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Farbenfrohes Perpignan
from Frankreich Magazin
Perpignan
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Französisch, katalanisch Französisch, katalanisch und herrlich „bobo” und herrlich „bobo”
Perpignan klingt für viele Urlauber nach langen Staus auf der A9 oder der unliebsamen Unterbrechung einer Bahnreise. Doch die südfranzösische Stadt lohnt es sich zu entdecken: sie ist farbenfroh, gastfreundlich, warmherzig und prächtig – aber kein Jedermannsfreund. Man muss sie sich Schritt für Schritt erobern.
TEXT UND FOTOGRAFIE HANS AVONTUUR
PERPIGNAN
Als ich durch das Zigeunerviertel Saint-Jacques mit seinen schmalen Sträßchen und abgeblätterten Giebeln schlendere, tobt um mich herum das Leben. Draußen zu sein, das spricht hier für sich. Zwischen den Häusern sind Leinen aufgespannt, an denen Wäsche baumelt. Auf der Straße spielen Kinder unter den entspannten Blicken ihrer Mütter und Großmütter. Hinter einem Bau, der grad eingerüstet ist, gehe ich um eine Ecke herum und stehe plötzlich auf einem wunderbaren Platz. Alles stimmt hier: Die Giebel sind frisch gestrichen, die Straße ist perfekt gepflastert und Olivenbäume bieten Schatten. Bei einem kleinen Café halte ich Ausschau nach einem Tisch und bestelle eine Noisette. Es ist einer dieser versteckten Orte, wo man Stunden verbringen könnte, mit einem Buch oder auch einer Zeitung in der Hand. Dabei hin und wieder zu den Passanten aufblicken, seien es Einheimische oder Besucher. Ich mustere die Fensterläden auf der gegenüberliegenden Seite – welch schöne Farbe! Irgendwo zwischen Blau, Grün und Grau. Der Platz heißt Plaça Jaubert de Passà, ja genau, „Plaça“ anstelle von „Place“, denn Perpignan hat katalanische Wurzeln. Doch dazu später mehr. Das Viertel rund um den Platz wird schrittweise saniert und ist grad sehr angesagt bei den jungen Kreativen der Stadt. Nicht hip oder trendy, sondern „bobo“, wie die Franzosen so schön sagen: Bourgois-bohème. Die Bobo-Gegend breitet sich immer weiter in Richtung Zigeunerviertel aus und vereinnahmt dieses mehr und mehr. Eine gute Sache, meinen die einen, während andere den Verlust authentischen Charmes beklagen – schließlich gehört Saint-Jacques zu den größten und ältesten Zigeunervierteln Frankreichs,
Aus offenen Fenstern klingt Musik, Gelächter, Streit und Liebe
mit einer Geschichte, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Das führt gelegentlich zu Spannungen in der 120 000-Einwohnerstadt, doch in aller Regel überwiegt die entspannt-mediterrane Atmosphäre. Wer durch das Viertel spaziert, spürt den Puls der Stadt. Aus offenstehenden Fenstern dringt Musik und Gelächter nach draußen, manchmal auch der Klang von Streit oder Liebe. Von dem Platz gelange ich in die Rue de la Révolution Française, die vor nicht allzu langer Zeit von Leerstand und Verwahrlosung heimgesucht wurde. Jetzt aber gibt es hier Ateliers, Arbeitsplätze und einfache Lokale. Ich beschließe später zurückzukommen, um Tapas zu essen. Ein Relikt aus der spanischen Vergangenheit.
Katalanische Wurzeln
Perpignan ist schön, aber kein Jedermannsfreund. So viel steht fest. Man muss die Stadt Schritt für Schritt erobern. Wer langsam anfangen möchte, tut dies nicht in Saint-Jacques, sondern auf der Place de la République, einem weiteren schönen Platz, wo die Autos in eine Parkgarage verbannt wurden. Welch Freude. Am besten sichert man sich einen Platz auf einer Terrasse auf der Westseite, um wie die Einheimischen die Morgensonne zu genießen. Es ist ein großes Kommen und Gehen: ich sehe in sich gekehrte Stammgäste, ausgelassene Freundinnen, Menschen, die einander flüchtig grüßen, und gut gekleidete Frauen und Männer, die scheinbar an einer Konferenz teilnehmen. Wenn ich mich umsehe, entdecke ich einige elegante Gebäude, ein Theater und vor allem gerade Giebel, die eher an Spanien denn an Frankreich erinnern. Das ist gar nicht so seltsam, denn Perpignan besitzt dieselben katalanischen Wurzeln wie Barcelona und Girona. All dies spiegelt sich ›
Aufschlagseite, links: Blick vom Palast der Könige von Mallorca. Rechts: Bars und Restaurants in der Nähe der Rue René Paratilla.
Links: Innenhof des Hôtel Pams.
Rechts oben: Art-déco erbaut auf mittelalterlichen Stadtmauern. Unten: Mediterrane Aussicht.
