische Fortschritt die Menschen immer weiter getrennt und so hat der Fabrikarbeiter keinen Kontakt mehr zum Käufer. Durch den kollaborativen Gedanken kommt es zu vermehrten sozialen Kontakt von Produzent und Konsument und teilweise auch zu einer Verschmelzung der beiden zum ›Prosument‹. Die kollaborative Architektur unterscheidet sich vor allem durch ihre Zugänglichkeit für viele unterschiedliche Nutzer. In der Planung ist darauf zu achten, welchen Nutzern auf welche Art Zugang zu welchen Räumen angeboten wird. 127


×  42 Rückbau, Lagerung und Weiterverkauf von Baumaterialien bei Reclaim Detroit

Darüber hinaus sollten die Räume für Neuinterpretationen durch die unterschiedlichen Nutzer offen sein. Weitere Kriterien sind Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit, Wandelbarkeit und Modularität. Wichtiger als die Gestaltung der endgültigen Form ist die Gestaltung der Nutzbarkeit und des Programms. Kein System kann von Anfang an perfekt geplant werden, deswegen muss der Planer den Systemen die Möglichkeit geben, sich selbstständig entwickeln zu können. Das entworfene System muss robust genug sein, sich auf verändernde Nutzungen anzupassen und darauf zu reagieren.

Kollaborative Architektur Die gezeigten Beispiele sind nur exemplarisch und bei Weitem nicht vollständig. Sie zeigen die Vielfalt einer kollaborativen Architektur. So unterschiedlich diese Beispiele auch sind, so haben sie doch gemeinsam, dass sie immer mehreren Nutzern Zugang ermöglichen. Um sich auf kollaborative Architektur einlassen zu können, ist es notwendig, die gewohnten Vorstellungen von Eigentum zu hinterfragen und Eigentum durch Zugang zu ersetzen. Besonders deutlich wird dieser Wandel vom Eigentum zum Zugang wieder in der Stadt Detroit, in der das System des privaten Eigentums besonders starke Probleme verursacht hat und die aus diesem Grund zu einem Labor für kollaborative Architektur wird.

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×  43 Unsere Unterkunft bei Paul Emery in Corktown ×  44 Mit unserem Gastgeber Paul Emery an der alten Riverfront

×  45 Bei Couchsurferin Ashley in ihrem Loft in der Iron Street

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×  46 Ruinentour in der Packard Plant mit dem Künstler Lowell Boileau und seinem Sohn Nicolas

×  47 + 48 Im Freiluft-Wohn- und Esszimmer unseres Nachbarn Richard

×  49 + 50 Unser Mietauto und Mitfahrerin Ly Yen, Jounalistin aus Hamburg

×  51 Unterwegs mit George Corsetti im mittlerweile verfallenen Viertel seiner Kindheit

×  52 Sonntags: Hundetreffen auf dem eingezäunten Gelände des ehemaligen Tiger-Stadions mit dem Aktivisten Jerry Pfaffendorf und der Architektin Amy Swift

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Stimmen aus Detroit

»We have a lot of space.« »Imagine Detroit as a hollow tree.« (Lowell Boilleau, Detroiter Künstler und Internet-Aktivist)

»All these people worked in factories. The remarkable thing about this city is, that everybody could afford their own houses. That is a problem because everything is so far stretched out that it is to expensive to maintain.« »New Orleans was destroyed by a hurricane and Detroit by capitalism.« (George Corsetti, Detroiter Anwalt und Pflichtverteidiger)

»The motor companys that made the cities are not there anymore.«

»Rome has ruins, Athen has ruins – ours are bigger.« (Lowell Boilleau)

»There was a sign that said ›private property‹, but on the other side it said nothing« (Paul Emery, kürzlich nach Detroit umgezogen, in Anlehnung an einen Liedtext von Woody Guthrie)

»I moved back. I was away for 14 years. My parents helped to destroy this place. They were drug addicts and alcoholics. You feel obliged to rebuild this place.« (Bewohnerin von Brightmoore)

(Lowell Boilleau)

»They do everything they are not allowed to do: opening a restaurant without parking in a beat-up-place of town.«

»It did not last 2000 years, it lasted 25 years.«

(Paul Emery über das erfolgreiche Barbeque-Restaurant ›Slows‹ in seinem neuen Viertel Corktown)

(Jim Lemire, Detroiter Architekt über den Wohlstand der Stadt Detroit)

»It seems like we catered too much for the suburbs.« (Amy, Architektin und Gründerin ihres Büros ›Building-Hugger‹)

»Detroit is a city of islands.«

»A cottage in the countryside in the city.« (Jim Lemire über Corktown)

»Detroit is wide open to unlimited opportunities.« (Essie, Streetworker für ›Detroit Works‹)

(Lowell Boilleau)

»If you live here you forget about Detroit, forget that it exists. Almost everybody is white. [...] So we are back in Detroit, everything changes. The houses are closer together, everybody is black.«

»Detroit is not a blank canvas but open for interpretation« (Lowell Boilleau)

(George Corsetti, beim Überqueren der Stadtgrenze vom wohlhabenden Grosse Point nach Detroit)

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Kollaborative Stadt Detroit

Detroit als kollaboratives Labor Die Darstellung Detroits in den internationalen Medien zeigt bisher ein sehr einseitiges Bild, das noch immer deutlich von Geschichten des Untergangs, der Gewalt und der Zerstörung dominiert wird. Der Begriff des ›Ruinen Porno‹29 für dieses Gesamtphänomen ist spätestens seit dem Erfolg großformatiger Hochglanz-Bildbände30 in aller Munde und nach wie vor ein Grund, warum es überhaupt Touristen und Spurensucher des urbanen Verfalls in diese Stadt verschlägt. Kaum gegensätzlicher hierzu könnte da der Titel ›Detroit, MI will make a comeback – the 15 hottest american cities of the future‹ klingen, mit dem die Journalistin Jennifer Polland im Juni 2012 den Standort Detroit als neuen Hoffnungsträger ankündigt und so das Comeback der Stadt prognostiziert (Polland 2012). Dies mag verwundern beim Blick auf aktuelle Bevölkerungszahlen der Stadt, die alleine in den letzten zehn Jahren um mehr als 25 Prozent eingebrochen sind und 2012 seit knapp 100 Jahren erstmals wieder unterhalb von 700 000 liegen (n-tv 2012). Davon unbeirrt schreibt Polland weiter, gäbe es derzeit nach all den Jahren der Vernachlässigung und Zerstörung hoffnungsvolle Anzeichen und eine Reihe junger Idealisten, die bereits am Wandel der gebeutelten Stadt arbeiten, in einem Netzwerk neuer, sozial innovativer und umweltbewusster kleiner Unternehmen. (Polland 2012) Tatsächlich ist Detroit mit seiner Vorgeschichte als Stadt, die wie keine andere im Rausch des individuellen Konsums entsteht und dadurch beinahe untergeht, auch heute wieder in einer Vorreiterrolle zu finden: als Labor für neue Lebenskonzepte und Formen einer neuen Gemeinschaft.

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engl. ›Ruin Porn‹ (vgl. Kullmann 2012: 10) z. B. ›The Ruins of Detroit‹, ein 230-seitiger Bildband mit Fotografien der Franzosen Yves Marchand und Romain Meffre


Mit einer neuen Architekturvorstellung ist die Stadt derzeit im Wandel begriffen und möglicherweise dabei, eine neue Vorstellung von Eigentum zu etablieren. Einerseits ist die Armut der Stadtbevölkerung ein Grund für eine Kollaboration aus der Notwendigkeit. Andererseits, so Polland, finden sich immer mehr jungen Menschen, die Detroit als weitläufiges, günstiges und brachliegendes Feld verstehen, das Möglichkeiten wie kaum ein anderer Ort in den USA eröffnet. Aus den ersten Anfängen mit gemeinschaftlichen Community-Gärten in den 90er Jahren ist bis heute ein Netzwerk aus verschiedenen Einrichtungen, Wohnkonzepten, geteilten Arbeitsplätzen und Verteilersystemen entstanden, dass immer größeren Zulauf findet. Als klare Gegenposition zur Vergangenheit der Stadt liegt der gemeinschaftliche Fokus auf einer vom Privateigentum gelösten Nachhaltigkeit. Diese Entwicklung verknüpft mittels kollaborativer Prozesse sowohl ökologische als auch soziale und finanzielle Aspekte. In den folgenden Kapiteln wird anhand verschiedener Initiativen das neue kollaborative Detroit gezeigt, das wir durch unsere Feldstudie im Sommer 2012 näher kennengelernt haben.

