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Rennes verführt uns

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Kultur & Design

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verführt uns

Die Hauptstadt der Bretagne lockt mit dem wohl schönsten Stadtpark und einem der größten Märkte ganz Frankreichs. Die Auswahl an Crêpes ist enorm – und überall liegt Liebe in der Luft.

 TEXT UND FOTOGRAFIE JEROEN JANSEN

Ein Spaziergang durch die Hauptstadt der Bretagne fühlt sich an wie eine kleine Zeitreise. Dafür genügt ein Blick auf das alte Kloster Couvent des Jacobins neben der Basilique Notre-Dame-de-Bonne-Nouvelle. Es wurde erst kürzlich zu einem Kongresszentrum umgebaut. Unter und hinter dem Kloster sind Theater und Auditorien entstanden. Ein gläsernes Dach verbindet die modernen Nebengebäude mit dem hinteren

Klostergang, während ein futuristischer Turm die

Kapelle aus dem 14. Jahrhundert überragt.

Vorige Seite links: Die Terrasse von Le Petit Bar. Rechts: ein sonntäglicher Spaziergang durch den Parc Thabor. Unten: der klassische Anblick von Rennes mit seinen eleganten Villen..

Plätze und noch mehr Plätze

Das Kloster und sein angegliedertes Kongresszentrum dienen als Symbol für den faszinierenden Stilmix in Rennes. Im Stadtzentrum dominieren die mittelalterlichen Fachwerkhäuser. Drum herum sind die eleganten Paläste und Herrenhäuser aus dem 18. Jahrhundert gruppiert. 1720 wurde ein Teil der Innenstadt von einem Feuer zerstört. Erst durch den Wiederaufbau erhielt Rennes sein königliches Antlitz, vor allem rund um die Place de la Mairie, Place de la République und die Place du Parlement de Bretagne. Dieser Teil von Rennes erinnert viele Besucher dank der geraden Straßen und des symmetrischen Spiels gerader Linien an Paris. Hier locken luxuriöse Boutiquen, das berühmte Kaufhaus Galeries Lafayette sowie die Oper. Wer den Platz in südlicher Richtung vorbei an dem unvermeidlichen Karussell überquert, gelangt zügig zu einem weiteren Platz, der Place de la République. An der gegenüberliegenden Seite befindet sich ein langgezogener Palast. Ebendieser Palais du Commerce wird sich in den kommenden Jahren in einen auf Nachhaltigkeit spezialisierten Komplex mit Büros, Geschäften und Freizeitmöglichkeiten verwandeln. Der Entwurf sieht dieselben faszinierenden Kontraste wie bei dem Kloster vor. Das niederländische Architekturbüro MVRDV, das für die Rotterdamer Markthalle bekannt ist, zeichnet für die Erweiterung verantwortlich, die unter anderem durch eine gläserne Passage und eine zentrale Wendeltreppe auf dem Platz auffällt. Rennes pflegt sein Erbe, ist aber zugleich offen für Neuerungen. Stetige Modernisierung hält die Stadt jung. Dasselbe gilt auch für die rund 60.000 Studenten aus allen Teilen der Welt. So hebt sich die Centre Ville von Rennes merklich von den zuweilen etwas angestaubten Innenstädten der französischen Provinz ab. Hugo zufolge, der als Kellner in der Crêperie Paysanne arbeitet, ist Rennes „klein, aber très sympa“. Die Stadt fällt geradeso aus den Top 10 aller französischer Städte und besitzt in der Tat ein recht kompaktes Zentrum. Dafür dauert die Suche nach der (halb)vollen Terrasse eines Lokals nie lange. Sowohl im Fachwerkviertel wie auch in den gediegenen Ecken erfreut Rennes mit auffällig vielen Plätzen und Straßencafés. Die Crêperie Paysanne liegt direkt an der Place Sainte-Anne

gegenüber der berühmten Kathedrale. Hugo ist Fan des örtlichen Fußballvereins, der 2018 „beinahe den Europapokal gewonnen hat“. In Wahrheit freilich wurde Rennes im Achtelfinale vom übermächtigen Arsenal ausgeschaltet. Aber auch das ist eine Leistung von Format. So oder so ist Hugo stolz auf seine Stadt, die ihm zufolge liberal, ein bisschen alternativ und kein bisschen langweilig ist. „Dafür sorgen die Studenten– und die Verwaltung, die eine hohe Lebensqualität sicherstellt.“