FRANZÖSISCH KATALANIEN
Perpignan ist die Hauptstadt des französischen Teils Katalaniens. Im Gegensatz zum spanischen Teil gibt es hier keine Unabhängigkeitsbestrebungen. Die verschiedenen kulturellen Einflüsse gehen auf das 14. Jh. zurück, als das Königreich Mallorca vom spanischen Aragón übernommen wurde. Danach fiel Perpignan noch diverse Male an andere Besitzer, ehe es im 17. Jh. endgültig Frankreich zugeschlagen wurde. Auch nach 260 Jahren macht sich das Katalanische noch in der Sprache, der Küche, der Architektur und der Lebensfreude bemerkbar.
in der Architektur, der Sprache, der Küche und der Lebenslust der Bewohner. Anders als im spanischen Teil Katalaniens aber existiert im französischen kaum der Drang nach Unabhängigkeit. Um etwas mehr über die Geschichte zu erfahren, laufe ich von dem Platz zum Palast der Könige von Mallorca. Unterwegs passiere ich geschichtsträchtige Gebäude wie das mittelalterliche Stadthaus und die Kathedrale mit dem prächtigen Glockenturm. Während ich mich durch die Straßen treiben lasse, sehe ich, wie unterschiedliche Kulturen ineinander übergehen. Die der Franzosen, der Roma, der Algerier. Der Palast steht auf einem Hügel am Rande des alten Zentrums. Die Könige von Mallorca hatten hier im 13. Jh. ihre Residenz. Von hier aus regierten sie ein Reich, das in seiner Glanzzeit aus den Balearen und einigen Grafschaften wie Roussillon und Carlat bestand. Von der einstigen Pracht allerdings ist nicht viel übrig. Die meisten Räume in dem Schloss sind leer. Dennoch aber vermitteln die Säle, Treppen und Türme ein Gefühl von Grandezza – vor allem, wenn man den Donjon erklimmt. Von dort aus genießt man einen 360-Grad-Rundblick
Wie so oft in Perpignan ist das Haus an der Straßenseite recht bescheiden. Von diesem Eindruck allerdings bleibt drinnen nur wenig übrig
über die Umgebung. Während Besuchern die Stadt zu Füßen liegt, können sie mit ein wenig Glück sowohl das Meer wie auch die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen sehen.
Das Herz der Stadt
Obwohl das Königreich nur gut 100 Jahre existierte (danach wurde es in das von Aragón integriert), hat es Perpignan viel Wohlstand gebracht. Ich mache mich auf den Weg nach unten, nicht in das historische Zentrum, sondern in das Viertel, das zu Beginn des 20. Jh. im Stil des Art-déco errichtet wurde. Entspannt schlendere ich zum Théâtre de l’Archipel am Ufer des Flusses La Têt. Der hypermoderne Komplex, zu dem auch ein Kulturzentrum gehört, bildet einen reizvollen Kontrast zu den ehrwürdigen Bauten in der Umgebung. Ganz in der Nähe besuche ich das Kaufhaus Galeries Lafayette. Nicht zum Einkaufen, sondern um auf der Dachterrasse einen Kaffee zu trinken und dort einen unvergleichlichen Blick auf die Stadt mit ihren Türmen, Palmen, mediterranen Dächern und im Winde wehenden katalanischen Flaggen zu genießen. Dabei spüre ich kühle Luft, die vom Meer kommt, das Luftlinie nur zehn Kilometer entfernt ist. Je länger ich in Perpignan bin, umso mehr wird mir klar, in welch interessante Stadt ich da geraten bin. Durch das alte Stadttor spaziere ich zurück ins Zentrum. Vorbei an Art-Déco-Gebäuden und einem Stück Festungsmauer hin zur Place Arago mit der alten Markthalle und Palmen. Natürlich bewundere ich Prunkstücke wie die Place de la Loge und das Musée d’Art Hyacinthe Rigaud mit Werken von Maillol, Dufy und Picasso. Es ist ›
Links: Die Skyline von Perpignan.
Rechts: Die Porte Notre-Dame, das alte Tor zum Stadtzentrum.
eines von vielen Museen, zu denen auch das Centre International de Photojournalisme gehört, das Jahr für Jahr Starfotografen in die Stadt bringt. Am schönsten aber sind die Überraschungen – wie als ich in der Rue Emile Zola die schweren Holztüren des Hôtel Pams öffne. Hier befand sich die Wohnung der Familie Pams, die im 19. und 20. Jh. ein Vermögen mit der Herstellung von Zigarettenpapier gemacht hat: J.O.B. Hier befindet sich heute ein städtisches Denkmal, das Besuchern offensteht. Wie in Perpignan üblich, handelt es sich um ein Haus, das von der Straße eher bescheiden wirkt. Von diesem Eindruck indes bleibt drinnen wenig übrig: Schon nach wenigen Schritten finde ich mich in einer beispiellos schönen Halle wieder, die mit ihrer enormen Lichtkuppel und ihrer monumentalen Treppe beeindruckt. Wo man auch hinsieht, hängen Gemälde und Holzschnitzereien. Das Stadtpalais wurde zwischen 1852 und 1872 errichtet, wobei reichlich Geld zur Verfügung stand. Ende des 19. Jh. wurde es noch einmal an die aktuelle Mode angepasst, mit Malereien von unter anderem Paul Gervais, der auch die Casinos von Nizza und Monaco gestaltet hat. Wo ich auch hingehe, warten Überraschungen, so auch im opulenten Hofgarten mit Blick auf den Glockenturm. Hier bimmelte der Fabrikleiter, wenn die Arbeiter mit ihrem Tagewerk beginnen sollten.