Feldstudie Detroit Die Geschichte der Stadt Detroit vom Aufstieg und Niedergang ist ausführlich dokumentiert. Zum neuen kollaborativen Detroit gibt es hingegen nur wenig Informationsmaterial. Aus diesem Grund beschließen wir, die vielen kleinen und größeren kollaborativen Initiativen im Juni 2012 vor Ort aufzuspüren und kennenzulernen. Gleichzeitig nutzen wir gemeinschaftliche Wohn- und Transportformen im kollaborativen Selbstversuch.

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Kollaborativer Selbstversuch Durch den kaum vorhandenen öffentlichen Nahverkehr in Detroit und die Weitläufigkeit der Stadt sind wir auf ein Auto angewiesen. Kauf und Verkauf eines Gebrauchtwagens scheiden aufgrund der Versicherungsmodalitäten aus. So entscheiden wir uns für einen Mietwagen, der über eine deutsche Internetplattform31 in Kooperation mit dem US-Autovermieter ›National Car Rental‹32 als Restkapazität zu vergünstigten Konditionen angeboten wird. Unsere freien Plätze im Auto bieten wir während unserer Fahrten durch Detroit Mitfahrern an. Somit ist das Auto mit durchschnittlich vier Personen gut ausgelastet. Bei der Unterbringung testen wir Couchsurfing33, Airbnb34 und Privatunterkünfte: Erstaunt stellen wir fest, dass wir in fünfeinhalb Wochen Aufenthalt nur für sieben Übernachtungen bezahlen, da wir ansonsten in ungenutzten Zimmern von Freunden (von Freunden) unterkommen. Am Tag unserer Ankunft in Detroit haben wir die Wahl zwischen dem Loft der Couchsurferin und JournalismusStudentin Ashley und dem Haus von Paul, einem Philosophen, Musiker und Virtual-Reality-Programmierer. Wir entscheiden uns für Paul. Als neuer Besitzer eines für 20 000 Dollar ersteigerten und wieder instand gesetzten Einfamilienhauses ist Paul bereit, zwei Schlafzimmer sowie Küche, Bad und Wohnzimmer mit uns zu teilen. Als Gegenleistung für die Unterbringung helfen wir Architekturstudenten unserem Gastgeber mit Renovierungsarbeiten und Planungsvorschlägen – ein kleiner Beitrag der Kollaboration. Diese Art der Unterbringung bietet uns sowohl einen finanziellen Vorteil als auch Kontakte zu Nachbarn und Projekten in der Umgebung. Unseren Stadtteil ›Corktown‹ lernen wir als inspirierndes Umfeld kennen: Die Nachbarschaft scheint trotz weiterhin sinkender Bevölkerungszahlen, brachliegender Grundstücke und zweier brennender 31 32 33 34

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http://www.billiger-mietwagen.de https://www.nationalcar.com http://www.couchsurfing.org http://www.airbnb.com


Häuser innerhalb unserer ersten Woche, derzeit ein wichtiger Attraktor für neue kollaborative Ansätze zu sein. Über die Internetplattformen ›DetroitYes‹35 und ›Craigslist Detroit‹36, aber vor allem über unsere persönlichen Begegnungen ergeben sich Kontakte zu alt eingesessenen und frisch zugezogenen Bewohnern Detroits. Bis zum Ende des Aufenthalts wächst unser Telefonbuch auf 50 neue Freunde und Bekannte aus Künstlern, Fotografen, Architekten, Unternehmern, Aktivisten, Studenten und Familien der Nachbarschaft. Jeder und jede Einzelne von ihnen glaubt auf seine und ihre Art an die Vision eines neuen kollaborativen Detroits. Die folgenden Kapitel zeigen eine Auswahl der von uns besuchten kollaborativen Initiativen und Projekte. Grundlage für ihre Einordnung bildet die bereits erläuterte Dreigliederung in Produkt-Service-Systeme, Umverteilungsmärkte und Kollaboration Lebensstile. Die von uns vorgenommene Einteilung ist als eine mögliche Form der Kategorisierung und Vergleichbarkeit zu lesen – allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder empirische Auswertbarkeit. Jedes der Projekte wird zunächst kurz beschrieben, seine kollaborativen Potenziale, das Verhältnis von Nutzer und Eigentümer und die architektonische Interpretation dargestellt.

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Tagesaktueller Blog zu Themen rund um Detroit: http://www.detroityes.com Lokale Kleinanzeigen und Kontakte rund um Detroit: http://detroit.craigslist.org

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×  53 Elektronische Bauteile und Hackertreff bei I3 ×  54 ›Moped Night‹ vor dem Hackerspace Omnicorp

×  55 + 56 Peggy Brennan führt durch die Green Garage und die angrenzende Green Alley

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×  57 Rückbau von Baumaterialien bei Reclaim Detroit

×  58 Detroit Hostel in Corktown

×  59 + 60 Ehemaliges Wohnhaus als Karte vom Brightmoor Farmway, Bill und Billie Hickey mit freiwilligem Gartenhelfer

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×  61 Hannah Hunt Moeller erklärt den ›Empowerment Plan‹ als eines von vielen Projekten bei Ponyride

×  62 Jon Koller bei den Vorbereitungen zum 100. Geburtstag von Spaulding Court

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×  63 Instandsetzung eines leer stehenden Wohnhauses durch die ›Grandmont Rosedale Development Corporation‹

×  64 Wohn- und Musikzimmer einer Wohngemeinschaft mit 15 Bewohnern

×  65 + 66 Eastern Market an einem Samstag, Alternatives Zahlungsmittel: Lokalwährung ›Cheers‹

×  67 + 68 ›Junk Hole‹ bei Recycle Here, Müll-Skulpturenpark im Außenbereich

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Kollaborative Produkt-Service-Systeme

Hackerspaces37 I3 und Omnicorps Die Hackerspaces ›Omnicorps‹ und ›I3 (Imagine, Innovate, Inspire)‹ verstehen sich laut eigener Beschreibung auf ihren Webseiten als Gruppierungen von Designern, Künstlern, Ingenieuren, Musikern, Denkern und Machern. Sie kommen zusammen, um neue Dinge zu schaffen und innerhalb der Detroiter Community zu kollaborieren. Unter dem Motto »we’re making, breaking, reshaping and hacking« (Omnicorp 2012 a) fungieren die Hackerspaces in ihren umgenutzten Räumlichkeiten alter Industriestandorte als offene Werkstatt und Ort des Wissenstransfers. Mitglieder erhalten für einen Monatsbeitrag von 39 Dollar (I3 2012) Zugang zu diversen Werkzeugen, dem Wissen der anderen Mitglieder und den Gemeinschaftsbereichen als sozialer Treffpunkt und erweitertes Wohnzimmer. Die Herkunft der Hackerspaces aus dem Umfeld von Programmierern ist deutlich erkennbar, wobei mittlerweile alle Formen technisch-kreativer Arbeit und Kunst dort vertreten sind. Die überwiegende Arbeit passiert im Hackerspace als Freizeitbeschäftigung. Wöchentliche ›Hack Nights‹ fördern die gemeinschaftlich, demokratische Organisation. Vierzehntägig finden öffentliche ›open hack nights‹ statt (Omnicorp 2012 b). Die Werkstätten von ›I3‹ und ›Omnicorps‹ sind für ihre Mitglieder täglich 24 Stunden geöffnet. ›I3‹ ist mit seiner Gründung im Jahr 2009, der erste Hackerspace im Großraum Detroit und liegt an der nördlichen Stadtgrenze in Ferndale (1481 Wordsworth). ›Omnicorps‹ besteht seit 2010 und liegt im Detroiter Stadtteil Eastern Market.