Crêpe mit Hummer

Nicht umsonst steht Rennes weit oben auf der Liste der Städte, in denen die Bewohner zufrieden mit ihrer Wohnsituation und Arbeit sind. Schon nach einem Tag in der bretonischen Hauptstadt verstehen wir warum: Das kulturelle Erbe ist hier kein Stillleben für Touristen, vielmehr sorgen Künstler und Unternehmer für pralles Leben. Wo es Leerstand gibt, ziehen die historischen Giebel mit ihren zum Teil bizarren Abbildungen die Aufmerksamkeit auf sich. Ansonsten versteckt sich eigentlich immer ein Café, Restaurant oder Geschäft hinter dem farbigen Gebälk der Fachwerkhäuser. In über 50 Farbschattierungen von Rot bis Braun liegen die schönsten von ihnen kreuz und quer über die Place du Champs-Jacquet verstreut. Auch auf der Rue Saint-Michel, der Rue Saint-Sauveur sowie der Place des Liches ziehen die üppig ornamentierten und vielfach schiefen Häuser viele Blicke auf sich. Im dem ein oder anderen befindet sich heute eine Crêperie. Die Crêpe ist eine bretonische Spezialität, die früher nur mit Butter, Zucker, Schokolade oder Marmelade gegessen wurde. Heute hingegen gibt es die verrücktesten Kompositionen. Wir haben unter anderem die Wahl aus vier Käsesorten, Lachs, Ei, Speck, Würstchen, Mozzarella mit Pesto sowie bretonischem Hummer. Hinzu kommen dunkle Galettes: Fladen aus Buchweizenmehl anstelle von Weizen und weich statt hart, die sich auch zum Dippen eignen, zum Beispiel in Guacemole oder pikanter Soße. In der Crêperie Resto La Fabrique, die in der lebendigen Rue Saint-Georges liegt, kommen von der bretonischen Andouille-Wurst bis zu Jakobsmuscheln auch andere Spezialitäten auf den Teller. Die Brasserie verfügt über einen von einer Mauer umgebenen Garten, den man hier nicht erwarten würde, wenn man La Fabrique zum ersten Mal betritt. Das passiert gar nicht so selten in dieser Stadt, wo sich hinter den historischen Bauten oft ein Garten oder ein Innenhof verbirgt, in dem es gesellig zugeht. Für den ultimativen Garten von Rennes allerdings gilt es den Osten aufzusuchen: Nur zehn Minuten vom Zentrum entfernbt liegt >

LIBERAL, EIN WENIG ALTERNATIV UND ALLES ANDERE ALS LANGWEILIG

Im Uhrzeigersinn: das junge Rennes: provokant und energiegeladen; Fachwerkhäuser in der Rue Saint-Michel; verliebtes Paar im Parc Thabor; junge Zeichner auf der Place de la Mairie.

Im Uhrzeigersinn: knusprige Crêpes im Resto de la Fabrique; das vollständig umgebaute Kloster Couvent des Jacobines; Blumenpracht im Parc Thabor und der Garten von La Fabrique. Rechts: Die Terrasse der Crêperie Paysanne.

NICHT NUR EIN STILLLEBEN FÜR TOURISTEN; DIE STADT LEBT

Le Thabor, den viele für den schönsten Stadtpark Frankreichs halten. In unmittelbarer Nähe beansprucht das im Jugendstil errichtete Piscine Saint-Georges den Ehrentitel des schönsten Hallenbades. Der Name des Parks bezieht sich auf den Heiligen Berg Tabor bei Tiberias in Israel. Er gehörte einst zu einem Benediktinerkloster. Seinerzeit durften nur Männer den Park betreten. Nach der Französischen Revolution und der Vertreibung des Bischofs ging der Park in das Eigentum der Stadt über. Seit dieser erfreulichen Wendung ist jeder hier willkommen und der Park wurde mit Landschaftsgarten, Orangerie, Wasserfällen, Botanischem Garten, Rosengarten, Voliere, Freilufttheater und Café aufgewertet. Es ist schwierig, sich nicht in diesen 10 Hektar großen Prachtpark zu verlieben. Überhaupt spielt die Liebe eine wichtige Rolle in Le Thabor: Überall sind Studenten, die auf dem Gras liegend oder auf Bänken sitzend aneinander herumnesteln. Auch eine Art, sich von einer langen Nacht auf der Pirsch zu erholen.

Training ohne Trikot

Wir laufen zurück ins Zentrum, wo wir auf der Place des Lices die letzten Minuten des Marktes mitnehmen. In den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Markthallen von Martenot, zwei kolossalen Konstruktionen aus Gusseisen und Backstein, ist Platz für alle erdenklichen Leckereien: Wurst, Wein, Cidre und feiner Aufschnitt. Samstags ist auch der Platz selbst mit Ständen und Tischen voller regionaler Produkte gefüllt. So wird der Marché des Lices zu einem der größten ganz Frankreichs, der Tausende Besucher anzieht. Auf der Mail François Mitterand an der gegenüberliegenden Seite des Flusses La Vilaine, geben sich derweil die Schnäppchenjäger die Klinke in die Hand. An jedem dritten Sonntag des Monats findet hier ein großer Antikmarkt statt. Echte Schnäppchen sind rar, denn an den meisten Bildern hängt ein zünftiges Preisschild. Aber die Atmosphäre macht einiges gut – und wir treiben noch ein paar alte Schallplatten auf. Ohne Kratzer, wie uns der Eigentümer versichert. Der Mitterand-Boulevard wurde mit einem angenehmen Mittelstreifen zum Flanieren und Abhängen angelegt. Ein Stück weiter an den Fitnessgeräten zeigt die Jugend dem Rest der Welt ihre Muskeln. Ein Training ohne Trikot ist hier auch am Ende des Spätsommers noch möglich. Das gilt natürlich auch für ein Bierchen auf der Terrasse von Les Grands Gamins, wo wir auf die Rennais trinken, die ihre alte Stadt so angenehm jung und energiegeladen halten. >

