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Reise
from Frankreich Magazin
Der britische Erfolgsautor Martin Walker hat einen Kriminalkommissar geschaffen, der als Lebenskünstler mindestens so erfolgreich ist, wie als Polizist. Ganz nebenbei hat er damit dem ein wenig in Vergessenheit geratenen Périgord zu einer Renaissance verholfen. Ein Besuch in Le Bugue.
TEXT ERIC ASIMOV , THE NEW YORK TIMES FOTOS REBECCA MARSHALL
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Brunos Périgord
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”Das Essen, davon war Bruno überzeugt, war die Geheimwaffe des Dorfpolizisten. Je mehr Leute kamen, um an seinem Tisch zu essen, desto mehr hörte und lernte er.“
(aus ”Connaisseur“ von Martin Walker)
Geschichten aus dem wahren Leben: Pierrot Simonet (r.) ist das lebende Vorbild für Kommissar Bruno. Auch er weiß die Freuden des Lebens zu schätzen. A ls Polizeichef des verschlafenen fiktiven Städtchen St.-Denis hat Bruno Courrèges Mörder und Brandstifter im Périgord gejagt. Hier im Südwesten Frankreichs hatte er auch schon mit Trüffelbetrügern, Vandalen archäologischer Stätten, Dealern und Terroristen zu tun. Dennoch waren in den bislang 13 Romanen des britischen Journalisten Martin Walker weniger die konventionellen Übeltäter die Bösewichte, als vielmehr die hochmütigen Bürokraten, die den jahrhundertealten Lebensstil bedrohen, der diese Ecke Frankreichs zu einem der angenehmeren und anregenderen Orte auf Erden gemacht hat. Angesichts der hier herrschenden Prioritäten ist es wenig erstaunlich, dass sogar der Tennisklub von St.-Denis mit einer gut eingerichteten Küche ausgestattet ist, denn „jedwede Form gesellschaftlicher Aktivität ist hier ohne Essen und Wein“ undenkbar. Viele Grabenkämpfe zwischen lokaler Tradition und der Globalisierung spielen sich auf gastronomischer Ebene ab. Wie bei Andrea Camilleris Montalbano-Romanen, die in einer sizilianischen Hafenstadt spielen, sind auch Walkers Bücher reich an Atmosphäre und Persönlichkeiten, mit Charakteren, die eng mit der Geschichte und den damit einhergehenden Erinnerungen verbunden sind. Kommissar Bruno baut eigenes Gemüse an und hält Hühner. Er jagt nach schwarzen Trüffeln und kleinen Vögeln. Und er kocht ausgezeichnet, vorzugsweise rustikale Gerichte mit einer aristokratischen Note, wie Terrinen, Fischsuppe, Kalbsragout und geröstetes Hühnchen. In seiner Küche hängt ein Schinken, und wiewohl er einen guten Wein zu schätzen weiß, ist er meist mit den Tropfen aus der Region zufrieden, die der befreundete Weinhändler Hubert aus dem Tank anbietet. Das erste Buch der Serie, „Bruno, Chef de Police“ erschien 2007. Vorbild für die Hauptfigur ist im echten Leben Walkers Freund Pierrot Simonet, der örtliche Polizeichef, der es ebenso wie Bruno hasst, eine Pistole zu tragen. Er diskutiert lieber mit Gesetzesbrechern, als diese zu verhaften, und er bringt Kindern Tennis und Rugby bei. Der jüngste Bruno-Roman „Russisches Roulette“ erscheint am 28. April. Brunos Kosmos fasziniert, weil im Périgord der Genuss von Entenfett als Lebensstil durchgeht, während die Region in Bezug auf Wein als tiefe Provinz gilt, obwohl sie nur eine Stunde von Bordeaux entfernt liegt. Seit 70.000 Jahren ist das Périgord kontinuierlich besiedelt. Erst haben Neandertaler in den Wäldern gejagt, ehe spätere Evolutionsstufen die Meisterwerke in den Höhlen von Lascaux schufen. Obwohl die Region eine jahrhundertealte Weintradition pflegt, sind die Weine aus Bergerac in der weiten Welt nahezu unbekannt. Das hält die fiktiven Einwohner von St.-Denis nicht davon ab, ihre >
Das Fleisch von Enten und Gänsen gehört ebenso zum Lebensstil des Périgord, wie die britische Vergangenheit. Rechts: Martin Walker verlässt eine romanische Kirche, die dem Erzbischof von Canterbury geweiht ist.