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auch ›Hacklab‹ oder ›Makerspace‹: Treffpunkt für Menschen mit ähnlichen Interessen z. B. Computer, Technologie, Wissenschaft, digitale oder elektronische Kunst. Organisation als gemeinschaftlich, kollaboratives ›OpenCommunity-Lab‹. Hacker teilen dabei Ressourcen wie Maschinenräume, Werkstätten, Studios und ihr Wissen, um verschiedenste Dinge zu bauen und zu machen. (Saini 2009)


Kollaborative Systeme

Als Produktservicesystem bieten Hackerspaces Werkzeuge, Raum und Werkstätten und den Zugang zu Wissen. Durch den Freizeitcharakter, die Verwirklichung eigener, unkommerzieller Ideen und den sozialer Austausch sind sie auch Beispiel eines allgemeineren kollaborativen Lebensstils. So können Freizeit und produktives Arbeiten im Hackerspace kombiniert werden. Auch die bewusste und gezielte Durchmischung der Mitglieder mit unterschiedlichen Berufen und Interessengebieten ist erklärtes Ziel, von dem alle profitieren. Gegenseitiges Vertrauen der Mitglieder ist im Hackerspace von großer Bedeutung. Neue Mitglieder müssen sich persönlich vorstellen. Werkzeuge, Maschinen und eingebrachtes persönliches Eigentum können durch die Gemeinschaft bzw. einen Mitgliedsbeitrag versichert werden.

Eigentümer- und Nutzerverhältnis

Ungenutzte Kapazitäten, wie leer stehende Räume (Hackerspace I3 umfasst 750 Quadratmeter) und Maschinen, die im Privatgebrauch nur selten zum Einsatz kommen oder für Einzelpersonen deutlich zu teuer wären (z. B. CNCFräse oder Lasercutter) werden im Hackerspace effizient eingesetzt. Wissen und der Austausch von Ideen und Gedanken (z. B. in Form von gegenseitigen Schulungen und Workshops) unter den Mitgliedern können als zusätzliche Kapazitäten gedeutet werden. Eine ausreichende Anzahl an Mitgliedern ist die Grundlage für Finanzierung einer attraktiven Auswahl an Maschinen zu einem geringen Monatsbeitrag. Omnicorp hat beispielsweise 80 Mitglieder.

Architektur

Die Werkstatt des Hackerspaces ist prinzipiell Gemeinschaftseigentum, da sie von allen finanziert und genutzt wird. Zugang erhält ein Mitglied durch seinen Monatsbeitrag, der ihn zur Nutzung der Ressourcen Raum, Werkzeug und Material berechtigt. Organisiert ist das Kollektiv als Verein. Intern werden Verantwortliche für spezifische Werkzeugruppen, Räume und Aufgaben zugeordnet. Die Hackerspaces I3 und Omnicorp nutzen leer stehende Lagerhallen und Werkstätten. Diese Räume sind durch ihre Größe flexibel nutzbar. Die innere Organisation 139


von Werkstatt und Arbeitsplätzen wird den Bedürfnissen der Mitglieder angepasst und schafft PC-basierte, handwerkliche und künstlerische Arbeitsumgebungen. Vorwiegend werden die Hackerspaces in den Abendstunden genutzt und so gibt es kommunikativen Zonen als erweitertes Wohnzimmer, die zum Wissenstransfer genutzt werden.38

Green Garage Das Projekt ›Green Garage‹ ist ein Gebäude und Unternehmen in Midtown Detroit, das als Anlaufstelle rund um Nachhaltigkeitsthemen für Firmen und interessierte Privatpersonen dient. Als ›Brutkasten für Unternehmen‹39 bietet es jungen Unternehmern und neuen Geschäftsmodellen flexible Raumstrukturen und Arbeitsplätze. Integriert sind sowohl eine ›Bibliothek für urbane Nachhaltigkeit‹40 als auch eine Holzwerkstatt. Der wöchentliche ›Community Brown-Bag Lunch‹ lädt Nachbarn, Unternehmen und andere Interessenten dazu ein, sich in der Green Garage zu informieren und untereinander auszutauschen. (Green 2012 a) Das Gebäude – ein ehemaliger Ford Model-T Showroom der 20er Jahre – wird 2008 von Tom und Peggy Brennan gekauft und mithilfe einer Gemeinschaft aus etwa 200 Personen als energie-autarkes, grünes Gebäude renoviert und beinahe vollständig umgebaut. Neben neuen Tageslichtsystemen, Photovoltaik- und Solarkollektoren gibt es eine Recycling-Station und ein eigenes Wasseraufbereitungssystem. Baumaterialien zur Renovierung und zum Innenausbau stammen größtenteils aus abgerissenen Wohnhäusern aus Detroit. Das gut 1000 Quadratmeter große Gebäude ist Heimat für etwa 20 kleine Unternehmen mit ein bis fünf Mitarbeitern, die monatlich zwischen 50 und 1000 Dollar Miete zahlen. Verschiedene Gruppen wie die ›Collaborate Design 38 39 40

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Informationsquelle: Besichtigung und Interviews bei den Hackerspaces Omnicorp und I3 im Juni 2012 engl. ›Green Business Incubator‹ engl. ›Urban Sustainability Library‹


Collective‹ halten im Gebäude ihre wöchentlichen Treffen ab. Die Kollaboration untereinander wird durch einen Gemeinschafts-Garten und einer ›Green Alley‹ (Grüne Gasse)41 gefördert. (Ouimet 2012) Kollaborative Systeme

Als Produkt-Service-System bietet die ›Green Garage‹ Mieträume in verschiedenen Größen an. Die einfachste Form ist ein Tisch, der nur für die Dauer der Nutzung belegt wird. Küche, Konferenzräumen, Rückzugsbereichen und Außenanlagen ergänzen das räumliche Angebot. Die interne Bibliothek kann von allen Mitgliedern, wie auch von externen Gästen benutzt werden. Das professionelle Arbeitsumfeld fördert den Wissenstransfer und schafft eine Plattform für informelle Kontakte. Ein weiteres Serviceangebot ist die Hilfestellung bei rechtlichen und finanziellen Fragen für junge Unternehmen. Alle eingemieteten Unternehmen arbeiten zwar für sich, verfolgen aber denselben Grundgedanken der nachhaltigen Stadtentwicklung Detroits. Die Green Garage wendet sich an junge Start-upUnternehmer, die in Detroit zahlreich vertretend sind. Sie bietet ihnen die Möglichkeit, sich durch ein kollaboratives System ein professionelles Arbeitsumfeld finanziell leisten zu können. Bisher ungenutzte Kapazitäten sind das Gebäude an sich sowie nicht spezifisch zugeordnete Arbeitsplätze und Konferenzräume, die allen Nutzern temporär zur Verfügung stehen.

Eigentümer- und Nutzerverhältnis

Die Investoren, Eigentümer und Betreiber der Green Garage sind Tom und Peggy Brennan. Sie bieten über ein gestaffeltes Mietsystem Zugang für (Klein-)Unternehmer zu einem professionellen und inspirierenden Arbeitsumfeld. Einige Bereiche sind komplett öffentlich und unentgeltlich zugängig.

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Die Straßenblocks in Detroit sind durch kleine Zwischengassen (Alleys) unterteilt. Diese sind asphaltiert und versiegeln den Boden. Bei starkem Regen kann das Wasser dort nicht versickern und überlastet die Kanalisation. Eine ›Green Alley‹ öffnet die versiegelte Oberfläche, lässt das Regenwasser im Boden versickern und macht die Gasse zu einem Grünraum. Die Befahrbarkeit wird durch eine sickerfähige Pflasterung gewährleistet.

