CLV-Schulblatt Ausgabe Juni 2022

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GASTKOMMENTAR

Teil 1:

Gegen den Strich gebürstet erreichen und Nachhaltigkeit zu erzielen. Früher hätte man vielleicht gesagt: Man soll etwas so lange üben, bis man es gut weiß des Schulblatts möchte ich eine kleine Serie starten, und kann und lange behält. Irgendwie kommt mir das vor wie bei in der ich einige bildungspolitische Dogmata oder des Kaisers neue Kleider oder als alter Wein in neuen Schläuchen: Man verpackt manches in schöne Worte, entwickelt ein neues gar Mythen kritisch hinterfrage. pädagogisch-didaktisches Konzept, „quält“ Lehrpersonen mit unendlichen langen Kompetenz-Checklisten und 4.0-Skalen, lässt kompetenzorientierte Jahresplanungen und Maturafragen ausir ist völlig klar, dass man zu den verschiedenen Themen arbeiten, standardisierte Tests und (und parallelisierten) Schulunterschiedlicher Meinung sein kann und die Wahrheit arbeiten erstellen und hat vermeintlich den heiligen Gral des oft in der Mitte liegt. Jedoch finde ich es wichtig, „auch dort Lehrens, Lernens und Prüfens gefunden. Ob jedoch der (Mehr-) hinzugehen, wo es wehtut“ und offen gewisse Dinge ausspreAufwand (und der Papierverbrauch!) mit dem erwarteten Erfolg chen, die mit Sicherheit auch auf Widerstand stoßen werden. korrelieren, wäre einmal eine wissenschaftliche Untersuchung Jedoch finde ich, dass Weiterentwicklung erst durch einen konwert – wenn man darf. struktiv-kritischen Diskurs möglich wird und Widerspruch desDoch in der Wissenschaft sind sich längst nicht alle einig: Oft halb nicht nur erlaubt sein darf, sondern geradezu notwendig wird beim Kompetenzbegriff die – trotz anderslautenden Beteuist. Gestatten Sie mir also, vom bilerungen – fehlende theoretische und dungswissenschaftlichen Common empirische Fundierung konstatiert Sense bzw. Mainstream abweichenund kritisiert, dass es höchstens ein de Meinungen, möglicherweise auch Konstrukt ist und dass Kompetenz„inconvenient opinions“, zu äußern. modelle und -raster einem (holistiManche werden das vielleicht auch schen) Bildungsbegriff nicht gerecht als Provokation empfinden – und werden, sondern gar den Blick dardas ist durchaus auch meine Absicht, auf verstellen. Denn selbst einfaches allerdings im besten Sinne. Es würde Verhalten ist meist komplexer, als mich freuen, wenn wir über meine es sich modellieren oder gar mesPositionen in einen Diskurs treten sen lässt. Und folgt man der Logik könnten und freue mich jetzt schon von„Kompetenzfans“ weiter, dann auf Rückmeldungen und Kritik unter ist es von inhaltsvollen Lehrplänen joerg.spenger@ph-noe.ac.at. Beginzu schlüsselkompetenzorientierten nen wir diesmal mit dem… Leerplänen nicht sehr weit. Irgendwie schwingt bei der KompetenzeuZauberwort „Kompetenzphorie aber auch ein wenig mit, dass orientierung“ alles, was vorher war, schlecht war. Niemand kommt heute um diesen Jemand, der nicht oder nicht gern Begriff herum. Es scheint so, als ob kompetenzorientiert unterrichtet die Kompetenzorientierung plötzund prüft, wird dann schnell in ein HS-Prof. Mag. Dr. Jörg Spenger, BEd lich ein neues pädagogisch-didakrückständiges Eck gestellt. Aber ist Lehre und Forschung Bildungswissenschaft Pädagogische Hochschule NÖ in Baden tisches Zeitalter eingeläutet hätte. das wirklich gerechtfertigt? Was ist Sie gilt in manchen Kreisen wohl eigentlich das Ziel von Unterricht? auch als „Heilsversprechen“ und Unter anderem wohl, dass Schüledarf ja nicht hinterfragt werden. Alles andere wäre nahezu ein rinnen und Schüler etwas lernen, etwas wissen und können und Sakrileg. Und sieht man sich verschiedene Kompetenzdefinitidass sie Lernfreude und -bereitschaft entwickeln. onen an, wie etwa die klassische von Weinert, dann klingt das Deshalb zum Schluss mein Kernargument: Wie kann es eigentalles auch sehr schön: Es geht um erlernbare, kognitive Fähiglich sein, dass aus meinen Schülerinnen und Schülern in der keiten und Fertigkeiten und um motivationale, volitionale und Hauptschule auch etwas geworden ist, dass sie Englisch und Physoziale Bereitschaften und Fähigkeiten, um Problemlösungen sik durchaus gut beherrscht haben, vielleicht auch noch beherrin variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll schen, obwohl ich von Kompetenzorientierung und Standardinutzen zu können. sierung nichts wusste und als „rückwertiges Lerndesign“ noch Nun, früher hätte man vielleicht gesagt, dass die Schülerinnen Lernzielorientierung hieß? Kann es sein, dass die Bildungspolitik und Schüler Wissen und Können haben sollen, dass Lernmotivamitsamt der Schulbuchverlage schon seit Jahren in der Kompetion, -fähigkeit und -willigkeit hergestellt werden und man die tenzfalle gelandet ist, ohne dass es wirklich belastbare empiriKooperation und Kreativität fördern soll. Kompetenz wird oft sche Beweise für die Wirksamkeit dieses Ansatzes gibt? Wenn dem auch als die Fähigkeit bezeichnet, eine bestimmte Menge von so ist, dann wäre das wohl nicht mehr als eine Glaubensfrage und ■ Auf­gaben lösen zu können, einen bestimmten Kompetenzgrad zu darf selbstverständlich hinterfragt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Ausgabe

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JUNI 2022 | DAS SCHULBLATT


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