Tipps & Adressen

AKTIVITÄTEN ☛ Bei einem Stadturlaub mag ein Schwimmbadbesuch nicht oberste Priorität haben, aber für das Piscine Saint-Georges lohnt eine Ausnahme – und sei es nur wegen des Interieurs dieses Art-déco-Bades von 1925. Die Umkleidekabinen sind um das Bad unter einer Galerie gruppiert. Eingerahmt ist das Bad von kleinen Mosaiksteinen aus dem Atelier der Familie Odorico aus Italien. Auch der gelbe Giebel mit Glasboden und Keramik kann sich sehen lassen. 2, rue Gambetta, www.guide-piscine.fr

☛ Die Sammlung des Musée

des Beaux-Arts de Rennes

umfasst Exponate aus allen Epochen seit der Antike. Dazu gehören Werke von Picasso, Rembrandt, Boticelli, Da Vinci, Rubens und Gauguin. Vor allem ist das Haus bekannt für seine ägyptischen Antiquitäten und seine Gemälde aus dem 17. u. 18. Jahrhundert. 20, quai Emile Zola, https://mba.rennes.fr/

☛ Der renovierte Teil der modernisierten Chapelle SaintYves zeigt eine Dauerausstellung über die Kunstschätze der bretonischen Hauptstadt. 11, rue Saint-Yves, www.tourisme-rennes.com

☛ Rennes zählt viele kleine Boutiquen und Concept Stores, wo lokale Designer Schmuck, Services, Accessoires, Kleidung und Kunst anbieten. Vom Kaleido Store (13, rue SaintGeorges) über Mint (12, place du Jamp-Chaquet) bis zu Made in Frogs (12, rue du Chapitre) ergibt dies eine angenehme Mischung aus Vintage und überraschenden Neuheiten. www.lafabrikrennaise.fr

☛ Wer gerne einkaufen geht, darf sich die Galeries Lafayette gegenüber des Palais du Commerce nicht entgehen lassen: Luxusmarken und der grandiose Marché mit Delikatessen und lokalen Produkten. rue de Rohan, www.galerieslafayette.com

ESSEN UND TRINKEN ☛ Crêperie Resto

La Fabrique

Eine der besten Crêperien der Stadt, wo auch andere Gerichte serviert werden. Drinnen warme Atmosphäre, draußen eine Terrasse mit tollem Ausblick auf die holzgetäfelten Häuser. 4, rue Saint-Georges, www.lafabriquederennes.com

☛ Restaurant Le Carré Feine bretonische Küche von Krebsfleischtartar bis zu Kalbsmedaillons in einem schönen Innenhof. 34, place des Lices, www.lecarrerennes.nl

☛ Café Libertine Perfekter Ort für Kaffee mit hausgemachtem Kuchen, Brunch, Lunch, Milchshakes und Salaten. Jung und frisch. 10, rue Comté de Lanjuinais

☛ Was haben die Bretagne und Großbritannien miteinander gemein? „Schlechtes Wetter und Snacks zur Teezeit“, haben wir irgendwo gelesen. Während sich das erste sehr in Grenzen hält, können wir das zweite bestätigen. Im l’Enchanté kommt der High Tea mit Bio-Tee und hausgemachter Patisserie, im Bistrot à Tartines gibt es Tee mit Törtchen und Tartines (Toasts und Sandwiches). L’Enchanté, 2, rue Saint-Melaine, www.lenchante.fr Le Bistrot à Tartines, 2, rue des Fosses.

ÜBERNACHTEN ☛ Hôtel de Nemours Boutiquehotel nahe dem historischen Zentrum mit 41 Zimmern und Suiten sowie neun Appartements. Alle Zimmer sind in beruhigenden Sandtönen gehalten. 5, rue de Nemours, www.hotelnemours.com

☛ Le Magic Hall Dieses erfrischende Boutiquehotel befindet sich in einem ehemaligen Kino bei der Kathedrale SaintPierre. Die Inneneinrichtung ist von Film, Theater und Musik inspiriert. Wer mag, kann gegen eine kleine Gebühr an einem Schlagzeugkurs teilnehmen. Das Frühstücksbüffet ist „Bio“, das Abendessen richtet sich nach dem Marktangebot, Benutzung der Kitchenette möglich. 17, rue de la Quintaine, www.lemagichall.com

ANREISE Rennes liegt auf 3,5 Autostunden von Paris. Ab Köln 9 Std (840 km). Nonstopflüge ab Frankfurt, München, Berlin, München und Stuttgart (etwa 1,5 Std.). Per Zug mit dem TGV ab Paris-Massy etwa 2 Std.

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