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Architektur

Die Green Garage ist ein Beispiel für einen ›geteilten Arbeitsraum‹42. Räumlichkeiten und Tische werden temporär vermietet, die zeitliche Flexibilität reicht dabei von einzelnen Stunden zu mehreren Monaten oder Jahren, die gebucht werden können. Die minimale Ausstattung eines Arbeitsplatzes stellt ein Tisch mit Internetanbindung dar. Eigene Kabinen für speziell zugeordnete Firmen sind aber ebenso zu mieten. Der architektonische Fokus liegt eindeutig bei den gemeinschaftlich genutzten Bereichen. Für Besprechungsräume, Aufenthaltsbereiche als Brainstorming- und Relax-Zonen oder eine großzügige Küche ist der meiste Platz reserviert.43

Weitere Beispiele Neben den erwähnten Hackerspaces I3 und Omnicorp und dem Projekt Green Garage, finden sich in Detroit noch weitere Beispiele für Produkt-Service-Systeme. Durch den Einsatz kollaborativer Prinzipien sind dieses Systeme in vielen Fällen attraktiver, flexibler, gemeinschaftlicher und nachhaltiger. Dazu gehören beispielsweise genossenschaftlich geführte Restaurants oder gemeinsame Wohnformen – wie in der Lafayette Park Siedlung44. Beim Projekt ›1300 Lafayette East Cooperative‹ wird schon 1979 der Wohnturm schrittweise in ein genossenschaftliches Modell übertragen, um den Verkauf an Investoren oder die Stadt Detroit zu vermeiden. (Emporis 2012) Als weitere Projekte sind das ›Detroit Hostel‹45 oder die Nachbarschaft ›Rosedale Park‹ zu nennen. Das im Stadtteil ›Corktown‹ gelegene Hostel ist das einzige der Stadt und bietet neben dem bekannten Konzept der Zimmervermietung auch die Miete von ganzen Apartments für einen längeren Zeitraum, dem Wohnen gegen Mithilfe oder der 42 43 44 45

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engl. ›Shared Workspace‹ Informationsquelle: Besichtigung und Gespräche beim ›Brown-Bag Lunch‹ und ›Collaborative Design Meeting‹ im Juni 2012 1961 – 1964 gebaut von Ludwig Mies van der Rohe. http://www.hosteldetroit.com


Nutzung eines nachbarschaftlichen Gartengrundstücks an. Die Außenbereiche werden hier zu gemeinschaftlich genutzten Aufenthaltsräumen mit Kontakt zur direkten Nachbarschaft. Mit Angeboten für ›Botschafter und Freiwillige‹ 46 bieten die Hostelbetreiber ihren Gästen die Möglichkeit zur Kollaboration mit Initiativen in der Nachbarschaft. (Hostel 2012) Im Detroiter Stadtteil ›Rosedale Park‹ findet sich ein weiteres Produkt-Service-System: Eine Nachbarschaftsinitiative finanziert und betreibt ein Gemeindezentrum, das für Feste von Mitgliedern genutzt werden kann. Darüber hinaus kauft die Initiative leer stehende Gebäude, renoviert und verkauft sie anschließend weiter. Durch die aktive Suche nach neuen Bewohnern für leer stehender Gebäude, das Rasenmähen und die Instandsetzung verlassener Gebäude gelingt es hier, den Verfall der Nachbarschaft aufzuhalten und den Leerstand bei ›nur‹ 10 Prozent zu halten. Durch diese Initiative sind sowohl der Zusammenhalt als auch der Zustand der Nachbarschaft deutlich besser als in anderen Gebieten der Stadt.47

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engl. ›Ambassadors & Volunteers‹ Informationsquelle: Interview und Rundgang mit dem Architekten Tom Goddeeris im Juni 2012

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Kollaborative Umverteilungsmärkte

WARM Training Center und Reclaim Detroit Als gemeinnützige Organisation fördert das ›WARM Training Center‹ »die Entwicklung von ressourcenschonenden, erschwinglichen, gesunden Häusern und die Gemeinschaft durch Bildung, Ausbildung und technische Betreuung«. Neben der Wissens- und Arbeitsvermittlung werden dabei handwerkliche Ausbildungsprogramme, Workshops und technische Hilfestellungen rund um das Thema nachhaltiger, grüner Lebensweisen angeboten. (Warm 2012) Ein wichtiger Teilbereich von WARM ist die 2011 gegründete Initiative ›Reclaim Detroit‹ im Stadtteil Highland Park (1200 Oakman Boulevard). Unter dem Motto »Nicht abreißen, RÜCKBAUEN!«48 (Reclaim 2012) sucht die Organisation nachhaltige Alternativen zum bisher gängigen Abrissprozess für die aktuell 78 000 leer stehenden Gebäude Detroits. Der Rückbau von historischer Bausubstanz bewahrt das architektonische Erbe und schützt es vor Brandstiftung und Plünderung. Durch den Rückbau wird Material erneut verfügbar gemacht. Momentan dekonstruiert Reclaim Detroit etwa 20 Wohnhäusern pro Monat, die in Handarbeit recycelt werden. Sämtliche brauchbaren Bestandteile der Häuser wie Holz, Ziegelsteine, Bodenbeläge und Beschläge werden dabei katalogisiert, neu konfektioniert und im eigenen Warenhaus als Baumaterial verkauft. Der Käufer erhält eine genaue Auskunft über die Herkunft des Materials. Die Auftraggeber sind private Hausbesitzer, Bauunternehmer oder auch die Stadt. Der Arbeitsprozess bei Reclaim Detroit ist ein Resozialisierungsprogramm für ehemals Drogenanhängige und Kriminelle. Die Vorteile der Dekonstruktion gegenüber dem Abriss sind laut Auskunft von Reclaim Detroit äußerst vielseitig. Dazu zählt das Schaffen von Arbeitsplätzen, das Transformieren von Müll in neue Rohstoffe, das Stärken der lokalen 48

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engl. »Don’t demolish, DECONSTRUCT!«


Wirtschaft, die Innovation hinsichtlich neuer Baumaterialien, die Möglichkeit nachhaltig, sozial verantwortlich und profitabel zu wirtschaften sowie die große Verfügbarkeit der Ressourcen in Detroit.

Kollaborative Systeme

Eigentümer- und Nutzerverhältnis

Architektur

Das Kerngebiet von Reclaim Detroit ist die Neudefinition von Abriss-Müll als neuem Baumaterial. Reclaim Detroit ist somit primär ein Umverteilungsmarkt. Durch ihren großen Leerstand verfügt die Stadt über ungenutzte Kapazitäten an Baumaterial in Form von alten Wohn- und Geschäftshäusern, die rückgebaut werden können. Zudem gibt das Projekt Arbeitslosen und ehemaligen Kriminellen neue Chancen und Perspektiven und aktiviert somit das bisher ungenutzte Potenzial an Arbeitskraft. Durch den Weiterverkauf der Baumaterialien, die günstiger und qualitativ hochwertiger sind als Produkte aus dem Baumarkt, refinanziert sich die teure und arbeitsaufwendige Dekonstruktion. Der Recyclingprozess ermöglicht es, dass ein bisheriger Eigentümer sein nicht länger benötigtes Eigentum an einen neuen Nutzer übergibt. Da viele Immobilien in Detroit seit Jahren leer stehen und oftmals die Eigentümer verstorben oder verzogen sind, bietet diese Form des Rückbaus die Möglichkeit brachliegenden Besitz in eine neue, legale Nutzung und Eigentumsform zu überführen. Die Produktion von neuen Baumaterialien und Müll wird damit eingeschränkt. Reclaim Detroit befindet sich in einer großen Lagerhalle. Darin befindet sich eine Kombination von Werkstätten, Lagerfläche, Verkaufsraum und Schulungszentrum. Die Gebäude werden vor Ort zerlegt, in die Werkstatt gebracht und dort entnagelt und sortiert. Der Weiterverkauf erfolgt ebenfalls in der Werkstatt.