lokalen Weine und Leckereien wertzuschätzen, die sie ohne Überheblichkeit, aber mit der intuitiven Selbstverständlichkeit weitreichender Erfahrung konsumieren. Wenn Martin Walker (74) nicht in London oder Washington ist, lebt er gemeinsam mit seiner Frau Julia Watson in der Kleinstadt Le Bugue, die sich an den Fluss Vézère schmiegt und als Vorlage für St.-Denis dient. Fast drei Jahrzehnte hat Walker für die Zeitung The Guardian als Büroleiter in Moskau und Washington gearbeitet. Während sie Mitte der 80er Jahre in Moskau lebten, hatten die beiden diesen Winkel Frankreichs entdeckt. „Gute Freunde von uns waren hier hergezogen, und wir besuchten sie jedes Jahr“, erinnert er sich. „Vor allem als wir in Moskau wohnten, war das tolle Essen des Périgord eine Wonne.“ 1998 schließlich hat das Paar sein eigenes Domizil gekauft, einen alten Bauernhof an einem ruhigen Feldweg mit Schuppen und Taubenschlag. Hier haben sich die Neuankömmlinge schnell an den Rhythmus und die Aromen des Périgord gewöhnt. Eine Region, die trotz ihrer reichen Gaumenfreuden aus sozio-ökonomischer Sicht zu den Ärmsten des Landes zählt. „Doch die Lebensqualität ist hier am höchsten“, sagt Walker bei einem abendlichen Aperitif, den er mit einer groben Pastete und Brot in seinem Garten serviert.
Reger Tauschhandel
„Dies ist das gastronomische Herz Frankreichs. Die Produkte werden rege unter den Leuten ausgetauscht, das ist eine schöne Art des Lebens. Auch fördert der Tauschhandel den Zusammenhalt.“ Um aktiv daran teilzuhaben, haben Walker und Watson eine Potagerie angelegt, einen Garten voller Gemüse und Kräuter, der essenziell ist für das französische Landleben. Auch halten sie ein paar Hennen, die von einem Hahn namens Sarkozy
beaufsichtigt werden. Wie es sich für einen Gockel gehört, kann Sarkozy laut und aufbrausend sein. Doch seine Anwesenheit ist auch in anderer Hinsicht ein Problem. Wegen ihm darf das Paar nämlich keine Eier auf dem Markt von Le Bugue anbieten, der 2019 den 700. Jahrestag seines Bestehens gefeiert hat. Die Bestimmungen der Europäischen Union sehen vor, dass Hähne nicht mit Eier legenden Hühnern zusammenleben dürfen. Also bleibt dem Paar nichts anderes, als selbst an der Tauschwirtschaft teilzunehmen. Die Regeln der EU sind ein leidiges Thema für die Bewohner der Region, die neue Bestimmungen, egal wie wohlgemeint diese auch sind, als Einmischung in einen bewährten Lebensstil empfinden. Das Schlachten von Schweinen, die Herstellung von Wurst, die Käseproduktion und die Art des Transportes, der lange auf dem Gepäckträger eines Fahrrads stattfand, gehören zu den Traditionen, die durch Regeln verändert wurden, die der Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung dienen sollen. „Als wir unser Haus vor über 20 Jahren gekauft haben, war die Landwirtschaft noch die Haupteinnahmequelle“, sagt Walker. „Jetzt ist es der Tourismus.