Surrealistischer Bahnhof
Obwohl ich nicht mit dem Zug gekommen bin, möchte ich mir den Bahnhof von 1858 nicht entgehen lassen. Glaubt man Salvador Dalí, war dieser des Zentrums des Universums, was nur aus Mund eines Surrealisten logisch klingt. Allerdings erweist sich die Aussage als gutes Marketing, denn auch ich laufe neugierig zum Bahnhof, dessen moderner Anbau 210 Millionen Euro gekostet hat. Bei den Bauarbeiten ist die farbenfrohe Decke, die von Dalí inspiriert war, verloren gegangen. Dort hängt nun die Replik eines Gemäldes, das er 1965 von dem Bahnhof angefertigt hat und das heute in Köln zu sehen ist. Nach gebührender Bewunderung des Werkes spaziere ich zurück ins historische Zentrum mit seinen rosaroten Giebeln. Höchste Zeit für einen Lunch. Unter den Olivenbäumen auf einem Platz im Bobo-Viertel werden fantastische Tapas serviert, zu denen ich mir ein Glas Wein bestelle. Langsam verstehe ich, wie diese Stadt tickt: Perpignan ist eine französische Stadt mit einem warmen katalanischen Herzen. Links : Die Place de la République, perfekt für ein Frühstück.
Diese Seite, links: Perpignan war einst die Hauptstadt eines Königreichs. Unten: Das Théâtre de l’Archipel.
Nächste Seite, links: Das Hôtel Nyx. Rechts: Schön angerichtetes Gericht im Sterne-Restaurant La Galinette.
Nächste Seite: Eine der schönste Straßen von Perpignan.
Tipps & Adressen
RESTAURANT LA GALINNETTE ©
Anreise
Perpignan liegt etwa 1150 Kilometer von Frankfurt entfernt. Die kürzeste Route führt über Freiburg, Beaune, Lyon und Montpellier. Wer fliegen möchte, kann Montpellier, Toulouse oder Girona ansteuern. Mit dem ICE/ TGV dauert die Fahrt 11 bis 12 Stunden.
Übernachten
Hôtel de la Loge Dieses versteckte BoutiqueHotel liegt im Herzen der Altstadt. Es ist mit einer Mischung aus zeitgenössischen Möbeln und Elementen aus dem 16. Jh. eingerichtet. Die 22 Zimmer unterscheiden sich alle voneinander. Blickfang ist die monumentale Halle mit der eisernen Treppe. hoteldelaloge.com
Nyx Hôtel Modernes und komfortables Haus in Laufdistanz zum historischen Zentrum. Individuell eingerichtete Zimmer, teilweise mit Balkon oder Terrasse. Die direkte Umgebung ist dank gediegener Bauten und palmengesäumter Straßen sehr reizvoll. nyxhotel.fr
Novotel Suites Perpignan Centre Dieses neue Haus blickt auf das moderne Théâtre de l’Archipel am Fluss La Têt. Die Einrichtung ist modern und komfortabel. accor.com
Essen & Trinken
Restaurant Le Figuier Gemütliche Terrasse unter Olivenbäumen und Palmen auf einem versteckten Platz in der Altstadt. Katalanische Küche mit französischen, mediterranen und spanischen Einflüssen. Auch gut für einen kleinen Lunch mit Tapas. Rue du Figuier 7
La Galinette Seit 2004 mit einem MichelinStern dekoriertes Lokal und daher eine der Top-Adressen. Chefkoch Christophe Comes serviert zeitgenössische Gerichte auf Basis französischer Traditionen. Es kommen vorzugsweise Fleisch und Fisch aus der Region auf den Teller. Auch besitzt das Haus eigene Gemüse- und Obstgärten. restaurant-galinette.com
La Carmagnole Einfach, frisch und mit Leidenschaft zubereitet. Dafür steht dieses Lokal, das sich in einer alternativ angehauchten Straße befindet. Man isst draußen an kleinen Tischen. Die Einheimischen lieben das Tagesmenü. Rue de la Révolution Française 12
Café Galeries Lafayette Herrlicher Flecken auf dem Dach des Kaufhauses. Sandwiches und Kuchen. Vor allem aber eine wunderbare Aussicht. Place de la Résistance 1. galerieslafayette.com
Streetfood In dem Viertel zwischen dem Palast der Könige Mallorcas und der Innenstadt wohnen viele nordafrikanische Migranten. In den schmalen Sträßchen gibt es kleinen Kebabläden und Bäckereien mit leckeren Süßwaren.
Weitere Informationen
perpignantourisme.com toerisme-occitanie.nl