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Weitere Beispiele Umverteilungsmärkte entstehen in Detroit aktuell in verschiedenen weiteren Bereichen. So auch die Projekte ›Recycle Here‹ und der populäre ›Eastern Market‹. Ähnlich wie bei ›Reclaim Detroit‹ geht es bei der Recycling-Station ›Recycle Here‹ darum, Müll als Ressource nutzbar zu machen und ein dafür notwendiges neues Bewusstsein zu schaffen. Die Räume einer alten Autoproduktionshalle dienen als zentrale Wertstoffsammelstelle für vorsortierten Müll der Bewohner Detroits. Ein Skulpturenpark aus Recycling-Kunst und ein Informationszentrum sind die räumliche Ergänzung. Im ›Junk Hole‹ von Recylce Here befindet sich eine Fundgrube für funktionstüchtige aber nicht mehr benötigte Gegenstände, die dort abgeben werden. Von Schallplatten über Teller bis zu Spielzeug ist dort alles zu finden. Interessierte nehmen sich, mit was sie brauchen. Das Junk Hole erzeugt ein Umdenken in der noch immer prägenden Wegwerfmentalität. Als ein Austragungsort des jährlichen ›Electronic Music Festivals‹ und lokaler Anlaufpunkt der Nachbarschaft, ist Recycle Here darüber hinaus auch kulturell interessant. Das Projekt existiert seit 2005 im Stadtteil ›University Cultural Center‹ und hat mittlerweile sechs weitere Anlaufstellen im Stadtgebiet (Recycle 2012).49 ›Eastern Market‹ ist der letzte innerstädtische Lebensmittelmarkt in Detroit, nachdem auch die Versorgung der Stadt mit frischen Lebensmitteln kaum mehr durch innerstädtische Supermärkte gewährleistet ist. Der Eastern Market besteht seit 1891, umfasst sechs Blocks und überlebt in der Zeit von 1970 bis 1990 nur als Großmarkt und Umschlagspunkt für Handelsketten (Eastern 2012) 50. Heute bieten dort wieder kleinere Händler und Kleinbauern aus Michigan und lokalen Initiativen aus Detroit ihre Waren an. Vor allem Kleinerzeuger haben hier die Möglichkeit ihre Waren direkt an ihre Kunden zu verkaufen. Indirekt trägt der Markt

53 + 54 Informationsquelle: Besichtigung und Interviews vor Ort im Juni 2012

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auch zur Nutzung brachliegender Flächen im Stadtgebiet bei, die für die Landwirtschaft neu bestellt werden. Zusätzlich fördert der Markt die Ansiedlung von kollaborativen, jungen und nachhaltigen Firmen und gemeinnützigen Organisationen im direkten Umfeld, wie zum Beispiel eine der Außenstellen von Recycle Here. Neben der Möglichkeit mit Lebensmittelmarken zu zahlen, akzeptieren zahlreiche Händler auch die Detroiter Lokalwährung ›Cheers‹ (Kavanaugh 2009). Sie soll unter anderem den lokalen Markt als Wirtschaftsstandort stärken und gibt 5 Prozent des Gegenwertes an gemeinnützige Projekte weiter.

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Kollaborative Lebensstile

Spaulding Court Das Apartmentgebäude ›Spaulding Court‹, Baujahr 1912, umfasst 20 Wohneinheiten und befindet sich im Stadtteil Corktown. Die von den Eigentümern verlassen und zwischenzeitlich als Waffen- und Drogenumschlagsplatz missbrauchten Gebäude werden im Jahr 2010 von einer Bürgerinitiative für 1000 Dollar gekauft. Ziel ist es mit der Renovierung die Nachbarschaft aufzuwerten und ein nachhaltig kollaboratives Wohnumfeld zu schaffen. Aus einem Provisorium mit Toilette und Dusche wird innerhalb von zwei Jahren ein teilweise bewohntes Gebäudeensemble. Im Juli 2012 sind 5 der 20 Einheiten in Eigenleistung wieder bewohnbar und vermietet. Unter dem Motto »bewahren, planen, bauen!‹51 ist das Projekt zur Mitarbeit und Mitnutzung für Freiwillige geöffnet, die Planungsideen beisteuern und beim Umbau aktiv dabei sind. Zum 100-jährigen Geburtstag des Hauses im Juni 2012 können sich Bewohner und Gäste anhand von großen Architekturmodellen spielerisch an der Planung beteiligen. Kollaborative Systeme

Die gemeinschaftliche Wohnform in Spaulding Court ist als kollaborativer Lebensstil einzuordnen. Neben dem bewussten Verzicht auf ein Auto steht die Gemeinschaft durch den zentralen Hofbereich, der alle Einheiten verbindet, im Vordergrund. Als ungenutzte Kapazität dienen 20 Wohneinheiten, die aktuell teilweise renoviert werden. Eine kritische Masse an Mietern muss noch hinzugewonnen werden, damit sich weitere Ideen wie eine gemeinsame Energieversorgung oder Ähnliches finanziell lohnen und das Konzept mittel- bis langfristig nachhaltig und tragfähig bleibt. (Carlisle 2011: 166 ff.)

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engl. »Contain it, Plan it, Build it« (Spaulding 2012)


Eigentümer- und Nutzerverhältnis

Das Verhältnis von Eigentümern zu Nutzern ist flexibel gestaltbar. Wer möchte, kann sich klassisch in Spaulding Court ein Apartment mieten. Wohnraum zur Miete ist im näheren Stadtumfeld noch immer eine Besonderheit, für die es aber steigenden Bedarf gibt. Durch Mitarbeit in Planung, Ausgestaltung und Umsetzung ist es jedoch möglich, Mietkosten zu sparen. Zusätzlich gibt es die Option, als gemeinschaftlicher Teilhaber nach einer gewissen Zeit komplett mietfrei zu wohnen. Der mögliche fließende Übergang zwischen Nutzer und Eigentümer bietet viel Potenzial und macht diese Form der Architektur für viele Nutzer zugänglich und interessant. Fehlende finanzielle Mittel können durch Eigeninitiative und Einsatz für die Gemeinschaft ausgeglichen werden.52

Architektur

Da die Einheiten voneinander unabhängig sind, können sie vermietet oder Eigentum werden. Die Belegung ist flexibel und die Grundrisskonfigurationen reagieren auf individuelle Wünsche, indem zum Beispiel in Eigeninitiative zwei bisher leer stehende Einheiten durch einen Durchbruch verbunden werden können. Anstelle professioneller Planer sind unter anderem Architekturstudenten der ›University of Michigan‹ an den Planungsprozessen beteiligt. Die 20 kleinen, zweigeschossigen Wohneinheiten ergänzen gemeinschaftlich genutzte Außenräume, dazugehört ein neu angelegter Garten auf der Brachfläche des Nachbargrundstücks.

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Interview mit Jon Koller am 16. Juni 2012

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Brightmoor Farmway Brightmoor ist eine Nachbarschaft am nordwestlichen Stadtrand Detroits, die von den Folgen des Niedergangs der Stadt schwer getroffen wurde: In manchen Blocks stehen heute nur noch etwa 10 Prozent der ehemaligen Bebauung. Schulen, Kindergärten, Geschäfte, und öffentliche Transportsysteme sind fast völlig verschwunden. Der Anteil der schwarzen Bevölkerung liegt bei über 95 Prozent. Von der Stadtverwaltung wird das Gebiet offensichtlich vernachlässigt. (vgl. Data 2010) Die Ursprünge der Initiative liegen hier im Jahr 2006. Mit dem ›Brightmoor Youth Garden‹ wollen die Initiatoren Sheila Hoerauf und Riet Schumack die allgegenwärtige Zerstörung sowie Drogenhandel und Prostitution eindämmen. Heute umfasst das Gebiet 21 Stadtblöcke, das Zentrum befindet sich an der Ecke Grayfield Street und Beaverland Street (Brightmoor 2012). Als nachbarschaftliche Vereinigung schafft das Projekt ›Brightmoor Farmway‹ einen Ort der Zusammengehörigkeit. Ein Gemeindezentrum, Gärten, eine Obstplantage, Kinderspielplätze und der Farmway als Verbindungsweg der einzelnen Aktionspunkte sind das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit. Gemeinschaftliche Aktionen umfassen die Säuberung und den Abriss ausgebrannter Häuser, Kunstprojekte zur Verschönerung und zum Erhalt leer stehender Gebäude, Wissens- und Gütertausch, Resozialisierungsmaßnahmen und Arbeitsvermittlung – all dies geschieht auf ehrenamtlicher Basis. Der kollaborative Zusammenschluss von Brightmoor hat es geschafft, den Abzug und Leerstand nicht weiter zu vergrößern. Einzelne Personen sind bewusst in die Gegend gezogen oder versuchen die Initiative auf ihre Nachbarschaft auszuweiten. Kollaborative Lebensstile