“ Dabei hat es die Briten schon immer in diesen Teil Frankreichs gezogen, der sogar unter ihrer Herrschaft stand, ehe sie nach dem Hundertjährigen Krieg im 15. Jahrhundert vertrieben wurden. Der internationale Erfolg seiner Bruno-Reihe hat sicherlich einen Beitrag zur Beliebt-
Das Château de Tiregand in Bergerac hat in den 800 Jahren seiner Geschichte einiges mitgemacht. Der Besitzer ist ein Nachfahre von Antoine de Saint-Exupéry
heit des Périgord als Reiseziel geleistet. Soeben noch haben Walker und Watson eine Gruppe Bustouristen aus Florida empfangen, die sehen wollten, wo genau Bruno in „Femme Fatale“ eine Leiche aus dem Wasser gezogen hat, wo die Sägemühle aus „Schwarze Diamanten“ steht und wo er seine Croissants kauft (an jedem Morgen in jedem Buch). Die Bücher laufen in Deutschland besonders gut. So ist es kein Wunder, dass häufiger eine Schar von Bruno-Fans durch Le Bugue und die Nachbardörfer pilgert. „Ohne Bruno ist das Périgord nicht das Périgord“, sagt Raymond Bounichou, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier und Gendarm, der bei Walker um die Ecke wohnt. Doch der Tourismus hat seinen Preis: Mittlerweile konkurrieren drei Supermärkte, in denen hauptsächlich Besucher einkaufen, mit dem örtlichen Marché, der dienstags und samstags stattfindet. Auch gibt es fünf Bäckereien in Le Bugue, die alle ihre Stammkundschaft haben. Doch die Touristen bevorzugen laut Walker die gruseligen Sandwiches in Plastikdreiecken. „Jedes Mal, wenn ich so etwas sehe, zieht sich meine Seele ein Stück zusammen“, so Walker. So sehr er das Essen und den Wein auch zu schätzen weiß, ändert dies nichts daran, dass Walker im Herzen Historiker und Geschichtenerzähler ist, der sich auch aufgrund der reichen Historie vom Périgord angezogen fühlt. Neben Relikten prähistorischer Bewohner ist die Region auch reich mit Schlössern, Châteaus und Festungen gesegnet, schließlich war sie über Jahrhunderte hinweg heiß umkämpft. Die Mauren kamen um das Jahr 600 nach Christus und blieben bis 750. Danach kamen die Wikinger. „Anschließend war der wahre Fluch dran, die Engländer“, sagt Walker mit britischem Understatement. Die Narben der französischen Revolution, des Zweiten Weltkriegs, der Indochina-Krise und des Algerien-Konflikt sind immer noch tief. So manche Plakette erinnert an Franzosen, die von den Nationalsozialisten getötet wurden.