Als breit gefächerte Gemeinschaftsinitiative ist Brightmoor Farmway als kollaborative Lebensform zu verstehen. Einzelinitiativen – meist geboren aus der Notwendigkeit, selbst zu handeln – sind dabei die Grundlage für den Erfolg des Projekts. Sie verwenden die ungenutzten Kapazitäten der brachliegende Freiflächen und Gebäude. 150


Mit 21 Stadtblocks, 300 involvierten Familien und etwa 16 000 Arbeitsstunden, die 2011 von Freiwilligen für das Projekt geleistet wurden, ist eine umfassende kritische Masse erreicht. Die Bewohner teilen Wissen, Arbeit und Produktionsmittel, sind teilweise Selbsterzeuger von Lebensmitteln und haben neue Arbeitsmöglichkeiten und einen kleinen Zuverdienst. (vgl. Smotrich 2012: 4) Eigentümer- und Nutzerverhältnis

Alle Einrichtungen stehen für Nachbarn und Besucher gegen Zeit und freiwillige Mitarbeit offen. Da Anfragen an Stadt und County zum Erwerb von fünf leer stehenden Parzellen seit Jahren unbeantwortet sind, werden diese Freiflächen (temporär) ohne legalen Eigentümerstatus genutzt.

Architektur

Planung und Nachbarschaftsentwicklung geschehen als gemeinschaftlicher Prozess. Die Gemeinschaftsgärten und die Community Hall dienen als Treffpunkt und erweitern den Wohnraum nach draußen.53

Ponyride Das Projekt ›Ponyride‹ im Stadtteil Corktown (1401 Vermont Street) versteht sich als »Studie zur Untersuchung wie die Folgen der Zwangsvollstreckungen und Enteignungen einen positiven Einfluss auf betroffene Nachbarschaften haben können« (Pony 2012). In einem ehemaligen Lager und Produktionsgebäude wird dabei günstiger Raum für Künstler und Unternehmen angeboten, die »sozial-verantwortlich sind und gerne Arbeit, Wissen und Ressourcen teilen« (Pony 2012). Ponyride bietet etwa 10 Start-up-Unternehmen Arbeitsplätze, Werkstätten und Wohnraum für seine Mieter, aber auch externe Nutzer. Mit einem ›Creatives-in-Residency«-Programm, sind meist ein bis zwei Ateliers für Künstler reserviert, die dort kostenlos unterkommen und arbeiten können.

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Besichtigung und Interview mit Riet Schumack, anlässlich des ›Community Clean-Up‹ und ›Family Fun Days on the Farmway‹ am 2. Juni 2012

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Kollaborative Systeme

Ponyride kann als kollaborativer Lebensstil gesehen werden, der die strikte Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit aufhebt. Finanzieller Anreiz für die Kollaboration ist ein gestaffeltes Mietsystem. Wer mithilft oder sein Eigentum für andere Nutzer zur Verfügung stellt, zahlt weniger. Unter der Betrachtungsweise eines Produkt-Service-Systems bietet Ponyride flexible Arbeitsplätze, Wohnraum und gemeinschaftliche Bereiche. Die kritische Masse besteht aus Corktowns Initiatoren, Unternehmer und Studenten.

Eigentümer und Nutzerverhältnis

Phillip Cooley ist der Eigentümer von Ponyride. Alle Entscheidungen werden durch ein 11-köpfiges Gremium getroffen. Die Nutzer und Mieter haben die Möglichkeit ihre Mietpreise zwischen 10 bis 20 Cent pro Quadratfuß zu staffeln. Wer nur konsumiert – also wohnt oder einen Arbeitsplatz mietet – zahlt mehr. Wer darüber hinaus aber etwas für das Allgemeinwohl beisteuert wie Arbeitseinsatz, Zeit oder Maschinen zahlt weniger.

Architektur

Die Räume von Ponyride sind ähnlich wie die der Hackerspaces von großer Flexibilität und befinden sich in einer ehemaligen Fabrik. Zusätzlich ist es hier wichtig, verschiedenen Firmen Raum anzubieten und voneinander zu trennen. Darüber hinaus gibt es Wohnraum mit privaten Bereichen.54

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Besichtigung und Gespräche mit Hannah Hunt Muller, Studentin der University of Michigan und Mieterin im Projekt Ponyride im Juni 2012


Weitere Beispiele: Private Initiativen In die Liste kollaborativer Lebensstile passen die meisten der Initiativen in Detroit, da immer mehr Menschen die Vorteile des kollaborativen Konsums für sich entdecken. Als Teil dieses Prozesses entstehen derzeit auch im privaten Bereich der Einfamilienhäuser – als bisheriges Sinnbild des Individualkonsums – neue Formen der Kollaborative. Im Stadtteil Corktown wird aktuell ein ehemaliges Wohnhaus von vier Eigentümern als Lebensraum für zeitweise bis zu 20 Bewohner, Künstler, Handwerker und Gärtner neu genutzt. Die Erdgeschossebene bildet mit großem Musikzimmer, Proberaum und Wohnküche das Zentrum, das durch große Flächen im Außenbereich mit Garten und Hühnern erweitert wird. Privatbereiche gibt es nur im Obergeschoss, wobei Schlafzimmer teils mehrfach belegt werden und flexibel für wenige Tage bis mehrere Monate oder Jahre vermietet werden. 55 Einfamilienhäuser werden heute oftmals nur noch von ein bis zwei Personen bewohnt und werden zurzeit als kollaboratives Potenzial neu entdeckt. Das Vermieten einzelner Räume oder des Wohnzimmers über Internet-Portale wie Airbnb sind Möglichkeiten eines Zuverdiensts bei gleichzeitiger Nutzung leer stehender Kapazitäten. Statt finanzieller Beteiligung ist die Währung ›Zeit‹ bzw. ›Arbeit‹ im Tausch für eine Unterkunft eine weitere Möglichkeit.

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Besichtigung und Gespräche mit den Bewohnern im Juni 2012

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Fazit Als Ergebnis unserer Erkundung von Detroit stellen wir fest, dass an vielen Orten der Stadt ein neues Bewusstsein und Handeln entsteht, das an Bedeutung gewinnt. Allein die hohe Zahl an Projekten, die am aktuellen Wandel eines kollaborativeren Eigentumskonzepts arbeiten, ist so groß, dass wir trotz unseres mehrwöchigen Aufenthalts nur eine Auswahl davon kennenlernen konnten. Die Aktualität der von uns besuchten Orte und Initiativen zeigt sich daran, dass ein Großteil von ihnen erst in den vergangenen fünf Jahren entstanden sind. Die Mehrheit ist sogar erst zwei Jahre alt oder jünger. Auch die Berichterstattung in den Medien scheint sich zu wandeln: Über neue Formen der Nachhaltigkeit, des sozialen Unternehmertums und der gemeinschaftlichen Lebensweisen wird berichtet. So interessieren sich nicht nur alternative Medien und Weblogs für das Projekt Green Garage, sondern auch die New York Times und das Forbes-Magazins (Green 2012 b). Die Tragweite dieser kollaborativen Entwicklung ist momentan noch schwer einzuschätzen. Was allerdings bereits deutlich wird, ist ihre Bedeutung für einzelne Gebiete und Nachbarschaften innerhalb der Stadtgrenzen Detroits: Während die Stadt weiter schrumpft, gewinnen manche Gebiete zum ersten Mal seit langem wieder Einwohner hinzu, welche die neue Denkweise des Teilens und der Zusammenarbeit in die Praxis umsetzen. Diese Menschen schauen dem Niedergang der ›Motorless City‹ (Motorless 2012) der letzten Jahrzehnte nicht länger zu, sondern werden aktiv und begeistern immer mehr Nachahmer.

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Schluss

Risiken und Chancen Risiken einer kollaborativen Architektur Natürlich ist auch das System der kollaborativen Architektur nicht ohne Risiken. Es besteht die Gefahr, dass auch durch die kollaborativen Systeme neue Abhängigkeiten der Nutzer vom Eigentümer oder Anbieter geschaffen werden. Jeremy Rifkin beschreibt in seinem Buch ›Access‹ das Entstehen einer neuen Stufe des Kapitalismus, den er ›Kultureller Kapitalismus‹ (Rifkin 2007: 184) nennt. Darin werden alle Aspekte des menschlichen Seins kommerzialisiert (ebd. 152 f.). Zur Ware wird das laut Alvin Toffler dauerhafteste Produkt: Die menschliche Erfahrung (ebd. 193). Genau, wie die Industrie Ressourcen ausbeutet, wird laut Rifkin die kulturelle Industrie die Kultur ausbeuten (ebd. 202). Hier wird der Zugang zu kultureller Erfahrung verwertet (ebd. 15). Für diese neue Stufe des Kapitalismus ist es nicht mehr wichtig das Produkt zu kontrollieren, sondern den Konsumenten. (ebd. 141) Diese neue Art des Kapitalismus kann natürlich auch die kollaborative Architektur als neuen Markt entdecken. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten ›Common Interest Developements‹ (ebd. 141) wie beispielsweise die Stadt ›Celebration‹, die vom Walt Disney Konzern gegründet wurde (ebd. 157). Statt Wohnhäuser werden in diesen Gebieten Lebensstile verkauft. Der Bewohner ist nur Nutzer dieser Infrastruktur, der Investor bleibt Eigentümer. Zwar handelt es sich nicht unter den Gesichtspunkten der Architektur, aber unter dem Gesichtspunkt der Zugänglichkeit um eine Art kollaborative Architektur, da viele Einrichtungen gemeinsam genutzt werden. Allerdings bieten diese Systeme für den Nutzer kaum Mitsprachemöglichkeiten und Raum für Veränderungen. So sind Änderungen im Wohnraum nur schwer gegen den Willen des Investors durchzusetzen. Die Folge sind restriktive Systeme mit starker sozialer Kontrolle wie die Stadt ›Sun City‹ (siehe Granser (Hg.) et al. 2006) in der nur Rentner leben und junge Menschen sich nur für eine begrenzte Zeit aufhalten dürfen. Im Falle der Stadt Celebration funktioniert der Traum der perfekten 171


Risiken und Chancen

Stadt allerdings nicht: Familien ziehen weg und Bauplätze stehen leer. Die Art der ›gekauften Gemeinschaft‹ (Rifkin 2007: 166) und restriktiver Systeme findet gerade auf der Ebene des Einfamilienhauses und des Lebens in der Vorstadt statt, aber die Gefahr der Übernahme der Idee des kollaborativen Konsums und der Architektur für Profitinteressen besteht. Wenn immer mehr Menschen die Idee des persönlichen Eigentums aufgeben, wächst ihre Nachfrage nach Zugangsmöglichkeiten, die wiederum ausgenutzt werden kann. Ein weiteres Risiko der kollaborativen Systeme ist die mögliche Wahrnehmung als sozialistische Utopie und der damit einhergehenden Ablehnung. Natürlich werden die festen Formen des Eigentums infrage gestellt, allerdings bewegen sich kollaborative Systeme außerhalb der Begriffe ›Sozialismus‹ und ›Kapitalismus‹. Sie schaffen die Möglichkeit, mit ihnen Geld zu verdienen und das Ideal des gleichen Teilens zu leben. Es bleibt den Nutzern überlassen, an welcher Stelle sie sich positionieren. Der Traum vom endlosen Wachstum in der Sozialen Marktwirtschaft ist im heutigen Alltag noch tief eingegraben. Bis sich kollaborative Systeme als Alternative für weite Teile der Bevölkerung geschaffen haben, wird sicherlich noch Zeit vergehen. Fakt ist, dass kollaborative Systeme und damit auch die kollaborative Architektur deutlich an Bedeutung und Zuwachs gewinnen, was nicht überrascht, wenn man ihre innewohnenden Chancen betrachtet.

Chancen einer kollaborativen Architektur Durch die Aufgabe der Idee des privaten Eigentums begibt sich die Gesellschaft in die Gefahr einer neuerlichen Abhängigkeit (z. B. von Eigentümern und Anbietern kollaborativer Systeme), aus der sie sich in der Aufklärung durch das persönliche Eigentum befreit hat. Allerdings öffnen der ›kollaborative Konsum‹ und die ›kollaborative Architektur‹ Chancen für die Herausforderungen der 172


heutigen Welt. Architekten und Designer müssen sich dabei ihrer Bedeutung bewusst sein. 80 Prozent des Umwelteinfluss eines Produktes werden im Entwurfsstadium festgelegt (Botsman / Rogers 2010: 187), 80 Prozent aller Produkte sind Einwegprodukte und 99 Prozent aller Materialkomponenten sind nach 6 Wochen Müll (ebd. 195). Der größte Verbraucher von Primärenergie ist die Architektur. Dieses System des individuellen Wegwerfkonsums ist auf Dauer nicht zu halten (vgl. Jackson 2011: 72 / vgl. Pinzler 2011: 29 / vgl. Uchatius 2011: 23). Der bisherige Ansatz durch High-Tech und Low-Tech Maßnahmen, die Auswirkungen dieses Systems zu lindern, sind ein erster Schritt. Viel effektiver ist es, dieses System anders zu nutzen. Die kollaborative Architektur als Teil eines kollaborativen Konsums öffnet die Möglichkeit, durch Teilen weniger Produkte zu verbrauchen, eine größere Effizienz zu erreichen, weniger Ressourcen zu nutzen, weniger Müll zu produzieren und dabei mehr soziales Kapital zu schaffen (Botsman / Rogers 2010: 216). Kollaborative Systeme sind damit sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer.

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Lernen von Detroit Das System des endlosen Wachstums durch vermehrten Konsum stößt an seine Grenzen. Detroit, das durch dieses System reich wurde, ist ein Opfer dieser Entwicklung. Doch damit steht Detroit nicht allein da. Andere Industriestädte haben ähnlich Probleme und werden sich genau wie Detroit ihren Folgen stellen müssen. Auch sie werden schrumpfen, Kosten einsparen und alle Entwicklungen möglichst CO² -neutral umsetzen müssen. Ein möglicher Lösungsweg liegt im kollaborativen Konsum und der kollaborativen Architektur. Der Weg zu diesen Systemen ist ein Prozess und wird unsere bisherige Vorstellungen von Eigentum, Konsum und Architektur langsam verändern. Momentan scheinen diese Ideen noch Utopie zu sein, und doch werden sie langsam Teil unseres Alltags. Immer mehr Menschen entdecken die Vorteile des kollaborativen Konsums, wie der Carsharer Zipcar demonstriert. Für einen bestimmten Zeitraum können Autofahrer ihren Autoschlüssel abgeben und das Mobilitätsangebot von Zipcar testen. 61 Prozent sind danach so zufrieden, dass sie Zipcar-Mitglied bleiben wollen. Weitere Umbrüche sind spürbar, wie das Beispiel von Autoherstellern zeigt, die sich mit Carsharingkonzepten befassen und darin wie Bill Ford, Vorstandsvorsitzender von Ford, die Zukunft der Mobilität sehen: »Die Zukunft der Mobilität wird eine Mischung aus Dingen wie Zipcar, öffentlichem Verkehr und Autos als privates Eigentum sein.«56 Die großen Automobilkonzerne haben erkannt, dass die Zukunft nicht ausschließlich im individuellen, sondern auch im geteilten Konsumieren liegt. Der Weg vom Individuellen zum Gemeinschaftlichen wird auch von der 56