Brunos Lieblingstropfen
Die Geschichte erklärt auch zum Teil, warum die Weine von Bergerac im Vergleich zu den Tropfen aus Bordeaux kaum bekannt sind, obwohl sie aus den gleichen Trauben wie ihre Verwandten von der Küste gekeltert werden. Abgesehen vom strategischen Vorteil Bordeaux', die Häfen zu kontrollieren und die Weine aus Bergerac mit Zöllen belegen zu können, ist der Rückstand zum Konkurrenten zum Teil auch selbst verursacht. Anstatt die Weinstöcke nach dem Siegeszug der Reblaus, die im späten 19. Jahrhundert weite Teile der europäischen Trauben zerstört hat, neu zu pflanzen, kamen die Verantwortlichen mit
einer anderen Idee. „Radikale Sozialisten hatten sich für Tabak als neue Wunderpflanze stark gemacht“, erklärt Walker. „Der schwarze Tabak für die Gauloises ist hier gewachsen.“ Heute verkaufen viele Bauern ihre Trauben an lokale Kooperativen, die billige Weine für die Supermärkte herstellen. Walker indes bevorzugt den Besuch der besseren Winzer der Region, wobei er oft von seinem Freund Monsieur Bounichou begleitet wird. „Es ist ein großes Vergnügen den Winzer zu kennen und ihn über den Wein sprechen zu hören“, sagt Walker. „Der Stolz, wenn er den Wein ausschenkt, ich liebe das.“ Zu seinen Favoriten gehört das Château Lestevenie, das einen exzellenten roten Côte de Bergerac produziert, aber auch einen öligen Weißen. Einer von Brunos Lieblingstropfen stammt aus dem Château de Tiregand, das einen grandiosen, langlebigen Pécharmants herstellt, eine kleine Appellation in der größeren Region Bergerac. Weitere Lieblinge sind das Château de Jaubertie mit seiner weißen Cuvée Mirabell und das Château Feely, das für köstliche Weine aus Saussignac verantwortlich zeichnet, die mit Trauben aus biodynamischem Anbau produziert werden. Allesamt Weine, die in Deutschland leider nur schwer erhältlich sind. Obwohl Tradition großgeschrieben wird, bedeutet dies keineswegs, dass die Region eine verschlossene Enklave ist. Auf einem großen Sonntagsmarkt im nahen St.-Cyprien
etwa winkt Walker dem Metzger und er begrüßt seinen Freund Stèphane, einen Käseproduzenten und Nachbarn, der als Vorlage für einen weiteren Charakter der Bruno-Reihe diente. Neben sehr vielen regionalen Spezialitäten gibt es hier auch Stände mit japanischem Temaki, dem thailändischen Nudelgericht Pad Thai sowie Produkte aus Burundi oder Marokko. Walker selbst beschreibt seine Rolle in der örtlichen Gemeinschaft als die des „willkommenen Fremden“, obwohl seine Integration tatsächlich einen sehr abgeschlossenen Eindruck macht. Er stellt Vin de Noix her, einen regionalen Likör aus grünen Walnüssen. Er nimmt an einem Cassoulet-Wettbewerb teil, den das Périgord gegen Toulouse austrägt: „Wir meinen, dass ein gestopfter Entenhals zwingend hineingehört; sie denken, es drehe sich alles nur um Würste.“ Und er findet Gefallen an der Nacherzählung gewisser Bauernweisheiten, die sich mit der Frage beschäftigen, ob das Fleisch eines Kalbes als Milchkalb durchgeht – was die manuelle Erkundung der hinteren Körperöffnung des Kalbes erfordert. Wenn Walker gerade keine Mahlzeiten plant oder ein Weingut besucht, kümmert er sich ganz wie Bruno um die Geschäfte. Dann zieht er sich in sein Büro zurück, das sich im Taubenschlag befindet, wo er fast alle seine Texte schreibt –wenigstens 1.000 Wörter pro Tag. „Der klassische Traum eines Journalisten“, sagt er. ■
Über den Autor
Martin Walker wurde 1947 in Schottland geboren. Er ist Schriftsteller, Historiker und politischer Journalist. Er lebt in Washington und im Périgord und stand 25 Jahre lang im Dienst von „The Guardian“. Bislang sind zwölf Romane über Kommissar Bruno erschienen. Hinzu kommt „Brunos Gartenkochbuch“, das Walker gemeinsam mit seiner Frau Julia Watson verfasst hat. Der 13. Band „Französisches Roulette“ erscheint am 28. April 2021. Auf der Webseite brunochiefofpolice. com (auch auf Deutsch) verrät Walker Brunos Geheimnisse wie dessen Lieblingsrezepte, seine Playlists mit Chansons und Weintipps.
Das Château de la Jaubertie diente Heinrich IV als Jagdschloss. Hier wird mit der Cuvée Mirabelle ein favorisierter Wein des Kommissars produziert.
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