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engl. »The future of transportation will be a blend of things like Zipcar, public transportation, and private car ownership. Not only do I not fear that, but I think it's a great opportunity for us to participate in the changing nature of car ownership.« (Botsman / Rogers 2010: 116)


Architektur beschritten werden. Ebenso wird auch Detroit neue attraktive Antworten finden. Die Tendenz von Familien, die in die Vorstadt ziehen, bleibt in Detroit bestehen und konnte bis jetzt, trotz erster kollaborativer Initiativen, noch nicht aufgehalten werden. Allerdings trafen wir während unserer Recherche in Detroit auf junge Menschen, die genau aus dem Grund des gemeinschaftlichen Lebens und Erlebens aus der Vorstadt nach Detroit gezogen sind. Diese Pioniere bringen ihr Potenzial mit, um an der Zukunft eines gemeinsamen Detroits mitzuarbeiten. Ob sich Detroit tatsächlich neu erfindet und damit Vorreiter einer langfristigen Entwicklung sein wird, bleibt abzuwarten. Momentan ist die Stadt ein Labor, in dem ein neues Verständnis von Eigentum und Architektur erforscht wird. Dies schafft eine Grundlage im Denken des Zugangs für einen kollaborativen Konsum, der ökonomischer, ökologischer und sozialer ist. Detroit hat die Chance, zum sozialen Beweis zu werden, dass kollaborativer Konsum und kollaborative Architektur funktionieren. Hier entwickelte Lösungswege könnten anderen Städten dabei helfen, ihren Fall und Zerfall zu vermeiden.

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Filme

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Bildnachweis

×1 Glücksdiagramm nach Layard, Richard: URL: http:// www.oekosystem-erde.de/html/glueck.html

× 16 × 42 × 43 × 45 × 46 × 47 × 48 × 51 × 53 × 55 × 56 × 57 × 58 × 59 × 61 × 62 × 63 × 64 × 68 Hörburger, Constantin

× 17 × 44 × 49 × 50 × 54 × 60 × 65 × 66 × 67

×2 URL: http://middleofthepacific.files.wordpress. com/2010/12/pacific-garbage-patch.jpg

×3 Google Maps URL: http://www.maps.google.de

Rauscher, Jakob

× 18 The Motorless City Blog. URL: http://www.themotorlesscity.com/wp-content/gallery/detroit-blackand-white/2049471873_2cec7dd802_o.jpg

× 20

× 4 × 7 × 19 Wiki Commons Media. URL: http://upload.wikimedia.org

(McGraw / Gavrilovich 2006: 466)

× 21 × 22 Diagramme nach (NYC 2012 b)

×5 Tati, Jacques: »Mon Oncle« (1958) Filmstandbild

× 23

× 6 × 10 × 12 × 27 × 32

× 25

Wayne State University, Detroit: Walter P. Reuther Library, Virtual Motor City Archiv: URL:http://dlxs.lib.wayne.edu

Forster Studio, Detroit

(Gruen 1973: 28)

× 26 Diagramm nach (Oswalt 2005: 59)

×8 Library of Congress: URL: http://www.loc.gov/maps

× 9 × 13 Detroit Public Library, Burton Historical Collection

× 28 Columbia University, New York. Media Center for Art History. URL: http://www.mcah.columbia.edu

× 29 Life Magazine, 1948. URL: http://seedbankdesign. com/blog/wp-content/uploads/2011/02/levittown.jpg

× 11 Detroit Public Library, National Automotive Historic Collection

× 14 Bettmann / Corbis, New York Times. URL: http:// www.nytimes.com/slideshow/2007/10/12/nyregion/20071013_LEVITTOWN_SLIDESHOW_3.html

× 15 × 24 Albert Kahn Associates. Hedrich-Blessing The Motorless City Blog. URL: http://www.themotorlesscity.com/wp-content/gallery/detroit-blackand-white/2049471873_2cec7dd802_o.jpg.: 18

× 30 The University of Texas, Austin. Perry-Castañeda Library Map Collection. URL: http://www.lib.utexas.edu

× 31 Flickr Images: http://www.flickr.com/photos/63322733@N07/5774082905/sizes/l/in/ photostream

× 33 (Plunz 1995: 2012 f.)

× 34 Bentham, Jeremy. Panopticon. URL: http://katherinepedia.wordpress.com/2012/04/19/how-to-use-thepanopticon-theory-to-your-advantage/

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× 35 House Arrest Services Inc. URL: http://www.housearrest.com/serv_scram.html

× 36 http://www.sv.wikipedia.org/wiki/Fil: Carpet_pattern.jpg

× 37 URL: http://gourmet.walkerplus.com/kodawari/ ka12_a2_p1.html

× 38 Wiki Commons Media. Bundesarchiv. Bild 183F0608-0029-001. Lübben, neuesFreibad. URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-F0608-0029-001,_L%C3%BCbben,_ neues_Freibad.jpg

× 39 Wiki Commons Media. Bundesarchiv. B 145 Bild-F088941-0034, Bonn, Flohmarkt in der Rheinaue. URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Bundesarchiv_B_145_Bild-F088941-0034,_ Bonn,_Flohmarkt_in_der_Rheinaue.jpg

× 40 Le Corbusier. Maison-dom-ino. URL: https://urbaninformality.expressions.syr.edu/?tag=domino

× 41 Bel Associates. Smart Price Houses, IBA Hamburg. 2013. URL: http://www.bel.cx/

× 52 Schmid, Christina

× × × Bildblöcke zwischen den Kapiteln: Constantin Hörburger Jakob Rauscher Christina Schmid

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Impressum

Dank

Texte: Constantin Hörburger Jakob Rauscher

Unser Dank gilt Prof. Andreas Quednau und Kai Beck für die Betreuung der Master Thesis.

Buchgestaltung und Bildkonzept: Christina Schmid © 2012

Rückblickend auf unsere spannende und inspirierende Zeit in den USA danken wir den zahlreichen Wegbegleitern und neuen Freunden aus Detroit. Dank an … … den Filmemacher Dieter Marcello für erste filmische Einblicke und wichtige Kontakte nach Detroit im Vorfeld. … unseren Gastgeber Paul Emery für das spontane Teilen seines Hauses mit den vorab unbekannten ›German Folks‹. … den Künstler Lowell Boileau und seinen Sohn und Fotografen Nicolas für die Tour durch die Ruinen der Packard Plant, den Parkplatz im Michigan Theater und den künstlerischen Blick auf Detroit. … den Anwalt George Corsetti für den Einblick in die Nachbarschaft seiner Kindheit. … die Architekturstudentin Hannah Hunt Moeller für spannende Stadttouren, Gespräche und die Gastfreundschaft – auch in Colorado. … den Architekten Jim Lemire für Planungseindrücke zur Bedford Highschool. … die Journalistin Lu Yen Roloff für das Teilen ihrer Einblicke ins Thema der ›Social Entrepreneurs‹. Ein besonderer Dank auch an die diversen Initiatoren der von uns besuchten Projekte: Tom Goddeeris, Jon Koller, Riet Schumack, Chad Dickinson, James Miller, Jerry Paffendorf, Amy Nicole Swift, Tom & Peggy Brennan sowie Bill & Billie Hickey. Danken möchten wir auch den Pionieren von ›Le Garage‹ Austin und Justin, den Couchsurfern und Abendprogrammgestaltern Ashley, Leah und Justine sowie den zahlreichen Freunden der Nachbarschaft: Jerry, Michel, Mike, Kristin, Rick und ›Big Jim‹. Ein ganz besonderer Dank gilt Christina Schmid für ihren fortwährenden Einsatz in Detroit und Stuttgart – beim Reisen, Planen, Kochen, Korrekturlesen und der grafischen Umsetzung dieses Buches. Für grafische Beratung, Papier und Schneidemaschine gilt unser Dank Demain Bern. Für das Lektorat ein großes Dankeschön an Christian Hörburger. Familie Hörburger und Familie Rauscher: Danke für alles!

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